Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, July 02, 1914, Image 3
WstTirfje Cmoüd Trllume Tunnfrllffsi, brn 2'. Juli 101 T- .AJaw AZiv zuliebe. Slomon von 4 a"y,-iff' 7,,U,MI Mi,K,,., (12. ftortfehima. Auch Westendors ging. fahl, mit inem verbissenen Ausdruck in den Zügen und finsterem Blick. Und auch er vergab über dem. roa feine attitt, statt e mit milder Hand ,u ftTn, Hutij anjrftat hatte, fein Kind. Q,o blieb Senta allein in dem kiel xien Gemach, da nur durch die tlel irisch beleuchteten Augen eine jungen HezleinS. da, auf einem Besenstiel reitend, von der Ticke herabhing, watt erhellt wurde. Zunächst war nicht in ihr all dumpfe Staunen. Waren da ihre SÜern gewesen, wirklich ihre fönst fiel heiteren, vornehmen, anscheinend in glücklichster Ehe lebenden Eltern? Ihre Mutter, die ftolz von den Leistungen des geliebten, bewunderten Gatten sprach, von den Pflichten der Frau, die be Manne Sorgenbrecher ja fein habe, feine treue Gefährtin, seine selbstlose Genossin Erst gestern Dritte st zu einer Be kannten mit reizendem Lächeln ge. fogt: .Ach. wir! Wir Frauen sind .doch so gern und selbstverständlich Nebensache, wenn wir nur unsere Männer glücklich sehen, nicht wahr?" Und der Bater? Wie oft hatte er im Brustton der Ueberzeugung wie eine Offenbarung vor andern der kündet: .Ersolg. IKichm bah. meine Herrschasten, dafür geb ich nicht einen roten Heller! Aber Familien glück, da ist es. worauf ich ftolz bin! Und daß ich die fo voll, so rein gefunden ;wbe, das bildet irrn nen Reichtum Man war immer sehr gerührt. Kenn er so sprach. Senta war in solchen Momenten unsäglich stolz auf ihre Eltern. Gerade daraus erwuchs ihr blinder Glaube an deren Unfehl barkeit in bezug auf LebenZanfehau vn gen. Und jetzt? Da Staunen wandelte sich in Be klommenheit. Sie begriff nicht ganz, wa eigentlich geschehen war. Nur daß irgendwie Papaö Bedeutung in den Augen der Welt erschüttert schien, und daß davor alleS andere in Wanken geriet, wie ein hohle, tö nerne Gebäude auf schwankem Grund. Wie durch einen Windhauch hin weggeweht schien olleZ. was gleich einem blühenden Gehege sich bisher trügerisch um sie ausgebreitet: gegen feitigeS Verständnis. Anteilnahme, selbst die äußere Gemeinschaft, selbst die Liebe zu dem einzigen Jlinde. Die Mutter ging, kalt, fordernd, vorwurfsvoll. Der Vater blieb, knirschend vor Zorn, gedemütigt, feindselig. Und beide vergaßen die Rücksicht auf Senta angesichts der läppischen Gefahr, daß Westendorss Name in der Oeffentlichkeit etwas von feinem Strahlenglanz verlieren könnte. Stand denn darauf ihr Glück? Moß darauf? Fröstelnd schlich Senta endlich über den Korridor hinüber in ikr Wäd chenzimmer. Aber daS mollige, hell blau und weib tapezierte Nestchen, um daS sie alle Freundinnen benei beten, und auf da? sie selbst so stolz war, erschien ihr heute unsäglich kalt und einsam. Sie kleidete sich mechanisch auS, kroch ins Bett und zog die warme Daunendecke bis ans Kinn. Aber die Kälte wollte nicht weichen und der Schlaf nicht kommen. Sie fühlte sich grenzenlos verlas sen. Wie in einer Wüste fühlte sie sich. fern. ach. so fern von allem, was ihr Leben 'bisher Ich gemacht. Ihr war, als dürste sie. Nicht nach Waffcr. Nach etwas anderem Wärme, Sonne, nach Liebe. Und plötzlich kam es ihr vor. als strahlten mitten aus der Finsternis ringsum zwei dunkle Stern mit warmem Licht auf sie nieder. So traurig, fo fragend, so vor wurssvoll. .Warum hast du mich von dir ge stoßen?" Warum ja. warum? Sie be griff es selbst nicht in dieser Stunde. Waren sie denn nicht besser gewesen, als alles, was sie sonst befaß oder je besitzen konnte? Da weinte sie dann. Heiß und leidenschaftlich, wie so oft in stillen Nächten dieser letzten Monate. Punkt sieben Uhr, wie gewöhnlich, kam daS Stubenmädchen und zog die NouleauS auf. Sie brachte auch gleich den Tee mit, denn die Frau Hofrä tin habe Migräne und bleibe zu Bett, während der Herr Heirat bereit ge frühstückt und da Hau verlassen habe. Senta kleidete sich an. trank, wäh rend da Stubenmädchen sie frisierte, etwa! Tee und ah in paar Bissen. Dann wollte sie sehen, wie e Mama ginge. Aber die Hofrätin winkte ihr schon von weitem ab. Nur nicht reden heute, nicht stören, sie brauche absolute Nuhe. ES war acht Uhr vorüber. Senta, die nicht wußte, was sie beginnen sollte, um da trostlost Gefühl völli H Erich Ebenste!. tBgw"üW' ger Verlassenheit, da sie immer schmerzhafter umfing, zu .betäuben, beschloß, zugehen. Eine Ahnung von Frühling lag In der Lust. Häuser. Dächer. Scharn steine, olle sah so blank au in der klaren, sonnendurchleuchikten Luft, unter einem Himmel, der sich blau, wolkenlo und wie gekehrt über der Stadt wölbte. Im Stadipark wurden Nasenziegel nen gelegt, auf der Ringstraße, frische Erde um die Bäum gegeben, und am Nnschmarkt standen ganze Ladungen blühender Schneeglöckchen, Veilchen, Narzissen und Palmkätzchen zum Ler kauf. Ein Duft von all dem zog würzig durch die Straßen. Senta wanderte planlo weiter, sah alle und sah doch nichts, denn auf ihrer Seele lag ein dumpfer Druck, der nicht weichen wollte. Plötzlich blieb sie mitten am Geh sieig wie angewurzelt stehen. Rechts von ihr ragte die goldene Blätter kuppel des SezessionsgebäudcS auf, links breiteten sich die buntgefüllten Verkaufsstände deS NaschmarkteS au. ES wimmelte ringsum von Menschen und Fuhrwerken, zwischen denen mit schrillem Geklingel rote Straßenbahnwagen einander kreuz ten. Und dort an der Haltestelle, hart vor der breiten, weißen Mar mortreppe der Sezession, stand einer. Senta sah nur seinen Rücken, aber sie hätte ihn ja unter Tausenden auf den ersten Blick erkannt, auch wenn neben ihm nicht die alte Frau gestan den bätte mit den weißer Scheiteln und der gefüllten Markttasche am Arm. Sie sprachen eifria. die beiden, bis ein Straßenbahnwagen kam, und er oer anen tfniu turjorglich hineinhalf. Er selbst blieb bann noch stehen und nickte der kortfabrenden tackelnd nach. Senta konnte nun sein Profil sehen. Sie erschrak. Wie mager er ar.ssah! Und wie Kart seine 3äae plötzlich wurden, als mit dem um die Ecke biegenden Wagen auch seine Mutter entschwand! Jetzt wandte er sich um. Senta stand immer noch regungslos mitten am Weg, wenige Schritte von ihm entfernt, die Augen völlig selbstvcr genen aus um geyestet. So erblickte er sie. und ei ana durch seine hohe, schlanke r'-talt wie ein Ruck. r Auch er blieb sieben, ratlos, schreckt, glücklich und fassungslos zu gleich. Da kam sie auf ihn zu, unwioer siehlich von einer Macht getrieben, die stärker war als alles andere. Ihre ände streckten sicb ibm zitternd eni gegen, und ihre Lippen murmelten bebend: .Vergib. Ernst, vergib vergib mir. " Sie wußte nichts anderes zu sagen. Aber sie war ihm nie zuvor so lieb lick erscbienen. so unbescbreiblick sckon und sük. 3 tiefer Rübruna aoa er ihre Hände an die Lippen und küßte e, unveiummerk um die Zlloruver gehenden, die lächelnd und neugierig auf die beiden blickten. Tiann zog er lhren Arm in den seinen und scbritt langsam mit ibr den Getreidemarkt hinauf. Senta liefe alles aescbeben und folgte wie im Traum. Beiden war L . ?i r v r cm , . oas herz jg oou, ag ne uine orie fanden. Beide fühlten nur daS eine: Nun find wir wieder beisammen. endlich endlich! Erst in den Anlagen um daS An zengruber Dermal kamen sie wie der zu sich. ES war um diese Stunde b:e fast ganz menschenleer, und iixi hatte wohl instinktiv ihre Schritte hergelenkt. Sie setzten sich auf eine der Bänke, die das Denkmal im Halbkreis um standen, und SentaS ustes Wort war wieder: .Vergib!" Er streichelte zärtlich ihre Hand. .Ich habe dir nichts zu vergeben, Senta. 'Was uns trennte, war ja keine Schuld, sondern nur die Un Möglichkeit, zwei völlig verschiedene LebenSanschauungen zu vereinen. Du hast mir eine Alternative iellt.' Ihr brennender Blick tete sich beschwörend auf ihn. .Sprich nicht davon, Ernst. Ich hatte . unrecht Ich weiß nicht mehr, was ich wollte, damals, was ich dachte.' Ich weiß nur, daß ich dich liebe baß ich dich liebe!" Er war sehr bewegt. Aber er hatte zu viel gelitten in diesen Mo naten, zu viel gedacht, zu viel begrif fen. um durch ihre Worte den Kopf zu verlieren .Liebe auein, Senta, ist zu wenig, um darauf da Glück eine ganzen Menschenlebens aufzubauen. Auch ich liebe dich aber ich habe, nicht mehr den Mut. Opser von dir zu verlangen, die du deiner Veranlagung nach nicht bringen kannst. Du kannst den Weg in meine Welt so wenig gehen wie ich den in die deine." ,O Ernst, sage das nicht! Sage doch das nichts Wrnim denn? Liebe ist nicht zu wenig Lilbe ist alle, alle im Leben!" .Wahre Liebe, sa! Aber nicht diese Liebe, die ihre Flammen schüren muß an Süßeren Dingen, um leuchtend zu bleiben. Die Frucht wahrer Liebe muß Glück sein. Und Glück, siehst tu. da ist eine fchamhaft, Blume, di. ganz still im verborgenen blüht und sich nur an sich selber erfreut. Tort, wo du lebst, gedeiht sie nicht." Senta sah ihn strahlend an und nickte. .Ich weiß ei. Ernst. Frage mich nicht, woher, aber glaube mir, ich weiß e jetzt. Und ich will ja nicht mehr, ol werden wie du, leben, wo d- lebst. Glaube mir dock," Er muß an sich halten, um sie nicht an sich zu reißen, und ihren süß.a Mund, der so liebe Worte sprach und so weich und gläubig zu ihm auf lächelte, mit Küssen zu verschließen. Aber er bezwäng sich. Er begriff ja: in dieser Stunde war sie zu jedem Opfer bereit. Ihr Seele war reich, ihr Mut grenzenlos, ihr Drang, ihn nicht mehr zu verlie ren, machte sie kaub und blind für alles andere. Aber später würde dann nicht die Reue kommen und mit ihr da alte Spiel? Er wollte keine blinde Unterwerfung Sie mußte ihn be greifen. Nur wenn sie daö über Haupt konnte, durfte er sie an sich fes sein. .Senta," sagte er plötzlick ent schlössen, .ich möchte dir a so gern glauben, aber man ander sich nicht von gestern auf heute in seiner gan zen Denkungsweise, auch wenn v.an liebt, auch wenn man selbst da von so felsenfest überzeugt ist wie du jetzt. Du sagst, du möchtest leben, wo ich lebe. Hast du auch darüber nachgedacht, wag daS heißt?" SentaS Augen füllen sich mit Trä nen. .Du glaubst mir nicht! O Ernst, warum hast du denn gerade zu mir kein Bertrauen? Weil ich dich da malS vor die vumm Alternative stellte und dann gehen ließ? Hab' ich dich nicht seitdem in vielen schlaf losen Nächten um Vergebung gebeten? Auch heute? Muh lch dir wirklich erst sagen, daß ich damals bloß sinn loS vor Eifersucht war?" Seine dunklen Augen versenkten sich ernst und tief in die ihren. .Hattest du denn dazu jemals Grund? Und ist nicht Vertrauen die allererste Grundlage jeder wirklichen Liebe?" Sie errötete und schlug den Blick nieder. .Vergib," murmelte sie abermals, .vergib mir nur. Ich bin es ja nicht mehr. Es war töricht." Er fuhr fort: .Nun. siehst du, mein Herz, wenn ich dich aber heutc vor eine Alternative stellen muß und wenn sie dir hart erscheint, wirst du nicht abermals denMut verlieren und dich von mir wenden?" .Nie. Ernst! Niemals mehr! Ach. d'. weißt ja nicht, was ich gelitten habe!" Er stand plötzlich auf und machte ein paar Schritte hin und her. Dann blieb er stehen und blickte erschüttert aus sie nieder. Sein Atem ging schwer, die ganze Fülle seiner Liebe lag in dem Blick, mit dem er sie um fing. .Und ich? Glaubst du. ich hätte nicht gelitten? So tief und furcht bar, daß selbst die Liebe zu meinem Beruf dabei verblaßte!" Er schüt teile den Kopf und fuhr sich über die Stirn. .Nein, Senta, ich glaube, ich könnte es kein zweites Mal ertra gen! Du sollteS dich eher dreimal besinnen, ehe du mir noch einmal Hoffnung machst." .Nicht eine Minute brauche ich mich zu besinnen!" ' .Doch! Erst follst du wissen, wag ich als Gewähr meines dauernden Glückes für unumstößlich nötig halte. Dann magst du dich prüfen und entscheiden." .Gut, du unverbesserlicher Zweif ler! So stelle doch endlich deine Alternative, damit du dich überzeugst, daß ich nicht statt aller Antwort davonlaufe, wie du damals!" .Daö erste, was ich dir zu sagen habe, ist: Ich habe mich um den E osten eines GemeindearzteZ in St. swald im Gebirge beworben, den einst mein Vater bekleidete, und der durch den Tod seines Nachfolgers wieder frei wurde." .Ich weiß es. Doktor Sandruch teilte eö mir bereits mit." .Weißt Du auch, daß St. Oswald ein sehr bescheidener Marktslecken ist, i.i schöner Gegend zwar, von Bergen und Wäldern umgeben, ober eine Stunde von der nächsten Bahnstation entfernt?" Nein; aber was tut das?" , n- (Fortsetzung folgt.) 4 Von den Forstbeamten in den westlichen Gebirgen werden im Verein mit dem Wetterbureau Messungen der Tiefe deS Schnees vorgenommen, Da Holz des roten &jr baums der pazifischen Küste $ beson dcrs gut zur Herstellung von Zeug, klammern geeignet und es wird da her in nächster Zeit in Portland, Oregon, eine solche Fabrik errichtet werden. Verheimlichung eines kör perlichen Fehler gilt in China als Schcidungsgrund. , '.-... Paule. CkiM n,'ch dem Lchen von A. Blvich vvgcl. Da schon wieder jene grellen Tön, di so oft. so ungezählte Male in die stillen Weihes! unden meiner Arbeit gellten. . . .Paul, lo!" tönt eine dünne, ireischcnde Knabenstimme. Da ging noch; daS war noch rträglich. Aber nun: .Rrrrrrau vornan alle Mann! Hurra! Hurra! Hurrak . . . Da war .fein" Stimmenge töse. . . Sie spielen wieder auf dem Fahr damm dicht vor meinen Fenstern, eine ganze Horde von einem Dutzend ehr mehr zehn bis zwölfjähriger, echter Berliner Jungen. Ei war zu schön gewesen daS Walter, einer wunderbaren Ruhe während der Nachmittagsschule. Di Straße am Kirchplatz lag friedlich träumend un term wehenden Regenschleier; selten nur drang ein störendes, ablenkende ,Aeräufch herauf zu mir; ich hatte die Balkontür weit geöffnet, um der er quickenden Luft Einlaß zu geiväh ren. Und ich hatte arbeiten können, endlich ungestört durch den tägli chen, marternden Lärm des Spiele da unten arbeiten, nach Herzens lufl. Die Gedanken sammelten sich die Ideen wuchsen ein Reich tum ohneichen zogen sie beglückend ein in meine Seele. . . DaS war ja ein Fest. . . BiZ fünf klare, ernste Klänge sich vom nahen Kirchturm herabschman gen und hincinriesen in die Turnhalle cer alten Gemeindeschule da drü ben. Und nun ein ganzes, wüstes Kon zeit froher Jungenstimmen da unten; trabende, laufende, galoppierende Schritte. Jungdeutschland wallte heim au der Schule, um sich zu neuen Angriffe auf meine Nerven, ausgerechnet genau vor den Fenstern meines Arbeitszimmers zu stärken. Aufseufzend lehnte ich mich zurück in meinen Stuhl; mein Blick glitt über die Straße Ich fuhr empor, und. näher zum Fenster tretend, erblickte ich .ihn" richtig wieder, gleich einem Anführer rebellischer Massen daher sausend, zuweilen den Kopf rückwen dend, kreischend daö Urbild eineZ aufreizenden, gefährlichen Elements. Mein Erzfeind, mein Quälgeist ist dieser junge Mensch, der Extrakt ei nes RowdyS, der Zermalmer meiner besten Gedanken, der Zertrümmerer eines Lebenswcrks mit einem Wort: .Paule". Ein hagerer Elfjähriger mit star rem Rothaar auf dem eigensinnig ge formten Kopf, auS dessen altklugem, blassem Aufrührergestcht zwei flam mende, aufgeregte ' Augen groß und dummschlau alles rings im Berei che seines Blickes gleichsam beherrsch ten. Ich haßte die ausgewachsene, unbestimmt graue Jacke, auS deren viel zu kurzen Aermeln .magere Hand gelenke und unsaubere Hände lebhaft hervorarbeitcten. Hosen trug der Bengel, die entschieden nicht vom Schicksal für seine hohen, dünnen Beine bestimmt waren; sooft er auch mit einer gewissen, indifferenten Ge düld und Ausdauer an den reich ge stopften Strumpfrändern zerrt, schau ten doch zwei magere, braune Knie neugierig wieder an daS Licht der Welt. . . Das Unangenehmste an dem Bengel war die Stimme; von Natur kräftig krähend, war sie sich nie recht einig, ob sie sich eben im hohen Diskant oder in tremolieren den, tiefen Tönen unbekannter Eigen schaft hören lassen sollte; so wechsel te sie beständig ihre Lage, was be konders bei seinem höhnischen Ge lächter, bei feinem Schreien, Kom mandieren, Rufen ein ganz unbe schreibliches Getöse verursachte. AlleS in allem der unangenehmste, zuwi derste Junge, der mir in meinem Leben, der mir in meinem Berufe als Lehrer vorgekommen ist, dieser .Paule". Ich traf ihn oft bis Morgens, wenn ich zum Gymnasium ging und er in seine Gemeindeschule schlurrte, rannte, stolperte, raste, tanzte. Ein mal hatte er ein kleines, unsauber ver putztes Mädchen an der Hand, daS aus zwei ebenso flackernden Blauau gen wie er seelenvergnügt aus einem ebenso blassen Gesicht unter dem glei chen feurigen Haarschopf ebenso ver ständnisinnig altklug in die früh lingSgoldige Welt lachte. Sein Fräulein Schwester eS fang, fang mit derselben Stimme, aber fehr energisch den höchsten So pran behauptend, den eS je gegeben hat. Ich hörte: Die Männa find all Vabrächah!" .Du sollt das Lied nicht sing'. Trudchin, haste vastann?" unterbrach der Herr Bruder, sie unsanft am Arm reißend. Ich trat wohlwollend näher. .Zerre doch die Kleine nicht so rob am Arm, Knabe!, mahnte ich väterlich, aber scharf. Der Bengel riß den schmalen Mund von einem einer abstehenden Ohren zum andern; änderbar sah das aus; eine Schar enkrechter. kleiner Fältchen schlug rechts und links die dünne Gesichts haut, zwei feste Zahnreihen blökten mich beißlustig an. Woll dof?" krähte die ithtmlt, liebliche Stimme; und das Kind an seiner Hand gipste- aus einem seiner in Schlappantscln steckenden Furchen; blitzschnell sichr ine lcirize. schmale, rote unge auf mich los, und ein kleiner Angesiuger tippt in mir uuk.'annter Vewegung an die kleine Schläfe. Undank ist der Welt Löhn! Sobald mir nun der Benge! legen. pete, gritiste er mich verständnisinnig an und zog die karricrte Sportmütze. Diese Begegnungen machlm mich ner vcä; ich begann sie förmlich zu siirch ten und trat, wenn e anging, und ein beliebiger Laden In erreichbarer Nähe war, so lange an daS Schau ftnsier, di mein Deiniger außer Ceh loeite war. . . . Heute ist eS aber da unten wirklich fast unerträglich. Ich will doch lie ber die Ba'.tontür schließen. Ich komme nicht mehr dazu. Ein Knall in Klirren ein sausen der, grauer Gegenstand und auf dem Boden de Balkon nieine in Knospen stehend weiße Rose. . .las hatte ja noch gefehlt; ich fühlte es, kein anderer hatt, diesen Roheitsatt ausgeführt. Ich stand ganz still und blickte auf meinen Liebling. Im Stamm gebrochen. Und r stand in Knospen. . . Ein Klingeln an der Entreetür. Und gleich darauf Lina mit Paule! .Visitenkarte". Ein Junge, Herr Professor, ein Rotkopf, er möchte seinen Ball wie derhaben' der ist ihm auf den Ballon geflogen Ich wende mich longsam um. Ich bin. glaubt ich, etivas blaß geworden; der Verlust der Nose schmerzt mich; ich bin ein einsamer Mann, mein Her; hängt an meinen Blumen. Und sie stand in Knospen. . . Ich fühle einen (Ärimm gegen den Täter, fast ine Art Haß. .Nein er bekommt den Ball nicht. Er soll sich scheren, oder er er lebt etwas!" Lina ab. Ich hebe sorgsam meinen armen Liebling auf; die Schar der halbge schlossenen Knospen nickt an schwan kem Stengel über meine Hände. Wie eine liebe Tote bette ich meine gebro chene Rose und decke über sie hin ein weißes Tuch. Ist es doch auch eine wunderbare, wahre Tatsache, daß hier ein Leben, Wachsen. Streben lernichtet ist. ist's auch nur ein Blu inenleben, ein stilles Sonnenöasein . . . niemand zu Leid!. . . Wer kann das von seiner Persönlichkeit sa gen?. Ich trete leise zurück. Drunten ein Wutgeheul. Aber seltsamerweise ohne die anführende Stimme. Noch einmal gehe ich hinaus; ich blicke hinunter. Paule ist nicht zu sehen. Und doch! Dort rennt er ja wie be sessen die Straße entlang. Er wird den Vater holen: Paule in verbesser ter, verstärkter Auflage. Ich atme ruhig. Mag er kommen. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und stütze die Stirn in die Hand. Und dann fliegt die Feder. Ich kann nicht angeben, b eS eine halbe, oder eine Biertelstunde war, die vergangen, als wieder ein Rei ßen an der Entreeglocke mich in der Arbeit störte. Oder nein eigen! lich kein Reißen ein kleines Klin ben, ein einzelner Ton. Dann Linas bescheidenes Klopfen und ihr blonder Wollenkopf in der Türöff nung. Hai- Professor, ein Brief; der Roitopf hat ihn gebracht. Daß er die Rose zerbrochen hat, habe ich dem Jungen gesagt, und da hat er gesagt, er sagt, er hat". . . . Schon gut, Lina." Ich winke mit der Hand. Ihr Satzbau fällt mir jedesmal peinlich auf die Nerven. Was weiß so ein rundgebrannter Kops vom Infinitiv? Kopfschüttelnd betrachte ich da Schreiben. Sicher der Herr Papa. Wahrscheinlich ein Drohbrief. Viel le'cht sehr grob. Laßt sehen. Eine Rechenheftseite, sehr sauber a.cknifft; eine Adresse, auffallend gut geschrieben, eine Kinderhandfchrift mit eigentümlich charakteristischem Duktus. Ich öffne. .Lieber Herr Professor! Meinen Ball brauchen Sie mir nicht wiedergeben, aber daß ich die Rose zerbrochen hnbe, tut mir sehr leid, bitte, lassen Sie mich doch mal rein. Der Knabe Paul Gräber." Ich dreht daS eigenartige Schrei den hin und her. Was wollte der Lümmel noch von mir? Wollte allem Anscheine nach .abbitten" und auf so gerissene Weise außer seinem Ball noch vielleicht einen Notgroschen er prellen. Er sollte sich gehörig geirrt haben. Herr Professor, der Schlingel steht noch draußen immer an der Tiir und lauert!" erinnerte Lina sanft. Werfen doch man Herr Professor den Ball 'runter dem Jung'!" Wegen dieses SatzungetümS mit Lina zu streiten, wäre überaus tö richt. Ich ging also darüber hinweg. ES klang übrigens bittend. Daö Schreiben flog in den Papierkorb. Merkwürdig gut und richtig geschrie ben. Nein!" sagte ich sehr bestimmt. .Er soll mich nicht weiter belast! gen.". . . smmmm Lina zögernd abermals ch. "' Ich hatte gar nichts bemerkt oder gehört - er mußte die Tür sehr be hutsam geöffnet haben. Vielleicht war ich auch sehr in die Mtl ctitun, sehr bkschusligt. ten ahzmssenk!, Fa den neu zu knpscn. Kurz ein kleines Mscheln. in meiner Mh lies) mich aushorchen, ausschauen. Der Nezen hÄ!e langst seine stille Arbeit vollendet! di Ädeiidsonnenftrahlen fingen in dem seuerrolcn Cchopf. der sich da draußen aus meinem Aalkon Über den grunze st eichenen Gar ten tisch beugte. Eine häßliche, graukarier! Sportmütze, abgetragen und nah. lag am Boden neben zwei In leudcn, vertrageiikn Turnschuhen steckenden, lkisr hin und wier schrciienden Fü ßen. Eine h.iaere Juiistengestalt stand wie hingezauoeet dort. . . d!e wilden Weiiikiinken slalterten un hörbar im fchirwchen Lchhauch; klei ne, gefiederte Sänger Zwangen mit zartem Abendlied dem Heiuiatneslc zu. . . Und der auflodernde Zern in mel nem Herzen wich einem großen Stau nen. inem neuen Erleniien dessen, das unabhängig von allem rein ttör pirlichen, von zedem Physischen Sein, ganz allein und erhaben und wahr haftig lebt und ist nicht als Ge dankt, nicht als Funktion. Resultat oder Formung eines gesunden, intel tigenien vehirnö. sondern daS Ei gentliche, daS Ich. das Ureigentliche. die Seele. . . Ich sah den Jungen jetzt zum ersten Male, wie man den Menschen sehen sollte. Und ein wun derlicheS Empfinden kam über wich; daS Empfinden und Erleben einer großen Seelen gemeinschast. Aber nichts mehr davon, das Thema wäre unerschöpslich. Dort stand der Junge. daS schmal Gesicht ohne die Brille der verdüsternden Antipathie sah icy nun, wie hungrig er ausschaute hatte nichts mehr von Hohn oder altkluger Herrschsucht. ES schimmerte sonder bar weiß; manchmal lief ein Zucken darüber hin, wie von körperlichem Schmerz, und die Hände, die mit den starken, roten Knöcheln aus den diel zu kurzen Aermeln kamen, wa ren eifrig, ein wenig bebend beschLf. tigt um meinen zerschmetterten Ro senstamm. Die Wurzeln grub er kunstgerecht in einen mit Erde gefüll ten neuen Blumentopf; da gebro chene Stämmchen stand nun aufrecht, eingehüllt in einen weißen Ver band, gleich einem verwundeten Wen scben. . . Was tust du hier?" Meine Stimme klang freundlich, ermutigend; Paule fuhr dennoch ein klein wenig zusammen. Zwei gro he, dunkelblau leuchtende Kinderau gen voll glänzender Tränen, die still eine nach der anderen auf seine Hände niedertropften, klar und rein wie Weihwasser, strahlten mich an. BaumwachS!" kam es mit den be kannten Wechsellauten etwas rauh aus gepreßter Brust. .Ich habe Mut ters Fuchsie auch so verbunden, nun blüht sie über und über, lauter Schneewittchen. Aber die hatte ich mich, ich hab überhaupt noch nie eine Blume zerbrochen, nie nein, das den Lappen hat mir das Mädchen geschenkt; der Topf is neu, von mein Landpartiegeld, zu übermorgen, aber ich mach' mir nichts aus der Par tie, wahrhaftig nich." Er fchüttelie den Kopf heftig und konnte doch nicht hindern, daß er feuerrot wurde bei seiner frommen Lüge. Und nun kam ein weiches Kinderlachen über fein Gesicht mit den nassen Augen. Nu steht jr! Und nu sollen Sie sehen, in eine vier Wochen is er heil, ja, wirklich!" Wie hungrig diese Augen blickten, wie Augen, die oft zugeschaut, wenn ander vollauf bekamen. Wie Hun ger war es nach allem, was gut war, Hunger nach Sattessen, Hunger nach Liebe, Hunger nach der Sätti gung eines reich veranlagten Geistes. Doch dies, diese große Tragik seiner Seele, erfuhr ich erst später - zu spät. . . Und nu" er schlüpfte an mir vorüber und blieb an der Tür sie hen, die Mütze in seinen erdigen Händen flog in zauberhafterGeschwin digkeit um ihre eigene Achse, und die Stimme überschlug sich in in dianischen Kehllauten vor Verlegen heit und einem gewissen schämigen Trotz nu sind Sie man nicht mehr böse, es es tut mir leid." . . . Er nickte und wandte sich zum Gehen. Paul!" Abgewandt blieb er stehen, den Kopf gesenkt, wie in mer Sün der. Paul nimm dir deinen Ball." Ein heftiges, stummes Kopfschüt teln. Nimm ihn nur. Und wenn ich sonst etwas für dich tun kann, so sag es getrost, mein Junge." Mein Gast drehte sich blitzge schwind herum zu mir; über die ma geren Backen flatterte ein lichtes No senrot. Sie sind sehr gut. So gut war noch keiner zu mir. Aber ich nein, ich kann s nicht sagen -eS geht ja nicht - wir haben ja kein Geld, und annehmen für um sonst, das tue ich nicht. Ich lernen möchte ich aber das ist ja alles so . . . nein, lassen Sie man, mir kann keinerhelfen." Noch ehe ichTin Wort der Ermuti gung sprechen, ihm irgendein Wort des Trostes, einer Hoffnung mit auf den Weg geben konnte, war er ohne jeden Gruß oder eine Höflichkeitöbezei- gunz mit aalüer eschwIk.lg?!Ü vkkschüunden. sinnend stend ich noch Um selten Pkotz. all ncich wenig? Ce künden sei Tlimmzete von dej Straße her lauter und gellender denn je heraufton!. Ich trat nus im Wal en hinaul; sie spielten sichtt tvxtUt Hecero oder sonst t:a desgleichen. 1liif dem RoM'j ne yrellbunt, fct dermiitze. eine Papi-efcharxe m der selben Iarbensreudizkei! um die msqeren , Hüsle. raste er den schreirnd ihm Folgenden voraus, die Dlechte schwang einen Holzdegen, die ssüße in den zerschlissene Turnschu hen sloien, st schienen di vrde kaum in berühren. Und beim Anblick die ser der sonnenbeschienen d.ihinskie genden ölestall Folgenden fehlte ich. begriff ich das hinreißende eines Bollibegeisieml. viellkicht auch hie, schon lebend in d, Knosp, noch schlummernd, in einer haldeerloil derten und doch in ihrer Ureigen schaft so tiestn. zartem 5iderske Am nächsten Abend wollte Ich khn herausrufen. Er sollt sich ousfpr. chen. Ich beabsichtig, ihn gründlich jit prüfen no vielleicht seines Leben Hunger zu stillen. Ifi sollte lernen Kursen, an seinem Geiste schassen. (St sollte vielleicht einmal studieren, i sollte. . . Aber wo blieb der Bengel? Auf dem Echulwege. als ich nicht mehr nervös, ondtrn aufmerksam, interessiert nach dem Jungen Ausschau hielt, entdeckte ich ihn nicht. Nun. Lina konnte ihren Schützling jc, abend herausholen. Sonderbar; nachmittags diß Jungen hatten frei raste der fröh liche Lärmschlvarm ohne Anführer an meinen Ienliern vorüber. Ich tauchte die sseder ein; nun ausnutzen di herrliche Nuhe. Sie zogen nach dem Exerzierplatz, wie e schien. Und ich schrieb. Gegen '-ß Uhr kehrten sie zurück. Sonderbar. Paule nicht un ter ihnen. In (Äruppen standen sie. und einige friedliche junge Bürger peitschten pfeifend ihre Triesel. Ich beugte mich über die Balkonbru siung. .Du da. mein Schn, wo ist der Gräber?" Der Junge ließ die Peitsche sinken und sah dumm erstaunt herauf. Dann tagte es bei ihm: .Paul? Och. der is doch nachs Kranken haus!" Pfeifend jagte er feinen Trie sel weiter. Krank? Der lebensprühende Jun ge? Ich nahm gegen 7 Uhr Hut und Stock und ging hinunter. Sie stan den wieder gelangweilt in Gruppen herum. Sie hatten auch sonderbar be troffene Gesichter. .Ja. wer ist denn nu Anführer tönte ein Stimm. .Werkmeister!" Ein stämmiger rot bäckiger Junge, dem man Mutters gute Pflege aus zwanzig Schritt Ent fernung ansah, lächelte selbstgefällig und warf sich in die Brust, .Also los. Aber Federmiitze und Schärpe und Degen bringe ich erst morgen mit." Halt!" Sie standen alle beieinnn der, und ich mitten unter ihnen. Wo ist Paul Gräber? Ist er fehr krank ?" Ich sah mich um; der Kreis schwieg. Es war ein scheues Berstummen. Ich schöpfte Verdacht. Oder habt ihr euch entzweit, und er spielt nicht mehr, mit?" Da riß einer das Wort an sich. Paule? Nein, Paule, der fpielt nicht mehr mit", klang es, und dann halblaut von mehreren: .Paule Gra der ist tot." Sie standen alle wie festgenagelt; vom Spiel war plötzlich nicht mehr die Rede. Werkmeister trat ungedul big und dumm herrisch vor. ,LoS doch, kommt spielen!" kom mandierte er barsch; die Jungen tra ten von ihm zurück. Da kamen die Abendsonnenstrahlen um die Kirche; sie eilten den Weg zum Spielplatz entlang, über die ganze Spielschar glitten sie aufleuchtend und weiter hinauf, immer weiter; und die ger tenschlanke Jungengestalt mit dem flammenden Haar, den feurigen Au gen, in deren tiefem Blau noch di Tränen um die gebrochene weiße Rose funkelten sie flog den Weg. den Kameraden voran, das Schwert in der hochgeschwungenen Rechten. .Nein". . . ging ein Flüstern, .nein heute nicht!". Und langsam verteilten sie sich. Blinddarmentzündung war es ge. wesen. Das junge Herz hatte nach ; der Operation geschwiegen. Und nun war es vorbei. Ich ging zu ihm. Langgestreckt ag er in den weißen Decken, grö (X fchaute er aus, viel größer. Ich irich die rote Welle auö der breite, weißen, klugen Stirn, und ich mußte an die gebrochene weiße Rose den ken. ... Warum sind wir so leicht geneigt, die Menschen nach ihrem Außenle ben zu beurteilen? Warum bleibt uns ihre innere Schönheit, ihre Weis heit, die tiefe, göttliche Giit und Höhe ihrer Seele so oft ein ungelöstes Mtsel?" Ich kehrte heim. Der Abend war da. Ein zarter Hauch flüsterte wie der im wilden Weingerank auf dem Balkon. Ich suhlte, wie die Spitze meines Fußes etwas berührte. . . Ich bückte mich, ich hob es auf. ,Es war ' ein kleiner, grauer Ball. , ''