Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 06, 1918, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag iblatt des
Neigt-ti- aneigjer undtHerold
Ging-·- M ;;;;;
- n HEuskr dem «
·" vktyulttku Famil-.
Von —.dmnine Mai-setz
Doch iiber der Schlucht, in deren
unabsehbaren Tiefe die wilde Alb
ibr tosendes Lied sang, lag das
kleine Wälderdors —- etnms znriirl,
einem Hügel zu, ans dessen Mitte
Kirche nnd Wirtshaus thront; da
hinter lag der Wald nnd vorn, am
Abgrund, die Wiese; schrosse, säh
and der Schlucht steigende Felswan
de umschlossen sie, nnd hier, »unter
einem mit Moos bewachsenen Fels
stiisoöteand ein Bildern-ich er.stellte
« Z r, ungeschickter Zeichnung ei
nen Engel dar, in blanem Gewan
de, wie er in ein rote-J Taschentnch
weint; darunter stand: »Herr, sei
der armen Meinen gnädigl« —
Eine Mahnung an jene Männer des
Dorfes, die dem Laster des Trnnless
ergeben waren nnd wegen ihrer
scheit, Faulheit nnd Diebsgeliiste
in den Nachbardörsern eine-s trauri
gen Zinses genossen. Der es aber
am schlimmsten getrieben von allen,
biesz Balthez Trönklez so lange er
noch einen Groschen im Sack hatte,
fand er den Weg nicht nach Halssc,
und ei tiinnnerte ihn wenig, "dasz
der-weilen seine Kleinen in der
dunklen Stube des am Ende des
Ortes gelegenen Hauses ängstlich
aus sein Kommen harrten. Diese
Angst aber steigerte sich gnr Ver
gweisinng wenn hinten nnd dem
Stall das jämmerliche Merlern ei
ner lege kein Ende nehmen wollte.
« nn sie doch ans der Stelk
sterben töt!« Wie est schon war
dem nächtlichen Himmel dieser
Wunsch unter heißen Tränen anver·
traut werden.
So amt- einez Abends-. Die Kin
der standen am Fenster nnd starr
ten ratlos in die Nacht hinaus, die
weil der Mond, der eben hinter
einer sehn-at en Wolke hervortam,
das troc ot nnd Entbehrnng
rundliche illudergesicht des größeren
Mädchens lieblich beriliirtez neben
ihr obs-, bleich nnd streng, mit Au
gen wie die einer Rahe, lehnte die
Schwester, in ihrem Nacken erhob
sich ein Höcker, nnd sie innilannnerte
Heu sennenverbraimten Arm der
Meinen mit diirren, stahlharten
Fingern.
»Wir wollen iie totnmchen,«
sprach sie im Fliiitettonc, «nanztot,
dann brauchen wir kein Futter mehr
su stehlen nnd keine Angst mehr zu
haben vor dein Ieidielpiin. —- dann
hört iie ani mit ihrem Meilen-, und
wir kriegen keine Schiäg’ mehr.«
Und Höflich iich eng an die Schwe
ster ichm egend: »Armes Tn iie um«
Leute, bring« Du sie unt —
Das Kind fchiittelte den Kopi.
Jmmer ich — immer ich.«
Weil Tn stark bist; Dir tnn die
Knochen nicht io weh, wenn er hont,
aber mir, o miri«
Die Ilnqen der kleinen Buckligen
ichillektety nnd über ihre nniindlii
eben Züge ging ein newöjez Zinsen.
»Sie ’ ihr die Stricknadcl hinein,
ins bk,« inhe iie zu sprechen fort
»M merkt niemand, nnd dann ist
Iie eiiokbenz es geht schnell, nnk
rechte zustoßen, dann iit’e ans.« Sie
verschwand im Dunkel der Stube
und kenn mit einer Nabel zum Fen
ieeusukiic «Ninnn, ninnni« dräng
e e.
Aber das Lenie wandte iich von»
g- eil-. ..Gel)’ mit Deiner Nabel-I
s- ich mag nicht«
Die Schwester lachte hart ani«
-«M mein' ich mich ielber tot —i
s ja, ich ist«-i Besser, man liegt im’
Omb- eli alle Tag' Schläg —’
M tillein Dein Futter suchen,
W Psu M, wie Dir-S geht«
M beei« kie das Lenle eint
ändbekiieh mit Nabel die Sin
«
Jm Stall, die Ziege wars sie snit
um, so prallte ite auf das Kind
los, mit vorgestreckter Schnauze-nach
dessen Händen haschen-z
»Gut-' nichts,« seuszte das Leute,
aber komm, tet schön still, sonst muß
ich Dich umbkistgen.«
Sie streichelte das Tier und gab
ihm gute Worte; da dies nicht hals,
versuchte sie, dem widerspenstigen
Geschövs die Schnauze mit der
Schürze zu umwickeln: da tat das
Tier erst recht verzweifelt und die
Kleine stürzte etltq vor dte Türe
M lauschte tn die Nacht hinan-, ob
M Unter nicht kommt-. Dann kehr
te Its tn den Hos znkitck nnd starrte
f sum Lindenbaum, tm Nach
te Beim sie bon dort etne
Mist voll Blätter hätte holen
—- aber der Nachbar der
M, war auf einer Dut; ein
Æ,å rtmmtqek shuud bewach
åsattum seines ern Len
dem ttet und
eNSo .IU« II III-II fass
mässie hinüber-; dann erhob es die
gänd und qkiis vorsichtig in die
eige des Baumes: der Hund
schlug an, nnd voll Schreck fuhr die
Meine zurück.
Und dem Nachbarhause aber trat
eine Frau, ries mit leifer Stimme
den. Hund beim Namen und holte
ilsn zu sich herein; das hatte sle
schon so ost getan, denn dem tin
derloien Weibe stosz das Herz über
vor Mitleid mit den armen Meinen
drüben. Sie war der Meinung,daß
man sich ihrer annehmen müsse, al
lein ihr Mann, der Feldsrlsiiy, wollte
nichts davon wissen, und fertigte sie
immer mit der Weisung ab: Jeder
lehre vor seiner Türe —. denn er
sah es aus der Welt nicht ein, Gut
taten an solche zu verschwenden, die
aus nichts weiter bedacht waren,alö
das Eigentum anderer zu gesiihrden
Auch der Pfarrer nnd der Bürger
meister, die die Frau siir das
Schicksal der Kinder des- Trunken
boldes zu interessieren suchte, hat
ten nnr ein bedauerlich-es Achselzuts
keu siir ihren Vorschlag, die Klei
neu von dem rohen Manne wegzu
nehmen. ,
»Er ist nun einmal der Vater-«
hiesz es, und außerdem, der Trönlle
galt siir einen, der sich nicht lange
besann, mit dem ersten besten Stuhl
bein den ersten besten Schädel ein
zuschlagen —, wer wollte mit so
einem zu tun haben?
So tat denn die Frau in aller
Stille nnd siik sich allein, was sie
iür das Richtige hielt; allein so
sehr sie sich auch bemühte. dad Lenle,
dessen allezeit freundliches Gesicht
chen es ihr angetan, an sieh herau
zuziehein die Brigitt' liesz es nicht
zu; sie erlaubte nicht, daß die
Schwester der Nachbarin Hans be
trat, nnd das Lenle stand ganz nn
ter dem Bann der um zwei Jahre
älteren und so viel tliigeren Bri
gitt·. Es nahm wohl jede Gabe,
die ihr die Nachbarin reichte, treu
dig in Empfang lies aber gleich
damit zur Schwester, die in allen
Dingen den Hanptanteil siir sich
in Anspruch nahm. Judesz dem
sonnigen Geniiit des Kindes konnten
anch die. schm Besten Un erechtiglets
ten nichts an inbenz es sa setztgauz
vergnügt im Innern des Baumes,
liesx geschäftig Blatt um Blatt in
das aufgehobene Schiirzlein gleiten
nnd lang dazu, alle Nat vergessend,
mit iilberhellem Stinnulein in die
laue Sommers-acht han«-ne lind die
Frau des Feldschiihen stand lau
schend am Fenster nnd mnrnielte
senszend vor iich hin:
»Warum gehört das Kind nicht
mir's-«
Unterdessen tanmelte Valses
Trönkle, der Vater, in völliger
Trunkenheit die Landstraße einher
nnd brauchte sast eine halbe Stunde
zu dem iiins tlltinnten langen Wege
vom Wirtshause bis zum Ende des
Dorfe-L
Als Tröutle sich seinem Hause
näherte, ließ er das Fluchen, das er
den ganzen Weg her keinen Augen
blicl ausgesetzt, plötzlich bleiben,
reckte den Hals nach dem Stall hin
und verharrte so in längerem Lan
schenz es war offenbar, die Ziege
hatte ihr Futter bekommen, denn iie
war still, und Trönlle riß die Hans
tiire aus und tanmelte in die Stube.
Die Kinder la en schon droben
aus der obersten r steingedeelten,
übereinander geschichteten Oseubiinle
und starrien mit großen, angstersiitls
ten Augen dein Vater entgegen.
Sonst, wenn sie meckertr. die Siege
riß der betrunkene Mann die zit
terndeu Kleinen von ihrer Lager
stiitte herunter und schlug so lange
blindlings ani sie ein, bis er nicht
mehr konnte nnd aus die nnterste
Osenbanl saul; von dort wars er
ieine Stiesel, seinen Rock nnd was
er sonst u erreichen vermochte-, den
wimmern i Kindern nach, die blu
tend und zerschunden, sich in den
Schrot weisse-« »
f iHaue feoocn oce Ziege nn- wir-(
Iick bekommen, ließ der Mann die!
Kinder in Ruhe nnd nahm, da er
doch einmal das Malirätieren in der
Gewohnheit l)aiie, in Ermangelung
von etwas FAde-rein das nächste;
fcheibenlofe sie-schen aufs Korn.
Das Lenle machte fich ans dieer
Unrfqefchoffem fo lange fie nichi
feinen Kopf qeföhrdeietn keinerlei
Somer nnd ihi ruhig aimendes
Kindemefichi zeuaie nicht von Trän
men, die die dlifiere Gegenwart wie »
berauben
Ilnders die Briniii’. Mit weit
offenen Atmen lan iie da, nnd ihr
elende-: Körper znckie allemal
krampfhafi znfnnnntm fo oft ein
Gegenstand von der Ofenbank her
gegen das Fenster flog. Und wenn
flch endlich in der nächtlichen Stille
die singen der kleinen Vuelliqen
fchlcffem fo wnt s der Feldfchiih, der
fie· im cmnme ängstlqu nnd fle
eriappie aus ihrem Wege durch die
Wiesen, beim Stehlen des Futters:
und sie winnnerie im Schlafe und
bat nnd siebte: Einmal noch, ein
mal noch möge ers hingeben lassen
nnd dein Pater keinen Straszeiiel
bringen, sonst schlage er sie tot —
er hatte es gesagt —- noch einen
Straszeiiei nnd er schlage sie iet.
Schweißgebadet fuhr das Kind
aus dem Schlaf und setzte sich ans
mit behenden Gliedern, indesz die
schmale- eingesnnkene Brust nach
Atem ronq.
lind sie saß und starrte ins
Dunkle, und böse, seltsame Wün
sche. keiften in der jungen Brust.
Oele inbrünstig sehnte iie sich nach
dem Tode ihres Peinigers, der da
unten lag und schnarchte und dessen
harte Hand ihr so viel Schmerz an
tat. Und — »Schlag« ihn mit Dei
nem Blih tot Gottvater,« lautete
die Bitte, welche allnächtig ans der
bautiilligen Hütte des Balthes
Trönlle zum Himmel stieg.
Des Morgens wanderten die
Kinder aus; das Lenle mit der Si
chel unter der Schürze-die Brigitt«
mit einem Sack unter dem Rock; sie
nahm iich neben dem rosigen, hell
blonden Kinde wie ein Schatten
aus, wie das Elend und Leid neben
der Kraft und Gesundheit; allein
ihr kanenartiger Blick fah nnd prüf
te alles und ließ sich leinen Vorteil
entgehen. Mochte das Lenle in
Gottes Namen vor Hunger weinen
wenn nur sie, Brigitt’, satt wurde.
Mit einer List, die nicht ihredgleis
chen hatte- schwindelte sie der Schwe
ster das Stückchen Brot ans der
Hand, den Schluck Milch den den
Lippen; nnd die Miste und Ohrfei
gen, die der Pater tagsiibey tm
Zustande der Nüchternheit austeilte,
sie traten immer nur das Lenle;
denn die Brigitt' wußte es so ein
zurichten, daß dad Leute immer die
Schuldige war.
»Es ist so dumm, dass es singt,
wenn's stiehlt,« vertlagte sie’s beim
Vater-, den sie wie eine Katze um
schmeichelte, um es dann freilich
immer wieder erleben zu müssen,
daß er des Abends-, wenn er be
trunken war, leinen Unterschiedzwis
schen ihr und der Schwester zu ma
chen imstande war. Denn es ließ
sich nicht verkennen, die Brigitt·
galt ihm mehr, als das Lenle, das
ihm mit aufrichtiger Scheu ans dem
Wege ging und ihm nie schön tat,
dagegen entsetzt ausschrie, so ost die
Schwester ist verbissenein Groll die
Worte murmelte: »Wenn er doch
gleich tot l)iusiel’l«
Es wollte überhaupt nichts vom
Sterben wissen, das Leute, und
dachte an kein Leid mehr, wen-PS
mit der Schwester iiber die Wiesen
schritt und die wundervolle Jagd
mit dem Feldschiihen anging. Dass
diinlte ihr gar so herrlich, ihn zu
überlisten, und wie es die Brigitt’
verstand! Gerade alss habe sie
zwanzig Augen im Kopi, statt zwei:
das Lenle in seiner linvernnnst
enwsand die ganze Sache als ein
eures Vergnügen-, während die
Brigitt’, die Todesangst im Herzen,
wie um ihr Leben spielte. Sie ahn
te die Nähe des Gesiirchteten oft be
vor sie ihn sah, und wenn es vor
kam, daß der Feldschüh die kleinen
Diebinnen bei der Tat ertappte, da
war sie, die Brigitt’, stets die lin
schuldige.
»O nur keinen Straszetteh nur
keinen Straszettel,« stehte sie den
Mann an, denn sonst schlagt und der
Vater alle zwei tot, und ich hab’
doch nicht stehlen wollen, das Lenle
hat’d allein aetan.«
Und der Zeldichntz lieu sich von
dein jammervolles-, in Tränen ans
gelösten Geschöpf immer wieder be
tören, gab in Gottesnanien dem ge
sunden Lenle ein paar Ohrfeigen
nnd sündigte den Straszettel iiir
das nächste Mal an.
Eines Tages schrieb er iie denn
auch ans, nnd Brigitks Beredsams
seit, ihre Tränen nnd anch die Dro
hung — der Vater schlagt uns beide
tot —- Inachte seinen Eindruck mehr
«Nein, jetzt ists anö,« erklärte
»er, Hebt gibts einen Straszettel —
Tnnd damit sertig.«
; Die Brigitt nah-n das weinende
ILeiile bei der Hand:
»Trag’ ihn nnr hin, trag’ ihn
hin,« schrie sie dem Feldschiihen
nach, »aber das sag’ ich Dir, tot
schlagen lasien wir uns nicht —- lie
ber machen mir nnd selber tot.«
Der Feldlchiih lachte und schaute
ihnen nach, wie- sie über die Wiesen
eilten nnd dann den kleinen Psad
einschlagen hinaus znin Felsen·
Drehen ani dein griinen Fleck
weideten die Ziegen des Dorfe-, ge
hiitet von einent steinalten Hirten,
der iasz nnd strirlte, und die- Kin
der nicht weiter beachtete.
Die Brigitt’, das Lenle bei der
Sand haltend, zerrte et vor bis
s
vorniiber teils über die Wiese,
teils über den Abgrund neigte. Und
die kleine Bucklige deutete hinab in
die S lacht, aus der das dumpfe
Tosen er Alb stieg.
»Da «- da ist«ö," ilüsterte das
Kind, »du miissen wir hinunter
dann sind wir tot.«
Das Lenle risz die Augen weit
ans: »Ich will aber nicht tot sein-«
Brigitt’ hatte nur einen verächt
cichen Blick sin diese lAcenszerung und
hockte sich nieder, indem sie vorsich
tig den Rock ums Haupt schlug,
denn es regnete, und die Sonne
stieg hinter dem Törslein in einen
schwarzen Wollensacl; drunten aus
der Wiese beeilten sich die Leute, das
Den unter Dach zn bringen, und da
und dort schwankte ein voller Wa
gen dem Dorfe gn
Die Brigitt’ schaute über das al
tes weg: »Was hat man von dem
Leben-« murmelten ihre Lippen,
immer die Geis, die Futter will,
und der Vater, der drein schiagt —
das ist alles —«
jäh jener Stelle, wo der Fels sich
»Aber vielleicht,«. meinte das Len
le, nnd ein frendi er Schimmer ging
liber- sein Gesteh en, »vielleicht gibt
nns die Mai-in an Weihnachten
wieder Gipfel-«
s »Im Himmel kriegt man alle
Lage Gipfel,« warf die Brigitt'
sm.
»Glaubst Tuns-' kam es etwas
zweifelnd von des Kindes Lippen,
«aber ich will doch lieber nicht ster
deu,« setzte es gleich darauf mit
einem heftigen Schütteln des Kop
fes hinzu.
»Dann geh· nnr allein Dein Fut
ter holen," sagte die Brigitt’, »ich
mach’ nimmer mit-«
Es guckte keine Muskel in dem
Hirten Kindergesicht, und der Blick,
r zum letztenmal das Bild der
Heimat in sich aufnahm, drückte kei
ne Wehmut ans·
»Sei nicht dnnnn,« sagte sie zum
Lenle, wag besinnft dich lang?«
»Aber die Geis muß ja verhan
gern,« stammelte die Kleine
»Gefchieht ihr recht, sie soll nur
drmifgehen.«
: Lenle suchte nach einem neuen
Einwand: »Alle Lent’ beten zum
lieben Gott, wenn sie sterben, wir
wollen anch beten.«
Brigitt’ schüttelte den Kopf: »Das
ist nicht nötig, wenn inan’s so
schlecht gehabt.«
»Am End· könnt-s aber doch nötig
sein,« beharrte das Les-le, worauf
die Schwester mit einem Achselznki
ten wiederholte:
»Dann geh’ nur allein TeinFnts
ter holenl«
Jeht überlan die Meine ein tie
fes Angstgesiihl:
,,Brigittle,« bat fie, »lonnn heim,
ich zeig· Dir ’n)as, ich hab’ ein klei
nes Piivple von der Nachbarin hin
ten ini Garten vergraben —- ich hol’
Dir’s, Brigittle —«
Sie wollte davon eilen« allein die
Schwester hielt sie fest:
»So, Du hast was vor mir ver
sterkt —- gelt, Tn denkst, seht haltet
Jhr zusammen, Du nnd die Nach
barin, nnd Du kriegst alles allein,
nnd darfst bei ihr in der Stnb’ sit
zen —- aber die —- die ist auch
schlecht, o die ist so schlecht wie der
Vater —, wart’ nur, bis sie Dich
hat, dann zieht sie Dir die Haut
iiber die Ohren-" «
Auf der Wiese, die Bauern, wa
ren nicht nienig erschreckt, plönlich
zwei dunkle Körper von oben, ans
den Lüsten fansen zu sehen; eines
der Kinder stürzte hart an der
Wiese vorbei hinab in die Schlucht,
das andere siel ans einen dicht am
Abgrund liegenden Heuhanfein
Jetzt liefen die Leute zusammen,
nnd ein großes Geschrei entstand,
als sie in dem besinnungslosensiind
des Balthes Trönlle Lenle erkann
ten. Jemand lief nach dem Vater
der Aleinenx zugleich mit ian kam
der Feldschiih nnd sein Weil-.
Tranke starrte tuie ein Blödsinni
ger in die Schlucht, alö man ihm
das Schicksal seines ältesten Kindes
mitteilte-: die Nachbarin aber wars
sich, in lantes Weinen ansbrechend,
iiber das tLenLle hin. .
»’.«tbgc1mrzt·s" fragte oer Gentu
che, der mit dem Bürgermeister her
beigeeilt war.
»Ich weiss nichU siotierie der
Feldschiitz, »ich hab« sie beim Futter
siehlen getroffen nnd ausgeschrie
ben, da hat die Brigiit’ gesagt, der
Vater schlag' sie tot, nnd mir nach
gernsen —- totschlngen ließen sie
sich nicht, sie wollienjich lieber selbst
toiniachen.«
Jn diesem Augenblick kam deri
alle Hirte, der ans dein Felsen
droben die Ziegen hütete-, ganz ans
geregt über die Wiese gerannt ;
»Seht- Mario, Jesus Marin,«»
leuchte er schon von weitem, »was
ist geschehen, was ist geschehen —
D Migitt’ hat«-s Lenle vom Fels
hinunter gezerkt —- ich denk’, sie
machen Spaß —- ans einmal ist’s
geschehen.«
»Das ist ja iürchterlichi« entsetste
sich der Geistliche-, und der Bürger
meister siigte hinzu: ,,Mord nnd
Selbstmord unter Kindernl«
Inzwischen aber hatte des Feld
schützen Weib dem Lenle das Hemd
von den Schultern gerissen, um nach
dem Herzschlag des Kindes zu lau
schen —- und da, welch einen Anblick
bot der kleine, mit blauen Mälern
Schwielen nnd Striemen über nnd
über bedeckte Körper
»O dn Leiden Christi,« schrie die
Frau ans, »du schaut her, schaut
alle her-—- so einem gibt Gott Kin
deri Um ein bisle Futter, das ge
stohlen wird, kümmert sichs Gericht
aber einem Trunkenbold legt keiner
was in Weg, und wenn er seine
Kinder bis in den Tod treibt. Ja
wohl, Herr Pfarrer, der dort, der
Vater ists, der die fürchterliche Tat
getan —- auf den allein kommt sie,
nicht ans die Kinder. —- Bin ich
nicht bei Euch gewesen nnd beim
Bürgermeister — zwei-, dreimal
hab' ich’ö Euch ans Herz gelegt —
dem Trönlle seinen Kindern mnß
man helfen, die muß man retten,
hab' ich gesagt, bevor es zn spiit.s
Aber’s hat sich keiner gerührt, JhrI
nicht nnd der Bürgermeister nicht;
— ich soll ichweigen, hat's gehet-;
ßen, ’s geh mich nichts an, ich sollt
vor meiner eigenen Tiir kehren. —f
Jetzt aber schweig« ich nimmer, dennf
hättet Jhr aus mich gehört, das Un
glück tviir’ nicht geschehen. Fiirs
Trinken freilich, da habt Jhr’ Män
ner alle ein Verständnis nudmeint,
was im Trunk geschieht, das sei lei
ne Sünd’, nnd keiner denkt dran,
daß er feine Kinder ins Laster
treibt, Jvenn er im Rausch heim
kommt, nnd sie’5 mit ansehen mits
sen, was der Wein aus ihrem Vater
gemacht. Der ober« —- nnd sie
wies niit aitsgestrecltem Zeigefinger
auf den an allen Gliedern zitternden
Triinlle hin, »der hat sie gar in denl
Tod getrieben —- nein, weg da,«
schrie sie ihn an, als er mit linki-»
scher Geberde sich dem Lenle nähern
wollte-, »Du hast kein Kind mehr,’
Du hast Dein Recht verscherzt nnd
magst Dir sagen: ich hab’ sie beide
in den Tod getrieben —- dais gehört
jetzt mir. Ja wohl, Herr Pfarrer,
und Jhr sollt mir helfen, dasz er’s
verspricht — da, vor allen Bauern
— unds Euch schriftlich gibt, daß
er von dein Kind läßt, denn der
gibt’s Trinken nimmer auf, nnd an
dem armen Geschöpfe lönnt’ Jhr’s
sehen, wie der feine Pflicht verstan
den hat. Jch hofo Herr Pfarrer,
Jhr laßt mich nicht wieder umsonst
reden-«
»Nein, nein," sagte der geistliche
Herr, »wenn-«- Enrem stiiann recht
ist, nnd Jhr das tiind ivirllich anf
nehmen wollt, so will ich mit dem
Trönlie schon sertig werden«
»Ja, mir ist’«3 reitst, Herr PM
rer,« erklärte der Feldfrliiih, tvnrde
aber von Tröstlle nuterln«ocl,sen,der.
mit etwa-I unsicherer Stimme ansan
begehren suchte. f
Aber da hießen sie ihn alle schweisf
gen, die Männer nnd Weiber, diei
da standen nnd lanschteu; mit eineiui
Schrei der Wut und Entriislnugi
riirlten iie ans den Trunkenboldi
ein, der sich erschrertt hinter dem
geistlichen Herrn fliichtete; er sah,
er war allein, es stand ihm niemand
bei, er hatte in der Tat sein Recht
verscherzt.
Die Frau aber nahm dass Lenle
in ihre Arme, das jetzt die Augen
öffnete nnd, noch halb betiinbt von
dem Sturz, sich ängstlich an den!
Hals seiner Beschiiherin klammerte.
»Ja, Tn gehörft jetzt niir,« sagte
diese, »Du bist setzt mein Kind —,
darum hat mir miser Herrgott kei
nes gegeben, damit ich Tich in
mein Hans ansnehm’ nnd gut mach’,
was an Dir Böse-s geschehen.«
Das Lenle fehante sie angstvoll
an: »Aber die Geis, darf ich die
anch mitnehmen nnd sie alle Tage
siittern ?«
»Es soll ihr an nichts fehlen,«
versprach die Frau nnd schritt mit
dem Kinde davon: hinter ihr stand
alles und starrte ihr nach, nnd anf
der großen, weilen Wiese herrschte
Todesstille
An der Stelle aber, wo des Bal
thes Trönkle Brigitt’ den Tod ge
funden, errichtete man eine Tafel
von Holz, welche einen Engel ans
wie5, in blanem Gewand, der in
ein rotes Taschentnch weinte; dar
nnter stand: »Herr, sei der armen
Meinen gnädig!«
-.— Erster Gedanke· »Ka
iinche«, Du solltest doch auch Jus
studieren l«
»Glaubst Tu, daß mich das
Amtskoftiim kleidci?«
WMMMMIIMlMUIMMIMitlWMMIllelilltslilimilslllisllllMllsll
Mc mass macht.
Deutscher Mit-nig- nmfxie sich in
Inst-ad zu helfen.
.—«MUMllllllellslWMWlskilevlllJllji « ’ MUMMWIMM
WAGNERka
Unter den Deutschen, die in Nuß
land zu hohem Ansehen gelangten
war auch der Astronom Friedrich
Georg Wilhelm Strude, der am 23.
November 1864 starb, der wohl als
Gelehrter nicht so bedeutend war wie
sein Sohn Otto Wilhelm Strude,
dasiir aber ein nngeniein gewandter
Hofmann, und dieser Eigenschaft ver
dantte er das große Ansehen, das er
in Russland genoß. Ein sehr lustiges
Stückchen von seiner Höflingsges
wandtheit erzählt der auch in
Deutschland bekannt gewordene rus
sische Chirurg N. J. Pirogow.
,,Strnve«, so heißt es da, »bemiihte
sich in der ersten Zeit des Ministe
rium-Z Uwarow eifrig um die Er
richtung einer Sternwarte in Pul
lowa. Vor allem hiesz es, den Unter
richtsniinister für diesen Plan zu ge
winnen. Struve benutzte denn auch
dazu einen Besuch, welchen Uwarow
der Universität Dorpat abstattete.
Aus die Einladung des Astronomen
’hin besuchte der Gast auch das Dor
.pater Observatorinm, unter dessen
Jnveutar selbstverständlich der be
rühmte Neirattor am meisten be
merkt wurde. »Zu meinem Leidwe
sen«, beginnt Struve, ,,hatten wir
alle diese Tage schlechtes Wetter, und
Weshalb habe ich es nicht gewagt, Sie
zu bitten, in unseren Refraktor des
nachts hineinzuschauen Jetzt könnte
man aber einen Blick hineintun, le
diglich inn sich zi-. überzeugen, wie
geyorsain oas Instrument auch dem
leisesten Dran gegenüber is Uma
cotv blieb stehen und blickte in dass
Rohr hinein. »Entschnldigen Sie,«
sagte er, »ich sehe etwas-; es scheint
inir sogar ein Stern zu seini« —
»Unmöglich, Erzellenzt« tust Struve
ans. »Nun, schauen Sie doch selber.«
antwortete tlwarow. Strnve schaut
hinein, schweigt, schaut noch einmal
hinein. Plötzlich nehmen seine Züge
einen erstaunten nnd enthnsiastischen
Ausdruck an. Exzelleiiz, gestatten
Sie mir, Jhnen meine Gliickwiinsche
darzubringen. Sie haben eine Ent
deckung geniachtl Eis ist etwas ganz
Ltttßerordetitlichi-J. Es ist unbegreif
l?ch, wie es geschehen konnte, daß es
Ihnen vergönnt war, zntn e.nnml
einen noch unbekannten Fixstern zn
erblicken. Von nnn an wird dieser
Hiinnielstörper in die Liste der nen
entdeckten Fixsterne ausgenommen
werden« Noch inn selben Abend
hielt Strnoe vor dein Professoren
t"utleginni iiber den von Seiner Ex
zellenz entdeckten Fixstern einen Vor
trag. Der Minister war zngegen·«—·
»Ich weiss nicht«, so sagt Pirossoto
noch, «ob Strnve den Stern ans den
Minnen liwarow getanft hat, wie eö
später einein Mineral, dein ltwaros
wit, ergangen ist, oder ob der Stern
ohne Namen gebliean ist« Natürlich
besand sich ltwarow im siebenten
Himmel nnd stellte eis- sich nicht vor
rnd wollte iiberhanist gar nicht den
litt-danken gelten lassen, das; er nicht
der zufällige Entderker war, sondern
dass dem Stern schon vorher-, dank
dein seinen diploinatischen Genie
Sirt-res, eine besondere Rolle zuge
teilt worden war.
Schuster Voigt tot.
Wilhelm Voigt, jener berühmt-ge
wordene Schuhmacher, welcher die
ganze Welt auf Kosten des deutschen
Militntismus durch seinen Schwa
benstreich in Köpenick zum Lachen ge
bracht hatte, ist gestorben, wie in
Berlin bekannt gegeben wirb
Jni Oktober 1906 gab der Mann
in der llnisorm eines Jnsnnietie
hauptnmnns einer Abteilung von
zwölf Mann, die nach der Kasekne
zutiicktehrten, den Befehl, mit ihm
nach Qiöpenick zu fahren. Der Be
fehl wurde ausgeführt Jn Köpenick
nngelonnnen, verhaften er den Bür
germeister und beschla nabcnie, an
geblich im Namen der egierung,bie
Kasse, in der sich 1,000 Mark be
fanden. ;
Voigt wurde im Dezember dessel
ben Jahres zu vier Jahren Gefäng
nis verntleilt. Jtn August 1908
wurde er vom Kaiser begnadigi, und
im März 1910 begab er sich nach
den Ver. Staaten. Von Washington
ans wurde seine Depoktietnng ange
ordnet, nnd im April wurde et nach
Deutschland zuküclgesInssL
—- Boshaft —- A.: Wiler
Sie schon, diese Nacht haben Diebe
.vei mir as.:fgetäumt.
B.: Nu, vie hatten gewiß viel Un
tun in Jhret und-deutlichen Bude.