Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 28, 1918, Sonntagsblatt, Image 9

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    Smntagiblatt de
Staats-— Anzetger » und Hszerolä
Ein Ersuch.
Von H. von sen-link
Durch die nardweflllche Ebene
flog dee Sol-nutzun- vokbei an gold
aesprenlelten Vielen. nnf denen
nach hier gis-d da blaue Passe-strei
len winterlicher lleberichwesnmun·
gen standen, vorbei an Gehölz-en von
Tannen nnd lichtqkiinen Bitten, an
den toten Dächern nnd plumpen
Kirchlein von Tät-fern nnd an klei
nen, freundlichem akbeitiainen Städ
ten. Nach blühten einige Pflan
menbäinne, und die prelbiinmc
standest weis nnd rosig ilbcrhaucht
wie junge Mädchen in Balllleidern.
llelxekalh in Holz und Wiesen« fah
man wandernde, spielende, Blumen
suchendc Kinderz· am Bahndamm
stellten iie sich anf, schwenkten
Sträuße von Schlüsselblumen una
tiefen hinta, um ihrer ji«-n
Fkiidliiscsfkeitde Luft zu machen.
Die Passagiere des Zuges leihen
manchmal hinaus in die weite,
lichte Landlchnits die .älteren «mit
nachdenklichce Ekgkilfenheit, in der
die Erinnerung an andere Früh
linge vibriekte, die jüngeren mit el
net frohen Ungeduld, einem leilen
Jubel im Blut, verwandt dein Le
bendiibecmnt der winke-idem tauch
zenden tlinder.
Jn eine Wage-lecke gedruckt sah
ein kleines, lchnsiichtiges Fräulein
Daß sie ein Fräqlein war, kannte
man gleich leben. Aber die eleqnni
teu- Datnem die mit im Raupe iai
den« gaben lich wohl kaum die Mü
e, darüber Zu spekulieren Höch
.lens daß sie mit iliichtlgem Lächeln
die lleinitädniche Düritmleil ihrer
Kleidung streifte-n· «
Physiognomie und Bewegungen
allee an der Fremden drückte eine
welllremde Aengillichkeit aus. Das
nicht mehr junge Gesicht war nicht
verbrauchl, aber verblaßt wie die
Züge von Menschen. an denen das
Leben ekcignislas vorliberfließl.·
Meist laß sie dem Fenster zuge
wandt nnd fah in den Frühling hin
aus, diesen in liihlem Silbele
zerflossequ norddeutsche-n Frühling
mit stillen, träumerischen Augen
Manchmal auch trat in ihren Blick
das iinenlive Leuchten einer gra
sen Erwartule dann wieder ein
Ausdruck von n st var dem Frem
äem llngehenerlizem das sie vor
alte·
Einzelne Gruppen hoher Miets
taiernem vorgeichobene Posten der
großen Stadt, erschienen itn Feld.
Dann ganze Straßenziige, dicht am
Balinlörper. Man iah in Aiichen
hinein, wo Mägde l)antierten, man
iah Bettitiiele aus offenen Fenstern
heran-stiegen; junge Mädchen in hel-»
len Binsen ani Balle-is. Dann iahs
man auf ’bainnbepilantze, verletzte-i
reiche Pläne-, einen Port in lichtet-n
Friihlingsgrlin mit Einsipagemi
Radlern und Spaziergängem i
Die eleganten Damen im Eonpei
zitpiteu ilire Haare zurecht, senten
köstliche Federlnite ani und nahmen
ihre Taschen ans dein Netz. Das
meltirentde Fräulein inchte mit ver
itörter Miene nach ihrem Billett,
das iie wie alle angewandten Reiten
den zu gut iveaqelteckt hatte, nnd
. wagte qar nicht, sich wieder hinzu
ietzeiy ans Angst, den richtigen
Bonnhof zu versäumen-«
Der große Moment tani. —- Dem
Zug der Reitenden iolqend, stieg iie
die Treppe hinunter. Unten im
Beitiliül sagten ein paar Aoiierträs
aer einander Grobyettem und drau
ßen santten sich zwei Drolchlenluts
cher.
i Schauder-nd drückte das kleine
Fräulein lich vorbei. Großer Gott
tvie neeitiiichtiq die Leute warenl
Und nun iollte iie in die Straßen
hinein« die io voll von Menschen
warenl
sie fragte jemand nach dein Weg
—- leinen Schntmonnz denn vor de
nen hatte lle In lt —- und bekam
einen flüchtigen cheid, den iie
nicht verstand.
sieben iol te sie dein Menschen·
strom. sie oin liver eine stinke
tmter der ein in der Iriihllnsetonne
heiter blinkendee Wasser flos. Dass
war ja ganz richtig. Seite weiter. ?
hause hatte sie lich den ME
an dem Plan ausgesucht nnd dem«
Gedächtnis genau ein ein-äst. Nur
in Wirklichkeit lag-nol es io anders
aus. Die Stra ianien wollten
nicht itinnnen Und dieie Mentaseih
die einen drängten und fliehen nnd
gar keine seit hatten iiir ein verlo
reitet kleines Fräulelnl
Und die sit-Meeresaqu Lan
sama-Mannesal
«-i'tt.
W
sich todesmntiq in den Wagens und
Menschenitrom ftiirzir. war es na
türlich im unrechten Augenblick, nnd
nat die rasch zitareifende Hand ei
nes Muhme-nnd rettete fie vorm
Ueberfahremverden und brachte iie
auf die andere Seite.
Da stand ite, an allen Gliedern
behend, unfähig, sich Ioithen Arn-z
ften sum zweitenmal ausziiiehen
Eine des Wegs kommende terre
Droschke wurde ihre Rettung. Der»
Kutscher- der in der rastlos Taste-J
hettden wohl die Fremde ertaiinte,;
machte eine einiadende Beine-mum.
und sie-stieg ein nnd ließ sich mitl
einem Seufzer der Erleichternngj
auf den Si fallen l
»Wohin denn» Madantetetik««,T
fragte der Kutsche; mit joviaierx
Miene. .»
»8ur Kiinsiartdftellittig«, sagte fiej
errötend. J
Sie hätte wahrhaftig vor Atti-»
regnna ganz vergessen, ein Ziel zu
nennen. j
Jn lustiaem Trab ging es durch!
Straßen, über Pläne, an vielen, vie
len Tentmäletn vorbei, bis sie vor
einem von hohen Fahnenftangen
iiberraaten Eiiengittertok hielten
Sie nahm Billeti nnd Kaiaiog
und ais-a, wo vie übrigen Menschen
amqu
Aber sie wollte etwas ganz an
ders als die spandern Menschen.
; Die Atmosphäre der Räume, diese
« spezifische stunftausftellnttgsatntoi
’fphöre —- Staub, Linn-, Menschen
Parfiims —- beciemmte ihr die
Brust —- oder war es nur die im
’mer wachsende Aufreguan Die
Isiider in den Sälen verschwammen
ver ihren Blicken als Fort-entleib
»ohue Simi.
Sie suchte nur ein Bild und ei
Enen Namen.
Sie kannte es aus sein«-gäbe
iprechungen Als sie es wirklich
sah, suhr die Erregung ihr so in
die Knie, das- sie sich setzen mußte
: Das war sein Bild.
) Das Bild, dnrch das er berühmt
jgewordem die reife Ernte schwer
sdurchrunaener Jahre.
Und Leute« hieß et. ,
Es war ein großes Triptychanf
Die Ernte des Lebens und des To
des stellten die beiden Seiten dar.
»Das Mittelbiid zeigte Burschen und
Mädchen beim Ausladen von Gar
ben in einer sonnenwartnen August
laudschaft. Es war glühende-s Le
sven in dem Bild, nicht, weil es in
das Gold der späten Nachmittags
ienne getaucht war, sondern weil ein
starker Lebenswille herausleuchtete,
der Wille des Künstlers, den er sei
nen Geschöpfen eingehaucht. Ein
großer, naturgemaltiger Rhythmus
lag in den Bewegungen dieser jun
gen, kräftigen Menschen« die bei der
ursprünglichiten und ehriviirdigsien
Arbeit des Lebens beschästigt, dei
nah eine schienen mit der Natur;
ein junger Mann im Vordergrund
schwang sein Garbenbiindel hinauf
mit einer la kühnen, triuniphierens
den Bewegung, daß in ihm der
Sohn der Natur zum Sieger der
Natur erhöht war. s «
«Die meisten Bilder riechen nach
Oeliarde, dieses riecht nach reiiem
Kern und gesunder, heißer Jugend«.
sagte jemand neben der im Schauen
Berti-atmen
lierstohlen blickte sie«aut. Zwei
Herren unterhielten sich miteinander
iiher M Bild. -
»Ja, und dabei ist ei, rein tech
niich betrachtet, zugleich die deitges
Miit Leinwand hier«, sagte der an
e.
»Ohne ZweiseL Und doch halte
ich das sür das Höchste: wenn man
von dem, was ein Bild ausdrückt
so gepackt wird, daß man darüber
sast vergißt, wie gut es gemalt ist«
.Ja, er ist einer von -unsern
Großes-. Und doch hat es Jahre
gedauert, bis et sich durchgerungen
hat. Er hat es auch äußerlich schwer
gehabt — enge Verhältnisse, aller
lei Widemäktiairiten Vor etwa
zehn Jahren war er einmal ver-lobt
mit einer Dorspastorentachter, so
ziemlich das Dünnnste, was ein aus
strebeuder junger Mensch in seinen
Verhältnissen tun konnte. Eine un
vernünftige Heirat hat schon man
ches junge Talent gelähmt. Gott
lob ist er noch wieder losgeloms
men.«
»Ja, das war gewiß gut —- auch
für seine sozialen Ersalge«, lächelte
der andere «Beriil)mtheit ist ein
Konstantin-m- die Folge von allen
Hiniiglichen Einflüssen. «
- Und dann sprachen sie wieder von
»den Qualitäten des Bildes, in tech
iniichcn Ilntdrückety die die Laus-ie
rin nicht verstand Aber sie verstand.
da es Lob und Bewunderung war,
deshalb ersiillte sede- sari sie
Mit Her Denn-nunm.
—
Andere Leute traten dazwischen
Es standen immer eine Menge Be
munderer vor dem Bild.
i —- »Große Kunst« — »Tiese Le
bensattssassnng«—«Ekninentes Kön
nen« und ä nllche Ausdrücke schin
gen an das he der Lanschenden.
Niemand deachtete die schniöchtiqe
lleinstödtisch ansieht-two Person, au
ßer wenn jemand wartete, daß der
Sessel endlich srei würde.
Aber sie stand nicht ans. Zum
ersten und einzigen Mal in ihren
Lteben nahm sie andern Leuten den
Plan weg. Sie tvnszte es gar nicht.
aber es würde sie auch nicht berührt
haben.
Denn sie war versunken in das
Bild, sein Bild. lind ihre Ohren
trauten sein Lob, ihre Seele be
»mnschte sich on seine-n Ruhm. Sonst
sah nnd hörte sie nichts.
Sie war nicht mehr allein nnd
fremd nnd beönnstint in dieser tleks
derraschelnden, lorgnettierenden nnd
schmal-enden Menge.
Sie war keine Fremde hier. Die
andern waren Fremde, Unberech
tigte. Sie hatte ein heilige-d Stean
nn diesem Bild, denn sie hatte ein
Lebensglück geopfert, damit es wer
den kannte
Nicht er selbst, ein Freund war zu
ihr gekommen und hatte gesagt: en
müssen ihn sreigeben. Die Misere
einer Hungerehe märe der Tod sei
ner Kunst. Er leidet schon unter
dem Druck der Kette, aber er hat
nicht den Mut, ed einzugestehen. Jch
weih. daß er verzweifelte Stunden
hat um diese«JlIgelidtorheit.
— Sie halte ihn freigegeben.
Und deshalb hatte sie Anteil an
seinem Musik-rinnt Sein Kunst
werk war die Wunderbliite, die aus
der Asche ihres Opfers erstanden
ans ihrer verwarteten Jugend.
ihrem nngelebten Frauenleben Sie
blickte aus das Bild mit etwas wie
mütterlicher Zärtlichkeit Sie hatte
es mitgeschaisen.
Es iiberlarn sie eine große, heilige
Freude-.
Es war, als db ein Strahl des
sontnmsonnigen, lebeuZwarmen Bils
des auf sie gefallen wäre nnd sie rni
deni Glanz des Glücks nnd einer
neuen, schönen Jugend iiberzogen
hätte·
Aber der Glanz kam nicht von
außen« er kam ans ihr selbst.
Damals hatten sich wohl murren
de nnd zweiselnde Stimmen in ih(
erheben wollen: hatte sie das Opfer
wirklich bringen müssen? Und —
war es nicht vielleicht umsonst ge
brachttl s
Oeute wußte sie, daß es nicht nms
sonst gebracht worden war. Strah
lend nnd blühend und selig saß sie
im Sonnenglanz der Ernte.
lind diesen Glanz trug sie mit
fort, als sie ging. Sie war nicht
mehr die linlische Aengstliche. sie
schritt ruhig nnd sicher, wie jene
Menschen, die ein wundervolleö Er
lebnis so ganz ersiillt, daß nichts
von dem äußerlichen Getriebe um
her sie stören, verwirren oder ängsti
gen kann.
Sie wußte: irgendwo in dieser
großen Stadt wohnte auch er. Abers
sie wünschte kein Wiedersehen. !
Sie wußte ja, daß er ein großeri
Künstler geworden war.
Der Glanz eines unzerstörbar-en
Glückes lag aus ihren Zügen, als
sie in die Nacht hineinsuhr, in das
enge, kleine, blasse Leben zuriiel
Und un Erntesonnenschein vergol
dete das ganze, blasse, stille Leben.
W
i
Mein Miidel und ich haben einej
sinnige Methode herauögcsisnden»
aus Stadtparcbänken und in Ei-!
Ienbahnroupöes allein zu bleiben. i
Wie sangen nämlich, sobald sich
jemand zu uns sent, etwa folgen
des Gespräch an:
»Wer drei Tagen waren
noch beisammen und heute ist
schon tot.« ;
»Ja, und vorige Woche hat er«
noch gesagt, ee wolle sich impsen
lassen.« «
»Ich werde das morgen
Man weiß nie....«
Neulich fahren wir wieder aus der
Bahn. Steigt ein behaglicher Herr
ein.Wir beginnen wies-Gespräch wie
der-er rührt sich nicht. Wir sangen
zu schreien an —- vielleicht ist er
schwerbökig. Da wendet er sich
und meint:
«Schauen Sie, man muß nicht
so ängstlich sein« Ich war in Jn
dien täglich in Berührun mit
Pesttrankem und mir ist n ge
Mamänml sum-« ander-.
i
wir!
erf
tun
Ehe-n Der eine kriegi’s Mund
andere nicht. Auch aus dem
Mis, niit dem ich gestern an
W Its-m wi- m.
Irr Daniel
Novelle tieii Joachim v. Tür-ein«
Der alte Post-oh der sie getraut,
wollte behaupten, daß unter den vie
len, die er siir den Marsch durchs
Leben zusammengegeben, lein zuver
sichtlich glücklichere-s Paar gewesen sei
als Marien und Fred. Miirion wiii
Frei-s erste Liebe, und sie war stolz
darauf. Sie deunruhigten sich nich
dnritber, daß an den Ort von Freog
Wirkungskreis sich nach und nach ei
iiche Verwandte nnsiedelten. Sie wn
ren mit zwei alten Dienstboten, Wil
heim uiid Regine, sinnt einein Dritte.
glücklich troy dieser Verwandten; un:
dirs will schon etwas bedenken, tun
der hatten sie fürs erste-nicht, ohne
daß dieses beunruhigeiid wirtte. Mai
wnr sich selbst vollständig genug
Wenn mal ein lleiner ehrlicher Sturm
die junge Frau ein klein wenig ausz—
sich selbst herausbrachte: »Aber Mii
rion, beninirn dich doch«, pflegte der
Gotte zärtlich zii sagen, und; »Du
läßtest mich, ich tiißte dich".
Digs lonnte io nicht bleiben, das
war die reine Unnatiir, sagten die
zVerwnndtem Und es blieb auch
inicht so.
L« Ieicht etwa, baß ee sich aumahnch
leingefchlichen hätte; nein — es trat
Lein mit vollem Applomb Fred hatte
splöhlich entdeckt, daß es außer Marien
noch andere Frauen, sagen tvir ein
ianderes Weib gab; eins, dem alles
an ihm entgegenftrebte an Augen und
»Sinnen. — Vielleicht hätte es sich,
ynachdem der Wahn verflogen wieder
zurechtgegogen zwischen ihm und Ma
:rion! Die lieben Verwandten aber
iwufiten endlich, was ihres Amtes war
HJian warnte und appellierte an ih
ren Stolz machte ihre Ehre zu der
lEhre der Familie.
Als zum erstenmal das Wort
« « gefallen war, erschrat
Fred bis in die Tiefen seiner Seele
Sein iunges,dlunienhl1fteo Weib auf
E eben für die anderet Daß sie sur
L red nur ein Spielzeug war, daran
hatte sich Marion in ihrem Innern
halten tönnen.
Als Fred zum letztenmal vor ihr
stand: »Tue mir die Scheidung nicht
an, Marion!« hatte sie ihn angesehen,
alii seien ihr andere Augen eingefugt;
hatte eine Vase ergriffen und diese
gut Erde geschleudert: »Kann das
wieder ganz werdens«
Jrn Troh war Fred fortgegangen,
im Trotz hatte er die andere geheiratet
und war mit ihr fortgezogen irbers
Wasser, wo fein Vater Plantagen be
saß. Einmal noch hatte Marion ge
hört, daß die Frau dort gestorben sei.
Marien lebte in einer tleinen Billa,
deren oberez Stockwert eine Tante ve
wohnte, mit den zwei Alten, Wilhelm
und Neginex nicht zu vergessen den
DacteL Diese drei Wesen hatten ihr
in der erften Zeit das Leben schwer
genug gemacht; sie. hingen an ihrem
guten herrn mit einer ganz uns-Eige
mäßen hingabe, grollten Marion und
waren schauderhaft nachtragend; in
sonderheit der DackeL
Wochenlang saß e: da, immer die
Ohren nach hinten, und fah zum Fen
ster hinaus. Bei einem etwa ,mög
ilchen'« Schritt aus der Treppe eilte
er nach der Tür, machte den Kon
schief und trottete verdrossen in feinen
Korb zurück.
So waren fiinf Jahre hingegan
gen.
Es hatte Marion nicht an Bewer
hern gefehlt; unter ihnen war ein
Major. Wenn einer Chancen bei
Marion gehabt hatte, so war es die
ser Major.
Die junge Frau war mit Betanns
ten in einem Konzert gewesen. Als
sie aus dem heißen, strahlend hellen
Saal heraustrat, empfing sie ein
Schneexurm Alle Droschten waren
vergrifen, und sie mußte froh sein,
einen las in der Elettrifchen zu br
kommen.
Marion fnfz in der Ecke nach der
Fahrtrichtung des Zuges. Sie fah,
wie sich auf der Plattfonn bepelzte
Gestalten aneinander drängten, ohne
fie sich um die neu Einsieigenden
e iimnieri hätte. Jhre hand stiitzte
äch au den Griff ihres Schirm-.
lößli fühlte sie, daß auf diefe
nd eine andere nnd sich legte in
einem festen entf iedenen Zufassen·
Als sie herumfuhr nach decn Men
fchen hin, der solches tat, fah sie in
ein Paar dunkle, ernste Augen in ei
nem blassen, ernsten Gesicht; Fredö
Augenl
,Uen Gottes willen, lassen Sie
meine Dand los; was wollen Sie von
enteil« flüsterte Marion auffahrend
nnd daran er, di t an ihrem Ohr
in dem alten Ton all der ir den
kachmlagiwch mmie: »Aber arion«
It fah die Zorne-flamme, die liber
'ihr Antlih flog, und dann das tiefe
Erblassen. Er ließ ihr Zeit, um das
«fteinerne Gesicht« zu tomponieren,
und sagte dann leise: »Bist du der
heirateti«
«Nein; aber ich werde es vermutlich
bald seini«
Der Schatten eines Lächelns glitt
liber sein wildes Gesicht.
»Wer ist der Mann, den du zu
heiraten gedenlsti«
»Der Mojor von Steinberg«.
»Und aus»welchem Grunde gedenlst
du ihn zu heiraten?«
»Aus Liebe —- aus großer Liebe!«'
Und dann er: «,Laß das Lügen,
Marion, es mißrät dir. Sind Wil
helm und Regine bei dir?«'
»JaC
»Lebt der Dattel noch?«
»Ja. Und er hat mir das Leben
schwer genug gemacht, seitdem Sie —
Gott sei Dant, hier ist meine Sta
tion«, und dann, da auch er sich er
hob, ihn anblitzend: »Macht-n Sie
keine Anstalt, mich zu begleiten«.
«Gest.itten Sie mir, Sie nach Haus
zu bringen. meine gnädigste Jena«
sagte er plötzlich laut und in gänzlich
verändertem Ton. »Es widerstreitet
meinen Prinzipien, eine Dame um
diese Zeit allein im Schneesturm gehn
zu la en«. "·
Sie ging im Kampf gegen den
Sturm, der ihr den Schirm aus der
and reißen wollte und an ihrem
l mhang zerrte; er etliche Schritte hin
ter ihr. Erst vor der Tiir des Hau
ses drehte sie sich nach ihm um.
»Ich danle Jhnen für Jhr Ge
leite, bednure, Sie nicht in mein
Haus bitten zu können trotz des lin
.wetiers. Jch nehme leine Hakenbew
iche an und am allerwenigsten um diese
IStundr. Gute Nachti«
; »Es hätte mich interessiert, zu wis
lsen, gnädige Frau ob der Dattel
mich noch wiedererlennen wiirde!"
Dns hätte Marion eigentlich auch
gern gewußt, und überdem setzte der
Sturm gerade zu neuem Toben ein.
Jrgendeinen Menlchen da binauszusl
schicken, ging gegen alle Barmherzigsi
leit. .
; Schweigend stiegen sie die Treppen
Hinun« standen dann beide einen Mo
;ment still wegen etwas, das sich aus
idem Jnnern des Flurs hatte verneh-»
knenf lassen: ein kurzer, verlorenerj
Blau war angegeben worden!
Kaum aber hatte man den Flur
betreten, so erschallte ein wildes Gh
tön, von dem man nicht wußte, ob
es Bellen oder heulen oder Winseln
war. Es war geradezu ein Gefühls
sturm, der iiber Fred hinfahr; eine
Wonne des Wiederertennens über nls
les Ermatten hinaus. An ihm empor,
hoch in die Luft ging der Sprung.
Dazwischen ein paar Belle in irgend
eine Ecke esandt und dann wieder
zurück zu Fredz auf den Stuhl. auf
den Tisch; wildes Lecken über Wangef
Und Ohr und dann plötzlich iin Jubel
laut. »
Das Toben hatte den alten Diener
herbeigeholt. Er ahnte, schlug sich aqu
die Lende, tüßte Freds Hand, ließf
eine Träne los, während er ihm denf
Paletot abzog, und stürzte zurück inJ
die Küche: »Der Herr ist da,— der;
Herri«
»O Gottchen —- o Gottchen!« Al
leg, wag die alte Regine gerade in der
band hatte, wurde irgendwohin geil
setzt, und sie selbst flog in den
Flur. Sie strich über Freds Rockij
ärmel hin, sah ihm in die Augen«
schüttelte den Kopf, weinte, lachtexf
»Unser Herr, unser herri« !
Der Dackel aber, der irgendein-oh
von Fred haben mußte, ergriff dessens
Mühe und stürmte mit ihr in dens
Solon s
Dieser Miiye mußte Fred nnchgehnsp
Von Marion war nichts zu erblit-i
ten. Ein mildes Licht lagerte übers
dein Zimmer. Leises Prasseln imj
Kamin und davor der alte Stuhl, in
dem Fred so oft gesessen, sein junges
Weib aus den Knien. Jedes Stück
ertannte er wieder; dort der Schrank
mit den Vögeln in Einlegeardeit. Dass
Perlrnutterauge des Papageis, immer;
noch so rein leuchtend. Hier vie zwei
Delphine, aus ihren steil gehobenens
Schwänzen die Platte mit dein vceux
saxe tragend.
Ein Zeises Geräusch, und Marien
trat ein. Sie trug no das dun
lelgrüne Samttleid vom onzert her;
das graziöse Köpfchen aus einer
Fülle Pelblicher Spitzen hinausragend.
Fred lopste das herz zum Zersprins
gen; nie war sie ihm so begehrenswert
»erschienen; nie so schön in ihrer ruhi
gen Anmut. Daß sie in ihrem An
tleidezimmer umhergerannt war mit
gerungenen Händen, um den Aufruhr
in ihrem Innern zu dämpsen, sah
man ihr ni i an. Sie hatte die Jnis
tiative ergri sen; der Mann dort sollte
ihr nur ein geduldeier Gast sein«
»Bitte, nehmen Sie eine Tasse
Ter«, sagte sie kühl und gleich-mitten
und Fred folgte ihr in das Eßzimmer.
Seine Hand sirich über die bauehige
Zuckerdofe hin, feine Blicke überflogen
den Tisch mir o-.u ihm fo wohldetanus
ten Dingen. Ueber feine Züge ging
ein feltfames Zickem Jetzt erft ge
wahrte Marion die einen Falten um
die tiefer liegenden ugen, den milden,
fchmerzlichen Zug um den Mund.
»O Fredt« hätte fee gern ge agi. «O
Fredt« Statt defsen agte te kühl
,,Jch habe gehört, daß ie Jhre Frau
verloren hat-ein« .
»Ja«.
»Hatten Sie Kinderi«
»Ein-T Doch auch dieses ist tot«.
Dann sie leise; «Sind Sie sehr
unglücklich?«
»Dariiber, daß fie tot sind? Nein.
Der Heimgang meiner Frau war die
Erlösung für uns beide. Jch tann
mitreden, wenn man eine unglückliche
Ehe den Vorgeschmack der Hölle nennt.
Ich glaube, es wird dort scharf mit
Reue efeuert«.
Tiefges Schweigen. Dann Marion
»Was führte Sie nach Europa zu
tücki«
»Das heimweh. Eine geradezu ver
zehrende Sehnsucht. Es ließ mich
nicht, Marion, ich mußte dich noch
einmal fehent Meine Augen haben
während des ganzen Konzertö nur auf
dir geruht. Die Begegnung im Wagen
war tein Zufall«; und dann unter
zuckenden Lippen: »Marion, muß ich
wieder gehen?«
»Nein, bleibt« schrie es förmlich in
sihr. Das war jedoch eine Stimme,
zder fie richt zu laufchen hatte. Was
bedeutete es, daß die ganze, heiße
Liebe wieder wach geworden wart
Das, was dieser Mann ihr angetan,
das war auch aufgewacht mit allem
Stolz, mit allem Trotz! Sie wußte,
daß sie kie Liebe unterbetocmnen wür
de; nur daß sie zu dem großen Sieg
ans Fenster trat und zu dein Schnee
fkurm ftarrte, unc Fred nicht anzu
fehent Als es dann noch einmal cr
tlang: ,,Mufz ich gehen, Marion —
muß ich?« tam es von ihren Lippen
abgerundet und kalt: »Ja, gehen
Sie!«
Eine trotzige Wendung des Man
nes, ein harteg Auftreten und in der
Stimme ein rauher Klang: »Vergeb
dir Gott« du unverföhnliched Weid!«
worauf die Hand sich nach der Mütze
ausftrecktr.
Ein Paar runde, braune Augen
waren dem ganzen Vorgang gefolgt.
Jn dem Moment, da Fred nach feiner
diopfbedectung griff, wußte der Dadel
Alles
Er sprang ab von dem Stuhl, auf
dem er neben Fred gesessen hatte,
trottete dem Korb zu; machte den
langen Leib rund, ohne zu nesteln,
und begann sofort zu schnarchen; lei
nen Blick hatte ee fiir Fred.
Die Tür schloß sich hinter dem
Mann.
An diese Tiir aber eilte jemand, um
mit stockendem Atem auf die Vorgän
ge im Flur zu lauschen. Jetzt nahm
Fred seinen Paletot vom Riegel, fuhr
oermutlich in den einen Nockärmei.
Ehe er aber in den anderen gefahren
war, ertönte aus dem Korb des
Dattels tief einsetzend wie nie ein
hohles, langgezogenes: huu—u——
hü—ii—ii——huuu«.
»Um Gottes willen«, sagte Marion
und fuhr mit den Händen an die Oh
ren! Das ganze Elend jener Tage
stand ja plötzlich vor ihrs Noch ein
mal sollte fie das alles durchtoftenf
Das Hundeelend und den eigenen
Jammer? Der totgeglaubten Liebe
sollte sie in die plötzlich wieder aufge
schlagenen, hellen Augen sehen, bloß
um sie noch einmal zu begraben? Das
ging über die Kraft!
Jn dem Moment, da Frei-, zögernd.
als warte er auf etwas, die Tür nach
der Treppe öffnen wollte, tat sich
langsam die des Zimmerö auf.
Da stand Marion, blaß, bebend;
um die Lippen ein Lächeln und in den
Augen dicke Tränen.
»erdl« sagte sie. »Fred« —- und
dann, da er auf sie zustiirzte wie von
Sinnen: »Ich —- glaube «- tvir tön
nenies —- dem Dackel —- nicht an
tun."
—..0—
Zu höflich. ,
Ein Gelehrter- nantens Die-trüb
wnrde vom König Friedrich zur
Andienz befohlen. So groß fein
Rus, so llein die Gestalt des Man
lies.
Dieses Männchen aber hatte keine
blusse Ahnung von geiellschastlichen
Formen und hatte sich als verstaub
ler Gelehrter eine etwas komische
Ankede zurechtgemocht, mit der er
nun auch den König beglückte.
, Sie lautete:
»Halt-er Gott, großer Friedrichl«
Der »große Friedrich« stuyte ei
nen Augenblick.
»Gut-set Narr, kleiner Dies-richt«
veriehte er sodann schlagt-klimm
mit die Indiens ihr Ende fand.