Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 16, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

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Ännkithie
steinern von Js- III-O.
(8. FortiehungJ
sum Schluß, nll er seine Bücher
Infammenraifte, um zu gehen, hatte
ir aber doch das Gejiibt, alles in
allem to etwas «wie eine Lehrstunde
abgehalten zu haben. Das war ihm
tnvoil. Seine Reise sollte nie lehr
aft wirken, niemals drücken. Er
begriff, daß das den Altersunteri
schied fühlbar siir Anna gemacht
hätte.
Auch sie hatte sich erhoben nnd trat
nun neben ihn an das Fenster. Ge- i
rade jagte oben am Himmel dies
schwarzgraue Gemitterwolte schneller-H
heran, nnd man fah den schwerem
Regen sich aus ibr entladen. Er
zog rasch einher. Nun hatte er schon
vie Koppel erreicht nnd peitschte mit
ttistolienem Ausblinten seine Trop
fen aus die grüne Sant.
Drüben das schwarzgrane Meer
begann sich mit weißen Hchnnmstreis
sen zu durchsesein
Die weißblauen Blitze hnichten
rechts iibee den Wald nieder.
Ohne Wimpernzncten starrte Anna
hinaus. Sie sah eigentlich gsrr nicht
die Vorgänge des Weitere draußen.
Jn iPrrn Gedanken ertvog sie fort
nnd ort jene Worte ihres Gatten:
,.Dns Leben bietet uns Schlachten
nn. Dem entgeht auch der Edelste
nicht. Aber wie mir sie zu Ende
kämpfen — desi- entscheidet."
Ach, dachte sie, wenn man nur
siegt! Wenn man nnr alles nach
seinem Willen tenten tannt Tut
scheint mir das Entscheidende —- —
Gras Burchard sprach in ihr Grü
beln hinein:
.Jch denke, toir werden nun mor
gen wahres Friihlingswettek haben
Dann könnten wir die Partie nut)
Stnbbentammer machen —- zn Fuß,
zn Wagen —- nnch iedermnnns Be
tieben. Um zwölf Uhr von hier
fort; dort wird dann halb zwei Uhr
gefriihstiickt. Ich lasse morgen ganz
friib einen Knecht binkeiten, damit
man sich vorbereitet Wai- meinst
fis-G«
.Cinversianden,«' sagte Annn
.Witlst du mir noch einen Gesal
len tun?«
Jst-er bitte. . . ."
»Nun so nmche dei Braun-n ei
nen Besuch.«
«Setbstverst«eindtich. Aber sieh —
netn —- ist sie das nicht —- bei .«.ll
dem Wetter ans dein Wald —- die
da drüben nni Rand der Noppel
binlkittst?»..« Anna legte die Stirn
gegen die Scheiben, nin mehr rechts
binaussehen zu können. »Wirtlich,
es ist die Brannntt.«
Und dann wandte sie sich hastig
an den Grasen Donnrer-.
»Kann ich nicht einnnil auch den
Dotter Schüler beinchent«
.Wenn du einen Vorn-and findest
—- daß der Mann wider dräctcndes
Mitleid noch gnr Neugier in dem Be
such steht — und die Tochter nicht
Zu dern Glauben verleitet wird, du
wolltest dich aus einen intiknen Fuß
nett ihr stellen . . . ."
Anna unterbrach ihn lebhaft:
«·hiittest du etwas diigegen?'·
»Nicht, weil Sophie Schüler des
sen unwert erschiene! Jch achte die
funge Dante sehr hoch. Aber es
brächte sie in eine schiese Lage. Es
sehlt tbr sicher an Kleidern, ost bei
uns zu verkehren. Uns natürlich
wäre sie immer in dem gleichen will
kommen. Aber man tnnn nie wis
en,wie die Saat der tlnzusriedens
t und Ettetteit in so ein Mäd
chenherz geworsen wird, wenn es ost
den Lukas anderer Frauen steht,«
sprach er ernst.
Das kann uns ja ganz egal sein,
dachte Annn. Und diesmal lonnie
sie sich nicht ganz beherrschen· »Du
lniipsst nn alles to vorlressliche mo-;
ralische Bemerkungen-« s
Ei sollte lobend, bewundernd llinss
gen. Und sicher tlnng nuch etwas:
davon in Annns Seele rnit. l
Er aber hörte nnr eine Llrl lnllers
Un eduld und erschrak lief. i
Ich um e Fehl-k, isglk « sichs
Gedutdl seherrichungl Und
in der schmerzlichen Furcht, bei ihr
durch seine Lehrhnsligleit verloren
Jurist-den« wallte seine Liebe heißer
ou .
Er zog Anna an sich und tiißle sie
Ieidenschnstlich.
»Mir it? nicht oft gering lisiicht?«,
fragte er lüsternd
ie fühlte, wie er sie liebte. Und
gerade nach der vorhergegangenen
Stunde voll lroelener Weisheit ge
iel es ihr besonders gut, wieder nus
breit Thron erhoben zu werden«
I O -
Die Natur lachte. Vom blnuen
immel gleißte die Sonne. Es war
n fseml sPrthern und die Erde
tat, als s rniickte sie sich mit einem
Malerin-w
riihlichteii aller belebie sich.
aler herrgottssriihe machten
chon Sols und Donat mit dem Gea
snrcherd einen Ritt, nnd in die
Mädcrgen ändeå wär e;i Ursula
en se e n ortnann
g- ihrer Zelle seßen lieu.
LLOMD -
Herbele nnd Frau von Reinheit
zogen sich gleich nach bem ersten
Frühstück zurück. Renate teant ih
ren Tee stets im Bett. Ebenso ver
Baron Wenberoth. Sie tonnten sich
bann, wie Herdete sagte, mit ge
stärtten Kräften ver Aussärbung ih
rer Schbnheitsreste widmen. Herr
von Reinbeck arbeitete in seinem Zim
mer, und Greti Wenderoth saß als
einzige Gesellschaft nnd Aufsicht mit
dem Lentnant Normann nnb Ur
snln in der halle. »
Die Baronin thronte, wie immer«
breitbeinig in einem der «Kirchen-J
stühle«. Rechts neben ihr lag ein
Hausen Zeitschriften nnd Zeitungen,
linls neben ihr eine Anzahl winzi
ger Blättchen. Sie schnitt mit ei
ner Schere aus alten hanswirtschasts
lichen Beilagen Rezepte und Mittel
ans und sammelte sie in einem gro
ßen Kasten. Wenn sie dann einmal
wirtlich eine Vorschrift benutzen
wollte, mußte es nach stundenlange-m
Suchen ausgegeben werden, gerade
diesen Atti-schnitt in der Unzahl lo
ser Zettelchen zu finden.
Stephan sasz mit Ursuln vor dem
Komm Sie taten, als lösen sie die
Morgenzeitnngem Aber Ursnla las
gnr nicht nnd richtete alle Angen
bticte das Wort an Stephan· Auch
er las kannt, seine Gedanlen waren
zu sehr beschastigt. Dennoch hatte
er nicht vergessen, daß er Ursula
von Pallan leine ,.Hossnnngen« ma
chen biirse. Er antwortete immer
freundlich, aber doch mit einer ge
Hpissen sAbgernessenheit, iibertrieben
höflich nnd sormboll.
Verliebte Mädchen aber empfinden
nnd bemerken nur, was ihrer Flam
me Nahrung gibt.
Er ist reizend zu mir, dachte fie,
so männlich — so giitig....
Da ttrsnla ihn innerlich aus un
endliche Höhen iiber sich erhob, lqtn
ihr seine Freundlichleit eben schon
wie große Güte bor.
»Nun Sie, ilrsnl«1,« ries Greti
Lumperoth herüber-, «ein vorzügliches
Mittel, Fettslecle aus Elsenbein zu
entfernen . . .
llnd lesend schnitt sie mit der lon
gen Papierschere Gras Bnrchards das
tleine Viereck ans der Journalseite.
»Ich habe gar teine Elsenbeinsa
then nnd mag leine leiden,« sagte
llrsula.
»Ich nuch nicht« nber man tann
doch nie wissen..««
«»Wie freu« ich mich auf die Par
tie nach Stnbbentannner heut’ mit
tag,« sprach sie nnd sah Steph.1n an.
«Jn, es tann sehr nett werden . ..«
Um Gottes willen. dachte er, wie
lomme ich hier nnr lost Er war
» ja nicht mitåerittem um inzwischen
tie Geliebte esichen zu tiZnnen, du
er boranssah, daß er zum Nachmit
tag nicht frei sein würde. Nun hielt
itrfula ihn so fest....
«hiiren Sie, llrfnla,« rief die Ba
tonin, die schon geöffnete Schere auf
Daumen und Zeigefinger der Rech
ten vor sich haltend, so daß der Sche
renrachen förmlich drohend tlaffte,
»hiiren Sie, ein großartiges Rezept,
alte Rebhiihner zu verwenden
»Ach die tochen ioir immer in
Sauer,« faqte Urian
Nun mußte Stephan doch lächeln.
Wenn er lächelt, ist er bezaubernd,
dnchte Ursula und strahlte ihn ver
tlärt an.
Anna war eingetreten, während
Brett Wenderoth das Rezept von
den nlten Rebhiihnern las. Darüber
hatten weder Ursula noch Stephan
ihr Kommen vemerlt.
Sie aber fah Stephnns Lächeln
und Urfulns anbetende Blicke.
heißer Zorn wallte in ihr nut
»Wiirden Sie die Liebenswiirdigs
leit haben« mich nuf einem tleinen
Gang ins Dorf zu begleiten ,Ste
phnnt« tagte sie.
Er verbeugte sich. Was blieb ihm
übrig! Nun komme ich heute gar
nicht zu Sophie, dachte er verzwei
eit.
»Aber Anna — das iit ja eine
hesze — wir wollen doch um Zwölf
nach Stnbbeniammer,« bemerkte
Gretl stenderoth.
»Noch faft drei Stunden bis da
hin. Eben Neun jetzt»
»Ich gehe init,'« sagte Ursnla ent
schlossen Sie wollte sich nicht
fchlecht von Anna behandeln lassen.
Tas fehlte gerade noch, daß ihre
einzige geliebte Freundin ihr jedes
Zufammenfein init »il)ni« zerstörte.
»Nein, mein Kind,« fprach Anna
tiihl, ,ich weiß nicht, ob es fiir dich
paßt —- ich will zum Doktor Schli
ler. Das foll ein besonderer Mann
fein, den können lvir nicht gleich zn
dritt überfallen. Jch feye dorans,
daß Stephan ihn kennt . . .«
Er verneigte sich, als Antwort ani
den fragenden Blick. Sprechen konnte
er nicht« Das Herz schien ihm im
Halfe zu schlagen.
»Was wollen Sie denn da, Anna?
Und gerade seht noch eilig vor unfe
rer Partiei« fragte die Baronin, die
llasfende Schere wie ein Szepter ge
rade aufgerichtet vor fich haltend.
Anna ärger-te sich. Zu Haufe war
dereian nie jemand gewesen. der sie
gefra t hätte: Wohin, was, warumi
Urfnla ftand trohig nnd hatte ei
nen roten Kopf.
»Ich glaube, ich habe rnir eben
die hand ein wenig verfiancht,« er
widerte Anna. »Es tut weh. Da
will ich lieber gleich nachsehen las
fen «.. Und mein Mann foll nicht
erfi bennrnlzigt werden ;- vielleicht
- « Oft-—- HI- "'-«-"··
ist es nichts .. sagt ihm, bitte,I
nichts .....
Diets altes fiel ihr erst in dem
Augenblick ein, Wo sie es sprach
Heute schon Dottor Schiiler zu be
suchen, war gar nicht ihre Absicht ge
wesen. Sie hatte gegerm nach dem
Gespräch mit ihrem anne gedacht
den plausiblen Borwand, diesen Dot
tor zu besuchen, sinde ich schen ein
mal. Denn es zog sie mit unbe
zwinglicher Neugier zu dein Men
schen, der das Leben eines anderen
Wesens aus dem Gewissen zu haben
giaiibtr. Es mußte sehr interessant
»sein, so jemand tennen zu lernen.
; Aber als sie Stephan und Ursula
in dein Schein einer gewissen Jntis
mität da zusammen am Kiiniin sah,
wollte sie die beiden·sosort auseinan
der jagen, und sogab sie dem Ein
sall nach, der ihr just inni.
Anna und Leutnant Norinann gin
gen ain Waldsaiiin entlang aus das
Dorf Niepinerow zu, das unsern vor
aus aus einem Buckel des Geländes
lag. Die Sonne schien auf die ver
streuten Gehöste und die kleineren sich
enger zusammeiidriingenden Häuser.
Es war noch morgensrisch. Der
Boden, noch durchtriinit von den ge
itern gesalleneii Regengüssen, atmete
einen herben iiihleii Erdgeruch aus«
Ein Gespinii kam ihnen entgegen,
Schimmel, die eine biaugemalte Egge
hinter sich her-zogen, die zuweilen klei
ne tanzende Sprünge machte, wenn
sie ans iinebeiiheiten tras. Das Stirn
haar hing den Tieren aus die Nase,
was ihnen ein dummes nnd gutmü
tiges Aussehen gab. Der tiiiecht, die
Leine in der Hand, schritt schwer ans
schreitend nebenher.
Stephan und Anna schwiegen.
Er hätte sroh sein sollen. Nun
saiid sich ja die Gelegenheit, der Ge
liebten sciii Liiigbleiben siir diesen
Nachmittag zii erklären. Nun wollte
ja ein giltiger Mensch dem armen
Mann die Gelegenheit geben, sich wies
per ärztlich zu betätigen. Eine ver
rraucrne pand —- das war so wenig;
nnd Stephan war obenein überzeugt,
daß die Hand sicherlich nicht oerstaucht
sein konnte. Er glaubte, daß Anna
sich vielleicht gestoßen habe und das
bißchen Schmerz verzärtelt übertrieb.
Aber daß eine Dame wie Anna, die
Gräsin Geyer in Person, ihn ver
trauend aufsuchte -—das mußte So
phiens Vater wohltun... lind doch
tonnte Stephan sich nicht des Augen
blicks freuen. Er fiihlte sich gedrückt,
unsicher.
Anna hatte gar nicht das Bediirss
nis, mit ihm zn sprechen. Sie war
fiir den Augenblick zufrieden, daß sie
Ursula und Stephan das trauliche
Beisammensein gestört hatte.
Siegah sich teine tlare Rechen
schaft iiver das, was sie wollte, nnd
wußte es auch eigentlich nicht tlar
Sie wußte ebensowenig, wag sie fiir
Stephan empfand, und hatte auch
nicht das Bedürfnis, deutlich und of
fen gegen sich selbst darüber nachzu
denken.
Vielleicht war eg eine Art von tin
dischem haß. Vielleicht Eifersucht.
Aber nicht die der Liebe, sondern die
der Selbstsucht, die trotzig folgert: ich
habe dies Gliict nicht erreicht, so soll
eine andere es auch nicht erreichen!
Jhre Jugend war so öde gewesen.
Sie sah ihren Vater in Geistestriigi
heit versumpfen und konnte keine zärt
liche Verehrung fiir ihn halten« Ja
selbst gegen ihre Mutter empfand sie
zuweilen mehr bittere Ungeduld als
ergebene Liebe. Die Mutter hätte
sich nicht so zur Märtyrerin machen
.dFZI-f'n — —
Sie hatte einerseits ein überreiches
Phantasieleben geführt und anderer
seits der Wirklichkeit voll lalter«Ki-is
til gegenüber gestanden. Da begeg
nete ihr dieser Mann-»
Es ivar gewesen, als ginge ein lei
ses Zitern durch ihr Wesen und er
schütterte es als ivollteii sich
Starrheiten zii Wärme und Weich
heit lösen . . . als wollten alle Traum
welten versinlen und das Auge sich
leuchtend silr eine neue Welt öffnen
L Er aber sah dies Zittern nicht ..
er sah nicht das Erwachen einer neuen
Seele in diesem Auge — ahnte nichts
davon, daß ein steriles herz durch ihn
zum Bliihen und Gliihen sich erschlie
ßeii lönne...
ists war das alte stille Drania. An
hundert und aber hundert Mädchen
herzen geht so achtlos der Mann
vorüber. Sie erivachen aus ihrem
Traum, dessen sie sich vielleicht nicht
einmal deutlich bewußt waren. Es
ist nur, als sei der erste goldhette
Sonnenschein aus ihrem Leben ges
schwanden es ist, als habe sich
etwas verändert. Und ioie viele Her
zen wissen nicht einmal, was sich denn
so verändert hat, und wakuin sie niit
eineni Male so viel nüchterner oder so
oiel milder ins Leben hlicleni
Jn Annas Seele verdorrte dies
erste scheue Keimen einer werdenden
Liebe — —
Was von Anlagen zu edlein Stolz
in ihr war, wandelte sich in hochmut.
Bill seht hatten die Menschen niit ihr
gespielt —- so schien es ihr; nun woll
te sie init den Menschen spielen — so
nahm sie sich vor.
Sie liebte diesen Mann nicht, der
seht schweigsani neben ihr ging. Sie
wäre auch gar nicht mehr fähig gewe
lsen« ihn zu lieben. Denn was so bald,
laerade als es erst schüchtern sprossen
»i-oollte, im Frost er torben war-, konn
Jte nicht wieder spt eben.
» Die Gefahr, daß Anna ihrem Gat
ten auch nur mit einem fehnsiichtigen
Puls-schlag nach einem anderen Manti,
untreu werden könnte, beftaiid nich
von fein.
Daß sie dennoch unrecht gegen ihn
handelte mit allen ihren Gedanken,
daß sie sich seiner und seiner Liebe
unwert machte, ward iho nicht be
wußt.
Sie genoß es, daß der Mann, der
achtlos an ihr vorübergegangen war,
von ihrem Gatten in vieler hinsicht
abhing, daß er deshalb auch ihren
Wünschen gehorsani sich zu zeigen
hatte, daß es in ihrer Macht lag, ihn
am heiraten zu verhindern.
Nun gingen sie die Dorfstraße
hinauf. Sie zog sich mit tiefandgei
fahrenen Furchen am Gelände em
por; ein festgetretener schmaler Fuß
pfad lief neben ihr. Auf diesem schritt
Anna dahin, ihr rehfarbiges Kleid
mit der Linien emporraffend. Die
Seide des Kleiderfutters raschelte.
Stephan sah sich dieses tnappe vor
nehme Kleid an, wahrscheinlich die
Meisterschöpfiing eines Modeschnei
ders. Der einfache braune Filzhut
mit dem flotten Gestect von hellen
Fittichen stand Anna sehr gut. Er
dachte voll Wehmut, daß er feiner
Sophie schwerlich jemals so viel kleid
fame Eleganz würde schaffen kön
sen.
»Das ileine weiße Häuschen mits
dem roten Ziegeldach, das ist «ei-Il'·,l
sagte er voraus deutend.
»Sie kennen Doktor Schüler ge
nauer?'« fragte Anna.
.,,Er kommt nicht zu Gast nach
Sommerhagen, er sieht auch teiiie Gri
fte bei sich — natürlich nicht —
Schülers haben wohl knapp ihr Aus
kommen. Aber immerhin fo auf
dein Lande »begegnet und tennt man
sich doch » Jch habe schon mehr
fach mit Schüler gesprochen«, ant
wortete Stephan nnd fühlte voll Zorn,
daß erröteie. , ,
Sie bemerkte es aber nicht. Sie
war nun in einer gewissen Spannung
auf den vielbesprochenen Mann.
Das Schülerfche Häuschen lag in
einem kleinen Garten, den ein grünes
Statet umzäuntr. Es standen meh
rere Obsibäume im Garten, ihr mit
dicken weißgrünen Knospen beftreutes
Geäft verfchräntten sie fast ineinander.
Die Stachelbeetbüfche unter den Bäu
men hatten schon winzige grüne Blätt
chen. Die fetten Erdschollen ,lagen
frisch umgebrochen in ihrem tiefen,
fast leuchtenden Braun. Das Statet
und die Rahmen der Fenster, wie die
haustiir an der Schmalseite waren
sauber gestrichen, die Fenster sehr
blank, die Gardinen dahinter von
frischester Weiße.
»Hier sieht es aus« als sei eben
»reingemacht«, sagte Anna.
Er wußte ja, wer hier malte und
plättete und putzte, um eö bei aller
Sparsamkeit doch nett zu haben.
Aber in diesem Augenblick, als die
elegante schöne Frau durch die grüne
Gittertür ging, empfand er bitter die
amtliche Kleinheit dieses Heims
Zwei Welten! dachte er.
Gab es keine Wahl als die: die
seine zu verlassen, um mit in diese
bescheidene Beschränttheit hinab zu
steigen? Sollte es ihm wirtlich nicht
vergönnt sein« sich und das feingear
tete, geliebte Wesen emporzuarbeiten
in größere, freiere Verhältnisses
Drinnen, auf dem mit roten Flie
sen gepflasterten Flur, der im Hin
tergrund ein Fenster hatte, unter dern
ein Holztisch stand, befand sich Sophie
Schüler. Sie trug eine große blaue
Schürze und ein Morgentleid von ro
tem Statturn Sie putzte am Tisch
die Lampe· Ein deutlicher Geruch
von Pettoleum lag in der Luft.
»Nun, Papa?« sagte sie, ohne sich
umzuwenden.
»Wir sind es, liebes Fräulein...«
Beim Klang der Frauenstimme
drehte Sophie sich um
»Mein Gott ...« stammelte sie
Fiese Glut schoß ihr in das Ge
icht.
Sie glaubte umzusinien — so
rauschend strömte alles Blut ihr zum
Haupt so
Er kam er! Mit der Gräsin
Geyerl Das bedeutete: er karn, um
seine Braut zu grüßen — mit Ein
wiuigung der Verwandten .... doch,
doch! welches himmelsgliick...
Sie schloß die Augen.
Das tvar ein Rausch — die Glücke
dauer von ein paar Herzschtägen lang
—- das sloh vorüber —- setundens
schnell.
Denn näher kommend, sprach As
na: »Erschrecten Sie doch nicht To,
liebes Fräulein — wir stören Sie
—- — Aber lassen Sie sich eben nicht
stören beim Lampenputzen Jch
toiinsche Ihren Papa zu tonsultie
ren...«
Anna wollte ihr die Hand rei
chen.
»Ich habe sie riechen nach Pe
troleum'·, brachte Sophie heraus und
versteckte ihre hande.
Anna ging darüber hin. »Wir
sinden Jhren Papa nicht zu hauseW
»Doch, er ist itn Garten —- beim?
staninchenstam . .«
»Sie haben Kaninchen...«
»Zum Etperimentieren. . .«
»Sie gestatten, daß ich Jhren Herrn
Papa bennchrichtige«, sprach Stephan.
»Ja, bitte Und wollen Frau
Gräsin nicht hier eintreten...«
Sophie össnete eine der beiden Tit
ren, die rechts aus den Flur singen.
An der linken Seite esanden sich
drei. eine davan stand halb geöffnet,
Anna sah, daß da eine niedliche sau
beise Küche war. Gerade schien d:e
Sonne hinein und ließ den Ausschnitt
des Baumes, den Anna überblicken
konnte, förmlich als malerisches Jn
terieur erscheinen: da stand ein braun
und grünglasierter Bauernmilchtopf
neben einer blanlen Kopserlanne auf
der weißen Holzplatte des Tisches, ein
weiß und blaues Tuch, halb über die
Tischtante fallend, lag zusammenge
tnilllt daneben, am Fenster hinter de.n
braungriinen Topf und der Kupfer
lanne standen ein Bogelbauer und
eine blühende Azalir.
Als Anna dann die Schwelle der
Wohnstube überschritt —- deren Tür
Sophie einladend geöffnet hielt —
hatte sie eine sehr unangenehme Emp
sindung.
Ganz genau dieselben rotbraunen
Velourmäbel hatte es in ihrem El
ternhaus gegeben. Natürlich, es war
ja Dutzendtvare aus dem Magazin,
sie entsprach ebenso den Bedürfnissen
einer Dottorsamilie wie denen einer
Gutsbesitzersamilie und denen jeder
manns.
Lächetlich — aber es reizte Anna,
gab ihrer Stimmung fast etwas hoch
mütig Jeindseliges.
Da war ja auch derselbe Teeschran
und derselbe Sofatisch. ’
Nur war hier alles näher beisam
men im kleineren Raum, und am
Fenster stand eine Nähniaschtne, und
neben ihr aus dem Fenster-drein zwi
schen blühenden Topsgewächsen, lag
allerlei ertzeug an Garn, Finger
hut, Stos licken. Hier war heute mor
gen schon gearbeitet worden.
»Sie haben es sehr niedlich. Und
das machen Sie alles allein? Haben
lein Mädchens«
Der Ton mißsiel Sophir. Er war
ihr zu leutselig.
Sie sah die Gräsin gerade an.
»Ich bin sehr glücklich, meinem Va
ter das Leben etwas erleichtern zu
dürfen,« sprach sie mit ruhigemi
Stolz. i
; Ach, dachte Anna, das ist vielleicht
!eine von denen, die init ihrer Armut
sprogem Solche Leute mußte man sich
sdoch fern halten! Burchard harte
srecht! « · · «
s Jhr Gotte hatte ihr Ia eine gewisse
-Zururkhaltung aus ganz andern;
Gründen anempfohlen, aber das ver-s
wechselte sie so obenhin. ;
»Frau Gräfin wünschen Papa zu
konsultieren? Das wird ihm von
großer Wichtigkeit sein. Darf ich
Jhnen siir die Absicht schon innig
oanken", sagte Sophie nun herzlich,
um die Ablehnung und Zurechtweis
sung, die sie sich in ihrem Ton er
laubt hatte, gut zu machen. »Aber
hoffentlich ist es nichts Schlimmes.«
»Vielleicht eine kleine Verstauchung
der rechten Hand...«
Draußen ward es laut, und dann
kamen Doktor Schiller nnd Stephan
herein.
Dieser besorgte die Vorstellung,
und man wechselte .inige hösliche
Worte. Dabei sah Anm sich den
Mann an und sand sich ganz ent
tiiuscht. »
Sie hatte sich einen düsteren,
scheuen Menschen gedacht, dem man
aus zehn Schritte die solternden Ge
wissensqualen ansähe und vor dem
man ein leises Grauen empfände.
Der Alte sah ja ganz menschlich aus.
Auch in seiner Kleidung. Ein biß
chen abgetragen, aber sehr ordentlich.
Doktor Schüler war ein mittelgro
ßer Mann; sein haupt erschien siir
die Gestalt ein wenig zu mächtig, viel
leicht kam das durch den breiten
grauen Vollbart und das starke graue
Haar, das etwas buschig um den
Schädel und iiber der Stirn stand.
Diese Stirn, die von vielen kleinen
Quersalten durchzogen war, trug er
etwas vorgeneigt, so daß die tief
liegenden gramvollen Augen von un
ten herauf blickten, was dein ganzen
Gesicht etwas Grüblerisches gab.
Er lächelte. Daß es ein Lächeln
war, dankbar und zaghaft, wie es
lKranke haben, denen nan wohltut,
idas sah Anna nicht.
Sie mußte leider in ihrer Rolle
bleiben, das war ja notwendig. So
begann sie denn einen kleinen klagen
den Bericht und zeigte mit den Fin
gern ihrer Linken, wo es ihr am rech
ten Arm und den Geienien der Rech
ten weh tun follte.
Sophie stand mit Stephan am
Fenster bei der Nähmafchine. Sie
schwiegen und hörten zu.
»Wollte Frau Gräsin nicht zum
Arzt nach Sagard senden? Jch lebe
hier doch eigentlich nur als Privat
mann...« sprach Doktor Schüler zö
gernd.
»Aber ich bitte Sie! Bester Herr
Dottori Werden Sie nir die tleine
Hilfeleistung abschlagen?« fragte An
na liebenswürdig
«Darf ich Sie dann bitten, in
mein Studierzimmer zu treten?«
Das war nebenan, und die Tiir
dahin stand nur angelehnt. ;
Jhren Kopf zuftimmcnd neigendJ
ging Anna alfo dort hinein. ;
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr
und dem Doktor geschlossen, fo ergriff
Stephan die Hand der Geliebten.
»Ich konnte gestern abend nicht al-(
lein mit Onlel Bnrchard sprechen,(
ohne sehr auffällig zu werden« Und
du ftvillst ja Vorsicht«, sliifterte er,
liebevoll ihre kalten Finger streichelnd,
«heut’ unternehmen wir einen Ausflug
nach Stnbbenkmnnier Lin-leicht iädi
die Griisin dich ein Dann inid wir
doch wenigstens znsainmw
»Ich würde es ablehnen Die anl
ist größer als die Freude«, fiiiiteitex
sie zurück.
»Bitte, bitte —- inir zulieb! Ich
sehe dann doch dein liebe-, schone-is
Gesicht. « wenn ich es nich nicht tiif
sen darf.
Wenn ich dich auch verleugnen
muß. verbesserte Sophie in ihren Je
danten bitter seine Worte. Aber sie
erwiderte doch feinen heitkgen hande
druck... Sie zürnte ihm ja nicht —
diese Heimiichteiien waren ja nicht
seine Schuld —
Anna dachte, ais sie in das C u
dierzimmer trat: Wenn ich nur seid
dummes Zeug oorilnge — io ein«-H,
was es gar nicht gibt. Dann mertt
er ja. . . Jhre Komödie evar ihrsichon
lästig. Das Zimmer nahm ihre Auf
mertsamteit sehr in Anspruch. Es
erschien ihr interessanter als der
Mann. ·
An der hauptwanb die Bücherei
und in der Nähe des einen Fensters
der Schreibtisch —- das war nebst ni
lerlei andern Einrichtungsgegenstäni
den das Gewöhnlichr. Aber an der
Wand gegenüber Jinn Fenstern stand
ein Tisch. und iiber ihm an oer
Mauer zog sich ein Bord hin. Tisch
nnd Bord standen ootl zahllosen Nei
nen Fläschchen, leer, gefüllt, hntb voll;
Glasbäfen, darin sich, offenbar in
Spiritug, Präparnte befanden, waren
nufgereiht. Instrumente, Gummii
schlauche, Glagtrichter !ngen da. -
»Die reine Fauststnbe erster Akt«·.
sagte sie lächelnd, »nur onH St: teti
fehlt-«
»Es ist aber im Hause«, antwor
tete er mit einem schmerzlichen Lä
cheln. »Ohne Zweifel haben Frau
Gräfin oon dem schweren Mißgeschin
gehört, das mein Berufs-leben niir
zerstörte.«
tun hatte Anna eine Anwallnng
echter, wirklicher Teilnahme.
»Bo: allen Dingen hade ich ge
hört, daß Geheicnrat von Arnhenn
und Geheiinrat von Thalinann und
Professor Gutter sich in einem Gut-.
achten dahin ausgesprochenn haben.
daß Sie ganz im Rechte seien. lind
speziell was Arnheim sagt, ist mir
autorilatid.«'
Daß eine so junge Frau noch gar
tein Urteil haben tonnte lind daß es
völlig wertlos war, od sitr die Arn
heim «autoritativ'· sei oder nicht« sag
te Dotter Schüler sich. Ader er nahm
an, sie spräche nach. was der Graf
und andre Personen oon Urteilssrast
ngäußert hatten, und deshalb tat es
ihm doch wohl.
Anna sah sich ungeniert und neu
gierig um.
s Das Zimmer lag gegen Westen und
swar jetzt sonnenloeL Das talte Licht
ließ alles diisterer erscheinen. Da war
nirgends Glanz, nirgends Schatten.
Eine gleichförmige Beleuchtung lag
aus allen Gegenstandem
Wie man zuweilen wildsremden
Menschen gegenüber mehr oon sich
verrät, als man vor den eigenen An
gehörigen oon seinem Wesen tundgibt,
so sagte Anna jetzt lebhaft:
»Alles Geheimnisvolle hat für mich
einen fabelhaften Reiz. Jch möchte
wissen,·was alle diese hundert Fläsch
chen und Gläser bedeuten. Sie locker
mich. Es ist, als stehe ich alchhmis
stischen Künsten gegenüber-. Wer da
zwischen herumhantieren diirstei
Schließlich steclt doch so eine Art
Zaubergewalt in allem. Die Macht
uber Tod und Leben."
»Nein, die hat schließlich doch nnr
Einer in seiner allmächtigen Hands«
sprach er leise.
Anna begriff- daß sie an etwas
gerührt habe. Das wollte sie ja nich-.
selber es war wohl schwer, mit dem
sManne hier zu sprechen, ohne an et
swag »zu rühren«.
! »Was ist das da?« iraate sie.
? »Ein Kaninchenmagen in Spiri
tu;«, antwortete er gediildig.,,21bei
es kann Sie wirklich iaum interessie
ren, Frau Gräiim und Stunde
würde es dauern, wenn ich Iedei
IStiick erklären wollle.«
i »Gewiß, gewiß Meine Neugier
Hist etwas kindlich Jch begreife.
iSckkelten Sie nur.
»Aber, Frau Gräfin, ich wil)
gerne antworten, solange ed Zonen
beliebt zu fragen« sngie er time-li
ijlL
i Er wußte es: inlelligenie tnw
lJJienfchen Iiid immer Ieyr neugierig
idem Handwerks-selig der Wissenichakl
igegeniiber.
I Und auf irgend eine Weile war
der jungen Gräfin der Ruf Vor
Linsgegangeih daß iie sehr tlug iezn
Tit-Ue .
Außerdem war sie die Gattin org
Grafen Burchard fiir den Tolior
Schüler eine danlbare Vere.·irii;ig«
empfand.
So sah er in Anna-Z Fragen Lunis
ganz Raiiirliches und trachten-, für
ihren Laienverfiand die möglichst Un
ren Ausiünfie zn geben
»Und dieie kleine Gruppe von Mi
nintnrflaschen mit hellbriiunlicher
FliissigkeiiW fragte Iie endlich mit
dein Zeigefinger dahindenlend. .
,,Opinmtinkinr"« fngle er kurz.
Sie oerslnmniic Sie flihlie, sie
hatte wieder nn, »etwas gerührt "
»Aber Jhre hand« Frau Greime
Ipr«nch er nun snahnend in das lleint
b«rlegene Schweigen hinein. «
(Forlledung folgu