Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 12, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-bleibt de
Skaats Anzeiger und YOU-old
MOMUMM Jst
eset Rot-hemmen
Von Peter Rot-inson.
Die ,-Ztemdenpensiou Doldl« in(
der Mariinilianftraße zu München
ging sehr gut. MeistenH wohnten
dort England-Je und Anieritaner.
Frau Doldl war in ihrer Jugend
Kinderfriinlein in England gewesen,
und an ihrer siorridortiir das
Schild mit der Ausschrist »English1
spoten« war nicht, wie sonst in vie
len Fällen, nur ein lächerlich über
triebener Hinweis auf einen Vorrat
von zwei oder drei Dutzend falsch
ausgesprochener Votabeln,’ sondern
lautere Wahrheit Frau Doldl hieltl
gute siiiche in englischeni Geschmack«
. mit Joint znin Tinner nnd Murme
ladekuöpsen zum Frühstück, verstands
niit ihren Gästen zu conversierens
nnd wußte sogar durch geschickte-«
Ausnutzng verivandtschastlirher Be
ziehungen zu maßgebenden Stellen»
Bitten-I siir dass PrinzregententheasT
-ter, wenn aiidenviirts feine mehr zul
haben waren, noch zu annähernd
normalen Preisen zu besorgen.f
Mehr konnte man wirklich von einer»
Pensionemirtin nicht verlangen. s
Herr Doldl war gleichfalls sehri
tiichtig, wenn er anch das Englische»
nicht so beherrschte ioie feinen ange«
stanmiten bajmvarischen Dialekt. Eri
bezog eine kleine Pensiin im iibriiJ
gen machte er sich nützlich, indem er
die notwendigen Familienslsrbstiirlei
besorgte. Nach Schluß der Fremden·z
Saison fing er damit an, nnd gnmz
Friihiabr war er fertig. Bei Tand-J
lcrn nnd aus der Dnlt kaufte er ein«
alles-, alles, was ihm lohnend schien»
sind antik nnd ehrioiirdig aussah-—
Porzeklane, Gläser, Vrioasbrac von
Silber und Ettenheim manchmal
auch ein Möbelstiick, eine kleine Em
pireottomane, einen Damens-dreih
tisch nnd dergleichen. Alle diese bil
« lig erstandenen Dinge wurden im
, Salon nnd im Speisezimnrer aufge
I
siellt oder an die Wände gehängt
oder fonftwie mögst-Ost sW un
tergebracht Und dann, wenn die
Gäste kamen, wnrde Herr Doldl
Dichter, und feine Phantasie wan
derte die mit Oerbstblnmen der Er
innerung geschmiiccte Straße der
Vergangenheit Da, die schöne
Standuhr in der Ecke, deren Ziffer
lslatt ein aus blauen Wogen rhyth
inisch nach den Pendelschliigen schan
tclndes Schiff zierte, —- ja, die altes
Standnhr hatte noch in Großvaters
Zimmer gestanden, nnd die hellen
Schlage ihrer silbernen Glocke hat
ten manche frohe manche ernste
Stunde im Leben der Grosieltern
eingeläntet. Ach ja, die liebe alte
Uhr! So ein Erbstück gibt man na
tiirlirh nicht her, nnd wenn eineml
von einem Liebhaber auch noch so
viel dafür geboten wird! — »Nein,
davon kann ich mich nichi trennen,
niemals!« versicherte Herr Doldl
dem Gast, dem gerade diese Uhr be-«
sonderei gefiel, nnd zärtlich strich er
mit sachte-r Hand iiber den Lasten
nnd schante gerührt aus das schan
kelnde Schiff, sehr merkbar gerührt,
wenn er wußte, dasz der Blick des
Reflektanien auf ihm ruhte. Die
kyolge war natnrlnh, dafz das Erb
ftiiit utn hundert Prozent höher be
zahlt wurde, als eH unter den be·
konnten Brüdern tvert gewesen
nsäre, die, wie nian weiß, gewöhnlich
lehr teuer zn verlaufen uflegen.
llnd fo ging ein Erbstück nach
dem anderen fort, bis es Zeit wur
de, von neuem zu erben. Befonders
originell war ja Herrn Doldls Ver
fahren nicht; es wird auch ander
warte häutig geübt, wenn auch viel
leicht nicht niit dein gleichen Auf
wand an Phantasie und bot-getäusch
tei Sentinientalth, wie er Herrn
Toldl zur Verfiigung stand. Jn
Tirol sann man unzählige Erbftücke
erstehen, die alle von Andreas Opfer
stammen, und in Frankreich gibt es
iiberall Schnuvltabakdofen, die bei
irgendeine-r Gelegenheit von Nat-o
leon l. fortgefchentt wurden. Menn
alle diefe Dofen Anspruch auf Echt
heit befäßen, hätte Navoleon den
ganzen Tag nichts anderes zu tun
«ehabt, als Schnupftabatdofen fort
ngbem es wäre ihm überhaupt
iitht Zeit für andere« Dinge übrig
geblieben, und die Weltgefchichte
hätte einen ganz anderen Verlauf
genommen. Jtn allgemeinen ift der
Verlauf von Erbltiicken ein recht
lehnendes Geschäft, und fo war es
auch bei Herrn Doldl. Eine Aus
nahme machte nur der unglückliche
Sommer, in dem Mr. Samt-sen
Netvtnan nach München kam und in
der Pension Doldl Wohnung nahm
Freunde hatten ihm diefe Penflon
empfohlen; es waren vielem-, die
vor zwei Jahren die« alt-e Bibel er
worben W Cis W von
einem Vorfahren des Heu-n Doldlz
der Name war auf dem Titelblatt
zu lesen. Einen halben Tag hatte
es Herrn Doldl gekostet, richtig ver
blaßte Tinte herzustellen; mit einem
angespiyten Streichholz war ge
schrieben worden. Es war eine schö
ne Bibel mit originellen Kupfern
darin.
Also, Mr. Newman aus Brighton
lam. Es war ein würdiger Herr;
beinahe fah er wie ein eineritierter
Neverend aus-. Unter seinem Gepiick
befanden sich zwölf Spazier-stecke
So viele brauchte er nämlich minde
stens, denn er trug vormittags einen
anderen als nachmittags, und am
Freitag andere als am Montag, nnd
wieder am Sonntag andere als in
der Woche. Herr Doldl wollte ihm
schon sagen, daß für München ein
einziger Regenschirm beiier ange
zeigt wäre als zwölf Spazierflöcke,
unterdrückte diese Bemerkung aber
doch, da sie mit den Interessen der
Pension nicht recht vereinbar war.
Un Haufe hatte Mr. Newman noch
achthundertziveiundvierzig Spazier
ilöcte Er war ein Sammler davon;
hauptsächlich sammelte er Stöcke, die
durch ihre früheren Besitzer inerts
würdig waren. Das hervorragendfie
Stück feiner Sammlung war ein
Stock, der einst von Wilhelm dem
Eroberer getragen sein sollte.
war ein handsester Mahagonilniips
pel, und da Mahagoniholz erst etwa
fünfhundert Jahre nach Wilhelm
dem ·Eroberer in Europa bekannt
wurde, tann tnan die ungeheure
Merkwürdigkeit und Kostbarkeit die
ses Stocke-S leicht ermessen.
Mr. New-non zog in die »Frau
denpension Doldl« ein; es war noch
sehr sriih in der Saisou. Als er sich
ain ersten Abend niit seiner »Musi
ing Post« —- er war also wirklich
ein sehr würdiger Herr, denn vor
zugsweise solche lesen dieses Blatt —
in den Solon gesetzt hatte, fiel ihnt
neben der großen Vitrine, in der al
lerlei Kostbarkeiten zur Schau ge
stellt waren, ein Spazierstoet ans,
der an einem silbernen Kettchen an
der Wand hing. Er sah ihn sich an.
Ein schönes Bambusrohr, sehr lang,
mit einem oortressltchen Silbertnops
daraus, nichts sehr seltenes, aber ein
würdiges-, ehrbares Stint. Herr
Doldl war gerade bei der Vitriue be
schäftigt. Was das siir ein Stock
tviirek Oh, das wäre der Stock vont
Großvater
So, so! Vom Großvater, — ja, so
sähe der Stock auch aus. Was denn
der Herr Großvater gewesen wäret
Wahrscheinlich eine Atntsperson
»Freilich, freilich —- ein Nat-'s
herr!« —- Veinahe stimmte das
auch; Herrn Dotdls Großvater war
Gemeindevorstand in Feldmoching
gewesen.
Mr. Neu-man wurde nachdenklich
So, ein Ratsherr also. Wo denn?
Herr Doldl sagte ietzt nicht Feld
moching, sondern Rothenban Das
war ein Ort, den die Engländer ge
wohnlich alle konnten Mr. Netonian
lannte ihn auch. Ein reizended
Städtchen; er hatte dort int goldenen
Hirsch gewohnt» ·llnd der Stock
stannnte da her. Welch ein interes
santes Erbstiietl
Herr Daldl wurde beredt. Und
wars fich sur ihn noch fiir Erinnerun
gen an den Stock tniipftenl Als lleis
uer Junge hatte er ihn als Steaens
tsferd benutzen dürfen, aber natiirlich
nur an Feiertagen, und wenn der
Großvater gut gelaunt war, denn
mit folch einein Stock, der ein wich
tiges Attribut der Ratsherrnwiirde
ift, darf nicht leichtfertig umgegan
gen werden. »Ist der Tat, in der
Tat,« meinte Mr. Newinan, und
iiberlegte· Den Stock eines deutschen
Ratsherrn hatte er noch nicht in fei
ner Sainnilug, also mußte er ihn
eigentlich erwerben. Aber Mr. New
man --— er war doch wohl ein einer-i
tierter Reverend —— wollte die zar
ten Empfindungen feineH Wirte-S
nicht beleidigeii. »Sie verkaufen ihn
natiirlich uicht·.-« fragte er zögernd.
Herr Doldl hob nur feierlich die
Hände. Das hatte fich Mr. Neu-man
gedacht. Ja, ein Hintern-auch der
hatte nun gleich ein vorteilhafte-s
Geschäft zu tnachen gesucht, aber die
Deutschen sinkt-on einer so bewun
derungstviirdigen fentintentalen
Treue. Ein liebenswürdiges Bettl
Und Mr· Newntan fehte fich wieder
hin und las in feiner Zeitung einen
gegen das liebenswürdige Volk ge
richteten Artikel. Herr Doldl örgerte
sich und sagte beim Schlafengehen zu
feiner Fran: »Er will nur nichts
rechtes bezahleiit«
Während der nächsten Tage fah
Mr. Neu-man den Stock wiederholt
an, erklärte aber Herrn Doldl jedes
mal: »Ich hätte ihn gern, aber wie
dürfte ich Ihnen einen Gegenstand
der fo viele anmutige Erinnerungen
in Ihnen wachruft, rauben wollenl«
Und Der-r Doldl freute ftch jedesmal,
to sur verstanden sit werden
Damen aus Kingston —
nicht aus Jamaika, sondern »Man
Thames«, wie sie vorsorglich erklär
ten —- karnen in der Pension an.
nur auf ein paar Tage: sie waren
aus der Riickreise nach England. Jn
Idee Vitrine stand ein Kasseeservike
IWelch herrliches Servirel Ahal
«Meissener Porzellan l-— So, so, ein
Familienerbstiich —- von Frau
Delle Großmutter. Wie interessant
Mk. New-non mischte sich ein und
erklärte, Herr und Frau Doldl ver
kauften prinzipiell nichts von ihren
Erbstücken. Er hielt eine lange Rede
— der eineritierte Reverend wurde
immer wahrscheinlicher —- in der
ungeheuer viel von Pietiit vorkam,
nnd die beiden Deinen fuhren ohne
das Service ab —- nach Hing-Zion,
nicht anf Janiaika, sondern »in-on
Tl)anies«.
Mr. Newnian wollte bis Ende
September bleiben. Herr Doldl sag
te zn seiner Fran: »Wenn er jedes
mal dazwischen redet, werden wir
diesen Sommer gar nichts los-«
Ein schöner Tiirkensäbel war da.
Eine ältere Dame ans Manchester
interessierte sich dafür-. Sie sammelte
Waffen; vielleicht war sie eine Sus
iragette. Ein Vorfallre Tolle hatte
den Säbel in einein Tiirtenlriege
erbeutet. Mit Illuasicht daraus hatte
die ältere Dante aeru bie- zu zehn
Pfund bezahlt. Bei Tisch setzte ihr
Mr Nenn-can auseinander, sie
täuschte sich ganz gewaltig in Herrn
Doldl; der hielte ans Pictät. Der
Tiirkensiibel blieb da, und Mr.
Neu-man war so entzückt, daß er
Herrn Doldl zu einem Glase Bier
einlud.
Jin Juli und August, so hatte
Herr Doldl gerechnet, sollten die
kleine Eauseuse im Salon, das
Spieltischchem dass alte Schachbrett,
zwei Puderhöschen und eine Pot
ponrrivase Reslektanteu finden.
Aber Mr. Newuian machte darüber
und sang Lobhmnnen aus die deut
sche Treue. Herr Doldl überlegte-, ob
er ihn hinanswersen sollte. Aber
das ging mit Rücksicht ans die Pen
sion nicht; man konnte ja nicht wis
sen, ob er nicht an Bädeker schrieb.
« Jni September kam Mr. seltsa
niin Walker aus Boston Der war
ein Kollege von Mr. Sainpson New
man, — nicht als wahrscheinlicher
Neverend, sondern als Stocksammi
ler. Er hatte schon zivölshimdertdreii
zehn Stöcke und verabredete mit
Mr Newinan einen Anstausch von
Donbletten Einen deutschen Rats
herrnstork hatte er aber auch noch
nicht. Er bot Herrn Doldl hundert
Mark, nein l)iiiidertsiiiifzig, ueiii
zweihundert Mark. Mr. Nennnaii
stand ivachsani dabei. Er lächelte
mitleidig. »Ur-linken Sie meinen gu
ten Herrn Toldl nicht, Mr. Walten
Sie können ihiu noch so viel bieten,
der Stock, an dein sein Herz hängt,
ist ihm nicht feil. « Am Nachmittag,
als Dir. Walter iu den Hofgut-ten
gegaiyseu war, nahm Mr. Newnian
den Stock und sprach zu Herrn
-Doldl: »Ich werde ihn in meinen
Schrank einschließen, bis Mr· Wal
ter abgereist ist. sich kenne Ihr gu
tes Herz, Sie ioiirdeu sich überreden
lassen, und nachher wurden Sie sich
oitterc Verwirrte machen« —— Herr
Doldl zeigte sich geriihrt und
knirschte niit den Zähnen
Mr. Walter hatte leine Zeit; er
hatte schon eine stabine im Steainer
ab Cherbonra belegt. Er reiste ab,
stieg aber ani der Tour roch Frank
furt in Steinach aus«-, nni schnell
noch nach Rothenburg hinüber-zufah
ren nnd sich dort nach einein echten
Natsherrnsiock ninznsehen.
Und dann lani auch der Tag, an
dein auch Mr. Sannifen Nennuan
endlich abreiste. Nachdem er — das
Ante wartete schon auf der Straße
—- ini Salon seine Rechnung bezahlt
hatte, zeigte er Herrn Doldl den
von ihm zuletzt unter Verschluß ge
haltenen Stark nnd begann dieie
Rede: »Deinen Sie daran, Herr
Doldl, was ich alles iiir Sie getan
habe. Alle Jhre Ihnen so teuren
Erbstücke habe ich behiitetz Sie hät
ten lich beichwäben lassen und sie,
wenn auch niit tiununer inc Herzen,
dahingegeben Sehen Sie iich inn,
o- da lind sie noch alle: der Tur
keniäbeh das Kaifeesewice, die Pot
penrrivale, die Eaulense und alle
die anderen Sachen. Wäre ich nicht
gewesen, man hätte Ihnen alles
fortqeichleppt Und nun ver Stock?
Wirklich, ich habe mein Herz daran
gehängt, —- wallen Sie ihn niir
nicht lassen? Alles andere ist Ihnen
durch mich erhalten geblieben. Ah,
Sie wollen! Wie dankbar bin ich
Jhnenl Jch weiß, es würde Sie be
leidigt-m wenn ich Ihnen einen un
berhältnilzmäßigen Preis bieten wür
de; ich darf Jhneä nur den reellen
Wert ersehen allen Sie sehn
Mart-»
Herr Deldl schien glücklich, Mr
Mit-man den Gefallen tun In tön
Fuss-. Ek sagte ja. nnd außerdem —
siinf Mark Verdienst waren besser
als nichts·
Während der Fahrt nach dem
Bahnhof streichelte Mr. Newman
Zärtlich seinen neuen Stock nnd
sprach halblaut Vor sich hin: »Der
alte Esel, der Walten hätte wahr
haftig noch dreihundert Mark dasiir
bezahlt. Na, jetzt habe ich doch den
Stock eines deutschen Rat-:—herrn!«
Nun, er stammte ans dein Nach
laß eine-J anfobassisten, der den
Stock immer getragen hatte, wenn
er alsI kluger Bürgermeister vor-,
Saardam austrat
—
W
Der barmherzige
Samariter
Novellette non han« Oriac-.
Die Nacht war sehr dnntel, als
die beiden Sanitiitshundesiihrer hin
ausgesandt ninrden mit ihren Schä
srrhnndem die, am Riemen geführt,
Jstill nnd folgsam neben den tapfer
augschreitenden Männern herliefen.
Da sing znr Linken, in der Ferne-,
Hanf den Donnerschlag eine-: schweren
Ilveichiitzez ein Pachthos zn brennen
»an. Tie Gratiate nnn te in eine
iSchenne gefahren seln; wie rasend
schlugen die Stichslamnien ans dem
lGebäude hinauf in den wollen
schtvarzen Himmel.
; Und vlötzlich war die Szene tag
-hsFll beleuchtet
. - Der Führer Scherber, wiewohl er
van Hause aus Musiker war und
segentlich sanftmütig, fluchte wie ein
’ eide. Hans Brendel dagegen verlor
zseine Ruhe auch seht nicht und legte
isk mit dem leisen Rufe: ,,Niederl«
l
» ii
das zerstampfte, nicht abgeerntete
benseld.
! ! Der andere blieb stehen« Die wall
iartig erhöhte Chaussee gab wirklich
»so viel Schatten, daß sie nicht gese
Hen wurden, sonst hätten die Eng
länder da dkiiben im Schiihengraben
wohl geschossen
Sie zogen sich also an den Ehanss
ll heran, setzten sich ans den
senchten Erdboden hin nnd überleg
tcn, wie sie iiber die hohe, von ben
galischen Flammen beleuchtete Stra
sie fortliimen
»Die Fernie brennt die ganze
Nacht,« meinte Hans Breite-eh »das
können wir nicht abwarten«
»Na, wir wollen nnd jedenfalls
trennen,« sagte Scherben ,,geh du ’n
IlnIndert Schritt zurück, da haben die
samsresser doch nich so leichtesi
Ziel«
»Ach, da drüben is- sa anch ’n Ge
hölz, nnd ich glaubt-, da finden wir
welche . . . Venviindete.«
Der lange Scherber sagte nicht-:
inehr, er kroch schon die Böschnng
hinauf, oben steckte er den Kopf iilier
die Strasse:
»Ob« ich da gesiin riiberlomme?«
Dann rannte er gednclt, wasJ er
konnte!
Es lnallte Einmal nnd dann:
knack; lnackl lnaill sinailemclnmll
Eine ganze Salve
Voll-J Brendel nmchte ein Undmen
weiter bin dieselben Einmal-, und
die Engliinder schenkten ilnn nichts-.
Den Landstnrmlnslni risz ilnn eine
Kugel vom Mai-»f. Er fiel, obwohl
unverletzt, ans der anderen Seite die
Vöschuug herunter. Lag eine Weile-,
und sein giediildiziise. kluge-J Tier
stand bei ilnn, unt dem Vorteil des
Vernnnstlosen begabt, das den Tod
fühlen muß, nni an ihn zu glauben.
Die Himnielsrote dunkelie pur
purn, und die Finsternis auf der
Erde stieg wie schwarzer Nebel —
daLs Feuer driiben schien mit seinem
Frass zu Ende zu leninien Ec- wur
de iiiöglich, die Hnndin suchen zu
lassen.
«Vorani, Vilinal Znch’ nnuidl«
Wie ein schwarzer Ball sm«iiiia«s
davon. Der Mann langsam nach, in
der Richtung aui das Gehölz. Der
Hund tain zurück-, leer, und wurde
wieder liinausgeschictt ——- Der Füle
rer folgte mit belnitsam tastendeni
Fuß. Denn hier war Wiesentmdeih
voller Raupen nnd tückischer Löcher.
Vor einzelnen Erlenbiischen, die wie
lauernde Männer standen, konnte
man sich fürchten. Aber die Furcht
schlief ein, wagte sich kaum an die
Dentfläche in dem Graßlicheu, was
jeder Tag erneute. Nun kam der
Hund abermals-, und jetzt zeigte sein
leises Schnansen, daß er etwas im
Fang trug, das er gesunden hatte.
Hans Brendel nahm es ihm ab ..
ali! ein psnndschwerer Gratiatiplit·
terl Er lobte das Tier, das sich setzte
nnd den Riemen lang an seinem
Brustgeschirr befestigen ließ. Der
Karabinerhaken schnappte ein —
-aber zugleich erbebte die Lust von
einem erschütternden KnalL So ge
nau traf dieser Knall mit der kleinen
.Fedetbeiveaus des Karabinerbakem
h
zusammen, daß Brendel einen
Augenblick die Vorstellung hatte, es
bestände irgendeine Verbindung. et
a, wie zwischen dem elektrischen
ntakt und der durch ihn entzünde
ten Mine. Aber dann zischte eine
Riesenschlange aus, verwandelte sich
in ein heulendes Untier, das durch
die Nacht sauste, und erbarst unter
einein grauenhaften Geschmetter.
Sie schießen aus die Ferme, dachte
Hans Brendel und ließ sich ohne Un
ruhe von dein Hunde leiten. Der
Hund schien seiner Sache vollkom
men gewiß zu sein. Für Vrendel, der
ihn so oft bei der Arbeit beobachtet
hatte, war das nichts Wunderbares
mehr. Er vertraute der in gleicher
Situation zahllose Male erwieseneu
Ueberlegenheit des Tierinftinktes
wie etwa-Z Selbstverständlieheni.
Uebrigens niuszte er ja seine eigene
Aufmerksamkeit auch aus anderes
richten nnd sehr genau nufpassen,
inn nicht in eins der Sninpslöcher
zu fallen.
Die Reise ging richtig ins Gehölz.
Der Hund stand. Der Führer leuch
tete dein Dinge-streckten vorsichtig ins
Gesicht. Die Pupille stak sast unter
dein oberen Lid. Tod? —- Ja, das
Herz war still.
Aber da drüben stöhnte es. Der»
Hund kam leise minselnd wieder:i
»So recht, Alterchen, da? —- nein,«
da! Das macht, wenn man auf ei
nem Ohr schlecht hört, man irrt sich
in der Richtung. «
Oh, der lebtel »
»Wasser . . . Wasser-! ...« !
»Ja, ja, armer Kerl,« Hans
Brendel reichte ihm die Feldslasche,
»der Durst ist immer das schlimm
stel«
Dann sah er nach der Wunde.
Und der weiße elektrische Strahl
guckte zuriick vor der entsetzlichen
Wunde, in die das rechte Bein des
Mannes unterhalb desJ Knieg ans
lies. T
»Meine Beine . . . nnd Arme . . .
sind gesund . . . ich hab’ · . . bloß
’u Brustschuß·« Die Worte kamen
einzeln, unwillig, ans einer vom To
desgrauen gepackten Seele, die ihr
Los nicht glauben wollte, die sich
wehrte gegen die Vernichtung
Hans Brendel hatte schon zu viele
gesehen, die Abschied nahmen oder
nehmen mußten — er täuschte sich
nicht. Aber er untersuchte doch die
Brust dess- vom Schrapnell Zerrisse
uen. Der llnterosfizier hatte außer
dem drei Eingehn zwei durch die
Brust, eine durch den Leib —- daß
et lebte. war ein Wunder. Das Ge
fecht, in dem er fiel, hatte tun drei
Uhr stattgefunden, am Nachmittag,
sin mai« Li nach Mitternacht
Der Eanitijter überlegte Und da
nandte ihin der Leidende da-: Gesicht
HU »
Hin diesem Augenblick erlannteni
sich die beiden.
«Lsan-: . . —«,,(iteoig.
Reden tonnte keiner. Ton Wun
ten packte ini Tode die Todesangst: !
der unid sich an dir rächen, dich ber
lassen! . Lr betain eJ fertig, die
Linie n eiheben, sie an-: suslreilen
Hand Linndil nahm die Hand, diese
Hand, die iltsn mit einein Hieb fast
erschlagen hatte! :
llnd ans einmal fas: in der rot
diinnnerigen Triibe zwischen dem
Wunden nnd dem Gesunden eine
Frau Eine Fran in lichter Seide
mit tiefem, von Spihen betontem
Ilnssschnitr mit Diamanten an den
lreicheu Händen nnd mit einem LäL
then-, einem Lächeln um den roten
Mund, dass der, dem es gegolten, nie
mehr vergessen konnte
»Meine Fran,« nmrnielte der tot
nmnde llnterofsi,3ier, der vom Gom
nasinni her dnrch zwanzig lange
Jahre der Freund des Sanitiitsdhuns
desiihreris gewesen mar, bis das
Weib sie trennte.
Hans Vrendels Herz brannte von
tausend JranenLsp Er sah, wie
durch einen weiten Raum der Erin
nerung, wieder in die breitgesrhnittes
nen Augen hinein, die ganz schwarz
schienen, deren holdes Leuchten ihm
jahrelang nachgeschlichen war und
das ihn fast wahnsinnig nor Seini
sncht nnd Schmerz gemacht hatte·..
War Gent-g daran schuld? Hatte er
sie ihm weggestohlen, ihre Liebe?
Der Sterbende atcnete bang, mit
schwerem Nöcheln. Da schämte sich
Hans Vrendel, schämte sich so sehr,
daß ihm die Tränen kamen. Und der
Zerfchossene sprach: »Wenn icl wie
der . . . nach . . · nach sanft
komme . . . dann . . Er schien zn
vergessen und in Lethargie zn sinken·
Hans Brendel saß ganz still bei ihm
auf dem feuchten Boden und hielt
den Kopf, in dem das Fieber braun
te.. Auf einmal kam eine neue Welle
aus dem tiefen nnergriindlichen
Born des Lebens ewigen-der sterben
sollte, hob eine Hand nnd sagte
deutlich und fließend, als horche er
noch einmal tief in die Vergangen
heit und gäbe ihre Klänge und Töne
alle wieder-.
! »Sie war so gut . . . immer, nnr
lmanchmal hat sie geweint, wenn ich
lunvermutet kam . . . und wollt' es
nie sagen . . . wie osti wie oft hab'
’ich sie damit geifniilt . · . ich glaube,
zdu warst es, Hans . . . und dabei
hat sie mich doch liebt Kann man
Idenn zwei lieben?"
. Der Nachtwind ging im finsteren
’Gezweige, von den Bäumen tropste
die Feuchtigkeit. Dem Manne, der
hier ein Leben hingeleitete an das
dunkle Tor der Ewigkeit, rannen
die Tropsen von den Wangen. Er
sah seine Jugend wieder, sah alle die
lichten, heiteren Bilder, ans denen
Georg und er als fröhliche Kinder
spielten, und sah in das tätselvolle,
verstohlen lachende Frauengesicht,
dessen dunkle Augen er sein Leben
lang nicht vergessen konnte.
Da kam es ihm vor, als würde
das Leben mn ihn her von einem
schweren, ringenden Schauer geschüt
te1t. . und ein Schrei klang, einer
zerbrochenen Stimme letztes Wirken
»Hilde! . . . ach! .. .ich! . . .
Hildak . . . mein Gott!. «
Wie wurde der Kopf des Freun
des ans einmal so schwerl . . . ein
Schütteln der Glieder . . . er reckte
sich, und dann löste sich alles im
Tode . . . Da nahm Hans Brendel
in tiefster Austvallung das leblofe
Gesicht in seine Hände nnd drückte
ess- gegen die Brust. ,
Er wollte gehen.
Doch ihn bannte ein Geschoß, das
niordjanchzend daherkam und mitten
in das verglühende Feuer der Ferme
l)ineinraste, daß abermals rotgolden
die Glut ansslog... Er überlegte
wer würde dem Toten den letzten
Dienst erweisen und das, was er bei
sich trug, nach Hause an die Frau
senden, die ihn beweinte? . . . Vor
sichtig schlug er dem Freunde den
Wassenrock nnd das Hemd zurück
Ta war eine Brieftasche . . . ein
Bild . . .
Eine rasende Lust, die darin zu
finden, die so var ihm stand, als sei
er ihr gestern zuletzt begegnet, ließ
ihn kaum überlegen.
Seine Laterne-flammte ems- er
sah dass Bild . . . Und ein Zittern
der Enttäuschnng, der Wut beinahe,
ließ ihn erbeben: das Gesicht war
fort! Hildes Gesicht hatte die Kugel.
die ihren Gatten tötete, brutal zeri
rissen . . . Noch in der Zerstörung
neunte sie sich ihm nicht, nicht ein
mal die Freude ihre-J Anblicks sollte
Hans Vrendel haben! Fiir ihn blieb
nicht-J! Alles nahm der andere niii
sich, alle-IT . ..
Tei- Nachtiuind wurde zum
Etuan Von Westen her knatterte
('-ewehrsener Haust- Brendel sror.
Was sollte er noch hier? Hatte er
nicht seinem Freunde über das
dunkle Sterben himueggeholfen, der
ilnn daiiir im Tode noch das Leben
vergällt? Eine maßlose Bitterkeit
rang in ihm nnd der Wunsch, selbst
an des-s anderen Stelle auf der kalten
Franzosenerde zn liegen . . . Er wur
de von niemand erwartet, wenn er
lseinikanh nnd die lieben, weißen
Arme, die sich nach dem Gesallenen
ausbreitete-h iuiirden sich ihm abweh
r( nd entqeaenstrecken . . .
Ver Hund nnnselte an seiner Sei
te, als niollte er sagen: es gibt noch
mehr Wunde, denen ioir helfen sol
len! . .. Doch Haus Brendel stand
und stand. Er starrte auf die Ferme,
die wieder lichterloh brannte. Wozu
dass alle-» -« Wozu das Weh der Mit
lioueu. .. Was ging es ihm an,
der ewig doch vertrieben wurde vom
Tisch des Lebens?!... Die Kälte
nnd dast- Grauen nnd die lautlose
VerniesunxL die von überall ihu an
nsehten, ließen ihn hart und ohne
Empfind-ein er brauchte sein Mitge
siihl siir sich, denn er war unaliicklis
eher al-: allel . . . Tie Tränen tropfs
ten von seinen Liberm er ersehnte
nicht-:- uiehr alsI den Tod.
Ta tlana es unt dein Winde
herüber. ioie Hornrusl Dass An
griffssiauaU —
Durch dass Licht, das die Ferme
loheud weithin oersti«eute, rannten
tausend kleine schwarze Gestalten.
Tie Gewehrsaloen tnatterten ihm
entgeaenl Ein Geschrei erhob sich.
Scheiinverser betasteteu grinsend das
Feld. Ho . . . ho . . . horr . . .« kenn
es her! . . . Die Deutschen griffen
an! . . . seine Kameraden, seine
Briiderl . . .
s Jn Hans Brendels Brust glühte
»die Flamme, die schon hatte verlö
zschen wollen, hoch aus! Er rannte
jvorwärtsl Er rannte nnd achtete aus
den Weg nicht. Stolpernd siel er,
ikam hoch und rannte-, was er konnte
.dahiu, wo die seinen känipstenl
sWo sein Herz ihn hinkust!
Die Geschiihe trachten und Gratia
tcn heulten über ihn fort. Aber in
ihm jauchzte und jubelte der Mut
und der Stolz und die Liebe zu sei
nem Vaterlande-! . »