Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 08, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Mag-W de
Staats Anzeiger und Mrold
Orme MM,Dquwsttsg-dsn.9io
l— —
folkk Kam-, th Lin-nun
» dir Wahrheit sprach.
: Cszuhlmm ans dem Frnnzdsifchcn
von F. Ast-sie
Melchior war der Sohn recht an
ständiger und Mittel-mäßig begabter
Eltern, die durchaus ehrenhast dach
ten und daher selbstredend tapfer
drauslos lagen, wie dies ja alle Welt
tut. Seine Geschwister waren mit
keinem absonderlichen Laster behaftet,
und nichts deutete aus vie ungewöhn
liche und verhängnisvolle Neigung
die sich schon in ihm entwickelte, als
er kaum aushörte, nach dein Schwil
ler zu schreien.
Diese Neigung tvar schon mehr
eine Geistestrantheit, die eine ganz
besondere, ausgesprochene Form an
genommen hatte, eine Krankheit, von
der bisher noch niemals ein Sterb
licher befallen tvuroe, denn sie bestand
in einer leioenschastlichen, durchaus
unnatürlichen Wahrlseitslielsr.
mtelehior steckte deinnhe noch in den
Windeln, cils er es schon nicht begrei
sen konnte und wollte, dnß man ihn
täuschen wolle, und ebensowenig hätte
er jemals daran gedacht, andere zu
täuschen oder die Wahrheit zu um
gehen. Als einst die Dame. deren Ge
sicht ihm nicht gestel, den Kleinen
liessen wollte, wehrte er dies nd mit
den Worten: »Nein, dii dist mir zu
hnszlich", und er sngte das mit der
seloeii unschuldigen Aufrichtigleit,
mit der er die manchmal unniogliche
Erfüllung eines Versprechens sorders
te. das miin ihm vielleicht nur gege
ben, uin sein hiietnäckiges, tindisches
Bitten und Drangen zu beschwichti
gen. Sein Verdrus iitser eine derar
tige Täuschung ioar so lies, daß er
zu förmlichen Krisen siihrte. Er
wollte es nicht nnerteiinen, daß man
ein Versprechen geben lönne mit der
Absicht, es nicht zu holten. Er ivnr
beiniiize achtzehn Monate lang tod
betrüdt dariiber, dnß er den Mond
nicht velominen konnte, den sein Vir
ter eines Adens, nls er sich im Teiche
des Giirtens obspiegelte, ihm scherz
weiss versprochen hatte. Er heulte
vor Wut, nls er endlich einsah, daß
dieses Versprechen sich nicht erfüllen
ließ. Seine tindliche Liede iidertviind
diesen Schlag niemals vollständig.
Man wird begreifen, daß diese üb
len Eigenschaften ihiii zahlreiche Un
annehmlichleiteii ziizogen ii. den Ver
tehr init ihm sehr erschwerten. Als
er herrtusivuchs, hosste iiiiin durch die
Erziehung aus ihn ivirleii zu löiinen
und glaubten auch. diisz, wie dies
doch meistens der Fall ist, eine so
unnatürliche Neigung mit der Zeit
von selbst schwinden miisse. Aber ge
rnde das Gegenteile snnd stritt; sie
entwickelte- sich immer mehr und das
Kind wurde so tinleidlieh, diisz seine
Eltern es sobald als nur möglich in
eine Erziehungeanstnllt gaben
Dort sing Melchior an, das Le
ben kennen zu lernen, und er sand,
daß es durchaus nicht so sei, wie er
es sich geträumt hatte. Da er trotz
seiner krankhaften Neigung durchaus
nicht dumm war, erkannte er sehr
bald, dass, die Lehrer ihre Gunst stets
den Lügnern zuwandten, während er
sich durch seine unschuldige Liseiiher
zigteit unzählige Strafen zuzog und
sich obendrein seine Kameraden zu
Feinden machte-. Sie nannten ihn
einen Mutter nnd scheinheiligen Lin
geber und verpriigeiten ihn gel)i)rig,
niem- er bei Gelegenheit eines gemein
schaftlich verlibten dummen Strei
ches sich selbst beschuldigte, aber gleich
zeitig seine Kameraden angab.
Die Buchdruiterlunst bereitete ihm
auch viele grausaine Enttiiuschungen
Er hatte einen unbedingten Glauben
an allei, was er las, und hielt jede
gedruitie Erzählung, so unwahr
scheinlich sie auch sein mochte, sur
unbedingt wahr. Es war ihm völ
lig unmöglich, eine Dichtung als sol
che gelten zu lassen. Was gedruckt
war, mußte wahr sein; wenn es nicht
wahr wäre, hätte man es nicht ge
drunt. Von diese-.- seltsamen Aus
saisung ging er nicht ab, und so
kam es, dass selbst die Fabeln seines
Lesebuches siir ihn zu einem gefähr
lichen Gift wurden, denn er suchte
immer und überall nach sprechenden
Tieren, und man sing an, ihn siir
einen Jdioten zu halten. . »
lEr wuchs heran, ohne sich zu bes
sern. Trotz der iileln Erfahrungen,
die er machte, trok der Mühe, die
man sich gab. ihn eines Bessern zu
belehren, gelang es i m nicht, zu be
greifen, daß es unm’ lich sei, immer
di- Wahrheit zu sagen und dasz die
Lüge zum Leben durchaus notwen
dig sei. Sein Leid wuchs, als er
endlich eins , dasz die Menschen eine
ewissenhasi und schranienloseWa r
itiliebe durchaus nicht hochschäsze «
Aber selbst diese Erkenntnis trug nuri
dazu bei, ihn in seiner gefährlichenl
und sanatischen Leidenschaft noch
mehr zu bestärken. Man konnte al-’
les von ihm bekommen, wenn man
ihm nur nichts vorschwindelte. Der
brutalste Hohn erschien ihm liebens
würdig, weil er naiverweise darin ein
Zeichen von Wahrheitsliebe zu sehen
qiaucte
Seine Kameraden wußten das sehr
wohl und verstanden es, Nutzen dar
aus zu ziehen. Sie veranlaßte. ihn,.
ihre Arbeit zu tun, indem sie ime
sagten: »Wir sind saui; mach du«
unsere Ausgaben; während dieser Zeit?
werden wir uns mit verbotenen Spie-.
len unterhalten. Aber wir werdens
dich darum doch ir. der Erholungs-;
pause prügeln«. — »Ich werde ess
tun«, sagte Melchior, »un! Euch da
sii zu belohnen, daß Jhr die Wahr
heit gesprochen habt«. Und er gab
sichf mit Mut und Eiter ans Wert,
arbeitete siir alle, während die klei
nen Maikiiser ipießten, Frösche mit
Hilfe eines Federtiels ausbließen
oder Feuerwertszstörper unter den
Bänleii abbrannlrii. Die weniger
Schlimmen spielten Karten oder be
schiistigten sich mit Seidetttviirtnern.
? So wuchs Melchior heran, ttnd als
Idieser unnatürliche Knabe das Jüng
lingsalter erreicht hatte, verließ er
die Schule Er sing nun aber doch
an, die Last seine strengen Wahr
theilt-liebe sehr drückend zu empfin
lden Er siihlte sich auch unglücklich
Tweil er sich nickt verhehlen tonnte,
’dasi es sehr schirer sein würde, in
Gesellschaft der Menschen zu leben
und dabei sUg wahrhaft zu blei
ben Dieser edante aber war ihm
unerträglich, da er wirklich die Wahr
heit iiber alles liebte
Zu dieser Zeit aber geschah es,
daß er dennoch zu ein oder zwei
hatbliigen gezwungen ward; er emp
fand jedoch wahrhaft brennende Ge
wisseitsbisse darüber. llnd nun woll
te es sein guter Stern —— oder viel
mehr das grausame Geschick, das ihn
versolate daß ihm Gelegenheit wurde,s
einem Engel des H: mittels einen gro
ßen Dienst zu erzeigen, und der dant
biire Engel sorderte ihn aus, einen
Wunsch auszusprechen, dessen Erfül
lung er ihm gewähren wolle.
»So wünsche ich', sagte er zu dem
Enge-, »itrinier nur die Wahrheit zu
sagen, und daß auch jeder sie mir
sage«.
Der Engel fuhr aus vor Staunen
und Schrecken.
»Mein artner Junge«, sagte er, »ich
hat-se dich aufgefordert, dir etwas zu
wunscheii, was dir Freude bereiten
und dich glücklich machen tönnte«.
»Ich wiinsche mir«, sagte Melchiim
»daß ich niemand täusche und von
leiiiein getäuscht ande. Das ist das
einzige, was mich glücklich machen
knur.
»So sei es. tvie dtt es wünscht!«
sagte der Engel. »Ich habe verspro
chen, deinen Wunsch zu erfüllen, aber
dii hättest besser daran getan, niir tei
nen Dienst zu eriveiseii'«.
Ter Engel tehrte zum Himmel zu
riiit und Melchivr tritt in das Le
ben ein.
Tie Beziehungen zu seinesgleichen
grimlteten sich hi·chst unfreundlich,
dant seiner schrecklichen Gaue, die ihn
in einein unerbittlichen, tödlichen
Feind alles gesellictmsttichen Vetteln-z
innititr. Nachdem man ihn während
eine turzen Zeit mit einer gewissen
Neugierde als Entlderling angesehen
hatte, stand er doch sehr bald in isems
Muse, ein brutalek, l)ändelsiiit)tiger,
und unannehmer Geselle zu sein, dein
man in derselben Weise begegnen
musse, die er gegen alle Welt zur
Schau triige. Ohne von Worlldech:
seln und unzähligen Keilereien zu re
den, hatte er in der ersten Zeit durch
schnitilich alle vierzehn Tagen eini
Aue-U Die meisten waren Pistolen-s
duelle und ziemlich gesahrlos, aberi
bei einigen anderen Gelegenheiten, tvo
mit dein Degen gesochten wurde»
trug er starke Verletzungen davon.
Man sing an, ihn zu fürchten, und
die Folge war, daß man ihn immer
mehr mied· Es larn jetzt nicht mehr
zu so häusigen Zusammenstöszen und
meistens nur mit Unbeiannten, die
er durch irgend eine rücksnhtslose
Wahrheit beleidigt hatte. Aber er
sing an, schmerzlich zu leiden unter
der Vereinsamung und dem Gesiihl
des Grauen, das er allen Menschen
einslcsze, sobald sie seine schreckliche
tfigentijmlichteit erkannten.
Er war ungesiihr sünsundztvanzig
Jahre alt, als er sieh verliebte.
Seine Auserwählte tvar ein sehr
hübsches Mädchen, gut und tlug.
Trag seines schlechten Ruses und der
unangenehmen Wahrheiten, die er ihr
zu sages pflegte, liebte auch sie ihn
herzlich. Sie verlpbten sich, und er
tvar sehr glücklich. Unglüctlianveise
aber tonnte er nicht schweigen.
«Liebst du wicht« fragte er seine
TBraut eines Tage-.
« »Ja« sagte sie. Und er zitterte
vor Freude, weil er wußte, das- dies
wahr sei, wahr, tvie auch alle-, was
ee the sagte.
»Liebft du mich mehr als alles in
der Welt?« fragte er weiter, denn er
träumte, wie alle Männer, von einer
absoluten Liebe.
Sie zögerte und errötetr.
»Nein«, fagte sie kann, »ich liebe
meine Mutter noch mehr«.
»Acht« sagte Melchior und feine
Stimme verdüsterte sich.
Aber er verlor den Mut nicht und
bemühte sich nach Kräften, sich feiner
Braut noch liebenswerter VI machen.
Es gelang ihm auch« aber eines Ta
ges wiederholte er ferne Frage:·
«Liebft du mich mehr als alles in
der Weltt«
»Ja« antwortete si ohne zu zögern.
Er war feht glücklich, hatte aber
nicht die Kraft, sich zu mäßigen.
Und obwohl er das dunlle Gefühl
hatte, eine Dummheit zu begehen,
fragte er weiter: «
»Und wirft du mich immer lie
ben?"
»Jnimer", antwortete sie sofort.
Ganz überwiiltigt von Glück ergriss
er ihre Hand, abe. schon wandte «sie
den Kopf ab und stainineltet
»Das heißt.... imnier.... ich
weiß es nicht.... Aber«, ries sie
dann leidenschaftlich, »ich liebe dich
ietzt, und ich liebe dich so sehr, daß
ich sterben würde, wenn du Iiich ver
ließest-C
«Ach««, sagte er tiestraiirig, »ich
weiß es ja ebensowenig, ob ich dich
immer lieben werde ..... Wir lieben
uns nicht genug ..... Wozu nützt es,
ein Verhältnis weiter zu führen, das
sich doch eines Tages lösen wird. . . .««
Er ging -— und tehrte nicht zu ihr
zurück. Wie sie es ihm vorher gesagt,
starb sie an gebspchenem Herzen,
denn in jenem Augenblicke liebte sie
ihn über alles in der Welt.
Die Geschichte sprach sich herum,
Und da Melchior natürlich von nie
mand verstanden wurde, galt er in
den Augen vieler Leute sür nichts
anderes als eine Art wildes Tier.
Die ihn am nachsichtigsten beurteilen,
meinten, er müsse verrückt sein. Er
machte sich nichts daraus; ein Raub
des Schinerzes und der Gewissensbis
se, beklagte er beinahe die Gabe des
Engels —- aber es war zu spät
Er versuchte es vergebens, sich ir
oendciner Arbeit hinzugeben, die zu
leisten ihm sein Verstand und seine
Kenntnisse sehr wohl ermöglicht ha
ben würden. Aber rnit welchem Stu
dium er sich auch zu beschäftigen
strebte, es war ihm unmöglich, sich
darin zu versenken. Die Wissenschaf
ten verschlossen sich bei der ersten Hy
pothese vor ihm. Bei der Geschichte
tani er nicht über die ersten Daten,
bei der Geograpyie nicht über die un
erläßlichsten ersten Beschreibuiigen
weg. Das Finangwesem der Handel
die Rechtsidisienschast waren nichts
sür ihn. An die Philosophie dachte
er nicht einmal, so ioeiiig wie an die
Statistit. Ein tleiner literarischer
Versuch siel so seicht und unbedeu
tend aus, daß er ihn ins Feuer wars
und nieniehr etwas zu schreiben ver
suchte.
Man weiß nicht, wie es geschah,
daß er plötzlich daran dachte, die Po
litische Laufbahn einiusrhlagen und
sch um einen Platz im Parlament
in beiverben.
Ter Verlauf feiner ersten dissent
lichen Rede war ein höchst iiierlimir
Vieren »Meine Herren Ltlal)ler«, sag
te er, »ich stelle mich Ihnen hiermit
in der Erwartung vor, dass Sie miet:
zu Ihrem Abgeordneten ernennen
userdetk Jch must Ihnen jedoch vor
lier sagen, das-, Jhre Interessen mir
völlig gleichgültig und Sie selbst mir
beinahe unangenehin sind. Ich be
trachte Sie nur als eine gemeine
Herde, über die man sich lustig macht.
Alle-, wag das Wahlloinitee Jlmeii
in meinem Namen verspricht, werde
ich nicht halten. Wenn ich gewählt zu
werden wünsche, so geschieht dies nur,
uni Geld zu verdienen, Einfluß zu
gewinnen und um intrigieren zu ti.in
nen".
Er mußte sish unterbrechen. Aus
der MLtte seiner empörten Hörerschaft
wurden Wursgeschosfe aller Art auf
den Redner geschleudert. Die Wölf
ler waren außer sich vor Wut. Mel-·
chior war genötigt, über das Dach
des Saales zu entfliehen, um nicht
verpriigelt zu werden. Die allgemei
ne Aufregung war so groß und eg
entIand ein solcher Lärm und ein
so schreckliches Gedränge, dofz ver
fchiedene Menschen erdrückt wurden,
deren Tod die öffentliche Meinung
auf Rechnung des Uebeltiiters sente·
Dieser Versuch, wie seine Mitmen
schen zu leben, war der leßte, den er
irnachlr. Er zog sich ganz von der
JWelt zurück und wurde ein Menschen
lseind, denn da er niemals absichtlich
etwas Böses getan hatte, glaubte er,
das Opfer eines ungeeechfertigten all
gemeinen hasses zu sein. Er iso
lierte sich vollständig und versanl im
mer tiefer in Melancholie. Er wurde
trank und nahm sich nicht in acht.
Sein Leiden verschttinmeete sich.
Ein Vkmächtni5.
Von Tom Tuncke..
Jetzt standen die Bäume kahl und
verschneit. Der Brunnen, eingefro
ren, rauschte nicht mehr Niemand
hielt ihre Hand warm und fest in
der seinen, nieniand sprach zu ihr in
unendlicher Güte und Liebe, heiße,
lkliige niit Sinnen und Seele aufge
fangene Worte
Lotto stand, die Stirn gegen die
kalte Scheibe gepreßt, nnd blickte
über die schmale Galerie in den Hof
Hherinitee
Auch heute tpartete fie, während
das- Ztind hinter ihr cnici Biiiitlötzen
einen Schlinengmlieii anifiihrte nnd
mit Gepolter Riissen nnd Franzosen
ans den Gräben heran-J nnf den
Fußboden warf.
Vor elf langen Tagen lmtte sie iin
die Schwester des geliebten Toten
geschrieben, nnd liis heute inni· keine
Ulntinnrt gekommen Seit einer Wo
che fah iie nach dein Llriissträzier miss,
vergebens-. Wollte iniin mich Ietzt
noch nicht-:- uon ihrAwiIisih nachdem
der uiibarinherzige Tadsie den Sei
iieii iiiit selbstverstäiidlicher Gran
saniteit weit nnd siir immer entrintt
hatte? Nachdem sie nicht- iiiehr boii
ihr zu siirchteii hatten, jede Mög
lichkeit ausgeschlossen mar, dasz die
iiiistandeögeniiisze Bliisennaherin
Eingang in die Familie suche.
Und doch iiiiiszte sie itni sich siir
eine halbe Stunde wenigstens er
zwingen, ioeiiii es ihr nicht freiwil
lig geioahrt wurde· Der letzte Wille
des Toten hatte es ihr zur heiligen
Pflicht gemacht, den Brief, den er
ihr zum Abschied hinterlassen, ini
solle seines Todes dein Vater oder
der Mutter persönlich z« nberbriii
gen.
Sie hatte im August, als Kiirt
von ihr gegangen war, nicht nach
deiiizGriuid noch nach dein Inhalt
desSchreibeiiI gesorscht Sie wußte
und vertraute: der Geliebte sprach
niemals einen Wunsch, ein Verlan
gen-aus das die Notwendigkeit nicht
forderte.
Bette Behring hatte in diesen leh
teii Wochen Zeit genug zum Gril
l«elii, Nachdenken, Warten gehabt.
Das grosse Blusenerportgeschiist, in
dein sie seit einer Reihe von Jahren
eine vorteilhaste Anstellung beilei
det, hatte seine Pforten geschlossen
Da ess- aiiJschlieszlich siir England
arbeitete, iiiiiszte iiiaii dass voran-I
sehen.
Lotte hatte sparsam geiuirtschastet
all die Jahre. Goitlob, sie brauchte
nieiiiaiidegs Hilfe anzurufen. Sie
kennte siir ihren Jungen, ihren
Werneiz sorgen, bis sich mich dem
tirieg iieiier Verdienst siir sie sand.
,,Mntti!« rief ei- seht hinter ihr.
,Mutti, spiel« iiiitl« .
Sie beugte sich zu dein stiiide nie
der. Die Hand aus deni blonden
tiosischen sah sie ihm niit zärtlicher
Wehmut ins Gesicht Wie er seinem
Vater glich, Hing iiiii Lsugl Dein
ziinderbildchein dass sie von dem To
ten liesas;, iiiie tin-:- deiii Gesicht ge
schnitten. liiott gebe, das; er ein
Mann iiiiii·de, ioie sein Vater genie
sen war.
Daneben, vor der stiicheiitiir.
schlug die illingel an.
»Es bininielt, Miittil«
Sie hatte schon gehort iuid die
Winke bereit-:- iii der Hand. Drau
izen stand der Visiestrager Er
trachte einen Brief, von des Oze
ikeiniratd Hand adressiert. Sie kann
te die Schrift oon den Brieseii her,
die sinkt ihr gelegentlich boin Vater
gezeigt hatte. Schien es ihr nur so
oder war sie unsicherer, uiigteichiinis
stiger geioordeii in dein Schmerz niii
den Sehnt
»Ich werde sterben«, sagte er sich
eines Tages.
Aber taum war dies Wort seinen
unfehlbar-en Lippen entslohen, als er
selbst davor erschrak. Er liesz einen
Arzt rusen.
»Was fehlt mir7'« fragte er die
sen.
»Ich weiß es nicht«, antworte der
Arzt.
»Ich werde sterben«« sagte Mel
schior.
! »Ja«, gab der Arzt nach einigen
sMinuten zu. Dann über seine Bru
stalitiil und die Sicherheit seiner An
lündigung ebenso erstaunt wie er
schrrdem hielt der Arzt inne und
suchte nach ein paar tröstlichen Re
densarten, um dem Patienten die
Hoffnung nicht zu rauben
Aber: »Sie...Sie werden ster
ben«, war alles, was er über seine
Lippen zu bringen vermochte.
»Sie sprechen die Wahrheit«, sag-s
te Melchioe mit hnßersiilltem Aus-;
druck.
Und er starb. s
Sie öffnete tlopfenden Herzens.
Dankbar illierlas sie die wenigen
Zeilen. Sie hätte ungern auf etwas
bestanden, was man ihr nicht frei
willig gewähren wollte. Und doch
hiiite fie es miifsen. Sein letzter
Wille iiber alleinl —
Tief im Schnee begraben lag die
kleine Welt, die sie dnrihfnhr. So
retfchneit in trustluser Oede mochte
der Hügel liegen, nnter dem der Ge
liebte in Feinde-Stand den legten
Schlaf schlief.
Sie trockneie die aufsteigenden
Tränen. Sie wollte ja stark sein, sei
nem Willen getreu bis ans-«- letzte.
Hatte er nicht gesagt: Wenn das
Schlimmste kommen sollte, meine
Lotte, nnd Dn endlich vor Vater
nnd Mutter trittst. sei start, sei dn
selbst! Sei du selbfi, wie eben du
nur bisi."
Die zimkefche Villa war leicht ge
fanden.
Ein Diener öffnete. Aus ihre An
fiage, ab der Hei-r Meheimrat zn
sereihen fei, gab er höflich zuriick:
..Friinlein Vehrings seh habe Or
der, gleich zn melden.«
Der lsleheinimt empfing sie Vor
seinem Schreibtisch stehend. Er war
allem. Cr fah ihr entgegen mit ei
nem Blick ans Staunen und lsliite
gemischt Die dllninntJhrer Erschei
nung im frhlichten Tranerileid, das
in nicht-I Anffallendem ihre enge
Jngehörigleit zn dem Taten betonte,»
ieffelten ihn ans den erfien Blick. i
Er bat sie Platz zn nehmen undi
filzte sich ihr gegeniibei, an ein«
schmale-J, mit Büchern bedeckte-J
Tischchen
»Meine Tochter sagte mit-, Sie
hätten mir oder meiner Frau Wich
tiges mitzuteilen. Leider ist meine
arme Frau noch nicht imstande-, Sie
zu eiiitifangen
Lotte iiirtte stuntm und mua ein
Paar Augenblicke mit ihrer Bewe
gutm, ehe iie Worte sond.
Dann zog sie eiti geschlosieiies
Echreiliem t: Herrn und Frau Ge
heiinrcit Wenn-i- Zunte gerichtet, aus
ihrer Haiidtasche
»Es ist ein Brief Jhres Sohnes,
den ich Jhneu oder Jhrer Frau Ge
,ii·.ahliu nach seinem letzten Willen
persönlich überbringen soll. Jch
nsiirde mir sonst nicht erlattht hohen.
Sie attiziisucheii.«
Der Meheitnrat neigte sich ein nie
nia zu ihr hinüber-.
»Wenn Sie nicht getoiitmeii iuiis
ren, mein Fräulein, Liitte ich itiir
erlatiht, Sie niisztistiche:i. Der Tod
eiiieci gemeinsam geliehten klltensilien
hnut Brücken Torheit ttiiir·«:» nnd
Unrecht, sie zu iiherseheii.«
Sie antwortete nicht. Sie hielt die
Anat-n eine-I Gedankens Quinte tie
iiizlossetn der Stimme zu lauschen,
Wirt-;- Etiiuttte, die sie im Innersten
erheben machte.
So hatte sie auch nicht-I- vou dem
Blick decs Manne-:- hetnerlen hinneni
der voll Weichheit iiud ljsiite aus ihr»
ruhte. — s
Nun sah iie iuieder zi: dein the-:
iieiiiirat hin. Er iuar aiihieiiiindeiil
iiiid hielt den Vriet in der Hand s
»Hm mein Sahn den Wiiiiiih
ausgesprochen das; nh oder mein-.
Fraii deii Brit-i in Ihrer Geisen-i
matt lesen seilte«.« l
»Nein, Herr Neheinirah diixi hats
ei nichts« i
Ter Neheiiiirat sann einen Lin
geiililiit
»Teiii!uch —- ich iniiitte iiiiht, lie-l
l«e-.- granleiih das; Sie iiiiz alt-nis
iiiieder verliesien -- nnd sinkt-) letz
tes: Wort an uns- — Sie liegt-eisen,
ieie sehr est- niich driiiigt ——«
Laite nictie iiiil.
,,Wiii«deii Sie die Giite halten«
hier ein wenig zu warten? Ich
machte zu meiner Frau hiiiiilseraes
heii.« Er schlos; ein stach ieiiiesjs
Schreihtischeii ans nnd leiste eine
Mappe ver sie hin.
,,Bilder, Eriiiiieriinaeii, Vriete
Den sturt —«
Auch ihin itoktte die Rede. Ehe fie
ihin noch danken toniite, iuar er hin
aiiisgeeilr
Drüben ini Zimmer seiner Fraii
saßen sie, gemeinsam iiher das
Brieshlatt gebeugt Juni zweitenmal
lasen sie:
»Viel-er Vater, liebe Mutter!
Wenn meine Hutte mit diesem Brief
vor euch hintritt, habe ich den Tod
siir unser geliebtes Vaterland ge
sunden. Weint nicht um mich sch
habe das Leben geliebt, sehr geliebt,
aber ein echter, rechter Soldatentod,
et birgt wohl siir feinen der Mil
lionen Kameraden, die heut niit mir;
gegen den Feind ziehen, Grauen!
und Schrecken Auch Lotto soll nicht
iiveinenx sie hat es mir in die Hand
gelobt, start zu sein iiir unser Rind.
Um dieses Kinde-'s willen, liebe
Eltern, trete ich heute im Geiste vor
Euch hin. Es ist ein heilian Ver
niiichtnis, das ich Euch ans Herz
lege. Nie wird sich Lotte von dein
Jungen trennen, der Deinen Na
men trägt, Vater Nie aiirh wird sie
Euch um das angehen, was ihr zu
geben nie in meiner Macht lag,
Geld oder anderweitige Unterstüt
zung. Sie wird wie bisher Kraft
und Ausdauer genug haben, sich
iind den Jungen durchs Leben zu
bringen.
Was ich von Euch erbitten möchte,
geliebte Eltern, ist das: Nehmt
Euch des Knabe- mit Eurem Her
zen anl Oessnet ihin da; große el
terlirhe Haus-l Schentt ihm Liebe,
viel, viel Liebei Und wenn Jhr
Euch entschließen töniitet, laßt ein
wenig davon auch meiner Lotte zu
teil werden!
Jch habe es ihr zur heiligen
Pflicht gemacht, Euch diesen-Brief
persönlich zu überhringeiil Wenn
Ihr sie gesehen habt, werdet Jhr
iiihlen, das; ich sie lieben mußte, und
daß ich keiner Unwiirdigen mein
Herz geschenkt habe
Jih begreise eh, daß, solange iih
lebte, Jhr dein Madchem das sich
iiiir aus freier Liebe hingegeben,
das- Hausz verschlossen hieltet. Jhr
mißt, ich habe auch nie den Versuch
aeiiiaiht, e-:s iiiit Bitten oder Gewalt
iiir sie zu öifnen seh habe immer
begrisiem dass Jhr auf Eure soziale
iiiid beriisliche Stellung, auf Jrina
iiiid den Siizinagei·, aiif die weitere
Familie kliiiiliicht nehmen iiiiisztet
Riiu ich nicht inehr bin, wenn die
ser Briej Euch eirticht, iinii kein
Lunteigednnle in irgend jemand aus
tuuiiieii laiin, ich wollte mehr er
zwingen als-«- Liehe siir mein Mind,
fallen diese iiiiszeren Grunde meinem
Ciiipiiiideii nach fort.
Lotte sieht ganz allein auf der
Welt· Fiir den Jungen gibt es keine
iieriiiiiiidtschriftlichen Beziehungen
iiielche Euch peinlich werden könn
teu.
Noch griiszt Euch ein Lebender,
olier ioenu es Gott gefallen sollte
daß ich nicht heinitehre init den Sie
gerii, nicht einziehe durch unser ge
liebtes Brandeiiliurgek Tor, grnßt
Euch der Tote und segnet, die inei
nem Jungen Gutes tun.
Eiter 8liirt.«'
Die Mutter erhob zuerst den leicht
ergrauten stopf.
»Briiig mir dass Mädchen, Wer
iier." ,
Er nieste stumm und ging in sein
Vlrlieitsssziuiiuer hiuiilier. EI- ioiir
leer. Auf der Manne die die Auf
fchrist trug »Unser Einiges lag ein
;,ettetelkeii iiiit deii iiieiiigeu Worte-in
»Seht geehrter Herr Geheiniriitl
Full-:- siurt shueii unseren Jungen
ein-J »Hei-z gelegt lsalieu sollte, mischte
ich nicht, diiji Sie oder Jhre Frau
Neiiinhliu iui ersten Jiiitiulss hun
delteu. Wenn ich irre, verzeihen Sie
meine Flucht!« —- -— —
Triiiii;eii fiel noch iiiuiier der
Schnee. Tie Materie, die unter den
Hofieuiiesu hinlief, tag-l iii dicken
Ecluieeiiotiierii liegmlieii
lieber den Hof taiii es iuit ra
seheiii, heiualie iuigediildigeui Schritt
Wenige :’lugeuliliele stiiiter stand der
isteheiuiriit iu der Tur, sue Lotte ge
ejiiiet haiie llelier ieiii eruueci Ge
iieht flog ein Lijeiielu iilsrs er dass freu
dige Liiiiteu des: :Ui’i«idi«h.ii-:s jali Er
iuiuiii ianit ilue Linn-«
»Ich halte inir drei In - Bedenk
ieit geiiouiiiieii. Lang genug iind sie
iuir geiiiiii"deii. seh iiiiire auch oluie
jie dein Jiiiiiulc iii-.«l:t unterlegen,
den Sie geiiiiehiet Ja, uieuu ich
uieiiieszs Sol iiie«:- Viiei iue eiiiiiiiuigeu
hätte, hiitte ich, naihde iii ich Sie ge
teheii, gebeten: ,,Liiiiigei Si· nur
Ihren Jungen —- Lotte!'
Sie liengte iieh nui ieiue Hund
i:id iiiollte jie tiisjeii, nlier er entzog
sie- ihr mich uiid tiijzte sie niii die
ieiiie Stirn. »Und uni- möcht« ich
eudlisli meinen Enkel seheii!« «
—- 91 b e r g l ii ii b i sch. Michel
Cliciiii Gift-ni: Na. bis-J iii i nist, mit
dreizehn sinijdcln liin i Iiii iiisi am
unns muß lmlt no iiiiiiii-i«, und
nimm i Ali-P iilaiz’!
—- J m in c i- Fs u cl) ni a n ii. »Der
Fiimnzmt iuill iiins jisiiic Tochter
nicht acht-n, iitisil ich iliiii gar zu inc
Iiig Gold l)abc.«
Pioiiicsrlciitiiuiii: ,,Aijo mich liiisr
Tradtliiiidisi«11isjc.«
—- Ncich dem Wohltätig
keitskonzeki. Tochter iabges
spannt): »Wer Piciscii liabi- ich ge
sungen, du«- gcin iibek meine
Krijiie.«
Vater: »Nun denke ’iiml crit,
was wir linlnsii ans-halten i:iiissoii!·'
—- Rccht tröstlich. »Dis,
Mann, ich habi- iisut doch oit io ein
eigenartiges GciiiliL nuiin ich dimi
denke-, daß unsere Wksiiiiisi ium beim
tct und dmm aus disni Hostie iislit.«
»Tröfie dich —, dir kommt bald
mit-deri«