W Kinder-txt Not. Roman dem Mit Ists-. I (3. Fortsetzungd Noch hatte er keine Ahnung, daß dieses Pferd der erste Bordote wnr von der vernichtenden Niederlage, in welcher zu diesen Stunden Preußens Heer und Staat zusammenbrechen und in die auch das Rüchelsche Korps trotz seines tapferm, derzweislungss vollen Angriffs und troß des bewun derungsrverten Mutes seines Führers, der, von mehreren Kugeln schwer ver . wundet, im dichtesten Handgemenge vom Pferde sank, hineingerissen wur de. Bald aber, je iveiter er nach vorn» galoppierte. mehrten sich die Vorboten und Anzeichen, Verwundete kamen zu rück, zerschossene Geschütze lagen am Wege, einzelne Reiter jagten vorüberz« dann kamen größere Massen, Jnsans terie und Kavalierie durcheinander, in wirren Knäueln über Feld und Stra ßen. — »Woher? Und wohin?« rief Los sau iijlen entgegen. »Es ist alles vorbei!« klang die Antwort, und entsegln schrecken-Wei che Gesichter flarrten ihnen entgegen. »Der Feind ilt unk- auf den Fersen!« Konrad faßte sich nn die Stirn. Was hatte er da gehört? »Der Feind ist uns auf den Fersen!« Spuk der Nacht! Das konnte doch nicht sein »Oalt!« herrschte er die Fliehenden Ils Aber sie hörten ihn nicht. Zurück Zurück!« schallte es ihm entgegen. »Am-g verloren!« Er faßte es nicht, glaubte es nicht. Wollte es nicht fassen, nicht glauben. Das heer des großen Königs, die Sieger von Stoßt-ach von Leuthem .das herr, das den Schreckenstag von Knnersdorf nicht nur überdauerr hat te, das vielmehr trotz dieses furchtba ren Schlages weitermarschiert war all die Jahre hindurch, auf Liegnitz, auf Torgau, auf Buiizelivitz, auf Freiberg, auf Oudertusburg zu — diefes Heer sollte geschlagen sein, sich in zieliose Ratten entsetzter Flücht linge ausgelöst haben? Die Antwort aus die Frage lam in schreckensvoller Deutlichkeit. Jms mer dichter wurden die Hausen, im mer wilder das lehensgefahrliche Ge dränge, immer angstoerzerrter die ein zelnen Gesichter, immer hastiger, un gezügelter die entseßesdleiche, unge heure Flucht. Nirgends ein fester halt mehr, alles flutete zurück, nur darauf bedacht, das bedrohte und ver folgte Leben in Sicherheit zu bringen. An irgend ein Vorwärtslommen war schon nicht mehr zu denken. Der Versuch, über die Köpfe der Iliichlis gen hinwegzuseszem war aussichtslos, denn ihre Reihen waren unadsehöar geworden; es gab nur noch ein Mitge rissenwerden inden giihnenden Unter gang. Und so geschahe-. Und es latn noch schlimmer. In dem fürchterlichen Ge dränge stürzte das Pferd; sein Auf lomnien war unmöglich, denn zehn, zwanzig, dreißig der Zliehenden strau chelten, unwiderstehlich durch den Druck der vorivärtsteuchendrn Masse nach oorn geschoben, über das Hin dernis und lamen zu Fall. Konrad von Lossau mitten unter ihnen. lind nun lain das Fürchterliche —- toar es der Tod? War es drr Wahnsinns Ge nug, er sah es kommen, sah es nach ihm greifen mit zitterndem gierigen Händen, sah hundert, tausend Fuße i.ter sich hitiivegfchreiten, den Kopf, das Gesicht, die Hände, den Leib zer treten, fühlte sein Blut riefeln, seine Glieder starr werden. — »Herr Gott im Himmel, hilf mirl" .Und der alte Gott leb:e noch. Vor dem Tod unter den Füßen anderer bewahrte er den Jungling. Mit Krijsten der Verzweiflung riß er sich empor, die starte Hand eIiseH Vorbei drängenden faßte ihn « cr stand aus seinen Beinen. — Nnn ging es weiter — in das Elend. —- Und als der Abend dieses Tages sank, n)c.sr Konrad von Lossau, und zahllose andere nat ihm, franzö sischer Gefangenen Jrgeiidivelche Ge genwehr war nicht meialiih gewesen« Tie seindticlxe Itavallerie sprenyte in den stiehenden Hausen hinein, hieb alles nieder, was sieh nirtki ergab, und als Lassau, durch den Blutverlust be reite- dem Umsinten nahe, den Versuch machte, den Säbel zu ziehen, traf ihn ein ivuchtiger Hieb über den Kopf. — Dann war es Nacht um ihn. — Aber der Tod kam nicht, den er sich wiinschte. Man schleppte ihn nach Mainz, und hier blieb er, bis nach dem Friedensfchluß die Gefangenen zurückgegeben wurden. »Dann durste er heim. Aber das schlimmste tam erst. Sein Fehlen beim Negiment war natürlich bei Be ginn der Schlacht vom Regimentes tommandeur bemertt worden« und zu dem wenigen, wag man aus der trit ben Katastrophe des Unglückstages gerettet hatte, gehörten die Akten des Negimentk, und darin stand schwarz aus weiß geschrieben, daß der Leut nant Konrad von Lossau sich ange sichts des seindliehen Veeres eigen mächtig von seinem Truppeiiteil ent fernt habe. Das Keiegtgerieht aber machte kur seu pro-eß« um so kürzeren« als se ) —..-, rade damals, statt die große, allge meine Verantwortlichkeit siir den Zu sammendruch zu degreisen, eisrig nach den üblichen Sündenbdcken gesucht wurde, damit alle übrigen durch das Zerreißen dieses Armen ihre unver sehrte Tugend an den Tag legen könnten. So ging es denn dem armen Konrad übel. Man glaubte ihm nicht« was er auch zu seiner Verteidigung vorbrachte, glaubte ihm nicht« daß es eh wohl um einen leichtsinnigen Streich, bei dem das Herz mit dem Kopf durchgegangen sei, handle, aber nicht um ein militiirisches Verbrechen gegen Ehre und Gewissen. Die Zeu gen, die Konrad benennen konnte, vor allem Redern, lagen aus dem Schlacht feld von Jena eingescharrtz Riichel, übellaunig und verbittert, konnte sich an nichts mehr erinnern, und der Tjunge Koster in Bieselbach war un sausfindbar Er sollte, so hieß es, von den Franzosen gefangen sortgeschleppt sein. als er den Piiittderern seines Hauses drohend mit dem Gewehr im Anschlage gegeniibergetreten sei. So kam es denn, wie es bei sol cher Lage der Dinge, in der jeder Verteidiger fehlte, tommen mußte. Das Kriegsgericht verkündete seinen Spruch: dasz der Leutnant Konrad don Lossau wegen Desettion vor dem Feinde insam tassiert werde und nie mals wieder in der königlichen Ar mee dienen tönne, und daß er es nur seiner früheren tadellosen Führung zu danken have, wenn er vor Festung und Gefängnis bewahrt bliebe. — Am Abend dieses Tages wollte sich Konrad drin Lossau eine Kugel vor den gon schienen. »Den legten Liebesdienst des las sierten stizierö sich erweisen,« wie er sich grimmig ausdrückte. Wenn er es nicht tat. so geschah es aus zwei» Gründen nicht: um seines alten Va ters willen nicht, dem er bei feinen siebenundsiedzig Jahren nicht den ein zigen Sohn rauben wollte, und dann um deswillen nicht, weil er mit der starten Zuversicht des unschuldig Vet urteilten hosjte, daß seine Unschuld doch noch an den Tag tommen werde. Von jener Stunde an aber, in der dass ,)erieasgericht gesprochen, wurde Konrad dunerlich ein alter Mann. Sein Haar ergraute schnell, und tiefe Furchen gruben sich in sein Gesicht. Oas strahlende Jugendseuer seiner Augen erlosch, und nur zuweilen noch bligte es flammend unter den Brauen aus. Und das geschah immer dann, wenn von des Vaterlandeo Not und Elend gesprochen wurde. Hatte der junge Mann noch bis vor Jahr nnd Tag dem großen Weltgertriimmerer und Welten-derer seine Bewunderung nicht versagen tönnen —- jent haßte er ihn, haßte ihn mit der vollen Glut eines leidenschaftlichen Herzens, das in dem Franzosentaiser die letzte Ur sache sur sein eigenes Elend sehen wollte. Und so start und mächtig wuchs dieser Haß heran, daß, wenn es etwa eine-J Tages geheißen hätte: ,,Ireiwillige dor zur Ermordung des Kaiser-M der junge Mann mit den vor der Zeit grau gewordenen Haaren sicher der erste gewesen koste, der sich dazu gemeldet haben würde Verstörten Gemütes, als sei ihm sein ganzes Leben vertviislet, tehrte Ilionrad endlich heim. Tief erschüttert empfing ihn sein greifer Vater· Litt der alte Herr auch unsagbar darunter, daß sein einziger,Sol)n, fein Stolz, seine Hoffnung, »vor die Hunde ge gangen sei", tote er sich ausdrückte, so lan: doch tein herbes Wort, kein Ta del, teine bittere Bewertung über sei ne Lippen. Er glaubte seinem Sohn, er wußte, daß das Kriegsgericht nicht gewußt halte: »Der Junge lügt nicht!« Und er sah es diesem jugend lichen grauen Haupte, diesen erlosche nen Augen an, wie schwer sein Sohn selbst alle-«- trug und empfand-; der Leichtsinnige, der Ehrlose läßt sich leine grauen Haare wachsen. Er selbst riet lKonrad als tauni ein Jahr nach dessen Rücliehr Oefterreich das Schwert gegen Napoleon zog« dort hin zu gelten und als Freiwilliaet in die Armee einzutreten. Voll Freude griff Konrad diesen väterlichen Ge oanten auf, ging nach Wien, und es gliictte ihm, feine Aufnahme in das Heer durchzusetzeti· Er läinpste mit bei Ast-ern aber der Schlag von Wa grani schmetterte alle seine eigenen Hoffnungen nieder. Der Friede tani, und sein Glaube, sich den Offiziers-» degen durch Mut und Tapferkeit zu verdienen, sant zusammen. —- Ver-; bitterung und Trostlosigteit traten an» seine Stelle. So iarn er wieder heim, sah den wirtschaftlichen Niedergang des väter lichen Besitztums, eine Folge der auf »dem ganzen Lande tastenden Not und der Entwertung des Gruttdbesitzes, und versuchte, sich mit all seiner ju gendlichen Kraft dem Verderben ent gegenzustemmem Vorn frühen Morgen bis in die Nacht hinein war er tätig; die härtesten Tagelöhnerarbeiten tat er willig, schartverlte sich die Hände blutig —- aber dorwiirtö, oder viel mehr aufwärts wollte ed nicht geben· Das einzige war, den Untergang, der unvermeidlich schien, nach Möglichteit und Kräften aufzuhalten. Und das wenigstens gelang. »Am einmal eine einzige große Freude,« so dachte er oft genas im stillen, »und ich würde doppelte räfs te und doppelten Mut zu doppelter Arbeit haben« Idee die große Freude kam nicht. Auf den Rat seines Vaters ver- « suchte er es im Jahre 1810 mit einer Indiens bei dem König. Sie wurde ihm gewährt. Er reiste nach Berlin und trug dem ihn freundlich anhö renden Fürsten alles vor, was fein Herz bedrückte. Aber ein Ergebnis hatte die Sache nicht. »Kann schon sein,« sagte der Kis nig.—«Machen keinen schlechten Ein druck. Kriegsgerichte nicht immer recht haben. Manchmal über die Schnur ge hauen. Weiß das sehr gut. Waren wilde Zeiten damals —- alleö drun ter und drüber. Kann aber nichts machen gegen Urteil. Tut mir leid, sehr leid. Denn gar tein Zeuge mehr da für Sie! Möglich, daß sich den noch etwas erreichen ließe — mög nch.« So ging Konrad von feinem König Und da fiel ihm Ernst Koster ein. Er reiste nach Vieselbach Aber er traf den Gesuchten nicht. Denn dieser hat te, wie so mancher junge Mann da mals, in Haß und Erbitterung ge gen den fremden Eroberer das Schwert ergriffen, nachdem er von den Franzosen wegen jener Bedro hung zu einer Freiheitsftrafe, die er verbiißt hatte, verurteilt worden war. Er stand in Spanien und Portugal unter John Moore und danach unter Wellington, aber fein Vater nnd feine Brüder konnten nicht genau angeben, wo er war. Briefe fanden nur selten deu Weg in die Heimat, und von al len denen, die man ihm geschickt, war nur ein einziger in feine Hände ge langt, wie er selbst geschrieben hatte· Trotzdem versuchte es Konrad mit einem Briefe. Aber er bat nie einesI Antwort daraus erbauen So ging denn die Zeit in der Hei mat hin, still und eintönig. Es la men die Tage, in denen er an der herrlich aufblühenden Lotte Kompet mann den »Karneraden« und an ihrem Vater den treubesorgten Freund fand. Katnpermann und Lotte waren die ein zigem die er in sein Schicksal, außer feinem Vater, eingeweiht hatte. Nie mand sonst wußte darum. Allen an deren Verkehr hatten die beiden Los saus aufgegeben — und selbst wenn sie welchen gesucht hätten, sie würden ihn kaum gefunden haben. Denn das große Leid der Zeit lag auf allen mit Zentner-schwere nnd ließ keinen, dessen Herz noch warm für Freiheit nnd Vaterland schlug. zu einem be haglichen Genusse des Lebens kom !men. Niemand, der ans der Nachbar schaft sonst etwa in das Haus kam, labnte etwas von jenem lriegsgerichts »lichen Urteil; die Aufmerksamkeit war ldantals zu sehr aus die öffentlichen fVorgänge gerichtet, zu nachhaltig von fihnen in Anspruch genommen, und das Schicksal des einzelnen, mochte es auch noch so hart sein, dagegen doch zzn klein und unbedeutend, als daß man sich viel darum gekümmert oder gar ihni nachgeforscht hätte, wenn es sich nicht gerade um einen Verwand ckn oder lieben Freund handelte. Ver wandte aber hatten die Lossans nicht, nnd Konrad-l liebe Freunde deckte die Erde bei Jena nnd Hassenhausem bei Eylau und Friedland, oder sie waren grollend und berbittert in die Ferne gezogen, verdorben, gestorben. So stand Konrad mit seinen Va ter allein. Und eines Tages legte sich auch der alte Herr, ließ seinen Sohn rufen, fah ihtn in das Auge undz sngkez »Ich gehe jetzt, mein Sohn, und werde nicht wiederkommen So wenig wie die große Zeit von Roßbach und Leutlsem in der ich wurzlr. Gränie dich nicht viel tun mich, mein Junge! Tslltes Eisen muss ioeggetiiunit wer den. Das ist nichts Schliiiiiiie5. Aber du —- du sollst mir wieder sung wer den, hörst du? Jch glaube dir, Dion rad —- du bist nicht dor den Kugeln davongelauseu, das- iveisz ich. Hab' nur gute Hoffnung —- siir jeden bra ven Kerl tonunt mal ein Tag, der alles augldscht, inaö er gelitten hat, wie ein Schwamm die zireideschrifd Ovsse nur! Und halt’ gute Kamerad schast mit den ätcnnperninnng —- die haben das Herz aus dem rechten Fleck, und das Madeh ja, das Mädel, das wäre eine Frau siir dich, Konrad, mein Junge! Vergiß die letzten Worte deines Vaters nicht! Und nun leb' wohl, Konrad -— wenn beim großen Appell der Hohensriedberger geblusen wird, dann sehen ivir uns wieder und melden uns bei unserm König: »Ma jestiit, hier sind tvir! Wenn es sein musi, noch einmal sieben Jahrel« Lebe wohl, Kamerad, und grüsze die andern «- Kampermann — und das Mädel —- deine Frau.« — Dann war der alte Herr ruhig ein geschlafen. Konrad aber hatte lange an dem Sterbebett aus den Knien ge legen und geschluchzt, wie noch nie mals in seinem Leben. Als sie den Toten zu Grabe tru gen, ging er zwischen Kampermann und Lotte. Und als der Geistliche den Segen gesprochen und sie drei Hände voll Erde auf den Sarg hinabgekom sen ltatten, legte Knmpermann seinen Arm um die Schultern des leise be benden Jünglings und sagte: »Wenn ich tann und Sie es mir erlauben, lieber Konrad, dann möchte ich Jhnen wenigstens ein tlein wenig von dem sein, was Jhnen der Tote war. Dars ichs« Mit festem Druck la gen die hände der beiden Männer in einander. . , Und nun blickte Konrad auf seinen «Kameraden«. Der stand still und re zungslos. Erst als auch ihm Loffau die Hand dinsireeite, tam Leben in ihn. Er griff nach der hand undl hielt sie feft. Keins von beiden sprach ein Wort. Aber in den Augen beider war ein fiilles Leiächtem . . ·- . Tief und mächtig was die Wiss lung der Nachrichten, welche aus Nuß land kamen, wie in der ganzen Welt so auch im Schlesierland. Seitdem der Jnhalt des bekannten Bulletind aus Molodecznv bekannt geworden ways ging eine seltsame Bewegung durch die Mengen. Nur leise zuerst, aber sie war doch da und harrte des Ansto ßes, der sie ins Unendliche vorwärts-I treiben sollte. Von nichts anderem mehr war die Rede, wenn man sich traf, als von dem, was da in Nuß land geschehen fein mochte. Noch wars ja bei weitem die ganze schauerliche Wahrheit nicht enthüllt over mit je-! dem Tage siclerte mehr davon durch,1 und jede neue Nachricht flog mit einer· für die damaligen Verkehrsverhiilt-l« nisse etftaunlichen Eile durch die Lan de. Jeder, der nicht ganz stumpf war» fühlte und ahnte, daß etwas Kruge-s heute-H im Wert und Werden fei und daß noch Größeres, Erieliütteritderes’ folgen werde. Eine ftarte religiöse Er wectung wurde sichtbar; Gottes Hand zeigte sich in der rusfifchen Etat-a-i ftrophe, die über den Gemaltigften derI Zeit hereinbrach, zu deutlich, als daßs fie sich hätte iivetfehen lassen tötitie1i,l und felbft die entfchiedenfien Anhän ger der negativen Philosophie dek- ver gangenen Jahrhunderts fplirten einl Wehen, das nicht von dieser Erde war, das nicht aus dem Materialie mug geboren sein konnte, den sie lehr ten und predigten. Die Kirchen im Lande waren uoervou, und ote wem lichen sprachen besonders gern über alttestamentische Texte, die im Sinne des berühmten Makkabäerwortes ge prägt waren: »Lasset eure Herzen zu Gott schlagen und eure Fauste aus den Feindi« Und atemlos lauschte die Menge mit stammenden Augen und tlopsenden Herzen. Nur die Weih nachgtage hatten etwas Einhalt geho ten. Zwar die hohe Botschaft »Ftiede aus Erden« wollte nicht in die Her zen hinein, aber es war doch stiller als sonst, und die tiefe, sriedvolle Weihe des Festes hatte doch fiir we nige Tage die Oberhand gewonnen. Nun war Weihnachten vorüber-, und in das neue Jahr 1813 hinein schallte der Rus: «Wachet aus vom Sti·lafe!" Gespannt dlictten alle Au gen nach Osten, von wo die Morgen rote ausleuchtetr. Mit klingendem Frost, wie er seit» langen Jahren nicht erhört war, zog’ der Januar einher. Tieser Schnee’ lag uderall aus den Bergen, wie in den Tälern, und in den Wäldern trachte e-: ost, wenn die Bauniftiimme unter dec Wirkung der Kälte spran gen uno Risse bekamen. Alle Arbeitenl im Freien waren unmöglich; derl Landmann hatte genügend Zett, amj Osen zu sitzen, schlesnches Himmel reich zu verzehren und über die Welt lage im allgemeinen und seine eigene im besonderen Betrachtungen anzu stellen. Jn der Regel endeten solche; Betrachtungen mit einem kräftigenl Fluch: s »Vo! der Teufel aue zrnnzosems daß das Land frei ioerde und es unsi besser geht!« —- j Konrad hatte niit Fininpermaiin ins dessen Wohnung eine Partie Schach gefuielt Lotte ioir nicht daheim, siej jagte auf Konrad-J Pferd draußen im Freien herum. zionrnd legte eden’ seinen König uni, »zum Zeichen, dnß’ er die Purtie nufgebc und sich fLr be siegt ertiiire. f «Mectioiirdig,« sagte er langsainJ »daß einer immer der Besiegte seini niuß —- iin spiel, cvie im Leben!« Ein feines Lächeln flog uni Kam-i perniannö nusdruelzoolle Züge. l »War-· das nicht, lieber Konnt-» darin wäre dein Spiele wie dein Less ben seine beste Wiirze genommen. Nur . die Aussicht nuf dcn Sieg lnnn uns1 locken Oder halt en Zie ein ,,ttienii5«, die unentschiedene Partie, siir etwas Schöne22« « «Wi1hrhaft: g nicht. Aber bitter ist es deswegen doch die Partie verlieren zu tniissen.« »Wohi richtig! LIlter die Oofsnungi eine neue gewinnen in können, beglei tet uns roch.« »Ja, iiber ioie oft wird dieser Hoffnung teine Erfiillungi Wie man cher fährt in die Grube, ohne eine einzige Fruchi in seinem Leben reifen sehen zu haben. Ach, ivarum werden wir geboren?« »Die uriilte Frage ein das Schick sal, lieber Konrndi Und noch niemand, hat sie beantwortet. Diese ganze schwere Kunst, glücklich und zufrieden zu leben, liegt in zioei Punkten ent halten: nicht fragen und sich beschei den. Das Gegenteil kann fiir uns zum Alp werden, der uns zu Tode drückt und ängstigt!« Lossau seufzte schwer «Ach ja, ich weiß es! Aber die ses fortdauernde Ringen mit leib licher und seelischer Not, wie es" Tausende und aber Tausende durch« ihr ganzes Leben begleitet, zwingt« uns zum Fragen, zum Unzufrieden-l werden« »Mir den Kleinntiitigen, lieber Konradl Der Starke ringt schweigend weiters« — .- — »Und wenn er doch unterliegtW «So unterliegt er rntt Ehren - ein Kind der Not, das zum Unterliei gen geboren ist!" »Eure verzweifelte Bestimmung!« »Und doch nicht so derzweiseltl Denn die Kinder der Not, die in ihrem ganzen Leben nur Mühen, Ent iiinsehungen, zu Grabe getragene hoffnungen erfahren — ein Großes haben sie vor allen Kindern des Eliicls voraus, l nn sie ausharren bis an das Ende: das stolze Bewußt sein, selbst vor einem über-mächtigen Schicksal die Waisen nicht«gestreclt zu haben! itnd mit diesem Bewußtsein läßt sich-selig sterben, lieber Kon radi« Der junge Mann stützte schwer den Kopf in die arbeitharte Hand. »Sie sind ein glücklicher Optimist, lieber Freundi« »Ja, Gott sei Daan Jch hin es, nach-dem ich jahrelang bis an den Hals in den tiefsten Wassern des Pessimismus gestanden habe. Glau ben Sie mir, Konrad, es ist nichts mit dem letzteren —- er eutnerot, und wer zu ihm schwört, ist meistens ein körperlich und seelisch kranker Mensch. Ein wahrhaft Gesunder bleibt Opti miit, und wenn er sich, sei es als Sieger oder Besiegten zum letzten Schlaf legt — seine frohe Zuversicht nimmt er mit hinüber in das andere Land, und er weiß, daß sie ihn nicht irreführ!.« »Er weiß, daß sie ihn nicht irre führt!« wiederholte Konrad leise. Da wurde stürmisch die Tür ausge rissen, und Lotte eilte herein. Sie sah prachtvoll aus. Das Gesicht glühte von der titsche-i Lust, die Augen blitz tec vor Erregung und Lebensluft, und von der reichen Fülle blonder Locken stahl sich eine Anzahl unter dem kleinen Hütchen hervor und um saßte die feinen Züge wie mit einem goldschimmernden Rahmen. Die hohe, schlante, biegsame Gestalt hielt in« der Hand eine Reitgette, mit der sie ei nen pfeisenden Schlag durch die Luft Innere-. »Vater! Kamerad! Es gibt wagt« tief sie «Was denn?'« tam es einstimmig über die Lippen der Männer-. »Neuigteiten! Christ bringt sie! Da tommt et schon selbf !« »Mit schweren Schritten ftapfte Christ durch die Tüt. »Guten Tag die Herren!« »Guten Tag, Christ!" »Ich onng wis Neues!« »Hekaus damit, Christ!« tief Los fau ungeduldig »Nicht so stütmifch, Junghett nicht I·o fiiirmiicht Alte Leute brau chen Zeit. Also: es geht ihm an den Kiagen —- an den Kragen, fag' » »Dein Lamperör natürlich!« ,,Wieso denn?« rief Konrad. ,,Ct)tift, Ihr seid unnusstehlich —- je des Wort muß man Euch abstum gen mit Hebeln und mit Schrau venl Erzählt doch, was Jhr erfahren hat-ti« »Komm alles, Junghetk, kommt alles! Gut Ding will Weile haben, und gute Nachuchten find wie frisch gebactene Brezelm wenn man nicht vorsichtig ist, kommen Iie oft zerbro chen an den Mann! Also: an den Kragen gehts dem Lamperör!« »Das wissen wir schon Christi« satte Kampermann lächelnd. »Nun! möchten wir auch gern das erIahten, was wie noch nicht wiIIen.« I »Ja, ja, Herr KampetmannL Das lommt jetzt! Les preußische General Schorsch"' — — »Er meint Yorct!« lachte Lotte. »Na ja, Fisjuleinchen — Yorck oder Io —- «.o ein ganz derzwickter Name ist dis —- gar tein ordent lichek Ehriiteunune wie FinniIt oder Neifträger ode hohes Jtad oder Io Wils -· ———« »Um Gottes willen, Oyrcst, tragen Zi- uns nicht erst die Namen unserer Berge vorl« sagte ltonrad »Die kennen idir ia —- aber wag mit dein ilaeneral Yoril ist, das leimen wir noch nichts« »Ach so, ja! Der ist über-getre ten.« —- — ,,Uebergetreten? Wohin denn?« »Na. zu den Kosalent Und die Rosaten nnd die Preußen haben zu samtnen einen fürchterlichen Schwur geleistet, dasz sie nicht eher ein andere-: Heind anziehen wollten, bir- dasz sie ihre Pferde im Botier dei Paris trän ten tönnten.« —- — Alle lachten laut auf »Bei Paris hat der Bober einen andern Namen, lieber Christ; da heißt er Seine« —- — »Na ja — kann ja sein! Die Fran zosen has-en ja siir alles andere Nai men, aber unsere schlesischen sind doch bessert Also, in dein Boder bei Pa ris sollen die Kosatenpserde getränkt iverden!« »Und General Yorct«, fraate Konsi rad hastig, »ist aus die russische Seite’ übergetreten?« »Ganz und gar, Jungherrl Und alles hat er mitgenommen: seinens Feldherrnstab und seinen Degen und seine zwanzigtausend Mann! Und jetzt haben sie Brüderschast mit den Rassen gemacht, und brüderllch teilen Kosaten mit Preußen Talglichte und Brot. So lauten die neuesten Nach richtenl« »Und was sagt der König dazu, Christi« s »Unser Königs Ja, Jungherr, ich habe ihn nicht sprechen können, ers war nicht in der Stadt —- nsee ich glaubc damit muß er zufrieden seinl Wenn der General Schorsch, oder wie er sonst heißt, die Franzosen, seine Bundesgenossen, iin Stich gelassen hat. so muß ihn der König entweder löpfen lassen oder er muß auch die Franzosen verlassen. So meint der alle Christ, der zwar nur ein alter Schaftopf ist, aber der auch mal Sol dat war und die Kriegsartitel rennen gelernt hat. Und jetzt muß ich weiter und den andern die neuen Nachrichten bringen!« Mit surzem Gruße stopfte er schwer und ivuchtig wieder zur Tür bin inte. Tie drei Zurückgebliebenen blieben einen Augenblick stumm; sie verarbei teten offenbin erst die Nachricht in iljrern Innern. »Wenn das way-« ist« — sagte endlich tiainpermnnn langsam nnd schwer. »Wenn das- wahr ist« —- wieder holte Konrad, und es blitzte in seinen Angeln . »Wenn das wahr ist, ziehen wir nach Paii5!« rief jubelnd Lotte, und ein scharfer Hieb mit der Reitpeitfche pfiff durch die·Lufl. Da löste sich der Bann über den beiden Männern. »Du hast das rechte Wort gespro cleu, ziainerad«« sagte Einmal-. »Wenn das wayi ist« so geht es nach q-iiri5!« Und Kampeinianii setzte hinzu: »Ja --s flach Pilkss!« »meine Arme- liegt in Ausland begrabeuj« fabelte Lotte. »Wir hauen glatten Weg bis in seineHaupis studt!«« ieampeimann schüttelte ernst den Kopf spsåo schnell wird das wohl nicht geben, niein Kindt Denn noch ist er, der Kaiser selber, da, und die fer Riesengeist yat ungeheure Hilfs mittel. « —- — »Aber der Kern liegt m let-ißt and oerJchlIrk1!" fiel Konrad ein. »Wenn auch! Jhm Iind noch nn met gute Truppen genug geblieben, die den Stamm abgeben tonnen Int die neuen Ba iaillone, die er ditden iditdl Alt-et i«:unethcn, wenn iich die Nachrichten des Alten detach-hellem wenn in der Tat Yorcl auI eigene Faun ««:it den iliuIIen paimkt hat —- dann lann es nur noch eineg ge den: Pieußen empor gegen Frank reichl« »und der Königs« fragte Konrad bedenkliix. Kantpermann überlegte inen Au genom Abec stürmifcy fiel seine Tochter ein: »Da gibt es keine Ueberlegungi Er wird miiIseni Kein Zaudern ineh1!« namperniann zog sie liebevoll an sich ,,JJiein tleiner Wildlingi Ja, wenn du König waiesil Aber in der Lag ich glai.be, du hast recht: er wird miiIIenl DieIe Jiachrichl muß succh Preußen blitzen wie ein Blitz vom Degen des erßen Friedrich, nnd inan hat noch nicht vergessen, was die Ie Blitzen zu bedeuten yatte." lionrad niclte zuIiinunend. »Jeder weiIz e5!« Iagte er. »Und wenn wir nich: cnit dein König gehen, dann ohne ihn, nnd wenn es Iem muß — gegen ihni« Ieanipernmnn stimmte zu. »Wenn es Iein muß —- gegen ihn! Es bleibt nide ander-«- iibtch Dann nan nun ihm gegen seinen Willen fetnes Landes Freiheit nnd feiner mone Glanz zuujsterobenL BomIt aber nbzuaitent Und bis dahin du«-« Eltnloek teocten halten und die Schwei tec scharf!« - « se X Die Nachrichten oon Bedeutung und Inhalt folgten sieh nun täglich, nbersiurzren sich fast. Yorclg Seiiois Nation wurde in ihren Urnzellfeinn betminl, an griiusige Elend der fran zösischen Jllrciiee in seineni ganzin xnrchtvinen Llnifniig iourde iiniiier r. ehr ijeiidiie, die Mitteilungen noek den Zusaniinentrilt des- oslpreufzisasen Landtags schlugen wie ein Blitz iils ein Beweis dasur ein, dan das Volk ai.ch ohne 1;n oeönig die große Sache der Befreiung selbst in die Hand zu nehmen entschlossen sei, und endlich löste die Uebersiedelnng des Honigs doii Berlin nach Breesliiii die lenken bringen Zweifel· Jeder fühlte es, wenn es auch in leiner amtlichen Nach richt aiizgefprochen war: der König wollte fiei sein in seinen Eiitfchliis sen, los von f:arizös"ifcher Bevormun dung und lKontrolle, ivie er sie in Berlin sirlk gefallen lassen mußte, los auch von der beständig iin geheimen lauernden Gefahr-, das Opfer eines französischen Handslreichg zu ioerden. Noch klarer aber als alles dies sprach für die Absichten der-. König-·- die Tol sache, daß er all- die wieder in seine Nähe zurückberief« die im Frühjahr 1811 ini bittern Groll über den fran zösischen Unleriocrsuriggoerlrag von ihm geschieden waren oder sich zurück gehalten halten: Scharnhorst, Gan fenau, Knesebecl und andere rinnen nach Breslau und wurden von der Bevölkerung —- nnd nicht nur von der stiidrischeii, denn aus dein gan zen Lande war alles, was Zeit er übrigeri konnte, nach Brei-lau gefah ren —- mit anel und Begeiflerung aufgenommen. Gorlseßung folgt).