Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 05, 1917, Sonntagsblatt, Image 13

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    Ku- niugeu -
werden-Ketten
Inn-n von seiest sitt-also
is. Fortfeßung).
s Bei den Briefen hatten diese
lofen Blätter —- eg waren drei an der
Zahl —- sicher nicht gelegen, das
wußte sie bestimmt. Vielleicht unter
der Schubladet Ja, das war mög
lich. Sie lief auf ein paar seitlichen
Leisten, so daß darunter ein flacher,
niedriger Hohtranin entstand, ein gu
ter Versteck fiir Papiere, die verbor
2 ten bleiben sollten, wenn man sie fest
«-aus den Boden des leeren Raume-l
drückte und vorsichtig war beim Ein
führen der Schublade. Weil hedwig
hastig und unsicher dabei gewesen
war, hatten sie sich geilentmt und sich
so verraten.
Ein Versteck fiir Papiere, die ver
borgen bleiben sollten! Das war der
Gedanle, der Hedwig plötzlich wie mit
Fieberhisze durchstrdnitr. War hier
eine Lösung fiir das Geheimnis ihres
Mannes Lebens Sie mußte sich ei
nen Stuhl heranziehen und sich nie
dersetzen, so zitterten ihr die Knie.
Nicht Eifersucht oder Neugierde war
es, die sie trieb, die Papiere zu lesen;
ein unklar - hoffnungsvollei Gefühl
nur, daß aus der Enthaltung der
Wahrheit Segen leimen lönne sur ih
ren Mann nnd siir sie selbst.
Nun hatte sie die drei zerlnitterten
Briese — denn Briefe waren es, wie
sie gleich ertannte —- vor sich ans der
braunen, blanten tilappe des Selte
tärs ausgebreitet Sie zeigten alte
die gleiche, große, sltichtige Hand
fchrift, aber sie trugen verschiedene
Jahresphlem der eifte war schon acht
Jahre alt, ein zweiter um drei Jah
re jünger, der lexte war vor kaum
ebenso vielen Wochen geschrieben wor
den. Und er war aus derselben
Stadi, in der Düringerö lebten!
Dadherz der einsamen Leserin linkss
te noch gewaltsame: bei dieser Wahr
nebmung.
Aber lrohdeni bezwang sie sich und
hielt sich an die zeitliche Reihenfolge
der Briesr. Zuerst nun also der äl
:esie, der zugleich auch der längste war.
Er war aus Chemnin datiert lind
begann: »Weder Freundi« Hedwig
hov siir einen Augenblick den Kerls,
darüber nachdenlend. welcher Mann
oder welche Frau Bruno wohl so nen
nen ldnne. Sie wußte, daß er sehr
sparsam war mit seiner Freundschasl;
Rittner war der einzige, dem sie den
Ehrentitel eines Freundes im Namen
ihres Mannes ohne weiteres hätte zu
gestehen mögen. Dessrn Handschrift
aber war ihr bekannt, so selten er
auch Schristliches von sich gab, und
sie war in ihrer zierlichen« avgeziilels
ien Kleinheit völlig verschieden von
dieser hier. Une- eine Frau —- die
Kunewla vielleicht? Nach allen An
zeichen statninte die Schrift von Män
tierhand, aber immerhin, es ivar eine
Möglichkeit. Heowig hatte das Ue
siihl, als wenn eine Faust ihr den
Hals uinspannte und ihr den Atem
raubte —- sie saß.e das Papier an
beiden Seiten uno hob eg noch näher
unter das Lanipeniicht, iiin tein Wort
von dem zu verlieren, wag ihr Ge
wißheit geben sollte.
»Sie-Or Freund! Erschriei nicht,
tvenn » mich wieder an Dich wende
mit einer Bitte um Hilfe. Du warst
immer gut gegen mich, hast mir schon
ein paarmal aus gleicher Not gehol
sen, und ich hosse darum auch dies
mal aus Deinen Beistand. Kann ich
mich doch wohl Deinen ältesten
Freund nennen, der auch manches
aus Deinem Leben weiß, was anderen
veäborgen ist und verborgen bleiben
io ".
Einen tiefen, liesreienden Tilteinzug
tat H.-divig beim diesen dieses letzten
Satzes. Wein, er bewies, das-, teine
Frau den Brief geschrieben hatte, so
niit auch die Kunetvta nicht. Der
geheininievoile Beitlang dieser Zeilen
gewann erst nxich und nach Gewalt
ulier sie, während sie weiterhin
»Ich weiß ja, dasz es Dir nicht
ganz leicht sallen wird, iiiir auch dies
inat wieder ans einer derziveiselten
Lage zu l,elsen. Du veioniest in Dei
urin letzten Briefe, daß ein verheira
ieter Mann in erster Linie die Psticht
habe, siir Frau und Kind zu sorgen,
sein Geld also nicht siir einen leicht
innigen Freund opsern diirse. Ge
wiß« gewiß, Du hast recht, —- aber
wie soll ich inir helsens Der Teu
set des Leichtsinn-z ist nun einmal
mächtig in mir; ooii Vater und Mut
ter her bin i.h erblich belastet. Mit
Leichtsinn und Leidenschnitem die
niich über die Grenzen reißen, vor des E
nen ihr tnltdliitigeren Leute vorsichtig
tehrtinacht. Und ich habe niemand
sonst aus der Welt ein den ich niichT
wenden tönnte; Tit weißt, ich habe»
teine Verwandten mehr, stehe ganz«
allein. Du hast mir ineine Knrriere.
möglich gemacht, ich habe gerade jetzt
gute Aussichten. Zertriiniinere nicht,
was Du geschossen hast« hils mir noch
einmal! Jn vier Tagen rnusz ich eine
Summe zahlen, nie nicht tlein ist, ich
weiß ei gut genug. Zwölshiinrert
Mart sind es, die rnir nötig sind. Ab
solut. unweigerlich nötig, oder ich bin
ruiniert. Jch weiss es, Du kannst es;
Dein Gehalt ist ansehnlich. Du hast
Vermögen, Deine Frau kann man
reich nennen. Eine Haniburnerin —
dos genügt sa meistens« nin reich zu
fsein Du brauchst also nichts zu ent- .
behren wenn Du mir noch einmal
hilfst. Tit es, ich bitte Dich. Telesl
graphiere mir sofort, ob ich aus das
Geld rechnen tann Jch habe bis
dahin leinen ruhigen Augenblick»
Dein Q«
Liedwig ließ date Papier sinken.
Wer tonnte den Brief geschrieben ha
beni Vergeblich suchte sie umher mit
ihren Gedanten. Jhr Mann hatte
niemals von einein Freunde gespro
chen, dein er seine Laufbahn ermög
licht, für den er Schulden bezahlt
hatte, —- das wußte sie gewiß. Und
als Unterschrift in dem Briefe nur
ein Buchstabe, der ebensogut einen
Namen tvie einen Vornamen bedeuten
«lonr»ite Sie griff hastig nach dxexki
zweiten Briefe uni zu seyen, ob a ch
hier leine vollständigen Unterschrift
vorhanden fei, doch nur derselbe Buch
steibe gab ihr das gleiche, unlösbare
Rätsel auf. Und auch des Briefes
Inhalt verriet nichts Niiheres itber
den Absender.
Diesinal war er in Mainz geschrie
ben worden, die Handschrift war noch
flüchtigen uiideutlicher, die Freund
schaflsuberschrist fehlte. Unberinittelt
begann er: »Du willst mir nicht bel
fent Vergiß nicht« mein Lieber, daß
Du mußt. Jch habe Dich in der Haut-,
lind es ist mir manchmal ein Genuß,
iiber einen anderen Menschen solch
ein herrenrecht zu haben. Sträube
Dich also nicht und schiele mir die
tausend Mart. Mehr ist es ja dies
mal nicht als lutnpige tausend. Eine
Virgatelle siir Dich. Rettung siir mich.
Bis iibermorge erwarte ich das
thv«. NO
Auch hier als Unterschrift nur das
G» doch offenbar niit einer zitterndem
unsicheren Hand geschrieben. Atem
loo ergriff Vedivig das dritte Papier-,
das tauni nach ein Brief, nur ein ab
gerissener, beichaiutzter Zettel toar.
Auch die Schrift ioies deutliche Zei
chen immer grösierrr Verkommenheit
aus«
«Bis übermorgen das Geld, oder
ich sasse die Schlinge, in der ich Dich
halte, und ziehe sie zu. Wenn Du
mich zugrunde richten willst, so tn’s.
Mir liege nicht viel mehr an diesem
iurnpigen Leben. Seit einem Jahre
schon trage ich Gift in der Tasche —
die Schießgewehre machen inir zu viel
Spetiatel —, womit ich mir per Ex
preßzug ans dieser schönsten der Wel
ten helfen inmi, wenn es nötig ist.
Ich weiß es ja: Das Leben ist nur
ein Moment, der Tod ist auch nnr
einer. Aber vorher sollst auch Du
daran glauben, oerlasz Dich darauf·
Ein paar Worte von mir an »zu
stiindiger Stelle«, wie ihr Herren Be
amten so schön sagt, und eg isl aus
mit einein edlen Herrn Regierungs
rat nevsi allem, trag an ihm hängt:
niit Stand, Ehre, Namen, Wein und
» Kind. Glaube mir, ich war noch nie so
gestimmt, gegen Dich ernst zu machen
wie gerad; jetzt. Wenn Wahrheit
wäre, wag ich uis jeht mehr ohne und
fühle, alss Das; ich es weiß, wenn ich
wirklich durch Dich verlieren sollte,
was mir noch einen Funken Sonnen
licht in meinem dunklen Leben gewe
sen ist« rann —- iih werde sehen, werde
sehen! Ader hute Dich vor mir!
köchicie mir das well-, ich muß es
haven«'.
Aus diesem Zettel ioar eine Na
niensunierschrisi, nicht nur das w»
doch irar sie ein iziilegbnreit Getritzel
»das jeder cntzifferung trotzte Ded
wig beniiihte sich eine Weile darunt,
aber sie ionr zu ausgeregi, unt lange
dabei verweilen zu tonnen. Auch irnr
die Schritt hier toohl noch iibsichiiich
entste«iii worden, um unoerstanden zu
bleiben. Aber ioer die Briese auch
geschrieben haben mochte, sie wirren
sedensnlls von hochster Bedeutung. US
wxiren Drohbriese gesahrlichster Virt,
rson dringender iejitie zum rohen cr
pressericn inehr und iuehr gesteigert·
Nun nonjzte sie«.J: ganz in der Rahe,
ljter in derselben Stadt, gab es einen
Menschen« der ihres Mannes Geschick
in seinen Oanden hielt. Einen linde
tnnttten, oer seoeri Augenblick aus
der Duntelheit hervor ihn niederstrei
ten konnte.
Die Angst um ihn war das erste
Gesiihl, das hedioig packte, dann aber
ausging in einem Chaos widerstreiten
der Enipsindungen. Mußte nicht eine
schwere Schuld —- er hatte ja sekbst
von einer Schuld gesprochen — auf
ihrem Manne lasten, dasz er so wi
derstandgtoo in die Hand eines ande
ren Menschen gegeben wart Daß er
deni tlnretannteu oielsnch aus der
Not geholfen hatte, ging aus den
Briesen tlar hervor. Uin Abgeioies
seiier schreibt niiht immer wieder,
auch nach Jahren Und tver ionr
dieser Fremde, von dein Bruno nie
innlit init einer Silbe gesprochen hat
te, der unter der Maite der Freund
schnst begann, ihn zu bedrohen, ums
endlich das unvechiiute Gesicht eineit
grausamen Feindes zu zeigen? Das
war sie wieder, die todliche Angst um »
ihn die gemischt war mit einem tiess
sen, heissen Mitleid. Von allen Ge-’
stählen ionr doch dieses ani stärksten;
es tani immer wieder, oerdrängte die
anderen, überwand und besiegte sie.
Jeht wußte sie, dass eine doppelte Not
ihn bedrangte, und sie wunderte sich
nur« daß der Schlag, den der letzte
Brief androhte, noch nicht gefallen
war. Vor neun Tagen schon war er
geschrieben worden, und bisher war
die Drohung offenbar unausgesiihrt
geblieben. hedwig hätte es notwendig
erfahren müssen, wenn ei geschehen
ware. So haiie Brand verniietlich
auch das neue Gelt-opfre noch ge
bracht und ein uiiersäktlicher Ber
folger blieb auf feinen Fersen.
Aber vorläufig wire wenigstens erst
einmal Zeit gewonnen, die genützt
werden konnte. Doch ivie sie nützen?
Die Briefe gaben leinen sicheren »ein
halt, wer sie geschrieben hatte. Nach
sorfchungen allein an früheren Auf-«
enthalksorien ihres Mannes konnt enl
möglicherweise dies-n geheimnisvollems
gefahrlichrn Freund ermitteln. Wie
der übrrkaiii Hedwig das lähiiieiide
Gefühl, dass niemand ihr zur Seite
war, der ihr helfen nnd raten konn
te. Dnrfie sie der Polizei, dein Ge
richt tienntnis von diesen Briefen ge
ben, die Bruiio mit so seiner Sorg
falt verborgen hatte? Sie oeeneinie.
die Frage, so oft sie aufiauchtr. llndi
sonst war niemand, niemand, an den
sie sich wenden konnte in dieser Noti!
Sie grübelle, fragte derivarf tin-s
anfhorliciss ging hin und her stunden-!
lang und fand teiiien Ausweg. Die;
Llcaasi schritt vor, die Straßenlaters
nen, die der einsamen Frau niik einem
tröstlichen Scheine Gesellschaft gelei
stet hatten, wurdeiiqeloscht Eine iriis’
de feindliche Dämmerung lauerte
nun hinter den Fensterscheiben, die
anfingen, das erleischiete Zimmer und
Hedivigs bleicher-, verangsiigtes Gesicht
ioiderzufpiegelm so oft sie ruhelos
daran vornherschriii. Sie erschrak
vor sich selbsi, wenn sie sich so er-:
lblickte, mehr aber noch vor der Dun
kelheit hinter den Scheiben. Jii die
ser Dunkelheit lauerie ja der Unbe
taiinte, der neues Unheil auf ihren
Mann, aus ihr Lind, auf sie selbst
heradkiifeii tonnte Ue hatte zuletzt
ein Uefuhl ivie von seiner körperlichen
Nähe, nnd tnii ihr-i kain über sie eine
so iiainenlose Angst, daß ihr der Auf-«
enthalt in diesem Zimmer unerträg
lich wurde. Sie verbarg die Briese
wieder an dein Platze, wo sie gelegen
hatten, verschloß den Setretiir, iiahni
die Lampe und flüchtete sich, von
einein nervösen Gransen geschiiitelt,
iii ihr Schlafziiiiiner, wo fie setzt aiich
Elli gebettet halte. I
Die ruhigen Atemziige des in liess
fem Schlafe liegenden Kindes gabens
ihr ein wenig Fassung und Frieden
zurück. Sie legte sich nieder« ader je-’
desmat, wenn der Schlaf sie don ih-«
ren Gedanken erlösen wollte, fuhr sie
mit jähem Schrean wieder empor.«
Es war ihr gewesen, als wenn aus
der Dunkelheit hervor eine talie Hand
nach ihrem Herzen gegriffen hätte.
Und so durrywaaste sie die lange
Winternacht.
Der siinsle März war herange
kommen, Hedwigs Geburtstag. Er
wurde durch einen seltsamen Zufall
zu einem Tage der Ueberraschungen
—- und nicht nur fiir ste. Der erste,
den er so iiderraschte, war der Poli
zritommissar Brennerl. ’
Er war vor kurzem in sein Bu-?
rean gekommen, saß einigermaßen
mißmutig am Schretblisch, blätterle
in verschiedenen Allen Und begann
leise dabei zu pfeifen, was bei ihm
stets ein Anzeichen libler Laune war.
Ein schlichter-leg illopsen an der Tür
ertönte nnd wiederholte sich, obwohl
er ein tnurrisches ,,Oekein!" gerufen
halte, nach einer Pause noch einmal.
Das zweite ,,.-;)eretn!« des Kommis
iars erfolgte in einem Tone, der deln
Donner nahe verwandt war.
neun onnete sich ote zur zu einem
Spalte, der eben breit genug war,
nm einen wenig beleibten Menschen
hindurchschliipsen zu lassen, und eine
in der Tat sehr dürftige Männerge
statt schob sich schräg hindurch. Auch
als der Eingetretene, der die Tür mit
Lantlos bescheidener Vorsicht hinter
sich schief-« ein paar Schritte aus den
Kommissar zuging. bewies er die An
geivohnt;eit, sich in schräger Haltung
vortoärt5,ziisch.ebcii. Er war noch
sung. Mitte der Ztvanziger, aber
blast und adgehnngert toie Leute, die
bei lnnpprnt Gehalt immer noch Geld
aus die Sparkasse tragen. Volles
braunes Haar und braune Augen mit
weichem, nach einem Anhalt suchen
den Blick waren das einzige Hiibsihe
-an ihm.
Er preßte seinen braunen Filzhut
sester zwischen den hiindem als ihm
gut war, und schrat zusammen, als
der Kommissar ihn ganz gegen seine
sonstigen freundlichen Gewohnheiten
mit einem barschen »Was wünschen
Sie?'« begrüßte. Dann begann er mit
belegter, atemloser Stimme zu spre
chen; er hatte offenbar starkes Herz
klopfen
,,Ach, verzeihen Sie, habe ich die
Ehre, mit Herrn Kriminallommis
sar Brennert«t«
»An der Tür steht sa der Name.'«
»Ja, das ist tnir auch so vorgelom
men. Aber ich bin sehr kurzsichtig,
nnd es ist auch draußen ein wenig
dunkel. Und ich bin schon irrtiimlich
sälschlichertveise in ein paar anderen
Zinimern gewesen —- ich bitte sehr
um Entschuldigung.«
Brennert wurde beim Anblick der
großen Aengstlichteit seines Besuchen»
ein wenig milder und gewann all-l
mählich seinen tulanten Ton zurück.’
»Jeht sind Sie aber am richtigen
Platze. Womit tann ich Ihnen die-s
nen?" i
«Dienen —- Sie sind sehr gütig.
Herr Kommissar, aber um einen
Dienst tviirde ich Sie nie zu bitteres
wagen. ch bin legt nur hergetoinis
.nten, wel es mit seine Ruhe mehrs
iiej und weil ich in den legten drei
Nachten, mit Erlaubnis zu sagen,
laum ein Auge zugetan habe.«
»Schlaflosigteit ist eine sehr un
angenehme Sache. Möchten Sie mir
aber nicht sagen, womit ich Jhnen
dagegen helfen soll?«
»Ach ja, gewiß; verzeihen der Herr
Kommissar nur, wenn ich ein wenig
zu langsam bin. Jch habe das leider
so an mir. Auf dem Bureau, wo ich
angestellt bin, hat man es mir auch
schon öfters gesagt, und noch vor
zehn Tagen ungefähr hat mich der
here Regierungsrat von Diirins
ger« —
,,Diiringer? Sind Sie bei dem
beschaftigti Bezieht sich Jhr Kom
men auf ihn?«
»Ja, beides, beides, Herr Kom
missar; Sie haben das ganz genau
getroffen."
,,Haben Sie mir eine aus ihn be
zügliche Mitteilung zu machen?«
»Freilich, Herr Kommissar, Sie
haben es wieder ganz genau getrof
sen.«
»Und um was handelt sich’5?«
Brennert war, seit sein Besucher Dit
ringers Namen genannt hatte, ganz
Aufmerksamkeit und Spannung.
»Ja — zuerst möchte ich noch sehr
um Entschuldigung bitten, daß ich so
spät erst mit meiner Mitteilung zu
Jhnen komme. Zu Anfang wurde ja
in den Zeitungen bei den Berichten
über diese furchtbare Mordasfiire mit
der Schauspielerin Kuneiota der
Herr Regierungsrat gar nicht er
wähnt. Wir hatten auf dem Bureau
leine Ahnung, daß ihm irgendwelche
Unannehmlichteiten drohten, wer-n er
auch ein wenig blaß und angegriffen
aussah; wir dachten aber nur, er be
fände sich nicht gut, wie das doch
schließlich einein jedem passieren tann.
lind weil ich nicht glaubte, daß er
bei der schrecklichen Geschichte aus ir
gendwelche Weise beteiligt sein sonn
te, so bin ich auch gar nicht auf den
Gedanken gelommen, der Polizei von
meiner Wahrnehmung eher eine Mit
teilung zu machen· Jch bitte sehr um
Entschuldigung aber ohne Not sozu
sagen gehi man doch nun einmal
nicht gern aus die Polizei.«
»Das Weiß ich —- lktdet!"
»Gewiß, es mag oft bedauerlich
sein. Und es hat mir diese letzten Ta
ge, seit ich gelesen habe, daß man den
Herrn Regierungsrat in Hast genom
men hat, auch gar teine Ruhe mehr
gelassen. Meine Braut hat auch ge
sagt, ich müßte hergehen, und so hin
ich denn zu Jhnen gegangen, Herr
Kommissar. Helene — meine Braut
heißt Helene — sagte noch gestern
abend« —
»Steht Jhre Braut in irgendwel
cher Beziehung zu Ihrer mir zu ma
chenden Aussage? Sonst« -——
»Ja, wenn ich es mir genau über
lege: sie steht in gewisser Beziehung
dazu. Denn an dem betreffenden
Abend war ich gerade bei ihr gewe
sen.«
,,Wann war es? Um welchen
Abend handelt sirh’5?«
»Das ist es ja eben, Herr Kom
missar! Es war am neunzehnten
Februar, an dem Abend, als der
geäßliche Mord an der schönen
Schauspielerin vollbracht wurde. Ach,
ich habe sie auch einmal spielen sehen
und ich glaube« —
»Was haben Sie an dem fragli
chen Abend ival)raenoininen?«
»Ja, ich war also bis gegen halb
neun Uhr bei meiner Braut gewesen
—- liinger will ihre Mutter-, vie eine
höchst rechtliche Frau ist« es niemals
erlauben. Die Mutter hat eine tleine
Gärtnerei draußen in Olising, in der
Vorstadt, und ich habe einen ziemlich
weiten Weg dort hinan-sc Jch inbr
vaher immer zu Rav, unv so war es
auch an dein fraglichen Abend. Es
war etwas neblig, und ich fuhr in
einem gemächlichen Tempo mich Han
se· Wie ver Herr Kommissar wissen,
geht ja vie lange Steintorstraße von
Hüsing nach ver Stadt und treuzt an
der Stelle, wo das alte Steintor ge
standen haben soll, den Wall. Das
ist mein Weg. Ich fahre vie Stein
torstraße hinaus, biege linlsum in vie
Allee, vie aus Dem Wall entlang
läuft, mache rechtsum in die Breite
Straße hinein nnd bin dann balv bei
meiner Wohnung. Jch wohne nämlich
in der Oahnenstrcße Nummer nenn.
im Hinterhause im vierten Stockwerk
links beim Schneidermeister Schnevs.
Der Mann hat einen komischen Ra
men. aber ich bin« —
..Erlauben Sie einmal. Sie baben
mir bisher noch aar nicht gesagt, wie
Sie selber heißen-«
»O mein Gott! Jch bitte tausend
mal uin Entschuldigung. Das ist
meine schreckliche Vergeßlichteit, iiber
die Helene — meine Braut — auch
immer so klagt. Jch heiße nur Miit
ler, Arnald Müller, und bin seit fiins
Jahren Diätar bei ver Königlichen
Regierung. Das Gehalt ist ia nicht
groß, aber wenn man sich einrich
tet« —
»Bleiben wir vorläufig einmal ans
Jhrem Nachhanseweg in der Stein
torstraße und ans dem Walte. Haben
Sie den Herrn Regierungsrat bei
dieser Gelegenheit gesehen?"
»Alletbingö, Herr Kommissar, Sie
haben es wieder getrossen."
»We) war es?«
»Auf dem Walte, kurz vor ver
Stelle, tvv die Breite Straße von
ihm abzweigt. Jch fuhr vorschrifts
mäßig auf dem Naviahrtvege und
fhatte natürlich sinch iiiettte Laterne
' oorschristeiniißig angezündet. Sie hat
ein helles Licht, nnd wenn der Herr
sKoinniissat vielleicht selbst Radsiihier
- sind« —
»Freilich —- getoisz.«
»Dann werden Sie wissen, daß
der Fiihrer die Begegnenden bei dein
. scharfen Lichte sehr deutlich sieht. von
H ihnen aber wegen der Blendimg nur
; schwer erkannt wird. So ging es inir
« nnch an dein Abend. Neben dein Rad
sahreiwege läuft ja unmittelbar die
Kiisteinienallee fiik die Fußgcinger,
und wie ich so gemächlich dnhinsiihr,
da tauchte plötzlich nahe oor mir in
der Allee der Herr Regierungsrat von
Diiringer aus« Jch erkannte ihn ans
den ersten Blick, obwohl er den Krei
gen von seine-n Pelze hoch hinausge
schlagen hatte. Und ich griisite ihn
auch, wie sichs gezörn m muß e
aber gin- nicht gese en hnoen — we
gen der Bleitdung. Denn er grüßte
nicht wieder, oliniohl ei sonst iininet
ein höchst hembliissender. Ziehens-innr
digee Herr ist, nnd ging schnell an
niir vorüber. Und niiii" —
Er stockte und erneueiie mit net
vös bewegten Händen seinen Angiiss
aus den zusanimengepießteii Filzhut.
Brennert vliette niit scharfen, sor
schenden Blicken aus ihn·
»Und iinit3«
»Ach, Herr Kommissar, es wird
inir nicht leicht, es auszusprechen
Weil ich Ihnen ietzt ein Gestanan
machen muß. Und tvetiii ich iinch
» weiß, daß der Mensch iini ein schim
ches Geschöpf ist von Jugend auf-—
so die eigene Schwäche liiitt einzuge
stehen, und noch dnzn vor einein
Herrn von der Polizei, dtig wird ei
iietii doch schtver.'«
»Sprechen Sie ungenieit. Wie von
der Polizei wissen ohneries genug
oon der menschlichen Schwäche und
wundern uns nicht leicht mehr iiver
« ieaendlvas.«
I »Gewiß, gewiß, das lann ich mir
denlen. llnd ich muß es auch sagen,
weil Sie sonst vielleicht nicht verste
hen würden, wag ich an dem Abend
gemacht habe in meiner Torheit. Jch
s hin —- entschuldigen Sie, Herr Kont
missar s-— ich bin Nder ich war ein
wenig eisersiichtig ans den Regie
rungsrat«.
»Eisersiichtig?«
»Nicht etwa, daß er mit direkt ir
gendwelchen Anlaß dazu gegeben hat
te. Das tann ich durchein nicht ve
lsaupten. Meine Braut aber hatte den
Herrn Regierungsrat ein paarinal
gesehen, wenn sie mich abends- abholte
vor dem Bureau, und sie war ganz
tolossal begeistert siir ihn. Er ist ja
wirklich ein wunderschöner Mann,
so einer von denen, die oen Frauen
arn allergesiilsrlichsten weiden, und
weil meine Braut noch kürzlich gesagt
hatte, daß er ganz aussähe wie der
Held in einem Roman im »Tage
vlott«, und weil ich gut genug weiß,
daß ich selbst nicht gerade schiJn zu
nennen bin —- nun, da war ich eben
schon länger etwas eisersuchtig aus
ihn.«'
»Das kann ich wohl verstehen.«
»Wirilich? Ach, Herr Kommissar
sind zu giitigl Weil ich nun aUer
weiß, daß der Herr Regierungrat in
einer ganz anderen Stadagegend
wohnt, und weil er den Wall hinan
ier ans die Steintorstraße zuging, da
suhr es niir aus einmal durch den
Kopf: »Er geht zu meiner Braut!«
Sie müssen mich entschuldiaem Herr
Ronnnissar, aber das gab mir einen
Stich ins Herz. Ein Htiiclaken suhr
.ich noch weiter; dann tam es über
mich, nnd ich mußte tun, was ich tat.
Jch stieg vom Rade nnd löschte die
Laterne und machte lehrt, um dem
Herrn Regierungrat nachzugehen Es
war vielleicht unpassend oon mir,
aber ich tonnte nicht anders-L Jch
schob also mein Rad vor mir her
und war bald so nahe hinter ihm,
daß ich ihn genau beobachten konnte.
Jch bin ja sehr kurzsichtig, aber beim
Rat-fahren trage ich immer eine
scharfe Brille, damit kein llngliirt
passiert. Sie war ein wenig beschm
gen vom Nebel, aber ich putzte sie ab,
und nun sah ich sehr gut. tlui dem
weichen Boden hörte man keinen
Schritt, nnd auch mein iliad machte
tein Geräusch. Außerdem tonnte ich
mich durch die starken Bäume der
Allee decken, so daß er mich nicht
fah-«
»Wohin ging er?«
»Ganz rasch geradeaiis. Das heißt,
nur noch ein paar hundert Schritte.
Dann blieb er stehen und fah sich
um, wohl ob niemand ihm folgte.
Mich deckten aber die Baume, so daß
er glauben mußte, ganz alle-in zu
sein. Es ist ja dort auf dem Wall
abends sehr einsam. Und nun« —
»Was tat er ivciter?««
»Es ist eine sehr merkwürdige
Sache. Herr Kommissar miissen ent
schuldigen, aber es war burhstiiblich
so, wie ich sage. Dort am Wall hat
man im Spätherbst angefangen, eine
Ban zu bauen, scheinbar ist aber
dem Bauherrn das Geld ausgegan
gen, und der Bau ist steckengebliiben.
wie man so sagt. Unmittelbar an der
Allee war ein Schuppen fiir die Ar
beiter und fiir die Geräte aufgerichtet
worden, aber es ist jetzt nichts mehr
darin —- ich habe mir gestern bei
Tage die Stelle noch einmal genau
angesehen — und man hat es darum
auch wohl nicht fiir nötig befunden,
die Tür-von dem Schuppen abzu
ichlieszen Sie steht offen, inan tann
,hinein. lind in diesen Schan ging
nun der Herr Regierungsrai.«
»Ja den Schuppeii't«
«i-!ianz genau, Herr Kommissar.
llnd ich taiin es nicht leugnen, dass
ich darüber sehe erstaunt war.«'
»Ha: er Licht in dein Schuppen ge
macht·t Blieb er lange darin-"
»Er inusz ein Streichtzvlz angezün
det haben, ich sah deutlich ein Licht
aufblitzeir. Vielleicht aber hat er es
nur geiaii, uni zu wissen, ob nicht
jemand in dein Schuppen steckte, nnd
ob er wirklich allein da drinnen war.
Denn gleich hat er das Licht wieder
ausgelbscht, und nun blieb es dunkel,
bis er wieder heraustain.«
s »Wie lange hat es gedauert?«
i »Ich meine —- die Zeit wird einein
’ja lang, wenn man so wartet — es
ist nicht länger als fünf Minuten
ungefähr gewesen«
» »Hm er Sie gesehen, als er wie
der yeraugtanit War sonst irgend je
mand in der Nahet«
»Nein, Herr noniniissar. Das eine
nicht und mich das andere nicht
Wiihrend ich siand und ivacieie, ist
lein Mensch an niir ·ooriiveigetoin
ineii. Und ich selbst hiitie doch eia
schlechtes Gewissen, iveil ich meinen
Herrn Vorgesetzten so helauerte. Dar
iiin driiitte ich mich fest hinter eiiicie
bieten Baum nnd stellte auch iiiein
Rad so der Länge nach dahinter« day
er es unmöglich sehen tonnte.'«
»Was iai er, iilg er l)eraustani’t«
»Esle have nur ganz wenig uiii den
Biiiiiii hernmgeschieln Ader soweit ieiz
es veiiiertcn toniite, hat er sich dor-I
sichtig umgeschaut, gerade wie vornen
ehe er hineingetreten ivar. Dann ist«
er schnell ·:Ver iveilergegaiigen."
,,Jii derselben Richtung ivie dor
herf«
»J.i, Herr Kommissar, in der
Richtung axif die Steintorstruße zu.
Dariini schlich ich inich uucl wieder
hinter ihin her, ovivcyl ich ein Herz
llopfen isaiie —- daran leide ich aber
lsinipi sehr leicht — wie noch nie vor-,
bei-«
»Und bog er in die Steintorstmße
eins«
»Gott sci Dant, neini Verzeihen
Herr Kommissar, wenn ich niesne
persönlichen Gefühle so in dieett
sachlichen Bericht oersleehte. Mir let
ader wirklich ein schwerer Stein vom
Herzen, als ich an der- Ecke der
Dteintoxstraße sah, daß der Herr
Regierungsrat nicht rechtsav in sie
einvog, sondern geradeans aus dein
Wall ivetteigiitg. Darum bin ich ihm
»enn, da mein sogenanntes persönli
ches Interesse an dem Fall erschöpft
»ivar, nicht weiter nad,gesolgt, sondern
lhabe niein Rad wieder oorschrists
mäßig beleuchtetsund bin den Weg
zuriiagesahren, den ich gekommen
war.« «
»Komm Sie tnir zuverlässig on
Igevein wann diese Begegnung statt
ssandt llin welche Zeit, meine ich
Idee Tag ist mir ja veiannt.'«
’ ,,Gestatten der Herr Kommissar-,
Idasz ich einmal nachdenke. Ja, setzt
lsällt es cnir wieder ein. Als ich vor
Imeiner Wohnung antam, schlug es
sgerade neun Uhr auf der Dreisaltig
steitgtirchr. Von der Ecke der cteim
torstrasze bis zu meinem Hause ge
Ebranche ich zi Rad aber höchstens
sacht Minutem Es muß also ziemlich
lgenau drei viertei aus neun llhr ge
wesen sein, als der Herr Regierssngvs
I rat sich in den Schuppen begab.
»Das triirre sti;.'«nnien
»Wie meinen der Herr Kommis
sa13«
l »Es- lvar ntsr ein tieintr Monolog,
sden ich hielt. Jedenfalls bin ich
Ihnen sehr dankbar file Jlire Mit
teilung. Wenn es nötig ist, werde ich
Sie bitten, einmal wies-er unrznspre
cl)en. Ihre Adresse habe ich nnr no
tiert.«
»Danke sehr, Herr Kommissar.
Aber wenn irli mir noch eine Be
merkung erlauben dars, ich möchte
um alles ni Ver Welt nicht dazu hei
getragen haben, dein Herrn Regie
rungsrat linannehmlichkeiteii zu be
reiten. Jin Gegenteil, ich were glück
lich, wenn in meiner Aussage irgend
etwas enthalten wäre, tvag ihn ent
lasten könnte. Denn er ist wirklich
immer ein so gutiger, herablassendek
Herr gewesen, und niemand in unse
rem Bureau —- niit Ihrer gütigen
Erlaubnis — halt ihn eines Verbre
chens scihiFi.«
»Wir wollen das Beste ciii ihn
hoffen, Herr Müller· Sie erhalten
teleplkonisrtxe Nachricht, wenn ich Ih
! rer nech einmal bedürfen solite.'«
Mit vielen Verbeugungen und
Empfehlnnaen, worauf Brennert mit
einem zerstreuten Kopfnirken antwor
tete, verließ Herr Müller schräg nach
rückwärts Das Bitte-au. Sobald sich
der Kommissar allein sah, sprang ek
lebhaft empor, überlegte hin und her
gehend nnd stumm die Lippen verre
gend noch eiiien Augenblick, dann
riß er Hut und Mantel eilferlig vom
Kleiderlialter. bewaffnete sich mit
einer elektrischen Taschenlampe nnd
eilte hinaus.
iFortchiing folgl).
THO
-— Zwangslage. Arnan
steher (zu einer detrunlenen Mit
nerin): »Aber Schutert’nk Mehl ·
nug, daß Euer Mann alle T e e
ttunlen ist — fangt Jhr au noch
zu trinken ani«
»Ja — tvoas still ich inacl;’n, m
Vlintgvorsteherlt A alloholsreien nsz
—- soagi inei Momen, nimmt a nich
sink«