Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 03, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Äu- ijhäakn ]
werden-Ketten
Mem von W feilen-ich ’
(13. Fortsesungx
«Ach« ich meine nur« es macht mir
so den Eindruck, als wenn et gerate
seht einen guten Freund recht nötig
hatte, ver ihm einmal ins Gewissen
redete.«
«Wieso? Waruin2«
»Es geht so mit ihm nicht weiter
sehen Sie nur einmal her.«
Sie össnete die Tür von einem
iieiiien Schrank und holte daraus eine
große Flasche hervor, vie mit einer
wasserhellen Fluisigteit tauni noch zur
Hälste gefüllt war.
»Das ists«
«Schnaps ist es, gnädiger Verr«
Jeden Tag muß ich die Flasche sullen
lassen, mitiinter sogar zweimal. Da
bei richtet er sich doch zugrilnde!'«
»Nun weiß ich, wonach es hier im
Zimmer riecht. Jch habe mir den
Kopf bereits darüber zerbrochen.
Treibt er es aus Diese Weise denn
schon lange?"
»Nein, va§ ist« es ja eben. Erst
seit ein paar Wochen. Er ist über
haupt so merkwürdig, so zerstreut
und sahrig. Ein Glaschen hat er so
zwischendurch auch sriiher schon ge
trunken — du lieber Gott« ein
Schnapschen in Ehren soll niemand
verwehren. Aber so wie jetzt —- nein!
Und wenn ich was dagegen sage, be
hauptet er, es wäre nötig, weil er ei
nen schlechten Magen hätte.«
»Die Kur dürfte wohl etwas ge
waltsam sein. Aber ich« —
Wenn Rillner gewünscht Bitte, in
Franto Wohnung allein zu bleiben,
· so erstand ihm jesl in Klein-Annchen
eine unerwartete Helferin. Das al
leingelassene Kind erhob ein so lautes
Geschrei, dasz Frau Berler mit einer
sliichtigen Entschuldigung sosort ent
eilte.
Rittner schloß die Tlir hinter ihr,
die sie nur angelehnt gelassen harre.
und sah sich noch einmal genau im
Zimmer um. Die halbleere Flasche
war aber oas einzige Bemerteniwerte
darin. Die hob er hoch und niste.
.Suss aus Verzweiflung —- das ist
meine Diagnosr. Dein schlechter Ma
gen diirsle wohl im Gewissen schen.
guter Freund.«
Er hörte zu seiner Freude Klein
Anncheu immer noch schreien und be
nuhte die Gelegenheit, unt auch in die
nebenan liegende Schlastammer einen
raschen Blick zu wersen. Sie war
noch diirstiger eingerichtet als das
Wohnzimmer, und nur ein paar ele
gante Anzüge, wie sie ein Schauspie
ler nicht entbehren konnte, stachen —
ossen an einem Kleiderbord hängend
—- von der Umgebung ab. Mitten
darunter sah Rittner einen scheinbar
schon viel getragenen, aber noch ganz
ansehnlichen Pelz und einen braunen
wäscht-un
»Da feid ihr ja,« fagte Rittner Und
berührte den Pelz wie zur Begriifzung
mit einem Finger. Auf der Heim
fahrt nach der Befreiung hatte Bruno
ihm alle Einzelheiten der Andachts
griinde dargelegt, feine Tracht am
fraglichen Abend beschrieben« die Zei
ten rer verfchiedenen Begegnungen ge
nau feftgeftellt. Und hier fah Rittner
nun zwei wichtige Requisiten fiir die
vermutete Vertieidung vor Augen.
Pelz und hut waren mit Brunos An
zug in der Dämmerung des Abends
leicht zu verwechfeln. Mittel zum
Schminten lagen auf einem kleinen
Tifche vor einem Spiegel — in die
fem dürftigen Raume war der Dop
lgänger Diiringers mit Bühnentiins
en geschaffen worden.
Ritkner ging in das Wohnzimmer
zurück nnd fpionierte auch hier wieder
ein wenig umher. Als einziger Ge
genfiand erregte noch eine Schreib
rnappe feine Aufmerifamteit. Sie
war fehr abgebrauchi und lag auf
einem Schreibtifch aus Efchenholz, der
zwifchen den beiden Fenftern fkand.
Ein gebrechlicher Spiegel hing dar
iiber an der fchmalen Wand. Als
Ritiner einen Blick in die Mappe ge
worfen hatte, bewegte fein Kopf fich
anmutig hin und her. Diefe Marpe
war stumm, sie verriet keine Geheim
ni.ffe. Die an den Rändern einge
ri fenen Blätter darin sparen mit ei
nem o dicht verwobenen Nr e von
Schri ifpuren ilberzogen, daß e ne fafi
einheiiliche fchwarze Fläche darauf
lag. Entweder mußte Franc fehr
viel zu fchreiben haben oder das Löf -
papier mußte feit langer Zeit ni i
erneuert worden fein.
Mismuiig mufterie Riitner Blatt
filr Blatt, ob nicht irgendwo trotzdem
einzelne Worte zu erkennen feien, doch
kam er bit an die allerlehte Seite,
bevor feine Hoffnung sich erfllllir.
Hier ioar das Papier bei weitem nicht
gafehr gefchwiirzt, und am unteren
nde war fogar eine freie Fläche ge
blieben, auf der ein paar Worifpuren
deutlich erkennbar waren. Rafch er
griff Hiitiner die Mappe und hielt fie
sei den Spiegel, um den Spuren fo
womöglich Sprache zu verleihen· Und
wirklich fingen dort im Spiegel ein
paar Worte zu klingen an, unerwar-»
teie, hier im Zimmer eines Verbre-.
chers fremdaril iiberrafchende Worieu
.Oeliebt —- gelebt —- ge« — Ritinerl
flihlte sich feltfam ergriffen von denl
unverinuteien Tönen. Diese einzelne
Silbe am Schluß, dies in der Mitte
durchgerissene Wort llang ihm wie1
ein Schrei, der in der Dunkelheiis
verhallt. Ein Schrei, der die lehrens
seiten Regungen einer verlorenen
Menschenseele klagend in die Nacht
hinaujrust. Es war ihm, als wenn
er den verworfenen Bewohner dieses
lTiiamnes neben sich am Schreiblisch
!sihen sähe, ruhelos das Papier mit
IWorten bedeckend, in denen er, der sich
Ileinem lebenden Wesen ossenbaren
darste, seine Not. Angst, Verzweif
lung nnd seltsamerweise — auch eine
leidenschaftliche Liebe dem toten
Siosse vertraute, um dann plötzlich
anszuspringen und rasch zu vernich
ten, was er geschrieben hatte. Die
drei Worte oerrvirrten Rillner, ver
schoben das in Gedanken ausgemalte
Bild von dem, der sie geschrieben
hatte, weckten ein leises Gefühl des
Mitleids in seinem lbergen, gegen das
er sich wehrte.
Frau Becken die das Kind wieder
ans den Arm genommen hatte, kam
jetzt abermals zu ihm herein. Er
zwang sich, sie mit einem Lachen zn
degriiszen und sagte: »Die-sinnt war
der Jrrtucn aus meiner Seite. Jetzt
leben habe ich den Brief des Herrn
yranr noch einmal gelesen und ge
funden, daß er mich erst auf morgen
vormittag destellt hat. Jch hatte den
Tag oerlesen. Also hat mein Warten
heute keinen Zweck. Seien Sie so
gut, meine Karte dem Herrn Frani
zu übergeben und ihm zu sagen, daß
ich morgen wiederkommen würde.«
Dabei zog er eine Visiteniarte her
oor, die Frau Becker in Empfang
nahm« schien sich aber noch nicht gleich
von Klein-Annchen trennen zu tön
nen, sondern begann aufs neue mit
ihm zu tosen. Zwischendurch tat er
die Frage: »Herr Frani soll ja ein
sehr tüchtiger Schauspieler sein« Er
studiert wohl immer, wenn er zu
Hause isk2«
»Ach, gnädiger Herr, das ist sehr
verschieden —- das mit dem Zuhauses
sein und mit dem Studieren. Gewiss,
er tut ja wohl seine Pflicht und spielt
auch sehr gut, aber immer nur tleine
Rollen. Und manchmal kommt er
ganze Nächte nicht nach Hause, dass
ich ihn schon öfters ansgescholten
habe. Die lesie Zeit ist es auch bes
ser geworden. Jch meine« s
»Was meinen Sie?« fragte Ritt
ner, da sie zögerte.
»Ich meine, daß er seszt ein Thra
:erstiia schreibt. Er has einmal ge
sagt, mit einem Stück lief-e sich noch
Geld machen. Und jetzt sitzt er oft
stundenlang am Schreibtisch und
schreibt. Wenn ich h2-einkomin:,
k:nppt er ingner die Manpe zu, daß
:ck, nicht sehen soll, was e- ist« Aber
et muß wohl keine so leichte Satis
;em, das mit dem Stiicttchreibeti
Denn immer oerbrensit er wieder,
was er geschrieben hat. Jch sinke
morgens oft eine Menge rerbrannteå
Papier im Ofen da, wenn ich ihm
Feuer mache«
»Ja, ja, ich glaube geen, daß di:
Sache nicht leicht ist. taber nun muß
ich wirklich gehen. Werts-essen Sie
meine Karte nicht, Frau Beaer.««
Sie versicherte, dass alle-: pünktlich
ausgerichtet würde, und viittner ging
nach zärtlichent Abschied oon ver
Kleinen« die mit ihren sisnderhiind
chen in sei-sen Pelz griff.
Langsam ftieg Rittnee die knar
tende, steile Treppe wieder hinunter
und sagte vor sich hin: »Dein Stuei
tiirfte soohk eine Tragödie werden«
« - ·
Auch am Sonntag schien ein
milde Frithlingssoiine, und ein
schmaler, stellgoldeiier Strahl ritt
ihrem Licht siel in das Arbeitsziniasei
tes Herrn Staatsanwalts Lune
mann, der hier —- es war dreiviertel
aus els Uhr vormittags —- dein sic
ttzeitontmlssstr Breiinert gegenuvei
iasz. Dieser hatte sich can entschul
digt, daß er am Sonntaci föry tier
Staatsanwalt aber läu«elte iesi
menschenfreundlichett »- Ljchtln und
sagte: »Das macht aat nichts. At
miissen unsere Pflicht im Dienste der
Gerechtigkeit am Sonntag wie am
tulltag tun. Und ich bin außerdem
sehr neugierl aus Jhren Bett-it
Sie haben nich gebeten, Ihnen sur
tie Verfolgung einer neuen Spur in
Sachen Ktineivta freie Hand zu
lassen, bis ein endgültiaee Resultat
erreicht wäre. Das habe ich getan.
Jn Jhreni heutigen Kommen ader
dars ich wohl den Veto-it erblicken,
dasz tatsächlich ein greifbares Resul
tat seht dorliegt."
»Das tut es, Herr Staatsanwalt
Jeh war es meiner Ehre :chuldig« vtr
Sie hintreten zu lönnetu Eine var
gesasite Meinung hatte assch ansanag
vom richtigen Wege aokimntt Jch
gestehe das rissen ein und tiserde mir I
;als Lehre dienen iassen.«
s «Tun Sie daz, mein ich-r Bren
;ttktt.«
! «Schon seit meiner Hausiuchung
Ibeim Regierungsrat am Duringer
war mein Glaube an seine Schuld
tin wenig erschüttert. Aus pshcholoi
gischen,Grilndeii. Der heie Staats
anwalt haben die dort gefundenen
Briese von ihm an seine Frau —
oder vielmehr an seine Braut —- ja
erlesen. Jn ihnen war tin so tiefes
Gekiihl sitt sie, ein so -t.ichdrilttliches
At eiten an sich selbst -— ich lonnte
mir nach dein Lesen der Briete diesen
Mann alt Mörder nicht inehr vite
siellen.« ’
»Gauz recht, ganz richtig.«
»Da latn ein glückticher Zusall.
Ein junger Mann meldle sich bei
nir, der den Regierungsrat lurz nach
tem Morde gesehen sparen wollte
Ganz entfernt von seiner Wohnung
in einem ganz anderen Stadtteil
Und er ber chtete zu meiner Ueber
raschung, dieser angebliche Regie
rungsrat have sich atn Wall in email
leeren, offenen Bausiauppen zu schaf
sen gemachi."
«Sonderbar!«
»Mein erster Schritt trat naturiLch
zu diesem Schuppen. Ich halte das-i
Gefühl, daß ich dori etwas Finden
müßte, wenn ich aucks selbst nicht
wußte; was ich erwartete. Und ich
lade gesunden.'« -
«Lassen Sie sehen,« sagte der
Staatsanwalt; Brennert hatte un
Sprechen einen in Papier gewickelten
Gegenstand hervorgezogery den e: nun
von seiner Hülle besteitr.
»Dies ist ek. Ich fand ell an einein
Nagel, der aus der inneren Schap
xienwxnid vorsprang. Ja der Daniel
heil und Eile muß du sogenannte
Regierungsrat mit ein«-m Tuch an
dem Nagel hangen gediieben sein«
torbei dies davon los-is
»Ein Stück von nimn groben,
weißen Stoff —- und ixier ein gelblich
roter Flecken darnusi Sagen Sie,
Brennen, auch die Ersnordete hatte
koch« — s
»Gewiß. Herr Staatsanwalt auchi
am Ltermel von ihrem Fiteide wars
ein Flecken oon genau derselisens
Farbe. Die Aehnlichkeit ergab sichs
inir aus den ersten Blick. Wir wag-s
ten auch, daß die Spur von
Schmiiite tierriihrtez dat- hatte und.
der chemische Sachverständige ausein«
aiidergesegn Aber oon den eigent-;
ischen Kunsten und Feinheiten der»
Schininte hat auch er keine rechte
Kenntnis gehabt. Jn sie hat mid
erst ein anderer Sachverjtiiiidiger ein
geweiht, an den ich mich damals tei-«
der nicht gleich gewandt habe, den nd
nun aber, ioeit meine )iisrnbinntion:i.
mir den Weg zu ihr-i iviesen, ixiort
befragte-« I
.Wer war ist«
»Der Theatersriseur. Und er hat
mir Ausschliisse gegeoeii die meet
ioiirdig zu meinen Iris-ji ausgetauids
ten Bermutungen stimmten. Danach
tind Schminten siir "oe.i Teint von
Männern und Frauen in der Farbe
sehr verschieden voneinander. Die
Teintschminte sür Männer ist er
tkehtich dunkler, ost auch gelblicher-,
bis ins Biiiuiiche hinein — so wie
der Fieaen aus dem Lappen hier.«
»Das ist interessant und mir neu."
»Die Spur aus oem Aerinel oei
Ermordeten tonnte daher auch nicht
von einer Schminte stammen, die sie
seiost benutzt hatte, wie wir fsiitschtich
annahmen Es war Männer chmiiite,
isnd die tiuneivta mußte fiak damit
resteat haben, ioiihreno sie ich mit
irhoberein Arm gegen ihren Mörder
iiehrtr. Der« Mörder mußte dein
isach in einer Muste, in einer Ver
tleidung zu ihr gekommen sein — alt
Doppetganger des Regierungs-kais
ron Duringer.'«
»Briioo, oraoot Die Sache tcheint
mir zu stimmen.«
»Sie stimmt, Herr Staatsanwalt
Als ich i-«-.t in dein Schuppen, den
Herr von Düringer betreten baden
sollte, diese Schniintespur fand, fuhr
es mir gleich wie ein Blitz durch die
Gedankens ein Doppelgäiigeri«
»Sie werden sich erinnern« daß ich
gelegentlich schon mit Ihnen bis
Frage besprach, ob nicht eine Aehn»
itchteit uns irregeführt hätte. Auf
den oledanlen solch einer künstlich
hergestellteii Viehnlichleit bin ich aller
dings nicht getominen.«
»Ich auch nicht früh genug ·
leideri Die aiiffallenden, scheinbaren
nnd ioirtiichen Widersprüche in den
Aussagen des Herrn N ierungsratj
machten mich so mißtrauisch gegen
ihn, daß ich allen anderen Erklä
.ung"oversii-.hen oon vornherein ov
lehnend gegenüberstand Mein Miß
erfolg anx dieser Spur war eine ver
diente, a er saiinerzliche Leltion für
mich.«
»Sie werden aus ihr lernen, und
somit erfüllt sie auch ihren Zweck
Riin aber iveiter.«
»Der Gedante lag nahe genug, daß
nur ein liollege der Schaulpieirrin
sich solch eine Berileidung erdacht
satte. Wer oon diesen Kollegen
öfters bei ihr verkehrt hatte, iouiiken
wir. Die Zahl war sa nur tlesri
Der alte, dicke, von einer eiferfiichtigen
Frau bewachte Oberregisfenr Stiqu
ler blieb wohl von vornherein ius
dein Spiel. Der Eharaltersvieles;
Marconi war am fraglichen Abends
in einein Konzert ali- Deilarnatdss
ausgetreten, toniire demnach auch nichts
in Frage toniiner.. So blieb nur noch
ter Chargeaspielcr Fraun Wenn es
n.ir möglich war, einen Zeugen zu
ermitteln, der ihn an senein Abend
nni die zutreiieiide Zet in seinem
Haus oder davor auf der Straße in
der fraglichen Berlieibung erblickt
hatte, dann war er überführt. Solch
einen Zeugen hab’ ich gefn.iden;
gestern abend ist es mir gelangen
»Ein Bäcker, der irn Nebenhaase wohnt
nnd unt drei Viertel an; acht Ubr
gerade in der Tiir stan , bat ihn
gesehen. Der wirkliche Regierungs-l
rat aber ist bis zehn Minuten vor
acht Uhr zu hause gewesen; es kann
alio nur der Schauspieler gewesen
Isein.«
»Und nun?«
»Nun möchte ich um einen Haft
befehl bitten, damit mir dieser
Schurke nicht mitwijchl.«
Eilig nahen de: Staatsanwalt ein
Blatt Papier und griff zur Feder
Haflig flog jre darüber hin.
»Hier haben Sie den Befehl. Und
machen Sie schnell, daß Ihrem klu
gen Vorgehen det Lohn nicht seyn·
Aber nehmen Sie ein paar handfeite
Männer mit — es sit Vielleicht nötig.«
Mit eiliger, stumme-: Verbeugung
empfahl sich bei Kommissar-. — —
Elf Uhr schlug es, als Meiner das
Haus betrat, in dem Der Schauspieler
wohnte. Sein Herz klopfte nun doch,
indem et die Treppe hinunjtieg averl
der sein« szcihe Vorsatz, den Freund
aus einer unmündigen und qualenden
Lage zu befreien, uverwand jede Re
gung von S;i1wäche.
Daß Rittner Franc nicht mit ab
solut sicherem Beweis des Mordel
ubersuhren tonnte, war ihm beiousztz
er hatte sich aber in der illachi einen
Trick ausgedacht, uni ihn durch Ueber
raschung zu tioerruinpelm Wenn er
Ihn. aus den Kopf zusagte, daß er
sezbsl ihn ani fraglichen Abend in
der Berileidurg des Regierungsrat-Z
gesehen habe, dann war sein Spiel
moglicheriveise gewonnen. llno er
hatte sich, beooi er ins Haus trin,
noch genau dessen unigeoung be
trachtet, uiii durch Lotalsaroe seiner
Lage Wahrscheinlichieit geben zu
toiinei:.
»Die braunen Türen an dein lan
gen Vorplatze waren alle geschlossen,
als titittner ihn vermi. irr zogerte
noch einen Augenblick dor dein Cin
gang, der Franks Visitentarte zeigte,
uiid schopfte tief Atem. Dann hov er
die Hand und tlopstr. Das »Ve«einl«,
das ihm antwortete, tlang heiser und
rauh. «
Nun trat er ein und befand sich
dem Mann gegenüber, dein in den
lehren Tagen all seine Gedanken ge-’
goiteii hatten. Was er vor sich sah,
ioar eine menschliche Raine. Von
tiefen Fluchen und Schatten ioar da
bleiche, bartlose Gesicht erflilltz blau-J
liche Ringe lagen um die geroleten
Augen. Eine ganze Geschichte oon
Schuld, Verzweiflung, Trunk und
Angst war udzulesen aus den der
ioitierten Zügen. Als Franc auf
siand, um seinen Besucher willkom
men zu heißen, riß ein Taumel ihn
Heim-aus« und mit Anstrengung nur
gewann er eine festere Haltung. Die
Parid aber, die er zum Gruß erhoben
hatte, zitterte in der Lust; es war die
Hand eines Winter-, der die Herr
,chaft über seine Glieder verloren hat.
Starler als am Tage vorher tvar
auch der Schnapllgeruch iin Hannierz
die Flasche, die tltitmer bereits kann
te« stand mit einem Wasserglas dane
ben auf dem Schreidlifche. Sie ioar
beinahe leer.
Uin die dargebotene Hand nicht
ergreifen zu müssen —- es cvidi rsiaiid
ihm, einen Mann, dein er als Feind
gegenubertrat, se zu begrüßet —
liess Nittner schnell einen Handschiih
fallen und biiclte sich, um ihn aufzu
heben. Auch der andere machte hof
lich einen Versuch, ihm behilflich zu
sein, doch er taumelte wieder wie vor
hin und mußte sich am Tisch halten,
der vor deiii buntgebliimten Sofa
stand.
»Ich war aus Irrtum gestern schon
hier.« sagte Rittner. Sie werden
meine Karten betomntcn haben.«
»Gewiß, Frau B—Becler hat sie
mir gegeben.«
Ein trinterisastes Ausstoßen hatte
Frau Vetters Namen in seinem
Munde in zwei Stücke gerissen, doch
chien er sich des tierischen Lautes zu
chämen. Ein leichtes Rot kam aus
sein graues Gesicht, und er fügte mit
tl1rerer, biihnenmäszig geschulter
Stimme hinzu: «Bitte, wollen Sie
nicht Plan nebuien?«
Rittner sessie sich schweigend. Er
beabsichtigte, Franc die Eröffnung
des Gespräches zu überlassen. Der
zupfte mit seiner zitternden band ein
wenig an der gelblich-weißem mit ei
nem Rosentranz bedruaten Tischdecke,
die seine Wirtin dem erwarteten dor
nehmen Herir zu Ehren ausgelegt
hatte. Dann begann er mit seiner
tiinstlich veherrschten Stimme zu
sprechen.·
»Sie haben mir geschrieben coe
gen einer Wohltätigkeitsoorstels
lang« —
»Verzeil)en Sie, der Ausdruck war
von mir ein wenig anders gewählt.
Jch schrieb von einer Wohltätigkeits
veranstaitung.«
,Diirste das nicht dasselbe seini«
»Doch nicht. Jch beabsichtige keine
Wohltätigteitsoorstellnng zu arran
gieriea, tvie Sie vielleicht geglaubt ha
ven. Und ich bat Sie auch nicht als
Schar-spielen sondern als Mensch,
mir oehiislickr zu sein.«
»Jch verstehe Sie nicht ganz-"
»Ich werde deutlicher sein. Eine
Wohltat gedenle ich allerdings zu er
weisen, aber nicht einem öxsenllichen
Institut, eineut Kranken aus« ei
ner Blindenanstalt oder derglei en,’
sondern einem einzelnen Meers enJ
einem alten Freunde von mir, den
Sie zufällig auch kennen, den Sie·
auch sogar einmal Jhren Freund
genannt haben. Jch spreche doni
Regierungsrat Bruno von Dürins
ger.«
Jrant hatte sich gegen das Lichts
gefest, so daß er mit seinem Gesicht»
im Schatten blieb. Rittner sah des-s
her nicht fein Erbleichen beim Klange
dieses Namens. wohl oder ein schreck
haltes Zacken wie ooii einem eleitris
schen Schlage, das durch den ge
lchiviichten ziorpei des elenden Men
schen die-hinnen
«Diiringer — ja, Düringer. Jch
weiß, ich habe geleien."
»Daß er unschuldig oerhaflel war,
wollen Sie sagen, und jetzt wieder
aus der Haft entlassen worden ist.
Jch ioar in der angenehmen Lage,
keine Freilassunij erzwingen zu lon
U(1..«
»Sie?«
»Hu meiner großen Freude, ja
Die Zeitungen have-i mich allerdings
nicht genannt; ich hatte darum gede
ten. elder Diiringer iii frei gewor
den durch mich Denn ich vermochte
kein Alidi zur Zeit des abscheulichen
Mordes im Ihrer friiyereii eiollegiin
der Schauspieierin Luni-via, durch
eioliche Zwange zu beweisen. Wen-il
ich damals am seloen ildend nicht noch
eine Auslandreise angetreten hätt-, Iol
l
weite das natürlich gleich geschehen,
und alle oie Ylot wäre meinem
Freund erspart gedlieden.·«
Die zufammengetriimmte rechte
Hand Fraan die any dem Tische
lag, dedle fo liarl, daß man das
Illiikschlagen der Fingeripitzeii your.
Beinahe klang es wie das- Klopfen
des Totennnrmes in morschem Holz
»Nun wiu iel Ihnen auch sage-n
worin die meinem Freunde zu er
weisende Wohltat benetzt Er idird
seit Jahren oon einem Erpresser ve
drängt und ist so töricht gewesen,
immer wieder Gelddpfer sue die
sen Menschen zu dringen. Ich möch
te Sie nun singen, ob Sie bereit
find, inir gegen diesen Erpresser zu
helfen?'
Irnnt versuchte zu lachen. doch
klang es mehr ivie ein istöchelir »Ich
Sie sragen sonderbar — ivie sollte
rsenn ich« —
«Bei der nahen Beziehung, in der
Sie zii diesem Erpresser stehen, dürs
ten Sie doch roth einigen Einfluß
auf ihn haben.«·
»Ich verstehe Sie nicht, mein
Herrn«
»Dann ninß ich noch deutlicher
werden« Sie selbst haben jahrelang
das doin Gesetz init wenig angeneh
iiieii Folgen bedrohte Vervrecheri der
Erpressnng an Ihrem früheren
Freunde degnngen. Jch have die
Briese gelesen, die das seidenen Die
Briese sind vorhanden und tönnen
jeden Augenblick deni Gericht innige-»
den werden "
i
i
?
(
Frniit lachte wieder sein röchelnsJ
des Lachen, während immer häusige-"
re Zuckungen, die teine Willengtrast
unterdrücken tonnte, seinen gebroche
iien Körper sihiilteltm Sein Kopf
begann zu zittern wie der eines ganz
alten Mannes
»Sie sind ein nnterhaltender
ein tluger Herri Sehr uiiierl,altend,
sehr tlugl«
»Ich danke fin das Kompliment,
biiie jedoch uin eine suchlichere Ant
wort. Wollen Sie die Geiieigiheit
haben, diesen Nieders, in dein Sie sich
verpflichten, meinen Freund mit An
s,-ruchen jede. Art in Jutunst zu der
schonen, gleich aus der Stelle zu un
terschreileiit«
Mit einem Ausgeboi ooii a::e1· ihm
noch gebliebenen Engerie richtete
Frant seinen vebenden Körper sur
einen Augenblick hoch aus.
»Nein!'«
«’.Itein?«
—
»Nein Mensch soll mich dazu zwin
gen, tein Mensch taiin mich dazu
zwingen. Sie sind ia so tluw Sie
wissen ja so viel« Er streckte seine
zuckendeii hände aus und trallte sie
zusammen, als wenn er etwas Un
sichtbares damit paate und festhielte.
»Dann iniissen Sie es auch wissen,
dnsz ich ihn fest und sicher yalte in
diesen meinen Händen«
»Wirtiich?«
«Jaivohl. Denn ich weis-, voii ihm,
daß er ein Mörder ist."
«Sie snd ein wenig hart in
Ihren Augdriicten Es ivar tein
Mord; es idur ein Totschlag aus Not
wehr.«
»Und wenn es das war —- seine
Ehre. seine Stellung sind rettungslos
verloren, sobald ich spreche.'«
«Sie werden aber nicht spre
chen.«
«Wissen Sie das gewiß?'«
»Ganz gewiß. Denn wenn Sie es
täten, würden auch wir uns erlauben.
zu sagen, was wir wissen. Jn der
seloen Stunde noch ersuhre die Pon
zei, wer die Schanspielerin Fiunervta
ermordet han«
Frant antwortete nicht gleich;
seine teuchende Brust teimpsie uni
Lust. Dann sprach der zischend und
rauh.
»Sagen kann man viele5.'«
»Mitunter auch beweisen. ilnd ein
eigentümlicher Zufall hat mich nicht
nur meinen teund am Abend oom
neunzehnten ebruar begegnen las
sen, wodurch ich imstande war, ihn
zu entlasten; er hist auch Sie mir
am selben Adend in den Weg geführt,
wodurch ich imstande bin« Sie zu be
iasten.«
«Wirtlichi«
«Allerdings. hier Ihrem hause
geseniiber befindet sich, ivie Sie wis
Jen werden, ein Sattlerladen. Jch
tause gern in solchen alten, kleinen
Geschäften, weit man dort sicher ist,
teiiie moderne Schundwaren zu be
kommen. Dort hatte ich mir silr
nieine Reise noch eine neue handh
iche getauft und nahm sie gleich mit.
Als ich aus dein Laden trat, offneie
sich hier iin Hause im selben Augen
dlick vie Tür, und Sie kamen ber
aus. Jn der Maske meines Freun-»
des, mit Pelz und braunem Pliiichs
inn. Sein weiicht hatten Sie iu gut
nachgeiihiiii, wie Sie es vor Jahren
in Nürnberg gelernt haben. Als icy
ihn —- bder Sie vielmehr — fah.
rief ich seinen Namen, aber es fuhr«
gerade ein Lastivagen vorüber, und.
Sie hörten mich nicht und gingen ei
lig die Straße hinunter. Ich hatte
noch eine Beiorgung in anderer Mich
tung zu ni.icheii, hatte auch nieinemi
Freunde schon am Vormittag Leb
ivohl gesagt — io ließ ich mich durch
die Begegiiuiig nicht weiter aufhanl
irii."
»Sie würden eine hübsche Rolle
spielen in einein Zauderniiirchen mit,
Ihrer Allgkgenwart.« «
»Verniu:iich. Aber hier handelt
sich's nicht uiii ein Zauberi;iärcheii.
sondern nni ieyr wirkliche, in gewis
feiii Sinne grauiiime Tatsachen. Und
um ganz nui dein Boden der Tann
chen zu bleiben, ivill ich Ihnen anri
dies noch sagen. Jch habe keine be-.
Iondcee Neigung, mich zum freier-illu
geii Geheiniagemcn der Polizei zis
iiiacheii Die mng selber seyen, wie
sie fertig ivird. Jch werde nur«
met-n Sie iisich durch Eigeniinit dazu
zwingen, der Polizei ooii nieitier Be-;
gegiiuiig mit Ihnen Mitteilung ina
cheii. Hinrichtiingen find nach inei
iier Ansicht immer bruial und gestv
schwieer Ich trage nicht gern zu
solch einem Schauspiel bei. tlnd —
iinier uns gesagt, Herr Frant — ich
glaube, dasz siir Sie das Leben eine
weit härtere Strafe ist als der Tod
Auf Ihrem Gesicht hibe ich das ge
lesen, gleich sit-z ich ins Zimmer lriit.»
Sie haben ein Wesen getötet, das,
zur Freude der Menschen erschaffen
mar, Sie haben ein Lächeln ge-»
inordet, das wie Sonnenschein leuch-«
tete.«
viittner sah ihm scharf ins Ge
sicht, ivayiend er den legten Sah mit,A
vesoiiderg eindringlicher Belonung,«
mit einein Verweilen aus sedeni Wor
te sprach Und er sa:;, das die Hing-,
des anderen sich in einer Weise ver-«
zerrte-i, die sie taiiin noch menschlichs
erscheinen ließen; gleichzeitig wurde«
sein ganzer dkdiper ivie von Fiel-er
schauern geschrittelt. selber das gras
.ichste war· daß er nun versuchte, sein
ooii Angst und Verzweiflung Herrn-.
senes Gesicht zum Lachen zu zwin
gen. llnd iuirllich tani ein Lachen
nuS seiner Brust, so dumpf und hohl,
als idena es aus einein Grabe her-.
oordriinge, während es ausrief: »Ei
ne schön erdachte Geschichte —- schön
ausgedacht, ivat«:!huftig!n Doch das
Lachen erstielte plötzlich, das Gesicht
ver-zerrte sich zu fassurigsloseni Wei
nen, Tränen stürzten ihin aus den
Augen. Er warf oie zusammengew
genen Arme auf den Tisch, preßt-» den
skopf darauf und ries: »Ein Lächeln
geworden das tote Sonnenschein
leuchtete —- sa, Ia, sa, ich hat-« es ge
tanl Jch have sie geliebt, geliebt, ge
liebt — und ich have sie getötet, weil
ich sie liebiet«
Sein yeuleiides Weinen klang durch
deii stillen Sonntiiginurgen Nittner
sah init einein Gemisch von Mitleid
und Elel auf den ganz gedrocheiien
Menschen, der sich nun aufrichtety
ren Kopf niit aufgestützten Armen
hielt und leise vor sich hinmurineltg
während noch immer die Tränen ihin
aus den Augen stürzten —- halli ein
Bild ooii echter, Verzweiflung hald
von tiäglicheni Trinteeelend.
»Nun ist er heraus —- ist ausge
sprochen —- ist gut. Sehr gut, sehr
gut. Ich wäre daran erstickt. Es
hat mich getotiegt, wie meine Hände
sie getoijrgt haben. Jch hätte mich
aus die Straße hinstellen mögen Und
es lnut bernugschreietn m, ich hnb’
es gettinl Jch habe die halbe Nacht
hier gesessen und hab’ es aufgeschrie
ben, wieder nnd wieder, wie gren
zenlos ich sie geliebt habe und wie
das Gransen mich schüttelt, weil die
Tote nun immer bei mir ist mit ih
rem verzerrtem durch meine Hände
lverzetrten Gesicht Geschrieben hob«
;ich und verbrannt —- geschrieben und
verbrannt, um es losznwerden Aber
sich bin es nicht losgetoorden — nie
»nnrls nieman losgeworden!"
; Er brnch wieder in das heulende
’Weinen ans. Rittner schob seinen
iStnhl ein wenig zitriickz er konnte
sden Fuseldnnst nicht nicht ertragen,
Ider den Weinenden umschwebte gleich
seiner Wolle. Drch überwand er
seinen Widerwillen und sagte: .Se
ben Sie wohl, es tut gut, seinem
Herzen Lust zu nmchen.« s
iSchluß folgt-)
--.-——
—- Unverdrssste Antwort.
Lehrer: »Was fiihrt der Jäger int
mer mit sich?«
Karlchrru »Meine große Schwe
ster«.
—- Kin der m n nd. Häuschen
smit seinem Pap» an einer Schenne
vorübergehend): »Papa, werden die
Männer nicht furchtbar müde von der
langen — Flegelei?«
—- Eine Verwechsluan
ausgeschlossen sotelgast (znm
Hansdiener): »Vertnn chen Sie mir
aber meine Stiele nicht!" —
»Ganz ansgeschlcssenx die anderen
haben alle ganze Sohlen«.