Tägliche Omaha Tribüne. (Omaha, Nebr.) 1912-1926, May 12, 1914, Image 2

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    Wonisaz
rzählttnz von
.Da ist recht dumm!- fagl' ich U
w? f'lht ein Morgen, nachdem ich.
meine TafeVn umlchkknv. nichts iixitu
darin fand ' ein armirliae XietB'fl
SoukliüS. 2icö war damal in Pari
v.r.n H-trtm- ttn kZk mobilst cluPfH
in Anrr i'takt bet S'rrftaM St. Gkk
rnain, fniti'tiiJ! in der fltl zu Haust
und aiirn in TiiMy i em asftthau
Mein JVrutiUuJ wo: ten bttndtt. al ich
obige urninnfPfbrne Entdeckung manu:,
ntlche einen dickn, Cuerftttck) zog d1
alle meine fmenrn Plane für den peunn
'log.
V f.tiluu 11 Übt. Jt fierftc rnesn tii
fliict in die Zase und ging ant, i-i-Mn.
b.'tnd, bis ich mich im Paw,S IHwiI wie
bftstrfuiiDfii. Z thut anderen tit hatte
ich nnch w'k jedti fremde tegn ober,
wie die ranjvikn. ein paar Siundcn auf
tinnn acuiirttxtin Strfefid wituumen
können; aber der scanfe: .Tu hört nit
mehr als Krfcifl So in der lafdx!"
war ein irubfdiflU Jumps tt alles Ver
gniiaen und Du unfcfquemfie Stöttr je
da Art ruhigst Betrachtung.
Zufällig ras nistn Auge ans die Na,
l."4, welche lbau! ich al niu der
arofttn femtlbauftt kannte. Mich in
nern, daß iioclf UKr welche Zeit tnt
Kanone eden anflefünbigt die Stirnbe
sei, wo da Spiel beginnt, trat ich ein,
fand da große Werk html angefangen,
lind an dieser Tasel waren so niedrige
Satze wie dreißig Sou erlaubt, Weint
dreißig Sau waren mir nicht nütz; ich
konnte rnirt) fast ebenso gut ohne Mittag
eisen dehe!en a! mit einem für dreißg
SouS. 0 warf ich denn mein ÖclD-
stuck aus den Tisch und war so glücklich,
t mehrfach verdoppelt zurückzuerhalten.
Man hatte mich für den Gimpel ancjt
sehen, den man würde weiter verlocken und
ouslxuteln können: man hatte mich wabk
scheinkich mit Absicht gewinnen lassen. Ich
lachte in mich hinein, gab den sechsten
Franken dem Zhürsteher und ging fort
mit einem Fünffranlenstück in der 2a
sche. Jetzt konnte ich doch zu Mittag spei,
fen, wenn auch nicht wie ein russischer
Fürst oder ein englischer Lord, doch tue
nigfteni wie ein anständiger Teutscher;
daher schlenderte ich gemächlich aus dem
Palais Rsyal gegen die Quais, in der
Absicht, über die nächste Brücke nach dem
Quai Voltaire zu kommen, welche im
vier mein Lieblingsgang gewesen.
Ich war noch nicht weit gekommen, als
ich mich von Jemand um eine mild Gabe
angesprochen hörte. Beim Umsehen er
blickte ich eine ausgemergelte Gestalt in
einem lumpigen Uebtrrock und randlostn
Hut, unttr welchem ein Gesicht hervor-
blickte, von dem man wohl sagen konnte,
daß Kummer und Elend e, sehr benagt!""" aues Zungen. un un.er
hatten. Der fremde bat mich, ihm eine irbthe,l war getmg. Meinen Antheil
Kleinigkeit zufliei,en zu lassen, und - daran hatte ich bald verschwendet, und da
2flt, s Tiihrmh, .Mies,..' mit l weine Eltern todt, meine Bruder in alle
vieler Aufrichtigkeit im Tone, daß mein
Fünffrankenstück bereits aus meiner Ta-
sche in seine Hand ülergegangen war, ehe
ich mich besann, daß es das einzige mei- i
nes Besitz? gewesen. .Was thut's!" sagt'
ich zu mir selber, als der Tank des Beit
lers in mein Ohr zu schallen aufgehört
hatt; .ich soll mich nun einmal heut ohne
Mittagessen behelfen!" Nun hatte ich die
Brücke erreicht und wollte eben in diese
einbiegen, da fl mir ein, daß ich nicht
i nöthigen zwei Cous hatte, den Zoll
zu bezahlen. Das ärgerte mich mehr als
die Aussicht., kein Mittagessen zu haben,
und eine kleine Pause im Gehen machend.
erblickte ich wenige Schritte vor mir den
Mann, den ich so eben beschenkt. Ich hatte
meinen Kopf darauf gesetzt, über diese
Brücke zu gehen, und 'einen guten Grund
sehend, warum ich nicht zwei Sous bor
gen sollte don den hundert, die ich ihm
gegeben, sagte ich zu ihm: ich hätte Eile,
nach dem Quai Voltaire zu kommen, und
nicht Geld für den Brückenzoll. Er zog
augenblicklich eine Hand voll Kupfermün
zeit ou der Tasche, wovon ich zwei Sous
nahm und, ihm dankend, den Brückenzoll
bezahlte. Anstatt nun gerade vorwärts
über die Brücke hin zu eilen, blieb ich
. darauf stehen, mich über das Geländer
lehnend, um dem schimmernden Flusse zu
, Ditsehen und die Aussicht zu beiden Seiten
zu bewundern: die malerischen Reihen un
regelmäßiger Gebäude auf dem Quai Vol
taire, dir prachtvolle Linie der Tuilerien
und des Louvre und die groteske Form
nedst den massiven Pfeilern der Pontneuf
sammt dem Muischengewimmel, das dar
über hinwogt. Hingclehnt aufs Gelän
der, um in unten vorüberschwimmendes
Floß zu betrachten, fühlt ich mich stark
am Rockschoß gezupft, und mich hastig
umwendend, sah ich abermals den don mir
Beschenkten, von dem ich die zwei Sous
.geborgen. Wai machen Si denn sür
Streiche? Wo haben Sie vor?" sagte
der Wann zu mir. .Als ich Ihr Fünf
frankenftück erhielt,, wußt ich nicht, daß
e Ihr letzte sei; hier ist es zurück, und
noch drei dazu!" Ich war zuerst geneigt,
über den Mann und seine Sonderbarkeit
a lächeln; doch bedenkend. daß etwas
Außerordentliche in tem Charakter die
se Bettler liegm müsse, der mich uft
AM fünf ylkkn beschwindelte und mir
, dann zwemzzc anbot, weil glaubt, ich
wollte rinta l&jhnort KgeHen, ließ ich
mich'i im Eesprächnttihm in, erklärt
ihm säne, , JrHuu, ebst der Ursache,
wum ich' für dm 'Augenblick ohn Geld
, sei. und SußerieidegeWunsch.. etwa mehr ,
btm dem Wccrmc.Mrsahrrn. der nach so
entzesmsttztea' nrSden ,u handeln
schein. .WmnsEle mich begleiten tvol
Itn vrrtwortete! er, soll Ihrem Wunsch
genügt werden. Sir habe mich mit Mit
teln versehe zu einem MittaeStisch
ich tvilk Jheri dagegen ein Mahl anbie
ten, int dieLeicht erner Annahm von
Ihrer te icht unwürdig ist. Da Sie
aber nicht , ts'Mfytt rinnen, a meiner
Seite aus '.den (Araßt gesehen zu wer,
den, s, w!2 ich vorangehen, Ihnen den
We z eigen
Ich folgte, fti2jdm.Veitlek, nachdenkend
öder die &tli,mttt' bei Abenteuer, ob
fcbon mit kein hohen Erwartung in
HmsÄt , dk meine? waktendkn Mahls.
Uir kehrten durch dieselben Straßen zu
xM und betrett endlich nlagm j
Wonron.
'Flaumann.
Turchgang recht am tfnbe der M'aturin
Straße in der Nah de Montmartre. TI
'iissage vniuU sich in einen tfat'cn, mit
einem Hause in dessen 'U.'itlt, in da mich
mein Geskllscha'Ier ol in sein Eigenthum
einführte. Tie 2hür wurde von einer Frau
mittleren Alter geöffnet und i.h gileilct
in einen Saal, wo bereit ein Tisch mit
wei Gedecken stand. Tie augenscheinliche
tlcderraschuiig womit die Dienerin den
Bekchl vernadm, noch für einen zu decken,
K-iries, dofj Gaste hier etwa Ungeivohii
licht wartn. Da Gemach sand ich nicht
nur gut, sondern selbst geschmachvoll ein
gerichlet. Ein schone Fortepiano prunkte
in einem Winkel, eine prachtvolle Alabo
sterUhr stand aus einem Untersag in
einem andern. Ich sag da nur wenige
Minuten, al eine junge Tamc, ohnge
fahr ziveiiindzwanig Jahre alt, in die
Stube trat. Sie grüßte mich mit vieler
Anmuth und sagte zu dem Alten, den sie
Papa nannte: .Ta Diner wird äugen
diicklich scrvirt!"
Da ist ein wunderlich Abenteuer !"
dachte ich bei mir. .Ich werde von einem
zerlumpten Bettler m ein Almosen an
gesprochen, der mich darauf in seine bc
queme Wohnung führt, wo nicht da Min
beste auf Armuth deutet. Im Gegentheil,
alle zeugt hier von Wohlhabenheit, wenn
nickt von Ueberslub." Was nun folgte,
diente mehr noch, da Räthsel zu sieigern
al zu losen: ein geschmackvoll bereitete,
mannigfaltige Mittagessen, von einer
Flasche Burgunders, dann von eiuer Fla
sche Äose. Champagner begleitet, bei ge
mahliem ?!achtische, und zum Schlufe eine
lasst Kassee nebst einem Gla jjiaras--quin.
Ich hätte mich nicht kiser befinden
können in der glänzendsten Restauration
mit einer Börse voll Louisd'or und nicht
ein Vierttheil so gut mit meinem Fünf
srankenstück, mochte ich auch esien, wo ich
wollte.
Als wir vom Mittagstisch aufstanden,
ward meine Neugier so rege, daß ich schon
meinen Wirth um die versprochene Auf
klarung ersuchen wollte, al er mir selber
mit nachfolgender kurzer Erzählung zuvor
kam.
Sie finden mich." begann er, .versehen
und umgeben mit allen Bequemlichkeiten
und selbst mit dem Prunk, wonach ge
wohnlich die Menschen zu streben pflegen.
Ich kann mir alles verschaffen, was diese
große Stadt dem Geschmack oder den Sin
nen an Genuh bietet, ohne deshalb mehr
al höchstens ein Vierttheil meine Ein
kommens zu verausgaben doch gewohn
fccit hat mich zu ihrem Sklaven gemacht
und ich will Ihnen erzählen: wie?
Ich bin der Jüngste von sechs Geschw,
Welt zerstreut waren, sah ich mich auf
mich selbst und auf meine eigenen Hülss
quellen angewiesen. Zwei meiner älteren
Brüder fanden den Tod in den Kriegen
der letzten Zeit, und drei andere, welche
sich dem Kaufmannsflande gewidmet, bat
ten sich in Livorno, Marseille und Bor
deaur eingewohnt. Bei der vollkommenen
Erschöpfung meines Erbtheils versucht
ich also mein Glück auf meine Hand, mit
keinem andern Grundsatz als dem, der
mich antrieb, meinen Lebensunterhalt zu
gewinnen auf die nächstdestmögliche Weise.
Mancherlei waren der Entbehrungen, die
ich erlitt; mit dem Hunger ward ich so
vertraut wie ein herrenloser Hund; um
Brod zu erschwingen, mußte ich von einem
Hülfsmittel aufs andere sinnen, bis ich
am Ende ein gemeiner Bettler geworden.
Dies Kind war ein Gefährte meines
Elends: die Mutter war schon lange zu
vor gestorben, und mancher Sou ward
dem Lächeln de Kinde zu Theil, wcl
cher dem um Milde flehenden Blick deS
Vater verweigert worden wäre." Hier
umfaßte mein Wirth feine Tochter und
kükte sie mit der zärtlichsten Innigkeit,
auf ihren Wangen Spuren von Thränen
der bittersüßesten Erinnerung zurücklas
send. Indeß." sa fuhr er fort, .dies Le
bensweise so unsicher, unbestimmt und un
rühmlich sie auch war und ist, gewann
taglich für mich neuen Reiz. Hatte nur
mein Kind genug zu essen, und ich so
viel, um den Hunger zu stillen, so war
ich vergnügt und zufrieden. In meinen
Jugendtagm war daö Spiel mein Lei
denfchaft, und da Bettlerhandwerk
wenn Scham und Demüthigung einmal
überwunden sind führt eine Art von
eigener Auslegung in sich, erzeugt durch
dessen Ungewißheit, welche dasselbe ge
wissermaßcn der EpielerProfession ahn
lich macht. Nachdem ich durch ganz Frank
reich gewandert, ging ich nach Italien und
kam zuletzt nach Livorno. Ich war da
mal gänzlich unbekannt mit dem Auf
enthalt meiner Brüder, wußte indessen,
daß einer von ihnen in einem Handels
hause dieser Stadt untergebracht worden
war, da er ohngcsähr zehn Jahre alt ge
wescn; wo er aber seitdem hingekommen,
vernahm ich nie. Eine Teiges, bald nach
meiner Ankunft in Livorno, trat ich in
eincn Laden, für einS der letzten zwei
Münzstücke, die ich auf der Welt besaß,
mir in wenig Tabak zu kaufen, der mir
öfter, statt des Brodes diente. Derselbe
ward mir in einer Tüte von bedrucktem
Papier eingehändigt, nd bei zufälligem
Blick auf diese fand ich meinen eigenen
Namen darauf i war in Zeitung!
aufsordnung an die Erben meine Bru
der, welcher ein Jahr zuvor in dieser
Stadt gestorben war. Wer nie in einer
Lage wie die meine gewesen, kann sich sei
nen Begriff von dem machen, was ich in
dem Augenblick empfunden. Auf jeden
Fall war ich zu einem Theil der Erbschaft
berechtigt, und ich erschien in meinen zer
lumpten Kleidern an dem bestimmten
Orte, meine Ansprüche geltend zu machen.
Zuerst lachte man mir in Gesicht, dann
fleckte man mich als einen Betrüger ins
Gefängnis; am Ende aber mußte man
auf mich hären, und zuletzt ward ich
nach langer Frist zur Sammlung der Be-
weis al einziger Erbe meines Bru
derH vnkannt, da sich' auswies, daß
meine noch zwei Übrigen Brüder bereit
der Natur ihre Schuld bezahlt halten, E
sah ich mich denn auf einmal im Besitz
0 mehr al dreisjigtauscnd Louiid'or
ein vermögen, da mir selbst in der
Hauptstadt meine Vaterlande im Ueber
slug zu leben erlaubte, wohin ich mich
denn auch bald zurückbegab. Im Ansang
lebte ich, wie e mein Bermogen mit sich
brachie: ich nchm ohne 7!ilckhz!t Dh?il n
allen Bergnilgungen. und einige Zeit lang
glaubte ich mich auf dem Gipsel der
Glückseligkeit, die ein Mensch irgend der
lange mag. Doch die lange Gewohn
heit war zu stark, um mir eine Aenderung
meiner Lebensweise zu gestalten. Ich war
reich, und dennoch sehnte ich mich, ein
Bettler zu sekin; ich war müßig nd
sehnte mich nach Beschäftigung. Die Ge
wohnheit trug den Sieg davon. Ich zog
mich in den finstersten Winkel der Stadt
zurück, vermummte mich in Lumpen und
begab mich in die Straßen, da ördar
men der Vorübergehenden anzuflehen. Da
ist meine tägliche Beschäftigung. Ich finde
eine Lust darin, die nicht in der Welt
mir ersetzen könnte, und ich sühlie mehr
Vergnügen, wenn ich die wenigen den Zag
hindurch erbettelten Franken überzählte,
al bei dem Blick aus mein sicher linier
gebrachte Kapital."
Damit endete mein Wirth seine Erzähl
lung. Ich versuchte, mit ihm über seinen
Geschmack zu streiten; er aber bedeutetes
mir. da sei nuklo. Ich bewies ihm,
daß seine Handlungsweise sogar sündlich
sei; er sagte, er wisse e. könn aber ihrer
Versuchung nicht widerstehen. Ich be
merkte ihm hierauf, daß er damit der
Achlungswürdigkeit seiner Tochter Ein-,
trag thue: er antwortete: sie fei reich und
könne auch sonst in aller Hinsicht Achtung
erfordern: kurz, ich fand jeden Belvei
gründ hier unangebracht, und als ich mich
auf Maria so dieß die Tochter be
ries, erwiderte sie: sie fühlte sich glücklich,
weil ihr Vater glücklich wäre. Bald dar
auf empfahl ich mich.
AIs etwa fünf Jahre später meine Ver
hällniffe mich wieder nach Paris führten,
trieb e mich eine AbendS nach der Ma
tukin-Strahe. da Hau de Bettlers auf'
zusuchen. Ich fand e, trat hinein und!
Setbstboobcrchtnng.
Humoreske von Keorg 'F'ostek.
Eine eigenartige Stimmung war über
mich gekommen: Melancholie, abwech
selnd mit sprühender Lebenslust, Ein
samkeitsbedürfiüö. wechselnd mit Gesellig
keitstrieb. Ich war mir über mich nicht
mehr recht im Klaren, handelte oft mei
ner Absicht entgegen und beabsichtigte oft.
was ich eigentlich gar nicht wollte. Um
mit mir in' Reine zu kommen, mußte ich
wissen, wa an mir war und wie ich
über mich zu denken hatte. Da ich nun
aber zweifellos in meiner gegenwärtigen
Stimmung zu falschen Ansichten iVkxr
mich kommen mußte, konnte ich als Basis
sür meine Selbstbetrachtung nur die An
sichten Anderer über mich gebrauchen.
Einen Kameraden fragen? ich war
Leutnant im I. Regiment da wäre
nicht der richtige Weg gewesen: war er
mir zuaethan, hätte er über meine Man
gel hinweggesehen und nur meine guten
Seiten hervorgehoben; war er mir ab
hold, erfuhr ich nur, und dann vielleicht
zu start betont, meine Schwächen. Ich
brauchte aber, um mich wieder richtig der
stehen und beurtheilen zu können, ein
Urtheil frei von Voreingenommenheit.
Dann würde auch die Frage an die Ka
meraden: .Wie denken Sie über mich",
oder .Was halten Sie von mir", sehr
bald zu fehlerhafter Annahme eines psy
chischen Defekts geführt und mich schließ
lich so verdächtigt haben, daß man mich
der Beobachtung durch den Truppenarzt
unterworfen hätte. Damit war es also
nichts.
Da fiel zufällig mein Auge auf den
Jnseratentheil der Tageszeitung:
vekeZttjy-Lurea Auskunftei
Auskünfte intimster Art
über CbaraNer, Vermög,, Lbenssiihriing
u, s. w. relchatsun, dn Lkiigen
i khkpro,r1Ien uvertaGg
und slr,ng tiStret.
Detektiv-Bureau Argu.
Hier war der Weg, endlich zu ersah
ren, was ich von mir zu halten hatte!
Ueber mein Vermögen (sic!) und meine
Ledenssuhrung konnte ich mir selbst Re
chenschaft geben; daS erstere war nie vor
Handen gewesen und hatte sich später auch
nicht dazugesunden, die letzte war die
normale eines königlichen Leutnant, also
rhythmischer Wechsel zwischen Dienst und
anderer Thätigkeit; Zeugen in Ehcprozes
sen brauchte ich nicht, und sie wären mir
in meinem Cölibat auch sehr unerwünscht
gewesen: blieb nur der Charakter. Darll
der sollte mir Argus' die Zweifel lösen.
Das ging natürlich nur mittels einer
Zwischenperson. da ich doch nicht selbst
über mich Auskünfte inholen konnte. Aber
wer sollte diese vertraulich Mission über
nehmen? ssindet sich noch, sagt ich mir
und faßte zunächst das Schreiben an das
Detektiv-Bureau Argus ab, in dem ich
den entscheidenden Antrag zum Ausdruck
brachte. Den Raum für die Unterschrift
des Auftraggebers ließ ich für diejenige
Person, welche mir als Deckadresse dienen
sollte, offen.
ES klingelte im Entree.
Ich hörte den Burschen die Vorsaalthür
öftren; ein dumpseS Zwiegespräch und
da Klappern und Klirren irgend ine!
Gefäßes drang an mein Ohr. Mein
Milchfrau, di mir das halb Liier stark
abgerahmter Vollmilch für meinen Tages
bedarf brachte.
Milchfrau? Halt, ein Gedanke! Das
sieht unverfänglich ous.
Heinrich!" Heinrich hieß me!, Wur.
sche. Meine Burschen hießen oll Hein
rich ohne jeden etwa durch den jährlichen
Wechsel in der Person bedingten Unter
schied; nicht einmal eine Erbfolgenummer
legte ich ihnen bei, nm die Reußischen
Heinriche nicht zu imitiren. .Heinrich"
ließ sich nämlich in Ermangelung einer
hörte von einem Diene,: der Herr sei or
weniger, Monaten gestorben, sein Zachter
und ihr Gatte bewohnten letzt da Hau,
welche, wie Ich bald bemerkte, vergrößert
war. Noch besann Ich mich, wa ich hier
thun wollte, da öffnete sich ine Thür,
und heran schaute die Tochter, die, mich
sogleich wiedererkennend, mir die Bitt zu
rief: ich möge naher treten, k erfuhr
ich nun. dh sie sehr glücklich verheirathet
sei, und nachstdem gab si mir. steh jene
Mittag rinnernd. über ihre Bater
Sonderbarkeit folgenden Ausschluß:
.Durch sein eigene Schicksal und sein
j Berirrungen hatte er gelernt, daß Vrbeit
samkeit der sicherste Halt und der höchste,
dauerndste Genuß der L'bensreudkn sei,
und den Sntschkiiß gefaßt, im lter die
Versöhnung mit seiner verschleuderten
Jugend dadurch zu bewirken, daß er Kna
den und Mädchen, die zur' Echlechtheit
oder zum Betteln erzogen wurden, 11 ret
ten versuchte, wenn er gewahrte, daß sie
verdienten, gerettet u werden. Deshalb
hielt er e für da, Beste, mit Bettlern
und Umherst reichern in Vertraulichkeit zu
bleiben, und wen er der Befreiung von
dieser Gemeinschaft würdig fand, den un
terstützie er und machte ihn zur Arbeit
sähig. Wenn Sie wollen, können Sie den
Erfolg sehen in einer Anstalt, die in dem
Gebäude am jenseitigen Ende unsere
Garten noch in voller Thätigkeit ist und
der jetzt mein Mann, ein Zögling meine
Bater, vorsteht. Daß dieser Ihnen inen
solchen Ausschluß vorenthielt, gehört zu
seinen Sonderbgrkeiten: bi zu seinem
Tode hak er ihn keinem Tritten gegeben;
mich aber freut', die thun zu können,
weit gewiß meines Vater Andenken da
durch auch bei Innen gewinnt!"
So war's denn auch! und ich ging,
nachdem ich die Anstalt, in der eine Menge
Personen, männliche und weibliche abge
theilt, in heiterer Lust bei sehr verschiede
nen Arbeiten beschäftigt waren, betrachtet
hatte, mit dem Ausrus hinweg: ,Wun
deilicher Mann, der seine Thorheit zur
Schau trug, feine Weisheit und Tugend
verheimlichte! Ich will wenigsten
Dein Andenken zu erhalten suchen, indem
ich öffentlich Deinen Namen nenne in dem
Wunsche: Ruhe sanst, Bonisa, Meuron!"
Tischglocke oder eines sonstigen Benach
richtjgungsmittels so wirkungsvoll durch
Mauern und Thüren schrillen mit seiner
hellen Tonika.
Heinrich erschien.
.Führen Sie Frau Bitterlich 'mal zu
mir herein; ich möchte meine Rechnung
abmachen."
Heinrich that wie besohlen, mochte sich
aber über die ungewohnte Eile und den
ungewohnten Zeitpunkt für dieses löbliche
Vorhaben etwa wundern.
Frau Bitterlich that freundlich knixend
in mein Ammer und stellte ihre beiden
Milchkrüge behutsam an der Schwelle nie
der. Ich beglich thaisächlich zunächst
meine Rechnung: fünf mal fünf fünf
undzwanzig; es war der fünfte Schuld
tag. Dann ging's an di Darlegung und
Klarlegung meines Vorhaben; die Dar
legung erledigte sich rasch, die Klarlegung
aber recht langsam. Frau Bitterlich war
etwa begriffsstutzig. Endlich dämmerte
es in der Milchfrau sie begriff sie
unterschrieb. Kopfschüttelnd, daß ihr die
Haube rutschte. Jedenfall aber löste die
Bezeichnung Detektiv Bureau bei ihr
erschrecklich Empfindungen aus; denn
nach Behändigung eines Spesenvorfchusset
don sechs Mark und nach genauer Anwei
sung bezüglich einlaufender Antwortschrei
den verabschiedete sich Frau Bitterlich mit
der Begründung: .Daß das nur ein gute
Ende nimmt!"
Die nächsten Tage vergingen ohne Son
derlichkeiten; ich war ausgeglichener Stim
mung. Bald würde ich ja erfahren, wa
an mir sei. Noch zehn Tagen, während
welcher ich schließlich daö Gefühl eine
ftundseitigen Beobachtet werden bekam,
o!me aber Feststellungen hierüber machen
zn können, legte mir Frau Bitterlich
nebenbei eine noch leidlich hübsche Dreißi
gerin zitternd und bebend in soeben
bei ihr eingelaufenes Schreiben vor. Link
oben auf der Umschlagecke mit rothen fiel
tern: Argu. Darunter die Skizze eine
durchrissenen Vorhang. Hübsch, sehr
hübsch. In gesättigten Ladenschwengel
kurven die Adresse: Frau Bitterlich pp.
Eine Mark erstattete mir die gute Frau
zurück; fünf Mark kostete mein Charakter.
Diskret entfernte sich meine Deckadresse,
und ich las:
Im Besitze Ihre Geehrten und der In
formationefpesen von M. 5 theilen wir
Jhncn aus Grund einsehendster Erörtt
rungen nachstehendes mit:
Herr P., Leutnant im k.Rgimnt,
wohnhaft Blüthenstraße 10 pt.. vermö
genslos, über Charakter und LcbenSfüh
ning nichts Nachteilige zu erwähnen.
Steuern- und Miethsverbindlichkeiten ge
ordnet. In Kreditsragen empfehlen
werth, nicht über sein Monatkgehali
75 M. hinausgehen.
Streng vertraulich.
Detektiv-Bureau .Argus".
Hm! Hm! Charakter nicht Nach
theiliges. Negativ, sehr negativ ausge
drückt. Dabei konnte ich mich nicht be
ruhigen: da sagte mir gar nicht über
mich. Der Argus" taugt nicht, nehmen
wir ein anderes Institut. Ta Adreß
buch nannte .Veritas".
Veritas", ja, die wollte ich haben!
Also abermals geschrieben, aber genauer,
schärfer, abgegrenzter, daß es sich um die
Charaktereigenschaften und um sonst nicht
weiter handle. , .
ffrau Bitterlich übernahm wieder unter
schriftlich die heikle Mission. .Wa haben
Sie nur, Herr Leutnant: DaS wird nicht
Gute!!"
Diesmal vergingen vierzehn Tage; ich
sah, Vcrita" arbeitete eben eingehender
und genauer. Sech Mark Spesen
ganz erklärlich, genauere Arbeit, bessern
Lohn.
In diese vierzehn Tage sielen zwei a
sinofestlichkeiten. ein Edefjubiläum und ein
chlachtgedenk'.ag. Beide Gelegenheiten
führt zu Ikimm Verstößen gegen meine
Gewohnheiten. Tn höh Chef kannte weder
mich, noch ich jh. und den steldzng hatte
ich nur von der ilschuldank aus verfolg
troßdem fand mich di Epatnacht beide
Mal in einer Stimmung, I war ich
de Jubilar vertrautester Freund und alt
wände sich der Lorbeer de Tchlachten
tage ollein um meinen Namen.
Frau Bitterlich brachte die Aulkunst.
Dietmal .Berital" link oben in der l?cke
und ein Adler, der durch ein Fernrohr
blickte. Wieder hübsch, sehr hübsch sogar
gewissermaßen sezessionistisch olle
gorifch.
Inhalt:
Herr Leutnant P. ist bekannt (!) al
etwa flotter, leichtlebiger Osfizier. Sein
Lkbensührung bei gänzlicher Mittellosig
keil mahnt zu größter Vorsicht In Kredit.
ngklkgenhkilen. Eine gewisse verschlaf
senheit tn seinem Charakter ist ( ja
wahrhaftig .ist", nicht inmal .scheint'
) die Folge de Mißverhältnisse zwi
schen Verbwuch und Cinkünsten.
Etwas positiv Nachtdeilge ist zurzeit
(!) nicht bekannt.
Wir quittiren über M. . für Au,
kunstivorschuß.
Auskunftsbureau .Perita
Alle Himmel! D war hart! Aber
p momentanen Standpunkt der .Veri
ta ou gewiß gerechtfertigt. Ich erin
ner mich dunkel, am Jubilaumltag
oder war' am Schlachlentag oder viel
leicht gar an beiden? in der Nahe mei
ner Wohnung irgend einen Menschen ftar
gestreift zu haben. Immerhin war e mir
erfreulich, daß Iwa .positiv Nachtheil,
aes zurzeit" nicht bekannt war. Derschlos
senden ganz richtig beobachtet war
rorhanden; nur der Grund wollte mir
nicht einleuchten. Also noch ein Versuch
Da Adreßbuch nannte noch: Aulkuns
tei Röntgen .
.Röntgen"! Ja. da mußte da Rich
tige sein; da geht b,i aus dx Knochen!
Wieder vierzehn Tage und M. 7,50, in
Summe M. 18,50 di jetzt; da mußt,
doch Ersoig dringen.
Frau Bitterlich war nur mit Zagen er
neur zu dewegen.
.Sie machen sich noch unglücklich, Herr
reutnant!
Die Antwort kam.
Ueber den ganzen Umschlag in Eckmann
Lettern: Auskunftei .Röntgen". Link
am Rande herunter die widerlich Fackel.
dasselbe .liche wie damol in der Zeitung.
und die Auskunttk
Eingehende Beobachtungen haben erge
ben. daß Herr P.. so verwendbar und tüch-
tig er in seinem Berufe sein soll (!), in
seinem Prwatleben nicht einwandfrei da
steht. Er unterhalt anscheinend sehr in
time Beziehungen zu einer Milchfrau, die
ihn taglich besucht, und öfter längere Zeit
bei ihm verweilt.
Sollten über den Grad dieser L'zie
hungen noch Detail gewünscht werden, so
ersuchen wir. da die Spesen für Sittlich
kell' Beobachtungen sich höher stellen, um
Voreinsendung don noch M. 10.
Ueber den genannten Herrn sind übn
gen bei verschiedenen AuSkunftsstellen
Antrage aus Beobachtung vorliegend ae
wefen, wie wir in Erfahrung gebracht
yaWcn. Hochachtungsvoll
Auskunftei .Röntgen".
Saprifti! Da hatte ich mir ja wa
Vchone eingebrockt!
Ich wußte aber nun über mich Bescheid
Den Brief gab ich Frau Bitterlich zu le
sen. worauf sie bitterlich weinte und eine
Kanne Vollmilch über meinen einzige
.eppico gorj.
Eine nene
Kauptstadt.
Wilder aus 5razzo.
Aus Turazzo. der Hauptstadt deL neuen
Balkanftaate Albanien, wird berichtet:
Jetzt sind s endlich da nämlich di
beiden Kinder de gürstenpaarcj. Sie
bildeten gestern da Gespräch de Tage.
al sie Nachmittag um 4 Uhr auf einem
italienischen riegischafs vonÄrindist hier
ankamen, r, der ronprinz de neuen
Albanien, ist ein netter blondgelockter
nave von II Monaten und heißt Viktor
Slanderdea nach dem albaimchen Na
tionalhelden. Sie, die Prinzessin Eleo
nor, vesmdet sich bereits in dem Borge
Ichriitcnen Alter von 5 Jahre und ist
da unverkennbare Abbild hier Mama.
Unter dem Jubel von Durazzo vollzog
sich der mzug der beiden leinen vom
Landungiplaze bi zum königlichen
Schlosse. Der Papa füyrte sein Tochter
chen an der Hand, wahrend die Fürstin
Sophie unmittelbar hinter dem teinder
wagen schritt, in welchem Se. Hoheit Bit
tor istandeideg gefahren wurde. Der
fürstlichen Muiler sah man e an ihrem
vor Glück strahlende Gesichte an, bag sie
sich innig darüoer freute, ihre beiden lel
nen noch so langer Trennung hier endlich
wieder zu haben.
Di gesammte Jugend von Durazzo
zog nun in den Schloggarten hinein und
sang so lange die chwermuihigen natw
nalen Volkslieder, bi sich di ganz Herr
schnfamilie Fürstin Sovhi mit dem
lltinen Standerdtg auf dem Arm auf
dem Balkon zeigt. ,
Jetzt möcht ich den freundlichen Leser
bitten, einmal wenigsten in Gedanken
mit mir einem Mittagessen in einem
der .vornehmsten" albanischen Restau
ranls beizuwohnen. Da Lokal mit dem
dazu gehörige .Hotel", wo ich feit vier
Woche wohne, gehört drei albanischen
Brüdern. Der öltest ist der eigentliche
.Hotelier" und Ist zugleich Advokat und
Gerichtkhofpriistdent von Durazzo. Die
andern beiden Brüder tragen ihr kragen
lose Hemd schon mindesten ei halbe
Jahr, ihre Schuhe bestehen fast nur au
Löchern. St drei Wochen bitte ich täg
lich um eine reine Serviette mein
Bitte verhallt ungehört, weil die vor
einem Monat neu angeschaffte Tischwascht
bi heut noch nicht gewaschen morden ist.
Man Hai mir gestern endlich an Stell
einer Serviett in Handtuch gegeben.
Zu ff gikbt Mittag und Abend,
nur gebratene Hammelfleisch, Reis und
Makiaroni, hier und da auch ein ünge
Die chinesische Handtasche. .
Skizze von MorSkrt Aacques.
Hameliu ging langsam in den Unter
grundbahnhl's hinab. E eilte ihm nicht,
denn seine Frau hatte Iklephoniit. daß sie
eine Freunvm besuchte, gr kam also in
ine leer Wohnung. Al er vom Beam
ten sein durchkochte Fahrkart zurück be
kam, sah I einen Anaeslellten der Unter
grundbahn wit eine Erscheinung au der
dunklen Röhre bei Zugkanal herauklet
tern. Berlin stand in diesen Togen unter
dem Eindruck einer Katastrophe, die einem
alten Unioersitatsoroskssor auf der Unter
grundbahn da Leben gekostet hatte, und
Hameliu, dem da Ereigm. sosort gegen
wartig wurde, suhlte einen Schauer über
seine Haut lausen, al er den Mann au
der Dunkelheit auftauchen sah.
Der Angestellt kam heran. Hameliu
sah ihn an und bemerkt plötzlich, daß der
Mann etwa Blaue in der Hand hielt,
Ta Merkwürdige war. daß diese blaue
Etil Hameliu bekannt war. Der n
gestellte begann zu laufen. Dadurch kam
e. daß Hameliu, ohne e zu wollen, ihm
den Weg vertrat. In diesem Augenblick
erkannte Hameliu den Gegenstand, den
der Beamte in der Hand trug. ? war
die Handtasche seiner Frau.
ör erschrank ohnunglo. Er trat rasch
auf den Beamten zu und faßte ihn am
Arm. Er konnt sich nicht irren. Die
Handtasche war mit einer ungewöhnlichen
chinesischen Stickerei gemacht, n golvnek
Löwe zwischen goldenen Wolken aus blauer
Seide. Er hatte die Stickerei selber mit
au China gebracht. Er sagte dem Be
amten gutmüthig und lächelnd: .Verzeihen
Sie. das ist ein komischer Zufall. Do
ist die Handtasche meiner s,rau."
Der Beamte zuckte zurück, sah ihn er
schrocken an und stammelte etwa. Dann
machte er Anstalten, sich eilig zu entfernen.
Hameliu. der sich nicht bewußt wurde,
wa lo war, griff erregt nach der Tasche.
Der Angestellte ließ sie lo, und Hameliu
sah, daß Blut an dem RMKle klebte, und
al er fast in demselben Augenblick heftig
erschrocken dem sonderbaren Beamten
nachschaute, der den Perron hinaus lief,
bemerkte er, daß um einn der Pavillon
auf dem Steig eine Menge von Menschen
wie in ängstlicher Erstarrung zusammen
gedrängt standen. Da war ihm auf ein
mal. al ob der niedere Bogen Ge
wölbe über seinem Schädel niederbrache.
Sern Herz stach ihn mit brutaler Jähe.
kr begann zu lausen und glaubte, seine
Beine brachen ab. Er stürmte in den
Haufen hinein und brüllte mit rauher, er
stickender Stimme: .Ist sie todt? Ist sie
todt?"
Aber der Beamte war bor ihm zum
Pavillon gekommen. Er hatte rasch oe
sagt: .Ihr Mann kommt!" Der Hausen
der Zuschauer war in Schauer und Mit
leid gerathen. Alle Herzen schlugen erregt
dem Unglücklichen' entgegen. Der rauh
Reif, den der Unglücksfall der unbekann
ten Frau aus alle Sinne der Frauen und
Männer gebreitet hatte, die Zeugen der
Katastrophe gewesen waren, und der die
Menschen in einem stumm grauenden in
nerlichen Erfragen bewegungslo um den
blutigen Klumpen gebannt hielt, den vor
wenigen Minuten noch ein schöne junge
Leben getragen hatte, schmolz rasch bin.
Alle wandten sich zu dem getroffenen
Mann.
Sie glaubten, er ertrüge den furchtba
rm Anblick nicht. Sie warfen sich ihm
entgegen. Er "drängte In sie hinein. Ei
Frau hing sich in seinen rm. Er brüll!
ihr ,n'I Gesicht: .Ist si todt?" Das
frmd Frauengesicht war in inem stumm
bejahenden Schmerz gefaltet. Hameliu
keuchte und schüttelte die Frau ab. Män
ner stellten sich vor ihm auf und griffen
nach ihm. Er hob di Fauft hoch, in der
noch zusammengedrückt der chinesisch Beu
tel lag, und schlua geaen sie und schrie
dazwischen: .Ist sie todt? Ist si todt?"
Und di Männer krallten sich an den Ver
zweifelten, der um den Blick eine bluten
den Haufen von Menschenfleisch kämpfte,
während die Frauen wie eine Barriere sich
an die Thür stellten, hinter der da ent
etzlrch Geheimni lag.
Hameliu tobte in den Arme der Man
ner. die ihn festhielten. Das Gewölbe
hallte vom Kampf und von seinen Rufen
nach dem ermordeten Leben. Ein Zug!
mein zähe Huhn, Da e hier kein
Schweinefett und keine Butter giebt, wer
den alle Speisen mit sehr übel riechendem
Talgfett zubereitet, auch die Makkaroni.
und ma erspare mir die nähere Beschrei
düng, wi di Cpeiskn .schmecken!" Auch
der dickste Fettleibige muß hier in kurzer
Zeit mager werden, denn man würgt olle
Speisen in Durazzo nur mit Abscheu und
Ekel hinunter. Und wenn t unserem
Kellner" gerade einfällt, setzt er sich ge
mlithlich zu dem Gast an den Tisch
und raucht eine Zigarette! Die bestellten
Speisen werden aus einem Teller ir, der
Küche aufgehäuft, und dieser Teller wird
dann dem Gast vor die Nase schoben.
Die Schuhe müssen wir un hier auch sel
ver putzen, wenn man auch 10 Franken
und mehr täglach für ein .Zimmer" in
diesem Hotel zahlt. Da einzige Gut
hikk ist der sehr billige italienische und
griechische Wein. Flaschenbier au Eu
ropa" ist sehr theuer, sehr schlecht und
stet lauwarm, weil e in ganz Durazzo
kein E giebt. Mineralwasser ist eben
fall so theuer, daß et nur ein Krösus
täglich trinken kann. Und daS gewöhnliche
Wassr? Da ist hier voll von Malaria
Leimen, dem so berüchtigten Fieber, an
welchem, vom Monat Mai angefangen,
oft mehr all die Hälfte der Bevölkerung
Durazzo daniederliegt. Man darf hier
deshalb nur Wein und schwarzen Kasfee
trinken Antialkoholiker dürfen ja nicht
herkommen! I vierzehn Zagen sog hier
ein wirkliche europäische Gasthaus, da
erste in Durazzo, rösfnt wden. Wir
armen Mitteleuropäer freuen, un schon
unbändig darauf, denn wir werden dort
nach so langer Zeit der Entbehrung end
lich inmal auch Rindfleisch. Kalbfleisch
und Kartoffeln vorgesetzt bekommen!
Wtt Recht hat. muß darum ftrcitrn.
suhl ein. Reisende strömte', u den Wa
gen. Die hellen Löcher der Fenster und
Thüren schau tn wie große gierige und
brutal Äugen. Die R..s,.d,, st.lllen sich
um d Gruppe uk. Vian erzähl,, ihnen
rasch lind aufgeregt. Einige Arm halfen
d,. Mannern. die Hameliu, den todten,
blutgkmengten Anblick nicht ihnlen, man
fuhr ihn . mit 5walt au) eine nahe
Bank, preßte ihn dort nieder und hielt ihn
Da brachen Kraft und Widerstand in
ihm. und er begann den Schmerzgefühlen
u lauschen, die wie in Maschin, sei
Innere zerfetzten. Er konnte nicht wei
nen. Sein Augen warei hart geworden
wie Grämt, Sein Bewußtsein war von
dem plötzlichen Entsetzen dumpf gelähmt.
Der Schmerz schrie und brauste in seinem
Herzen, und er konnte weiter nicht tdu
al lautlok in seine innere Zersetzung hin
inmurmeln: .Nina ist todt! Nin ist
todt!"
Co saß r da. während in jung Fsrau
aus dem Perron daher kam. Jh? Fesseln
schauten unter dem Saum ihre Kleide
hrrau. dünn und springend, wie seine
klasi'sch Wesen. Sie ging mit incr zar
ten Gestalt tänzelnd dabin, und die ffrüh
l,ng,sciden mslossen blühend ihre schmal
Schlankheit. Man schaut ihr nach. Man
wünscht sich twa. wenn si vorulxrina.
Di, Frau sah die Menschen. Si,
schmiegte sich j den Rand de Haufen
hinein, hob ihr kleine dünne Naschen.
um zwischen den Schultern der anderen
hindurch sehen zu können, worum die Aus
ngung all' der Menschen ging. Da er
blickt, sie auf der Bank einen bloßen Kops
mit wirrem Haar in zwei Hände gesunken,
sah im Schatten zwischen den zwei roeißk
Händen verwischt den Tdeil eine Ge
sicht. stutzte und sprang auf einmal wie
eine Katze in den Haufen der Menschen
hinein, stieß sie beiseite, schlug sich durch
und ergriff di zwei Hände, beugte sich
nieder und riß den Männerkopf an dk
Haaren hoch.
Hameliu schaute müde und bemußtlo
auf. Wal mochte man mit ihm? Sein
Blicke waren trüb von innerlicher Sr
hitzung. Aber wa er zuerst verwischt und
dann blinzelnd sah. war ein seltsamer
Schrecken, war ein schaurige Märchen
voll Unmahrscheinlichkeit und Geheimnis.
Er richtete sich hoch. Er riß die Auge
ganz auf. Aber schon spürte er da
Frauengesicht an seiner Wange, und weich
Hand betasteten streichelnd sein Gesicht.
Da erkannte er. Er sprang aus. Sr
wollte ihren Namen brüllen: .Nina!" Aber
el war ihm, als ob seine Stimme wie ein
süß tödtender Dolch sein Kehl hinab
in'! Herz saust. Er drückt sich verlor
an di kleine zarte Frau an.
Die Menschen rundum lochten ode.
weinten. Alle Gesichter waren verzogen.
Alle Herzen sprangen wie Heuschrecke ins
Mai. Niemand wußte, wa geschehe?
war. Aber alle durchfuhr die Ahnung,
daß ein Glück auf die Erde gekommen sei.
Sie gingen langsam auseinander.
Als Hamelius wieder er selber war.
schaut er seine Frau an. Aber die Frage
nach dein Zusammenhang traute sich doch
nicht über seine Lippen. Da sah Nina in l
des zusammengepreßten Hand ihre Man
ne ihr chinesische Röticule. .Wie haft
Du meine Handtasche wiederbekommen?"
fragte sie heftig erstaunt. Hameliu zuckt
nur mit den Schultern. Da erzählte die
Frau, sie habe sich oben auf eine Bank ge
setzt, um ein wenig auszuruhen und hab
die Tasche neben sich gelegt, Al sie wei
ter gehen wollte, sei die Tasche verschwun '
den gewesen, und sie habe nur eine Frau
haftig ous den Untergrundbahnhos zueilen
sehen. Sie selber sei sehr erschrocken ü'b
den Verlust gewesen und habe sich gedacht,
daß die davonlaufende Frau die Diebin
sei, ober sie habe nicht den Muth gehabt,
ihr zu folgen.
Dann kamen Sanitätsbeamie mit einer
Bahre in den Bahnhof und trugen die
Frau davon, der die kleine chinesische
Handtasche da Leben gekostet hatt. Denn
um dem Gcfoßtwerden zu entgehen, war
sie in den Bahnhof herabgelaufen, in den
im Abfahren begriffenen Zug gesprungen,
und der Wagen hatte sie niedergerissen,
unter sich geschleudert und zermalmt.
Die thörichten Jungfrauen.
Wegen Heiratsschwindels hatt sich der
Agent Richard Kundt vor dem Schössen
gericht BerlinMitte zu verantworten. Alt
Zeuginnen marschirten mehrere Mädchen
auf. die fämmtlich da Recht hatten, sich
als .verlobte Bräute" de Angeklagten zu
bezeichnen. Ter Angeklagte hotte ihnen
vorspiegelt, sie zu heirathen. um sie dann
gleich hierher anzupumpen. Zwischen
einer Zeugin und dem Vorsitzenden nt
wickelt sich folgender amüsanter Tiak'
Vors.: Wann haben Sie den Angeklagten
kennen gelernt? Zeugin: Am 11. De
zember. Vors.: Wann hat er Ihnen
die Ehe versprochen? Zeugin: Am 12.
Vors.: Wann hat er Sie angepumpt?
Zeugin: Am 13. Vors.: Fühlen Sie sich
noch mit dem Angeklagten verlobt?
Zeugin: Jawohl. Vors.: Si wollen
ihn also heirathen? Zeugin: Ja, wenn
er mir mein Geld wiedergiebt. Vors.:
Na. dann brauchen Sie doch da Geld
nicht; I bleibt doch dann in der Familie.
Zeugin: Ja, wenn r mir mein Geld
giebt, bin ich sein Braut, sonst nicht, '
Eine andere .Braut", die der Angeklagte
in Posen kennen gelernt hatte, mußt fol.
genden .Revers" unterschreiben, den der
Angeklagte aufgesetzt hatte: .Meine Braut
rerpslichtet sich. Ansang Januar nach Ver
lin zu kommen, um sich mit mir zu der
heirathen. Sie muß ihr Vermögen mit
bringen und mir übergeben." Der Amts
anwalt beantragte gegen den Angeklagten,
der jede Schuld bestritt, drei Monate Ge
fängni. Da Gericht sah die Sache mil.
der an. dabei offenbar von der Ansicht
gehend, daß man bei einer derartig'n
Leichtsertigkeit der Zeuginnen don einem
raffinirten Vorgehen de Angeklagten
überhaupt nicht sprechen könne. Da Ur
theil lautete deshalb nur auf zwei Monate
Hefängni.
s.
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