Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 01, 1917, Sonntagsblatt, Image 9
WStaats» Anzetger und Iferold MOIM III-be Wkdeu xkcncht:gk3uichiuri Novelle von Oedtvig von Puttlmner. Jn eineni Abteii erfter Klaffe bei Disugei Franifurt—Berlin faß fiir fich allein ein fehlanier, gut aussehen der Herr, unverkennbar ein Offizier in ZiriL Die Fahrt langweilte ihn, Lefen ermüdete. Seine Nerven waren, troh der mehrroöchigen Kur in Wust-ruhen« doch noch arg herunter. Es war tein Wunder nach allein, was fo im Lauf der lehten zwei Jahre iiber ihn her geftiirut wor, wie die Braut-angs welle iiber offenen Strand. Es war fein erfier Urlaub. Bisher war er noch ohne Berwundung vurchgeloms men. Als Nachlur nun noch drei Wo chen Lands und Ja daufenthalt bei alten, lieben Jugend reunden, die er auch feit Ewigteii nicht mehr gefehen hatte. dann gings wieder hinaus an die Weftfront. Gott allein wußte, wie es bei iin Frühjahr bei her neuen Offensive der Entente von neuem los gehen würdet Jiirgen Trctts fchmiiles, hagerel Gesicht mit der gelblichen Tropenfav be und den tiefen Falten unt Linien, die ein anfirengendrz Leben und heimtiickifches Fieber hineingezeichnet hatten, blickte in ernfteni Sinnen durch dir leicht nngelaufene Ienfters fcheibe auf bat Thüringer Land, das draußen vorbeiflihir. Schnee lag auf Tonnen und Bergluppen, und durch die weißen, ftillen Täler fchlängelte sich die Saale wie ein fchwarzer Rie fenaciL Deutschland.» Heimat! dachte er. Daß ich dich wieder habe, daß ich dich ichiihen helfen dari! Es iit mehr, als ich damals noch hoffte. Wie ge schwinde sie rnich iestgeieht hatten, die ichlihiirrgtgen Kerlchen da irn fernen Osten, diese Männchen an Körper gcöße, auf die wie hochgewachienen Gemeinen io gern heradieliem nnd die ans mit ihrer nndmchvringlichen Maske doch lo manches Mal iibers Ohr gehauen, ohne daß wir daraus besondere Versicht lernten. Sein Eigentum, das staatliche Vanbelslpaus in Tolio, das er Hals iiber Kopf im« Stich lassen mußte, hatten sie ge ichont, war ihm berichtet worden. Oh. iie waren tliiger und weiterblickend, als man glaubte! Es war doch ein tolles Wageftiick gewesen. fein-. Flucht! Und wie es allei- gegliickt war und getlanpt hattet Zasrlt m China und dann ein Stiick weiter-, in Niederlandiichandiem in Batavnn dein icheußlichen Fieber-neit, wo Rai-r und Malaria ihn doch bei nahe zur Strecke gebracht hätten. Aber sein jäher Körper hielt einen Puss aus« die Seereise half, auf holländi ichenr Dein-vier, mit falschen, hollän diichen Ist-nieren. Wie gut, daß ee io sprcchgewusdt wart Wenn er jemals einen Jungen besitzen sollte, der muß te io vielesremdspeachen lernen, wie er nur in feinen Schädel hineinbetiis nie-« die niiyen einem Kaufmann beinahe chenioviel wie dates Gelt-. Ja, einen Jungen... überhaupt, Familie-! Er stand ganz allein im Leben. Unnilltiirlich seuszte er. Frau en enug ringsum . . . doch bisher tei ne oben die er sich so recht von her sen als dauernde Gesährtin siiri Le ben gewünscht hätte. Gerade, ehe der Arie-s nusirach, plante er eine Braut schnureisemach Europa, und sliichtig tauchte dabei auch das Bild der iiltes sten Tochter jener Freunde aus, zu den-n er iest auss Land sahren woll te. Die Lieselotte mußte so ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt sein. Freund Kurt schrieb, seit Kriegshe giien sei sie als Schwester tätig, er wurde sie also wohl taunr antreffen. Jiisitiirlich jedes tüchtige Mädchen nun-ne sich heutzutage niihlich Kur die liebenswürdigen Schmetterlinge des weiblichen Geschlechts, die Angst haben, die Arbeit möchte ihnen den Dimensian ihrer Schönheit abstreis s-n. hauen sich davon srei. Sie sehen nssch wie rrr ihren Lebensberuf dar in, den Mann zu uintändeln und zu cakguuielm bis er endlich doch der Damme ist und nus sie hereinsiillt. Diese reizenden Geschöpfe tun so, als sei der Daseinstatnps eines grossen Lsrltes cnit allen Folgeerscheinungen schließlich nicht mehr als eine neue inoseör«rerung, der rnan nun schon esninal usctt aus dem Wege gehen kann. Er srerts sich nuf dnl lurze Wie dersehn tue- sie ihm siir heute abend it Berti-s ·-rsrrochen hatte. Er sah nach der ilhr.·. Donnerwetteix sie nahten stiete Verspätung haben... eigeniiich toll-e halte schon erreicht lein ungeduldig trat er in den Gang LffHist-rau- uns fah nichts alt gelang Heileq wartende Menschen gieich ils-. b Wie sich wieder die Z arre mußte helfen. Seine Gedanken pau nen ihren Faden weiter. Worum konnte sie nicht mit ihm zusammen abreiseni Auch wieder so eine. totette Laune, die nur feine Sehnsucht neu aufpeitschen sollte Dafiir war aber mit oielvekheißens dem Blick bot Treffen in Berlin ver abredet worden. Er fah jetzt alle Augenblicke nach der Uhr. Wetter nochmal, die Sache wurde iritifchl Fiihrplanmäßig follte er um 8 Uhr 10 nuf dem Anhalt-r eintreffen, um 8 Uhr 80 sie im Adlon abholen. Er vurste mit ihr speisen, auch ein Glas Seit trinken, und ungefähr um 11 Uhr wollte sie vom Bahnhof Fried richfirafzfnoch Schlesien weiterfah ren« stellte jedoch schon in Wie-baden in Aussicht, daß sie... vielleiajtl... ihre Abreise aufschieben tönnte... wenn er sehr nett wäre . . na und so weiter... worauf er ihr feurig die weiße Pntschhnnd getußt hatte und sich verliebt und ungeduldig auf den Abend freute. Und nun . . . er sprang auf. .. war das Dallei Erregt sprach er mit dem Zugfiihrer. Der zuckte die Achseln «Kriegszeit, lieber Den-« »Na. zum Tausend,« und mein Anschluß?« Er neutes, bedauerndes Ausweichen »Jn iBerlin können Sie ja iiber Nacht Ibleiben.« Das blieb die einzige tröfiliche Aussicht. Er wollte ihr von halle de peichieren, doch man bedeutete ihm. daß bei der Ueberlafiung des Drahts und dem Mangel an Beamten und Boten ein Telegramm wahrscheinlich nicht eher da sein wiirde als er sel ber. Da ließ er eg und vertraute auf fein gutes Glück. Bisher hat er ia noch immer im Leben den «.echten An schluß erreicht, auch da. wo es um Kopf und Kragen ging. Sollte ihm nun ausgerechnet diesmal, wenn es sich nur um ein lustiges, verliebtei Abenteuer handelte, die Sache schief gehen? War es ihm am Ende mehr als eins jener flüchtigen Seifenbla ienerlebnisse, in denen die Eitelkeit der Männer sich ebenso gern spiegelte wie die der ietchtfertigen Frauen, mit denen man tie erlebt? Er wurde sich nicht ganz klar iiber den Falls-und das steigerte noch die nervöfe Hast, mit der er endlich aus dem Zuge sprang und am Anhalter Bahnhof feftstrllte, daß die Uhr be reits turz vor zehn zeigte! Er ließ die wenigen vorhandenen Gepiicttröner als galanter Mann den Damen, die mit Kindern, hunden und tausend Taschen und Schachteln keiften. Er fand sich schon allein zurecht. Berlin, alte-, sliebes Berlin! Ei war runde sieben Jahre her, daß er nicht hier war. Damals. als er Ende 1914 aus holland hereinlam, hatte er sich gleich bei feinem Negiment, in dem er Referoeoffizier war, gestellt und blieb draußen, bis zum ersten Urlaub. Nun gab es ein Wiederse hen! Mit fröhlichen Augen ftiirmte er dievTreppe hinab, den hankloffer in der Faust. Schnell ein Auto und zu ihr! Er traute es sich schon zu, ihr ITrotzen und Schmollen wieder zu ver Isöhneni Wo war denn der Schutzmann mit den Wogenmarien2 heilige prenszische Ordnung, bist du aus des Reiches Mitte an die Front gewandert? Dr.iußen... tein Anto, weit und breit... nnr zwei einsame Droschi len! Er stürzte aus dic erste los «Bestelltl« Der Kutscher der zweiten n schwerfällig um seine Rosinanle her um, die den milden Raps nach ihm drehte. «Schnell, Kutscher-! Dotel Ad loni« Doch der ließ sich nicht ans der Ruhe dringen. «Ree. nich zu machen, herr. Jck muß erst sutiern. Meine Olle...« er hing dem Gaul den Futternaps vor-» »den schon die ianze letzte Tone det Qual-been im Bauch gehabt. Die kann ach nich mehr dahin als se duht!« Alles Schelten, Versprechen- nnd Bitten hals nichts Seines Wertes voll bewußt, blieb der Draschtenlntschenlenler, wo er war. Er konnte es abwarten. Jiirgen Trott stürzte wieder nach vorn. Ans der Treppe stieß er in der Eile mit dem Kosser gegen eine Schwester in Feldngu, die mit einem Gepiickträger verhandelte. Aetgerlich drehte sie sich nach ihm nen. «Nehmen Sie sich doch in achtl« Unter dem kleinen seit-grauen hut mit dem Ro ten Kreuz daran blihten ihn ein Paar dunkle Au en an. «Reizend!« dachte er und entschuldigte sich in sliegender hast. Lachend und versöhnt blickte sie ihm nach. An der Einsahtt standen einige Dutzend tossetdelavene Menschen und bnlgien sich um die vereinzelten Auios und Wagen, die noch einen zufälligen Reisenden zur Bahn beach ten. Jiiegen stöhnte· «O Berlin, Bet lin, hnst du die oeeiindeetz« würde der alte Mitosch sagen. Das schien Äa aussichtslos! Ging denn nicht iegen - eine Eleteeische nach dem standen buegee Tini Es regnete Oe trat-i über den nassen May zur haltesteär. Bei der ungewohnten Dunkeiheit tap ste er mitten in die schönsten Pfützen. Er sluchte in allen Sprachen des Orients und Occidents vor sich hin An der Haltestelle das Jrleiche Bild. Erstens kam teine Bahn, zweitens kam eine und war beseht, nnd drit tens erhob sich allgemeines Protest geschrei, als er sich mit seinem Kos ser noch hinausschwingen wollte... ein Ruck der Schassnerin und hin ging sie! Da gab er es aus unv en dete erschöpft wieder an der Halle des Biihnhoseö, wo et seinen Koffer wiis tend zu Boden schleuderte. f »Der kann doch nichts dasiir!« sagte eine lustige Stimme neben ihm. »Nehmen Sie die Sache roch mit humor auft« Die dunklen Augen der Schwester in Feldgrau lachten ihn an. Sie stand seelenruhig, die hände in die Ta schen ihrer Jacke gesteckt, da. Jhre volle, tiese Stimme hatte direkt etwas Nervenberuhigendes. »Mir geh« ge nau so wie Jhnen.« sahe f- sort, »ich finde auch keine Möglichkeit sortzui kommen.« Jhre unbesangene Sicherheit besieg te seine starke Gereiztheit. »Liehe5 Kind,« dachte er, »du hast auch, ich will es hassen, kein verpasztes Stell dichein!« Damit war’s nun aus, end giiltig aus! Jm Hotel fand er seine Schöne nicht mehr« und ob er noch rechtzeitig zum Bahnhos stime, schien mehr als zweifelhast Also konnte er nur gleich mit dem Nachtzuge nach Pasen weitersahren. das blieb sich seht gleich. Aber wie nach Bahnhos Friedrichttraße gelangen, noch dazu mit Gepackt Seine Laune war unter Null. Er sah der Schwester nach, die sich wieder gieichmiitig dem Ausnah abwandern hingab, als er so unhöis lich aus ihren gutgeineinten Trost schwieg. Sie war eine Leidensgefährs tin... und sah reizend au2... er ging ihr-nach. «Lirrzeryung,- begann er und Ini tete den Hut, »darf ich fr.«.gen, wohin Sie wollrni« «Bahnhof Friedrichstrai sie,' entgegnete sie kurz. Aha, sie war böse, er mußte nett sein. »Da muß ich ja auch noch hin, nach Polen. Ge statten Sie. Jiirgen Trott.« Sie stuhte und musterte ihn scharf «Doch nicht etwa der tiihne Flücht ling aus Japani« Er nickte, ein tves nig nur geschmeichelt. Da hielt sie ihin freintiitig die Hand hin. »Dann sind Sie meines Vaters Freund! Jch bin Lieselotte v. Werthern." Entzückt über dies unerwartet reizvolle Zu sammentreffen drückte u- ihr die hand. »Was machen wir nun? Jch habe mit einein Träger Verhandrlt, der hat einen guten Freund rnit einem Handtarrern Bis der lomrnt, muß ich hier warten, und dann werde ich mitnrarfchieren, denn man weiß in schließlich doch nicht, wem man da ver traut. Wollen Sie heute auch noch weiter? Dann kann er ja Jhre Sa chen auch gleich mitmhmen.« Er hörte mit stiller Bewunderung, wie ruhig und selbstverständlich sie die aanzeGeschichte ins rechte Gleis schob und dabei so gar kein Wesens von sich als Weib machte. Sie gefiel ihm über die Maßen! Ein flüchtig verglei chender Gedanke flog zu der andern hin... ach was, weg damit: Sei-H senblaseni I Jn angeregtern Plaudern Ivnnders’ ten sie einträchtig aus und ab Und als er dann in später Nacht durch die» Lspiirlich erleuchteten Straßen, durch Regen und Schmutz neben dem fri schen, fröhlichen Mädchen dahinschritt, die so unverzagt alle Schwierigteiten rnii ihren festen, tleinsn Fäusten paette und beiseite zu schielen wuß te, da tarn ihm sein altes Berlin mit einem Male gar nicht «nehr so fremd und ungaftlich vor wie in "-r Ver zweiflung deö ersten Ratt-nimmt Er lächelte vor sich hin. «Jiirgen, alter Junge, arn Ende hast du iroh alle dern seht erst gerade den richtigen Anschluß erreichti!« Die erwünschte Wirkung Von Gladftones Leibarzt Sir An drew Clart erzählt ein englisches Wert, die soeben erfchienene Magra phie Sir Wilfrid Latvfon5, folgende Aneldote: Eines Tages verordnete er einem Patienten ein Glas Wein u. als diefer ihm ganz verwundert fags te, er habe ihn immer für einen An tialtoholiler gehalten, erwiderte Sir Atti-rem: »O, Wein hilft manchmal dazu, daß man fchneller durch die Ar beit kommt. So habe ich zum Bei fpiel oft zwanzig Brief« nach Tifch zu beantworten, und dann ift mir ein Gläschen Chimpagner eine große hilfe«. —- »Meinen Sie wirtlichisp fagte der Putient zweifelnd, .daß ein Gläschen Champagner Jhnen bei der Beantwortung der zwanzig Brie fe hilft?« —- .Nein, nein«, erwiderte Sir Andreiv, »aber wenn ich ein Gläschen Champagner zu mir genom men habe. tiitninere ich mich auch nicht den Deut mehr darum, o’-. ich fie beantworte.oder nichtk Das Erkennen. Nobellette von Mein Somit-in Der kleine Dans Wirtenbcich wur de an einem grauen, trüben Winter tag geboren. Arn Mittag wnr noch alles in eine müde Dunkelheit ge hüllt, die aus die Menschen einschlä sernd wirkte und aus ihren Gesich tern einen Zug von Mißmut und Freudloscgteit prägte. Die Mutter des Neugeborenen war so schwach, daß sie bis in den Tag hinein !schlies. Ab und zu nur schlug sie die kAugen halb aus, ohne sich aus die iqunlvoiie Nacht nnd nus ihr Kinn ehen, das schlummernd in der Wiege lag, besinnen zu .önnen. Herr Wir tenbnch aber saß schon in seinem Kontor und rechnete. Als man ihn verwundert fragte, ob er denn heut-» die Ruhe zur Arbeit fände, meint er, daß er ja schon seit Monaten nui dieses Ereignis vorbereitet gewesen wäre.s Seine schöne, an Bewerbern reiche; Frau hatte bei der heirat geglaubt, daß die Verschlossenheit und etwas» hochmütige Art Wirtenbachs einei Tiefe verbarg, die zu zeigen er sich; schiiintr. Es reizte fie, diesen Manns zu ergründen. der sich anders gab, als ihre übrigen Freunde, und der so felbstficher austrat, daß sich ihm jeder rückhaltlos unterwarf. Sein Benehmen ihr gegenüber unterschied sich auch recht bedeutend von dem der anderen. Er erfand teine zarten .Worte, keine sanften Schmeicheleien; seiten nur erbat er sich eine Gunst, und er waib nicht um sie. wenn man sie ihm versagte. Gerade das be timnite seine schöne Freundin, ihn zu wählen; es gefiel ihr, daß Ed mund Wirtenbach nicht mit sich spie len ließ. Nach der heirat erst nierlte Frau helga allmählich, das-. ihr Gatte ein nüchterner Geschäftsmann swar, frei von jedem zarten Empfin isexn Sie sah ein« daß sie alles in Ida hineingeiege hatt-, was ihk jin wünschenswert erschien, und daß er boii alledem nichts besaß. Der tleine Hans Wirlenbach war. aus recht verfchiedenartigern Stoff gebildet worden, und man hätte hoffen können, daß sich die Gegen sähe der Eltern bei ihm ausgleichen ioiirden· Er erbte die Verschlossen heit seines Vaters und das starke Empfinden seiner Mutter. Ein stiller tleiner Bursche war er, an dem niemand so recht etwas zu fin den wußte. Er toar recht häßlich und ungelenk. Er verbrachte eine recht einsame Jugend; mit anderen Kindern vertrug er sich nicht. Seine Mutter war die einzige, die er liebte Wenn sie ihm zärtlich iiber den Kopf strich. zeigte er sich angehalten und verlegen zugleich, obwohl er für diese Zärtlichleit überaus empfänglich war. Die Mutter, welche sein Verhalten für Unwilleii hielt, unterließ es im-— mer mehr, sich ihm zärttich zu erwei sen, besonders da ihr das Kind wie ein fremdes erschien, das ihr nicht gehörte. Frau Wirtenbach entsremdete sich ihrem Heim mehr und mehr. Sie suchte die Zerstreuung, die sie zu Hause nicht sinken konnte, liberall, wo sie sich ihr bot; nicht aus Ober ilächlichteit, sondern aus Lebenghuns act. Hans ging still seinen Weg. Es bemerkte ihn teiner. Sein Vater ging so gut wie gar nicht aus ihn rin. Seine Zurückhaltung dem Sohne gegenüber war teine Gleichi aiiltiglei:« sondern entsprang nur sei-· ner troaenen Lebensanschauung daß jeder Mensch sich am besten aus sich selbst heraus entwickelt und im Grunde einer wie der andere makes Dadurch sehlte aber seinem Schne. der Vater, der straft und Selbstbe wußtsein in ihm stählte. Hans war lang ausgeschossen.; Seine kräftige, recht entwickelte Ge stalt stand im Wi:erspruch zu den ltindlichen Zügen seines Gesicht-. Esl mußte ihn jemand sehr lange betrach-’ ten, um etwas Eigeneö herauilesen zu können. Er kam in das Alter, wo andere Knaben schon nach der Gunst der Mädchen haschen; er sel ber war viel zu häßlich und um tassrdlich um einen Erfolg zu erhof en. Und er hatte ja eine Mutter, kie schön war! Bald mesrlte er, das-, erseisersiichtig aus sie wurde, wenn sie mit anderen sprach, so innig und liebevoll, wie er es nie von ihr ge wohnt war. Sie gehörte zu den grauen« die siir alle Menschen mehr ersiiindnii haben, als site das ei gene Kind. Hans entsann sich- daß er sich als Knabe ostrnals kleine Wunden zugesilgt hatte, nur um von der Mutter bedauert zu werden und ihre sonsten Worte zu hören. heute war ee zu alt dazu, aber das Be ldiirfnis nach Zärtlichkeit war des halb nicht geringer geworden. Er sah die Mutter in letzter Zeit oftmals mit einem Arzte zusammen, und es schien ihm, als ob hier ein iieseres Verständnis läge, als es bei gesellschiistlichem Verkehr üblich mai-. Einmal hörte er, wie der Arzt zu seiner Mutter sagte: »Sie würden glücklicher sein, gnädige Frau, wenn Sie um jemand eine Sorge hätten. Sie haben Mann und Kind; aber Sie sorgen sich um leines von bei den!« —- ,,Sonst meinte inan im mer, ich wäre in eine falsche Erde ge pslanzt worden,'« entgegnete sie ein wenig getiäiitt. — »Selbst Frauen, die glücklich sind, hören gern, daß sie es noch besser verdient hätten.« meinte der Arzt. »Jrgendeine uner siillte Sehnsucht, die in jedem Men schen liegt, begründet die Frau in ihrer Eitelkeit oder« übertriebenen Empfindsamteit damit, daß sie auf seinem falschen Plade steht. Glau ben Sie mir, Frau Helga, nur die Frau gibt dein Heim, dem sie vor sieht, das Gepräge; sie wird von ih rein Haus zur Anpassung, je nach ihrer Klugheit und nach ihrem Emp finden kann sie es zu sich selber em porziehen oder nuch yetuntetzerrem Nicht bestimmt, sondern sie mach: the Heim zu dem, was es ist« — ,,Jch dachte, Sie wären der einzige der meine Unznsriedenheit verstehen könnte, lieber Doktor, aber selbstSie wenden sieh von mir nh.« Sie weinte leise, und in ihres Sohnes Herz, der nn der Tür lauschte, lrnmpste sich alles vor Weh und Bitterkeit zusam men. »Sie haben gewiß nicht so unrecht mit dem, was Sie sagen," fuhr sie sort; »nur das wirkt so be triihend, dnsz das etwas ausgepräg iere Empfinden und dirs anspruchs vollere Gesiihl einer Frau, wenn ek sichJiber den Durchschnitt erhebt, mit einem hernblassenden Lächeln des Mannes siir »iiherspnnnt« erklärt wird-« Mit miidein Lächeln verließ Frau Oelga das Zimmer, und Hans eilte leise hinaus, um seine Gegen-« tvnrt nicht zu verraten. Er wußte, daß et seine Mutter verstand, besse als alle anderen; dnsz er sie mehr; liebte, als eine Mutter von einem» Sohne gewöhnt war· Der stille ein same Junge überlegte und fand her aus, daß die Mutter mehr Liebe siir ihn empfinden könnte, wenn sie sich einmal nur um ihn gesorgt hätte, und daß eine Sorge, bei der die Pflichten nicht sernhleiben, sie zu friedener gestimmt hätte. Seine Mutter hatte sxch hin und her strsxnl lassen, wie eine Fremde, die einel Heimat suchte nnd nirgends sand; die-mehr verlangte, weil sie tieser empfinden konnte, als die anderen Doch überall war sie ans kalte be rechnende lieberlegenheit oder gedan tenlose Oberstächlichteit gestoßen. — Als der Krieg hereinbrach, der den Menschen ein neues Sein, ein neinrs tiges Handels und Denken ausztoang, wurde auch Hans bis ins Jnnerste davon beruhen Nach drei Tagen tiesz er sich im Iiontor des Vater- mel oen. Bisher hatte ihn eine unbe stimmte Scheu davor zuriielgehaltenx doch das kaum glaubhaste Ereignis, ras so plötzlich in jede Familie ebenso niederdrückend wie belebt-nd eingegrissen hatte, reiste den einzel nen so wie das ganze Volk und dul cete weder äußere noch innere Hern mungen. Aus das »Herein" des Va in das kahle, etwas zu grosze Zim nrer und aus Furcht, den miihsam gesammelten Mut zu verlieren, stieß er eilig heraus: »Ich will mit. Va terl Jch bitte um Teine Einwillis gung.« Herr Wirtenbacb sah ihn erstaunt an. Er hielt seinen Sohn, der gerade 18 geworden war, siir nicht seht selbständig »Ich will mit, Vater," sagte er noch einmal in so energischem Ton, daß Herr Witten bach sich nicht genug wundern konnte. »Weißt Du auch, was Du tust?« »Ja Vaterl« »Und wenn Du nicht zurücktornnist?« »Ich bin ganz gut zn entbehren! Ueberleg’ Dir's-, Va ter!« Dann ging er hinaus. Die lurze, energische Art des Sohnes ge fiel Herrn Wirlenbach Er zögerte nicht lange mit der Einwillignng Hans empfand es danlbar. Jhrn war, als hätte sein Leben nun eine Bestimmung erhalten. Er ging aus sich heraus und zeigte ein selbstsiches res Auftreten, das ihn älter erschei nen ließ, als bisher. Beim Abschied war Frau Witten lsach bleich und erregt. Immer wie »ber strich sie ihrem Jungen über das lHuay so wie ganz früher einmal. Er sah sie gerührt an. »Lnß man, Mutter,« tröstete er. »Es wird alles schon gut werden, und dann — dann! hast Du ja jemnav, um den Du Dich! sorgen lannst.« Bei diesen Worten sah sie ihn fragend an. Er wich ilH rem Blicke nicht aus. Ein plötzlichesl Verstehen dämmerte in ihr aus, all! dessen, was er gewußt und gelitten hatte. Er weckie in ihr zum ersten Male die wahr-, alles erhellende Mutterliebe, nun, da er sie verlassen mußte. Jhr war, als müßte sie in tiese letzten Minuten alle bisher ver sagte Zärtlichleit legen, und selbst Herrn Wirtenbaehö Augen bekamen einen Schimmer von Güte, als der Sohn sliisterte, so daß auch er es verstehen konnte: »Ich bin ja so glücklich, Mutter.« — Frau Helga durchlebt-: nun eine Zeit voller Sorgen. Sie ging im Geiste die ganzen Jahre seit der Ge burt des Jungen zuriick, und es tam rhr immer mehr zum Bewußtsein, daß sie sich nie bemüht habe, ihn zu verstehen. Es schien ihr aus einmal, als sähe stessmit neuen Augen. Sie wußte sich jeßt aus Einzelheiten zu besinnen, die ihr das Wesen ihres Sohnes mehr und mehre erklärten. Wie ein plötzliches Erwachen kam es über sie, und es erschien ihr zweifel los, daß der Junge fortgezogen war, um ihrem Leben einen Inhalt, eine Sorge zu geben. Troß aller Ge toissensqualen, aller Angst und Küm mernis sühlte sie sich reich, reicher als zuvor. lltid«.ßttns, aus dessen junges, verschlossenes Gemüt' der Krieg mit seinen Schrecknissen furcht barer und ergreifender wirite, als er te ahnen tonnte, fand Ruhe und see lischen Halt im Gedanken an die Mutter. Es war wie eine heimliche große Liebe, die hinüber nnd her uber zog. Bei einem Sturmangriss verlor Hans Wirtenbach einen Arm. Die Akkzte fürchteten, daß der jungeFreis trsillige die Erregung nicht gut über stehen würdet er lag mehrere Tage bewußtlos und erwachte dann, um gleich daraus wieder einzuschlaiem Er war sehr schwach und schlug nur selten die Augen aus- An einem trüben, regnerischen Tage, an dem alles wie mit einem schmutzigen grauen Schleier bekleidet schien, be suchte ihn seine Mutter, die man vom Lazarett aus benachrichtigt hatte· Leise ging sie an sein Bett und strich sauft dem Jungen das feuchte Haar Jus- der Stirn. Da erwachte er. »Mutter!" — Ter Arzt und die Schwester standen an der Tür, da ssr eine erregte Szene befürchteten; noch hatten sie dem junger-. Freiwillii gen nicht zu sagen gewagt, was ihm zugestoßen war· Ob er nun doch schon den fehlen den Arm bemerkt hatte, oder ob er tm Fieberschlas davon geträumt ha ben mochte, plötzlich sprach er, — und es llang nicht jammervoll und klagend, sondern ruhig und zuver sichtlich: »Nun mußt du für mich sorgen, Mutter!« Der Arzt und die Schwester betrachteten sich verwundert 3ieentsannen sich nicht, jemals Aehn liches erlebt zu haben. Frau Wit tenbach aber saß zwischen Lachen nnd Weinen an seinem Bett. Eines solchen Sohnes Mutter sein zu diirs sen! »Mein Kind, du!« weiter konnte sie gar nichts sagen. Sie sprach es wieder und wieder und streichelte ihm die Hand, die feucht von ihren Tränen war. lind Hans Wirkenbach schien es. als hätte er nicht nur mit anderen getämpst, sondern auch allein; als hätte er nicht nur mit Tausenden Siege errungen, sondern einen iiie sich, von dem er nur wußte Und der ihm größer düntte als alle anderen. - —- —-.————— Ein frlbftbetunfktrr Musiker. Nicolo Toinelli, der bis 1765 nls Hoftnpellnieifter in Stuttgart lebte, wurde infolge feines tiinftlerrfchen Ru feg fiir die Stelle eines Dirigenien ur- der Peterskirche in Rom vorge schlagen. Ter Ruf eines uniibertrofs senen Mufitiheoreiiters ging ihm vor aus, cits er in Bologna etfchieih uin von dein Mlieftro Martin die näheren Bedingungen seiner Anstellung ent gegenziineymen Sie tiiuteten dahin, daß er fich vor einein Kunftrichteo lollegiuni in Rom einer öffentlichen "iriifung unterziehen solle. Darauf ftellte Tonielli vie Gegeiibediiigiiiig: »Mein will ich niih der gewünschten Prüfung unterwerfen, wenn inir inei ne Exnniinntoren versprechen, fich nach beendeter Prüfung nnch von mir öffentlich prüfen zu tiiffen". Schon .iin nächften Tage erhielt Toinelli fei ne Ernennung, iibe: von einer Prü fung war nicht inehr die Rede. —Treffcnd bemeer Fräulein («znnt Herrn dcsHunch dessen übte Latinen nnd Scheltworte sic grundloserwriic täglich erfährt nnd zn hören bricnnnn): »Herr Müller, wissen Sie-, ich habe tnich als Zofe und sticht als Bin-ablei kcr zn Jhneen verdnmti« —Der triiciceKtiallptotz. Arzt: »Ja, ich kann Jhnen nicht hei fen, Herr Uppig, Sie müssen vierzehn Tage das Zimmer hüten.« Patient: »Schön, aber welchesf« Atti: »Welche2?« — Patient: »Natürlich! Jch hab' bog neunt«