Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, February 11, 1915, Image 5

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Wie istGußland zu bezwingen?
Von Paul Ushrbach.
Ist Unterging vct Napolconischen Hee
n in Riifjland bor einem Johrhundkkt
tat bit heule nailigcivirkl, indem tt die
Borstcllunz etKUßle, daß ein Bormarsch
iii'lv3nni t(l russischen Riesenreiche
unter ollen Umstanden gefährlich jüt die
iiidrin-nd Armee sei. Wem die näheren
-T.st.inbe jener Katastrophe Mannt sind,
oer wiid ändert denken. Napoleon ist zu
Grunde gegangen, weil er sein Heer nicht
ernähren konnte. Nicht erst der Riickzug.
sondern schon der Hinmorsch der großen
Armee noch Motkau brachte ihr die ent
scheidenden Verluste, und sie entstanden
viel weniger durch die Waffen bei Gegnert
all durch den Mangel an Verpflegung.
'Mit etwa (;00,000 Mann brach Napoleon
aus. Einige kleinere Corp wurden schon
zu Beginn det Vormärsche! abgezweigt,
aUt im Berhältni zur Gesammtmafse
siel d wenig in' Gewicht. Trotzdem
kmr die Macht, mit der die Franzosen bor
Moskau anlangten, auf weniger alt 250,
00) Mann zusammengeschmolzen.
Etwa über 30,000 Mann Überschritten
uf dem Nlichjug die russische Grenze: eine
g?.nze Anzahl Versprengter folgte nach.
Der Hinmarsch war also mit noch große
ren Einbußen verbunden als bet Rückzug,
nur bcsj die Ablröckclung nicht untcr so
furchtbaren' Umständen ersolgte. ei
nicht möglich war, die Armee ausreichend
zu versorgen, so blieben erschöpfte, knin
mrnde und erkrankt Mannschaften an
jeder Etappe zurück. Ter Veipslegnngs'
mangel war da! Entscheidende, und ihm
kannte niciit abgeholfen werden, Uil die
Transportmittel f iir den Nachschub nicht
ausreichten. Hätte Napoleon eine Eisen
lehn zur Verfügung gehabt, so hiitte er
wcihrsäeinlich den Feldzug durchführen
können.
EI ist akr lllxrhauvt ein: irrige Vor
sicllung. daß der Stoß in's Herz Nusz
landZ naä, Moskau oder car nach Peters'
bürg geführt werden müsse. Rußland
lcbn?vichtiqe Theile licqen heule ganz wo
anders. Wie alle modernen Stauten ist
auch der russische abhängig von Kohle
" d Eisen. Zwar besitzt Nordinfzland ge
.itige Borrathe an Holz.'aber diese rei
chcn niä't aus und können namentlich
ni.bt überall hingebracht werken, wo es
gilt Eisenbahnen und F.ibrilen zu be
wegen, Schiffs zu treibm. Gasanstalten in
Betrieb zu fialtenMi. s. w. Nackidcm die
Lagerstätten in Polen silr die Russen ccr
S32SEj3Z5ZSZS2SZS3c575ZS2515SSZ5I
Frankreich im Dezember, 191.
von Norbert Jacques.
, Stimmungen
Drch einen Nacnnittag und eine ganze
Nacht, achtzehn Stunden Fahrt in einem
ganz leeren Zug von Lyon bis Bordeaux!
Aus einer Sirecke, die die Ausdebnung
und Wichtigkeit etwa der Strecke Frank
surt Hamburg hat. Ficberig, gerädert,
schmlibttdeckt, komme ich im Morgen
dämmcrn in der Stadt d:s Weins und
dcr slüchtig.-n Regierung an. Alle meine
Nerocn zittern nach Wasser und Nein!
gung. Frankreich ist im jlrieg noch drei
mal schmutziger geworden. Tat größte
Bordklaiscr Hotel ist an den Bahnhof an
gebaut. Ein Bad. bitte!" verlange ich
dort als Erstes. Tcr Chasseur' zum
Kellner: Kann der Herr ein Vcid haben?"
Der Kellner zum Portier: Kann der Herr
ein Bai. iben?" Tcr Vor.!er zur gäh
nendcn .Malierin: Ich kann ibm keins
?eben.' Zimmerfrau !" Die Zimmer
frau sagt endlich: .Ja. gerne, aber die
Leitung versagt; der Herr muh bit Mit
tag warten!' .Adieu!" Das Hotel
gegenüber hat keine Badeeinrichtung. Ich
durchwate den Scklamm des Bahnhof
platz-s zu einem' dritten Hotel und höre
nach langem Parlamentiren endlich das
erlösende, beglückende: Ja!
Nach einer halben Stunde. In der Ich
mich vergeblich beim Hausdiener, der ein
baskischer Halbtrottel ist, aber der einzige
wach: Mensch im Hause war. nach allerlei
erkundigt habe, nach Präsidenten und Di
plomaten und dergleichen, werde ich in't
Badezimmer gebracht. In einer Ecke die
sct miniaturhaftcn Raums ist noch, kaum
erreichbar, die schärfsten Tüste ausströ
mend, über und ilchcr beschmutzt, jene e
legen heit eingelxiut. die noch heute in
Frankreich so wenig selbstverständlich Ist.
daß In den Fahrplänen jeder Zug. der
eine solche mit sich führt, besonders durch
ejn Zeichen kenntlich gemacht ist. An dem
Papierapparat neben dieser Gelegenheit
war in drei Sprachen die Aufforderung
angcbracht, die eschichte möglichst sauber
zu 'chandeln. Ueber den deutschen Text
war mit Bleistift geschrieben: Ja. gewiß
diese Ausforderung ist für die deutschen
Schweine außerordkntlich nothwendig!"
Tat wirkte nun doch erheiternd im Land
der ewig und allgemein verdreelten Kabi
nettt und gar noch neben diesem besonde
ren Apparat.
Ich badete, und schritt wieder frisch der
Stadt entgegen. Bald merkte ich jedoch,
daß das nichl so ohne Weiteres ging. Tat
Pflaster war ein üklcr Teich von fchwim
xnendem Schlamm. Eine Elektrifck)? kam.
Ich fuhr c'f ihr an den Quait entlang.
Bordeaux hat den drittgrößten fianzLst
fchen Hafen, und an der Garonne ziehen
sich die Ladedämme zwei Stunden lang
dahin. Aber kaum sechs kleine Dampfer
lagen an Ihnen. Im Strom ankerten
ezMift mit lnaedectten (Schornsteinen.
Ein kleines Leben war zwischen Schissen
und Land. Weite Flachen lagen arvetts
lot und todt von schweren Bauitemen ve
deckt. Lagerräume waren verbissen zu.
Ein kleiner Dampfer lud, haushohe La
düngen von Sardinen aus. aut einem an
hn wurde Nässer mit Benzin an Land
gerollt und ein dritter lud Wein. Einige
Wagen standen da unv vorr mit je zwei
mächtigen und schmalen BordeaupJässern.
In den Schisfwustcllcn laqen bei ruhen
der Arbeit halbfertige -Schiffe In den Hei
loren gegangen sind, kommen für flechte
und Eisen nur noch die Gebiete am mit!
leren Tnjkpr und am Tonctz In Bedacht.
Beide liezen tm Oden bei Lande.
Außerdem liefern die Petroleumquellen
von Baku Heiz und Brennstosfe für einen
Tlxil bei Süden! und für den Slldosien.
elange e also den Teutsche, öfierreichi
fchen und türkischen Clreitkrasten. den
jenigkn Strich Rußland in ihre Gewalt
zu bringen, der sich etwa Von den Kar
pathen bll an da Natpische Meer erstreckt,
so wäre damit die WIdcrstandssähigkcit
der Nüssen zu End. Ohne Eisen, Kohle
und Naphtha tonnen sie sich nicht mehr
lange ballen.
Dazu kommt noch etwa! Andere!.
Slldrußland, In der Hauptsache also die
sogenannte Ukraine, ist die Kornkammer
des Reiche. Fast der ganze russische
Aukfuhrllberschuß an Getreide stammt au
dem Gebiet der .Schwarzen Erde", und
diese deckt sich ungcsähr mit dem der süd
russische stehlen und Eisenlager. Et
greift über sie hinaus, aber et liegt bei
Weitem zum größten Theil In Südrusz
land. Wer oie russische Kohle oder dat
russische Eisen bcherrsibt. der beherrscht
auch den entscheidenden Theil der russischen
Kornproduktion. Tat wird sehr in' Ele
wick't fallen, wenn der Krieg sich bit über
den kommenden Sommer hinaus hinziehen
soll!'. Ob er et thut, das wissen wir
nicht; wir hassen, daß et nickt so kommt,
aber wir müssen darauf gefaßt fein, und
wir sind et ruhigen Heuen. Rußland
dagegen mufz einer solchen Möglichkeit mit
Zittern entgegensehen.
Noch ist et nicht an der Zeit, Ser
muthungen liber die weiteren und endgül,
tigen Folgen det Sieget In Polen zu
äußern. Vielleicht thun wir klüger daran,
an diese russische Niederlage noch nicht die
endgültige Hossning zu knipsen, daß sie
die volle Entscheidung dc Krieget im
Otter, bringen wird. Mag der Kampf
gegen Rußland seht schon bis an't Ende
fortgesetzt werden oder mag dat Ende der
schoben werden, bit wir im Westen fertig
sind: es kommt einmal, und et wir ein
bitteiet Ende für Rußland sein. Wenn
nicht früher, so wird et mit dem Zeitpunkt
eintreten, wo et kein russischt Eisen,
fein; russische Kohle, kein russisches Naph
tha und nicht genügend rufsisckieS Getreide
zur Ernährung der 170 .Millionen mehr
giebt.
in Lorde.rur.
lingen. Ein kümmerlicher Markt ging
zu Ende an den Quais. Die Elektrische
polterte dahin und spritzte den Schmutz
weit aus ihren öieleiscn. Sie war
schmutzig. Der Himmel spiegelte sich in
dem Fluß von Schlamm, der sich auf dem
Pflaster staute. Vergraute, angekrümclte
Häuser reihten sich dreckig aneinander.
Man sah in morsche Gassen hinein, die
einen moderigen Geruch auswarfen. Die
schmutzigste Stadt, die ich in Europa je
mal" erlebte, empsing mich.
Die Krieashauptstadt Frankreichs.
Am I. September war die Neaierung
hierhin verlegt worden, die Regierung auf
der Flucht vor der deutschen Invasion.
Darin hat Bordeaux, schließlich Tradition,
denn schon im Krieg von 1870 71 mußte
et eine ähnliche Rolle spielen. Gestern
vor 44 Jahren wurde et der Sitz der pro
visorischcn Regierung, also sozusagen ein
kleines Jubiläum, das die Reaieruna -
stillsüiweigend feierte, indem sie ans
diesem Tag 1014 sich nach Paris zurück
zuvcrlcgen begann, nicht offiziell, nur,
sagen wir. offiziös, denn der Feind lag
noch über einem Theil Frankreichs, und
man denke sich aus: Welche Blamage, eine
zweite Flucht aus Paris!
Aber Ich muß gestehen, ich Verstehe, daß
auf tinmal die Herren, so wenig erwünscht
dies auch den Parisern selber sein mag,
in dieser Stadt die unabweisliche Sehn
sucht nach Paris erfaßte und daß sehr
rasch die Devise in Bordeaux durch all
Bureaus, Restaurants und Äbsteigequar
tiere ging: .On rentre!" Tat genügt.
Paris" brauchte man nicht hinzuzufügen.
Das war die selbstverständliche Heimath
aller Politik, oller Ehrgeize und aller
dunklen Geschäfte, die darin einbegriffen
waren.'
Und da außerdem nocl so Einiget an
Bordeaux war, wat dem Parit-Gewöhn
ten nicht selbstverständlich erschien, so fetzte,
kaum hatte die Flucht ..begonnen, der
Strom nach Parit übermächtig in. Gab
es denn in Bordeaux einen einzigen Men
fchen, der nicht genau über jeden Schritt
de Herrn Ministers, des Herrn Sekretärs,
des Herrn Bureauchess unterrichtet war
und seinen Schnabel über Dinge wetzte,
die schließlich eine so private Angelegen
heit waren, wie eine Maitrcsse oder wie
faire la noce"? Man fährt alt oberster
Beamter des wandet schließlich nicht von
Paris nach Bordeaiix, um gerade auf olles
zu verzichten.
Und die nationale Trauer?
Und der Chapon sin"? Dat ist Lust
vielleicht?
Der .Chapon sin tva. daS Hotel'
Restaurant, das aus einmal zur Mode er
hoben wurde. Der Militärgouvcrneur
hatte für Bordeaux deit Schluß aller Lo
kale auf acht Uhr sesigesebt. acht Uhr
abendt natürlich. Flüchtete man sich det
shzlb vor den Boches"? Man feierte Feste.
Abwechselnd in legitimer und in rnzvol
lerer Begleitung. Ich glaube, die Abende
und Nächte wurden nach Wochentagen in!
wkniaer langweilige und in gar nicht lang.
wellige eingetheilt. , Man legte die achtUhr
bei Gouverneur! in acht Uhr dct Morgens
au!, praßte und buhlte, feierte Feste und
der Chapon sin," wer der Ausgleich für
dat ausgegebene Baris und die Angst vor
der deutschen Invasion.
'Die Herren dck Ministerien und die
alliirlen TiplomalkN Ivaien vnlck sich.
Tcmi die Presse, die tyulit;!. die Schi
reu tct Hwchcichu,!d!,r, die um Armie,
lieserungen buhlten uiid d, stachen, ud die
diiiikcln ttlucksiittcr, Spione im Trüb,
fischet, die im KiclMsscr von Rkgikkiing,
Diplomatie und Politik sowie Presse
schirammen, wrr vo j-nen doch wyt
Heimlich, wie Schatte von Körpcr. ie
waren die negattrcn Pole, nach Denen die
positiven Ciröine widerwillig, akt von
her Nothwendigkeit gezwungen hiillber
zielten, (.'tesellschaftlich hielt per .Elzpon
sin" dat Vand zufanimen. södsß ganz
Bordeaux e sah, wahren im großen
Paris die Bewegungen eer einzelnen
Gruppen sc auciiaiiocr gehen konnte,
daß der Zusammenhang aufgeizobe war.
Man führte sich im .Ehapon sin" und
mit den Weibern dermaßen auf, daß die
sromme Bordelaiser Bevölkerung Anstoß
nahm und der Militaraouverneur der
Stadt einschreiten und dc5 Üokal mit We
walt um neun Uhr schließen lassen mußte.
Aber pozu gchöil man zu der straft,
die nicht nur das Äaterland leitet, sonsern
auch Über Beamte Ja oder Nein zu sagen
hals Tcr Goiwerneur wurde eiitfcriit
und der Ehapon sin' sicgte.
In der Petite Gironde" las ich gerade
heute einen kleinen Aöschiedsgruß an die
Minister und die Tiplvmaien. Ticscr
Abschied war so smderbak kühl gehalten,
es stand kaum verborgen darin ausge
drückt, daß die Stadt Bordeaux in den
Zeiten der Noth sich ihrer Pflicht tröhl
bewußt und auch fernerhin gcfonnen fei,
sollte man sie des weiter beanspruchen
müssen, die hehre patriotische Last der !I!e
girung auf sich zu behalten. . . Eigentlich
hätten die Äorbelaifer durch das Leben
und Gcldausgeben, das ihnen diele Pa
riser Gesellschaft brachte, doch beglückt sein
müssen. So dachte ich mir. Ich sprach
einem Pariser davon. Aber der suhr
wütend auf: Ja, ja! 'Älicven sie doch
nur? Wir waren so glücklich in Paris, daß
wir sie lot waren. Uno nun kommt auch
die Kammer wies und diesmal lassen
sie doch nicht, wie am 4. August, den
Mund geschlossen. Sie haben schon olle
herumgeredet, welche Anfragen" sie der
Ncgirung stellen wollten, liiern Eott,
welches Unglück!"
Es wiro wohl getragen werden nills
sui!" beruhigte ich ihn. .Das Vaterland
hat sie nöthig."
.Nöthig? Sie glauben, Frankreich hat
so etwas nöthig, so einen Auszug von
Maulcrci. Frcßsucht, von dunkeln Rittern
und Huren, wie man nun einmal in dem
kleineren Bordeaux diese Gesellschaft , in
ihrer geschlossenen Wirklichkeit gesehen hat.
Man wird es machen müssen, wie mit der
Frau deS Herrn, der nach Brasilien ge
schickt wurde. Sie wissen, daß die
Presse den Namen nicht nennen darf. Man
hat öffentlich auf sie gespuckt. Skandal!
Skandal!" .
Der Pariser schrie laut.
Ein Mann am Ncbcntisch des Caftt
mischte sich ein: .Sie sprecben von der
Pariser Negirung, mein Herr?"
.Gewiß!"
O, diese ... ist) will das Wort nicht
nennen. Denken Sie sich, was sie mir ge
macht haben. Nun sind sie schon da mit
ihrem ganzen Geplunker von Weibern und
Kokotten und wir. in dieser sowieso todten
Geschäftszeit o welch ein Unglück ist
dieser Krieg ... und er endigt nie . . . Sie
werden sehen . . . nie! und da hat man
. . . nämlich ich habe ein Geschäft in der
Nue Sie. Cathcrine ... sich schon ringe
richtet auf die Neujahrögefchenke. Und hast
Du nicht gesehen. August, putsch der ganze
Plunder nach Paris zurück, dem Neujahr
bor der Nase nach Paris weg! Und meine
Schaufenster! Mein Herr! Meine Schau
fensterl Die können jetzt warten, bis
Ostern und Mariä Empfängnis aus einen
Tag fallen. Meine Schaufenster liegen
voll der schönsten Geschenke und Geschich
ten, die man nicht mit Kupfer bezahlt . . .
Jetzt kaufen sie ihre Ncujahrsgcfchenke in
ihrem Paris!"
Er sagte das Wort Cambronncs.
Mit dem heftigen Wort deö alten Wa
terIooGencrals feierte man in Bordeaux
den Kehraus der Pariser gtegicrung und
der Diplomaten.
Ich saß da auf der Terrasse des Cafös
und lachte in mich hinein 'iib diese Form
von bürgerlicher Enttäuschung, während
neben mir die beiden Hej'sbtüthigen sort
fahren. Der Bordelaiser sagt noch: Aber
es ist en Kloakciisystem, dieser Apparat
von Negierung,,Diplo,na!'e, Politik . .
Da sehe ich aus einmal eei, kleinen sehr
gut gekleideten Herrn nai bei mir aus
der Straße, ein energisches Gesicht mit
kalten hellen Augen verimilt wie zurück
vrallend einen Augenblick in meinen
Augen, dann geht etwas go in diesem
Gesicht, plötzlich, ganz erfroZ'end, das Blut
steigt mir in den stopf . . . ilch weih nicht,
was ick thun soll, denn dieses Gcsicht ge
hört zu dem Sekretär im Ministerium
des Innern, den ich kenne, der mich sehr
gut kennt, der gleich weiß, weshalb ich
jetzt" in Frankreich bin, und dessen Be
gegnung ich gefürchtet habe, weil er ein
blutiger Fanatiker Frankreichs, ein Hasser
Deutschlands und von rücksichtsloser, ehr
geiziger Energie war. Und bevor ich mich
entschlienen konnte, harmlos rym zuznru
fcn oder unbekannt zu thun, wendet er
heftig den Kopf weg und geht raich davon.
Ich mochte mich wohl dem ivctuhl hin
geben, daß der Zwischenfall für ihn mit
diesen kurzen' heftigen Minuten erledigt
war und dan er nickt zum nach ten Pott
zisten ginge und mich verriethe. Ich stand
bald auf und ging. Unruhig, aufgewühlt
spz,:te ich durch ,e Straßen.
Ein letzter Glanx der scheidenden Ge
sellschaft lag noch in ihnen. Gut auSge
stattete Geschäfte reihten sich in der Nue
Sie. Catherine und im EourS de l'Jnten
dance aneinander. Zahllose Automobile
kreuzten sich ununterbrochen. Auf, den
Scheiben trugen sie kleine Zeichen und In
schritten: Kriegsministerium, Präsident
schaft. Finanzministeriuiil .'. . Sie sichren
und hielten hin und her: vor dem Palais
Bihonne, wo das Justizministerium tagte,
vor dem Hotel Samaheuil, um dem Mi
nisterium des Beußcren etwas zu bringen,
vor dem Kolonialministerlum in der Han
dclskammcr. vor Schulen, in denen andere
Berwaltungszweige auS Paris die Jugend
erdrangt hatten unv verdichteten ihre cm
sigi und nervöse Heftigkett in der Rue
Bitak Fbarlct und bis zur med!M!schen
Hochschule, denn diese bergen die oltuillslen
Miinstkkikn: das de Kriegt und da der
,;anzcn. Ich streifte durch die kleine wit
Zelltuch geschlossene 'Markthalle, in der der
Käs würzig flank, in die tletne unsaukre
Rue MoiitkiqiltkU hinein und sah .ihn",
den lasteihasten, bcrllchtigtkn, belieblen
Kapaun, den .Chapon sin", in dem sich
dat .Kloalenjhstein" im Sammelbecken
zusammenfand.
Aon dort ist et nicht weit zu der Rue
Las. Monbadon. In ihr, einer schmalen
unbedtuicnden Straße, In dem unsrem
baren ArchcpöchS wohnte der Präsident
Poincarki. Er !t Bordeaux gestern ver1
lasten, we,l er tn Paris sich bereden
muhte, und hat mit dieser Reise die
turmglecke der Angst in Bewegung ge
setzt, die man tn Frankreich jkkt mächtig
vor dem Mund seiner Aogeoroneten lau
tet. denn dek Prujident hat für den 22.
Tezember die Kammer nach Paus zu
fammengerufen.
Da Theater .Lavat" und d,e Prafek.
tur halten in Bordeaux Nachbarschaft und
,Havat schlagt gerade die Nachricht der
Schlacht an den Jalklandj. Inseln an.!
Ein Grllppchen Leute bleibt stehen unv
liest. Ich wundere mich über das Fehlen !
jeder stürmischen Antheilnahme und reize
den Mann, der neben mir liest: .E,n
schöner Sieg!" sag' ich. Er antwortete:
Kann sein. Aber wr sind es nicht!"
W i r" wurden unter der Seeschlacht in
dem letzten amtlichen Bulletin mit einem
kilweiscn Schützengraben abgespeist.
.Es geht nicht weiter!" sagte der andere
nocli. .Aber die Serben machen tu.ntige
Arbeit. Donnerwetter. Dat ist gewaltig!"
Ich sagte: Sie werden sehen, die Ser
ben kommen den Russen noch mit der Ein
nähme von Wien und Berlin zuvor."
Tann bemerkte er noch einmal traurig:
"Ja, aber .wir" sind es nicht."
'
Gegenüber vom Theater liegt dat Cafö
de Bordeaux, wie alles in Bordeaux in
Paris hergestellt. Hintereinander auf der
Terrasse eimae Reihen von Stuhlen und
Tischchen und ein gesprächiger scherzhafter
Kellner.
.Gehört der Herr auch zur Diploma
tieZ" fragte ex, inoem er einen Blick auf
meine ha! aut Tucy und halb aus Lack
bestehenden Schuhe warf.
.Nein, nein!" sag' ick.
.O, dann zur Regierung? In ein Mi
nisterium?"
welcher Fremde in Bordeaux sollte nicht
damit zusammenhängen?
.Also gut!" sag' ich lachend. .In ein
Ministerium. Aus welches schätzen Sie
mich ein?"
Er schaut mich an, forschend, und ant
wortet dann:
.Ins Ministerium der Siege."
.Das ist wohl eine Umschreibung dek
Presse? Oder hat Frankreich dafür ein
besonderes Ministerium nöthig?"
.Eigentlich müßte man sagen," meinte
er. .daß allerdings sein Hser dafür genii
gen sollte. Na, wir haben sie ja jetzt so
weit!"
.Wen?" frag' ich.
.Nun. die Deutschen!'
Ja. ja!"
.Die Minister kommen täglich zu uns.
An dem Tisch sitzt immer Guesde. Da
Sem bat, dort der General Pau und
Millerand . . '. ja. ja . . . nur Delcassö
kommt nie und soll nie ausgehen."
.Und der Präsident 1"
.Aber, aber." machte er geringschätzig.
Der Präsident und ein Eafö"... Dann
begann er, mir kleine Skandalgeschichtchen
über Minister, Diplomaten und Frauen
zu erzählen, während er, immer unter
brocken, bald hierhin, bald dorthin be
diente. Auf einmal kam er mit langen,
raschen Schritten zwischen den Tischchen
heran in meine Ecke:
.Sehen Sie den Herrn, der dort geht.
Ten mit dem großen PortefeMe unterm
Arm. das so dick ist. daß er es kaum hak
ten kann ... ?"
Ja. ja!"
.Das ist Guesde, der Minister ohne
Portefeuille." lachte er. Dann flüsterte
er fast andächtig: Da kommt Pau!" Ein
General kam heran, in schwarz verschnür
tem Rock, und unter der blumenbestickten
Mütze ein derbes, gutmüthiges Gesicht, das
ganz von einer dicken Nase und einem
weißen, schweren und hängenden Schnurr
bart beherrscht wurde. Er fetzte sich in
die andere Ecke der Terrasse. Zwei Kell
ncr. der Patron", eine BUffetdame. ein
Piccolo, ein Hund und ein Zeitungsver
laufet stürzen auf ihn zu. Mein Kellner
kommt bald mit lachendem Gesicht zurück
zu mir.
. Ja. wissen Sie. das KriegSministerium
und die Finanzen bleiben doch in Bor
deaux." -
Der Grüßbcamte kommt zu mir und
erzahlt ohne Aufforderung Greuclthaten
deutscher Soldaten in Belgien.' Er fing
mit t iens" an und das zweite Wort war
savVvons" und ich wußte da. daß er
ein Belgier war. Als er ging, kam noch
einmal der Kellner und sagte mir. der
Andere sei Belgier, und erzählte die furcht,
bare Geschichte von dem sechsjährigen
Knaben, den die nationale Wuth erfaßte
und der mit feiner Knallbiichse auf eine
deutsche Truppe anlegti'. Da haben sie
il?n an einen Baum gebunden und er
schössen. ,
Ich lachie ihin in's Gesicht.
Wie meint der Herr?" fragte cr miß
traüisch.
.Ich meine, daß Sie sehr harmlos sind,
Kellner. In Wirklichkeit war diese Ge
schichte, die ich mit eigenen Augen gesehen
habe, viel furchtbarer. D kleine Bcngel
hatte nämlich eine abgeschossene Patronen
bülse gefunden und im Glauben, damit
seinen vaterländischen Gefühlen Geltung
und einem Mw!i den Tod zu der
schaffen, sie in fein kleines Gewehr gesteckt.
Die Preußen glaubten, daß er wirklich
geschossen hätte. Sie wollten ein Beispiel
ausstellen. Sie sllhrtcrl dem Kleinen ir
gendwo eine Patrone ein und ließen sie
crvlodiren. und ich sage Ihnen, von dem
Kleinen blieb nicht einmal mehr so viel
übrig, wie Sie in drei Monaten noch von
Deutschland sehen."
Der Kellner weinte. Ach, es sind doch
unwahrscheinliche Thiere!" seufzte er.
Jl, muß das gleich dem Belgier erzählen.
Vrt sammelt Material iiber ihre Bestiali.
taten," ., '.
kMelllliU steht die G.schichie vom Klei
nes und dr Bstront morgen in der
Petile Girondt",
Im Bnhnf of von Bordeaux stehen zwei
Züge. Sie fahren beide nach Pari, sah.
ren beide zuakuh ob und sollen zugleich
ankommen. Ich entscheide mich für den,
der den Speisewagen hat. Der Träger
schiebt meinen Kvsjcr In einem leeren Ad
theil in t Netz. Ich geht zwischen den bei
den Zügen hin und her und gewahre etwas
Sondcrkre: In dein Zug, mit dem ich
fahren will, sitzt man abthciuoeise per Fa
mili: oder Gruppen von jungen Männern
zusammen. In dem anderen fitzen ent
weder Männer allein oder Frauen allcig,
über deren Beruf man sich nicht lange im
Unklaren bleibt. Und et bebt eine mäch
tiae Kanonade von Blicken von hüben zu
drün an. Ein Mädcken reickit in den
anderen Zug einen Blumenstrauft binein.
Die Dame, die Um nimmk. stecit den
Mund hinein., und ich sehe, wie sie heim
lich lächelnd in den andcren Zug shaut,
Ta drehe ich mich rasch um und erblicke
dort einen Herrn zwischen Kindern und
einer Dame, der am offenen Fenster eine
leichte, sich vcrberqcnde Verbeugung macht.
Die Absahrtzcit naht heran.
Ich steige ein und stcbe an einem vsse
ncn Feniter ncb'N d,r Zbür. Im letzten
Augenblick keuckt ein Reisender herbei,
schiebt den Koffer auf t Trittbrett...
Ein Beamter stürzt heran: .Wohin?"
.Nach Paris! Paris!" sagte der Dicke
athemlos.
Der andere Zug!" ruft der Beamte.
Dies ist der Ministcrzug, der die Letzten
nach Paris brinat."
In demselben Augkiiblick sehte der Zug
an. und Ich fuhr im Zug der Minister und
Diplomaten mit nach Paris. Zuerst be
kam ich einen leicbten Scbrcck. Ich dachte
auf einmal auch wieder an den Sekretär,
der mich sah und mich in kurzem Kampf
seiner Gefühle nicht sehen wollte. Wenn
der im Zug wäre zum Beispiel!? Ich
Widerlegte mir. ob ich nickit am besten mich
m den Wagen drm:i Klasse setzen sollte,
der hinter unserem Wagen fuhr. Ich fand
den Wagen aber gestopft voll mit Dienern.
Ich schlich vorsichtig durch den ganzen Zug
den Gang hinab und spähte in jedes Ab
theil hinein, und war bald sicher, daß der
Sekretär nicht im Zug war.
Ich sah Pcllctan's schweren, mit grauen
Haaren umwallten Kopf. Ein Anderer
schien mir Scmbat zu fein. Ich horchte
Gesprächen zu. In einer offenen Thür
lehnte ein Herr, der das Wort Petrograde
aufsprach, während Ich vorbeiging; der
Partner des Herrn nannte ibn: Jswolski!
Also mitten in der alliirten Hölle war
ich aus einmal. Eine Gruppe junger
Sekretäre besprach Zeitungsartikel. Lasen
Sie Le, nlnrrniste"?" frägt einer der
Herren, .im .Eafö de Paris". Herr De
putirtcr. das geht aus Ihre Kollcgcn
Der Tcputirtc lachte: .Wie einträchtig aus
einmal all: Zeiiunaen geizen uns Deputirte
sind. Der Tempi", das .Echo", Ji
garo", .Matin".... Bnvmirs de wir,
pessirnrnme nisso..; Bestellte Arbeit,
mein Lieber. Ich kenne die genaue Quelle.
Lächerlich."
Ein anderer: Aber gewiß! Zu solcher
Kritik darf das Recht nicht beschnitten
werden. Denn weder sind die deutschen
H:ere unterirdisch bis nach Reims und
Lille gekommen, noch kann man schwören,
daß man bei Lodz einen großen Sieg er
ringt, indem man sich zurückzieht."
Ein Hcißblllthiger warf dazwischen!
Mein Freund, dos sind Verleumdungen
heldenhafter Armeen. Unterlasse sie in
meiner Gegenwart!"
In diesem Augenblick kam ein älterer
Herr durch den Gang. Die Sekretäre
machten mit hastiger Höslichkeit, Platz. Ich
wurde fortgeschoben von tit Gruppe.
Ein paar Mal wurde ich von sonder
baren Augen angeschaut. , Sie schienen
sich auf mich besinnen zu wollen. Einmal
grüßte mich jemand, der mich verwechselte.
Ich machte einer schönen Dame Platz, die
schwarz und außerordentlich elegant ange
zogen war. Sie trug in den Ohren und
an einem Ring Peilen von strahlender
Märchenhaftigkeit. Der Speisewagen war
ganz besetzt. Man trank dort nur Cham
pagner..
Mir fiel bald die Einförmigkeit des
Typs dieser Männer auf. Außer den Er
schcinungen von zweifellos nicht miitel
europäischem Ursprung sah man fast lau
ter Köpfe von einem soliden Bau, mit
festem Haar, mit weiter gerader Stirn,
von viereckigem Umriß der Linien uni
guter Füllung der Formen die söge
nannten töten carrecs",- die die Fran
zosen mit Vorliebe den Deutschen zuer
theilen. Worüber ein Witzwort herumge
reicht wurde: A tto carrSe vo'mg
carrö.
Nicht schlecht!" meinte höflich gleich
gültig ein älterer Herr. Wann gehen
Sie ins Feld?" fuhr er fort. Der andere
war ein kräftiger junger Mann. Er war
rasch verlegen, faßte sich aber bald: J'ch
höre in Paris, was man mit mir macht."
Es warm nämlich Verordnungen ge
kommen, daß die vielen Nichtsthuer, die
als Sekretäre und dergleichen in den Mi
nisterien siben möglichst bald zum Mili,
tardienst herangezogen werden sollten.
Alle Zeitungen besprachen diesen Fall, der
Temps" in einem ersten Artikel in vollem
Einverständnis mit den Maßnahmen des
Kriegsministerj, in einem zweiten mit
nicht unbedeutenden Reserven. Ich fühlte,
daß die Frage des alten Herrn auf diese
Geschichte zielte. Der Junge zog sich bald
zurück. Ich setzte mich in mein Abtheil,
wo zwei Herrn bei meinem Eintreten mit,
ten in einem lebhaften Gespräch der
stummten.
Im Giornale d'Jtalia" wird über
einen Besuch bei Auguste Nodin in Gljel
lenham, wohin er sich geflüchtet hat, bc
richtet. Nodin sagte, der Feind war nahe
bei Paris und ist noch jetzt nichtwcit da
von. In meinem Alter scheut man die
Greuel einer Belagerung. Ich habe die
187p gesehen und verlange nicht nach einer
Wiederholung. , Eine Bombe ist unweit
meines Ateliers niedergefallen. Wie kann
man da arbeiten? Nodin hofft aus Nu
scn, Jndier, Canadier und Australier. Er
schloß: Nachher werden die Deutschen sich
wohl oder übel in ihren Festungen ein
schließen müssen. .
Die neue Frmee Irankreicljs.
von C, Moraht, Major a v.
Im Herbst dc! Jahre, 1870 wurde bei
unseren ffkinden zunähst in aller Stille
dann ohne Heimlichst eifrig gerüstet,
lie alte Formet dc Kaiserreich war
bis aus unsclbsistäiidige Reste vom Boden
Frankreich' verschwunden. Glühende Aa
terlandslicbe und politischer Ehrgeiz reich ,
ten sich die ii-d, und iran schuf au dem
Richt neue Heere, die an ihren Sammcl
Plätzen auf den Äufmarfchbcfehl warteten.
An Stelle de Prätocianerhciret sollte die
Bolkjjerhcbung tretm. und ihre Organt
satoren waren davon durchdrungen, einen
bisher nur siegreichen und zähen Feind
entmuthigen unv zur Preisgabe df sran
zosischcn Aodent zwingen zu können. Tat
Auftauchen der neuen Armee Frankreich's
var aber nicht nur ein Ergebnis des Pa
trioiismut und Ehrgeize. Das Gspenst
der Soreie trieb die Männer dcr Regie
ruiig nicht minder zum Handeln.- Sorge
vor jener tiefen Unzufriedenheit der drei
ten Masse der Bürger mit den Ergebnissen
des bisherigen Krieges. Sorge vor jener
wenig einsichtigen Ungeduld einer lempe
ramentvollen Nation, die gewohnt war.
sich im Ruhme ihrer Fahnen zu sonnen
und in Trübsal nicht ersticken wollte. Wä
ren die Organisatoren des geschlagenen
Frankreichs an jenen bedcnklickcn Symp
tomcn der Bollsstimmung vorübergegan-
gen, sie wären selbst durch das Mißze
scknck des belagerten Paris hinweggefegt.
Die vor drei Wochen angesagte große
Offensive im Westen erfolgte aus Lhnli-
chen Beweggründen, und man ist bercch
tigt, an eine Parallele zu denken zwischen
den Erwägungen der kitenden Männer in
Frankreich vor 44 Jahren und den Eni
fchlüssen der heutigen. Aus der Kriegs
laae allein ist der Drang zum Siege auch
jetzt Nicht hervorgcwachsen. Die dazu nö
thigen Bedingungen fehlten: vie nocy
überschüssige, vorwärtsdrängende Heeres
kraft Frankreichs und die zerbröckelnde
Schwäche Deutschland's. Frankreich ist
hcute noch nicht niedergekämpft wie 187.
Es hat den Feind im Lande, abcr feine
Hauptstadt ist frei. Seine Armeen sind
zwar stark geschwächt, und 37.0 Offiziere
und rund 220.00 Mann sind gefangen.
ein Heer, das etwa der Stärke der letzten
Armee von Paris 241.680 Mann
entspricht, die am 29. Januar 18,1 die
Waffm streckte. Millionen von Streitern
stehen der Obersten Heeresleitung nocy zur
Verfügung. Sie sind jedoch gefesselt auf
weiter Kampffront durch einen thätigen
Gegner, der weit davon entfern ist. müde
zu fein, dcr vielmehr stark genug blieb, im
Osten die Entscheidung zu suchen, wäh
rcnd er im Westen mit fester Faust seinen
Besitzstand vertheidigt. Die Gründe des
französischen Angrisssbedürfnisses sind
also auf andere als militärische Gründe
zurückzuführen.
Wir erkennen zur Zeit noch nicht klar
genug den Stand der französischen Kriegs
freudigkeit. Den in Paris fabrizirten
Stimmungsbcrichien ist ebensowenig zu
trauen, wie dcr Lohnfchrciberi ausländi
scher, namentlich italienischer Kriegskor
resxondenten. Wir thun daher, klug, wenn
wir Frankreich für entschlossen halten, die
Entscheidung herbeizuführen, wooei wir
den englischen Antrieb als höchst nach
drücklich einschätzen. Patriotismus, poli
tifcher Ehrgeiz und persönliche Machtsra
gen bilden also wiederum, wie vor 44
Jahren, die. inneren Gründe für den Be
ginn des zweiten Abschnittes des Kamp
fcs. Um entscheidend Krieg führen zu kön
ncn, bedarf die Kriegslcitung dcr Vcr
bundeten ein neues Heck, das unabhängig
von den fortdauernden Vcrtheidigungsgc
fechten bei Schühcngrabenkriegcs dort
eingesetzt werden kann, wo dcr Erfolg
winkt.
Unsere Hcerführung gab sich im De
zembcr 1870 über den Erfolg der Naiio
nalbewaffnung einer Täuschung hin.
Freiherr v. d. Goltz nennt sie socar eine
völlige". Thaisache ist,' daß die deut
schen Geaenmaßregeln gegen la belle
arm6e rle la Loire" zunächst unzuläng
lich waren. Dann griff Molike zu, und
die Idee, mit der neuen Loire-Armce Pa
ris zu entsetzen, stürzte mit der Niederlage
bei Loigny und Poupry am 2. Dezember
in sich selbst zusammen. Dann folgte
Ende Dezember mit den Resten der neuen
Armee Frankreich's die klägliche, Ausfüh
rung eines napolconifchen Planes", aber
ohne napoleonische Truppen und Führer
encrgie. Bourbaki sollte mit der neuen
Armee .die Entscheidung dcö Kriegcs ur
plötzlich auf einen ganz anderen Schau
platz versetzen", vom Loire-Gcbiet nach
dcm Raume von Bclfort.
Ist es lediglich ein Spiel des Zufalls,
daß in unseren Tagen wieder das Loire
Gebiet und der Raum um Vogcfcn und
Belfort eine Rolle zu spielen beginnt?
Seit Monaten häufen sich die Nachrichten
über eine langsam geförderte Ansamm
lung einer neuen französischen Armee in
dem Stromgebiet zwischen Doubs und
Loire, dessen Mitte etwa das Plaicau von
Morvan ist. Und ebenfalls seit einiger
Zeit macht sich eine erhöhte Thätigkeit dcr
verstärkten Truppen im Bogefengebict be
merkbar. Freiherr v. d. Goltz sagt von
den damaligen Versuchen, die Situation
zu retten: Was die aufgebotene und or
ganisirte Nationallraft bisher nicht der
möcht hatte, sollte jetzt durch ein Kunst
stück vollbracht werden." Bleibt es nicht
auch jetzt ein Kunststück, ohne Verletzung
der schweizerischen Neutralität den Ein
marsch in Deutschland vom Obcrelsaß
aus erzwingen zu wollen? Wir können
im Augenblick, wo die ersten Anzeichen ei
ner solchen überraschenden Erfindung"
sich offenbaren, nicht aus das Für und
Wider eingehen, dürfen aber, um Besorg
nis nicht aufkommen zu lassen, darauf
hinweisen, daß eine deutsche Vertheidi
gung im eigenen Lande diejenige in Fein
desland an lebendiger Kraft überragt,
daß unsere permanente Lundesbefcstigung
eine wuchtige ist und die Hülfsmittel zur
strategischen Gruppirung unserer Kräfte
planmäßig durchdacht und zuverlässig
ausgeführte sind. Als die Molike'fchen
Pläne 187071 durch die neue franzö
fische Armee im Osten Frankreich's durch
kreuzt wurden und dat tigenlhümliche Ge,
präge det Kriege sich veränderte, spielte
dcr Telegraph noch eine höchst unterge
ordnete Rolle. Molike ersetzte sein Fehlen
durch die Tiefe seine divlnatortschen
Blicket, durch seine wundervollen Tirek
tiven, welche den Handlungen dek Füh
rer die Selbslsiändigkeit tvahrlen und
doch die Einheitlichkeit der Gesammtlond
lung sicherstellten. Ter Chef det Gene
ralsiabc unseres Millionenhceret im
Westen kann seine Befehle in Minuten
kurzer Zcit dem Empfänger zustellen.
Sind auch die Verhältnisse der Kriegfüh ,
rung um dat Vielsache gewachsen, so sind
auch ihre Hülssmittel unendlich vielklti
gere. Mit ihrer Anwendung werden wir
den Ereignissen gewachsen sein, wen die
Kriegshandlung im Osten Frankreichs
durch eine neue feindliche Armee derwtckcl
tcr weiden sollte.
Wie würde ein neue! Heer unserer Lieg
ner im Westen beschaffen sein? Frank
reich hatte im Oktober 1914 feine ganze
Kraft untcr Massen, die et aus Grund
bestehender Gesetz mobil machen konnte.
Es stellte den Jahrgang 1914. die Zwan
zigjährigen, nach kurzer Ausbildung in
die Front. Uebrig sind noch die Klasse
1913, vor Kurzem einberufen, die aut
den Hlllfsdienstmannfchaften Herasge
suchten, die zahlreichen Drückeberger,
welche völlig gesund in den Autoharkt
und Bureaut ein gefahrlofct PLflchen
fanden, endlich der Rest der noch nicht ein
berufenen Reservisten dcr Territorrnlar
mce. Ausländische Nachrichten schätzen
diese zweite Armee auf rund 750,000
Mann ein.' Dazu könnte die JahreSklasst
1916 die Achtzehnjährigen bei der
nllnftiger Auswahl noch 150.00 Rekru
ten stellen. Jedenfalls ist das Aushe
bungsgefchäft dieser letzten Kategorie schon
im Gange.
Eine offene Frage bleibt.'vb England
sich bereit finden läßt, an der Bildung die
ser neuen Armee mitzuwirken. Sein In
teressengcbict liegt in Flandern, w et
vollauf zu thun hat, die Verluste auszu
gleichen. Der Nachschub aut Indien und
die Verwendungsmöglichkeit dieser Hülfs
Völker ist eingeschränkt durch die egyp
tische Bedrohung und die Jahreszeit. Art
die sechs angekündigten neuen Armeen
England's braucht man erst zu glauben,
wenn man sie ausgerüstet und bewaffnet ,
auf dem Kontinent sieht. Will man den
noch zwischen Loire und Doubs England
an der Ansammlung einer neuen Armee,
dem Offensivheer, theilnehmen lassen, so
stellt sich bis zum Februar die möglicher
weise verfügbare Kraft auf 1 Millionen.
Woraus sich solches Angriffsheer zusam
menfetzen würde, wissen wir, wie wenig
nachhaltig feine Stoßkraft sein würde,
können wir berechnen.
Wenn je die Zahl für den Erfolg nicht
den richtigen Ausblick gab, so. dürfte dat
bei einer neuen feindlichen Armee im
Westen zutreffen. Ich will nicht unter
schätzen, aber ich erinnere an die jetzige
Ermattung deS französischen Elitehcerc,
die wohl nicht mehr bezweifelt werden
kann. Wir wollen auch nicht vergessen,
wie im Januar 1871 General v. Wer
der mit 43.00 und 114 Feldgeschütze
sich in dreitägiger Schlakt an der Lisain
das neue Heer Bourbaki's, 120.00
Mann mit 36 Geschützen, vom Hals,
hielt, und daß der Rest der neuen Hoff
nung Frankreich's. 80.000 Mann, übet
die Schweizer Grenze gedrängt wurde. '
Und die Engländer? Ich begnüge mich,
die Worte des Generals v. Blume anzu
führen, die er beim Jahreswechsel über
das englische Ersatzheer schrieb:'
Was haben wohlorganisirte und Wohl,
geschulte (deutsche) Heere selbst Nach Iah,
rcsfrist vom Heerhausen zu hoffen oder zu
furchten, die aus Millionen armer, aug
Noth den Werbern in's Garn gehender
Teufel ohne sachkundige Lehrer und Füh
r:r zusammengewürfelt werden?"
Die englischen Schiffe im Ge
fecht Sei den AaMkandinsekn.
Nach Aussage der Mannschaft des in
Buirta Arenas eingelaufenen englischen
Kreuzers Bristol" sollen am 8. Dezem
ber am-Seegefecht bei den Falkland-Jn
scln folgend englische Schiffe. theilgenom
men haben: Linienschiff .Canopus"
(13,160 Tonnen), Panzerkreuzer .In
vincible" (17,530 Tonnen), Panzerkreu
zer Inflexible" (17,530 Tonnen), Pan
zerkreuzer Carnarvon" (11,020 Tonnen),
Panzerkreuzer .Cornwall" (99M Ton
ncn), Panzerkreuzer Kent (9960 Ton
nen). geschützter Kreuzer .Glasgow'
(4880 Tonnen), geschützter Kreuze,; Brl
stol" (4880 Tonnen).
Die beiden letzteren Schisse hatten eine
Maximalgefchwindigkeit von 26.8 Knv
ten, während die übrigen ungefähr 23
Knoten laufen konnten. Die an anderer
Stelle früher genannten englisch; Schiffe
(Achilles", Shannon" usw.), die den
Kreuzer Nürnberg" verfolgten ttnd nie
derkcimpften, erwähnt das Gerücht HI
nicht. Möglich, daß Namcnverwechslung
vorliegt.
Ein Vergleich der genannten Schiffe
mit den Gcfechtswerthen der beiden Pan
zerkreuzer Scharnhorst" und .Giieiseiiau'
(je 11,600 Tonnen), sowie den den deut
schen kleinen Kreuzern Leipzig", .Nürn
berg" und Dresden" giebt zur Genüge
die Überlegenheit der englischen Waffen.
Nach einer Kopenhagener Meldung
der .Wiener Korrespondenz-Nimdsch"
erregt es in Rußland besondere Mißsttm
mung, daß die Veröffentlichung' der Vcr
lustlisten im russischen Fmts und Mili
tkrblatt, die bekanntlich nur die Verlust
an Offizieren mittheilten, vorläufig einge
stellt wurde.
Der polnische Dichter Henryk Sien
kiewicz, dessen Werke bisher von der rnsst
schen Zensur verboten waren, ist einstim
mig zum Ehrenmitglied der russischen
Akademie der Wissenschaften gewählt wor
den. .
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