Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 26, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-blast de
Skaaks —«Anzeiger und Wer-old
—-——.-—— —. —-—
. zitlk ginxysgånsr.
ichs Gsschschke Mk
Berlin-)
CEine engl
Jhr tönnt mich alle miteinander
ruhig auslachen: aber es ist mir wirt
lich ein wenig schwer ums herz. Seit
vierzehn Tagen schon wandelt ein
Schatten neben mir, ver sich nicht
bannen läßt. Und weil ich doch nicht
von den dummen Gedanken loskomme,
will ich darüber reden. Will mir vom
Herzen schreiben, was mich hedriickt
nnd verfolgt. Für mich selbst wird
es vielleicht eine Befreiung. nnb der
Leser lacht mich am Ende weidlich
ans. Dann haben wir alle beide etwas
davon.
Also: es handelt sich um Sieglinde,
Hartmute und Gildrun die Graue.
Es handelt sich um meine drei
tiriegsgänse Ihre Stunde hat ge
schlagen. Ich tann sie nicht mehr ek
halten«
Als ich sie erwarb, blühten hie Jn
nirolen. Als ich sie erwarb, sproßte
aller Ecken nnd Enden das Gras, und
der sette Löwenzahn wucherte dazwi
schen so üppig, das; es zum Ver-zweifeln
w.1r. Wenigstens siir Gartenhesitzer.
zslcn überhaupt der Garten! Man
mertte eH ihm an, daß schon lange
Krieg war. Er war ruppig und strap
pig geworden; es tonnte ihm wirklich
nicht viel schaden, wenn ein paar Gän
fe nach Herzenslust darin weideten.
Sie empfahlen sich nach Lage ver
»
Dinge aus wirtschaftlichen Gründen
. .. man versteht, ohne daß ich weiter
darüber rede. So ein paar gntgemii
stete Vögelchen werfen auch über die
fettiirmste Zeit noch einen freundlichen,
sagen wir: »schmalzigen« Schimmer.
Außerdem bin i ein Unruhegeist,
der immer etwas eues haben muß.
Und ich wickle persönliche Neigungen
mit Vorliebe in allgemeine, wirt
schaftliche, sittliche oder sonstige geist
nnd herzbetvegende Gründe. Es macht
sich gut, lostet rein gar nichts und
verleiht dem Vergnügen ideelle Un
terlagen.
Doch ich will nicht abschiöeifen und
bei den Gänsen bleiben. Hochgelobt
ver Tag, an dem sie erschienen! Etwas
mager, zerzanst und kümmerlich wal
schelten sie an... bei-armen von der
weiten Reise ans Galizien, halb ber
durstet und von Zweifeln geplagt,
wag das Geschick iiber sie beschlossen
hätte. Sie wurden von der ganzen
Familie erwartet und feierlich in
Empfang genommen. Liebe Güte, seit
zwanzig Jahren wohnt man nun in
oder bei Berlin; nur als Sehnsucht
anb» Sonntagsheimweh lehrt die
Erinnerung an die Kleinftadttindheit
noch manchmal zurück, und wäre der
Krieg nicht getommen, der die ganze
Welt auf den Kopf stellt, so hätte ich
wahrlich nicht im Traum daran ge
dacht, mir jemals Viehzeug zu,halten.
Nun aber packte mich doch die Rüh
rung. Es schien mir, als läme das
Land meiner Kindheit zu mir oder
schielte mir seine Boten: eben die drei
watschelnden, schnatternden, durstigen
Fremdlinge, die in unsere Kultur ihre
angestammten Naturlaute brachten.
O, sie sollten et- gnt haben!
Wir haben sie also zunächst be
nannt. Da war eine kleine chnees
weiße: die war besonders mager, aber
sie hatte gleichzeitig etwas sähe-l und
Festes. Jch will hoffen: nur im Cha
rakter, nicht im Braten. Sie sollte
nach meinem Vorschlag hartmute
beißen. Denn, sagte ich, sie soll uns
immer daran erinnern, daß wir har
ten Mut und die Zähigleit des Durch
haltens haben müssen, wenn wir be
stehen und das Ziel erreichen wollen.
Die zweite war stolzer und schöner.
Sie hatte etwas Edieö und Schwa
nenlfafieiL Auch sie war schneeweiß,
nur unten, vom Beinansac angefan
aen bis zum Flügel, zog sich ein
schwärzliches, sehr distret wirtendes
Band. Sie trug es wie den Hosen
dandordem :«Vonny soit qui mal y
»t-eiife. Diesen trefflichen Vogel, sprach
ich zu den Meinen, wollen wir be
sonders ehren. Er soll uns Verhei
fnmg des erfehnten Sieges sein. lind
im Herbst, wenn Sieg und Frieden ja
hoffentlich da sein werden« soll Sieg
linde uns den Fest· und Jubeibraten
abgeben
«Biieb noch die dritte, die Grauet
Es machte S wierigieiten, sie tref
fend zu benam en. Sie stand abseits
von den beiden andern, unbeteiligt,
wie das Geschöpf einer anderen Rasse
und spähte gleichsam sehnsüchtig in
die Ferne, als warte sie auf etwas
zeominendet. Da haben wir an Gad
run, die einsam harrende, gedacht
Auch die Alltteration war hübsch
Gudeum die Graue. G war im Ge
gensatz zu dartmute und Sieglinde
ein mehr neutraier Name. Später
stellte sich übrigens heraus dasz Gad
run die bissigste war.
Es ist ja möglich, daß ein ländli
cher Leser diese drei Namen höchst
preztöd finden wird. . . wie sagt man
auf deutsch? Sagen wir: geschwollen!
Aber das liegt in der Zeit; ich lann
heilig versicheru, daß die Gänschen,
die mit meinen Mädels zusammen in
die Töchterschule gehen —- nein doch,
ins Lyzeumt —, noch ganz andere
Barnamen haben. Man wagt schon
gar nicht mehr danach zu sragen; man
tammt sich immer halb beschämt dor,
wenn an einem semmelblonden Marte
chen irgendeine genialsverkiictte Ett
lette baumelt.
Da bin ich wohl schon wieder ans
Ums und Abwegen2 Ach, ich glaube,
es geschieht instinktiv, ich möchte das
Leben meiner Gänse mit allen Mit
jteln derliinderm An Stoss fehlt es
lmir nicht; ein ganzes Buch könnte ich
mit den Taten, Meinungen und Er
’lel)nissen meiner Kriegsvögel stillen·
Ader es fehlt mir an Futter-. Der
IFuttermangel beschleunigt das ditiere
?Ende. Und ob ich mit Menschen- nnd
mit Engelszungen redete —- einmal
musz ich doch den Schlußpuntt machen,
und einmal blin das scharse Mes
ser. hartmute, du wirst deinen harten
Mut bald brauchen; Sieglinde, du
wirst den siegreichen Frieden nicht
mehr erleben; Gudrun, du wirst bald
nicht mehr harrend in die Ferne
spähen!
» Was Wunder, wenn da noch ein
mal die Erinnerungen um die Zeit
’treisen, die wir gemeinsam verlehs
ten!
Mit welchem Ungestüm habe ich
mich daran gemacht, einen Stall fiir
die rotbestriimpften Gäste zu bauen!
Ein halbes Dutzend alte Biißerliften
habe ich im Schweiße meines Ange
sichts in ihre einzelnen Bretter zerlegt,
um das Gebäude zu errichten. Immer
wieder ging die lustige hätte in die
Brüche, trotzdem mein Nagelverbraiich
ins Ungemessene stieg. Aber als die
Glocken Feierabend läuteten, hatte ich
eö geschafft. Jch gebe zu, daß ein
Tischler verschiedenes daran aus-use
ten gehabt hätte. Das ganze Ding
Zwar. unter uns gesagt, hervorragend
iwindfchief ausgefalleu. Mast begriff
nicht recht, nach welchen Gesetzen es
sich eigentlich aufrecht hielt. Es ge
hörte viel Wohtwollen und Liebe da
zu, um es als Gänsestall zu erkennen.
Schon hörte ich das Hohngelächter
meiner Freunde, als mir ein genia
ler Einfall lam. Es war das Ei des
stolumbus. Jch dinfelte die Bretter
nämlich bunt und fröhlich an und
gab den Kindern Auftrag, die Glock
chen ihrer abgelegteii Hanipelmänner
an allen Winkeln iind Ecken zu befesti
gen. Seitdem wirtt der Stall nicht
mehr dilettantisch-lomisch, sondern
’verbliiffend. Er ist nicht nur- lustig,
Her hat beinah Eigenart und Stil ge
wonnen. Weshale Weil ich tiihn mei
ne Not zur Tugend und mein Un
vermiigen zur Eigenart gestenipelt ha
be. Das Rezept dazu gewann ich aus
der neueren Literatur. Und unter der
Bezeichnung «Gefliigelheim im chine
sischen Stil« ist mein Gänseftall nun
gerader eine Sehenswiirdigteit.
Die hauvisache blieb, daß meine
Tdrei Vögel sich darin auch behagten.
»Ich behaupte mit Stolz, daß dies der
iFall war. Jeden Morgen, wenn ich
mich mit dein Futteraan blicken ließ
ierhoben sie ihre Stimmen zu einein
’ohrenbetiiubenden Konzert. Jede hat
te mir etwas Fu sagen; jede versuchte
die andere zu überschreien; jede be
mühte sich, ihre seelischen Regungen
möglichst vernehmlich auszudrücken
Jn die hellen Fansaren von Sieglini
de tönte der Paß von Gudrun, wäh
rend hartmute sich mit zäher Aus
»dauer in einer Mittellage bewegte
Nach dieser ftürmischen Begrüßung
gab es dann eine kleine Frühstücks
paufe, während der ich meinen drei
Gesellinnen das. Bad rüstete. Da ich
teinen Teich im Garten habe, so pfleg
te ich große Abwaschwannen auszu
ftellen, nnd es war ein Hochgenuß, mit
anzusehen, wie Cieglinde das hosen
bandordengefchmüclte Bein hob und
über den Rand fort in die gefüllte
Wonne glitt. Erst gründelte sie ein
wenig, dann bog sie ihren töstlichen
Hals zurück und ließ ihn über den
Rücken rollen. O, man muß das gese
hen haben! Man muß Zeuge dieser
natürlichen Windungen und Bewegun
gen, Zeuge dieser Anmut der Linien
gewesen sein, um meine Begeiftecung
zu würdigen! Es ift völlig ausge
schlossen, daß wir Menschen jemals
etwas Aehnliches zuwege bringen.
Der dritte Programmpunkt war ein
nemeinsamer Morgenspaziergang.
Täglich nach dem Aufstehen pflege ich
im Sommer durch meinen Garten zu
lustwandeln, die Zigarre im Munde,
die Hände auf dem Rücken und das
weise haupt in abgrundtiefen Ge
danken leicht gebeugt. Schon vom zwei
ten Tage an fühlten meine Gänse das
«·.—·——I-«-«—».- « , .-—-..--- —.-. ...«,..-- —,.-«..,.·,»·» .
Bedürfnis, sich mir anzuschließen. Es
war offenbar ein Vertrauensbeivei5,
den ich nicht wohl ablehnen konnte
Jn der nach ihnen benannten Marsch
att wirtschelten sie bedächtig hinter
mir her, Sieglinde, Hart-mite, Gad
run, eine hinter der Anderen, und ge
nossen die Morgensriihe in gleichem
Schritt und Tritt. Blieb ich stehen, so
hielten sie; ging ich weiter, so folgten
sie, und wahrscheinlich um den ten
ren Pfad, den sie mit mir wandelten,
auch später wiederzufinden, ließen sie
in Abständen Merkzeichen fallen.
Glückliche Tage! Noch war der
herbst weit; noch huschte lein Schat
ten iiber die Seele, die sich im Ein
klang mit der Natur und allen ihren
Geschöpfen befand; noch sproßte rings
um das nabrhafte Grün in reicher
Fülle. Aber ein iluger Mann baut
vor. Und als der Hafer eingefahren
wurde, strich ich unter der Miene des
lässigen Spaz"ergäitgers die Land
straßen entlang nnd sah nach dens
töstlichen Aehren empor, die von den?
hochgetiirmien Wagen an den Zwei-i
gen hängen geblieben waren. Es tams
mir zusiatten, dafz ich in verklunge
ner Schulzeit ein trefflicher Turnerz
gewesen war. Jch darf ohne Ruhm-s
sucht sagen, daß meine Leistungeni
im Hochsprnng sich auch jetzt noch!
sehen lassen können· Die Bäume tön-»
nen davon erzählen — die Bäume, an
denen ich nach dem hänqenden Hafer
eniporbupptr. Ach, wäre ich der einzi-.
ge gewesen! Aber der halbe Ort hat
te sich Kriegögänse angeschafft, und
selbst Geheimrate a. D. singen ver
zweifelt zu huppen an. Sie waren
schon zu steis; es ging nicht mehr.
Da stöckelten sse mit icheuem Seiten
blick auf die Stoppel-i und nahmen
gleich Ruth, der schönen Ehrenleserin,
das wenige mit, was die Hunger-har
te übrig gelassen hatte. Ja, wir Städ
ter haben die lieben Gottesgaben erst
1916 so recht schätzen gelernt.
Mein flügelschwingendes Kleeblatt
ahnte nichts von den Anstrengungen,
mit denen ich seinen herbstlichen « uts
tervorrat einhamsterte. Ich bin an die
Dörser gewandert und habe die älte
sten laut-wirtschaftlichen Verbindun
gen ansgesrischt; ich habe mir von
heinz eine Tüte voll haser scheuten
lassen und Kunz heimtiiclisch durch
eine Zigarre bestochen, mir ein Pfund
abzulassem Jch habe geschnieichelt und
acheuchelt; ich habe ungezählte Meilen
aus Schuster-H Rappen gemacht, bis
ich mein Ziel erreicht hatte, bis aus
dem Päckchen ein Säckchcn, aus dem
Säckchen ein praller, stattlicher Sack
aeworden war. Dickbäuchig, stramm,
altenlos stand er da, meinem Herzen
ein Wohlgefallen und allen anderen
Tierhaltern des Ortes eine Quelle
unendlichen Neide-. Heißt das: wenn
sie den Sack gesehm hätten! Aber ich
habe ihn schnmhast im verschlossenen
Kleiderschrant verborgen. Mit jedem
Körnchen geizte ich« nnd erst als der
frühe Frost einsetzte, mußte ich wohl
oder übel mit meinen Schätzen her
ausrüctecr.
Ja, es ist Herbst getoorten. Aus
den Gartenwegen raschelt das Laub,
und wenn Sieglii de, Hartmnte, Gad
run mit ausgebreiteten Flügeln von
weitem aus mich zufahren, wirbeln
im Lustzug ihre Schwingen hunderte
von Blättern auf. Der Herbst hat
mich immer schon traurig gemacht,
aber noch nie so wie in diesem Jahre.
Denn mit Riesenschritten naht das
unabwendbare Schicksal. Der chinesi
sche Stall ist siir die kalten Nächte
nicht eingerichtet, selbst die Birnmel
aliiclchen können darüber nicht hinweg
täuschen. Gudrun hat bereits einen
Itatarrh Schlimmer noch ist es, daß
der Satt immer saltiger und schlasser
wird. Er stritt in sich selbst zusammen.
Ich tann mir ausrechnen, wann sein
Grund erreicht sein wird.
lind dann? Ach, ich wage gar nicht
daran zu denlen. Aber es nützt doch
alles nichts! Jch fühle, daß in dem
rohen Busen der tröchin Mart-gedan
ten leimen. Jch selbst habe mit einem
Lächeln und einein Scherz eine schüch
terne Andeutung gemacht. Es war
Galgenhutnor, dirs Lächeln war
kränklich. O, ich sehe ja alles ein; ich
sehe ein, daß es nicht möglich ist«
meine drei Freundinnen durch den
Winter zu bringen; ich sehe ein, baß
ich ein unbrauchbarer Mensch bin, der
es nicht verdient, Gänsebraten zu es
sen. Aber man tann sich halt nichtl
umtrempeln. Und ich habe einen gross
seen Schwur getan, niemals wieder
Schlachtvika zu hatten. s
Seit Wochen griible ich, wie ichs
meine Drei erretten kann. Die Unruhes
treibt mich mitten aus der Arbeit auH
Phantastische Pläne wurden ges-ists
lund verworfen. Jch habe die tägliche;
sffuttermenge verkürzt, ukn aus diese«
Weise das Leben der Getreuen zu
verlängern. Gewiß, sub specie aeterni
ist es wohl gleichgültig, ob sie eine
Woche länger des Lichtes sich freuen,
aber ich halte diesen Standpunkt für
falsch. Man muß sich in die Seele der
Gänse versetzen. llnd mit dem heiligen
Franz von Assisi möchte ich in einein
warmen Gefühl die Arme ausbrei
ten: »Meine Schwester, die Ganöl«
Es ist jaininerschade, daß ich dieses
Gefühl nur in Menschenlauten aus
drücken tann. Da verstehen es meine
Kriegdvögel nicht. lind wenn ich mec
ne Liebe ihnen in saßbarer Gestalt
zeige, indem id- ihnen ein Uebermasz
nabrhaften Haerg verschütte, dann
beschleunige ich ihr Ende. Jst das
nicht geradezu ein tragischer Konflilt,
würdig, von einem Dichter geformt zu
werden?
Einmal schien ein kurzer Lichtschein
in mein Seelendunlel zu fallen. Es
waren nämlich Diebe an der Arbeit.
Im ganzen Ort wurde darüber ge
klagt. Da dachte ich mir heimlich:
Wenn nun die Giin e vorher gestohlen
würden? Der chinesische Stall wird
den Langfingern keinerlei Widerstand
entgegensehem Natiirlich würde ich
mich auf der einen Seite fchauderhaft
ärgern, aber auf der anderen würde
ich unfehlbar das Gefühl der Be
freiung verspüren. Mein Gewissen
wäre entlastet; eine Verantwortlich
teit tviche von mir. Doch wie das so
geht:: links und rechts haben die
Herren Einbrecher Gänse gemaust,
selbst aus festen Ställen, nur an das
Geflügelheim im chinesischen Stil hat
sich teiner gewagt. Vielleicht weil sie
hinter den Hampelmannglöckchen ir
gend welche Tiicke vermutetenl Was
weiß ich... kurz und gut, Sieglinde,
hartmute, Gudrun sind jeden Mor
gen bollzählig. Jhr Schicksal bleibt
auf mir sitzen.
Und nächster Tage muß es sich voll
enden. Schon stößt das Schöpsgesiisz
ans den Grund des Sacke-L Heute
nnd morgen werden ich den Futter
naps noch stillen können. Uebermor
gen nicht mehr. Jch werde übermorgen
eine dringende Reise nach Leipzig an
treten. Man versteht» ., ich muß den
vorstehenden Artikel in der Druckerei
persönlich torrigieren. Erst am Abend
werde ich zurückkehren Jin chinesischen
Stall wird es dann still sein. Nie
mals mehr wird mich das schmettern
de Triumphgeschrei der Rotbestrurnps
ten grüßen. Gespenstisch werden die
läppischen Glöckchen von dieser Miß
geburt aus Kistenbrettern und Dach
pappe biinmeln. Aber too sind die Ge
treuen, die hier Heimat hatten? Jch
werde nicht nach ihran Mörder fra
gen; ich will nicht wissen wie sie ge
storben sind. Jch will nur wissen,
wieviel sie wiegen. Und es bleibt fer
ner bei dem, was-« ich gesagt habe:
Sieglinde liefert den Festtagsbraten
zur Feier des Siege-s- und Friedens!
Wir »wecken« sie einsach ein, und
trenn die Zeit ersiillt ist, lassen wir
sie nuserstehen.
Mit einer Träne der Rührung wer
de ich mir dann die .steule aneignen,
iiver die sie so vornehin einst den Ho
senbandorden trug. Ach, der Mensch
hat rohe Jnstinite: sic wird mir gut
schmecken. Und jedem Leser, der nnd
nicht allzusehr auslacht, wünsche ich
von Herzen einen ähnlich angenehmen
Trommelstocil
—-.--—
jliie Wer-klomm
Ztizzc von Jlsc Oe Tromm.
Ueber die sastgriinen Frühlings
iviesen tlang vielstimmiges Glocken
liiutcn durch die blaue Luft, die so
wundersam tlar nnd hell war, dafz
Komtesse Graningen mit einem Ge
fühl tiefen Behagen-z anf die Schloß
lerrasse hinaugtrat und mit glücklich
lächelnden Blicken in das Frühlings
ivunder hinausträunite.
Aus dein Garten ströniten ganze
Duftwellen zu ihr hinüber —- blü
hender Krotus lugle neugierig aus
dein Rasen — und dicht gedrängt
standen Veilchen auf gutgepflegten
Beeten.
Komtesse Beate ging langsam die
weißen Sieinstusen hinunter. Jhr
Herz war erfüllt von Dankbarkeit
und Zuversicht. Wie eine neue trö
stende Verheißung war es iiber sie ge
kommen. Jhr Vater, den sie seit eini
gen Jahren aufopfernd pflegte, fühlte
sich heute frischer denn je — und der
Arzt, der täglich vorsprach, stellte des
Vaters Genesung für die allernächste
Zeit in Aussicht. Nun wollte sie ihm
einige duftende Ostergrüße auf den
Frühstückstisch legen. Er liebte die
Blumen unendli —- und hatte sich
besonders in diecfem Jahre so sehn
süchtig auf den Frühling gefreut.
Sie schritt über die hellen Kiesivege
— da hörte sie plötzlich ein heftiges
Schsuchzem nnd als sie hinter ein
Buschtverk spähte« fah sie ihre Jung
ser, die ihr Gesicht tief in ihrer
Schürze verborgen hielt.
,Aber was machen Sie denn, An
na? — Sie weinen? So reden Sie
doch! Es muß Ihnen doch etwas pas
siert sein.«
Das Mädchen blickte aus. Jhre
großen, tränengesüllten Augen mach
ten einen todungliicklichen Eindruck.
Jhr Mund zuckte so heftig, daß ihr
das Sprechen unmöglich war. Erst
als die Komtesse ihr gut zuredete,
beichtete sie ihren Kummer
»Ach— ich bin das unglücklichste
Geschöpf der Welt,« hab sie tiestraus
rig an. Beate Graningen lachte.
»Sie sind nicht klug, Anna. —- Sie
haben gar keine Ursache, unglücklich
sit-sein. —- Sehen Sie nur, welch’
ein herrlicher Tagi«
»Eben weil es heute so schön ist,
gnädiges Fräulein, da stillt es einein
doppelt schwer aufs Herz, wie einsarnl
und verlassen man is. « —- Sie wein
te wieder.
»Ich verstehe Sie nicht — Anna.
— Sie haben keinen Menschen im;
Krieg, der Jhnen nahesteht. — Den
ten Sie doch nur an alle die ander-is
Frauen, die heute in Sorgen um ihre
Lieben sind.
Das Mädchen war ausges prangen. !
»Ach, du gerechter Gott, gnädiges
Fräulein, mein Schatz ist doch sorill
Jch habe nur nicht davon gesprochenJ
»weil wir uns noch nicht verlobt ha«
ben. Jm vorigen Jahre —- es war
Ostern — nnd so schön wie heute
war es — da hat er mir gesagt, daß
er mich lieb hat —- und wenn jetzt der
sKrieg nicht gekommen wäre — dann
Die Komtesse war aufmerksam ge
worden.
»So? —- Ja, sagen Sie mal wer
ist denn der Glückliche?«
Nun lachte die Zofe.
»Mein Schatz ist dosh des Herrn
Barons Diener —" ,
Sie wies mit der Hand über die.
Erst hinweg, die sich silbern glänzend
dahinzog
Beate bekam Herzilopsen Drüben
wohnte Baron Bensdorf. —- Man
sah die Zinnen des Schlosses über die
Bäume des Partes binausragen
Mehle nicht eine Fahne vom Turms
Sie wandte sich ab. Jhre Nerven
täuschten sie. Der Baron war in der
Front — nnd seither lag das Schloß
leer und unbewohnt. —- Sie vergaß,
sich weiter um das Mädchen zu küm
mern und ging gedankenversnnien
vorwärts. Ein Singen und Klingen
umgab sie, und Blumendiiste umko
sten sie wie mit linden liebenden
Händen.
Beates Gedanken schweiften zurück.
Jm Borjahr war im Pakt von Gra
ningen ein Frühlingssest gefeiert wor
den. Die Osterglocken hatten damals
wie heute so feierlich-selig durch die
Lust getönt —- und über die blumi
gen Wiesen waren fröhliche junge
Menschenkinder geschritten, die sorg
los nnd glücklich in den Tag hinein
gelebt halten« — Und Baron Betts-.
oors hatte mit ihr getanzt nach den
süßen, einschmeichelndcn Melodien,
die irgendwpher erklangen — und sie(
hatte sich restlos dem Zauber des
Ostertages erschlossen und war bereit
gewesen zu seligem Schenken nnd
Nehmen. — -
Aber Baron Bensdors hatte nicht
gesprochen. Nur seine Augen waren.
seltsam tief und leuchtend gewesen;
—— so leuchtend, daß sie iinmersortj
hatte hineinschauen müssen. l
Vor einem Jahr! Wie anders lag»
heute die Welt! Fern tobten die!
Schlachten —- Leben oerbluteten,i
ioanden sich in tausend Qualen —i
aber hier lachte die Sonne —- sandte
Glanz und Licht und ließ Finsternis
und Schatten weichen. Die Blumen;
blühten wie einst —- nur schöner noch»
—- reicher, so schien es Beate — die
Erst plätscherte, als hätte sie ihren
grünen Ufern lange Geschichten zu
erzählen —- und die Lerchen jubelten
hoch im blauen Aether-, als sängen
tie ein neues und doch urewiges Lied
oon Frühlingshossen und Auferste
hung.
Die Komtesse trat aus dem Parl
heraus ans eine Wiese. Wie ein Mär
chenwunder leuchtete es ihr entgegen
—- in verschwenderischer Fülle bliihi
ten Schlüsselblumen unter ihren Fü
ßen· Sie wagte laurn ihren Weg fort
zusetzen, bückte sich und pflückte Blu
men, soviel ihre Hände sassen konn
ten. Sie schwelgte ordentlich in den
Blüten. —
Wie würde sich der Vater sreuenl
Damals hatte sie auch Schlüssel
blumen zu einem Kranz gewunden
—- und er, Baron Bensdors hatte
diesen in ihre haare gedrückt, sie be
wundernd angeschaut und sie die
Frühlingsgiittin genannt.
Wie deutlich jede Einzelheit in
ihrer Erinnerung erwachte! — Als
sei es gestern gewesen, und doch lag
ein Jahr dazwischen —-— ein langes
Jahr.
Sie schalt sich plötzlich, ioeil sie die
sen Gedanlen nachhing. Unwillliirs
lich trat eine heiße Blutwelle in ihr
Gesicht. — Wie töricht sie war! Ba
ron Beusdors war in den ersten
Kriegstagen zum leßtenmol sür einen
Augenblick aus Graningen gewesen,
um Abschied von ihrem Vater und
von ihr zu nehmen. —- Seine Augen
hatten in heller Begeisterun gestrahlt,
als er voller Zuversicht gesagt hatte
,,Wir werden siegen — und ich weiß,
daß ich wiederkommen werde. — Ich
muß kommen -—«'
Jhr Vater hatte freudig gelächell.
»Das ist recht! So geziemt es sich
einem Soldaten. Wenn jeder mit dem
unerschiitterlichen Willen zum Sieg
auszieht, dann kann Deutschland nicht
unterliegen.« —
Und sie, Beute, hatte mit zittern
dem Herzen dagestanden und in ihrer
törichten Mädchenhosfnung erwartet,
daß er jetzt von seiner Liebe sprechen
würde. —
Noch sah sie im Geist sein letztes
Winken s-— seine leuchtenden Augen
— Aber ihr Herz war still geworden.
Die Pflege des tranken Vaters hatte
ihr keine Zeit zum Grübeln gelassen
— und nur der unvergleichlich herr
liche Ostermorgen erweckte diese Erin
nerungen.
Sie schrak heftig zusammen. Das
Wiehern eines Pserdez hatte ihr Ohr
erreicht.
Am Parkrand stand ein Reiter, der
unverwandt zu ihr herüberschaute.
Ihr Herzschlag setzte einen Augen
blick aus.
War das nicht Bensdors —- an den
sie dachte? — Es mußte eine Holla
zination sie narren. Wie sollte er
hierher kommen? Unmöglich war-T
Aber winkte er nicht? Saß er nicht
ab vom Pferde, und band er es nicht
an einen Baum? — Kein Zweifel.
Durch den sonnengoldenen Tag kam
Bensdorf.
»Meine Ahnung betrog mich also
doch nicht. Jch hatte das ganz be
stimmte GefiishL daß ich Sie gerade
hier an dieser Stelle tressen mußte,«'
sagte er nach der Begriißung
Komtesse Beate war über und über
erglüht. Sie fand keine Worte. Die
Verwirklichung ihres Traumes war
zu iiberraschend gekommen, als daß
sie sich so schnell hineinfand.
»Ich habe einen ganz kurzen Ur
laub, Komtesse, den ich in der Hei
cnat verbringen darf.«
»O —- ich —- ich freue mich so
schr, Sie gesund zu sehen —
»Wirklich? Haben Sie an mich ge
dacht?«
Sie nickte.
»Ich habe mir Jhketwrgen soviel
Sorge gemacht,« sagte sie ehrlich.
Er führte ihre Hand an seine Lip
pen.
»Komtesse —« Da schaute sie frei
miitig zu ihm auf.
»Ja —- besonders heute, vorhin-—
waren meine Gedanken ganz bei
Jhneu. — Wissen Sie noch —- vor
einein Jahr?«
,,—- Da fühlte ich zum erstenmal
—- dasz ich Sie liebe, Komtesse —
aber ich hatte nicht den Mut, es
Ihnen zu sagen. — Hab’ mir da
mals, als ich in den Krieg zog, ge
schworen, erst Ihrer würdig zu wer
den. — Und wenn ich heute fragen
dars: — Beate —- willst du mein ge
liebtes Weib werden?« —
Sie schloß die Augen und lehnte
sich in einer Schwächeantvandlnng ge
gen ihn. —- Endlich blickte sie auf
»Dann antworte ich —- dasz ich
durch dich das seligste Weib aus Er
den bin!« —
Baron Bensdors zog sie innig an
sich und küßte sie aus die Stirn.
»Mein Lieb — nun erst ist mir
mein schönster Lohn zuteil geworden.
—- Zwei Kreuze half ich mir errun
gen — jetzt dich!« —
Beate betrachtete erfurchtsvoll die
schlichten Ehrenzeichim die ihn
schiniickten.
Nun wanderten sie über die blu
mige Wiese zurück. Der Baron band
Isar- Pserd ab und führte es neben
sich her. Der Waldboden war iibersät
mit zartglockigen Anemonen und
Veilchen —- und töstlicher Dust stieg
von ihnen aus.
—- Sichereö Zeichen-»Ich
bin glücklich, Emma liebt mich!«
»Hm sie Dir’8 gestanden?«
»Nein, aber als wir gestern im
Hause ihrer Eltern beisammen sa
ßen, zog ein Regiment mit klingen
dem Spiel vorbei, und sie ist —
»nicht ans Fenster gelaufen!« «