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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (July 26, 1917)
« Sonntmth des sz Staats TAnzeiger und Ich-old wpwwwuwwviu2 6.Jut ith7 szb »Dir zweite cinw. Stige von Nu Goebeler. «Der Vater tonnnti Der Vater iommti« Die Kinder jubelten durch haus und Garten. Der Köchin rie fen sie es in die Küche hinein, dem alten Kutscher in den Stall. Und sie kamen dann wieder zurück in das Wohnzimmer, wo Gestne am Fenster saß und mit großen, leeren Augeni iiber die Handarbeit fort fah, die still in ihrem Schoße lag. «Mutter, wann kommt Vater-i Wirilich morgen schont« »Ja. morgen schont« »Mutter, und nun bleibt er lange hier, jai« Die kleine Trade drängte sich dicht an ihre Knie. »Ja, lange.« »Vieie Wocheni Mutter, jai«l fragte bilde, die ältere von beiden. «Mutter, dann gehen wir wieder niit ihm spazieren, nicht wahrt Mutter, und er muß uns vorn Krieg erzählen —- daz wird fein! Jch freue rnich un bändig darauf. Freuft du dich auch, Mutter, jak »Ja, ja —- ich — ich freue michi« Jn ihres Mannes Arbeitsgimmer stand Gesine am Schreibtisch und hielt ein Bild in der and, das Bild von ihres Mannes er er Frau. Mit starren Blicken sah sie in das junge lachende Gesicht. Braune Ningelloeten iiber einer Kinderstirn —- große dunlle Augen —- hilde hatte diese Augen geerbt —«- des Vaters Liebling tout auch bilde. Um den Mund der Frau ging ein gucken. Langsam ließ sie sich in den "essei gleiten. Ganz in sich zufam mengesunlen saß sie da und hielt die gände zwischen den Knien. Getds essel war es, hier hatte er gesessen, damals, an jenem Tage, da die Ein berusung gekommen. da er sie gehe ten, sein Weib su werden. Warum hatte er es getani — «Als ob ich es nicht wäßtrt« —- Sie lachte hart aus« — »Als ob er’s nicht gesagt mit lia-( ren, dürren Worten — der Kinders wegen —- und nur der Kinder wegen. Was hab' ich eingewilligt, wenn — ich —- wenn« — Sie sprach's nicht sus .Und nun kommst du wieder — Iommst.heim zu Weib und Kindern!« In ihren Augen leuchtete ein Glanz auf, aber er erlosch, so schnell, wie er gekommen: heim zu Weib und Kindern —- gu den Kindern ja — zu der Frau —- achi »Li t deine Frau nicht auf dem Kirchhof craußen - - die Frau, der fiir immer dein Vers gehörti Ich. was bin ichs« — Und wieder lam ihr das harte Lachen ,Wirtfchafterin und Erzieherin — die man sich sicherte auf Lebenszeit, die man durch heirat an das haus band. damit sie nicht eines Tages fortgehen konnte. Sie stöhnte tief auf. Und un willkürlich rif sie von neuem nach dem Bilde er ersten Frau, fast wie Zaß flammte es plötzlich auf in ihrem eficht: »Du, ach du —- war es nicht genug, daß du ihn gehabt hast acht lange Jahres Mußt du ihn auch noch halten über das Grab hinauss« - - o Durch Deutschlands Fluren rollte der Urlauberzug Unter Sang und Lachen fuhr er hin. Frohe Gesichter an allen Fenstern, helle Stimmeni grüßten die heimatslurem den Dei-i mai-paid Gerd Anders stimmte nichtl mit ein. hauptmann Gerd Anderss hatte den Kon tief in die weichen Polster gedrückt und die Augen ge fchlossen. » Ein still behagliches Träumen ward es. Er iam aus den Wettern der» Sommeschlachi. und er dachte: »Nim wirts geht es —- heinii Daß ich mich freuen tann auf —- mein heim! Und bin doch fortgegangen vor Jahr und Tag in der hoffnung auf Nimmeri wiederkehr und hab' die Kugel segnen wollen, die allem Gram ein Ende machte — dem Gram, unt das, was einstmals war.« Und nun. Er sah das han« vor sich mit den hohen. sonnenhellen Zim mern —- die Kinder lachten und liärmten, groß mochten sie geworden s n« s «’· Und die Aeltesie schrieb: «Wirs würden uns freuen, wenn du heim-s kommst. Mutter auch.« ; Mutter? — Ach, das war Gesine — sie hatten sich gut an sie gewöhnt, vie Kinder —- usd daran, daß sie nun ihre Mutter war. Nun. es war am Ende kein Wunder —- sie hatten sie geliebt von dem Tage an, da sie n das verwaisie hau- gekomknen, die Flügel darin zu ergreifen. Ei ging ein ubet aus von diesem großen, siili n Mädchen mit den klaren Augen. Ruhe und Frieden lag tun sie det. hatte doch nicht einmal er felber sich· diefem Zauber entziehen können, nein, nicht einmal er — »Gesine« — er murmelte ihren Namen — »Gesine, daß du zu uns tamft, daß wir dich haben —- und nun fiir immerl« — Er fühlte nach der Brusitafche, wo ihre Briefe steckten. Er hatte sie oft geleer —- turz waren sie nur, viel leicht etwas steif sogar —- Gott, ei war zu begreifen. Eigentlieh doch ein eigentümliches Verhältnis, in dem fie zueinander standen. Kri strauung im lehten Moment. Ein ra cher Ent schluß, um ver Kinder willen, und nun auf einmal Mann und Frau — wat konnte man sich schreiben? Sonderbar genug überhaupt, daß sie eingewilligt damals —- fp rafch und kurz entschlossen. Warum hatte sie es getan? Merkwürdig, bis heut war ihm die Frage noch nie gekom men! Jeht fann er ihr nach. Mitleid mit den Kinderni Sie hing an ihnen —- aber blon darum? Oder die Aus sicht auf eine sichere Berforgungi Sie war am Ende nicht zu verachten, die Stellung, die er ihr, der armen Er-’ zieherin, geboten. — Was gab ihm diese Vorstellung trohdem einen Stich? Und wenn es auch nur das; gewesen, konnte er ziirnen darumij Aber es war nicht das —- nein —i und unwiaküktich fühlte ek wiedekj nach ihren Briefen. Es war so viel’ Freude und Friede mit ihnen zu ihmj gekommen in das Fer hinaus. Jn alle Kriegswirren hinein ein Bauch der Heimat, ein heimliches Rufen: »Du daefsi nicht fortbleiben.« Die Kinder hatten ihn durch dies Zimmer gezogen und in den Garten( hinaus, damit er sehe, daß noch alless am alten Fleck stände —- dann hatten sie alle zusammen am Teetisch geses-» sen, Gesine hatte ihm eingeschenlt nnds ihm den Kuchen oorgeschnitten. Er hatte seinen sehnigen Körper gereckt und gedehnt im Gesiihl eines unend lichen Wohlbehageni. Ran waren die Kinder zu Bett geschickt. Mann und Frau standen sich allein gegenüber. Es war ein Schwei gen zwischen ihnen. Sie weihte- nicht recht. was einander sagen, die zwei, die so lange als Oerr und Angestellte nebeneinander hingelebt und ausge tommen waren, und die nun Mann und Weib waren, weil ein Tag wir rer Sorge sie dazu gemacht — um der Kinder willen. —- Die Frau dachte: »Ich dnuß wohl gehen, er wird allein bleiben wollen.'« —- Er blieb ja abends stets allein mit sich —- und seinen Erinnerungem Sie blieb tros dem da und machte sich am Biifett zu schritten Und der Mann sah zu ihr hinüber, und, war es, weil er Frauenanmut solange hatte entbehren müsset-, oder weil der Schein der rotverhangrnen Lampe so weich heruntersloß an ihrer hohen Gestalt, er dachte: »Wie sie rei zend ist —- und wie voll stiller har monie!« Unter einer jähen Eingebung griff er nach ihrer hand und preßte sie: »Gesine — ich muß dir danken!« Jn die Wangen der Frau stieg ein jähes Rot. Sie ließ ihm die hand. aber sie sah an ihm vorbei: »Nicht doch Gerdi Danteni WositrW Er zog sie näher zu sich heran: »Wosiiri Wofüri Fiir alled, was du hier ge tan. Daß meinen Kindern das Zu hause blieb. Daß sie die Mutter nicht entbehren mußten.« »Aber bitte —- dazu bin ich ja da, ich habe nur meine Pslicht getan-« Kühl und herb tlang die Stimme der Frau. Da ließ er ihre Band wieder sahren. — Jn diesem Zimmer saß er allein lange noch. «Rur ihre Pflicht« —- Er sprach es vor sich hin und lachte rauh aus: »Ja, und was weiteri hab· ich mehr er wartet2« Sie lebten nebeneinander hin, ganz so wie damals, als Frau Gesine noch Fräulein Gesine gewesen war, Reprä sentantin und Erzieherin im hause des verwitweten Prosessorö Anders. Er konnte sich nicht beklagen —- sie hatte sich seine Liebhabereien und Gewohn heiten gut gemerkt — und nahm Rücksicht darauf, und als der ersie Sonntag kam, den er in seinem lheim verbrachte, erschien sie, so wie einst, zum Ausgehen fertig mit den Kindern in seinem Zimmer: »Wir wollen doch wohl wieder nach dem Kirchhof ge den-« · Ei fiel ihm ein — sowohl —- das war ia einmal sein ständiger Sonn tagsgang gewesen. Er hatte es ganz vergessen. — Ader er ging mit —- und legte sei nen Kranz aus das Grab der toten Frau-und hörte wie die Kinder von —- Mama erzählten — und daß »die Mutter« ihnen gesagt — sie sei so schön und gut gewesen« und dabei ingen seine Un en lider das Grab fort su der , ritter« hin. Miseits Ost stand sie, wie eine, die nicht mit dazu gehört — und sah den Weg hinab nach einer anderen Richtung. Da blickte sich Gerd Anders und zupste an dem Eseu und seufzte tief und schwer. Die Frau aber, die es hörte, dach te: »Wie sehr er sie noch immer liebt wie wenig er sie doch vergessen kanni« Und es geschah im Laufe dieses Tages, daß ilde zu Gesine lam, mit irgend einer itte, wie sie Kinder est haben, und dabei zu ihr aussah — mit ihrer —- toten Mutter Augen — und dasz Gesine sie von sich stieß und schalt und nach ihr schlug, als sie nicht Ruhe gab. — Ein leichter Schlag nur war es gewesen, aber das Kind schrie aus und liex zitternd da von. —- Wie betäubt aß die Frau und sah ihm nach —- und schlug dann die hände vors Gesicht in wortlosem Schluchzen. Böse Stiefmutter — war es nun so weit? Böse Stiefmutter — die schilt und schlägt, und warum s ach, warumi Weil jede Frau die Kinder hassen lernt, um deren toten Mutter wil len der Vater ihr sein herz entsteht. Und es geschah zum andern Mal an diesem Tage, daß Gesine zu dem Manne trat und ihm mit kurzen, tiihlen Worten sagte, sie wolle sort. verreisen siir die Zeit, die er noch hier sei, es sei da eine alte Freundin die habe sie schon lii st um den Be such gebeten. —- Sie prach sehr turz und sachlich, wie eine Angestellte, die um Urlaub bittet. Er aber Laute sie, an und stammelte: »Fortge n willst. du, Gesinei Forti« »Es paßt jeßt so gut,« sagte dies Frau, »gerade jetzt, wo du hier bisi,; ich bin entbehrlich.« ; »Meinst du, daß du es bist. Gei1 sine?« ; »Augusie besorgt mit Berta die» Wirtschaft, i kann mich durchauii aus sie verla en —- und die Kinder haben-dich.« I .uap ichr Wen hab- ichr« Wie eint Aufschrei, ungewollt fast, tam es überl seine Lippen. .,Gerdi« Und aus einmal wurden die Augen der Frau groß, ais sähen sie etwas ganz neues. Ein heimlicheö. sernes Leuchten flammte darin aus. »Gew? Gerd?« Und der Mann sah das Leuchten, und wie unter einem Fanberschlag zerriß ein Schleier vor einer Seele. ,Warum willst du ge hen, Gesinei« Er trat aus sie zu — und sein Arm lag um ihre Schultern und seine Stimme war an ihrem Ohr: «Gesine, warum willst du ge hen? Jst es nur, weil ich dir einmal gesagt habe —- weil du glaubst, daß ich noch immer nicht —- Gesine, und wenn ich dich nicht gehen lasse — und wenn ich dir heute sagen muß — daß auch ich dich nicht entbehren kann?« Und dann lag ihr Kopf an seiner Brust, und seine Lippen suchten die ihren: »Willst du satt, Gesine — willst du noch immer sart?« — Ader zu ihm heraus tlangen nichts als zwei Worte —- zwischen Lachen und Weinen tlangen sie: «Nie mehr —- Gerd —- nie mehr.« — zllrr Yiumeumitder Von Raaul Unernhcimcr. Der alte herr, der bei der Sta tion »Waldmiil)le« in die kleine Zweigbnhn eingestiegen war, tnm mie gleich irgendwie bekannt vor. Er hätte sich aber meine Aufmerksam teit auch erzwungen, wenn er mit stemd gewesen wäre. Man denke sich einen stattlichen Greis von ochtnndsechzig bis siebzig Jahren —- siir so alt hielt ich ihn — tnit einem Eisznpsenbart und schnee weißen Schläsen, der eine schmucke Oberleutnontsunisorm irägi, einen pelzverbrämten Wassenrock, Ledergas mnschen und Sporen. Großpapa als Oberleutnant, der Anblick wirkte et-" was überraschend, sogar damals noch, im zweiten Kriegsjahr. s Der schneidige alte Herr benahm sich zudem ziemlich aussallend· Erl schien ein untuhiger Geist zu sein: oder aus irgend einem Grunde sehr ,ereegt. Denn er sprang aus« kaum daß er Ploh genommen hatte, setzte sich wieder, schloß die Augen, össnete sie wieder, zog einen Bries aus der rechten Blusentasche und schob ihn ungelesen in die linke. Plösslich sagte ek, an seinen Manschetten reißend, mit großer Entschiedenheit zu sich elf-st: ,Jatpolsl!« und blickte irnrunselnd in die Wageneckr. Wir waren allein in dem winzigen YAbteih sagen einander gegenüber. Plöälich sagte er: s « ie erkennen mich nicht in mei lner Verkleidung?« - »Verlleidung«i« erwiderte ich et schrecken. « Er lächelte trübselig: »Verzeihen Sie den unmilitöri-s schen Ausdruck, den ich als ehemali-! ger Berussofsizier am wenigsten ver-I iantworten ann. Aber ich komm’. Imir nun einmal wie verlkeidet vor, seit zwei Stunden Wenn manl »c«reiszig Jahre lang Zivil getragen! bat und vierundsechzig ist Jch .seh’ wohl auch aus wie ein Grund-I Jvächten wie?« » »Nicht im geringsten! Jm Gegen »ieil!« versicherte ich mit ehrlichstem sNespekL i »Na Jedenfalls werd' ich mir iden Bart und die haar« scheren las isen, bevor ich mich zu Seiner Exzeb Ilenz begebe. » « Jch bin nur in der sAusregung noch nicht dazu gekom men.« All das klang recht vertraulich, »aber ich wußte noch immer nicht, wo Iund wann ich mir den Anspruch aus ldiese Vertraulichteit erworben hatte. Der alte Herr bemerkte meine Ver legenheit und kam meinem Gedächtnis zu ilfe. » chramrni« sagt er, indem er sich1 im Sitzen vordeugte und dazu leicht Hnit den Sporen tlirrte. f ; »Oh! Herr von Schramm!« Hund wir schüttelten einander die Minde. ! Es war allerdings schon einige Zeit, vier, fiinf Jahre her, seit ich damals, in Gesellschaft eines guten Freunde-, das in dieser Gegend ge legene lleine, sonnenblumengelbe Schloß des herrn v. Schramm und seine Gartenanlagen besichtigt hatte. Einige Tage später gab er, höflich-» teitshalber, seine Karte in meinerE Stadtwohnung ab, und es lam mir! nun nachträglich wieder in den Sinn, daß ich mich schon damals über denl .Oberleutnant a. D.« unter seinem» Namen gewundert hatte. Der hin-i weis auf eine so weit zurückliegende militiirische Vergangenheit, die in der zehnten Rangtlas e ihren Abschluß. gesunden hatte, s ien mir bei einem Manne von der gesellschaftlichen Stellung des Herrn v. Schramm ei gentlich überflüssig und um so we-’ niger begreiflich, als er, wie mir mein Freund mitgeteilt hatte, Pazii sist von Ueberzeugung war. Wie er sich augenblicklich zum Pa zifismus stelle, das den silberhaari gen Oberleutnnnt zu fragen, unter-. ließ ich weislich, versuchte vielmehr, unsere Betanntschaft aus dem mutm len Gebiete der Erinnerung an fei Fen reizenden Besitz wieder anzutniipi en. «Wohnen Sie noch immer in Jhs rern Maria Theresien-Schlössel«t« fragte ich. « Anstatt zu antworten, griff er in die Tasche, dieselbe, in der er den Brief gesteckt hatte, zog einen Schlüs sel hervor, zeigte ihn mir und sagte zdiifter-lalonifch: «Abgesperrt — heut’ früh.'« Ohi« Jch wollte nicht fragen, fragte aber doch, dem Ton nach, denn nach einer Weile setzte er ertlärend hinzu: »Mein Gärtner ift mir gestorben!« »Ach ja, richtig. . . Sie sind ja ein so großer Blumenfreund. . .« . »Sagen Sie, ein Blumennarr!« »Warum wollen Sie eine so schöne Liebhaberei Narrheit nennen?« »Weil’z eine ist. . . Aber mein Gärtner war jedenfalls der größere Narr von uns beiden. Denken Sie sich einen Menschen, der fiir nichts anderes lebt, der nichts anderes kennt als Blumen. . . Er war unverheira tet nnd hat auch nie eine Liebschaft gehabt, obwohl er, wie er zu mir gekommen ist« noch ein ganz junger Mensch war. . . Zie erinnern sich vielleicht noch an ihn, er hat Ihnen f? damals die Chrysanthemenzncht er ärt.« »Ich erinnere mich dunkel. Ein kleiner Mann mit großen Augen. . . Er fah aus wie ein Dichter.« »Richtig! Das war er auch — ein Dichter, ein Künstler-. O wir haben uns ausgezeichnet verstanden, der Anton und ich! Mein Freund, der Feldzeugmeister, hat ganz recht gehabt, wenn er zu sagen pflegte «Der paßt zu dir!« Er sagte das freilich immer mit einer Art Spott. Wir sind vor sechsundvierzig Jahren zusammen aus der Kadettenfchuk ausgemuftert worden, müssen Sie wissen, und der Umstand, daß er’s bis zum Feldmarfchalleutnant ge bracht hat, während ich als Ober leutnant qutttiert hab'. gibt ihm in feinen Augen das Recht, mich freund schaftlich zu frozzeln, besonders we gen meiner paztfifchen und Blumen netgungen, die er in einen gewissen humoristischen Zusammenhang Init einander zu bringen s acht. . . Uebri gens hat das seine Frau, die gute Helen’, nie gehindert, wenn sie eine Gesellschaft gegeben hat, den Blu menschmuet für die Tafel und den Salon aus meinen Treihhäufern zu beziehem Der Anton hat sich dann immer das höchste Lob Jhrer Exzeli lenz verdient. Sie hat sich auch sehr gütig seiner angenommen, wie er in Wien abgerichtet worden ist. . .'« »Oh! Er ift eingeriicki!« »Ja natiirlich, im vorigen herbst, nach der zweiten Musterung. . . Von haus aus war er nämlich untaugs lich wegen eines Defetts am Augen lid, der feine Sehkraft beeinträchtigte und auch der Grund gewesen sein mag, daß er ein gewohnlicher Gärtner wurde. Denn er war eigentlich gebil deter, als seinesgleichen zu sein pfle gen, hatte sogar ein paar Klassen Gynrnasium. Auch die Briefe, die er mir aus dem Felde geschrieben hat, beweisen vag. Der arme Kerl ift drei Monat« lang am Doberdo gestanden zur Zeit der ärgsten Kämp e. . .« »Da ist er wohl einer Verwun dung. . .?« »Berwundung? Ja und nein. . . Aeußerlich war er jedenfalls unver wundet, wie er mir gestern früh im Garten entgegengetreten ist, so über raschend, als wär' er aus der Erd’ gewachsen. . . Er hätt’ ein paar Tag’ Urlaub bekommen, sagt er mir, weicht aber allen Fragen aus und fängt, während ich mich nach seinen From »eindriicken erlundige, gleich non den Steellingen und den Rosen zu reden an, als wär’ iiber das Doberdo nichts weiter zu sagen. Auch macht er sich sofort an die Arbeit, und wie ich mittagg von meinem Spaziergang zurücktomm', seh’ ich ihn in seiner blauen Arbeitsschiirze gebückt im Ra sen knien und Blumen aussetzen-« Der alte Oberleutnant zündete eine Zigarette an, ich sah, daß seine Fin ger zitterten. Er fuhr fort: »Das war gestern mittag. Nach mittags war ich in der Stadt bei »seiner Schachpattie und kam erst nach dem Nachtmahl wieder hinaus. Es war ziemlich spät, trotzdem sah ich im Glashaus noch Licht brennen. Offenbar war der Anton noch wach und mit irgendeiner Arbeit be Mississ heute morgens begegnete ich bereits allenthalben den Spuren seines Flei ßes. Jm Arbeitszimmer empfing mich ein frischer Azaleenstock, auf dem Frühstückötisch ein Gebinde von Tut pen und Anemonen, und in allen Vasen prangten Blumen, als ob mei ne Selige noch gelebt und Besuch er wartet hätte. . . Jch war davon um so angenehmer überrascht, als mich der Ausbilfsgärtnen den ich in seiner Abwesenheit beschäftigte, nicht eben verwöhnt und ich den Anblick meiner lieben Blumen lang hatte entbehren müssen. Es drängte mich, dem An ton fiir seine Aufmerksamkeit zu danken, und ich ging in den Garten, um ihm die Hand zu drücken Aber trotz des herrlichen Morgens und obwohl er ein Frühaufsteher war wie jeder gute Gärtner, fand ich ihn nicht im Freien. Und auch in seiner Wohnung war er nicht. Jch suchte ihn in den Treib häusern, im Kalthauö zunächst, dann auch im eigentlichen Glaöhaus. Aber auch hier tonnte ich ihn, als ich gon außen hineinschaute, nicht erspä en. Hingegen fiel mir auf, das-z die Blumen und Palmen alle auf einen Platz zusammengetragen waren und dort ein Art Wall bildeten. Das kam mir gleich nicht ganz geheuer vor, ichtrat ein und durchquerte in der überheizten Luft das eigen tümliche Dschungel, wobei ich »Anton! Anton! Was machen Sie denn du's« tief· Aber niemand antwortete mir. Trotzdem war der Anton, wie ich gleich vermutet hatte, hinter den Or chedeen, Azaleen und Chrysanthemen, hinter den Winterrosen, Lilien und Callas verborgen. Er lehnte mit dem Kopf gegen den Kübel eines blühen den Ornngenbäumchens, mit geschlos senen Augen, einen Revoloer in der einen, heruntergesunlenen Hand, in der anderen einen Brief —- diesen Brief« Der Oberleutnant hatte den vor hin eingesteckten Brief wieder her vorgeholi, er reichte mir ihn mit be lbender Hand, ich nahm ihn und as: »Gnädiger herr! Jch bin kein Feigling, das lann die große Silberne auf meiner Brust bezeugen, die ich mir vor sechs Wo chen bei einem nächtlichen Ueberfall auf eine italienische Stellung ver dient habr. Jm Kriege zu sterben, daran wär’ mir wenig gelegen ge wesen; aber im Krieg leben, dem spat ich aus die Dauer nicht gewach en. Jch hab' immer nur mit Blumen gelebt, das oerdirbt einen Menschen. Der Umgang mit Blumen verseinert uns, nimmt uns die zum Leben un umgängliche Brutalität, macht unsere Seele wehrlos gegen den Schmerz. Der Krieg aber ist ein rechter Blie menmörder. s So nämlich hab' ich ihn in Gedan ten oon Anfang an genannt, und später hat sich diese Vorstellung in mir immer mehr sestgewurzelt. Jch bin gar nicht mehr davon losgelommem habe Tag und Nacht darunter gelit-. ten. . . Am Rande meines in den Stein gehöhlien Schühengrabens standen ein paar Schlüsselblumen; Himmels schlüssel nennt man sie gewöhnlich. . . Die kleinen Blüten, die anzusehen mir wochenlang ein Trost gewesen war, flogen mir eines Tages ins Ge sicht, von einer Granate aus dem Bo den gerissen. Und ein andermal hob »der Lustdruck eines einschlagendeö !Achtundztoanziges ein blühendes Psies Isichbäumchen aus dem« schützenden Erdreich, das es in einer kleinen IMulde umgab, und stürzte es lopr .iiber in unsere Stellung. Es war ’ein Jammer, mitanzusehem wie der hoffnungsvolle tleine Baum nach ein paar Stunden umlam. Die Krone entblätterte sich, der Lehmboden unse res Grabens särbe sich rosa. Mit den Menschen ging es nicht anders. Jch will den gnädigen Herrn mit Einzelheiten Ueber ver schonen, der nädige Herr kennt ja den 1Krieg Aber das eine darf mit der JHerr Oberleutnant glauben: es war »grauenooll, besonders ir. der lehten »Woche, und am allerschlimmsten, als wir vorgestern das vorgeschobene .Grabenstiick am Rand des »Toten wäldchens·' in elfmaligem Anlauf zu rückeroberten. Jch hab’ den Sturm bis zuleht mitgemacht und hab’ in sBlut und Wunden gewatet wie in ieinem Mohnfeld. . . Aber wie dann die Nacht gekommen ist und der Mond, der auf die fürchterliche Verwüstung« die aufgerissene Erde, die noch unbe-. erdigten Leichen herabgeschienen hat, da hab’ ich es nicht länger ausgehal Iten dort vorne J Eine Sehnsucht nach unserem ’friedlichen Garten, nach den Blumen. von denen ich wußte, daß sie zu Hause in den Treibhäusern aus mich warteten, überlam mich, ich konnte nicht widerstehen. . . Jch eignete mir widerrechtlich den Urlaubschein ei nes toten Kameraden an und habe mich eigenmächtig von der Front ent fernt. Jch weiß, was mir bevorsteht, wenn man mich festnimmt und man wird mich spätestens heute festnehmen. . . "Jch will dem gnädigen Herrn, wie auch mir selbst, diese Schande erspa -ren, darum hab’ ich lieber meinem Leben selbst ein Ende gemacht. Ob dort oder da, ist ja schließlich alles :eins; und hier sterb’ ich wenigstens unter Blumen. . . Ps. Die Chrysanthemen blühen schlecht dieses Jahr, weil die Erde zu schwer ist. Mein Nachfolger muß Jmehr Asche hineinmischen.« Der Zug hielt, ohne daß ich es ge Imerlt hatte, und als ich nun, nach jbeendigter Lettilre, das Schreiben Iwortlos meinem Coupögenossen zu riiclgab, stand dieser hochaufgerichtet, mit umgeschnalltem Säbel, die Kappe tief in die Stirn gedrückt, in militäs rischer Haltung vor mir. »Was wollen Sie tun?« fragte ich ihn, der jetzt, ohne im geringsten zu zittern, den Brief des Gärtners wie der an sich nahm und mir gleichzeitig die Hand zum Abschied reichte. ,,Einen Ersatzmann stellen!« sagte er einfach. »Der Staat hat einen Soldaten verloren, ich bring’ ihm da fiir einen anderen. . .« »Sie wollen selbst —- ? Jn Ihrem Alter?« »Mein Freund, der Feldmarschalls leuinant, wird’s schon möglich ma chen. Jch falsr’ jetzt gleich zu ihm, er soll mich irgendwo einteilen, wo ek will! Nur nn der Froni muß es sein, ganz vorn und gegen die Jlaliener — die Blumenmörder. . .« Er salutierle, llirrte mit den Spo ren und entschwand mir im Bahn hosögedröngr. Uebrigens scheint der pazifische Oberleutnnnt mit dem Miliiärdiensts lreuz seinen Willen durchgeseßi zu haben. Denn als ich unlängsi, ein halbes Jahr nach unserer Begegnung, an seinem kleinen Schloß vorbeiging sand ich es abgesperrt, die Fensterlas den geschlossen, den Garten verwil dert. Jch wollte mich nach Herrn v. »Sei-komm erlundigen und ilingelte mehrmals an der Eingang-tür. Aber ini is rührte sich, niemand tat mir au.