Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 05, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-Satt de
Scaaks III-zeiget und Mel-old
SUPme eru Jul
Der Richter schüttelte mehrmals den
Kopf, während er den Akt studierte,
trommelte mit der Linken allerhand
Märsche,brummte, schnurrte und kratz
te sich, änderte die Stellung der Ar
me und Beine. siiihte die Stirn bald
mit der linken, bald mit der rechten
Hand, und sagte schließlich, aus die
vor ian ausgebreiteten Papiere schla
gend:
»Als-I, so etwas ist mir aber wirk
lich noch nie vorgelomment«
Er stand aus und reichte seinem im
selben Zimmer arbeitenden Schrist·
siibrer den Akt über das Schreibtischs
geländer.
»Da will sich einer von seiner Frau
scheiden lassen, weil sie sich die Lip
pm fis-du« !
Und um das Abenteuerliche des
Falles ins rechte Licht zu rücken, siigs
te er noch hinzu
.Und das mitten im Krieg! —- Die
Menschen sind wirklich unverbesser
!ich."
Der Schriftsiihrer drückte bescheideni
Verwunderung aus und begann uns
gläubig zu lesen. Es war aber, wie
der Richter gesagt hatte, genau so:
Konrad Ritter von Tiefenbach, Mini
sterialsetretär, achtunddreißig Jahre
alt« seit siins Jahren verheiratet und
Vater zweier Kinder, begehrte die
Scheidung von seiner Frau JulianeJ
gebotene StöckL mit der BegründungJ
dasz sie sich die Lippen särbe. Eines
nähere Motivierung war in der Kiages
nicht vorhanden.
Der Richter lud die Parteien vor,
zur Einvernabme zunächst, später zu
den vorgeschriebenen Versöhnungoders
suchen. Sie kamen nicht, weder ders
Mann noch die Frau. Es blieb nichtsi
übrig, als der Gerechtigkeit ihren vor-i
geschriebenen Laus zu lassen und die
Verhandlung anzuberaumen.
Auch der Advokat, der einmal ims
Vorbeigehen in der Kanzlei des Rich-!
terö voripeach, wußte nichts Genaue-s
res anzugeben. Er zunte bloß die Ach-«
feln und meinte, sein Klient wünsche!
alles Wesentliche bei der Verhandlung!
persönlich vorzubringen Man sah ihr-J
an, daß er selbst nichts wußte. ·
Die Stunde der Verhandlung kam
heran, der Richter warf feinen schwar
en Talar über, wie eine — Schöne
ihren FrisierrnanteL iilpte das Ba
rett auf die Stirn, ren baut gelb
grau und faltig war, wie schlechtes
tkonzeptpapier, und legte sich in der
Richtung gegen den Sigangiiaal ge
messen in Bewegung. Er ging, nach
Art älterer Richter, tnit kleinen, ängst
lichen Schritten und la vorsichtig auf
den blanten Ilieien des Korridorl
seinen Weg lachend, all fürchtete er
bei jedem Tritt, auf Glaslcherben zu
stoßen oder in das Zangeiien eines
Paragraphen zu geraten. Seine beiden
Beisiger, gleichfalls in Talaren, folg
ten in derselben Haltung. während
der Schriftführer, im schwarzen Rock,
die Alten unterm Arm, munter schrei
tend die Nachhut des tleinen Zuges
bildete.
Alle vier Herren hatten, während
sie im Gänsemarsch vorüber-zogen, den
selben Ausdruck neugieriger Gespannts
heit, der sich noch verschörste, als sie
den Verhandlungssaal heiraten
Das Ehepaar war bereits an
wesend. Der Mann, lang und mager,
in einem röhrensörknigen schwarzen
Schlußroch der ihn noch länger und
magerer erscheinen ließ, besaß jene
sreudlose örarische Eleganz, die wie
eine Schulausgabe der wirklichen an
mutet und der man so häufig bei
Ministerialdeamten begegnet. Korreit
aber langweilig, wie der in ein Fut
ternl gesteckte Regenschirm, den er ein
tretend dem Diener feierlich überreich
te, machte er, gravitätisch vortretend
und ein gesaltetej Papier aus der
Brusttasche ziehend, zugleich den Ein
druck eines Ehrenmannes und eines
Pedanten. Uebrigens sah ihn niemand
an, da alle Anwesenden seine Frau
anstarrten.
Natürlich war es vor allem der
Mund der hübschen Frau, der zur
Betrachiun verführte. Rund, rot
und schwe end, sah er aus wie ein
Fiegel aus einem lichtrosa Liebesbries,
nd wie ein solches lockte er in ein
Geheimnij...
Aber die junge Frau schien leine
Lust Ia haben, dieses Geheimnis
preiszugeben; denn pliihlickh als hätte
ge körperlich empfunden, daß die
liele ans acht indislreten Wonner
ausen ans ihren Lippen ireuzten, zog
sie ihr Taschentuch ans dein hand
rhnh und hielt es svrtan trohig vor
die inlriininierte Stelle ihres anmu
tigen Kinderw.
Ritters-eile hatie der liersiiende
tm Wt den Unless M
Protololls diktiert. Er wandte sich
dem noch immer wie ein Denkmal in
der Mitte des Sälchene ausgepslanz
ten Ministerialheamten zu und fragte
ihn mit Verwunderung, oh er sich
denn wirklich scheiden lassen wolle.
und aus diesem Grundes Statt zu
antworten, zog der Gefragte zum
zweiten Male das wieder eingesteckte
lange Papier heraus und begann ohne
weiteres, sichtlich erregt, zu lesen:
»hoher Gerichtshofl
Jndem ich die Scheidung non mei
ner Frau Juliane aus einem schein
bar nichtigen Grunde anstrebe, setze
ich mich der Gefahr aus, von Ihnen,
meine herren, fiir einen Narren oder
Querulanten gehalten zu werden. Jch
bin es nicht, und der Grund ist auch
nicht nichtig, obwohl er vielen so er
scheinen mag. Ader das Gewicht der
Dinge wird durch die Verhältnisse be
stimmt. Ein Lächeln tann ein Ver
brechen fein, ein Achselzucken ein
Mord. Alles tvnimt immer auf die
Umstände an
Jch stamtne aus einer altösterreichi
schen Beamtensamilir. Meine Vorfah
ren, soweit wir zurückzublicten vermä
gen, standen in öffentlichen Diensten.
Es waren einfache, rechtliche Menschen
mit strengen Grundsätzen, wie sie sich
in derartigen Familien herauszubili
den und fortzuerhen pflegen. So bin
ich auch erzogen, so wünsche ich meine
Kinder zu erziehen. Denn ich beantra
ge unter einem, daß das Recht sie zu
erziehen, meiner Frau aberlannt wer
de. Meine Frau ist anderer Verlunft
als ich, sie hat eine andere Lebensans
fassung. Trotzdem, oder vielleicht auch
gerade darum, habe ich mich in sie ver
liebt: in ihr hübsches Gesicht, ihr le
bensfrohes Lachen« ihren roten Mund
Erst nach der Hochzeit brachte ich in
Erfahrung, daß er keineswegs von
Natur so rot wäre
Das geschah gleich in den ersten
Wochen. Jch hatte auf dem Puhtisch
meiner Frau ein Fläschchen mit einer
larminroten Flüssigkeit stehen gesehen,
und in der Meinung, daß es rote
Tinte wäre, nahm ich es in mein
Zimmer, um damit meine Konzepte zu
korrigieren. Aber meine Frau tam
mir nach, sah was ich tat und nannte
mich, ärgerlich lachend. einen »Schul
meister«. Zugleich erklärte sie mir mit
ftaunenswerter Offenheit den Zweck
der Tinktur, den ich nicht kannte; es
war mir tatsächlich bis dahin unbe
kannt gewesen« daß auch anständige
Frauen mit derlei Mitteln arbeiten.
Jch bat denn auch Juliane, ej in
Zukunft zu unterlassen. Sie schmallte
nnd antwortete mir nicht. Als ich
schließlich dringlicher wurde, versprach
sie mir es wohl, hielt sich aber in der
Folge nicht an ihr Versprechen. Be
reits in den ersten Monaten hatten
wir deswegen eine tleine Art-einan
dersehung. Sie weinte und sagte:
Alle Frauen tun dai!« »Ich will
es aber nun einmal nichtl« rief ich
heftig, ergriff das Fläschchen und
wars ej durch das Fenster in den
haf, wo es zerschelltr. Zwei Tage spä
ter hatte meine Frau schon wieder ein
andere-L
Dann tam das erste Kind, Juliane
war leidend, ich wollte sie nicht quä
len. Jch sah wohl, daß sie sich trotz
ihrer Iträntlichteit und zeitweisen
hinfälligteit jeden Tad, den Gott ge
geben, die Lippen bepinselte. Aber ich
tat setzt so, als bemerkte ich es nicht·
Llls sie wieder gesund war, untersagte
ich ihr den Gebrauch oon Lippenrot
ein sür allemal. Sie sei jetzt Mutter,
sagte ich, und ei wäre eine Schande
oor dem Kinde. Jedoch sie wurde noch
einmal Mutter, ohne daß sie sich an
meine Vorschrift im geringsten getehrt
hätte.
Eine Art Verbitterung über meine
völlige Ohnmacht bemächtigte sich inei
ner und ich begonn, über diese Sache
nachzudenken, gründlicher· vielleicht,
als unbedingt notwendig war, aber so
sind wir Tiefenbachi nun einmal alle,
schwerbliitig, schwerlebig. Jch sragte
mich: Flir wen stirbt sie den Mundi
Für mich — das war unmöglich« da
ich sie doch um das Gegenteil hat
Also sitr die anderen. Und warum sür
die anderen? Zweifelloö, um ihnen
zu gefallen. Sie wollte also, obwohl
mit rnir verheiratet und obwohl sie
mich angeblich liebte, trotzdem den
anderen gefallen, ja, es war ihr wich
tiger als meine Liebe, die sie sich doch
verscherzte... So brachte mich das
Lippenrot aus die abschiissige Bahn
der Eifersucht. Jch glaube übrigens
noch heute, nicht ganz ohne Grund
Eine Frau, die sich schmintt, geht aus
Eroberungen aus, und eine Frau, die
aus Eroberungen ausgeht, wünscht
selbst erobert zu werden
Aber ich will damit unseren Fall
nicht in Verwirrung bringen. ch
will nur sageen daß insolge die er
scheinbar so deutungtlosen Gewohn
heit meiner Gattin unsere Ehe von
Unsan an nicht die beste war. Es
ab a erhand Szenen und peinltche
ustrttte. Einmal drohte ich sogar, sie
zu verlassen. Es war anläßlich eines
Todesfalles in meiner nächsten Fami
lie, als ich die Entdeckung machte, daß
sie sich fiir das Leichenbegiingnis die
Lippen aufsrischtr. Ich schlug Lärm
und erreichte, daß sie es tatsächlich
eine Zeitlang unterließ.
Da brach der Krieg aus, und alle
diese Dummheiten traten in den Hin
tergrund. Wir betätigten uns, meine
Frau und ich, so gut wir tanntenz
ich, da ich in meinem Amte unent
behrlich, nicht an die Front gehen
konnte, in einer Fürsorgeattion, meine
Frau als Hilfipflegerin in einem
Spital. Unsere Kinder hatten wir zu
den Großeltern gegeben und lebten
ganz zurückgezogem ohne gesellschaftli
chen Verlehr, ohne Zerstreuungen, ein
fach und bescheiden, wie man in alten
Zeiten gelebt hat. Dabei wurde unsere
Ehe besser, inniger, als sie je gewesen.
Jch höre übrigens, dafz dies bei vie
len Ehen infolge des Krieges der Fall
Will'
Auch das Lippenrot entfremdete
uns nicht mehr. Um die Wahrheit zu
gestehen, ich dachte gar nicht mehr
daran, den ganzen Winter, bis zum
22. März.
An diesem Tage fiel bekanntlich
PrzemysL Jch hatte die Neuigkeit
spät nachmitta s im Amt erfahren,
eilte nach hause und teilte sie, noch
fasfungsloi, meiner Frau mit. Ein
Bruder von mir war unter der Be
sahung: wir waren Wochenlang im
Zweifel, ob er gefallen oder gefangen
wäre· Aber auch davon abgesehen,
welch ein Schlag für uns allel Ich
schäme mich nicht einzugestehem dafz
ich an jenem Abend geweint habe.
Auch meine Frau weinte oder tat we
nigstens fo. Schließlich beruhigte ich
mich ein wenig, stand auf und ging
in mein Zimmer, um einen mitge
brachten Alt zu erledigen. Juliane
wollte derweil nach dem Abendefsen
sehen;« wir erwarteten einen Gast, ei
nen Freund von mir, dem wir nicht
mehr absagen lonnten.
Allein ich hatte meine Kräfte über
schätzt Es duldete mich nicht am
Schreibtisch, das Alleinsein war mir
unerträglich, und außerftande zu ar
beiten, lehrte ich nach einigen Minu-;
tenet in das Zimmer meiner Frau zu-l
tU .
Jch fand sie vor dem Spiegel im
Begriffe, sich das Mäulchen zu lockte
ren.
Vielleicht geschah es siir unseren
Freund, vielleicht auch siir den Spie
gel oder aus Gewohnheit» .. Genug,
es geschah, und an diesem Tage!
Da ich unbemerkt eingetreten war,
ließ sie sich nicht stören. Jch stand hin
ter ihr und sah ihr zu. Zwei Schritte
vor mir war ihr Gesicht im Spiegel.
Aber ich hatte Mühe, mich zu über
zeugen, daß es auch wirklich das ihri
ge wäre, so fremd war mir sein Aus
druck, der sich mir zum erstenmal ent
hüllte· Es war leer. stumpf und see
lenlos —- das Gesicht einer Dirne.
.Meine Herren —,« er schöpfte
Atem, steckte seine Papiere ein, knöpss
te den Rock darüber zu, und schloß
mit einer mühsam beherrschten Er
regung: »Meine herren, ich lehne es
ab, mit einer Dirne verheiratet zu
seinjfch verlange die Scheidung von
meiner Frau.'«
Der Gerichtshof wies, mangels ei
nes gesetzlichen Scheidungögtundes,
das Klagebegehren ab. Doch bedauerte
der Borsitzende in der Urteilsbegriins
dung diese Liicke ini Gesetz und ließ,
Isich zurückziehenb, den Gruß ber jun
igen »Frau unerwiberL Die anoeren
Verren, der Schriitiübrer, ber Abno
kat und ber Gatte folgte seinem Bei
spiel. Nur der Gerichtsbiener blieb
inni- bielt, während die Frau jetzt
.zornig und bestürzt ihren roten Mund
sin einem kleinen Taschenspiegel be
itrachtete, rnit einer nicht inißzuverstes
ihenvm Gesinde vie Tük siik ihm
sAbgang offen
Msdeenisiertes Helmin
riillt' es heut in alle Winde nein,
Nä? schnitt ed gern in alle Rinden ein«
S macht es gern den Ædrchen allen
iEin Junggescll bin ich mita Haut und
Haar
Werd nie beim Stande-am mich unter
schreiben.
lNein iii mein Herz, und soll ed ewig
bleibenl
Bebauernb blick ich jeden Ebenen-in
Und ireuzsideh dan ich es nicht bin, an;
Denn Vinc, Kleide-, Schau-amech Spit
zen, Schub
Die lassen nimmer s Partemonnaie in
Nu If
Jch aber kann vergnügt diäesände rei
Mein ist mein Geld und soll in Stahl
sach bleibenl
— Deplazierie Bezeich
n n r g. A. (zu B.): «Schau mal den
nberxelchet an. . . wie dein ber Zy
lnber ut elend siebt, man sieht halt
M gleich, baß er nicht im Zylinbers
but teils die Welt gekommen W«
IN
Ums grenz.
Von Fritz Sänger
Wir saßen alle in der behaglich
warmen Stube. Plöglich hörte ich
einen Psiss; ich kannte das und ging
hinaus.
Draußen sinnd der Willi und sag
te, ich sollte doch mittommen. Jch
war einverstanden, ging wieder hin
ein und sagte: »Der Willi hat mich
gerufen.« Dann ging ich fort. Die
Mutter rief mir etwas nach, ich hör
te es noch aus der Ferne, verstand
aber nichts.
Es war eine kalte, mondhelle Win
ternacht. Der Schnee knirschte unter
den Schuhen, und ein eisiger Wind
strich durch die Gassen.
Der Willi ging voran, ich folgte;
und erst als wir draußen vor dem
Dorf waren, fragte ich ihn, was esi
gäbe.
»Wir wollen ums Kreuz fahren,«z
sagte er. »
Jch rieb mir die Ohren. »Dost»
Du einen Schlitten?«
,,Nein, Du weißt doch-·
Jch wußte, daß er teinen besaß,
das war aber nicht schlimm. Jch ging
zum letzten Haus zuriick, da standen
immer einige im hausflun Jch
nahm schnell einen heraus und brach
te ihn auf die Stelle, von wo man
abfuhr. Nun fragte ich aber doch
den Willi noch
«Warum willst Du jetzt
Kreuz fahren? Du tannst es doch
nicht-«
Ums
»Eben darum. Die Marie soll mich»
nj t mehr auslachen«
ch stand eine Weile und überlegteJ
und sah den Willi an; er stand ganz
ruhig, und seine großen Augen sahen
in die Ferne, in die Berge, die so
eigenartig gespenstisch dalagen in der
Winternacht
sonst, Gipfel an Gipfel reihte sich
i
i
i
Sie schienen näher als:
und dazwischen die dunklen Täler,"
hinter uns das Dorf, alles in eisiger
Iotenruhr.
Jch war nicht ganz frei von Furcht«
und wäre lieber wieder nach Hause
gegangen; meine Phantasie bevöl
terte die dunklen Tannrnwiilder. Am
Tage suchte ich sie gern auf, doch
nachts vermied ich den alten Weg,
der mitten hindurch führte; aber ge
rade oor Willi wollte ich nicht zu
rückstehen, obwohl ich ein Jahr jünger
Mot.
Der Willi war der Sohn einer
Lehrerswitwn groß, hager und blaß.
Er hatte ein paar ernste Augen und
schien immer furchtsam. Es fehlte
ihm vielleicht weniger die Kraft, als
der Willi zur Kraft, jedenfalls unter
uns Bauernlindern galt er als tör
perlich schwach und darum als min
derwertig.
Es war deshalb so seltsam, daß
er in der Nacht ums Kreuz fahren
wollte, und wegen der Marie; lonnie
ihn das helle Lachen dieses Mädchens
so tränken?
Die Marie lachte alle aug. Sie
war groß und schön und hatte ein
paar hlonde dicke Zöpfe. Sie lentte
den Schlitten, daß kein Junge es ihr
nachmachen lonnte, und sie war auch
in der Schule die erste und lachte alle
aus; den Willi lachten aber auch die
anderen aus.
Warum gerade
rie?
wegen der Ma
Während ich so überlegte, drehte
sich der Willi plötzlich zu mir und
sagte nur das eine Wort: »Komm.«
Er stellte den Schlitten zurecht und
setzte sich daraus. lss war ein ganz
kleiner Schlitten, nnd der zweite
mußte dicht an den ersten heran sißen
nnd die Beine hochnehmen, damit sie
nicht den Boden streiften.
Jch besann mich nicht länger, saß
auf, und los ging es dem steilen al
ten Weg hinunter.
Erst ging es durch offenes Ge
lände, dann tam ein Hohlweg und
die erste Larve. Jch merkte gleich,
daß der Willi im Lenken nicht ganz
sicher war und machte mich bereit,
nötigenfalls zu helfen· Der Schlit
ten sauste weiter und über den er
sten Graben. Der Graben ging
quer iiber den Weg und war zur
Ableitung des Wassers bei schwerem
Gewitter im Sommer bestimmt. Die
tleinen Schlitten glitten leicht iiber
die Gräben, aber jedesmal slogen sie
dann etwa zwei bis drei Meter in
der steten Lust, und wenn sie wie
der aussegtem mußte man sich vor
sehen.
Es ging aber alles glatt und
weiter mit immer rößerer Geschwin
digkeit, der Wind sauste um die Oh
ren, das Mondlicht glänzte ans dem
gefrorenen Schnee, immer weiter ging
es. s
Der zweite Graben kam. . . auch
das ging, aber nun kam das Kreuz
und die große Kurvr.
ho, dopp, über den dritten Gra
ben, wir flogen vielleicht drei bis vier
Meter in der Lust, und ich hatte das
Gefühl, jesst ist’ö gefehlt. Jch setzte
ein und wollte lenlen, aber es war zu
spät. Das ging alles so schnell,
man hatte kaum Zeit zu überlegen,
bum3, bumö, und da lagen wir im
gesorenen Schnee, gerade dem Kreuz
gegenüber.
Das hatte jeder von uns schon mit
gemacht, und man stand wieder auf
und schüttelte den Schnee ab.
Der Willi konnte nicht lenken, das
stand fest; aber ich wußte jetzt auch,
wo er den Fehler machte. Jn dem
Augenblick, als man sich in der Luft
befand, mußte man den Schlitten
durch einen geschickten Schenkeldruct
einen Ruck nach links geben. Das
war ein ganz einfacher Trick, und
das wußte det- Willr nicht. Jch
machte ihm das llar, und wir tletter
ten den Berg hinaus und fuhren
wieder hinunter-. Wir flogen noch
einmal in den Schnee, aber dann
ging es zunächst mit verminderter
Geschwindigkeit und nachher im vol
len Lauf, wie ein Pfeil flog der
kleine Schlitten, und der Willi lenlte
ihn.
Er hatte noch nicht die infiinltive
Sicherheit wie ich und wie alle ande
ren, aber es ging.
Am anderen Tage gingen wir,
neun Knaben nnd sieben Mädchen,
wie jeden Tag den Winter, in den
Religionsunterricht ins andere Dorf.
Auf dem Heimweg ging man durch
den alten Weg. Jeder hatte feinen
kleinen Schlitten bei sich, auch der
Willi hatte heute einen Schlitten. Die
Mädchen lachten ihn gleich aus, al
len voran die Marie.
«Willi, willst Du eine Weltteife
machen?« fragte sie und wars dabei
einen Zops zurück. Der Willi schwieg,
aber in feinen stillen Augen leuch
tete es auf, und über sein blasses
Gesicht glitt eine leichte Röte. Noch
bevor wir am Kreuz waren, trennte
sich der Willi von uns und ging rasch
voraus.
Die Marie rief ihm etwas nach,
er lehrte sich nicht daran. Wir an
deren waren beisammen, und der Zug
bewegte sich langsam vorwärts. Man
sprach und lachte. es war ein schöner
Wintertag, und am Morgen war
Neuschnee gefallen, so daß der
Schnee einen halben Meter hoch lag·
Da und dort flog ein Schneeball
durch die Luft; aber zu regelrechten
Schlachten kam es nicht, wie sonst
ost, es war zu kalt.
So gingen wir bis zum Kreuz.
Dort blieb man gewöhnlich stehen,
um sich etwas auszuruhen. Das taten
wir auch jetzt·
Auf einmal rief die Marie:
»Da, der Willi kommt, weg, er
fährt um die Welt!« Alle lachten und
sahen den Berg hinauf.
Da kam wirklich der Willi ange
fauft. Der Schnee stob nach beiden
Seiten, und der Schlitten flog daher
wie ein Pfeil.
Die Marie rief ihm von weitem
höhnifch zu:
,,Willi, drems’, bren:f’!'«
Der Willi bremfte nicht« Er fuhr
über den ersten Graben, über den
zweiten Graben, und jetzt tam er ans
Kreuz wo wir alle standen. Ich zit
terte halb fiir den Willi. Alles ver
stummte auf einmal. Der Willi ließ
fliegen und flog durch die Lust, ich
achtete darauf und fah, er hatte ge
wonnen. Er setzte auf und fuhr
glatt weiter auf voller Bahn mitten
im Weg.
Aue riesen: «Bravo, bravo!" At
len voran die Marie.
Jetzt sah der Willi zurück und lä
chelte. Aber in diesem Augenblick
verlor er die Gewalt über den klei
nen Schlitten, die gefährliche Kurge
hatte er Passiert; aber da unten stand
eine uralte Linde links am Weg,
dort war nur eine kleine Kurbe. aber
zu spät —. Uns allen stockte der
Atem, mit voller Gewalt suhr er ge
gen den Baum, der Schlitten zer
schellte und der Willi blieb wie tot
liegen.
Die Mädchen schrien aus, und ei
nige verhüllten ihr Gesicht. Wir
Knaben aber rannten so schnell wie
möglich hinunter.
Willi blutete aus einer Wunde an
der Stirn, sonst war er leichenblaß
1·nd lag wie leblos da.
Jeder wollte helfen, und die Mäd
chen kamen hinzu, und alle redeten
durcheinander; aber« wir waren alle
völlig ratlos. Einige meinten, er sei
tot; andere behaupteten, er lebe noch;
alle hatten wir großes Mitleid tnit
ihm, aber niemand wußte, was an
zufangen sei.
Da trat die Marie hinzu. Sie
hatte ein schönes gehäteltei Kot-stach
aus weißer Wolle. Sie band es.
ab und band es dem Bewußtloxen
nni hals und Kon sie wischte im
mit einem Taschentnch das Blut
aus dem Gesicht, und dann stand
sie aus. Alle waren jetzt still· Sie
war leichenblaß, so blaß, wie der
Willi selbst, und halblaut sagte sie
zu einem:
»Geh Du zum Arzt —- schnell,·«
fügte sie hinzu. ·s
Der ging
Zu einem anderen sagte sie:
»Geh nach Hause zu meinem Va
ter, er soll mit einein Wagen kom
men.«
Auch der ging. Ein Mädchen
schickte sie zu Willis Mutter, sie
mußte aber sagen, es sei nicht so
schlimm
»Wer kann etwas hergeben, das
warm ists-« fragte sie jetzt lese.
Ueberileider trugen wir nicht, aber
jeder konnte etwas hergeben, der eine
die Mütze, jener die Handschuhe, der
dritte ein Halstuch, einer zog sogar
seine Jacke aus. Die Marie verwen
deie alles und bettete den Willi weich
und warm in all die verschiedenen
IKleidungsstitckr. « - ·
,,Stellt Euch alle ganz nahe her
um,« sagte se dann, »daß es ihm
nicht zu talt ist.«
Das taten wir. Und so woll
ten wir warten, bis der Arzt und
ein Wagen aus dem Dorfe lamen
Es kam aber vorher ein Knecht
mit einem großen Holzschlitten, der
in den Wald fahren wollte. Auf
diesen Schlitten luden wir sorgfäl
tig den Willi. Er rührte noch im
mer tein Glied. Jch setzte mich ne
ben ihn und fah ihm immer in das
Gesicht.
Niemand wußte, daß wir die Nacht
vorher ums Kreuz gefahren waren,
und ich sagte nichts, um so mehr
machte ich mir im Stillen Vorwürfe.
Jch glaubte aber nicht, daß er tot
sei und sah immer auf seine Augen
und dachte, er muß die Augen wie
der öffnen.
Langsam glitt der Schlitten über
den Schnee. Die anderen Kinder
gingen alle hinten nach und spra
chen leise. Der alte Knecht achtete
vorn auf die Pferde, und selbst die
Pferde schienen mitzuempfinden, daß
sie eine traurige Last zogen; sie sent
ten die Köpfe und gingen stiller als
sonst.
Mich beschlich eine namenlose ·
Angst, und mit feuchten Augen fah
ich auf das blasse Gesicht; denn viel
leicht öffnete er die Augen doch nicht
mehr
Aber er öffnete sie einmal, lang
sam öffnete er sie, und er sah mich
erstaunt an. Jch atmete auf; er
wollte den Kon heben, aber er konnte
nicht, es mußte ihn schmerzen. Ich
sah, wie seine Lippen sich bewegten,
und ich hielt mein Ohr an seinen
Mund.
Mit laum oernehmbarer Stimme
sagte er:
»Ich bin doch —- umg —- Kreuz
gefahren-«
! Ein mattes Lächeln spielte um
seine Lippen, dann schloß er die Au
gen wieder und öffnete sie an dem
Tage nicht mehr.
» Zur Gesundung tam er ins
HStädtlein in das SpitaL und von da
lszog er mit seiner Mutter fort. Un
sgefiihr ein Dutzend Jahre später traf
ich ihn wieder. Die Marie hatte er
längst vergessen, er fragte nicht ein
mal nach ihr. Er war ein sonniger
Mensch geworden, und wir erzählten
uns die Geschichte, so wie ich sie hier
niedergeschrieben habe.
Afskiqnnische sqlladh
; iAnz den isvcocrscisischen Etlcbnisscn dci
Renticrg Leim-recht Schmidt·)«
Ich bin (2ie sehn «a«) Angeln-nd,
Yscddo zweelnmdcrtsnsfzig Fund;
iUn lebdc lang" (Sic wissan fas«
iJn dunkeln Lerddcsrl Afsrigm
Un wie ich einst spazieren geh«
LVeritrhn Er mich) bei DnhomeL
Asa nützt isic alt-um's wohl etwa
nich)
Ae Dutzend Nein-r los uf mich.
Die schleppdrn mich twns sann da sin)
Türctdcmang zum Gcenig hin.
Gaum sah dcr isctnises meinen Speck,
Du war er vor Entzickcn weg
Un (hcecnse) sprach mit Zäynellabbem
Das gibt n gaben Sonndngshabvenl
Un scixve mich so srcindlich an,
Wie mer (nu ähnu nnk seixen gann.
Un alle, ringts åtieiieh jajaa)
Die standen glei ifalls seixcnd da.
sUn wie sq alles 's Maul verzog,
»Da Hei-nie. yecrnx) scixt' ich noch. —
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Wer, gonnnt mer’n so, noq fei et ann,
Das is wcesz zcnappiy ii ganer annl
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Den mach« mer nutzbar un ern tande. .
Un ehr ä Mon t-nou«vekstrjch,
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So gehst noch heidxz manchem Ranu
Wenn elegant er seixen sann