Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 18, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Sonntag-blau de
« Staats Anzetger und Wer-old
——-M-— «
,Rebt. Donnerstag-beut
—
Iich2 -
Novelle von Rudolf Strah.
—M
An du Tafelkunde der pensionier
tm Exzetlcnzen in Wieäbaven lachten
sie und proteitietten. Ader der weiß
töpiige kleine General, der bisher das
Wen gehabt, blieb ernst und jagte:
«Doch!... Es ist wahr- Jch hab'
mich 1870 einmal gefürchtet» ."
»Am wem draus-"'
«Das weiß ich bis heute noch
nichts . . .««
Und da et die ungläubig-n und ge
spannt-n Gesichter Inh, setzte et hinzu
.,Wenn Sie wollen« erseht Ich es!
Die Sache ist sonderbar-, aber
nicht lang... , -
txt war ini Winter. Vor Orteans.
Sogar der Name des verschneiten
Restes, in das wir Dragoner ins
Quartier kamen. ist niir augenblick
lich entfallen. Vor uns waren Bayern
iii dein Dorf gewesen Als die abmars
ichierten. zogen wir gleich in die
noch warmen Stuben nnd Stiille ein.
tltur das tleine Schloß mitten in der
Ortschaft, der Kirche gerade gegen
über, blieb iinbelegt. Dort hatte sich,
in dein Abendgesecht das der Ein
iiahnie des Dorfes not-ausging. ein
Trupp abgeschnittener Franttireiirc
iestgeseht gehabt. Die unseren woll
ten nicht wieder iinniih Blut bei
einein diretten Angeiss optern. Sie
tiiiiten die Vintergebiiiide in Brand
geschossen.
Das herrenhaus vorn blieb stehen.
Da hätte inan sich bequem einrichten
trinneii. Ader die Bayern verspiirten
iii den vierzehn Tagen, die sie da la
gen, teine Lust dazu. Der Ort weilte
doch düstere Erinnewngeii. Blut
iireratl, haarbiischel an den Wänden
s— ini yindgeinenge eingeschlagene
Iiiren — im großen Saal das rote
Stroh. aus das sie den Schloßbeirn
nnd seinen Sohn nnd eine Reihe
iFieischiilen wohl ein Dutzend stum
iiie Leute, gebettet, ehe der Eures und
die Bauern sie ans dein Gottebaiter
zur Ruhe brachten. Es war denen ja
allen nur geschehen, wie sie selbst ge
ivrllt —- sie hatten sich init bewaff
,-iieier hand gegen uns zur Wehr ge
seht -—- also... aber iininerhin...
das unwirtlichr Hans niit den zer
iriiiiiineiten Irnslerscheiben stand leer,
als wir lamen.
Oder doch! Einer der Bayern war
darin gewesen! its hatten sich in der
Stille oer Nacht, wie manche behaup
ten wollten« sonderbare Laute and
dein Gebäude vernehmen lassen...
vielstiiiiiniges, gedäiinpsted Lachen —
Iritte — Türenschlagen — ein ir
iendeö Licht längs der Fenster —- na
türlich dachte incn zuerst an Frants
tireurs — aber das war ganz ausge
schlossen, mitten iii diesem von Deut
schen wiininelnden Dars. Und gerade
dies Geheimnis-volle reiste einen jun
gen Leutnant ooii den bahrischen Che
oaiixlegers. Er erlliirte, er wiirde ein
inal eine Nacht in dein Sputhause zu
bringen, nnd siedelte gegen Abend niit
Matrahe und Nebolver dorthin til-ser
Aber die anderen Herren waren noch
nicht schlasen gegangen, da erschien
er« so gegen zehn Uhr nachts, wieder
iii ihrer Mitte und sehte sich still zu
ihnen. Warum er driiben nicht hatte
bleiben wollen, darüber war nicht ein
Wort eins ihm herauszubetoriiaiew
lind bei une, den Nachfolgern,
iiiiir nun schon ein Sagentreis iiin
das Schldßchew Die Mannschaft er
zählte sieh die diininisten Geschichten.
Das ärgrrte unseren Adiutanten Er
iootite sie Lügen sirasen. lind ani
dritten Morgen, den wie da waren,
sagte er zu uns qaiiz obenhin
.,So, Kinder . .. ich hab' die ganze
lehte Nacht dort drüben zugebrachti«
Ein paar Zeugen bestätigten dad.
ttlnd alles sragte:
»Na —- und...«i«
psch half geschlafen und von Mut
i-tn geieöunIL .weiiet gar nicht-»
Er lachte vnlsei Ein wenig bleich
fah er aus. Aber et war ganz guter
Dinge. Gegen Abend ritt er zum Be
iehisempfnng in das Beigndeqtmrtiee
— drei Dörfet weiter. Er ist nie
wieder zum Vorschein gekommen.
Sein Pferd fand man ein paar Tasse
i iiet halb verhungert auf freiem
Fell-. Gott weiß, wo ihn vie Frank
1iteurs eingelcharti hoben
ilnd wieder einen Abend darauf
saßen wie sehr nachdenklich beisam
men und sprachen von dem verschone
nen Kometen-en
Nun hatte ich nn dem Abend eini
gen heißen Rotwein getrunken. Denn
mit war schon ein paar To e gar
niåi gut Ich im fortwähren, und
Kopf war swee wer. Aber iei
feine-nie mich der pei il blen wieder
nniernelimunqsluiiig, wie ich lon als
junger Leuiunnl mit meinen echt
-—
auswanng Jahren war, und ich
rte :
»Der Sache muß auf den Grund
gegangen werden! Jch werde heute
nacht einmal dort drtiven mein
hauptqunrtier nusschlagen.«
»Du gehst doch nicht hins«
Das sagte einer meiner besten
Freunde neben mir, und ich dagegen
«Wns gilt die Wette?«
»Ich fes den ambtichen Schim
mel...« -
Diese Stute hatte er von einem ge
fallenen französischen Offizier erbeu
tet. Es war ein schönes Tier. Schon
allein vie acht Stunden in dem Gei
stetichlößchen wert. Und er tilgte
hinzu:
»Für mich ist der Gaul ohnedies
zu låichn Morgen früh gehört er dir!«
« op!«
Jch ließ mich nicht lange bitten,
das anzunehmen. Jch war voll Taten
drang. Jch wollte mich durch etwas
Ungewöhnliches aus dem unerllärlis
chen Trübsinn ausriitteln, der in der
lehten Woche aus mir lastete, und ge
gen zehn Uhr abends wanderten ich
und mein Bursche iiber den lnirscheni
den Schnee zu dem stillen haust hin
iiber. Er trug ein paar Bettstiickr.
Die legte er vor dem Kamin in dem
großen Saal hin, dem einzigen
Raum, dessen Fenster noch ganz wa
ren. Feuer hatte er schon vorher ange
zündet, rückte noch ein paar Holz
scheite zum Rachlegen zurecht, machte
aus inein: »Na — nun abl« lehrt,
und kaum war er aus der Türe hin
aus, da hörte ich ihn lauten, was er
konnte.
Meine Stimmung war jetzt ange
nehm erregt, beinahe heiter-. Jch streck
te mich behaglich aus der Matrase
aus — mit dem Kopf gegen die
Wand —- denn immerhin — es war
doch nicht gut, wenn plötzlich etwas
hinter einem stand. und rauchte meine
Zigarre Unisorm, Stiefel, Säbel —
alles hatte ich anbehalten — oen Re
ooloer zur Hand. So lag ich und
schaute vor mich hin. Der Saal war
groß, die Ecken dunkel. Der Schein
der Kerze und das Geslacker des Ka
n.inieuere reicht-n nicht bis zu ihnen.
Die erhellten nur die Mitte, und eben
aus die fiel auch der grelle Mond
schein aus der weißen Winternacht
draußen. Au den Fenstern war es bei
nahe taghell. Man konnte dort deut
lich noch einzelne Strohhalme nnd
sonderbare dunlle Flecken aus dem
zerschiirsten Partettboden erkennen.
Die Flecken war-en Menschenblut.
Das war mir gleich. Jch dämmerte
allmählich immer mehr oor mich hin,
und eine tiese, sonderbare Müdigkeit
löhmte mich. Jeht erzeugte sie in mir
nur noch den Wunsch, die Augen zu
schließen und mich nicht mehr zu
rühren.
Und wirklich schlummerte tch all
mählich ein. Das heißt: es war ein
unruhiger halt-schloß in den die
Wirtlichleit immer wieder hinein
schaute — mal mit ein paar blechers
nen Schlägen vom Turm der Dars
lirche drüben. mal mit Dragonerstims
men von der Gasse her —- die Wach
ablösung, die ein Posten anries —
und dazwischen kamen verworrene
Träume s— oon zu hau- — vielleicht
gab eo bald Frieden... ein Genuß
war der Winterseldzug nicht... we
nigstens nicht diese Kahbalgereien mit
Garibaldianern oder mit Franttii
reurs. wie hier im Saal, wo sie sich
an den Gurgeln gewürgt hatten und
einander die Schädel mit dem Kolben
eingeschlagen —- und wo es seht so
still war —- — so totenstill...
llud talt dazul Jch sriistelte unter
den dicken Wohlachll, die ich über mich
gelegt, nnd blingelte oerschlasen in
den Kamin neben mir. Natürlich —
da giimmte die Glut nur noch und
stackerte in ersterbenden Flämmchen
Da mußte man nachlegen. Jch rich
tete mich aus dem Ellenbogen aus
und lchob mit dem anderen Arm ein
paar holgstiicke in das eFeuer. Dann
sireckte ich mich wieder aus. Ich war
seht ganz wach geworden und sah mit
ossenen Augen vor mich in das mond
helle Zimmer hinein.
Und dabei bemerkte i mit Erstau
nen: dort om Fenster kund jemand.
Ein junger Offizier.
Er hatte mir den Rücken zugewandt
und schien nachdenklich in die Win
ternacht hinauszuichauen Er rührte!
sich nicht. Aber er war sen Kopf bisj
zu Fuß deutlich erkennbar-. »
Und eben dadurch wurde mein ers.
ster Gedanke zunichte: das ist einer
oon denen, die lie hier umgebracht ho
ben. Der Sohn des Schloßherrn viel
leicht... Doch der am Fenster trug
deuitche llniform. Die Unifvrm mei
nes Regiments.
Dnd beruhigte mich sofort wieder.
Da war einfach, während ich schlief,
ein-Kommt) gekommen, um nachzu
kehern wie es Intmr ginge, und ob ich
überhaupt n nle kei Natür
lich. seen vereint n mand eine Wet
ite und solch einen Schimmel dazu.
So sagte ich denn ganz gemiitlich
und halblaut unter meiner Decke her:
«Na —- wer ist es denn von euch?"
und in der Stille hnllte es förmlich
wie ein Echo an den leeren Wänden
des großen Saales wider: »Wer ist
es denn von euch?« —- aler es lnm
keine Antwort. Jch wiederholte die
Frage lauter ein zweites nnd ärger
lich und ungeduldig ein drittes Mal
.. immer hörte ich nur meine eigene
Stimme... sonderbar in der laut
loien Nacht-» Die Gestalt um
Fenster ltimmerte sich gar nicht dar
um Sie stand da, ganz ruhig, und
wandte sich nicht nach mir, sondern
schaute nach den verlohlten sei-tim
mern nnd dem Schnee draußen vor
ven Scheiben
ilnd plöstich wurde mir llnrt das
ist in unser Adjutont!... Oder et
was von ihm-« etwa-, war noch
übrig ist« nachdem sie ihn selber hin
terrücks irgendwo im Walde erscho:sen
hat-en —- und wie mir das durch den
skeps fuhr, sing mein Herz an, gez
waltig zu hämmern, und ich lag un;
beweglich, um nicht die Erscheinung
am Fenster ans mich ausmerlsam zu
Wachen.
Dabei dachte ich doch ·oetter: Wenn
es der Adjutnnt ist, dann ist es doch
mein Knmernd, mein guter Freund.
Der tut dir doch nicht«-»Der kommt
doch höchstens noch einmal zurück,
um dich vor etwas zu wornen oder
dir zu verraten, wer seine Mörder
sind, damit Ihr euch morgen die Kerle
holt und sie slisiliert und ihre Ge
höste nnsteclt... Das nlleo war ja
eigentlich verrückt —- nber die Gedan
len wirbelten mir nur so in meinem
Kopf, der dumpf nnd schwer war
wie von Blei. Jch mochte den gar
nicht von dem Polster heben und
oerwnnote lein Auge von dem stillen,
mondbeschienenen Lentnant am Fen
ster. .
Der Regimentsanjuiant war ein
mittelgrofzer, brünetter here gewefen.
Der Leutnant dort aber hatte blonde
Haare. Das fiel mir auf. Das konnte
nicht ftimmen. Das war doch ein an
derer. Aber wer nur, der zugleich die
Uniform meines Truppenteileö trug?
Da fah ich etwas an fich ganz Un
fcheinbarep. Ein Fiöckchen Watte.
Das tiebte dein geifterhaften Kamera
den da drüben unter dem rechten
Ohr-, auf dem kleinen Stück Wange,
das er mir zuwandte. lind zugleich
erfaßte mich der fürchterlichfte Scheel
ten. den ich je in meinem Leben der
fpiirt — den überhaupt woh! ein
Mensch fühlen lann.
Wann war es denn-i Vor zwei —
nein, drei Tagen: da hatte ich mich
morgens mit vor Kälte fteifen Fia
gern rafiert und dabei gehört-g ge
fchnitten —- hinten an der Barte —
unter dem rechten Ohr. Der Stabi
arzt, der gerade da mar, hatte einen
Baufch Verbandwatte darauf getan.
Da haftete der noch. Jch tonnte ihn
mit der Hand fühten. Als-er drüben,
.ni Fenster, Ivar er auch genau an
deqelben Stelle. iiad to-nn dem fo
war, dar-r. war ich uiecliaupt Jener
fremde Offizier im Utandfchein
Dann iser ich doppelt hier im Zim
mer. Alles fprach dafür ss auch die
Größe »- die Geftalt —- alteir an
dem "Sti;ci:iengaiiger drüben — und
in meiner Unvernunft dachte ich:
wenn er sich zu mir umlsreht, dann
weiß ich est
Beinahe im felben Augenblicke, fo,
als hätte ich txt befohter, wandte sich
fchon der Ormanni im Mondfchein
zu mir hin, und ich fah mich an...
Blitzfehnell fieckte ich den Kon un
ter die Schlafdecte und hörte das To
fen meiner herzfchliige und sprach
mir in meinem Zittern gut zu: Du
bifi doch hier . .. Was du da drüben
gefchaut haft. das bift nicht du!...
Das haft du dir überhaupt eingebiii
del in deiner Aufregung!
Draußen ivar es dabei ganz still.
Und eine leife Oeffnung tagte mir:
Wenn da fest wieder and deinem
Daniel herauötocnmft und die Augen
aufmachft, ift das Zimmer leer und
es idar vorhin nichts, fondern ein
Traum...
Aber jetzt träumte ich jedenfalls
nicht mehr s— im Gegenteil —- ich
war ganz wach und hörte deutlich
draußen die Turmuhr schtagen und
in der Ferne einen verseiihten Hahn
ttähen — und trotzdem... als ich
wieder Umschau hielt, stand der Leut
nant, immer noch den Rücken gegen
mich, am Fenster und schaute gleich
gültig hinaus in den Schnee.
Und eine trankhaste Neugierde
reiste mich: Er muß sich umdrehen —
du mußt dich noch einmal fehent —
und zugleich geschah es schon, und
ich merkte: Was ich hier am Kamin
dachte, das tat der drüben am Fen
ster sofort. Mein Wille war hier und
dort lebendig... dadurch hingen wir
beide zusammen —- und schauten uns
an —- und nun erkannte ich mich
ganz deutlich... und bebte: Wenn
der andere bloß nicht noch zu lacheni
anfängt! und da lachte er da drü
ben auch schon, daß ich die weißen
Zähne unter dem Schnur-than sah,
uns ich hatte kalten Schweiß auf ver
Stirne und mußte mir einbilven, ich
mochte wollen over nicht: «Gottiei
dank, daß ihr zehn Schritt vor-einan
der feiv!... Laß ihn dir ntcht zu
nahe! Sieh, daß er nicht etwa auf
Dich zutonuntt — Und im selben
Augenblick feste der sich mn Fenster
auch schon in Bewegung und ging
mit raschen, langen Schritten aus Die
Monat-e zu, auf ver ich tag. und ich
sprang nuf und stürmte wie ein ge
icheuchter Hase aus dem Zimmer, dem
mondhellen Flut entlang, dem offe
nen hauste-e zu —- und hinlei- mir
lies es hastig und elastiich, mit lei
sem Sporenllikken, nnd ich kannte
noch mehr und verlor den Halt ans
den vereinen Treppenslnfen des Ano
gangz und siiitzte hinunter« mit dem
Kopf in den Schnee.
Der fühlte. Allmählich tanl mir die
Besinnung toieder. Ich lag da und
sah iss·"der llaeen, talten Lust die
Sterne über mit-,- aber sonst nichts
Det Doppelglingee war weg nnd ich
eik gebtochenet Mann. Langsam et
hob ich mich und stapste dntch den
Schnee davon -— nue sort von dem
Hause —- nnd drehte mich immer tote
dervveeslöet um. Aber eg folgte mit
nichts.
Mut seht niemanden sehen —- von
niemanden gesehen werden! Jch hatte
eine Todesangst vor Menschen, die
mich nach dem seagen konnten was
ich erlebt. Man konnte wohl ekzcihlen,
daß man die Fraattieents oder gar
einen Geist geschaut. Aber daß man
sich selbst geschaut — nein —- das
war unmöglich. Datum wollte ich
nicht in mein Quartier meint Da
hätten die Kameraden mich bemertt
und ausgelacht. Aber ganz in derl
Nähe war der Stall mit meinen
Pferden nnd denen anderer Leut
nants. Da brannte eine Laterne, und
ich- ftieß die Türe auf nnd ftieg iiber
den erstaunten und berfchlafenen Bur
fchen am Boden hinweg und tauerte
mich in der Ecke auf ein paar Fut
terfscke nieder nnd erwartete fo, mit
einem fortwährenden eistalten Gerte
fel über den Rücken, obwoh! es warm
zwischen den Gänlen war, den An
bruch des Tages.
Jetzt begriff ich, warum der baue
rifche Cifedeanleger durchaus nicht
hatte fsiaen wollen, was er in dem
Schlon des Nachts geschaut, und war
um unfer Adjutant des Morgens bei
der Rückkehr von dort gelacht, um
feine Bläffe nnd fein Entsetzen zu
verbergen. Und am selben Abend war
er f on tot, und eine alte Sage tant
mir n den Sinn: Wer sich felbft fab,
der mußte fterben . ..
Es dämmerte bereit-J nm mich. Aus
der Ferne ballte es dumpf. Einmal,
zweimal... weiter in regelntiifziaenl
Abständen . . . Kanonenfchliige . . Sie
oerftiirtten fich allmählich. Heute gab
es ein Gefecht. Wir tatnen an den
Feind. Und dann...
Jch war überzeugt dan ich den
nächsten Tag nicht mehr erleben wür
de. Jch ftiitzte den Kopf in die Hand
nnd fchaute in tiefer Traurigkeit nnf
das fchmnhige Stallpflafter nnd den
fchnarchenden Burschen So jung zu
fterben -«— fort ans der schönen Welt
...dabeim hatte« ich die Eltern...
und fonft noch jemanden, an dem
mein herz hing... tess war nun
alles zu Ende . .. bald . · . und eigent
lich war es gut —— denn ich graute
mich zu febr vor tnir felber... feit
dteter Nacht . .. -
Draußen fchtnetterte es hell. Die
Trompeter ritten durch die ver-schnei
ten Dorfgassen nnd bliesen Alarm.
Ju der Eile des Auffinens achtete tei
ner auf mein Aussieben Nur mein
Freund rief mir zu:
»Na — ich gratuliere... der
Schimmel ift dein!" Und ich tdintte
baftig mit der Hand ab:
»Behalt’ ihn! . .. Behalt’ ihn!'« und
trabte, ohne auf feine erstaunte Mie
ne su achten, hinter der Batterie her,
der meine Schwadron als Deckung
zugeteilt war.
Wir gerieten nn diesem Tage ge
hörig in das Feuer. Gerade hinter
mir holten sich die Chnsiepotlngeln
drei. vier Drngoner uns den Sätteln,
nnd in den Nnchbnrzng schlug eine
Gmnate, nnd in dem Knäuel von
Menschen und Gäulen uns dem Bo
den lng unser jüngster Lentnant tot
. mich lrns es nicht... nnd ich
sreigte mich immer wieder: Wann
kommt es nur endlich-i — aber ge
gen Mittag verstummte das Gebisller
ganz . .. das Scharniiitzel ivnr aus ..
Wir waren nbgesessen, und ich halte
mich aus einein Meilenstein nn der
Straße hingelanert und hielt wieder
den Kopf zwischen den Händen und»
starrte vor mich hin, und als der
vorbeireitende StaböarJt mich anrief
«Ra —- ivas machen S e denn sllr ein
Der Freiern
Siizzc von Mars Lichter-·
l
Die Wirtin brachte Herrn Wilii-’
dnld Iitiisehel den nasses Dann zö-;
gerte sie einen Augenblick im Hm«
ausgehen, drehte sich entschlossen um’
und sagte: »Und ich gratuliere Ih
nen auch zum Geburtstagt«
Stimmr, heute toar Ia sein Ge
burtstag. Er gähnte nnd streckte
nnd deynte sich
Der diassee verbreitete einen ange
nehmen Dust im Zimmer. Er ist
com zu dein, etwas avgetiihlt trinte
un iyn net-ek: dachte Verr Piisafsei.
aber das dachte er nur« urn seine
Uaulheit vor sich selbst zu entschul
digen
Das Programm des Tages stand
tlar vor seinen Augen: von 9—-12
Oureaih von 12——2 Mittag und ein
echte-society von L—5 noch einmal
Bttrean und dann —- ja dann wirkt-e
er sicn scyneidig machen und Frau
iein Wally Weißgerber um ihre nied
l:c1;e weiße Hand bitten.
Das hatte et iich siir seinen Ge
burtstag ausgespan. Herr Piischel
lkielt viel auf schone Redewendungen
m würde sagen: »Fräuteiu Osale
würde er sagen, »heute tonnen Sie
mir ein Geburtstagggeschent machen,
das alle Geschenke, die ich jemals de
tominen habe, in den Schatten stel
len wird, indem Sie sich seidst mir
scheuten.« Tag mußte wirtenk
Einen Korb wiirde er nicht betont
nie:i. Jm Leben nichts Er mußte
im Gedanken ati eine Abiveisntig la
-.i;eln. Fräulein Wally war zwar
zwanzig Jahre jünger, aber wenn sie
ilim ihre Jugend galt, so gab er il):
tsasiir den Titel Frau Utegistrator.
llnteinehniungelustig und stol) ge
lautit stand er endlich aus. Der
tinssee idar richtig talt geworden
Dann srisieite er sich sorgfältig.
Da stand er plötzlich und hielt etwas
zwischen den Fingern gegen das-«
richt.
Ein graues Quark
War nmn denn mit stinfundvier
zig Jahren schon ein nltcr Mann?
Nein, ein graues Haar macht das
Alter noch nicht
Herr Registrator Piischel fandaber
nn diesem Morgen noch mehrere
graue Haare- llnd dann bemerkte
er, daß sein Haarschopf sich am
Scheitel schon bedenklich lichtete.
Deswegen tonnie er wohl noch
lange leben Denn er haßte den
Gesicht?« da erwiderte ich ganz me
chanisctj:
»Jet; muß doch sterben! . .
Daraufhin hielt er, stieg ab, stopfte
auf mich zu nnd fragte aediitnpftc
»Wi- sitzt denn der Schrtß3« —— denn
er fah tein Blut — nnd ich antwor
tete: »Noch nirgends3«.« nnd das
tant wohl etwas verworren heraus —
incine Zunge war so schwer — tue
nigstens sah er mir forschend ins Ge
sicht, kriegte meinen Puls zu fassen,
wurde sehe ernst und fragte:
»Hm . .· seit wann fühlen Sie sich
denn so elend, here Leutnaiit?«
,,Unges«cihr seit einer Woche . . . llnd
heute Nacht . . .«
Jch brach ab. Er hörte auch gar
nicht mehr zu, sondern tnöpfte mir
turzerhand den Waffenroct aus. Da
nmr meine ganze Brust voll roter
Flecke. Das hatte ich selber noch ger
nicht gesehen gehabt, und er sagte:
»Du haben tvir’st Was fällt Ihnen
denn nur ein, seit acht Tagen mit
einem derartigen ausgewachseucn
Typhus in der Welt hernmzureitent
Warum melden Sie sich um Gottes
willen nicht trank-«
»Ich hab’ es nicht beinertt!«
»Auch heute nacht nichts Da müs
sen Sie doch schon sehr hohes Fie
ber gehabt haben! —- Sie haben jetzt
noch, des Mittags wenigstens neun
unddreißig . .. Haben Sie da wirklich
nichts gespürt Reine Detirientt —
Keinc Trübungen des Bewußtseins?
—- Das iviire sast undentbar...«
Jch schwieg. Der Dottor rief seine
Lazarettgehilsein
Die packten mich gleich ans und
brachten mich sort.
Was dann von dem Abend ab ge
schah, das weiß ich nicht mehr.
Und als ich wieder soweit Mensch
war, da waren drei Monate ins Land
gegangen und der Krieg schon ans.
Es war ein schwerer Typhus gerne-I
sen. Er hatte mich bis an den Rand
des Grabes gebracht.
Aber immerhin —- wenn ich zurück
dente... mir war die Ende mit
Schrecken doch lieber als sonst der
Schrecken ohne Ende
Tod, weil er den ruhigen, gleichmä
ßigen Gan der Dinge liebte. Und
tser Tod i doch gewissermaßen ein
Revolutionär, der alles Gleiche-laß
iiber den Haufen wirst.
Die Gedanken des Herrn Pilfcheh
die anfangs rosig waren, liefen ei
lvas grau an und hielten ihn solange
auf, daß er, um rechtzeitig ins Bu
reau zu kommen, die Creitrisehe he
nußen mußte.
Neben einer alles-liebsten jungen"
Dame nahm er Platz. Ganz dicht
neben ihr, so daß er fast die Wärme
ihres Körpers zu spüren meinte. Das
junge Fräulein blieb ruhig sitzen.
Herrn Regisirator Piifchel hätte das
sonst zu jeder Zeit höchst angenehm
berührt, aber an dem Tage, da er
das erfte graue Taar bei sich fand,
lag ihm eine andere Deutung näher.
Er hatte irgendwo mal den Aphoris
mus gelesen: Ein Herr, der viel An
ziehungsirast hesißl, wird stets ein
Joeihliches Wesen til-stoßen. Befiiße
Her, Herr Registrator Büschel, Ansic
hungslraft, dann lviirde sicher die
fange Dame ein Siiicl von ihm weg
geriicli sein.
Himmel, war er denn wirklich
schon alt?
Er vertiefte sich in die Morgen
zeitung um von den dummen Ge
danken los-zukommen Dabei fiel
ihm ein Blatt aus den Händen. Das
Fräulein biirlte sich eilsertig, um es
aufzuheben
Es war nur gut, daß Herr Piischel
aussteigen mußte, sonst hätte die
Dame noch sein wenig liebenswürdi
ges Gesicht gesehen. Aus feinem«
Birnmcuen konnte man sowieso nicht
hcriiughören, ob es Dank oder eine
Verwünschung war.
Jm Bureau begrüßten ihn seine
Kollegen besonders herzlich Sie
gratulierten und streiten ihm ein
Weilchensttäußehen ins Knopsloch
»Wie alt wirst Du heute eigens
iiili5« fragte so beiläufig lein Kollege
leleier.
,.Fiinfuuddierzig." Fast schmerz
lEch klang es, wie e-: Herr Büschel
sagte.
»Hm ——«
Und Here Piischel hörte aus die
lsent einsacheu Hm, das gewisserma
ßen nur der Punkt hinter der Ant
toort sein sollte ein bemitleidenswew
tes »Schon«. Er oerbiß seine bit
tere Antwort und vertieste steh in
Die dicken Bücher-. Vor seinen Au
gen tanzten die grauen Haare einen
wilden Reigen Tie, die er sich heute
ans dem Schops gezogen hatte, und
tie, dic ihm im Laufe des Vormit
tags von den Leuten gezeigt worden
willen
Dag Mittagsschliischen beruhigte
ihn einigermaßen
Als et um znsei Uhr ins Bneean
tam, empsing ihn schen ein Kollege
’mit der latontschen Beinertungt
’,,Zum Ehes!«
» Jhm schcoante nichts Gutes. Die
«Miene des Chess übertraf seine -
Ichlimrnsten Vesiirchtunqen
,,ts;tören Sie tual Sie Herr
» Herr Pilschel Sie haben
J1a heute vormittag eine heillose Ver
’wirrung angerichtet . . .
Des Chesg zvrnsuntelndes Auge
temertte das Veilchensträußchen an
tHcrrn Piischetz Brust. Sein Antlitz
wurde unt einige Grad milder.
’ »Sie haben wohl Geburtgteig?«
,,Jatvohl, Herr Geheimrat.«
»Wie alt sind toir denn gewor
den«-«
»Fiinsundvierzig, Herr Geheim
rat « · Und wieder tlang es sast zag
hast
Der Herr Geheimrat hielt es siitr
p,assend einen Witz zu machen Man
will doch einem Menschen nicht ge
rade den Geburtstag verderben
»Da müssen wir die Verwirrung
von heute vormittag also woh! schon
ausg Konto des beoinnenden Alter«-,
iseßen .
s Herrn Regisimtot Pilsctiel träte eh
isvnhrbnstig lieber gewesen, wenn ers
einen sastigen Ulnsckrnlntzer bekom
snsien hätte. Als er an sein Vuljt
l-at, machte er tatsächlich den Ein
druck eines nltcn Mannes.
Am liebsten hätte er dnruns ver
zichtet, nn diesem Tng nm Wulltzg
Hand anzuhalten Aber er halt-.
schon entschiedene Andentungen ge
macht. Schließlich wartete man ani
ihn.
Ob Wally ihn nehmen würde-?
Ihn, der schon siinsundbierzig Jahre
clt war nnd grnne Haare hatte?
anhnst brachte er seine Werbung
vor, nnd auch die schöne Redewen
vnng vergaß er trotz aller Aufregung
Als Wally hold errötend «Jn«
flüsterte, bemerkte er nicht, baß in
köeim Gesicht geschrieben stand: End
Er nahm Wallys anort hin wie
eine Gnade-, die man ihm, dem »al
ten Manne« erwies·