Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 15, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

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    9 Lieb Vaterland.
« Roman von Sind-spl- Sterns
(2. Forttegungq
«hat man ’rnat irgendwo die Spur
oon erner Möglichkeit, dann muß
Du es doch auch gleich wteoer ver
pqnen intt Teiner ewigen Dic
fettigteit Da sehnen rnnt durch »u
full ein Milttonär in unteren Kreis,
ein Mensch. ver vtetteicht Stettungen
oder sonst wo- zu vergeben hat« uno
ich gebe mir die gräßlichsMiihc nett
and freundlich zu ihm zu kein unt
Ihn uns warm zu halten — Du
weißt: ich bin ionst gar nicht io
ikberftrömend liebenswürdig . .
»Das hat mich ja gerade geär
gert!«
..... uno vn fährst Du dazwi
schen und vervirbft »Hei-! Auf Die
Messe wird es natürlich nie emqu
sntt uns werden« Moritzl Da können
Zoir noch zehn Jahre nach einem Pos
ften ini zrvttberui für Dich Iuchen2"
Sie verstummte betrübt nnd schritt
neben Ihtn zum Ausgang, mit ihrem
hohen, ichtnnten Wuchs ihm bis über
die Schulter reichend. Worin Lune
nmnn machte zornig Halt.
»Ich tu’ doch, was ich kann, Grete!
Ich ichreib’ mir ja doch schon die
Finger krumm unI l.1uf’ mir vier-sb
säpe ichiet, um Init Anstand wend
sW acllcssllkllllllllclli ullll IUUI qllls
geholseni Nichts! Die Leute halt
ten einen hin. Man ist ja ein Esel.
wenn man’ö ernst iiiinitit!"
Draußen-« tvar Winteralienv und
lichterheIL Sie gingen zu Fuß nach
dein Westen zu, wo sie alle wohnten.
Moritz Litnetnsints into Margarete
allein hinter oen anderen. Da
junge Miit-then hatte seinen Arm ge
nommen. Sie schmiegt sich irii Da
hinichreiten leise an ihn. Jn der
Wehmut, in oer sie sich besond,
mochte sie gar nicht reden Moris
Liiiteiiiiinn aber sagte plötzlich tvie
aus ihren Gedanken heraus:
»So ein Keil, ioie dieser vater
lanvslose Geselle von vorhin, der
init Leichtigteii zehn over hundert
Familien eriiahreii töiinte. der hat
natürlich teitie Frau «
.Nein, er trug tetneii Triiuring!'«
«llno unsereins wieder, der ums
Totschlagen gern heiraten möchte,
der hat wieder teiii Geld. Es ist zi
dätnlich ini Leben eingerichtet. Das
Schicksal hatit tniiner v-.iiiet)en!«
.Ja. Wenn tvir ’ne Million
hätten pskichiele das junge
Mädchen bei. Die Vorstellung siel
in ihrer Seele aus fruchtbaren Bo
ten. Sie sing an, sich etwas aus
zttiiialem wag man wohl iitt Besitz
einer Million tun ioitroe. Sie tech
nete es sich und oeiii Verlobten vor:
Erst gab man natürlich den Eltern
gehörig av. Die Geschwister triegi
ten auch was, wenn sie nett waren.
Den tltesl —- vielleicht drei Vieitel
rver zivei Drittel —- behieli niaii
siir sich. Es gab so herrliche Sachen
aus ver Welt: Tit Trtiuunggseier tin
Toni, das Festinahl bei Anton, die
Hochzeitsreise nach Paris » Schniuct
von Laliqtie —- ttleider von Paquin
—- solche Dinge und Adressen ver
gaß sie nicht, wenn sie sie eiiiiiial ge
hört und gelesen hatte« vie Rinier-i
—- ein Auio , Mitten in diese
ertrauitiie Seligkeit hinein sagte det
Leutnani Liiiiemaiin trocteii, sast
Clrriteitok
.Wie stellst Tit Tir diig eigentlich
vors Lentst Tu denn, d.inn täte
rniiii überhaupt nichts iiiet)r, iilg so
nts Hoietnmnze da nnd dort zii vege
tieieni Nee —- iet bin siir striiiiirne
Llrbeitl Dann gerade! Iris bii
kein solcher Fiiutpelz« tvie Tu.. "
Margarete seufzte. Die Worte ih
res Briintizuing einiiititerteii tie
schmerzlich. Eine Wotte der Ent
tiiuschuiig oerdiisterte ihr Gesicht m
tiit ihr Immer ideh niit seinem scho
niingstoseti Verstand. Er toiir ein
hiirter Mensch. Aus eininiil einpirind
sie wieder, wie ni-.inchmiil, die tiese
Kluft zwischen ieinein und ihrem
Wesen, die nur die Liebe oon beiden
Seiten überbriictte. Sie ärgerte sich
und wurde besiig.
«L5chäjit! Dann reite Du vor Deinen
Kanonen herunt, bis Du iilt iind grau
lsistl Und ich derhiiszte daheim bei
den Eltern sachte initl Das ist eine
reizeiide Peispettidet Tu' inir
ten einzigen Gesiiliem Mons. und
schnu nicht so obteginntilch drein, al-:
rb Du Dir ini Lisden ein pinir zi
esorieii tiiustest, stott diisi wir iEbee
isiiser Lebensglück sprecheii!'·
»Du solltest unser Lebensnlijct ron
einer ernste-en Seite ansehen, Grete.
Weis sollen denn ritt die Kintertitz
chens Du bist viel zii ijitsierlick,s...
riet zu sehr arise Vergnügen erpicht!«
» «Jii· Jch bin nun einmal so! Jch
bin siir so ein Leben wie geschnsieiil«
Sie ließ ihn nicht zu Worte korn
rnen. Sie suhr rasch und trotzig
sott: »
»Ich glaub« nicht on das Sparta J
riertiiin, dei- iiiilereinem in unseren
Kreisen von Kind an eingebtiiut trith
Dritt mag srtiher so getoeien sein.s
noch zu Martia- Zeit —- eiber ietzt. .H
Warum sollen es denn andere besseri
haben als’ich iind Du —- deis mächt
ich bloß wissen! Jhr seid alte oiet
sit bescheidenl Das macht mich tm
mer so toliteiid. tverm Ihr Euch tin-s
see gleich so tin-it Dis liesoiiderst·s
., -- , : , -»- ,
! Plötztich kamen ihr die Tränen
kSie blieb stehen und weinte Wans.
Zum Gliiet war es mitten aus dein
ratbduntten Vittoria - Luise » Platz,
wo sich niemand in der Nähe des-end
fgtl ihre vorausgegangenen Gefähr
ten, die umdrehten und zu denr uns
Oet einer Laterne stehenden Paar zu
rückkehrten Der Gardeteutnant mu
sterte seine schöne Schwester landlä
tig durch das Monotet.
»Na. Du Heuttieset Was ist denn
nun wieder los?«
»Gott sie hat sich!« sagte Lü
neinann ärgerlich. »Gute, sei doch
vernünftig! Du blatnierst einen ja
Jus ossetier Straße» I
Aber sie schluchzte trampshaft weis
ter. (
»Ich möcht’ bloß wissen, wozu man«
eigentlich aus der Welt ist! Es war's
viel besser, man wcire gar nicht ge
boren! Dann hätte man nicht die ewi
ge Plackerei! Das geht nun so zwei
undeinhatb Jahr mit uns! Und Du
siihlst Dich, scheints-, ganz wohl das
bei!... Du zuctst ja immer blosz die
Achseln! Du hast mich ja gar nicht
lieb!«
Sie schaute blaß und bang, am
ganzen Körper zitternd. zu ihre-n
Verlobten hinaus, der den Arm um
sie legte und nur sagte:
»Ich hab’ Dich lieb, Grete!«
Das beruhigte sie ein wenig. Sie
sing wieder an leise zu weinen und
murmelte, während die anderen mei
tergingem
»Sei nicht bös! Jch vin so ausein
ander!... Wie zerpriigelt... Jch
bin so mutlos, Macht«
»Ach mas!«
Er sah sich rasch um, ob jemand
fse beobachtete, und gab ihr einen Kuß,
sie holte tief Atem, zupfte sich den
Schleier zurecht und wurde gefaßter.
Beide setzten ihren Weg fort. Der
Artillerielsutnant fiihlte, daß er sei
ner Verlobten Trost schuldig war.
Eigentlich wa« sie noch gar nicht seine
Verlobte, es war noch nicht offiziell
ausgesprochesi oder gar angezeigt wor
den. bei der vorläufigen Aussichts
losigteit iqier Lage. Margaretens El
tern drückten nur einstweilen die Au
gen zu. Alle Welt war nachsichtig, in
Erwartung irgendeines Glücksfiilles.
Plötzlich ein Jauchzen in ihrer Stim
me. »Mo;itt! Jetzt hab’ ich ’ne Jdee2«
»Nei?«
»Nein. Das sag· ich Dir nicht!...
Du machst doch blon wieder flatt!
Und dabei ist es das reine Ei des
Columbusl Laß mich nur allein ina
chen! Am Ende wird nun alles gut!«
Sie waren jetzt dicht bei den an
deren, die vor Matgaretens Eltern
hnus standen. Das junge Mädchen
ging elastilch auf die Gruppe zu. Sie
trug auf einmal den Kopf im Nacken
und munerte die anderen belustigt
von oben herab.
»Ach .. Jhr....« sagte sie. Wei
ter nichts.
»Was denn?«
»Ihr seid dumm! Allesamt!...
Aber meinetwegen! Macht nur weiter,
trie Jhr’g versieht! Wir fliegen Euch
doch eines schönen Tage-«- davonk«
»Na... glückliche Reises« meinte
der Bruder und öffnete die Tür
»Jhr seid furchtbar langtoeilige
Leute!... Du auch, Moritzl Aber ich
hob’ Dich doch gräßlich liebl«
Sie sprach es heiter Inb innig.
Er sah den gebeiinnisvollen glückli
chen Schein auf ihrem Gesicht und
zog sie ein paar Schritte abseits in
das HalvdunleL »Erziihl’ doch, was
Du vorhast!« bat er. Aber sie schüttel
te bartniirtig den Kopi.
»Nein! Frag· mich nicht! Tas darf
man nicht verufenl"
starl Zeddersen hatte inzwischen
niit seine-it Bruder ini Hotel Apis-Ins
oiiiiert. Alexandre Feddersen ivar
blond nnd dlauäugig, von uiidertenn i
bar teutonischeni Liipug nne er, aber
kleiner iiiid von schniächtiger Ges.talt
Paris, sein langjähriger Aufenihalt5
dri, hatte iiin iihgefäidt. Sein Gesicht
ivir dtaß und anbot-, er gestitiilieite
im Sprechen viel mit den Händen
Mit seinem Spiybart und dein sinnt
ter var den Augen erinnerte er an ei
inen französischen Advotaten Die bei
sden redeten miteinander Deutsch. Das
ivar Gewohnheit iti der Familie cie ·
blieben, so wenig sie sich auch ais
Deutsche fühlten. Die laufenden Fisi
liianzangelegeiiheiten nahmen sie wiih
rend der Mahlzeit so in Anspruch,
dasz sie rein mechanisch aßen. Kaki
iFeddersen meinte:
l »Das Baltangeschöst geht über
haupt nicht nach Wunsch. Wir find
da schlecht verteetent Wir sind eiviq
ungenügend insermiertt Dabei gilts
unser Moise tiabiljo zum Beispiel da
unten als Autorität. Leivy Fresreg iiil
Saloniti auch Und trotzdem« i
»Weißt Dit, wag der Grund ist«-"'
»Da bin ich gespannt!«
Alexnndre Ieddersen suchte n·ach
gallischer Art die klarste Form siir
das, was er sagen wollte
»Es tomtnt daher mon anti, diisi
das alles Kausleiite sind. Jn diesen
halbwilden Gegenden aber -—- sei esi
Marotto oder der Baltan — ein-;
scheidet immer noch mehr oder nun-;
der die Gewalt, die Waise —- die tin-s
iitiieische Seite einer Angelegenheit.!
Das tönnen wir nun gar nicht be-i
urteilen... Wir haben ja selber auch
in Ankland nicht gedient! Darin sind
uns de Deutschen über. Wir mitktenj
unter unsern vielen Leuten enen·
i
i
Sachverständigen dasiir haben — eii
nen sixen Kerl — irgendeinen frühe-.
ren Ossizier, den man nach Bedarf
da und dorthin schickt...«
»Ja, gewiß!« sagte Karl Fedderiå
sen. Er hatte nur halb zugehört Sei-«
ne Augen schweisten durch den Grill
room, die Treppenstusen hinab in die
jetzt leere Vorhalle. Dann sagte er,
mehr sitt sich, als zu seinem Bruder: s
»Z» vkpuig vie Gesellschaft min
der ich vorhin da unten gesessen hab'!",
»Ja, Du has« erzählt!« I
»Leute. die huchstäblich von nichts,
eine Ahnung haben! Und dabei in«
einer Weise von sich überzeugt. ..
Ein junges Mädchen war darunter.
Die schien ein wenig anders als die«
andern!«
»Aus das merkwürdige junge Mäd
chen tosnmst Du nun schon zum drit
tenknal heute abend. Bleih’ doch bei
der Sache!« s
»Ja! Wovon sprachen wir doch?
Nein, Sascha: was die Antitrust
Bewegung hetrisstl Die Stannard
Oil ist störten Unsere Petroleumpreises
in Balu . «
»Das haben wir bereits beim Fisch
sestgestelltf sagte der Pariser kalt-s
blutig. »Hast Du denn die ganze Zeiti
geschlafen? Hör« doch gesälligst zum-«
Er wiederholte seinen Vortrag.
Karl Feddersen saß ihm zerstreut gei
geniiber. Der leere Tisch in der Vor
halle ließ ihn nicht los. Wenn er vie
Augen halb schloß, nickte da untenl
eine große, steife schwarze Sammet-·
schleise von einem weißen Teller
hut, eine lichte Bluse schimmerte, undl
dazwischen war ein lebendiges, schönes
Mädchengesich t —- tiesduntleö Haar«
—- große duntle Augen«
»Ich half in der Sache Briese ais
Liverpool!« Er hörte die Stimmel
des Bruders wie aus der Ferne. »Es
nimmt mit dem BaumwollsCorner in
New York noch ein schlimmes Ende!"
,.Recht sol« pslichtete Karl Fedder
sen mechanisch hei. Er vernahm iider
den Tisch etwas von Digtonterhöhung
der Bank von England, von einem
halben Prozent.» aber die Versta
sung des internationalen Geldmarttes
ließ ihn heute kühl, und er brachte in
der ersten Pause die Rede wieder aus
den Tisch da unten:
»Es-irre gute Rasse ist doch noch hier
im Lande!" sagte er »Die Gesellschaft,
mit der das junge Mädchen vorhin
zusammen war . . .«
Sein Bruder wars ihm einen mehr
als mißtrauischen Blick zu. Er wurde
unruhig. Aber er zweifelte noch. Der
gute dlonde Charley war so gar nicht
der Mann, sich Hals iiber ttops zu
verliehen. Er tlopste vorsichtig aus
den Busch.
»Hör' mal, mon cher... die alte
Frage-» Du bist doch nun zweiund
dreißig. Warum heiratest Du eigent
lich nicht«-«
»Gott .. Du weißt doch... Jch
bin noch nicht dazu getotnmen .. . Tie
ewige Arbeit seit Papa-Z Tod. Aber
ich lass’ es mir immer ’mal durch den
ttops gehe-m Es wäre anch ganz gut,
wenn die Firma mit ihren Gewinn
teln etwas liquider würdes«
Der dlonde Deutsch-Pariser war sie-J
ruhigt. Gott sei Dant: sein Bruder
dachte noch an die Mitgistl Er sagte
wie deiljiusig: :
»Dies« Tage war Mademoiselle
Pharagli zum Tee bei meiner Fraul"
»So» Die Pharasli.. .!« s
Karl Feddersen schnitt eine Gri-«
masse. Der andere runzelte die Stirne«
»Ei) dien... wag hast Du denn
gegen sie-l«
,,Nichts!" i
«Tiensl Duc- wijre so eine Partie
siir Dich!... Es ist so ziemlich das
erste lednntinische Haus an der Bari-;
ser Börse. Tabei ist sie hübsch. in
ihrer Art.
»Ein winziges, schwarzes Püppchen
ist fiel« Z
»t)errgon... es qeyt doch nicht»
nach dein Gardentnfz!« j
start Feddersen wurde ohne allen,
Grund zornig. d
»Doch! Jch bin, nnbernfen, em,
stattliches sittl. Das ist ja lächerlichH
ich und dieser ttnirpgt Rein... brin
ge mir eine« . .. Er brach ab. Er hat
te fortfahren wollen: »Die etwa so
ansichaut wie da- Mädchen da un
ten.'· Sein Herz wurde wieder unru
hig. Er schnieg.
Der Bruder erriet feinen Gedanken.
Er tvnfzte jetzt genug· Es war wirt
lich Gefahr im Verzug. Er frng:
»Mir scheint, Du dentst schon wie-·
der an die junge Dante von vorhin?
Wer war denn das eigentlich?«
»Das weih ich nicht!«
»Wie heißt sie denn-«
»Gute. Ein fcheutzticher Name!
Nicht?«
Dabei sormte sich in seinen Ohren
nie ein Kindieeattord das weiche,
helle, gallifch tändelnde: Margot. Der
andere forschte:
»Und ihr Faniiliennatne?«
»Den weiß ich nicht!«
»Was ist denn der Vater?«
»Weiß ich nicht!"
»Wo wohnt sie denkt's«
»Weiß ich nicht!«
»Was treibt sie denn?«
»Weiß ich nicht!«
Satchr Fedderfen mußte lachen. cer
schlug mit der flachen Hand auf den
Tisch. l
»Charley!... Chctrley!" sagte er.j
»Ich hätte Dich für vernünftiger ge-«
halten!... Sieh mir ins Gesicht!«
»Du bist ja im Begriff- Dich zu
mit-den« Du unglückliche-n . -1
,Unsmn!«
»Und roch dazu in eine Unbekann
te..."
»Ach, laß mich in Ruhe!«.
»Und aar noch in eine Dame, von·
der Du selbst vorhin erzähltest, sie sei
schon mit einem Osfigier verlobtl . ..
Charley... Gib mir mal Deine
Hand« .«
»Woz«t?«
,,... und versprich mir, daß Du
morgen abend mit mir nach Paris
fährst!«
Eine Pause. Dann sagte Karl Fed
dersen zu des anderen Erstaunen mit
einem plötzlichen Entschluß und m
seinem alten, nüchternen Ton: »Gut!
Jch komme mit!«
»Parole d’honneur?"
»C’est derive!"
Aber als am nächsten Abend die«
zehnte Stunde sich über Berlin sentte,
das Gepäck fertig dastand, die Hom
rechnnng quittiert daneben lag, saß
Karl Feddersen immer noch untälig
in seinem Zimmer. Sein Bruder hat
te noch aus dem französischen General
tonsnlat zu tun. Es war verabredet,
daß sie sich aus dem Bahnhos tref
sen sollten. Hinter ihm haftete es dis
tret. Sein Kammerdiener mahnte:
»Monsieur, es ist höchste Zeit!«
»Monsieur können zur Not noch
mit dem Handgepäck in einem Auto
zurechttommenl'«
»Adol«ohe... Sie wissen, daß ich
nicht gerne ewig unterbrochen werdet«
Die Uhr schlug ein viertel nach
zehn. Der Glattrasierte verzog teine
Miene. Er begann schweigend das
Reisenecessaire wieder auszudeuten
Karl Feddersen wandte unwirsch den
Kopf.
»Was machen Sie denn da, Adol
phe?«
»Monsieur, der Nord-Expresz ist
vor siins Minuten abgegangen!«
Sein Herr stand auf. Er mußte
lachen, wenn er an das enttäuschte
Gesicht seines Bruders dachte, der jetzt
allein im Abteil des Luxuszuges saß.
Am nächsten Morgen schon kamen ent
rüstete Depeschen von Sascha: eine
von Hannover, eine ans llöln, eine
von der Grenze. Jn allen dasselbe:
Ein Kaufmann halte das Worts Auch
unter Brüdern! start Feddersen liefz
das ganz kühl. Er wars die Tele
gramme in den Papierlorb. Nachmit
tags sprang er plötzlirh aus, als ob er
etwas wichtiges vergessen hätte, sah
auf die Uhr und ging hinunter in die
große Halle des Vom-. Da war das
Treiben des Fide-o’elocl wie gestern.
Der blnubesractte Diener hatte ihm
einen Platz reserviert, dicht vor je
nem runden Tisch. Aber an dem sa
ßen heute nur gleichgültige, unbekann
te Leute. Fremde Gesichter überall.
Karl Feddersen wartete gut zwei
Stunden« bis der große Raum sast
leer war. Dann zog er seinen Fracl
an, dinierte allein, lag dabei gähnend
die neuesten blauen Wolffschen Han
delgdepetchen und legte sich mit den
Hilhnern schlafen.
Am nächsten Tage ging das ebenso,
am dritten auch. Jeden Nachmittag
sah er andere Gestalten an dem run
den Tisch. Das junge Mädchen tam
nicht wieder. Die Ultillionenstadt hatte
sie verschlungen Dabei flogen die
Briese des Bruders aus Paris. Jeden
Tag einer. Er mußte sie lesen, weil
auch Geschöstlicheg darin stand, und
dazwischen immer ein wiitendeg »Was
soll das?... Wann fährst Dies-«
lind endlich eine itnoerhiillte Dro
hung: »Wenn Du nicht gleich tommst,
erzähle ich überall, daß du Dich hoff
nungslos in eine kleine Berlinerin
verliebt hast... Alle lachen dich dann
hier ausl« Das wirlle am meist-m.
tiarl Feddersen war empfindlich. lisr
hatte eine starte Meinung von sich
und seinem Geldwert. Er war ge
wohnt, respektiert zu werden und
siihlte selber: er stand im Begriff, sich
ein wenig lächerlich zu machen....
auch vor sich selber . ..
Er sagte sich: Zascha hat reich ne
heirntet --- eine Vunerilaneriik Auch
Ucicoll1i5, des Moslnuer Bruders,
Frau, eine Kliussiin hatte viel Geld.
Er, Charleh, war es- der Fiina schill-»
dig, auch eine Liliillionen-’Jllitaist hin-;
einzudringen. Er stieg noch einmal:
hinunter zu dem Fide-o’cloct. Hundertei
von Menschen waren da. Das einzi
ge Gesicht, das er suchte, nicht. irr
faßte einen letzten Entschluß. Er
winkte dem liellnet Wer das neulich
wohl alles an dem runden Tisch ge
wesen sei? Aber der Blnubeskactle
entsnnn sich nur noch dunkel. tsr
tannte die Herrschaften nicht. Die ta
inen sonst isicht hierher.
Nun gab Karl Feddersen es ans.
lsigentlich fiihlte er sich erleichtert
durch den Entschluß, noch diesen
Abend nbzureisem Es war das einzig
Vernünstigr. Er war mit sich zufrie
den, während sein Adolphe aus dein
Boden des Hotelzimmerg kniete und
wieder die stosfer packte. Dann ver-·
schlos; er seine Geschäftsbriese in einer
Wappe, dn klopfte es. Der Kellner
brachte eine Karte. Der Rittmeisier
Baron Elendt wünschte seinen Besuch
zu ninchen. Er stnnd draußen im
Vorraum des Hotelzimmerg, trat sä
beltlirrend ein, schüttelte ihm die
Hand und nahm Platz
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie
des Abends überfalle, Herr Fedderseiu
Aber bei Tag hab’ ich höllischen
Dienst! Ich komme nämlich mit et
nee Bitte —- nicht siir mich, sondern
file jemand anderen . . . oder eigentlich
f
mehr mit einer Anfrage... ganz im
Vertrauen . . .'«
»Und womit kann ich dienen?« frug
Karl Fedderfen kühl. Er, der reiche
Mann, war viefe Einleitungen schon
gewcohnt.
Sein Besuche-: sah sich in dem Ge
mach um und pfiff durch die Zähne
»O weh!« verletzte er. »Mir scheint,
ich komme zu spät gerade vor
Toresfchlnfn Sie sind im Begriff
abzureifen?«
»Ja. Um sehnl«
»Gott wie schade!... Hals ich
nur vorher gewußt. Da hat es eigent
lich kaum mehr Zweck, daß ich mich
meines Auftrages entledige!... Aber
schließlich, ich habe es nun einmal
übernommen, es auszurichten: Fräu
lein von Teuffern hätte Sie fiir ihrv
Leben gerne noch einmal gesprocheni«j
Der Millioan hatte zerstreut zu-«
gehört. Solche Bittaesuche waren sein«
tögliches Brot. Er wiederholte gedan-»
lenlos: «
»Fräulein von Teuffern?«
,,Erin1eri. Sie sich nicht, neulich
hier unten... die Dame, die Jhnen
gerade gegenübersaß? Sie sprachen
noch so viel mit ihr...«
diarl Feddersen wandte dem Uhlass
’nen den Kopf zu. Er hatte Mühe,
sich zu beherrschen.
»Die rcl;lanle, dunkle Dame...?
Der Bruder war auch dabei . . .«
»Ja. Eben vie!«
»Das ist ein Fräulein ron Teuf
ferns«
»Der Ecke lsl hycllcllllicllllltllll z«I
D. Sie wohnen draußen in Charlot-«
tenburg. Eine sehr gute Familie. Jch
komme manchmal Sonntags hin. Ei-«
gentlich wollte Jhnen Fräulein von
Teuffern schreiben. Aber oann fürch
tete fie, das käme am Ende nur in
die Hände Jhres Setretärs und von
ba in den Papiertorb Sie kriegen
doch gewiß täglich niassenhast aller-J
haiid Wische. Da entschloß sie sich lie
ber, mich zu schicken. l
»Ich stehe zur Versuguiig!« sagte
Karl Feddetsen. Seine Stimme
schwankt-. vor Erreguiig. Der Ritt
meister achtete nicht daraus. Er spielte
niit seinem Säbel, den er zwischen
den Knien hielt.
»Sie möchte Sie nämlich etwas
fragen!« sagt« er. ,,-·llur ein paar Mi
nuten, aber möglichst ungestört. Das
ginge nun zum Beispiel bei dein Zwe
o’clock da unten nicht· Da tetzen sich
gleich zehn, zivols Betannte von uns
ungebeieki mit an den Tisch. Aber
im Tattersall in der Luisensiraße
etiva . . . es kommen da vormit
tags viele Damen hin, um zu reiten
. da geht man ganz uiigeniert aus
und nieder... Es ioar naiuslich ooii
Haus aus unbescheiden, Ihnen den
tleinen Weg zuzumuten! Und nun, ioo
es der Uniicrn will, daß Sie in coe
nigeii Stunden schon aboampsen.
»Eiiien Augenblick, bitte’« unter
brach Karl Feddersen und griff hef
tig, um seine Verwirrung zu verber
gen, nach einigen Depeschen, die ihiii
der Diener hingelegt hatte. Er rifz sie
aus. Zioei enthielten gleichgültige Ge
schäfte. Die drittes war aus Paris:
»Du bist ein Deserteurl Wenn Du nicht
kommst, hole ich Dich iiberniorgeii
persönlich. Sascha!« Er salieie das
Blatt zusammen und sagte mit ertiin:
stelter Ruhe:
»Das trisst sich merkwürdig, Herr
Baron! Jn diesem Moment bitiet
mich ein Geschästgsreuiid dringend,
nicht abzureisen Er sei iiii Begriff,
iiiich hier auszusuchen. Jch inusz wohl
oder iibel tleibeii!«
»Ah sainog!.. . Mir fällt förmlich
sein Stein ooin Herzen!... Die Sa
Tche ist natürlich siir Sie nicht ioichtig,!
iber siir die anderen sehr Haben Sie
denn auch ivirllich morgen ein paar
Minuten Zeits« l
»Viel nicht!« start Feddersen gab
sich den Anschein eines von Arbeits
iilserhiiusteii Miiiineg.»31ber es- läszt
sich schon machen. Wurde es wohl iiiii
elf Uhr passen-« s
»Waim die lsestiininenl Also nin
elf im TattersalL Und inzwischen
herzliche-i Dank!«
Der Uhlan tlirrte händeschiittelnd
hinaus· Der andere schloß die»Tiire
hinter ihm, setzte sich an den Schreib
tisch und drahtete an seinen Bruder.
«Bin mündig. Bleibe Du in Paris.
Gruft. Charleh.«
Voll Unruhe nnd Ungeduld, eine
unbestimmte, lächerliche Hoffnung im
Herzen, fuhr er am nächsten Vormit
tag die Linden entlang und iiber die
Spree nach dem TattersalL Am Ein
gang stand schon der Rittineister und
wartete. Er führte ihn geschäftig auf
die hölzerne Estrade, die die Stirn-«
seite der Reitbahn aLschkoß. Da blieb
Karl Feddersen stehen. Es waren we
nig Pferde in der Bahn. Nur ein pa1r.
Zuschauer auf den Tribiinen Gegen
iiber auf der anderen Schmalseite des
Rechtect5, wo links der Eingang zu
den Ställen war, tauchte ein Mntzi
chen aus billigem weißen Möwengefie-.
der ·nuf· Dann ein ebensolcher kleiner
weißer Schulterkragen. Er erkannte
mit einem jähen freudigen Schreiken
das lebhafte Mädchengesicht, die dunk
len Haar-, die dunklen Angen, Siei
schien ihm noch schöner, als er sie in
der Erinnerung gehabt. Sie trug eine
einfache Jacke, einen kurzen grauen?
Rock und lenkte doch one Blick- auf sich,s
während sie leichtsiiszig und schlank
den Gang herunterkain. start Feldber
sen sagte sich, während er ihr entge
genging: Wenn die ein Pariser
Schneider, eine Pariser Hutkiinstlerins
anziigen, was gäbe das fiir eine Er
Meinung-.
Margarete von Teuffern streckte
ihm unbefangen die Hand hin. Sie
lächelte Sie unterdrückte ihre Aufre
gung. Sie war durchaus ein Mädchen
von Welt. Das sah er gleich. Das ge
fiel ihm.
·»Jch danke Jhnen von herzus- Herr
FeddersenS Es ist fo furchtbar nett
von Ihnen, daß Sie gekommen findt
Jch habe mir eigentlich hinterher .
schreckliche Vorwürfe gemacht, Jhnen
das zuzumutan Aber ich weiß fattiich
nicht mehr wo mir der Kot-i fteht .. "
»Wenn ich Jhnen irgendwie nützlich
sein kann, mein gnädigeg Fräulein,
fo ift es mir eine Freude!«
Karl Fedderfen sagte das höflich
und ruhig und riictte sich dei- fpieae:- «
glatten Zylinder, den Her zur Begrü
ßung abgenommen, auf dem blonden
Haupt zurecht. Sie schwieg. Es war
eine Pause. Dann fagte sie stockend:
»Ich weiß gar nicht« wie ich anfangen
fall, Herr Fedderienl Bisher war ich
ganz guten Muts. Ader nun, wo’8
drauf antommt, fällt mir direkt das
Herz in die Schuhe!.. Jch hin Ih
nen doch fo ganz fremdl. «
Karl Fedderfen tain unwillkürlich
auf die rechte Antwort.
»Sie müssen sich denken, daß sieh
fehr oft Menschen an mich wenden!
Das ift jemandem wie mir nichts
Neues!«
Das gad ihr wieder Mut. Die ent
schloß sich, ihm ins Gesicht zu sehen
»Es handelt sich um eine Bitte,
Herr Fedderfen!« sagte sie-freimiiiig.
»Ich hoffte ja auch, daß Sie sich bis
schon von selber denten würden! .
Sonst iviirde ich nie . . . Jch babe auch
meinen Eltern nichts davon erzählt!
Ueberhauvt keiner Menschenseele,
außer Elendil Jch tue es ganz auf
eigene Faust! Schließlich langt man
nach einein Strohhalm... wenn ihm
so gar keinen Rat mehr weiß... nicht
wahr?«
»Es wird schon nicht so schlimm
fein!.. . Erzählen Sie einmal recht
ruhig und der Reihe nach mein gnä
digeg Fräulein!«
Sie beugte den schlanten Obertsr
per iiber die Holzivandung der Reit
bahn, stützte sich den Ellbogen darauf
und miifterte die Pferde. Er fah: sie
war bemüht, ihrem Beisammeniein
vor den anderen den Charakter eiiser
zufälligen Begegnung, eines gleichgülti
gen Geplauderg zwischen zwei Be
kannten zu geben.
»Es hat mir so imponiert, was
Sie mir neulich über den Umfang
Ihrer Geschäfte erzählten, Herr Fed
dericnl Jch verstehe nichts dad«;i!.
Aber die müssen ja riesenhaft fein!««
»Es gibt noch viel größere, Fräu
lein von Leusfernl«
»Jinmerhin!.. Jedenfalls haben
Sie Verbindungen mit allen reichen.
Leuten in Europa.
Er niufzte lachen
«Wenigsiens mit einer Anzahl!«
»Und darum dreht sich eben mein
Aiiliegeii!« Sie sprach stouend, aberv
entschlofien »Es handelt sich um ei
iien jungen Offizier Sie kennen ihn
Er fafz neulich auch mit am Tisch
Leider txdtteg hat er sich unfreundlich
und heraussorderiid gegen Sie benom
nien!«
».lch, der mit dein schwarzen stra
gen «
»Ha. Der Feldartilleriftl Ein Leut
iiant Liiiieinaiin. Er ift so ein schreck
licher Diitlopf Ich habg ihm nach
her gesagt. Jch hoffe, er bereut’s! Das
ist bei ans so Model» Lin meinem
Elternhaus auch· Wer da nicht mit
iiiail)t... Aber ich bin nicht fo. Was
hat nian denn davon?«
Sie furchte trotzig die Stirne.
Dann fuhr sie fort:
i
- l
,,Duinin ist Liinemann nicht. Er
sucht sich nur einen anderen Wir
tungotreiex Die eIstiedensztarriere ist
tsei uns ja trostlos Er möchte bei der
Industrie untertoinmen. Er hnt ganz
nette Vortenntnisse. Er hat sich schon
an Gott und die Welt gewandt. Aber
es wird nichts Jch glaube, es liegt
rein nur an ihm. Er tommt immer
schon so herein, als ob er die Leute
fressen wollte, von denen er etwas
tsaben möchte. Da natiirlich... Ach
hab mir in der Verzweiflung gedacht:
jetzt nehme iWB mal in die Hand «
»Wir möchten uns nämlich dann
heiraten!· sagte sie nach einst kurzen , ,
Pause heftig, den Blick am Boden. Es
tlang toie seindselig gegen start Fed
dersen, dnsz er ihr dies Geständnis
erpreszte Ein leises Rot überzog ihre
Wangen. Er sah von der Seite ihr
zartes Protii. Er mußte sich nieder
bengen, um besser u hören. Sie mur
niclte beinahe nur noch, immer die
Aug-n trotzig von ihm abgewandt
»Sie haben doch geiin auch in
Deutschland Vetannte, die eine Stel
lung zu vergeben haben« Können Sie
Lünemnnn nicht irgendeine iserschaså
sen? Nur siir den Anfang! Wir wol
len ja nichts Grosiest Wir sind ja mit
allem zutricisen... Nur, daß wir le
ben töntan Sie tun ein gutes Werts
Jch ·orge dafür, das; Liinenmnn
Ihrer Empfehlung teine Schandei
macht! Das schwöre ich Jhnent Jcls
Lin der ein-ig. Mensch aus der Welt,
dor den: er tslngst hat...«
diarl Feddersen schwieg.
Sie harrte bctiiinniert und unsicher
Eie vers-and sein Stusninblcite
nicht. Dann seufzte sie aus«
CForisehung folgt s
..· .- —-.- -