Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 27, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

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    Ännkri Ehr-.
Roman von Id- sei-O.
Wir
(16. FurtiehungJ
»Ich denke nicht ge:ing von dir,«
sagte er.
Er setzte sich neben sie und nahm ihre
hand. »Frage dich roch selbst.« be
« gnnn er, »was soIIte werden« wenn
H ein Mensch um einer handvoll Ju
gendtdrheiten willen gleich verloren
gegeben werden dürft-im
Sie lehnte ihr Haupt gegen seine
Schulter-. Zögernd. verschäint flüs
sterte sie: »Aber ich habe —- ich habe
mich so entsetzlich uuxrspannt betra
gen..·.«
Das Wort anlegt-kriechen war doch
bitterschtver. Zu rsnern tragische-rl
Vergehen beten-it sich der Mensch rnit
besserern Mut als « einem, dem ein’
Schein von Lächerlichteit only-flet
EinfLächeln sie-g iiber sein Gesicht
Er konnte sich oenlrn, was dieses
Belenntnis sie lostxlex Und es freute
ihn, wie den Arzt Zekchen der Gene
sung beim Krnnlen
»Mein Kind .. . menschliche Feh
sler find schwer tvägdliL Wir pflegten
sie ganz unlogisch zu beurteilen. Es
gibt gewisse Ftivorittehlen mocht« ich
sogen. denen gegenüber die Wachstcht
gleich bereit ist, hundert Entschuldi
gungsgriinde .zu,ru«««i’!lgen. Llndere
Fehler gibt S, denin gegenüber nur
die Ungeduld nnd unerdrtmchren
wach sind. Wenn me jeden unserer
Fehler auf den Markt stellen könn
ten, wiirden wir die wunderlichsten
Erfahrungen machen. wie unterschied
lich die Menge sie richtet. Auch vor
unserem eignen Richterstuhl finden
sie keineswegs met-it Gerechtigkeit
Aas die einen sind rast vielleicht gar
heimlich stolz, der ans-ern schämen wir
uns. Und so scheint mir, geht es
nun auch in dir zu Du List so
ganz herunter, gen-Je weil du nur
iihers nnt warst. Ichlimrne Taten
des spalrnes oder der Leichtsinnc wür
dest dn dir gewi rascher verzeihen;
denn du dildest dir ein, daß du dich
ihrer nicht se sehr zu schäntn hät
test· hol-« ich recht? Jst es sd?«
Sie niekte nnd schmiegte sich fester
an ihn. Wie wohl das tat, an'- sei
nem Mund so klare Worte zu hören,
die ihr in die eigene Seele hinein
lenchreken.
»Für mich aber, meine Anna, ha
den alle Fehler gleichen Rang — so
weit sie nicht ehrloser Art sind.
Ja. hast du denn gedacht, daß ich
in dir ein dollkoinmenes Wesen er
wartekei hast du ir. dem Wahn
gelehk, ein Charakter tilde sich. ohne
durch einen Gärung-inqu zu gehen?
Welches Verdienst wars es denn, reis,
milde, klug zu sein. wenn rnan sich
das nicht in Kämpfen zu erringen
trachtete und, im Grunde genommen,
bis zu seinem ietzt-n Akemzng em
rner neu erringen niiißtei — Wir
haben tau end innere Feinde in uns.
Troß a edenr kann man ein
verständigen tüchtiger Mensch wer
den! «Das ist eine Lebensans
gade siir die Tapferen Die
Schwachen ergeben ktch ihren Fehlern
Und ich denke, meine Anna hat die
Eigenschaften in iich, sich aus die
Seite der Tanseren zu schlugen.
Sie fiel ihm u1:: Den Hals in er
töjenden Tränen.
Wie er sie erhob! Welch neue Si
cherheiieu er ihr sit-! Ja, zu wer
den, wie er hoffte, vuß sie werden
solle -—- dag- toa.« e«i:e Aufgabe —
welch ieliges Streben und Ringen!
»Ich will versuchen, Deine Liebe
neu zurückzugeminnen," Flüsteite sie.
»Du hasi sie nicht verlaren,« sprach
er und drückte sie an sich. »Man das
noch Liebe, die gleich erstirbt, wenn
sie ihren Gegenstand auf Irrwegen
sieht's Auch für vie Liebe heißt es:
troydemk
Nun iarn eine innere Freiheit über
Anna. Mit flamntendent Eifer suchte
sie sich zu erllären unt- zu entlasten.
Sie konnte sprechen und alles von
sich sagen. was sie wußte.
Und was sie nicht wußte, tvo sie
sich selbsi unklar war, erriet sein klu
ger Sinn. Er fah ihre ganze Seele
vor sich« wie sie in unbewachten, un
geleiteten Jugendiahren immer nur
von ver romantischen Welt geträumt
nnd von der solle, die sie in aufre
den Ereignissen spielen würde. Er
ah mit Entsefm in welcher Le
ben-leere man dies begabte junge Ge
schöpf hatte aufmachen lassen.
Weder Vater noch Mutter hatten
daran gedacht, ihr einen Inhalt zu
W Einer Pflanze leich, war sie
aufgeschaffen —- rnochte ich ihr Wuchs
b ,, wohin er wollte. Sein her
ers inte, wenn er sich vorstellte, da
es zu ganz andern Auswtichien hätte
kommen können . . ..
Unter all deni tollen Gerant die
ser Torheiten toar doch ihre Seele
rein unt- siolz geblieben.
Idee dann, alt sie alles bespro
gen uno beleuchtet hatten in endloser
mist und Wider-rede, dann erwachte
»Von neuern die Scham in Anna.
»Nun tvir allein —- et tiinnte ge
ht«-. »Ihr- dti bist nicht der Mann,
der W sich ein Weib haben darf,
Ihrr das man Schelt. All unsere
as —- W Schwestern —- die
- VIII - sein« es seht
nicht. Deine Großmut will Ins tm
dir selbst oerleugnen.««
«Nieinanv weiß von dem Vorge
fallenen —- nicht einmal Wolf — ge
schweige denn meine Schwestern Nur
vie Schülers.
.Niecnano weiß . « vu hast ge
schwiegen . . . . mich geschonti . in
all deiner Angstt O, Burchard....«
Seine hände hätte sie küssen mö
gen. .
Er las aber in ihrem Blick bi
heiße Dantbarteit. Er zog tie wies
der an sich. »Mein geliebtes Weib,«
sagte er, »wir scheint, wir fangen
unsere Ehe noch einmal von vorn
an.«
Sie drückte ihr Gesicht fester gegen
seine Brust.
Er ahnte, was in ihr vorging —
et verstand die Keuschheit, die in die
sent Augenblick noch keine Worte va
fiir sand.
Lange standen sie in einem glück
lichen, andächtigen Schweige-n
»Ehe Bitte habe ich,« legte iie
dann, »und ich scheue mich nicht. sie
nuszusprechem Vereinige die beiden
Liebenden. Frühe: gebe ich mir nicht
das Recht, mich meines Glückes zu
steuen.«
Graf Burchatds Stirn hemöllte
sich. Er ging eilt ein paaunal irn
Zimmer hin und her ehe er sprach:
»Meine Meinung is-. dieser Ange
legenheit ist ja nicht von Uebelwollen
gegen die Liebenden dittieki, auch
nicht unter deiner Beeinflussung ent
standen. Die Tatsachen drängten sie
mir auf. Und die sind doch dieselben
geblieben. Fast —- ich gestehe es —
hnbe ich diese Bitte von dir erwartet.
Sie freut inten, obschon ich inr nicht
willfahren kann. Ich selbst ksobe die
Sache wieder und wieder eiwogen
»diese Nacht —- denn ich sah die Feind
lseligleit in Saphir Schülers Ange.
Und mein ganzes Herz sehnt sich
»von-ich Vater nnd Tochter kohle
iiurn Aber es ist nun einmal so:
’Stephan hat nichts gelernt als sein
Solaienhondwerl; ihn in einen an
deren Ver-i übertreten lassen, wäre
ein sehr gewagtes Experiment Als
Offizier kann er Tophie Schüler
nicht heiraten, das Regiinent würde
sich dagegen wehren —- eo bliebe di-.
in ähnlichen Fällen iibliche Verset
zung. Aber wovon iillen sie leben?
Sie haben beide nich:g. Das ist der
Fall —- klipp Und klar-«
«Rein," rief Anna leidenschaftlich
»das ist er nicht« xn bist reich Uio
ihm Gen-X «
«Alo oerheirateter Mann muß ich
zuerst an meine Eraii denken und an
die Zutunst Auf ein bloßes
Komm-vermögen vie beiden heiraten
zu lassen, ioore ·ii wenig —- das
wäre das glänzende blend, an deni
so viele Offizieroehen lranliii.«
Anna ließ nicht einst-: »und wenn
deine Frau dich anilth Rinnn das
Geld, hunderttausend oder wieviel du
meinst, von dem, ioas ihr zxgedncht
ist? Wenn sie dir Ingl: Sie wird
Iich mit heißer Freude einfacher klei
den, bescheidener uns-geben, um diesen
dinsenoerlult weit zu miicher.«i«
»Das wolltest due« fragte er ernst.
aBegreif« es, Biirchnrd,« rief sie
deschworend, »ich habe lein Recht,
gliirrlich zu sein, ehe ich den beiden
nicht znin Glück oeet,alf. Ich seh'
ej dir an —- du läßt dich überzeugen
—- — Und schreibe dii selbst ein Ste
phans Oberst oder reise mit Sophie
thin. — Wenn dii so iiir iie ein
trittst, wie rann na- oann das ene
giment noch weigerntl Und gischicht
es doch — nun, dann wirdl Ziel-hart
leben versetzt und du tust alles-, ihm
ein gutes Regiment zu besorgen.«
All dies entsprach ia dein eigenen
Herzenswunsch des Manne-Z. Und
wenn- sie selbst daraus drang, daß
das Geld hergegebcn trerde —- sogar
zu Opfern dasur der-it war, die er
sie auch zunächst tatsächlich bringen
lassen wollte — —- dann konnte er
kaum noch entgegen sein
Und doch....
Würde Anna es ertragen, gerade
diejenige in der Familie zu wissen«
die ihre Torheit kannte —- sie in
der kleinen Stunde ihres Lebens ge
sehen hattei
Als erriete Anna seine Gedanken,
so se te sie noch hastig hinzu, wäh
rend te ties ertönte- »Daß ich selbst
Vater und Tochter nichtswiedfsehen
mag, begreifst du. Ich weiß e seht:
mich vor dir zu schämen, ist keine
Erniedrigung! Aber gerade den bei
den nieder ins Auge zusehen
Es läßt sich siir altes eine Form sin
den. Auch für dies Vermeiden...«
Er unterdrückte einen kleinen
Seus er.
Alo doch noch Nun, dieses
sich Nusbäumen war vielleicht kein
hochmut mehr — ee war zu be
greiflich, daß ihr ganzes Wesen sich
schamvoll gegen die Tsemiitigung aus
kehntn die doch in tiesem Begegnen
ag.
Und endlich kamen die Gatten über
ein, daß Gras Burehard am Nach
mittag die Glücköhotschast in das
kleine Doktothiiueehen bringen und
Zugleich verabreden solle, daß die
erlobung geheim zu halten sei, bis
die gräsliche Familie Sommerhagen
verlasse, was dann schon in vier Wo
n geschehen könne. So ing man
e ndee schicklich aus dem ge. Die
cochzeit konnte gleich nach dem Ma
nöder hier aus Sommerhagen statt
finden und Gras Bnrchatd mit einer
seiner Schwestern dazu herkommen.
Ein Vorn-and siir Anna, uin seen zu
bleiben, sand sich leicht Auch die
beiden Schwestern teilten vorerst
nichts erfahren, sonst würden sie sich
ja wundern, weshalb Anna nicht
Stephans Israut b.ei nch empfange.
Mit leuchtenden Augen sah Anna
ihrem Gatten nach. lle er den Weg
zu Doktor Schüler antrat.
Gras Burchard selbst befand sich
in keiner so ganz sonnenhellen Stim
mung. Er prüste sich darauf, ob er
schwach gewesen sei, ab er in dieser
Sache so ganz Anna-i Wünschen hätte
solgen dürfen. Sein Herz sagte ihm
zwar immer wievek, baß es zu grau
sam sein würde, Anna den Berleer
mit Sophie Schüler und ihren: Vater
zuzumuten; vielleicht ließ die Zeit
die Erinnerung etwas weniger pein
vvll werden. Jeni.mri, der körperlich
krank war, schonte man sorgsam und
lange. Daß man aber auch einer
Seele, die eben zu assunven anfing,
nicht gleich starte rinstrenguiigen zu
muten durste, war wohl zu bedenken.
Mit diesen Erwägungen gab er sich
schließlich recht.
Sophie Schüler sat, den Grasen
Burchard aus ihr Haus zukommen.
»Vater —- Gras Gener! rief sie von
ihrer Nähmaschine aus.
Der Doktor war in seine-n Stu
dierzimmer und lain nun aus die
Türschwelle
»Der Besuch war just zu erwarten
— ob er uns die Demütigung an
tun wird, unser Schweigen zu erhit
ten?«
»Es lann sein,' sagte das- junge
Mädchen, Jedenfallo aber wird er
uns eine Geschichte erzählen, die uns
das Vorgesallene irgendwie erklärlich
;machen soll. Ader sieh, Vater —
uicht wahr? — er scheint fast heiter.«
Nun klang auch schon die Tür
glocte, und Doktor Schüler eilte hin
aus.
Vater und Tochter konnten dann
zunächst nicht den Eindruck bekom
men, als wenn er uns Verschwiegens
heit bitten oder eine »Geschichte« er
zählen wollte.
Aus des Doktors Frage nach dem
Befinden der Griiim antwortsste er
sehr einfach, dasz eLO ihr troh der
durchgemachten Erregungem in die sie
sich grundlos hinein-gesteigert gehabt,
ganz vortrefflich gehe
Zwei Minuten später tvar es ge
sagt: Gras Burchard hielt für seinen
Neffen, den Leutnanr Stephan Nor
mann, bei Dottor Schüler um die
Hand wn Fräulein Sophie an und
fügte hinzu, dasz er die finanziellen
Verhältnisse des jungen Paores in
geeigneter Weise ord:"i-n werde.
Aber tein Jubelschrei, teine Dan
testriinen antworteten ihm.
Leichenblaß, atemlos saß Saphir
aus ihrem Stuhl Vor der Nahrun
schine.
Mit großen Augen sah sie ihren
Vater an —- mit einein beschwören
den Blick. Und um ihren jungen
Mund legten sich die Züge de-. tief
sten Bitterkeit.
Auch der alte Mann war sehr blaß
geworden.
Er sah zu seiner Tochter hinüber
Lange wurzelten ihre Blicke ineinan
der· Sie verstanden sich, ohne ein
Wori.
Dann richtete des Mann das Auge
aus den Gragen Burchard, der mit
plötzlicher Be leinnsung dies Erblas
sen und Verstumaun wahrnahrn.
Klar und ruhig sah e: ihn an.
»Meine Tochter dinit Jhncn, Herr
Gras. Wir tönnen diesen Antrag
nicht annehmen. Die Verhältnisse
der beiden Liebenden haben sich seit
gestern morgen nicht geändert. Die
Gründe, die für Sie maßgebend wa
ren, Jhre Eintvillignng zu personen,
bestehen fort. Warum wollten Sie
heut’ gewähren, was Sie gestern der
weigerten?«
Die stille Würde deL alten Man
nes hatte fiir den Grasen Burchard
etwas sehr Beschän.endes. Mönlich
begrisf er, daß es eine Auffassung
für die vermeintlich: Glücksbotschait
gab, an die et nicht von serne ge
dacht hatte .....
Arme nnd Ungiiietliche find eben
überwachsenx sie sehen immer danach
aus« weiche Demütigung denn nun
tonnnen wird. Und wenn die Son
nenstrahlen des Glücks sich in vollen
Bündeln zu ihnen herein spinnen,
werden sie erst steigen: Welche kalte»
biise Absicht birgt sieh dahinter?
«Friinlein Sophie.« sagte er ein
dringlich, «spticht Ihr Vater wirts
iich in Ihrem Sinn? Sie lieben
doch Stephon.«
»Ja,« sprach sie mit blossen Lip
pen, aber in ganz beistmmtem Ton,
«Vater spricht in meinem Sinn. Sie
wollen mir heute ans Danibarieit
oder vielleicht gar, nrn unserer Ves
schwiegenheit ganz sicher zu sein, ge
währen, was Sie gestern verweiger
ten. Jch bin zu stolz. um ans diese
Weise mich in Jhre Familie zu drän
gen. Wenn Stephan davon wüßte
oder se davon ersnheen diiiste: er
würde meine haltung billigen.«
Sie war ausgestanden. plikch er
erhob sich.
«Jhre Worte tlingen sehr herbe,«
s each er ernst, .sie enthalten auch
; ne Unterstellnnz die mich nicht
trifft. Jch habe nicht von setn daran
gedacht, m« so Jhree Busch-viewed
beit zu chern. Sie nnterschiißen
»die ausgezeichnete Hochachtung, die ich
r Iher Pater nnd Sie hege. Und
Is« obgleich ich Ihnen viele stets
i
bekundete —- längst Vor diesem un-7
seligen Zwischenfall.«
»Bei-zähen Sie meinem Kind das
zu harte Wort. Sie hat eben viel,
sehr viel gelitten,·· bat Doktor Schü
ier mit zitterndee Stimme. qAber
daß so etwas wie Dankbarkeit im
Spiel ist, daß ohne die Vorgänge die-«
ser Nacht Jhr Sinn sich nicht to
rasch geändert hätte, wirden Sie nicht
leugnen wollen«
«Nein,« gab er eh:lich zu, »das
kann und will ich nicht leugnen.
Meine Frau und ich — wir sind
duich schwere Kämpfe gegangen, zu
neuem Glück haben wir uns inniger,
bewußter als vordem zusammenge
funden Eine Verteitung von Um
ständen zog Sie uno Jhre Tochter
in unsere Erregungen hinein. Sie
haben sich beide als aufopferungsvoll
bewährt — wir sind Ihnen dankbar-.
Aus der gleichen Empfindung heraus
haben wir den Wunsch, Fräulein So
phie glücklich zu seh:n.«
Die männliche Offenheit dieser
Ertlärung entwand dem alten Mann
aile Waffen des Gedclniitigten Aber
seine Ansicht konnte nicht geändert
werden. Sie war nnmnstößlichx denn
seine Ehre hatte sie ihm diktiert.
»Wir verstehen tiefe Empfindung
—- meine Tochter und ich — sa, So
phie, das tun wi:,« sprach er mit
Rachdruck, als wollte er uglekch sein
Kind zur gerechten Einscht ermah
uen, »aber wir bitten. daß Sie auch
unis- verstehen. Wir Ldnnen ein Glück
nicht annehmen, dfisz uns ohne diese
Zwischenfälle nicht urrgeboten wor
den wüte. Wir können nicht« einmal
glauben, daß es so ein Gliicl ist.
Wenn es aber Ihnen und der Gräfin
eine Genugtuung geben kann, ld darf
ich Ihnen sagen, das- in einer Weise
dennoch das Ereignis dieser Nacht
glückliche Folgen hadin wird für uns.
Jch habe mich selbst wiedergefunden
und den Mut, meinen Beruf wieder
auszuüben. Beinah-V schlofz er mit
Heineni ergreifenden Lächeln, «hiitten
Sie inich an-meiner Haustür getrof
zsen, bei der Arbeit, sag Schild »prak
ltischer Arzt« daran zu befestigen.·'
Gras Burchard irae gerührt. Er
verftand den Stolz, die Würde die
ser vielgepriiften Menschen. Sie wur
den ihm in dieser Litunde teuer.
»Dies- zu hören, ist inir eine tiefe
Freude,« sagte er ben--egt, «einecbens-:
innige würde er sssiz sein« wenn
Fräulein Sophie . .. «
»Kein Wort mehr,« but sie in lei
denschaftlichem Schmerz, ,,siihlen Sie
denn nicht die nnisgkiche Bitterkeit,
die für mich darin liegt jetzt
soll mir das Glück gegönnt werden
—- nur weil Ihre Frau eine Torheit
beging wie kann ich —- wie
tann ich! Ob, derzeit-en Sie mir —
ich fühle Jhre Güte —— aber ich lan
nicht darüber weg — immer, immer
wär’s, als ginge jemand neben mir
und spottete: Darum — dar-unt . . ..
Wie, wenn es Ihrer Frau nun nicht
eingefallen wäre, eines der Flasch
chen zu nehmen?... "
Sie brach in heißes Schluchzen
aus.
Und er fühlte weh-, es blieb ihm
nichts, als zu geh-n Zum ersten
Mal in seinem Leben als ein Ge
schlagener. Aus dein Rückirseg ge
stand er sich, daß ee krch sehn-ach ge
wesen fei, wenn auch in anderem
Sinne, als sein Verstand ihm dor
dem nuraunen wollte.
Wenn die Liebe uns- der THAan
seiner Frau wahlzntun, die sich eben
aus fo schweren Verirrungen zur Ge
fundheit einporzuieiten begann, ihn
nicht blind oder doch einseitig sehend
gemacht hätten, triiroe seine Men
schenienntnis ihm doch haben sagen
müssen: Vorsicht! Hier handelt es
sich nicht unt Anna allein! Diese
beiden vornehmen, tiefen, sehr über
empfindlich gewordenen Menschen
wollen geschont sein.
Das war ein schwerer Rückweg
für ihn. Er fürchtete, daß Anna das
eben gewonnene Gleichgewicht aanz
verlieren würde.
Und seine Furcht bestätigte sich
ganz und gar.
Anna geriet außer sich.
Der siiiie, leidvoiie und doch so
unendlich würdevolie Stolz der bei
den Menschen machte ihr ihr eigenes
Wesen ganz verhaßt.
Und über diese harte sie sich erha
ben geglaubt!
Im Maße, mie sie noch wuchsen,
wuchs auch ihre Scham vor ihnen.
Graf Burchard mußte ihr zureden,
daß sie in Selbstvorwiirfen nicht zu
weit gehe.
Umsonst!
Und mit immer großerem Jammer
wiederholte sie es:
»Ich habe kein Recht auf Glück,
zfoiange ich diese Liebenden nicht gläcki
;lich weis-X
Er sah es: in einer jungen, leiden
schaftlichen Frauenfeele geht viel vor,
das der Logik spottet.
Ader aus seinem Gefühl heraus
begriff er völlig, was Anna empfand:
sie mußte, was sie sich selbst Uebles
getan hatte, gut machen, indem sie
andern zum Glück verhalfi
—- Unter Freunden. .Du
hast Dich schon wieder mal von
neue-tina verlieh-if l so H
- , un esma qax e r ge
fahkngs i
Tin Held.
Von Alexander Dur-tas
Der haß, den der Sieilianer ge
gen den Neapolitaner hegt, ist fast
noch größer als jener, welchen der
Portugiefe dern Spanier entgegen
bringt. Kurz bevor ich nach Palermo
lam, trug sich folgendes merkwürdiges
Ereignis zu: Ein neapolitanischer
Soldat war aus irgend einer Ursache
zum Tode oerurteilt worden. Er
sollte erfchossen werden. Da die Nea
politaner im allgemeinen nicht im
Rufe besonderen Mutes stehen, er
warteten die Sicilianer den Tag der
Hinrichtung mit großer Ungeduld»
und Schadenfreude, um sich zu über
zeugen, in welcher Weise der neapoli
tanische Delinquent zum Tode gehen
werde. Die Landsleute des unglück
lichen Todestandidaten waren darob
nicht wenig besorgt, denn sie hatten
alle Ursache, anzunehmen, daß ih:
Landsmann nicht sehr yeldenmiitig
sterben und ihnen solchergestall
Schande machen werde. Die Situa
tion erschien ihnen demnach in keinem
rosigen Lichte. Die nationale Eitel
teit zu retten und den Sicilianern
den Spaß, welchen sie sich von der
Hinrichtung versprochen, zu verder
ben, wendeten sich die Neapolitaner
an den König, um eine Begnadigun
des Soldaten zu erwirlen. Doch da
es sich um eine schwere Sude-winn
tiongverletzung handelte, tonnte der
sonst so gutmütige König dem Gesuche
teine Folge geben; die Gerechtigteit
sollte ihren Lauf haben· Die Neapoli
taner beratschlagten, wag wohl in.
dieser schwierigen Sachlage zu tun
am besten sein werde. Der eine der
tompetenten Männer gab den Rat,
die Exetntion in aller Stille mit Aus
schluß der Oeffentlichteit abzutun·
Dies wurde selbstverständlich verwor
fen, da Heimlichteit in dieser Sache
den Spott der Sicilianer erst recht
herausgesordert hätte.
Man verfiel auf die seltsamsten
Austunftömitteh welche aber alle an
dem Kardinalsehler der Unausfiihrs
barleit litten. So herrschte denn die
größte Ratlosigteit und noch größere
Verlegenheit unter den Neapoli
tanern. Dazu benahm sich der un
glückselige Delinquent in einer schreck
lich unincjnnlichen, verziveiselten Wei
se. Von dem Augenblick an, da
man ihm das Todesurteil vorgelesen
hatte, weinte und betete er unauf
hörlich, bat um Gnade und empfahl
seine Seele dem heiligen Januariu5.
Es schien seinen Landsleuten zweifel
los, daß man den blutjungen Feig
-ling zum Richtplatz werde schleppen
ziniissem Unter verschiedenartigen
Ausfluchten verzögerte man die Hin
richtung so lange als möglich.
Schließlich fand man zu einem wei
Tteren Aufschub keinen Grund mehr
sund der Rat fand sich ein letztes Mal
szusammem um in Erwägung zu zie
hen, ob es denn nicht doch noch mög
lich wäre, aus der heitlen Situation
einen passenden Ausweg zu finden.
Nachdem die Neapolitaner eine zeit
lang schweigend und sinnend dage
’sessen waren, niemand Irgend einen
rettenden Gedanken äußerte und man
schon betrübt auseinandergehen woll
te, erhob sich der Alniofenier, ein
ehrwürdiger alter Herr, und ver
sicherte den Herren, daß er ein zweck
entsprechendeö Mittel wußte. Doch
möge nian weiter nicht in ihn drin
gen, daI Mittel sei vollloininen sicher
»und er derbiirgtc sich fiir dessen Wirt
fainteit. Da die Neapotitaner jahen,
daß der Almosenier entschlossen war,
ihre Neugier nicht zu befriedigen,
fragten sie nicht weiter nach seinem
Mittel und fixierten die Stunde der
Hinrichtung, welche am nächsten Vor
mittag uin IU Uhr stattfinden sollte
Als Richtplatz wurde der zwischen
Pellegrina und Castellamare gele
gene Platz bestimmt, ein Raum, wel
cher groß genug war, alle Bewohner
von Palermo zu fassen.
Am Abend, welcher der Hinrich
tung vorherging, begab sich der Al
mosenier in’s Gefängnis. Als der
Delinquent seiner ansichtig wurde,
stieß er ein schreckliches Wehegeschrei
aus, da er glaubte, er sei getonimen,
ihn zum Tode vorzubereiten Aber
anstatt ihm die Beichte abzunehmen,
teilte der Almosenier dein jungen
Reapolitaner mit, daß der König ihn
begnadigt habe. »Begnadigt?« rief
der Berurteilte freudebebend. »Mitt
.sich begniidigt?«' — »Ja!« erwiderte
der Priester. —- »Also ich werde nicht
erschossen werden? Jch werde nicht
sterben? Der König läßt mich am
Leben?«« — »Du wirst nicht sterben,
mein Sohn", erwiderte der Greis,
«doch der König begnadigt Dich nur
unter einer Bedingung. . ."
»Unte: welcher Bedingung?« sprach
der Berurteilte, indem die Blässe der
Furcht auf seinem Antlitz wieder sicht
bar wurde. —- »Unter der Bedingung,
daß alle Borbertitungen so getroffen
werde als ob Du wirtlich erfchossen
würde . So wirst Du heute abend
die Beichte ablegen, in ganz derselben
Weise, als wenn Du morgen wirklich
in den Tod gingest; man wird Dich
morgen genau so auf den Richtplaß
führen, als ob der König Dich nicht
begnad t hätte; s ließlich wird man
auch an Dich schie en, allein die Ge
wehee werden nicht geladen sein«.
Jst-Ists e- ng- wikiiia so, wie
Jht mit sagt, mein Vaters« ftug der
Berurteilte zögernd. da er diese met-t
wtirdige Prozedur nicht recht ber
stand.
»Welche Ursache hätte ich, Dich zu
täuschen?" fpra der Petester.
»Das ist wa et« mutmelte der
Soldat. »Als-) ich bin wirklich be
gnadith Jch werde nicht streitet-P
»Gewiß, mein Schut«
»Jua)he!« rief der arme Bursche
freudesttahlenb. »Es lebe der gute
König! Es lebe der heilige Janua
riust Es lebe die ganze Weltt«
llnd er tanzte vor Seligkeit in feiner
Zelle umher· —- »Was treibst Du,
mein Sohns« rief der Priester.
»Hast Du schon vergessen, was ich
Dir soeben agtes Deine Begnadi
gung ist ein Geheimnis, bgn welchem
niemand, auch nicht deIF Schließer
etwas wissen darf. Auf die Knie denn
Und beginne Deine Beichte. ganz so.
als ob Du morgen sterben müßtest!«
Der Verurteilte erkannte vie
Wahrheit dieser Worte, warf sich avf
die tinie und betchtetc. Der Almo
senier gab ihm die Absolution, wor
auf sich der Soldat abermals durch
eine Frage zu oergewissern suchte, ob
seine Begnadigung aus Wirllichteit
beruhe. Der Priester beruhigte ihn
in dieser Richtung vollständig und
ließ ihn allein. Kaum hatte der Al
mofenier die Zelle verlassen, als der
Wängniöwärter eintrat. Zu seinem
«ni t geringen Erstaunen hörte er,
wie der Delinquent eine leichte Arie
vor sich hin trällerte. »Ja weißt
Du denn nicht« daß man Dich morgen
Erfchießen wird?« fragte der Schlie
er.
»O ja!« erwiderte der Soldat
ruhig. »Aber ich habe soeben gebeich
tet und empfing die Adsotution aller
meiner Sünden. Das gibt mir die
Ruhe meiner Seele wieder«.
»Das ist freilich etwas anderes
...«, meinte der Schließer nachdenk
lich... »Wiinscheft Du vielleicht ir
gend etwas?« —- Jch habe Hunger
und möchte gut essen«.
Er hatte seit zwei Tagen nichts
gegessen. Man brachte ihm ein reich
liches Nachtessen, das er mit der Gier
eines Wolfes verschlang, dazu trant
er zwei Fiaschen Wein, worauf er sich
auf fein Lager wars und in festen
Schlaf verfiel. Am nächsten Morgen
Mußte man ihn tüchtig riitteln, ehe
’er erwachte. Der arme Teufel hatte
erit er im Gefängnis war, tein Auge
igeschlossm Die Nachricht von dein
ungewöhnlichen, heldenmiitigen Ge
bahren des Verirrt-eilten hatte sich mit
Blitzesschnese in der Stadt verbreitet.
Man raun e einander in die Ohren,
daß der Neapolitaner wie zu einem
Feste zum Richtplatze schreiten wurde.
Die Siciiianer lächelten darob Liber
legen, konnten sie doch an eine der
artige Wendung nicht glauben.
Um sieben Uhr machte der Delin
quent Toilette· Er zog schneeweiße
Wäsche und eine sorgfältig gebürstete
Uniform an. Er war fo schön, wie
ein neapolitanischer Soldat nur sein
sann. Er bat, zum Richtplatze zu
Fuß und mit ungesesselten Händen
gehen zu dürfen. Man leistete seiner
Bitte Folge. Der Richtplatz war mit
einer unuberfehbaren Menschennienge
bedeckt. Als der Delinquent aus dein
Gefängnier trat, gruszte er nach
rechts und links; auf seinem Gesichte
lvar auch nicht eine Spur von Angst
und Verzweiflung zu sehen. Er durch
schritt ruhig und fest austretend das
dichte Spalier, das sich zu beiden Sei
ten seines Weges gebildet hatte, und
winkte ad und zu einem Kameraden
seinen Gruß zu. Einigen schüttelte er
die Hand und erwiderte ihre Worte
fdeS Bedauernz mit weisen Ausspru
schen, wie: »Das Leben ist ein wert
sloses Gut«; ,,es ist gleichgiltig, wann
man stirbt, da man doch einmal ster
sben muß« etc. Die Landsleute des
sangen Helden schwelgten in Wonne
Hund Seligkeit. Vor dem Laden eines
jWeinhändlerS bot man ihm einen bis
»an den Rand gefüllten Weinbecher.
lEr ergriff ihn mit fester Hand und
Tleerte ihn auf die Gesundheit des Kö
;nigs... Das Staunen der Sicilianer
sevuchs von Minute zu Minute. Doch
:sie gaben sich noch der Hoffnung hin,;
ibaß der ertünstelte Mut des Neapoli
Ttaners auf dem Richtplahe des To
des jämmerlichen Schiffbruch leiden
würde. Jhre Hoffnungen sollten nicht
erfüllt werden. Festen Schrittes
und vollkommen furchtlos betrat der
junge Soldat das Plateau, auf wel
chem er sterben sollte, und bat. mit
unverbnndenen Augen dem Tode in’s
Antlitz sehen zu dürfen. Man ge
währte ihm auch diese Bitte. Weiter
ersuchte er, man möge ihm gestatten,
das Kommando zum Feuern selbst
abzugeben. Die Sicilianer waren
starr vor Staunen und Bewunderung.«
Neun Soldaten legten auf den Drän
quenten an, welcher mit fester
Stimme ohne eine Miene zu ver
ziehen, ,,Feuer!« tommandierte. —
Er fiel, von acht Kugeln durchbohrt,
tot zur if e, ohne auch nur einen
Seufzer v sich zu geben. Der Freu
denschrei der Neapolitaner erscholl —
die nationale Ehre war gerettet, und
die Nation wob um einen —- beiden
mehr ihren Sagenkreis. »k:
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J —- Williährig. Hans-from
»Ich hoffe-, daß ich nie einen Solda
Jten in der Küche sehen werd-«
Neue-: Dienstmädchen: »Mi- Ma
dam wünschen, mein Dtagoner km
sich in dem großen Küchenscheant ja
bequem verstecken.«