Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 01, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    WStaats» Anzetger und Iferold
MOIM III-be Wkdeu
xkcncht:gk3uichiuri
Novelle von Oedtvig von Puttlmner.
Jn eineni Abteii erfter Klaffe bei
Disugei Franifurt—Berlin faß fiir
fich allein ein fehlanier, gut aussehen
der Herr, unverkennbar ein Offizier
in ZiriL
Die Fahrt langweilte ihn, Lefen
ermüdete. Seine Nerven waren, troh
der mehrroöchigen Kur in Wust-ruhen«
doch noch arg herunter. Es war tein
Wunder nach allein, was fo im Lauf
der lehten zwei Jahre iiber ihn her
geftiirut wor, wie die Braut-angs
welle iiber offenen Strand. Es war
fein erfier Urlaub. Bisher war er
noch ohne Berwundung vurchgeloms
men. Als Nachlur nun noch drei Wo
chen Lands und Ja daufenthalt bei
alten, lieben Jugend reunden, die er
auch feit Ewigteii nicht mehr gefehen
hatte. dann gings wieder hinaus an
die Weftfront. Gott allein wußte, wie
es bei iin Frühjahr bei her neuen
Offensive der Entente von neuem los
gehen würdet
Jiirgen Trctts fchmiiles, hagerel
Gesicht mit der gelblichen Tropenfav
be und den tiefen Falten unt Linien,
die ein anfirengendrz Leben und
heimtiickifches Fieber hineingezeichnet
hatten, blickte in ernfteni Sinnen
durch dir leicht nngelaufene Ienfters
fcheibe auf bat Thüringer Land, das
draußen vorbeiflihir. Schnee lag auf
Tonnen und Bergluppen, und durch
die weißen, ftillen Täler fchlängelte
sich die Saale wie ein fchwarzer Rie
fenaciL
Deutschland.» Heimat! dachte er.
Daß ich dich wieder habe, daß ich
dich ichiihen helfen dari! Es iit mehr,
als ich damals noch hoffte. Wie ge
schwinde sie rnich iestgeieht hatten, die
ichlihiirrgtgen Kerlchen da irn fernen
Osten, diese Männchen an Körper
gcöße, auf die wie hochgewachienen
Gemeinen io gern heradieliem nnd
die ans mit ihrer nndmchvringlichen
Maske doch lo manches Mal iibers
Ohr gehauen, ohne daß wir daraus
besondere Versicht lernten. Sein
Eigentum, das staatliche Vanbelslpaus
in Tolio, das er Hals iiber Kopf im«
Stich lassen mußte, hatten sie ge
ichont, war ihm berichtet worden. Oh.
iie waren tliiger und weiterblickend,
als man glaubte!
Es war doch ein tolles Wageftiick
gewesen. fein-. Flucht! Und wie es
allei- gegliickt war und getlanpt hattet
Zasrlt m China und dann ein Stiick
weiter-, in Niederlandiichandiem in
Batavnn dein icheußlichen Fieber-neit,
wo Rai-r und Malaria ihn doch bei
nahe zur Strecke gebracht hätten. Aber
sein jäher Körper hielt einen Puss
aus« die Seereise half, auf holländi
ichenr Dein-vier, mit falschen, hollän
diichen Ist-nieren. Wie gut, daß ee io
sprcchgewusdt wart Wenn er jemals
einen Jungen besitzen sollte, der muß
te io vielesremdspeachen lernen, wie
er nur in feinen Schädel hineinbetiis
nie-« die niiyen einem Kaufmann
beinahe chenioviel wie dates Gelt-.
Ja, einen Jungen... überhaupt,
Familie-! Er stand ganz allein im
Leben. Unnilltiirlich seuszte er. Frau
en enug ringsum . . . doch bisher tei
ne oben die er sich so recht von her
sen als dauernde Gesährtin siiri Le
ben gewünscht hätte. Gerade, ehe der
Arie-s nusirach, plante er eine Braut
schnureisemach Europa, und sliichtig
tauchte dabei auch das Bild der iiltes
sten Tochter jener Freunde aus, zu
den-n er iest auss Land sahren woll
te. Die Lieselotte mußte so ungefähr
zweiundzwanzig Jahre alt sein.
Freund Kurt schrieb, seit Kriegshe
giien sei sie als Schwester tätig, er
wurde sie also wohl taunr antreffen.
Jiisitiirlich jedes tüchtige Mädchen
nun-ne sich heutzutage niihlich Kur
die liebenswürdigen Schmetterlinge
des weiblichen Geschlechts, die Angst
haben, die Arbeit möchte ihnen den
Dimensian ihrer Schönheit abstreis
s-n. hauen sich davon srei. Sie sehen
nssch wie rrr ihren Lebensberuf dar
in, den Mann zu uintändeln und zu
cakguuielm bis er endlich doch der
Damme ist und nus sie hereinsiillt.
Diese reizenden Geschöpfe tun so, als
sei der Daseinstatnps eines grossen
Lsrltes cnit allen Folgeerscheinungen
schließlich nicht mehr als eine neue
inoseör«rerung, der rnan nun schon
esninal usctt aus dem Wege gehen
kann.
Er srerts sich nuf dnl lurze Wie
dersehn tue- sie ihm siir heute abend
it Berti-s ·-rsrrochen hatte. Er sah
nach der ilhr.·. Donnerwetteix sie
nahten stiete Verspätung haben...
eigeniiich toll-e halte schon erreicht
lein ungeduldig trat er in den Gang
LffHist-rau- uns fah nichts alt gelang
Heileq wartende Menschen gieich ils-.
b
Wie sich wieder die Z arre
mußte helfen. Seine Gedanken pau
nen ihren Faden weiter.
Worum konnte sie nicht mit ihm
zusammen abreiseni Auch wieder so
eine. totette Laune, die nur feine
Sehnsucht neu aufpeitschen sollte
Dafiir war aber mit oielvekheißens
dem Blick bot Treffen in Berlin ver
abredet worden. Er fah jetzt alle
Augenblicke nach der Uhr. Wetter
nochmal, die Sache wurde iritifchl
Fiihrplanmäßig follte er um 8 Uhr
10 nuf dem Anhalt-r eintreffen, um
8 Uhr 80 sie im Adlon abholen. Er
vurste mit ihr speisen, auch ein Glas
Seit trinken, und ungefähr um 11
Uhr wollte sie vom Bahnhof Fried
richfirafzfnoch Schlesien weiterfah
ren« stellte jedoch schon in Wie-baden
in Aussicht, daß sie... vielleiajtl...
ihre Abreise aufschieben tönnte...
wenn er sehr nett wäre . . na und so
weiter... worauf er ihr feurig die
weiße Pntschhnnd getußt hatte und
sich verliebt und ungeduldig auf den
Abend freute.
Und nun . . . er sprang auf. .. war
das Dallei Erregt sprach er mit dem
Zugfiihrer. Der zuckte die Achseln
«Kriegszeit, lieber Den-« »Na. zum
Tausend,« und mein Anschluß?« Er
neutes, bedauerndes Ausweichen »Jn
iBerlin können Sie ja iiber Nacht
Ibleiben.«
Das blieb die einzige tröfiliche
Aussicht. Er wollte ihr von halle de
peichieren, doch man bedeutete ihm.
daß bei der Ueberlafiung des Drahts
und dem Mangel an Beamten und
Boten ein Telegramm wahrscheinlich
nicht eher da sein wiirde als er sel
ber. Da ließ er eg und vertraute auf
fein gutes Glück. Bisher hat er ia
noch immer im Leben den «.echten An
schluß erreicht, auch da. wo es um
Kopf und Kragen ging. Sollte ihm
nun ausgerechnet diesmal, wenn es
sich nur um ein lustiges, verliebtei
Abenteuer handelte, die Sache schief
gehen? War es ihm am Ende mehr
als eins jener flüchtigen Seifenbla
ienerlebnisse, in denen die Eitelkeit
der Männer sich ebenso gern spiegelte
wie die der ietchtfertigen Frauen, mit
denen man tie erlebt?
Er wurde sich nicht ganz klar iiber
den Falls-und das steigerte noch die
nervöfe Hast, mit der er endlich aus
dem Zuge sprang und am Anhalter
Bahnhof feftstrllte, daß die Uhr be
reits turz vor zehn zeigte! Er ließ
die wenigen vorhandenen Gepiicttröner
als galanter Mann den Damen, die
mit Kindern, hunden und tausend
Taschen und Schachteln keiften. Er
fand sich schon allein zurecht.
Berlin, alte-, sliebes Berlin! Ei
war runde sieben Jahre her, daß er
nicht hier war. Damals. als er Ende
1914 aus holland hereinlam, hatte
er sich gleich bei feinem Negiment, in
dem er Referoeoffizier war, gestellt
und blieb draußen, bis zum ersten
Urlaub. Nun gab es ein Wiederse
hen! Mit fröhlichen Augen ftiirmte er
dievTreppe hinab, den hankloffer in
der Faust. Schnell ein Auto und zu
ihr! Er traute es sich schon zu, ihr
ITrotzen und Schmollen wieder zu ver
Isöhneni
Wo war denn der Schutzmann mit
den Wogenmarien2 heilige prenszische
Ordnung, bist du aus des Reiches
Mitte an die Front gewandert?
Dr.iußen... tein Anto, weit und
breit... nnr zwei einsame Droschi
len! Er stürzte aus dic erste los
«Bestelltl«
Der Kutscher der zweiten n
schwerfällig um seine Rosinanle her
um, die den milden Raps nach ihm
drehte. «Schnell, Kutscher-! Dotel Ad
loni« Doch der ließ sich nicht ans der
Ruhe dringen. «Ree. nich zu machen,
herr. Jck muß erst sutiern. Meine
Olle...« er hing dem Gaul den
Futternaps vor-» »den schon die
ianze letzte Tone det Qual-been im
Bauch gehabt. Die kann ach nich mehr
dahin als se duht!« Alles Schelten,
Versprechen- nnd Bitten hals nichts
Seines Wertes voll bewußt, blieb der
Draschtenlntschenlenler, wo er war.
Er konnte es abwarten.
Jiirgen Trott stürzte wieder nach
vorn. Ans der Treppe stieß er in der
Eile mit dem Kosser gegen eine
Schwester in Feldngu, die mit einem
Gepiickträger verhandelte. Aetgerlich
drehte sie sich nach ihm nen. «Nehmen
Sie sich doch in achtl« Unter dem
kleinen seit-grauen hut mit dem Ro
ten Kreuz daran blihten ihn ein Paar
dunkle Au en an. «Reizend!« dachte
er und entschuldigte sich in sliegender
hast. Lachend und versöhnt blickte sie
ihm nach.
An der Einsahtt standen einige
Dutzend tossetdelavene Menschen und
bnlgien sich um die vereinzelten
Auios und Wagen, die noch einen
zufälligen Reisenden zur Bahn beach
ten. Jiiegen stöhnte· «O Berlin, Bet
lin, hnst du die oeeiindeetz« würde
der alte Mitosch sagen. Das schien Äa
aussichtslos! Ging denn nicht iegen -
eine Eleteeische nach dem standen
buegee Tini Es regnete Oe trat-i
über den nassen May zur haltesteär.
Bei der ungewohnten Dunkeiheit tap
ste er mitten in die schönsten Pfützen.
Er sluchte in allen Sprachen des
Orients und Occidents vor sich hin
An der Haltestelle das Jrleiche Bild.
Erstens kam teine Bahn, zweitens
kam eine und war beseht, nnd drit
tens erhob sich allgemeines Protest
geschrei, als er sich mit seinem Kos
ser noch hinausschwingen wollte...
ein Ruck der Schassnerin und hin
ging sie! Da gab er es aus unv en
dete erschöpft wieder an der Halle des
Biihnhoseö, wo et seinen Koffer wiis
tend zu Boden schleuderte. f
»Der kann doch nichts dasiir!«
sagte eine lustige Stimme neben ihm.
»Nehmen Sie die Sache roch mit
humor auft«
Die dunklen Augen der Schwester
in Feldgrau lachten ihn an. Sie stand
seelenruhig, die hände in die Ta
schen ihrer Jacke gesteckt, da. Jhre
volle, tiese Stimme hatte direkt etwas
Nervenberuhigendes. »Mir geh« ge
nau so wie Jhnen.« sahe f- sort, »ich
finde auch keine Möglichkeit sortzui
kommen.«
Jhre unbesangene Sicherheit besieg
te seine starke Gereiztheit. »Liehe5
Kind,« dachte er, »du hast auch, ich
will es hassen, kein verpasztes Stell
dichein!« Damit war’s nun aus, end
giiltig aus! Jm Hotel fand er seine
Schöne nicht mehr« und ob er noch
rechtzeitig zum Bahnhos stime, schien
mehr als zweifelhast Also konnte er
nur gleich mit dem Nachtzuge nach
Pasen weitersahren. das blieb sich
seht gleich. Aber wie nach Bahnhos
Friedrichttraße gelangen, noch dazu
mit Gepackt Seine Laune war unter
Null. Er sah der Schwester nach, die
sich wieder gieichmiitig dem Ausnah
abwandern hingab, als er so unhöis
lich aus ihren gutgeineinten Trost
schwieg. Sie war eine Leidensgefährs
tin... und sah reizend au2... er
ging ihr-nach.
«Lirrzeryung,- begann er und Ini
tete den Hut, »darf ich fr.«.gen, wohin
Sie wollrni« «Bahnhof Friedrichstrai
sie,' entgegnete sie kurz. Aha, sie war
böse, er mußte nett sein. »Da muß
ich ja auch noch hin, nach Polen. Ge
statten Sie. Jiirgen Trott.«
Sie stuhte und musterte ihn scharf
«Doch nicht etwa der tiihne Flücht
ling aus Japani« Er nickte, ein tves
nig nur geschmeichelt. Da hielt sie
ihin freintiitig die Hand hin. »Dann
sind Sie meines Vaters Freund! Jch
bin Lieselotte v. Werthern." Entzückt
über dies unerwartet reizvolle Zu
sammentreffen drückte u- ihr die
hand. »Was machen wir nun? Jch
habe mit einein Träger Verhandrlt,
der hat einen guten Freund rnit einem
Handtarrern Bis der lomrnt, muß
ich hier warten, und dann werde ich
mitnrarfchieren, denn man weiß in
schließlich doch nicht, wem man da ver
traut. Wollen Sie heute auch noch
weiter? Dann kann er ja Jhre Sa
chen auch gleich mitmhmen.«
Er hörte mit stiller Bewunderung,
wie ruhig und selbstverständlich sie die
aanzeGeschichte ins rechte Gleis schob
und dabei so gar kein Wesens von
sich als Weib machte. Sie gefiel ihm
über die Maßen! Ein flüchtig verglei
chender Gedanke flog zu der andern
hin... ach was, weg damit: Sei-H
senblaseni I
Jn angeregtern Plaudern Ivnnders’
ten sie einträchtig aus und ab Und
als er dann in später Nacht durch die»
Lspiirlich erleuchteten Straßen, durch
Regen und Schmutz neben dem fri
schen, fröhlichen Mädchen dahinschritt,
die so unverzagt alle Schwierigteiten
rnii ihren festen, tleinsn Fäusten
paette und beiseite zu schielen wuß
te, da tarn ihm sein altes Berlin mit
einem Male gar nicht «nehr so fremd
und ungaftlich vor wie in "-r Ver
zweiflung deö ersten Ratt-nimmt Er
lächelte vor sich hin. «Jiirgen, alter
Junge, arn Ende hast du iroh alle
dern seht erst gerade den richtigen
Anschluß erreichti!«
Die erwünschte Wirkung
Von Gladftones Leibarzt Sir An
drew Clart erzählt ein englisches
Wert, die soeben erfchienene Magra
phie Sir Wilfrid Latvfon5, folgende
Aneldote: Eines Tages verordnete
er einem Patienten ein Glas Wein
u. als diefer ihm ganz verwundert fags
te, er habe ihn immer für einen An
tialtoholiler gehalten, erwiderte Sir
Atti-rem: »O, Wein hilft manchmal
dazu, daß man fchneller durch die Ar
beit kommt. So habe ich zum Bei
fpiel oft zwanzig Brief« nach Tifch
zu beantworten, und dann ift mir ein
Gläschen Chimpagner eine große
hilfe«. —- »Meinen Sie wirtlichisp
fagte der Putient zweifelnd, .daß
ein Gläschen Champagner Jhnen bei
der Beantwortung der zwanzig Brie
fe hilft?« —- .Nein, nein«, erwiderte
Sir Andreiv, »aber wenn ich ein
Gläschen Champagner zu mir genom
men habe. tiitninere ich mich auch
nicht den Deut mehr darum, o’-. ich
fie beantworte.oder nichtk
Das Erkennen.
Nobellette von Mein Somit-in
Der kleine Dans Wirtenbcich wur
de an einem grauen, trüben Winter
tag geboren. Arn Mittag wnr noch
alles in eine müde Dunkelheit ge
hüllt, die aus die Menschen einschlä
sernd wirkte und aus ihren Gesich
tern einen Zug von Mißmut und
Freudloscgteit prägte. Die Mutter
des Neugeborenen war so schwach,
daß sie bis in den Tag hinein
!schlies. Ab und zu nur schlug sie die
kAugen halb aus, ohne sich aus die
iqunlvoiie Nacht nnd nus ihr Kinn
ehen, das schlummernd in der Wiege
lag, besinnen zu .önnen. Herr Wir
tenbnch aber saß schon in seinem
Kontor und rechnete. Als man ihn
verwundert fragte, ob er denn heut-»
die Ruhe zur Arbeit fände, meint
er, daß er ja schon seit Monaten nui
dieses Ereignis vorbereitet gewesen
wäre.s
Seine schöne, an Bewerbern reiche;
Frau hatte bei der heirat geglaubt,
daß die Verschlossenheit und etwas»
hochmütige Art Wirtenbachs einei
Tiefe verbarg, die zu zeigen er sich;
schiiintr. Es reizte fie, diesen Manns
zu ergründen. der sich anders gab,
als ihre übrigen Freunde, und der
so felbstficher austrat, daß sich ihm
jeder rückhaltlos unterwarf. Sein
Benehmen ihr gegenüber unterschied
sich auch recht bedeutend von dem der
anderen. Er erfand teine zarten
.Worte, keine sanften Schmeicheleien;
seiten nur erbat er sich eine Gunst,
und er waib nicht um sie. wenn man
sie ihm versagte. Gerade das be
timnite seine schöne Freundin, ihn
zu wählen; es gefiel ihr, daß Ed
mund Wirtenbach nicht mit sich spie
len ließ. Nach der heirat erst nierlte
Frau helga allmählich, das-. ihr
Gatte ein nüchterner Geschäftsmann
swar, frei von jedem zarten Empfin
isexn Sie sah ein« daß sie alles in
Ida hineingeiege hatt-, was ihk jin
wünschenswert erschien, und daß er
boii alledem nichts besaß.
Der tleine Hans Wirlenbach war.
aus recht verfchiedenartigern Stoff
gebildet worden, und man hätte
hoffen können, daß sich die Gegen
sähe der Eltern bei ihm ausgleichen
ioiirden· Er erbte die Verschlossen
heit seines Vaters und das starke
Empfinden seiner Mutter. Ein
stiller tleiner Bursche war er, an
dem niemand so recht etwas zu fin
den wußte. Er toar recht häßlich
und ungelenk. Er verbrachte eine
recht einsame Jugend; mit anderen
Kindern vertrug er sich nicht. Seine
Mutter war die einzige, die er liebte
Wenn sie ihm zärtlich iiber den Kopf
strich. zeigte er sich angehalten und
verlegen zugleich, obwohl er für diese
Zärtlichleit überaus empfänglich war.
Die Mutter, welche sein Verhalten
für Unwilleii hielt, unterließ es im-—
mer mehr, sich ihm zärttich zu erwei
sen, besonders da ihr das Kind wie
ein fremdes erschien, das ihr nicht
gehörte.
Frau Wirtenbach entsremdete sich
ihrem Heim mehr und mehr. Sie
suchte die Zerstreuung, die sie zu
Hause nicht sinken konnte, liberall,
wo sie sich ihr bot; nicht aus Ober
ilächlichteit, sondern aus Lebenghuns
act. Hans ging still seinen Weg.
Es bemerkte ihn teiner. Sein Vater
ging so gut wie gar nicht aus ihn
rin. Seine Zurückhaltung dem
Sohne gegenüber war teine Gleichi
aiiltiglei:« sondern entsprang nur sei-·
ner troaenen Lebensanschauung daß
jeder Mensch sich am besten aus sich
selbst heraus entwickelt und im
Grunde einer wie der andere makes
Dadurch sehlte aber seinem Schne.
der Vater, der straft und Selbstbe
wußtsein in ihm stählte.
Hans war lang ausgeschossen.;
Seine kräftige, recht entwickelte Ge
stalt stand im Wi:erspruch zu den
ltindlichen Zügen seines Gesicht-. Esl
mußte ihn jemand sehr lange betrach-’
ten, um etwas Eigeneö herauilesen
zu können. Er kam in das Alter,
wo andere Knaben schon nach der
Gunst der Mädchen haschen; er sel
ber war viel zu häßlich und um
tassrdlich um einen Erfolg zu erhof
en. Und er hatte ja eine Mutter,
kie schön war! Bald mesrlte er, das-,
erseisersiichtig aus sie wurde, wenn
sie mit anderen sprach, so innig und
liebevoll, wie er es nie von ihr ge
wohnt war. Sie gehörte zu den
grauen« die siir alle Menschen mehr
ersiiindnii haben, als site das ei
gene Kind. Hans entsann sich- daß
er sich als Knabe ostrnals kleine
Wunden zugesilgt hatte, nur um von
der Mutter bedauert zu werden und
ihre sonsten Worte zu hören. heute
war ee zu alt dazu, aber das Be
ldiirfnis nach Zärtlichkeit war des
halb nicht geringer geworden.
Er sah die Mutter in letzter Zeit
oftmals mit einem Arzte zusammen,
und es schien ihm, als ob hier ein
iieseres Verständnis läge, als es bei
gesellschiistlichem Verkehr üblich mai-.
Einmal hörte er, wie der Arzt zu
seiner Mutter sagte: »Sie würden
glücklicher sein, gnädige Frau, wenn
Sie um jemand eine Sorge hätten.
Sie haben Mann und Kind; aber
Sie sorgen sich um leines von bei
den!« —- ,,Sonst meinte inan im
mer, ich wäre in eine falsche Erde ge
pslanzt worden,'« entgegnete sie ein
wenig getiäiitt. — »Selbst Frauen,
die glücklich sind, hören gern, daß
sie es noch besser verdient hätten.«
meinte der Arzt. »Jrgendeine uner
siillte Sehnsucht, die in jedem Men
schen liegt, begründet die Frau in
ihrer Eitelkeit oder« übertriebenen
Empfindsamteit damit, daß sie auf
seinem falschen Plade steht. Glau
ben Sie mir, Frau Helga, nur die
Frau gibt dein Heim, dem sie vor
sieht, das Gepräge; sie wird von ih
rein Haus zur Anpassung, je nach
ihrer Klugheit und nach ihrem Emp
finden kann sie es zu sich selber em
porziehen oder nuch yetuntetzerrem
Nicht bestimmt, sondern sie mach:
the Heim zu dem, was es ist« —
,,Jch dachte, Sie wären der einzige
der meine Unznsriedenheit verstehen
könnte, lieber Doktor, aber selbstSie
wenden sieh von mir nh.« Sie weinte
leise, und in ihres Sohnes Herz, der
nn der Tür lauschte, lrnmpste sich
alles vor Weh und Bitterkeit zusam
men. »Sie haben gewiß nicht so
unrecht mit dem, was Sie sagen,"
fuhr sie sort; »nur das wirkt so be
triihend, dnsz das etwas ausgepräg
iere Empfinden und dirs anspruchs
vollere Gesiihl einer Frau, wenn ek
sichJiber den Durchschnitt erhebt, mit
einem hernblassenden Lächeln des
Mannes siir »iiherspnnnt« erklärt
wird-« Mit miidein Lächeln verließ
Frau Oelga das Zimmer, und Hans
eilte leise hinaus, um seine Gegen-«
tvnrt nicht zu verraten. Er wußte,
daß et seine Mutter verstand, besse
als alle anderen; dnsz er sie mehr;
liebte, als eine Mutter von einem»
Sohne gewöhnt war· Der stille ein
same Junge überlegte und fand her
aus, daß die Mutter mehr Liebe
siir ihn empfinden könnte, wenn sie
sich einmal nur um ihn gesorgt hätte,
und daß eine Sorge, bei der die
Pflichten nicht sernhleiben, sie zu
friedener gestimmt hätte. Seine
Mutter hatte sxch hin und her strsxnl
lassen, wie eine Fremde, die einel
Heimat suchte nnd nirgends sand;
die-mehr verlangte, weil sie tieser
empfinden konnte, als die anderen
Doch überall war sie ans kalte be
rechnende lieberlegenheit oder gedan
tenlose Oberstächlichteit gestoßen. —
Als der Krieg hereinbrach, der den
Menschen ein neues Sein, ein neinrs
tiges Handels und Denken ausztoang,
wurde auch Hans bis ins Jnnerste
davon beruhen Nach drei Tagen tiesz
er sich im Iiontor des Vater- mel
oen. Bisher hatte ihn eine unbe
stimmte Scheu davor zuriielgehaltenx
doch das kaum glaubhaste Ereignis,
ras so plötzlich in jede Familie
ebenso niederdrückend wie belebt-nd
eingegrissen hatte, reiste den einzel
nen so wie das ganze Volk und dul
cete weder äußere noch innere Hern
mungen. Aus das »Herein" des Va
in das kahle, etwas zu grosze Zim
nrer und aus Furcht, den miihsam
gesammelten Mut zu verlieren, stieß
er eilig heraus: »Ich will mit. Va
terl Jch bitte um Teine Einwillis
gung.« Herr Wirtenbacb sah ihn
erstaunt an. Er hielt seinen Sohn,
der gerade 18 geworden war, siir
nicht seht selbständig »Ich will mit,
Vater," sagte er noch einmal in so
energischem Ton, daß Herr Witten
bach sich nicht genug wundern konnte.
»Weißt Du auch, was Du tust?«
»Ja Vaterl« »Und wenn Du nicht
zurücktornnist?« »Ich bin ganz gut
zn entbehren! Ueberleg’ Dir's-, Va
ter!« Dann ging er hinaus. Die
lurze, energische Art des Sohnes ge
fiel Herrn Wirlenbach Er zögerte
nicht lange mit der Einwillignng
Hans empfand es danlbar. Jhrn
war, als hätte sein Leben nun eine
Bestimmung erhalten. Er ging aus
sich heraus und zeigte ein selbstsiches
res Auftreten, das ihn älter erschei
nen ließ, als bisher.
Beim Abschied war Frau Witten
lsach bleich und erregt. Immer wie
»ber strich sie ihrem Jungen über das
lHuay so wie ganz früher einmal.
Er sah sie gerührt an. »Lnß man,
Mutter,« tröstete er. »Es wird alles
schon gut werden, und dann — dann!
hast Du ja jemnav, um den Du Dich!
sorgen lannst.« Bei diesen Worten
sah sie ihn fragend an. Er wich ilH
rem Blicke nicht aus. Ein plötzlichesl
Verstehen dämmerte in ihr aus, all!
dessen, was er gewußt und gelitten
hatte. Er weckie in ihr zum ersten
Male die wahr-, alles erhellende
Mutterliebe, nun, da er sie verlassen
mußte. Jhr war, als müßte sie in
tiese letzten Minuten alle bisher ver
sagte Zärtlichleit legen, und selbst
Herrn Wirtenbaehö Augen bekamen
einen Schimmer von Güte, als der
Sohn sliisterte, so daß auch er es
verstehen konnte: »Ich bin ja so
glücklich, Mutter.« —
Frau Helga durchlebt-: nun eine
Zeit voller Sorgen. Sie ging im
Geiste die ganzen Jahre seit der Ge
burt des Jungen zuriick, und es tam
rhr immer mehr zum Bewußtsein,
daß sie sich nie bemüht habe, ihn zu
verstehen. Es schien ihr aus einmal,
als sähe stessmit neuen Augen. Sie
wußte sich jeßt aus Einzelheiten zu
besinnen, die ihr das Wesen ihres
Sohnes mehr und mehre erklärten.
Wie ein plötzliches Erwachen kam es
über sie, und es erschien ihr zweifel
los, daß der Junge fortgezogen war,
um ihrem Leben einen Inhalt, eine
Sorge zu geben. Troß aller Ge
toissensqualen, aller Angst und Küm
mernis sühlte sie sich reich, reicher
als zuvor. lltid«.ßttns, aus dessen
junges, verschlossenes Gemüt' der
Krieg mit seinen Schrecknissen furcht
barer und ergreifender wirite, als er
te ahnen tonnte, fand Ruhe und see
lischen Halt im Gedanken an die
Mutter. Es war wie eine heimliche
große Liebe, die hinüber nnd her
uber zog.
Bei einem Sturmangriss verlor
Hans Wirtenbach einen Arm. Die
Akkzte fürchteten, daß der jungeFreis
trsillige die Erregung nicht gut über
stehen würdet er lag mehrere Tage
bewußtlos und erwachte dann, um
gleich daraus wieder einzuschlaiem
Er war sehr schwach und schlug nur
selten die Augen aus- An einem
trüben, regnerischen Tage, an dem
alles wie mit einem schmutzigen
grauen Schleier bekleidet schien, be
suchte ihn seine Mutter, die man vom
Lazarett aus benachrichtigt hatte·
Leise ging sie an sein Bett und strich
sauft dem Jungen das feuchte Haar
Jus- der Stirn. Da erwachte er.
»Mutter!" — Ter Arzt und die
Schwester standen an der Tür, da
ssr eine erregte Szene befürchteten;
noch hatten sie dem junger-. Freiwillii
gen nicht zu sagen gewagt, was ihm
zugestoßen war·
Ob er nun doch schon den fehlen
den Arm bemerkt hatte, oder ob er
tm Fieberschlas davon geträumt ha
ben mochte, plötzlich sprach er, —
und es llang nicht jammervoll und
klagend, sondern ruhig und zuver
sichtlich: »Nun mußt du für mich
sorgen, Mutter!« Der Arzt und die
Schwester betrachteten sich verwundert
3ieentsannen sich nicht, jemals Aehn
liches erlebt zu haben. Frau Wit
tenbach aber saß zwischen Lachen
nnd Weinen an seinem Bett. Eines
solchen Sohnes Mutter sein zu diirs
sen! »Mein Kind, du!« weiter konnte
sie gar nichts sagen. Sie sprach es
wieder und wieder und streichelte
ihm die Hand, die feucht von ihren
Tränen war.
lind Hans Wirkenbach schien es.
als hätte er nicht nur mit anderen
getämpst, sondern auch allein; als
hätte er nicht nur mit Tausenden
Siege errungen, sondern einen iiie
sich, von dem er nur wußte Und der
ihm größer düntte als alle anderen.
- —- —-.—————
Ein frlbftbetunfktrr Musiker.
Nicolo Toinelli, der bis 1765 nls
Hoftnpellnieifter in Stuttgart lebte,
wurde infolge feines tiinftlerrfchen Ru
feg fiir die Stelle eines Dirigenien
ur- der Peterskirche in Rom vorge
schlagen. Ter Ruf eines uniibertrofs
senen Mufitiheoreiiters ging ihm vor
aus, cits er in Bologna etfchieih uin
von dein Mlieftro Martin die näheren
Bedingungen seiner Anstellung ent
gegenziineymen Sie tiiuteten dahin,
daß er fich vor einein Kunftrichteo
lollegiuni in Rom einer öffentlichen
"iriifung unterziehen solle. Darauf
ftellte Tonielli vie Gegeiibediiigiiiig:
»Mein will ich niih der gewünschten
Prüfung unterwerfen, wenn inir inei
ne Exnniinntoren versprechen, fich
nach beendeter Prüfung nnch von mir
öffentlich prüfen zu tiiffen". Schon
.iin nächften Tage erhielt Toinelli fei
ne Ernennung, iibe: von einer Prü
fung war nicht inehr die Rede.
—Treffcnd bemeer
Fräulein («znnt Herrn dcsHunch
dessen übte Latinen nnd Scheltworte
sic grundloserwriic täglich erfährt
nnd zn hören bricnnnn): »Herr
Müller, wissen Sie-, ich habe tnich
als Zofe und sticht als Bin-ablei
kcr zn Jhneen verdnmti«
—Der triiciceKtiallptotz.
Arzt: »Ja, ich kann Jhnen nicht hei
fen, Herr Uppig, Sie müssen vierzehn
Tage das Zimmer hüten.«
Patient: »Schön, aber welchesf«
Atti: »Welche2?« —
Patient: »Natürlich! Jch hab' bog
neunt«