Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 28, 1918, Sonntagsblatt, Image 11

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    MIN- MW
Hlinnkizix
Roman von JO- Its-O.
Die beiden Gräsiiinen don Geiser
schnitt-neu sich ist hschieit ihres
Bruders. Da die fisiimlietsteiten iin
state-choose ver Braut niir beschränt
ler Art waren, hatten die beiden Da
men sich tnit einein gemeinsamen
Schliisziiniiier begniigen müssen, an
welches ein Raum stieß, den sie als
,Snton" betrachten tonnten. Dies
Gräsin Reime hatte nicht so oiel
guten Willen iind stellte fest, daß die-!
se Einrichtung, bestehend oiis ein
paar griiiten Pliischstiihlen, einein
griiiibiinten Sosii, einein Bücher-;
thront von Miihngdni , einein
Schreibtisih von weiyiintiertem Putz
und einem Sofatisits, oec drniinges
bei-le Beine hinte, niis oeni ganzen
Haus erst siir diese Gelegenheit gu
Iiiniinengesiiitsi sein müsse. -
Jhre unt ein Jahr alteie Schwester
aber, die Grästn Verdete, meinte, daß
diese gusiitninengesnmiiielte Einrich
tung ein wahres Glück sei, sie goge
Reniitens Kritik aus sich, die ioiiiit
von irgend einein nndreii Gegenstand
ubgelentt werde.
«Ai1s," sagte Neunte, «lsier gäbe es
so viet gii iiiiisieren, das es gar nicht
das Art-ringen liitsiii.««f
Sie triiinte aits threin Koffer die
Kleinlgleiteii heran-Ida ihre tilaseis
dene zoileite ooltitandig machest sou
teii, itnv legte siits öpineiitiischeiiiuch,
handtiyiihn sit-eher iino Schmuck ziis
recht. Ein Stint tiii sie neben das
andre, iit pedantischer Ordnung, nie
sottte hier aiis dem Losntisrh eine
Ausk.eiiiing bietet Gegenstande statt
finden. Die Sonnenstrahlen die iin
breiten Bsnvel zuni Fenster hereintii
itieii, trasett einige Steine der Kette
don Briuaittem Minute schob mich
noch die große Brosche in dng Son
nenliirst. Das Getitiilel machte ihr
Berg-tugen.
Die wrdsin herbeir« die oor dem
Spiegel saß iiiid sich ihr graues
Linnr intt großer Sorgfalt orviiete,
legte sich sent ein wenig guriiit, dri
niit ihre oiiinine nach nebenan in
den Solon dringe, und oeinertie:
.Bti tvirst wieder gii spat sertig wer
ben.'·
slesiilp inin ltiennle, ihre lim
seivene Illeiverprachl über dein Arm,
ins Schliifzimiiien «t2- weite nicht
nieine vchiilm Hier lann iniiii iich
nicht zu zweit frisieren lind anklei
den. Der Spiegel iin Solon hängt
io verriickt day iniin nicht diioor’
siseii kann. Nil — überhiinptl« !
Verdele stand iinf nnd inlichte der
Schwester Plan Mittelgroß mich
von Bewegungen, iehr elegiint unv.
von einer gewissen irvhlichen Selbst-!
sicherheit, nne sie war, genoß sied dziis
Oel-ihn eine ftnttliche, beliebte alte
Dante gii iein.
Was denn: nci —- überhaupt-if
Wir wußten vorher, daß wir in ein?
Landhani liiinen, das wenig iiiiij
Gotte eingerichtet iil. Man muß iich
nitch inal h.lien können. FreilichH
Kunst ttt ndheingig iie braucht Aus-.
drucjniilteL Das fpiirit dii nicht
zuiii eitlen Miile,« sagte iie heiter und»
warf sich ihre graues Atlaslleidl
»Gott —- wetde bkoß nicht leb
haftf ivnrtlle Neunte, »wir haben
alle nnire Angrifisfläclzen.'
«Eden deohilld hält' ich nii deiner
Stelle oerniieden, niir noch iiiiiheooll
welche dnzh anzuschaffen. Sogar
Linnoip giiitle geilern abend deine
diiiitle hnorprncht nn. als dächte er:
Geiorbeiil«
»Ach vieler Liniloiv!«« jagte Re
nale verächtlich nnd iniihle iich vor
dein Spiegel an ihreiii geilirbten paar
ärgerlich und unbeholfen av. Ohne
Jungfer fertig sii werden, ivar ihr
fast iinmäglich
Irüher hnite Reniile leinen Miit
sit-n Jungfein gehabt, nun halte iie
seinen stiiii Atlieim Mit vieler uni
itiinvlicheii und iinehrlichen Lebens
niiiiasiung ver Schwester out einen
dettriislichen Fuß gii kommen, hatte
dete länglt aufgegeben.
Ihr kleiner Krieg gehörte nbee zii
ein Dasein. Ohne den iviire es
i nen file den Alllng gii langweilig
gerufen.
Ich-n ihrein »großen« Bruder hat
ten ile gii wenig. obgleich iie feinem
hause ais Reprcieninniinnen vornim
Würden sie sich eines Zuges der
selben Meinung uver eine suche oder
Person gefunden haben, io hatte sie
das miikingit und Mißtrtturnerftiitt.
Diese Sache over vieie Person todte
ihnen dann entichiehen zu mächtig
gewesen. Und darin waren iie sich
gleich: sie tief-ten es, sich alt pte tie
beriegenen zu fühlen. Dafür waren
sie Geyers und des bedeutenden Gru
en surcharv nicht minder bedeutende
Schwestern. Renote hielt zwar nur
W und nicht hervete iiir bedeu
d, während hervete ihrer Schwe
et.doeh immer einen scharfen Per
onv zusah, dessen Vorzüge nur
ureh eine perhitterte Art aufgehoben
toter-dem
Miin bete hatte ihr Mein
Ists seichl en «unv trat hinter vie
seht-reiten tun sich iiber ihren
III is spiegeln nnd in die
spifen ihrer Inille einen gessen
heiltantnnhsiiger tu befestigen. »Das
dir ber alte Linstuo nwt gefiele,
dacht· i inir. J finde ilin sitt
niittig,' agte se i.
.Er hat-Das dilsloset,« sprach
Renate inlt Entschiedenbeit, «er ist
vollkommen unsicher uns gegenüber.
Warum sollte er es uns gegenüber
sein. wenn er et ni t überhaupt been
Leben gegenüber ist «
«Er ist Annas Vater, er wird heu
te Burchards Schwiegervater und so
init unser Verwandten Außerdem
sind ioir seine Gäste. Jch halte es
iiir unpassend, dasz du dich iiber ihn
inotierst.«
,.Wen soll man denn scharf tri
tisieren. idenii nicht die Verwand-«
tent Besonders die angeheirateienl
Die sind die nächsten dazu,«« sagte Ile
?nate.
hetbele liichelte ihr Spiegelbild an.
Sie sand sich gut aussebeiid heute.
HDas Kleid stand ihr vortrefflich.
Exzhr seine-, wohn-vollendet Gesicht init
Joeii klugen, lebhaften Augen darin
tonnle auch keine hübschen Krönung
lund Umrabinnng haben als das graue
Haar, daraus wie ein Krönlein eine
Rosette don echten Spitzen saß, aus
oer eine Aigretie mit bligeiideii Stei
nen ragte.
Nun trat sie hinweg, ging ans Fen
ster uno sprach wie vor sich hin: »Ar
nie Unnat«
Renate, siir die es auch berechnet
gewesen« subr förmlich aus. »Das soll
beißens. · . «
»Das soll heißen, daß mir Anna
im voraus leid tut, ioenn du auf dein
Standpunkt stenkt. Du willst wohl
in Burchardo bebe die Schwiegermut
ier ersesenl Sollte mich wundern,
wenn da- tluge Weibchen, die Anna,
.ii.,i bei unsrein Anblict gedacht bät
ie: diese beide-i altsnngserlichen
schwageiinnen werden schlimm seiii
als eine Schwiegerm-tter, sie sind
naniiich gleich zwei Schwiegermut
tern.«
Dabei sah sie angelegenttich hinaus
aiii den ini Sonnenschein liegenden,
Iyoch von Schnee bedeuten Hof. Denn
Jer- ivar die Heit, daß bald die Guts
snachbarn und hochzeitsgaste angefah
lreii loiiimen mußten.
l Rein-ite, die hinter ihr, vor dein
L -»..egel stand, antwortete gereizt
s«Jch tdinnie Anna mit allein Wohl
livdtten entgegen, das ich der Braut
Fund der Gattin meines einzigen Bru
sders schulde. Jch unterdrucke auch
Hiede dirs-ci, die man sonst wohl ane
znden kann, wenn man sieht, daß ein
»ich«ones, llngeti" und schließlich auch
;iiirt;-t ganz armes Mädchen ddn zwan
Izlg Jahren einen Mann ddn achtund
iunfzig nimmt. . .« «
»Dieses Mann isi aber Burchard
Gener,« sprach herveie stolz dazwi
schen.
«Eiiierlei.«
»Nicht einerlei. Hast du selbst nicht
in deiner Jugend Partie auf Pakt-e
ansgeschlagem weil dir die Männer
zu undedeiitmd ivareni Na —- lei
der ist dann nach all der Wählerei
der heros nicht gekommen. . . Das
war dein persönliches Pech. Vielleicht
hat- Anna. . .«
«Bringe inich doch nicht von dem
ab,« was ich sagen wollte: ich
wollte also sagen. daß ich alle Kritik
unterdrücken, aber offene Auge-i ha
deit werde." .
»Wiesoi«
«Driinnie Irage·« sagte Renale, in
dem sie mit der Breiinschere ihre
Stirnlocken bearbeitete. »wenn eine
junge Frau einen älteren, sehr de
schiistigten Mann heiratet, versteht
es sich von selbst, in welcher Rich
tung man die Augen ossen zii halten
hat« »
Nun wandle die Gräsin Oerdeie
sich rasch um, und ihr Ton, der bis
dahin ein wenig spöttisch gewesen,
wle er meist der Schwester gegenüber
war, nahm den Mang ernster Ent
riistitng an. »Du dentst —- dit denlst
auch nur von sern —- -—- dii hölst
es siir möglich, dasz die Grösin Bur
chard Geyer gleich andern jungen
Frauen sich eines Tages aus die lin
deritandene hinausspielen und sich tro
stend den Hof von einein jungen
Freund machentlaisen tonnteJ« L
»L-UI Uksllc lu, siitklslltuV
»Du bist verrückt."
«Und du wirst etwas — drastisch
in deinen Ausdrücke-if
Jn diesen-. Augenblick erscholl drau
ßen ein helles Getlingei und gleich
dnrnns ein jubelnd-st- Huren.
vGriisin Herdete wendete sich dem
Fenster zu, und auch Neunte, im
FristennnnteL der Brennschere, die
gerade eine hnnrsträhne umzrvmtt
bptttz in der hocherhobenen Rechten,
nnan Stellung hinter der durchsichti
gen Mullgnrdine. »Das scheinen sn
etwas geräuschvoite Odchzensgiiste,«
meinte sie.
»Wnbrscheinlich die Weben- von
Pallory von denen Anna schon gestern
nbend sprach,« sagte Gräsin Herdete
und sah interessiert hinab.
Der große Hof glich einein btlltens
weißen länglichen Viereck. Nur an
der einen Seite zogen sich Wirtschastss
geböude bin, gegenüber diesen be
grenzte ihn das Statet des Obst
und Gemäsegnrtens. Vom Tor-, vor
bei an den Gebäuden bis sur hand
tirr, an der Irpnt des hat-see ent
tang und mn Stotet bin bis wieder
stracks-I wa; eigdgeitfdewaes nöt
e un u ge en. r
Tonneusebetn stetye MZden Lesen
sparen der Schlittentnsen nnd Sa
Iemäden ,
Ueber das Tor hinaus, das bereits
gebssnet sinnt-, sah man in ein end
loses slachei Gelände. Das mußten
ien Sommerlanter Felder sein, nnd
leine Baum-eile, tein Rai-, lein
Waldstreisen gab der LandschastMam
nigsaltigleit,-deni Auge einen Ruhe
punkt. —
Diese einförmige, im Sonnen
licht grelliveiße Fläche, don dein
Brillantgesnntel von Million Ne
slexen übersiit, tat dem Blick gerade
zu weh. -
Unten aus dein Hos, vor den Wirt
schaftsgebiinden hielt nun der Schlit
ten, der eben mit Getlingel und dem
Duera seiner Jnsassen vor das haus
gefahren war. Diese Vier, die Her
dete noch gerade hatte beobachten
können, waren schon ausgestiegen,
und man hörte unten auch Lärm von
Stimmen und Schritten. Der Lärm
näherte sieh, lam treppan, zog über
den Korridor an der Tiir der beiden
Damen vorbei nnd schien am Ende
des Flurs zu verhallen. Aber gleich
danach suhr Grösin Renate mit
Ostentation zusammen, um sieh selbst
zu beweisen, wie sehr das lriistige
Tiirenschlagen nebenan sie erschreckt
hatte. Dann hörte man zwei Män
netstimmen, eine rauhe, alte, und
eine junge, sonore. Die unterhiel
ten sich erstaunlich laut und unbe
kümmert. ’ «
Man hörte einzelne Worte. »An
na«' — »der olle Linstoiv« — «ach
was« —- ,,riesig risliert" — Weinf
wegen immerzu" —- ,,Donat« —- «tein
Rückgrat«.
»Mein Gott«, sagte Renate, »wel
ten wir llingelns Der Walde-nat
müßte diesen herren nebenan meldenL
oasz hier zwei Damen wohnen, die
unsreiwitlig zum Lanschen gezwungen
werden-«
«Leider verstehen wir ja nicht,«
sprach Herdete tnit unterdrücktem La
chen, »in schade — nicht wahrt Von
den Freunden und Nachbarn lönnten
wir sonst ja die besten Kommentare
erhalten«
»Groszes Lamen, der Buchard
Gehei," hörte man setzt deutlich oon
nebenan.
»Na, siehst du wohl!« bemerlte Hek
dele besriedigt. -
»Diese Leute brüllte-i särtnlich.« «
»Da kommen inehrl« ries Herdele,
denn es klang wie ein silbernes Ge
länt', hell nnd zierlich im Ton, durch
die llare Winterlusn
Ein eleganter Schlitten, schwarz
blant iactiert, mit einem gelbbrnun
und weiß gefleckten Guanato ais
Decke, slog in rascher Fahrt her
an. Herdete konnte kaum feststellen,
onß drei Perionen darin saßen, und
wußte nicht einmal, waren es orei
herren oder oerfiertte sich in per ei
nen dicken Petzhiitle eine Dame. Die
forei Peizbnretis waren fast gleich ge
wesen. -
»Natürlich muß eine Dame dabei
gewesen fein. Außer den Pallauö
werden doch nur vie Hammerrifss
erwartet, ver ältere rnit seiner
Frau," rechnete Gräfin Herdete sich
aus.
»Du haft ein"wahrhaft tinoliches
Vergnügen an diesem halbdutzend
tönolicher Hochzeitsgäste.«
«Spap! Ate ob mich vie Gäste
nicht interessieren sollten, oie zu inei
nes Burchnrv Hochzeit tomcneni Seit
mehr als dreißig Jahren hats ich aus
oen Tag gexonrtet.'·
Aber wir haben ihn uns einst an
oero gedacht. So als ons pomphnsi
ieste Ereignis oon der Wett. Nicht
aus so ’ner kleinen Itlitsche, unter ver
Zeugenfchoft von einer Handvoll
Londjunter," demertte Neunte, vie
nun endlich mit ihrem Kon fertig
geworden. Sie betrachtete, unzu
frieden mit oenr Hergestelltem ihre
tünstliche Frisur und ihr gepudertej
Gesicht mit oen rosig getönten Wan
gen.
»Mir ist das egal, das Drum
und Dran. Jch hats es immer mit
jenem Muster, der beim Abendmahl
eine rote Weste anhatte und begülis
gend sagte: Wemss Herz schwarz ist.
ziir den vorliegenden Fall oariiert:
:venn’s Herz nur warm ist. Und
wie geschmactvoll sie das gerade nur
erraten lassen! Ich bin entzückt von
dem Takt beider· Man nhnt es ist
Liebeswahl Aber man wird durch
den Altersunterschied in teiner Weise
ortlest. Einfach: großer Stil! Darin
paszt sie zu ihtn."
Renaie guckte die Achseln. Die
wußte es ja, ihre Schwester würde
auch im siebenten Jahrzehnt ihres Le
bens diese Gewohnheit, sich ooreitig
zu begeistern, nicht ablegen-»Aber im
Augenblick sand Nennte leine Zeit,
allem zu widersprechen, sie war Zu
start mit ihrem Putz beschäftigt und
lonnte nicht damit zu stnnde kom
men, ihr itleid zu schließen »So
lyils mir dacht« sagte sie endlich är
gerlich. »Ich lomme sonst wirklich zu
spätl'·
»Das Kleid ist natürlich zu eng,«
erwiderte Verdrie. »Ich habe dir schon
undertmnl gesagt, daß man mit
echsig Jahren tetne Taille mehr zu
oben weicht-«
»Wenn dir Natur sle mir nber
liebl«
— »Dann tlot-erstem man ste. —- So
ach — ach e o
»Ah als usiis ist hersch- ais
lgtengkiie sich an, das Kleid zuzumu
en.
I Und endlich war denn auch Rennie
fertig. ·
Jn ihrer Jugend sollten die beiden
Griifinnen Geyer sich sehr ähnlich ge
sehen haben; zum Berwechseln würde
es gewesen fein, wenn nicht eben die
steife Würde Neunten und die fröh
liche Ungezwungenbeit Herdete ihr be
sonderes Gepräge gegeben hätten.
Jetzt sah man von dieser Aehnlich
keit nur noch etwa im Profit die glei
che, leise gebogrne Linie der edlen
Generschen Nase. Sonst hatte das
Leben die Züge der beiden Damen
sehr verändert. Keineewegs allein
durch eine Reihenfolge wuchtiger
Schicksnlgfchtäge — denn Rerate
hatte nichts erlebt --, sondern vor
allem durch die leise Entwicklungen
und Wandlungen ihres Innern.
Sie schritten nun zusammen kupp
qd
Auf dem tobten Korridor war es
frostig, die weißgetnitten Wände
sschienen förmlich Eisluft auszuhun
chen. Aber Gräfin badete be
merkte nichts davon. Sie war nun
ganz esfiillt von dem Gedanken nn
die wichtige Stunde, die beoorftnnin
Rührung ftieg in ihr auf. Auch ein
wenig Angst.
Sie wurde es brennten niemals zu
gegeben haben, aber im tiessten
Grunde ihres erzenö war ihr die
Ehe, die der ruder einging, auch
nicht geheuer. Sie witterte eine Ge
schichte, irgend einen abenteuerlichen,
vielleicht auch nur einen tapriziösen
Grund, unt dessentwillen sich die jun
ge Anna zu dieser heirat entschloß.
Und das ging ihr gegen das Gefühl.
Sie liebte ihren Bruder mit einsei
tige-n Japans-nnd Wenn er schon
»heiratete, -so sollte seine Ermäbtte
ihn aus den reinsten Gründen neh
men.
Aber sie sprang auch ganz wilis
tiirlich hin und her mit ihren Gedan
teu. Indem sie bei Anna nach einem
Geheimnis ausspiihte, nicht an Annas
bedingungslose Liebe siir den Achtund
siinszigjährigen glauben lonnte, dach
te sie gleich daraus ddll schwester-·
lichen Stolzes, dasz sich jedes Weib,
auch das schönste und jüngste, in Bur
chard verlieben müßte.
Jhr Herz klopfte, als sollte sie bei
den bevorstehenden Ereignissen nicht
nur Zuschauerin, sondern eine hun
delnde Person sein.
Jn Renatens Kops drängten sich
Einfälle, Befürchtungen, Betrachtun
gen aller Art bunt durcheinander.
Wenn nur hervete sich nicht hinrei
szen ließe, zu gerührt und zu der
gniigt zu werden. Beides war zu
fürchten.
»Ich bitte dich,« sliisterte sie» »sei
zurückhaltend. Jn unsern Kreisen
tennt man dich und deinen sogenann
ten Humor. Hier könnte man dich
für ein Original halten, und das ist
so das Unweiblichste, »was ich mir
denken lann.«
»Univeiblich? Du bist.zum Schrei
en! Jch dant’ dem Himmel, daß ich
weder weiblich. noch männlich mehr
wirken kann, sondern bloß rein
menschlich. Weißt du: das ist die
töstliche Freiheit des Alters,« antwor
tete Gräsin Herdele laut.
Aber nun mußte sie ihren kleinen
amiisanten Streitteusel, der sie immer
umsprang und aus ihnen beiden die
letzten geheimsten Gedanken herauszu
laelen verstand —- nun mußten sie ihn
einsperren. Vor der neuen Familie
und deren Freundessippe tonnte er
sich nicht gleich produzieren. Das
sahen beide Schwestern ein. —
Unten der Hausslur war mit Tan
nengirlanden begrenzt.
Die Lmuunzx soltte un Hause starr
sinden. Neubagesn dar- tleine Gut
von Herrn von Linstoio, war dem
Kirchdvrs Pallau eingepfarrt. Da
hin hätte man anderthalb Stunden
aus einer öden Chaussee durch reiz
loseg Land ·fahren niiissen. Das
scheuten alle Beteiligten. Dabei ging
nnr Zeit verloren, und viel Stim
mung tonnte das auch nicht geben.
Der Standesbeamte des Kirchspielö
ioar der ältere Herr Weber von Pal
lau. Er hatte sich bereit erklärt,
die bürgerliche Verbindung des
IBrautpaareg unmittelbar vor der
Trauung im Hause der Braut zu
) dollziehen.
Somit brauchte man drei Festräui
Hie. Jn d·ein Wohnzimcner sollte der
jstandesasntliche Akt vor sich gehen.
Hm Salon die Trauung. Diese ört
tiche Trennung beider Handlungen
iwar das einzige, was bir- jeszt hier
Renatens heimlichen Beifall gesunden
hatte. Nach der Tpiuung sollte im
sgroßen Eßzitnmer das txssen siir
fünfzehn Personen stattfinden.
Die Türen zu 'diesen Räumen
’miindeten aus den viereckigen Flur.
Ebenso die Tür von Herrn von Lin
stdws Arbeitözimmer.
Dort wußte Herdete jetzt das
Brautpaar. Jhr Auge feuchtete sich
schon, als sie nur aus die Tiir sah.
Jn Renate coar die Neugier auf
das. tan man finden würde, sehr
lebhaft. Sie vergaß darüber beinahe
den Bruder. Mißsällig bemerkte sie
zunächst, daß es aus dem Flur sehr
stimmungslov ländlich nach Festbrai
ten roch.
Waldes-san ver Diener, dem man
unschtver ansah, daß er im Laus ge
wbbrkltcher Tage auch im Garten und
aus dem Felde mit tätig sein muste,
nnd der osfenbar site die Oele enlpeit1
nicht einmal eine neue Lidree tonl
men hatte, riß nun ooe den beiden
Damen, die ihm unaussprechlich iins
ponierten, die Tür ans.
Gräsin Herdele hatte den Vorn-tin
Sie war die Aeltestr. Es wäre für
dienate unerträglich gewesen, die
Schwester sich vorangehen zu sehen,
wenn ihr nicht dabei die angenehme
Stellung als »die jüngste Gräsin
Gener« zugefallen wäre. Jn ihrer
Empfindung wurde in solchen Augen
blicken der Altersunterschied immer
ein ganz bedeutender.
Jni Zimmer war es blendend hell.
Ein geradezu pödelhaftes Licht, dach
te Renate Denn ihre Erscheinung
ivar durchaus auf Adendbeleuchtung
oder Schatten berechnet. Nun mußte
sie danach trachten, immer möglichst
die grelle Wintersvnne und die deiden
großen Fenster-, mit dein Blick auf
den schneeweißen Hos, iin Rücken zu
baden.
Eis lonnle nichts Alltiiglicheres ge
ben als dies Zimmer. Die Möbel
darin und ihre Stellung an den
Wänden, die Bilder aus der sehr ge
dliiinten Tapete, zeugten oon einer
ootltomiiienen Gleichgultigteit oder ei
ner ebenso völligen Geschmaijlosiglein
Das hatte Gräkin Herdele schon ge
stern abend festgestellt.
Nun war iie ooll Spannung auf
die Menschen. Indem sie ver
suchte, sich mit diesen recht bekannt
zu machen« konnte sie doch vielleicht
einige Ausschlüsse über Anna-H Leben
geioinnem
Sie war hier sa ioie nui der WachH
Sie wußte noch so wenig oon ihre-;
Bruders Brauts Das junge Wesen;
hatte siir sie ,etwas inwieweitng
Vielleicht fiel aus der Art ihrers
.Freuiide, ihrer Umgebung, ein wenig»
Licht aus ihre eigene Ari. Deshale
beschloß sie, jede der anwesenden Per
sonen genau zu beobachten.
Daß es lauter Leute oon besonde
rem Gepräge waren, iibersah sie to
iort. Als Herr oon Linstow ihr alles
dargestellt hatte, sing sie mit jederj
Persönlichkeit in ihrer lebhaiten und
entgegentoninienden Weise ein« kleinerl
Oesprach an« um es vorerst rasch wie
der abzubrechen. Mit der Gewandt
·,,:der großen Dame und der Hei
irr it einer Lebensfreudigen brachtei
sie es wahrhaftig fertig, binnen eineri
halben Stunde Frau Weder oonl
Pallau, Ursula Weder doii Pallau,"
oie Baronin oon Hamiiierrisf und die«
Pajtorin Lüdete zu bezaubern.
Bei dieser letzteren war es ein völ
liges Siegen nur durch Blick und
Stacheln, denn die arme Piiirorin war
fast ganz taub. Mit angstlich wach-»
saiiiein Auge hing sie an den Lippen
oer zu ihr Sprechendeii; sie genieriei
sichs fortwährend ihr Hortohr zu be
nutzen, das fie in ihren Händen hielt
und das beinahe die Form eines
Blasinstruinenteö hatte. Die Gitter
handfrhuhe der Pastoriii waren zu
groß und gaben niit ihren zaltchen
der Hand etwas greisenhafi Zeitun
tertes. Das paßte zu dem Gesicht
chen, das einen unwiutiirlirh an ei
nen Bratapfel erinnerte, so der
schrumpit war es. Die Staiii5.)aude
oer Pastorin oon schwarzen Spigen
und lilaweiß gestreifiein Band
siarntiite sicher ooii der Modistin des
Dorfes, die vielleicht auch oor Jahren
das schwarzseidene sileid angeiertigt
hatte, dessen Putz iii ein paar Epaui
Lettes oon Piiiseiiientrie besinnen Ver
dete fand das alte Fraucheii in sei
ner zaghaften Wurde skiIi ergreiieiio.
Sie hatte niiii einnial den Blut sur
Menschen, ioie sie gern oon sich sagte,
und sah auch sosoit, daß die·Biiroiiiii
Haniinerriff aus einer ganz andren
Leoeiigzone inni. Die oeioen Bruder
lebten aus ihcein oäteklichen Gut halb
und halb iii Verbannuiig. Jhr Da
sein war ihnen sozusagen aus halbe
Nation gesetzt. lSie hatten jahrelang
das Drei- und Vierfache oerbraiichr
Nun inuszten sie sichssinanzielh und
körperlich etwas auf-ruhen. Was die
Baronim die Gattin von Frei-, dein
Uelteren, anbetras, so besaß sie etwas
Geineiiisaines init dein Mädchen aus
oer Freiiidez nian wußte nicht, woher
sie tani. Sie sollte eine Oesterreiche
riii sein, aus den itronländerin Sie
sprach aber ein Deutsch, das Dialclti
tundige aus Berlin N. taxierten. Je
denfalls staat- auf ihren Visiteiiiars
ten: Radine Freifrau von Hain-tier-!
tiss gebotene oon Braiiiahi. Viel-!
leicht ioar sie oas Kind einst oornelH
mer« dann heruiitergetoiiinieiier tin-l
garn, die das Schicksal nach Berlin;
verschlagen halte. Denn darin wa
ren alle einig: schließlich loiinle Hain- »
inerriss doch nicht dulden, daß seine
Gattin sich aus ihren Visitenlars
ten und bei ihren Briefuiiter
schristeii einen Adel anniaszte, der ihr
nicht zukam. Aus so—etivas hatte das
Heroldsaint in Berlin ein allzu schar
ses Auge.
Schön aber war Nadine Hammer
riss; bleich, mit feurigen Augen und
schwarzem Haar. Elegant war sie
auch. herbeke stellte aber bei sich fest,
das- es ein ovrjährigeö Kleid war,
ans viel Spiheii und Chisson und
Schmelzstickerei; viel zu ballmäßig
siir die ländliche Hochzeit. Und dann
betrug sich diese Baronlii so seltsam
vorsichtig, wie eine, die sich nicht ganz
sicher llhlt und sich daher beständig
selbst wacht
Desio sicherer und swaagloser ga
ben sich die Webers von Pallau —- die
«gerauschvolle Familie«. »
s eiin diese den-en neu-peini- wäre
es gewesen, die sich nebenan so miet
lhärt lan unterhielt-til
’ Der äliere herr, dem sein Frass
»ein bischen zu eng war, ging etwas
zerstreut im Hintergrund des Zim
sniers auf nnd ab lind wühlte in fri
neni gelbblonden, wallenoen Bari.
Er mußte hier gleich den Würdi
gen spielen. Das war doch etwas
genierlicher als daheim iii seinem
Amtszimmer. Da lag schon das
große Buch bereit, das Stande-Samts
eegisier, in das sich Gras Geyee lind
sillnna von Linsloio als dann Verdun
dene einschreiben sollten. Ein paar
angemessene Worte iniiszien noch vor
her gesprochen sein« Das war ss
leicht, wenns galt, einen Willens
Schulz zu ermahne-i, daß er seine
erivähite Trine Bobs gui behandeln
solle und sich oor soeiii oerbaninilM .
Sausen in acht nehmen möge. Aber
wähle man einer bie passenoen Worte«
iveiin ein Burchard Gras Geyer die
schone, junge Anna heitaletl EI,
der bebenieiidsle»2iiebiier seiner Partei
im Reichstag, uno ein Großgrundliet
sitzen der ihn, den allen Wolf Weber
oon Pallaii, ungefähr dreiinnl in die
Tasche steckte. Erinahn’ mal eines
so’n überlegeixeii Mann, oer vielleicht
gar zwei, drei Jahr älter ist als inan
selbst — die Situation soll inal einer
oeixeln, ohne sich lächerlich zu machen!
Der junge Wolf Weber oon Pailnie
glich seinem Vater, daß es beinahe
ioinisch ibar. Ebenso groß und so
breit und dabei sehr gut gewachsen.
Ebensolchen großen blonden Bari,
nin besser gepsiegt, wie es seiner sinn
liclsen Jugend zutcini. Ebensdlctsi
zrade Muse und solche großen Blau
nugen, aus denen Temperament und
Frbhiichteit blitzien. « Die glein
schneeweiße Stirn, die ooii der Muse
oor den Einflüssen von Wind und
Sonnenbrnnd geschützt blieb, wahre-us
one übrige Gesicht vorn Wetter bräun
lich getöni war. - ,
Herdete wie Rennte dachten bei
dein Anblick dieses sunzen Heiden das
gleiche: wnr dieser nie-et wie dort-ed
stimmt für Annn? Warum halleti
die beiden sich nicht gesunden? Was
es deiitbnr, daß Nser sunge Meus
der scisöneii Anna gegenüber gleictzpJ
gültig geblieben wart Noch dazu des
der Nachbarschaft hier aus dem
Lande, wo schon die Geiegeutseii uns
der Mangel an Aus-wohl einen Jud
gendronnin zwischen beiden hatte
zeitigen niiissenr Gab es geheim
nisvolle Hindernisse, diexiyn und sie
oerbiziderteiy zueinander zu tout
uieiit Halle er Annii geliebte Oder
sie ihn?«
So griibelten und phantasierten
die beiden iilien Schwestern. Aber als
Herdete die leuchtende Männeischöns
iseit des jungen Wolf lcinger beob
achtete, tarii sie zu einein tsetiihigens
den Schluß. Der sah nicht nach uiis
gliictlicher Liebe aus nnd iiiast nach
Mist-in und Triigit Der tsaite
etwas ebenso Diiriysichliges ioie sein
Vater-. Und man loiinie ihni elseit
zutriiueii, diiss er stets eine Braut init
Gewalt und Lachen entiuhrle, ais
daß er leidodlt und schweigend zu
siitse, wie sie einem andren angeiruiii
wurde. -
Gottldbt dachte Gräfin Herdeke.
Diese sPiillauH hatten so etwas
Reinliche5; iiiictss die Mutter und
Loctster slrayiieii Gute, usseiidrit uuv
Yliisicinbigleii aus den Aliigeik Beide
Damen waren etwas reichlich derb
ddii Erscheinung, das liess sich uiitp
leugnen. Die Mutter trug eiti hoitsst
iddisilsiibendegi dtleid ddn dider rot
und siisivarz gesliiiiiiiiier Heide. Aber
»e-: lsuiie idcdcr Schleppe, ntsits »Hu-nen
ssctsiniiit und einen Schnitt wie ein
DAMAGE Bkolthc llilO uyslkilc,
veioeg sehr in Die Augen hinein-«
putzten die Inille wohl nach Mei
nung der zinu oon Pulluu genug.
Fräulein llrsula ivur in lOrnideerroh
cons- zu ihren sehr roten Buan recht
ungünstig Itnno Jin braunen, unge
niein glatten Haar trug sie einige
Iliinstliche Blumen
. Mit dein letzten ver un Zimmer
istlnivesenoem niit Dein jüngeren Ba
ron Hniiinierriss, ivnr Here-etc oicich
fertig: ein Lebemunnsthn Bloß ein
tiioelloIer zrint, eine unerhört gut ge
Iihnittene Wesle mit was drin, ivad
sich sürn vornehmen Mann hält.
Gott, ivie sijinnterlichl
Daß Aiinn on vieIei Egon Hamp
nierriss nieniuli als nn eine sür sit
.iiögliche Purtie gesucht hin-sen konnte·
verstund sich
Wenn ons nun die beiden einzigen
Heirutgsähigm Der Jegeno waren —
oieser Biion Egon uno ver Iungs
Wolf? Dann hntle freilich Anna
reine Auswahl gehabt. Unv wenn
sie gern heiraten wollte, niußte sit
wohl vie glänzende Gelegenheit er
greifen, sich so unverhofft
bot —- — —
Die Uhr un ver Wand schlug
Zwölf. Alle Anwesenden verstumm
ten.
CFurtsctzniin soigi.) :
O————— c
—- Poetiich ausgedrückt-l
»Nun, wie gefällt Dir die tleitIt
Professorstochter- ·-«
»Nicht iibtsll Nur der Spieskl
ihrer Seele hängt etwas fehieil«
—«Tkost. «Friiiilein Aelftils
nie-int, daß Ehr-n im Himmel st:
schlossen werden «
»Das dient iht gewiß zur Be
l)igiiiig, denn ans Erden hat sie
Inicht viel Aussichten-«