Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 29, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

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    us Ringen
werden-Ketten
Roman von Ist-Ist MINI
—
(8. Fortsetzung.)
otennert lachte ein wenig; dann
schwieg er und betrachtete mit schein
bar angespannter Aufmerksamkeit
seinen rechten Fuß. den er vorgr
schoben hatte, nnd einen eleganten
schwarzen Schnitrstiesel daraus.
Nach gewohnter Taktik hob er
dann Plötzlich den Kopf- blickteschnrs
in Duringers Gesicht und sagte:
»Sie waren dort in Nürnberg in
eine Untersuchung verwickelt, herr
Regierungsrat, nicht lvuhr?«
»Was soll das heißen?m
»Ich möchte Sie bitten, sich nicht
aufzuregen Es hat keinen Zweck
und keinen Grund. Sie wissen ja
besser als ich. daß die Untersuchung
sehr schnell beendet war, weil Jhr
Alibi durch Jhres Herrn Onkelsi
Aussage bewiesen werden konnte.·· T
Sein Schuiirstiesel wurde für
einen Augenblick wieder Gegenstand
seiner Beobachtung; dann begann
et von neuem.
»Was uns, die Leute von Polizei
und Gericht, bei der Angelegenheit
interessiert, ist auch nur, daß eine
der von Ihnen vor kurzem gemachten
Aus-sagen durch das, was ich in
Nürnberg erfuhr, zu berichtigen ist.«
»Welche?«
»Wissen Sie das nicht selbst, Herr
Regierungsrat?« Ein schneidender
Hohn war jetzt in Brennerts Wor
ten· »Da muß ich allerdings Jhs
rem Gedächtnis nachhetfen. Sie sag
ten« Sie hätten die jetzt ermordete
Schauspielerin hier erst tennen ge
lernt. Jch bedaure, sagen zu mits
sen, daß das unrichtig war — ich
wähle mit Absicht einen sehr milden
Ausdruck. Es gäbe site diese Aus
sage auch einen anderen, weit träf
tigeren. Sie lannten und bewun
derten die Kunewta bereits damals
in Nürnberg. Sonst hätten Sie
nicht in eine Untersuchung verwickelt
werden lönnen, die den geheimnis
vollen Tod eines begünstigten Lieb
habers der Schauspielerin zum Ge
genstand hatte.'
»Von einer Untersuchung im
eigenttichen, juristischen Sinne konn
te bei der flüchtigen Vernehmung.
der ich damals allerdings unterzogen
worden bin, kaum die Rede sein. Es
handelte sich nur um eine rasch er
ledigte Widetlegung von grundlosen
Klatschereien in der Stadt.«
«Streiten wir nicht um Worte.
Begonnen hatte die Untersuchung auf
jeden Fall, wenn sie auch schnell
wieder abgebrochen werden mußte.
Jhr Herr Onlel hat beschworen —
zum Schwur ist es gekommen —
Sie hätten an dem Abend, als der
Bankier Joseph Deininger durch
einen Sturz in den Wallgraben sei
nen Tod sand, Jhres Ontels Haus
nicht verlassen. Damit wurden die
Aussagen der anderen Zeugen hin
fällig, die von Jhnen selbst, Herr
Regierungsrat, eisersiichtige, dro
hende Reden gegen den begünstigten,
reicheren Liebhaber der damals noch
nicht in glänzenden Verhältnissen
befindlichen Kunewla gehört hatten.
Das Gericht kam zu der Anschau
ung, der Tod Herrn Deiningers
müsse durch einen Unsall herbeige
führt worden sein, Sie mußten, weil
Jhr Alibi beschworen worden war,
von jedem Verdacht befreit werden«
»Nun also?'«
«Nun also — das frage ich Sie.
Warum haben Sie vor mir aus all
diesen Dingen ein Geheimnis ge
macht, rein und steckenlos, wie Sie
daraus hervorgegangen sind-«
Diiringer stand langsam aus und
stellte sich vor Brennert hin.
»Ich weiß nicht« ob Sie verheira
tet find, herr Kommissar. Jch bin
es, ich habe eine Frau, die edel und
rein ist und wenig weiß von der
Welt, ich habe ein Kind —- ein über
alles geliebtes Kind-«
Er brach ab, die Stimme versag
te ihm. Brennert ließ den blonden,
taum erst angegrauten Schnurrbart
seines Militärgesichtes durch die
Finger gleiten; er überlegte die Ant
wort ossenbar einen Augenblick.
»Ich bin verheiratet, here Regie
rungsrat, und würde vielleicht in
ähnlicher Lage auch in Versuchung
sein, aus Rücksicht aus meine Frau
Dinge zu verschweigen, die schmerz
lich siir sie sein lönnten.«
Diiringer öffnete die Lippen, als
wenn er sprechen wollte, doch tam
nur ein ganz leifes, mit Gewalt un
terdriicktes Stöhnen hervor.
,Und nun muß ich Sie fra en,
was Jhnen iiber einen gewi en
Ring bekannt ist« der eine wichtige
Rolle in diefer Mordfache spielt.
Er allein feblt unter den Sachen der
Getöteten, aber zufällig tvar ihre
Jungfer in der Lage, von einer in
den Ring eingravierten Inschrift
Kenntnis zu geben. Dadurch bin»
ich auf Nürnberg hingewiesen war-;
den, dadurch ift es mir möglich ge
wefen, den Juweliet u ermitteln,
der am Schlusse des Jhres 1892
tiefen Ring auf Bestellung des here-n
Deininger angefertigt hat. Ja, ja,
Herr Regierungsrat: aus Ringen»
werden Ketten! Auch wo folch einj
Ring nicht sichtbar und greisbar vor
handen ist — jede von unseren To
ten bildet einen Ring in der gro
ßen Kette, die wie aus unserem Le
ben schmieden. Wie meinen manch
mal, es hätte nichts mit ihr zu
Massen, was wir Neues tun, aber
die vergangenen Taten hängen süe
immer auch an jedem neuen Glied,
das wie hinzusiigen —- die Kette
llirrt und verrät uns, ost gerade
dann, wenn wir es am wenigsten
erwarten.«
»Warum sagen Sie das mir —
das alles mirs Ich weiß nichts
oon diesem Ring. Glauben Sie
vielleicht gar, daß ich ihn genommen
hätte? Zählen Sie nicht« wie ganz
absurd ein solcher Gedanke weites
Den Ring zu nehmen, den ein be
günstigter Nebenduhlek —- denn das
war er ja doch nach Jhrem Gnqu
ben —- vor vielen Jahren einer an-:
geblich von mir geliebten Künstletini
geschenkt hat. Solch eine Kombina-(
tion grenzt an Wahnsinn, Herr
Kommissar!«
Diiringer hatte die lange müh
sam bewahrte Selbstbeherrschung
völlig verloren. Aber die Blicke
Brennertö verrieten, daß gerade das
ihm verdächtig war. Seine Stim
me wurde noch kälter und ruhiger
als bisher-.
»Bei-zähen Sie, Herr Regieruiig:
. rat, ich sprach zuletzt nicht mehr von
.diefem sichtbaren Ring, sondern von
einer unsichtbaren Rette. Sie hängt
iauch an Jhrem Fuße. Die Gegen
fniart bekommt unerivartet Licht aus
»der Vergangenheit Wir hatten bis
» her immer noch an der Aussage die
ser Mai-le Stubenföhr gezweifelt und
ian die Möglichkeit einer böswilligen
lErfindung oder eines Irrtums ge
lglaubt, wenn sie behauptete, Sie da
smals am Abend im Hause der Er
iinordeten gesehen zu haben. Jetzt
wissen wir, daß diese Schauspieie
rin seit vielen Jahren in Jhrem Le
fben eine bedeutsame, möglicherweise
fverhängnisoolle Rolle gespielt hat.
fUns fehlt bis dahin das Motiv bei
iJhnen fiir eine verzweifelte Tat
inne oberflächliche Betanritfchaft,
l wie sie von Jhnen selbst jugestanden
.ioorden, genügte dafür ncht. Jetzt
haben wir ein Motiv, mag es nun
Iin eifersiichtiger Leidenschaft oder in
lder Furcht vor Enthüllungen aus
ider Vergangenheit zu suchen sein.
llnd iveil dadurch die uns gemachten
zAusfagen auf einmal glaubhaft ge
I worden sind. bin ich gezwungen, Sie
ian Anordnung der Königlichen
fStaatsanwaltfchaft sofort in Hast
zu nehmen«
Düringer tat einen Atemzug Es
war fast, als wenn die schreckliche
Gewißheit ihm Erleichterung schüfe.
»Sie tun Jhre Pflicht, Herr Kom
missar. Daß ich unschuldig bin an
dieser schrecklichen Tat, wird sich
hoffentlich bald herausstellem Jhi
.nen machen Unschuldversicherungen
lvon Angellagten selbstverständlich
,wenig Eindruck. Darf ich Abschied
»nehmen von meiner Frau und mei
nem Kind?«
»Jn meiner Gegenwart, gewiß.«
»Dann lassen Sie uns gehen.« Er
wandte sich dem Ausgang zu, blieb
aber gleich wieder stehen.
»Ich möchte Sie noch um etwas
bitten."
»Sprechen Sie!«
»Vorhin sagten Sie, daß Jhnen
meine aus Rücksicht aus meine Frau.
geübte Zurückhaltung in den gemach
ten Angaben verstiindlich fei. Darf
ich Sie bitten, ihr vorläufig von
meinen früheren Beziehungen zu der
Kuriewla nichts zu sagen und auch
idie Zeitungsnotizen tunlichst distret
zu halten?«
»Ich glaube, daß ich diesen
Wunsch bis auf weiteres erfüllen
,darf. Die Zeitungen dürften uns
;ohnedie§ fehl nicht mehr viel nützen
; tönnen.«
s »Ich dante Ihnen, Herr Kommis
ar!"
Düringer schritt nun voran, alg
et aber die Tür schon geöffnet hatte,
tam noch einmal eine leidenschaft
lich-schmerzliche Bewegung über ihn.
Er warf einen Blick zurück in das
sZimmey das ihm eine stille Heimat
Igewesen war, wandte sich ab, um
ssein aufquellendes Gefühl zu ver
bergen, legte die Hände um den
Pfosten der Tür, als wenn er Ab
;schied nähme von einem lebenden
IWesen, und preßte die Stirn gegen
»das hols. Ein Beben ging durch
seinen Körper, doch dauerte die Er
fchüttekung nur ganz kurze Zeit
Gleich nahm er sich wieder zufam
men und schritt stumm hinaus.
Mit bleichem, starrem Gesicht
stand Hedwig mitten in ihrem Bon
doir, als die beiden eintraten. Sie
las etwas Furchtbares in den Zügen
ihres Mannes, aber sie bewahrte
Fassung und ruhig-vornehme hat
ung.
»Ich muß siir einige Zeit von
dir Abschied nehmen, liebe Hedwig.
Dieser herr hier hat vom Staats
anwalt den Austrag, mich in Unter
suchungshast zu nehmen«
Nun wankte sie doch, aber nur
für einen Augenblick, dann stand sie
wieder fest wie zuvor. Zu sprechen
vermochte sie noch nicht.
»Ist Elli da? Wir Ivollm ihr
sagen, das; ich verreisen mus;. Rufe
sie her —- bitte, sei so gut!«
Hedwig neigte nur den Kopsund
ging hinan-. Nach weni en Mino-«
ten kam sie wieder. das K nd an der
hnnd siihrend.
»Er-ten du willst verreisea? Mut
tee hat es mir schon gesagt-I«
»Ja, ich muß verreisen. Jekt
gleich!«
«Warum denn so schnell? Du hast
uns ja gar nichts davon gesagt.
Gehst du mit diesem Herrn?«
»Ja, Kind, er begleitet mich· Leb«
wohl, mein Liebling, Keb« wohi!«
Er hob das« Kind in die Höhe,
um es sür ein paar Augenblicke sest
an sich zu pressen.
»Du kommst aber doch bald wie
der, Vater, nicht wahr-.ck Du mußt
bald wieder kommen —- sonst muß
Elli weinen.«
«Bnld — hoffentlich — sobald
als möglich. Geh’ nun, geh zu
Fräulein hinaus! Jch habe noch mit
Mutter zu sprechen.«
»Leb’ wohl, Vater! Und bald,
bnid iviederioinmen!«
Als Elli draußen war, faßte Dü
ringer die Hände seiner Frau.
»Wir wollen es uns nicht schwer
machen, Hedwig! Es ist ein un
glückseliges Mißverständnis-! Jch
habe dir gesagt, daß ich unschuldig
bin; halte dich darun!"
Bebend nahm Hedwig seine Hän
de sest in die ihren. »Ich will mich
daran halten. Wenn ich nur etwas
tun könnte, nur etwas siir dich tunl«
»Du tust schon viel für mich, liebe
Hedwig, ioeiiii du fest an mich
glaubstl Darum bitte ich dichl«
l Antworten toniite sie nicht, aber
! ihm zunickend sah sie mit weinendeiis
Augen ihn au. s
»So, Herr Kommissar nun binl
ich bereit. Berzeihen Sie, wenn ich
Sie aufgehalten habe.« »
»Mir bleibt leider noch eine un
angenehme Pflicht. Jch musz noch
hier bleiben, um eine Haussuchung
vorzunehmen.«
»Haussuchung? Bei mir'·.7"
Ein stolzer, sinsterer Ausdruck
ging über Düringers Gesicht, aber
nur siir einen Augenblick. Dann
fand er Fassung auch site diese neue
Demütiguiig.
«Tun Sie, was Jhres Amtes ist!
Hier sind meine Schlüssel, kommen
Diel«
»Draußen im Treppenhause war
ten zwei von meinen Beamten in
ZiviL Ein Wagen steht unten. Jch
mochte Sie bitten, sich von den Be
amten in die Untersuchungshast ve
gleiten zu lassen. Dann brauchen
Sie dem unangenehmen Schauspiel
der Haussuchung nicht heizutoohnen.«
Es hatte oeii Anschein, als wenn
Düringer etwas einwenden wollte,
doch besann er sich anders und sagte
nur: »Sie sind ructsichtsooll, ich dante
Jhnen. Hier, hedioig, nimm du die
Schlüssel, du teiinst sie ja so gut wie
ich selvst. Oessne dein Herrn Kom
missar alle Behälter und nimm dir
Idie Sache nicht zu Herzen, es ist nur
seine Foriiiiilitiit. Aver« — seine
Stimme uiiischleierte sich — »schicte
das Fräulein mit Elli sort; sie soll
das alles nicht sehen.«
Er gal) dein Kommissar einen
stummen Wint, ohne tioch einmal Ad
schied von seiner Frau zu nehmen,
uno sie gingen hinaus. Hedivig folgte
mit schweren Schritten, um den letz
ten Austrag ihres Mannes auszu
suhren und oas txind vor dem Anoiict
von seines Vaters Schmach zu be
wahren.
Das dumpfe Rollen des Wagens
drbhnte uon unten herauf; der Rom
inifsar begleitete Hedwig vom Korn
aor in ihr Boudou zuruct. Er hatte
fie nicht aus den Augen gelaffen und
nur eilig Türinger den beiden Beant
ten übergeben.
»Wenn ich nun bitten dürfte, gnä
dige sit-aus«
»Auch hiert — Das war alles, was
Hedioig fragte.
»Ja, auch hier muß ich suchen. Es
ist i. eine »Pflicht«
Sie öffnete stumm ihren Schreib
tifch und alle anderen Behälter. Mit
orennenden:, saftnerzendein Herzen
fchaute fie zu, wie die fremden Hände
teuer Anoenten, fiir sie allein be
stimmte Briefe beruhrten. Die mei
sten legte Brennert fedoch undeachtet
wiedei an ihren Plag; offenbar galt
fein Suchen einem bestimmten Ge
genstande und es war bald been
det.
Sie gingen in das Eßzimmer, den
Salon, in Düringers Arbeitgznnmer,
wo Schreibtifch und Setretiir Bren
nerts Aufmertsamteit am längsten
fesselten. Doch fand sich auch hier
zunachft nichts, wag er deschlagnahnii
te. Nur als er in einer der tleis
nen Schubladnen innerhalb der Klap
pe vom Setretiir ein mit blauem
Seidenbande zufammengehaltenes
Palet von Briefen gefunden hatte. tat
er die rage: »Das ift die Hand
fchrift hres Herrn Gemahls, nicht
wahrt«
f »Ja —- es find Briefe aus unserer
: Brautzeit.«
s »Und wie lomnen sie hierher? Die
Briefe gehören doch Jhnen.«
»Sie sina allerdings fiir mich allein
bestimmt. Mein Mann erbat sie aber
einmal von mir zuriich
»So waren Sie fchon mit ihm
verlobt, als er noch in Nürnberg
lebte7«
»Nein-«
»Ich bedauere fehr, die Briefe für
lurze Zeit mit mir nehmen zu miif
sen. Ohne Frage werden Sie die Sa
chen aber bald suriickerhaltem gnädi-"
ge eau.« » »
on seit an sprach fedivig nicht
mehr. Sie führte den Kommissar
von Zimmer zu Zimmer, öffnete alle
Schlösser, ließ ihn suchen in den
wohlverwahrten Schubladen und Ka
sten. Mit stummer Handbewegung
nur leitete sie den Beamten, auf
eine Frage dvn ihm gab sie keine
Antwort. Es war, als wenn ihr
Gehör gestorben wäre für menschliche
Rede.
Auf Brennerts Gesicht war weder
Mißmut noch Befriedigung zu lesen,
als er die haussuchung fiir beendet
ertlärtr. Mit sich nahm er außer den
Brieer aus dem Schreibtisch Hed
wigs nur ein paar andere Schrift
ftiicke, die Düringch Handschrift wie
sen. Als er sich von Oedtvig mit
einigen höflichen Worten verabschie
dete, neigte si tau« sichtbar den
Kopf.
Eine Weile stand sie noch wie ver
steinert, als er gegangen war. Dann
brach sie plötzlich in die Knie, stampf
te die Hände ineinander und stöhnte:
»Gott, erbarme dich —- Herrgott, er
barme dich seiner!«
I
Hedlvig verbarg sich angstvolt vor
den Augen der Welt. Es- war ihr,
als wenn sie sich in einen tiefen, dunk
len Winkel verkriechen mußte, wo nie
mand sie sah. Reben dein heißen»
Schmerz, der bangen Sorge um ihres »
Mannes Geschick quälte ne dies am.
meisten: die Furcht oor dein Urteil
der Menschen. Sie war aus einer«
Gegend von Deutschlaand, m» man
immer zuerst sragtc: »Was wer
den die Leute sagen t« Wo mac- sich
scheut, us auszusprechen. daß man
krank, arm oder unglücklich ist.
Wo man den äußeren Schein des
Daseins ilber seinen Inhalt stellt.
lind auf die große· furchtbare Ka
tastrophe folgten jetzt wirklich manche
kleine Radelstiche des Lebens. Fräu
lein Hegervifch machte den Anfang
damit, ihre Stellung aufzukündigen
Sie katn am Tage nach Düringers
Verhaftung ins Zimmer, eine aufge
faltete Zeitung in den Händen, und
erklärte, sie tönne nicht in einem
Hause bleiben, oon dem solche Dinge
hier im Blatt ständen. Hedivig der
mochte kaum die Zeitung zu fassen,
die Worte zu lesen, die dort standen
Die Notiz war niir lurz, war bislret
fund richsichtsvoll gehalten, aber die
LTatsache der Verhaftung war doch
mitgeteilt worden« Ein brausendes
Geräusch von ausgeregtein Blut war
in Hedwigs Ohren; sie hörte die
Worte des Fräuleins nur halb, das
mit beleidigender Herablassung sagte,
der Herr Regierungsrat werde da
vielleicht seine Schuldlosigleit beweisen
können, obwohl sie selbst ihn vor dem
Hause der Schauspielerin gesehen
hätte, sie iniisse aber doch aus ihren
guten Ruf Rücksicht nehmen und ge
hen.
Endlich hatte Hedwig verstanden
Der beleidigte Stolz gab ihr straft
und Haltung zurück. Sie stand aus«
trat oor das tleinr, hagere Fräulein
hin, dessen blanke Mäuseaugen verle
gen zu zwiiilern begannen. »Sie wol
len gehen? Es ist gut. Aber keine
Kündigungsfrist verstean Sic? Das
Jhiien zutoniniende Gehalt gebe ich
Ihnen; dann aber verlassen Sie mein
Haus, noch heute, noch iii dieser
Stunde, sofori.«
Mrschiichtert, tvortlos ging Fräu
sleiii Hegewisch hinaus. Nach einer
Iralbeii Stunde schon war sie fort
Aber ihr Beispiel wirkte. Auih das
Hausmädchen tiiiioigte, auch sie wurde
sofort entlassen. Die Köchin allein,
die schon bei Hedioigs Mutter gedient
hatte, blieb getreulich in ihrer Stel
lung und bezeigte durch stummen,
oetdoppelten Fleiß der Herrin ihre
Anhänglichkeit.
Nun selbst im Hause zugreisen zu
müssen, sich uiii körperlicher Arbeit
betäuben zu tdiinen, war Hedwig
nur lieb. Denn schwer lasteie auf
ihr neben den Zweifeln und Sorgen,
kdie sie quälten, auch die Wahrneh
I !iiung, daß einzelne aus ihren Kreisen
anfingen, sich ooii ihr zurückzuziehen
Und sie war so wenig allein, mußte
zso vieles verbergen! Sie litt un
ster dem beinahe besitindigen Zu
Isainmenieiii mit tsslli wegen der vie
llen Fragen, die das Kind an sie
richtete. Zuweilen besprach es ganz
. harmlos die Reise, die der Vater ma
chen müsse. Ob er weit fort sei,
wann er zuriiittomme, was er ihr
wohl mitbringen iviirde. Bei diesen
harmlosen heiteren Plaudereien litt
lhedwig am schwersten. Ein paarmat
Imuszte sie ausstehen und aus dem
sZimmer gehen, uin ihre Tränen zu
verbergen. Einmal, als Elli von
einein Spaziergang mit einer etwas
iiilteren Freundin zurückkam, war sie
"zuerst in sich gelehrt und still; dann
sagte sie plötzlich: »Du, Mutter, ich
gehe nicht mehr mit Klara.«
»Warum nicht«-t«
, »Nein, sie hat gesagt, Vater hätte
Joas Böses getan. Doch habe ich sie
stehen lassen und bin sorlgelausen.
JVater tut nichts Bösest«
Diesnial verbarg Hedwig ihre
Tränen nicht« Sie nahm das Kind
· die Arme und lüsite sein Gesicht
mit weinenden Augen« »Ich daiile dir,
lclli", sagt- sie leise.
Des Kindes Worte hatten sie wun
derbar gen-öfter »Vater tut nichts
B Ases« — war es nicht wie eine Bol
ichast von diesen unschuldigen Lip
pen, an die sie glauben solltet War
es nicht eine Mahnung, ebenso sest
an ihres Mannes Unschuld zu glau
ben, wie dieses Kind es tat? Sie
war nicht eigentlich wankend gewor
den in diesem Glauben. aber eine
dumpfe Betäubung hatte sie gelähmt
und ihr die Kraft geraubt, solchen
Glauben in hilfreiche Tat umzu
setzen.
Nun erst lamen ihr die eigenen
Worte klar its Gedächtnis zurüc, die
sie beim Abschied zr ihrem Manne
gesprochen hatte: »Wenn ich etwas
siir dich tun tönntel'« Sie oertieste,
vergrub sich in diesen Gedanken. Er
gab ihr einen schwachen Trost in
ihrer angstvollen Ahgeschlossenheit vor
der Welt. Etwas sür ihn tun, ihm
beisiehen, ihm helfen, seineSchuldlos
sigteit zu beweisen! Jn der Hoff
nung aus solche Möglichkeit allein;
lag schon Starlung und WohltaH
Ader was tonnte sie tun? Sie ganz s
allein! Denn sie hatte niemand, den .
sie hätte fragen, der ihr hätte rasI
ten kennen. Ihre Mutter hatte ge
schrieben, sie wolle kommen, aber
Hedwig hatte gleich telegraphiert
und geoeten, sie einstweilen allein
zu lassen. Sie scheute sich selbst vor
dem Anblick der geliebten. gütigen
Frau.
Wenn sie Rittners Aufenthalt hätte
herausbringen tönneni Wenn es
ihr möglich gewesen wäre, diesen
Mann herbeizurufen, ver mit ein
paar Worten imstande sein sollte, des
Verhafteten Unschuld widerspruchs
tos zu beweisen! Aber sein Sonder
.lingsvasem und Reiseleben hinderte
jede Verbindung mit ihm. Er hatte
in Deutsck,l.nw teine feste Wohnung,
nahm immer nnr in Pensionen Auf
enthalt, und wenn er fortging, ließ er
niemals eine Adresse zurück, um teine
Briese nachgeschickt zu erhalten. Denn
sBriefe galten ihm ebenso wie Zeitun
sgen als höchst übersiiissige Dinge. Sie
Izermarterte sich der Kopf, aber sie
sfand Lein Mittel, ihn zu erreichen,
Das nicht ihr Mann schon vergeblich
versucht hatte. Nein, hier zeigte sich
tein Weg, der ihr offengestanden
hätte —- pas war all ihres Grübelns
trauriges Ergebnis.
Ein unerwarteter Zufall war ihr
hilfreich. Am dritten Tage nach
Brunos Berhastung ließ Polizeitom
missar Brennert sich wieder uei ihr
melden. Sie wollte sich zuerst der
leugnen lassen, um den verbaßten
Boten des Unheilg nicht wieder vor
sich zu sehen, dann überlegte sie aber
doch, daß es ihre Pflicht sei, den
Mann zu enip angen. Er war sehr
höflich, und setn Besuch dauerte nur
turze Zeit Er brachte die Briese zu
rück. die bei der Haussuchung mit
Beschlag belegt worden waren, sich
aber tatsächlich als ganz harmlose
Privatsachen erwiesen hatten. Bren
nert stellte sie Hedwig in voller An
zahl wieder zu, doch tat er eine Fra
ge dabei Wie es getomnten sei, daß
nicht sie selbst, an die doch die Briese
gerichtet wären, sie verwahrt hätte,
sondern ihr Mann. Dabei sie· ihr
erst wieder ein, wie das gekommen
war. Vor ein paar Jahren, an ei
nem Weihnachtsabend, als ein schö
ner, stiller Festsriede im Hause
herrschte, hatte ihr Mann sie gebeten,
ihm die Briese wiederzugeben; er
wolle sie gern öfters einmal durchle
sen, um sich dadurch so ganz in die
Zeit ihrer Verlobung zurückzuset
setzen. Gern hatte sie seinen Willen
getan, und seit jenem Abend hatten
die Briese zusammen mit ihren eige
nen aus der gleichen Zeit in seittetn
cetretär verwahrt gelegen.
Sie sagte das alles ossen dem
Kommissar, der ihre Mitteilung
schweigend mit einein feinen, tlugen
Lächeln begleitete. Dies Lächeln blieb
ihr im Gedächtnis-, auch als er fort
wur; der Ausdruck seines Gesichtes
wat so bedeutungsdoll gewesen. Wert
wiirdig gütig. aber zugleich meint-ur
dig schlau
Sobald ani Abend Elli schlaseii
gegangen war, nahm Hedivig die
Wiese vor und las alle noch einiiial
durch. Langsam, Wort sur Worl,
niit einer Llusiiierlsamleit, an der es
ihr in den frohen Tagen einer glück
lichen Brautzeit gefehlt halte. Das
Leid hatte in ihr das Verständnis
für Unteislrömungen in der Men
schenseele geweckt; leise, doch deutlich
ll.ingen sie nun aus den beschriebeiien
Papierem deren oergilbte Ränder lei
se Zeichen beginnenden Alters iviesen
,;eich ersten Runzeln in einem Ge
sicht.
Jetzt gewannen Worte darin Be
deutung. uber dir sie sriiher leichlher
zig hiiiioeggelesen hatte. Sie wun
derte sich selber, daß es ihr damals
nicht aufgesallen war, wie häufig in
diesen Briesen Bruno davon sprach,
daß er durch sie ein anderer Mensch
werden nnisse, schon ein anderer
Mensch geworden sei. »Du sollst mein
guter Geist sein«, so hieß es in einem
der Schreiben, »der alle bösen Gei
ster verscheucht.« Also gab es böse
Geister in seinem Leben, die ver
scheucht werden mußten, Geister, die
schon oor vielen Jahren ihn b:dröngt
hatten. Das Geständnis einei· aus
seinem Leben leistenden Schuld klang
wieder in ihr Ohr und gewann erhöh
te Bedeutung, indem sie die Worte
der Briefe daneben hielt. Und es
ioai in ihr ein oersöhnendes Gefühl,
daß diese Schuld vielleicht schon weit,
iveit in der Vergangenheit lag, in je
ner Zeit, als sie ihn noch nicht gekannt
hatte. Darüber war er ihr wohl
teine Rechenschaft schuldig, und idenn
er setzt lieh doch halte hinreisen lassen,
die Lucien-la zu besuchen —- nein,
daran ivollte sle ni t mehr denteii.
Sie wollte sich an die r Briese halten«
deren Worte so irostrull und oeiuhis
geiid waren aus denen dieses sit-an
nes Liebe zu ihi so warm, so ehrlich,
so überzeugend heil-erklang Er
hatte sie lieb, vor Herzen :iel: —
diese Gewißheit gaben ihr die veigili
benden Papierr. Vielleicht wen es
darum gewesen« das er die Briese
von ihr ziiiiielexbeten hatte, um sich
zu störten in diesem Gefühl, wenn
einmal eine Versuchung an il;i. her
antral. Sie war iiiitner viel zu
stolz aus ihn gewesen« ucii e« sue
unmöglich zu halten« daß auch an
dere Frauen ihin Neigung zeigten.
Aber so ivie sie selbst, tonnie doch
leine andere ihn lieben! »Er-te atinete
lie; auf, als dies Gesiihl sent in der
einsamen Stunde sie paaie init sei-.
iier vollen, leidenschaftlichen Gemalt
aber zugleich fand sie sieh erhalten«
erwärmt« befreit in dieser groszen
Empfindung Unerschutterlich iooilie
sie nun au den Mann glauben, der
fähig gewesen war, ihr Diese
Briese zu schreiben, der einen guten
Geist in ihi sah und verehrte, den sie
liebte wie nicht- anderes au, der«
Welt!
Mit einer lebhaften Bewegung
stand sie anf. Der Wunsch war ihrl
getoininen, auch ihre eigenen Antwor
ieii aus diese Briese aus oer Verlo
bungszeii noch einiiiat zu tefen. Sie
lagen sicher iinsetretar ihres Manne-»
wo diese hier gelegen hatten. Sie
war ja dabei gewesen, als der Zwin
inissar sie fortgenommen hatte, und
kannte die Schubladk genau, ioo fie«
verwahrt gewesen waren. dir nahm
die Lampe und ging uber den Kor
ridor in Brunog Arbeitsziininen Die
leere Stille des Hinunter-, oeiii sein«
Bewohner fehlte, durchfchauerte fie
doch waren ihre Gedanken zu sehn
auf das bestimmte Ziel gerichte:. iinr
sich für längere Zeit oon ihin abtra
len zu lassen. Sie trug die Schtiissek
bei fich, die Bruno ihr beim Saieidetr
gegeben hatte, und öffnete oie zelappe
des altniodischen, ihr seit "riihestm«
Tagen ocrtrauten Setretär5,.der iiocks
von ihreni Vater stanimte. Da way
in der Mitte der offene, mit einem
griechischen Giebelchen aus Mahago
niholz übernachte Raum, den zwei
kleine Säulen, den Giebel tragend,
flanlierten. Da waren rechts und
links davon aus jeder Seite sechs
braune Schubladen mit weißen
Riiiipfen aus Horn, da ivar ganz un
ten rechts die gesuchte Sehnt-lade
aus der die Briefe stammten. Sie
sprang wie ein vergaellendes, tragen
des Architekturglied in gebogenen
Linie uni ein Stiick weiter oor als
die anderen; der Knopf an ihr way
abgespriingen, und nur noch fein
Stiel aus Horn gestattete das Her
ausziehen. f
Rasch hatte Hedwig sdie Schublnbej
vorgezogen und scheute hinein. Ja«
4 nmr die leere Stelle· wo bie Briefe
gelegen hatten. Und ganz hinten
fah fie auch das Patet mit Papierenz
bie sie fekbft beschrieben hatte. DE
es locker mit einem roten Bunde ge
bunden wor, fielen einige oon oeni
Briefen herank, unb Oebivig mußt-,
bie Schar-lobe ganz weit oorziehem
um auch diese Blätter noch fassen zlr
können. 1
Stehend begann sie zu leer beiml
Lichte der Lumpe, die fie auf die
dilappe vom Settetär geflellt hatte.
Doch je mehr sie los-, um fo mehr ums
ivoltte sich ihr Gesicht. Unzufriebent
fchiittelte sie ein paarnial den Kopf
und murmelte dabei: »Wie tnlt —
wie förmlich —- wie fremd!« Mit
unerzogen steifer aniicthultung hatte
sie die warmen, til-erquellend herzli
chen Worte des Verlobten beantwor
tet. Wie ein Spiegel tvnren ihr diese
Briefe, worin sie Das eigene Bild
erblicke, nnd fein clnfthnuen befchtiinte
fie. Die Augenbliile des Lesen-i- ma
ren Augenblicke der Selbstertenntnis
kiir fie. Zum erstenmal fühlte fie ganz«
was-«- ihrem Manne die langen Jahre
der Ehe hindurch un ihr gefehlt int
ben mußte.
i
t
Sie mochte nicht weiter lesen, das
weiche, schöne Gesicht, das Brunos
Briese wnchgernsen halten, ihrer Seele
nicht runden. Rasch legte sie die ei
genen Briese zusinnmen, guv ilznen
wieder den eilten Platz ganz hinten
und schob mit einer Heringe-in unsiche
ren Bewegung die Schublatie wieder
hinein. Aber es wnr sonderbar —
sie wollte sich nicht schließen lassen.
Es war, als wenn sie uns ein Hin
dernig träsr. Hed-oig zog sie noch ein
innl vor und schob sie wieder hinein·
aber der Zustand blieb unverändert
Jrgendetwag inuszte sich hinten hinein
gellemmt haben, und Hedwig zog die
Schnblnde ganz herauss, dnsz der vier
eclige Raum, in dein sie lies, sichtbar
wurde. Zuerst lonnte sie auch hier
lein Hindernis entdecken; erst nieder
lniend, sah sie, day ties nns der OW
lung etwas Weiser-« hervorschicninm
te. Vorsichtig griss sie hinein, zog
es heraus. Es waren ein punr Blät
ter von beschriebeneni Papier, gut-nn
mengeballt und arg zerlnittert beim
Versuch, die SchnblxiDe gisikiijltsntn
hineinzuschieben Sie gliitteiiv, über
legte Hedwig, wie die Pupiere veget
IIin gekommen sein könnten uns Degen
sie gleich eine fremde Heini-schreit er
lnnnte.
(Fortses;nng scslgt).