Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 15, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    SkaatS -«-««Änzeiger und Wer-old.
Sonntag-hinkt de
—
—
Das Smalkti. u
Von chniug Begier, Schwebet-L
Der Oberlellner des Restanrants
,Fäl)rl)ans" übern-achte selbst das
Anrichten des Kassees. Er wischte
noch einmal das goldene Sei-vier
brett ab, dessen blinende Kreissläs
che, von einem wirklich liinssecisch
ziselierten Rand eingesaszt, die diins
nen, imitiert indischen Täßchen
spiegeln sollte. Die großen Schwing
gläset siir den linudertiöhrigen Kog
nak wurden mit Eis gefüllt nnd
die drei Likörflaschen mit weltbe
rühmten Etiketten in Reils nnd
Glied gestellt.
Eine Gesellschaft von sechs »Her
ten hatte an diesem Tage im
,,Fäl»irbans'« diniert. Sie waren
alte im Alter von nngesähr vierzig
Jahren — diesem kostbaren Zeit
punkte, tle der Mann am höchsten
sieht, wo er versteht, was er siebt,
und weis-» was er bekommt, wo er
seine Stärke und Begrenzung kennt
und nichts von dein vergißt, was
er teuer bezahlt bat. Wo er mit
einem Wort am besten, aber mich
ant gesätsrlichsten ist.
Die sechs Herren saszen schwei
gend um den Tisch, dessen frisch
ausgelegtes Tischtuch wie ein Schnee
ield glänzte Ans- secho Tassen stieg
ein leichter Dann-i- nnd ansis sechs
qlirnmenden Zigarren blaue Rauch
spiralen· Es war die Stunde-, wo
man aus Instinkt schweigt, aber
dennoch jeder aus eine Unterbre
chung des Schweigens hofft. Das
Klappern eines Teelösiele wirkte
ebenso durchdringend wie ein plötz
liches Hornsignal
Als Benzow ein Likörglas um
stieß, snhr Hill zusammen, als ob
er von einem Schuß getroffen sei.
Zand lachte leise:
»Wie stehts mit deinen Nerven,
« Hill?«
Und Lindberg siel ein: s
»Du solltest Dirschwedische Mas
sage geben lassen —- ich weiß die
Adresse eines Massenrs.«
Hill aber veränderte keine Mie
ne. Er schüttelte nur den Kopf,
ebne zn antworten lind dann wur
Y de er wieder still.
I
- ’.- k- f- --
pruni-, oer oie crine man menr
ertragen konnte, naan den ersten
besten Gegenstandaus den sein
Auge stel, als Verwand, und sagte
mit seiner gediimpsten, angenehmen
Stimme zu seinem Nachbar-:
»Was trägst Du da an der Uhr
kette, Brander?«
Und er zeigte aus eine Verlocke
an dem breiten 1lhrband, das un
ter dem Saume der weißen Weste
aus die linke Hosentasche siel, wo
die Hand ruhte.
Brander sal) daraus nieder-.
»Das ist ein Aniiilett.«
»Ein Amulett?«
Hier siel Zand ein:
»Was sagt er?«
Die übrigen erwachten —- er
freut, Stimmen zu hören. Ben
zow fragte
,,Weher haft Du dass-«
Ruhe, der irob war. eine Unter
haltung in Gang gebracht zu ha
ben, strich mit seiner seinen, ari
siolratischen Hand den dunklen
Vollbart, und seine braunen Augen
leuchteten hinterm Ameisen
»Er soll erzählen,« sagte er
Man trägt in unserem Diplocnatens
kreise feine geheimnisvolle-n Sinn
bolel Wir leimen unsere Tele
grannnkoden —- die Uhrkette dars
ebenso wenig wie der elektrische
Draht eine ungedentete Chissretras
gen.«
Alle stimmten ein. Jand sagte:
»Meine Regierung hat noch Ue
bel-mitbringen fiir Tein Knoplloch,
Brander! Erziilzlesp
Brander iclnuenlte das Eis in
selnem großen Glase. Er lachte
mit den anderen. Keiner bemerkte-,
dass seine Hand einen Augenblick
xske lieblosend iiber dass kleine Me
aillon glitt.
»Gem,« sagte cr, »es ist nnr
eine Vagatelte — eine Lanne."
Damit goß er seinen Kognai
herunter.
»Es war anf meinem ersten Po
n in Paris, eine unbedeutende
oelretiiritcllung aber ich genoß es
sn hören, zu sehen und zn atmen.
Jeden Abend· wenn ich in meinem
Hotel zu Mittag gegessen hatte,
pflegte ich einen langen Spazier
gang am Seineauai zu machen. Jch
war immer allein, aber ich emp
fand die Einsamkeit nicht, ich ge
noß, wie gesagt, das Leben, den
Lärm nnd die blaue Dämmerung
Eva war noch nicht in dem Para
dies meiner Träume erschallen wor
wsbs kam m nimmt qui unis
Me seite, V. sei-. UN.
«ren Minister. Jch erhielt den«
Austrag, von der Gesandtschast
einen heimlicheti Aqenten auszustr
chen, der als Knudschaster bei ge
wissen Fällen verwandt wurde und
Ider außerhalb Paris wohnte. Jch
shatte nur einen Brief abzuliefern,
Iden unser Gesandter nicht der Post
anvertrauen wollte.
Jch verließ die Gesandtschast um
Isiins Uhr, um den Zug no Meu
dou am Gare Moutparn.,e zu
nehmen, und berechnete, das- ich ini
guter Zeit zu meinem Mittagessen
und dein gewohnten Abendspaziersj
Igong zurück sein würde. Es war
ein milder Frühlingstag, die Ka
stanien standen in voller Blüte.
Ein wundersomes Licht von Rosa
und Gold durchwehte die Luft. und
alle Laute waren deutlicher zu hö
ren als sonst —- in meinen Ohren
klang es wie Glockeitgeläute.«
Hier unterbrach Zand ihn:
»Ich glaube wahrhaftig, er er
zählt uns eine Novelle aus einer
Zeitschrift Du wolltest von einem
LIlmulett —— —« ,
Venzont beichtvichtigte ihn mit
einein Eckau und einer Zigarette·
Ruhe lachte skeptisch in seinen Bart.
I Brander fuhr in demselben ein
tönigeu Tone sort: »Eure Droschke
brachte nnch nach dem häßlichen
und schniubigen Balnthose. Als ich
ein Billet gelöst,Oe hatte ich noch eine
Viertelstunde bis Zum Abgang des
Zuges. sch schlenderte vor drin
Bahnhose aus und ab. Er war
tnenschenleer, und ohne eigentlichen
Grund fühlte ich mich zum ersten
niale einsam und unbefriedigt.
Plötzlich siel mein Blick aus einen
tleineu, blitzenden Gegenstand, der
aus dem siebhalt lag. Jch nahm
ihn aus« es war dieses Medaillon.
Wie ihr seht, ist er- eine kleine
GoldlabseL in Form einer Tonne.
Hier ist ein Deckel ——— dal Als
ich ihn ossnete, sah ich, das; der
kleine Raum einige Ringel weiches-,
blondess Zrauenhaar enthielt. Du
brauchst nicht so zhuisch zu lächeln,
Zaud: wir alle wissen, daß so et
was als ein Anntlett gilt und Gliick
bringen soll. Man pslegt es nur
dein Geliebten zu schenken.... Hat
te er sein Glück verloren?
Jch steckte die kleine Reliquie ge
dankenvoll in die Tasche und suhr
nach Meudou, wo ich meinen Mann
trai, meinen Austragausrichtete
und sofort zurückzukehren beabsich
ingle«
Eis war ein ungewöhnlich schöner
Abend. Von dem alten Lbfervaio
rinnt ans sah ich Paris in einein
blauen Slkebelschleier liegen. Ich
wurde von Wehmut ergriffen nnd
aedachte meiner Heimatstadt, vor
allem gedachte ich der Sonnenun
tergänge iiberni Meere und meiner
kleinen Spielgefiihrtin Olga, die
der Tod mir genommen hatte.
Jch war auf dem Wege zum
Bahnhofe Plötzlich aber bemerkte
ich, dasz ich mich verlaufen hatte;
denn ich befand mich aus einmal in
einem schönen Wald. Jn Gedan
ken muszte ich den Weg nach Vas
Mendon eingeschlagen haben. Es
schadete nicht-, dort konnte ich einen
der kleinen Flnfzdampser nehmen
und in dass Herz von Paris gelan
aen. Jch setzte den einmal einge
schlagen-en Wen fort.
Als ich. halb in Gedanken, die
Hand in die Tasche führte, fand
ich das kleine Amnletn das ich be
reit-:- vergesseu hatte. Jch blieb
iiberrascht stehen. Jn der Abend
beleuchtuna schimmerten die Haar
ringel wie Mondschein —- sie hat
ten dieselbe Farbe wie Olgas Zöp
haben2 Welche Gedanken und
Wünsche knüpfte-i sich daran? Mir
war, als ob das kleine Ding die
dustende Wärme einer weichen Haut
ausströmtr. Jch iiißte die kleinen
Haarlocken und vergaß, dafz sie nicht
sür mich bestimmt waren.
Da fiel ein Schatten siber den
Weg. Als ich aussah, stand die
tete Olga vor mir.
Sie war es und war es doch wie
derum nicht. Schlank und blond
stand sie da, vier oder siinf Jahre
älter als die Verstorbene, aber wenn
nga gelebt hätte, wäre sie wie die
se gewesen. Und dann das Haar
—- daö Haar l Ich trug genau die
selben Loeken an meinem gesunde
nen Annilett·
Jch stand eine Weile ganz stumm
und starrte sie an. Jch dachte, dass
das Bild wie eine Vifion verschwin
den wiirde. Statt dessen aber fing
es an zu lachen. .
»Sie sind verkehrt acaanqen,"
sagte sie, »kommen Sie, ich will Jhs
nen den richtigen Weg seiseni·«
Zu meinem großen Erstaunen
batte das snnae Mädchen mich in
meiner eine-en Sprache angeredet
Ich fand keine Unte. Sie lachte:
»Ich Chöre dort ins Hans, zn
se.
Wein mochte das Amt-lett gehört
dem Manne, bei dem Sie eben wa
ren —- ich·bin seine —- seine Schwe
ster. Jch sah Sie durch eine halb
osfene Tiir und weiß, wer Sie sind
Abends pslege ich immer allein in
den Wald zn gehen und mich zu seh
nen. Ja, ich sehne mich nach Hau
se. Jch siihle mich nicht wohl hier,
nnd seine Arbeit bedriicit mich.«
Jhre Stimme barg alle Töne
der Heimat. Jch sehnte mich wie
sie. Seht wußte ich, wer sie war,
und zum erstenmale erschien auch
mir seine —- nnsere Arbeit wider
irärtig
»Sind Sie es, die die Ueberset
znngen macht?« fragte ich.
Sie nickte
»Wie heißen Ziel-«
,,Olga.«
Wie wenig gehört dazu, mn ein
Menschenschicksal zn bestimmen!
Ein Name nnd blonde Zöpfe in
einer Frühlings-nacht die wie das
erste Liebeserwachen der Jugend ist«
Jch war wie verhext nnd belne vor
Aufregung Während mehrerer
Stunden wanderte ich durch den
verzauberten Wald, wie in den
Märchen der Kindheit, mit Olga an
meiner Seite. Als wir uns trenn
ten, hatte sie mir altes von sich er
zählt, nnd ich ihr von mir. Jch
war in einem Zustand sieberhafter
Erhitzung, denn ach, meine Herren,
es war ja meine erste wirkliche Lie
be!«
Und damit hatten meine einsa
men Spaziergänge lang-I der Qnais
»in Paris ein Ende. Wenn die Sei
ne unter den glühenden Abendwols
ken errötete, war ich allerdings am
Ufer des Flusses —- aber weit
außerhalb der Stadt. nnd wir wa
ren zwei. Jeden Abend trafen Ol
ga und ich uns in einem Wirtshaus
in Vas Mendon, wo wir zusammen
sspeisten und uns erst trennten,
lusenn ess über die Kronen in Saint
lClonds Pack zu diinnnern begann.
Jhr Bruder war ans einer langen
Illntersnchnngsreise die das halbe
Europa umspannte.
llnd die Zeit slog. Der Früh
ling verging, es wurde Sommer-,
und statt in den Ferien nach Hause
zu reisen, mieiete ich eine Villa in
Sein-ess. Nachts schlang Olgas
Goldhaar sich wie ein Netz unt mei
nen ilotii. nnd den ganzen Tag
shörte ich ihie nielodische Stimme
in meiner eigenen Sprache unter
dem somiendnrchwebten Gewölbe
»der alten Bäume .
I Aber der Herbst sank und init
ihin der Ernst. Dieser Mann, aus
den wir uns verlassen hatten, war
von Anfang an ein Abtriinniger.
Er verriet nns, das heißt, er war
der bezahlte Spion einer anderen
Macht.
Kurz nnd gut: er wurde ent
.larvt und kurzer Prozeß ntit thn
gemacht. Sie wissen ja alle, meine
Herren, wie schnell solche Parasiten
verschwinden Eines Tages sind sie
plötzlich fort, als ob der Wind eine
Handvoll Staub fortgeblasen hat.
Und Olga ! Es war ein schwerer
Kampf. Sie’ war ja nicht seine
Schwester Sie war seine —- seine
sFrau oder etwas andere-I. Aber
stlicht ist Pflicht Sie wurde nach
lHause geschickt. Jch habe selbst die
IPapiere ausgestellt
! Das is tun alle-Z lange, lange
Her. Die -ache war übrigen-Z der
jtllnfang zu meiner Karriem sie
slrachte mir das erste Band fiir mein
’Knopfloch ein. Aus eine Weise hat
jdas Anmlett niir also Gliick ge
lbrakht Haha!«
H Brander trank seinen Freunden
Hu, das Glas in der Rechten; die
’Linke, die die Goldkapsel umschloß
bebte so start, dafi die Manschettens
knüpfe klapperten
Zand warf ihm einen langen
Blick zu.
»Du erzählst gut,« sagte er.
Und alr- Brander nun die Au
genbrauen hob, fügte er hinzu:
»Aber sage mal, habe ich Dich
recht verstanden, hast Du das Ninu
lett gesunden?«
Brander sah ihni unbekümmert
in die Augen und antwortete in
leichtem Tone.
»Aber natürlich. lieber Freund.
Die Aehnlichkeit des Haares ist ja
gerade das Mertwiirdiae bei der
Geschichte: wie ich erst das Amulett
fand und dann das Mädchen-«
Ruhe wählte zwischen seinen Zi
garetten nnd fliisterte Brander un
verinerkt mit seinem sanftesten Ton
fall zu:
»Gut gelogen, Du«l
Benzom der sast die Hälfte der
Eckauslasche geleert hatte, bat dar
inn, das Aniulett zu sehen.
Es herrschte einige Minuten
Schweigen, während M goldene
Medaillon von Sand zu Hand
ging. Der Deckel war geöffnet und
» der wars einen sltck anf. die
londen Halm-tagel. Ruhe me der
letzte, er betrachtete lange den blon-»
den Kranz.
Von draußen drang dass Tnten
der Autoniobilhupen herein, die vor
decn Neftaurant verfuhren
Ruhe knipste den Deckel des Me
daillons su. Mit einer ehrerbie
ttgen Bewegung gab er Brander
fein Eigentum zurück. Sein Ton
war ernst, fast feierlich- als er
sagte:
»Es sieht ans, als ob ein Bluts
steck aus dein Haare makes-«
Brander veränderte keine Miene.
»Wahrscheinlich ein Rotfleck,«
sagte er.
»Aber Gold rostet nicht«
Brander war erschreckend bleich.
Sein Ton aber verriet nicht-j-, als
er antwortete: .
»Gold nicht —- aber alle-Z ande
Der Oberkellner katn mit der
Rechnung Sie wurde ans einem
silbernen Tablett überreicht.
--.—-—
kc
—
Mt Si Mka
Von Lindtuig thust
Jni Vorraume ertönt heftig eine
ausgeregte Stimme; sie zerrt mich
gewaltsam wie mit starken Händen
aus meinem Halbschliiiiiiiier. Jch
habe die Empfindung, das; sich ir
gend etwas Ungehenress und Ent
scheidendes ereignet haben muß· So
grob spricht nur dass Schicksal, sage
ich mir, während ich bebend in die
Kleider stürze. Ich eile hinaus und
sehe gerade die Prachtvoll gebieten
sche.Geste eines mir unbekannten
Mannes-, der auf ein Fenster mise
res Wohnziinmers deutet. Vorsichtig
gucle ich aus die Straße nnd er
schrecke; eine Menschenmenge wim
melt miten, ihre Hände deuten alle
hinaus, gerade aus meine Wohnung.
Ich erwarte eine Rauchsänle, lodern
de Flammen, überlege rasch im
Geiste, was ich zuerst retten soll,
und beschließe, meine Manuskripte
verbrennen zu lassen. Schließlich
ist mir dann der Zufall eben zuvor
gekommen. . .. Aber nirgends- ist
Fener, und nun, Jor einer unbe
kannten Gefahr-, beginne ich, iingsts
lich zu werden« Jch beuge mich
hinaus und höre gerade, wie eine
dicke Fran, mit ihrem Ein
laufskorbe wie mit einem Spa
zierstocke aus mich weisend, ans-ruft:
»Dort ist ja das Vieh!«.... Jch
bin tödlich beleidigt und verlasse
entrüstet dass Fenster. Wie ich mich
umdrehe, ist der Eindringling auch
aus meiner Wohnung verschwunden.
Alles wird immer rätselhaster. Un
ten wächst das Volk an, schon kann
die Trambahn nicht mehr weiter
fahren, Nadsahrer springen ab nnd
starren wie gebannt heraus, und ich
bemerke besonders viele Leute in der
Ansammlung, die Palete tragen
und es eilig zn haben scheinen. Aber
jenes rätselhaie Ereignis hält sie
unten sesi.
Vorsichtig gucke ich durch die Vor
hiiuge nach dein Wunder auss, inein
Blick sucht iiberall —- nnd Plötzlich
entdecke ich aus dein Fenstersinis ein
sreiiidartigeks, betvegiiiigsloses, grü
nes Etwas-. Tas betrachte ich ge
nauer, und zu meinem Staunen er
kenne ich esJ als eineu jener kleinen
Papageie, die man in den Volarien
der Tiergiirten und deu Ausslageu
der Tierhijudler hiiusig sieht. Ein
Sittich, glaube ich. Er sin sehr be
trübt da oben, hat die Augen sast
geschlossen nnd schein von den Hun
derten hier der einzige, der seine
Ruhe bewahrt hat. Unten werden
die Kriegsspliine erörtert und ver
worfen, wie er einzusangeu wäre —
zuriick in den Käfig, dein er ent
sloh: er tut so, alOJ ginge ihn das
alles gar nicht au. Es- ehrt mich
daß er gerade zu niir das Vertrau
en liat, ich wurde seiner Freiheit
nicht uachstelleu. Freilich, es ist eine
tödliche Freiheit. Der arme Süd
landvogel ist wohl wiirinere Lust
gewohnt, und ich fürchte, er wird
die-I sonderbare Schicksal, das ihn
aus seiner iippigeu Tropeusreiheit
riß, unt sie ilnu erst hier wiederzu
geben, nicht ertragen. Wenn man
in Urwiildern herumsliegt und dann
plötzlich statt Schlingpilanzen die
Drahte der Straszenbalnien und Te
legrapben vor sich hatl Vielleicht
sehnt er sich auch nach dein Genossen
oder der Genossin· Diese kleinen
Papogeien leben ja immer bloß
paarweise, sterben zusammen, wie
sie zusammen lebten. Die »Unser
trennlichen" heißen sie. Und jener
arme Vogel ist so allein; niemand
aus der Welt kann einsamer sein.
Alles ist ihm feindlich, die Lust, die
Stadt, die sremde Erde- fOit die
vielen Menschen« die ihn zu bebau
ern glauben und doch nur aus seine
Knechtschast sinnen. Weil sie den
Glanz seiner Federn als Ergöhnng
ihrer Augen begehren, hat man ihm
ausgelanert, ihn ank- dem Lichte, der
strotzenden Wiirme seiner Heimat
herausgerissem ihn hierher gebracht,
in den Winter. Er hat rebelliert,
hatte Erfolg und hockt nun betrübt
ans dem Sims. So sieht das Glück
ans, das er im Kerker sich ersehn
te....
Jemand klopst mir aui die Schul
ter: Wir werden ihn gleich haben!
— Es ist wieder einer aus der
Menge da unten, ein besonders
Tatkrästiger! Er freut sich sehr die
ses Begegiiisses, seine graue Prole
tenexistenz scheint iiberschiinmert von
dem grünen Gefieder des Sittichs,
von dem Auszerordentlichem an dem
er nun teilhat· Der Mann hat et
was Sitgaestives,· keinen Augenblick
tonmit mir der Gedanke, dass dies
doch eigentlich meine Wohnung ist,
er rückt Tische fort, reißt Vorhiiuge
herunter-, steigt ans Sessel, und ver
Isichert dabei immer gutmütig lä
chelnd: »So ein armes Tierchen!
Wir werden es gleich haben!«....
» lind gleich daraus: »Gebt-n Sie dann
nur acht daraui!«.... Da ver
sichert Jemand neben nni,inan1nnne
es doch dem sriihereu Eigentümer
zuriictstellen, es werde gewisz schon
Ivermisztl —- Der Tatkriiftige ist we
igen des Einwandes unwillig, ei er
wartet offenbar von Inir siir den
sgesangenenSittich irgend eine aben
tenerliche Belohnung. Er schwingt
sich aufs Fensterbrett, lehnt sich weit
vor, ohne sich au«3til)alteti. Jch er
starre. ,,Nnr keine Angst! Jch bin
ein Fensterpntzerl« Die Leute nn
)ten werden still, erschauern, es ist
ein erschreckender Augenblick. Und
langsam greift der Mann vorniiber
gebeugt, frei aus einer Zehenspitze
iiber den Abgrund schwebend, nach
dein bekünnnerten, kleinen, grünen
Vogel. Jch schließe die Augen, weiß
nicht, ab sich hier ein Vogels oder
ein Menschenschicksal entscheidet. Erst
das ungeheure Gelächter da unten
weckt mich. »Weg ist erl« rust ganz
lustig der Feusterpntzer und springt
wieder ins Zimmer. »So ein
Mistviehl Wenn er nur eine Se
knnde noch gewartet hatte! Jetzt
holt ihn keiner!«
Der Mann ist gar nicht bösäi dar
über, nicht iiber dass Gelächter-, nicht
über seine enttiinschte Hoffnung
Nein, er strahlt noch non der Bewe
gung dieser Augenblicke, non dein
Erlebnisse, das ihnt da mitten in
den Alltag slog nnd entschwand. Zo
siihlen wohl auch die Menschen da
unten, die sich nun verlaufen. Ganz
unvermittelt wird die Straße wieder
gleichgültig, gelangweilt und nüch
tern. i
Unterdes suche ich mit den Augen
den Sittich. Aber er ist verschwun-.
den in der weiten seindlichen Welt
und stirbt irgendwo einsam, so ein
sam int Grauen, ein Opfer seiner
Bnntheit.
Es gibt so viel Glänzendes nnd
Farbiges, dass geheht wird und ver
dirbt, damit die Grauen ihre mat
ten Angen delettieren können.
Mich sröstelt; ach ja, die Fenster
sind noch ausgerissen. Es ist so
kalt —- nicht wahr, kleinen griiner
SittichZ
Yie reinste Freude.
Hinnoriitisciie EtiUe von Paul Panli.
Eines Nachmittags — ich kam eben
sang einer Nachtsitzung des literari
lschen Vereins »Pegasusdressur, Ver
iein zur gegenseitigen Bertieinerung«,
sdie sich wegen der eingehenden Beut
steilung der abwesenden Mitglieder ein
wenig in die Länge gezogen hatte —
sdieseg Nachmittags also sah ich einen«
1Herrn vor mir hergehen, der am gan
jzen Körper schleuderte, gerade als ob
er aus Sülze wäre und ihm jemand
seinen Stoß gegeben hätte. Immer
swieder und immer wieder wackelte der
sganze, schwere Körper, ja, er tam
aus den. Scheppern gar nicht her
aus, so daß er zuletzt Formen an
nahm, als sei er aus Wellblech an
gefertigt und dieses sei ins Wellen
geraten. Das tam mir unendlich
tomisch dor, und ich entschlosz mich,
mir den Mann etwas genauer anzu
sehen.
Ich ging dcsbalb etwas schneller
und halte ihn auch bald überholt.
Mein Gott, das war ja mein al
ter Freund Gotthils Weißsiein, ein
bekannter Kritiler —- und er lachte,
lachte, daß er sich kaum halten konn
te, »Doltor«, sage ich, »was ist pas
siert? Schwiegermutter gestorben?«
Er schüttelte den Kopf. Der Glückliche
hatte weder Frau noch Schwiegermut
ter.
Jch wurde ungeduldig, besondere
weil er so deharrlich fortfuhr, zir la
chen.
»Nein, nein«, so te er dann mäh
sam, sich die Lachtr nen aus den Au
gen wischend, »mi: ist —- mir ist s-·
mir ist —- etwas furchtbar Spaßhafs
tes passiert.« Und er sing wieder an
zu schen-ern
,,Na, was denn?-« fragte ich ärger
lich, »was isi denn loå?«
»Einen Augenblick!« sagte er, Atem .
schöpfend, und blieb stehen. »Also«,
sing er seinen Bericht an, indem er
die Pause benutzte, seinen von Lachen
aus die Seite gerutschten Bauch wie
der an die richtige Stelle zu schieben,
»also, es ist etwa zwei Stunden her-,
seit ich diesen« — er hob mit einer
bezeichnenden Gebärde den Finger bis
zu dem Rand seines Haus« eines im
pertinent weißen Panamas —- »ge
tauft habe- und ich ging nach abge
schlossenem Handel, der sich etwas in
die Länge gezogen hatte, weil der Ver
täuser schwerhötig war und ich doch
mit dem Munde nicht so gut weg
tam" — mein Freund stotterte etwas
-— »zu Achinger, in die Filiale der
Alexanderstrasze, um ein Glas Bier
zu trinken.
Jch hänge meinen Hut an einen
Haken, setze mich hin und bestelle ein
Glas Bier. Gleich nach mir kommt
ein junger Mann in das Lokal, der
hängt seinen Hut an den Nebenha
ken, setzt sich ebenfalls nieder und
bestellt sich ein Glas Bier, oder
holte es sich selber-, ich weiß nicht
mehr.
Sein Hut war auch von Stroh,
aber es mußte nicht neu gewesen sein
als man den Hut daraus flocht. Viel
leicht war es schon einmal als Stall
ftroh benutzt worden — so sah der
Hut wenigstens aus.
Jch achtete aber nicht weiter auf
ihn. Was ging mich der fremde
Mensch an, und es war ein Zufall,
daß ich aufsah, wie er sich erhebt, sich
umwendet, meinen Hut vom Haken
nimmt und fortgeht.« .
,,Seinen Hutt«
»Nein, meinen Hutt«
»Aha, fo, deinen Hut! Also ein
Hutmarderi Na, was hast du denn
di. gemacht?«
»Was sollte ich denn machen? Ru
fen konnte ich nicht —- eh’ ich das
rausgebracht hätte, wäre er längst
über alle Berge gewesen. Also ich
nahm eben seinen Hut vom holen, fet
te ihn auf und ging ihm nach. Jch
wollte ihn einholen und ihm einfach
meinen Hut wieder wegnehmen, und
wenn er frech geworden wäre, ihn
einfach einsperrcn lassen. Aber ich
überlegte mir das. Jch hatte fa gar
keine Zeugen, daß sein Hut mein Hut
und dafz mein Hut sein Hut war. Jch
ging also hinter ihm her und grübelte,
wag zu tun sei.
Der Vorfall ereignete sich in der
Nähe des Polizeipräsidiums. Er geht
die Alexanderftraße herauf — ich
nach. Er geht über den Alexander
platz —- ich nach. Er geht die Kö
nigsftraßc hinunter — ich ihm nach.
Er eilt über die Schloßbriicke — ich
eile nach. Er biegt in die Charlotten
straße ein —- ich biege mit. Er
wendet sich, wendet sich der Friedrich
ftrafze zu —- ich wende mit. Er tritt
in ein kleines Reftaurant —- ich trete
ebenfalls ein· Er hängt meinen Hut an
einen Daten —- ich den feinen dicht
neben seinen — meinen. Er setzte sich
— - ich setze mich mit. Er bestellt ein
Glas Bier -- ich befielle auch ein
Glas Bier. Er setzt sich mit dem
Riicken gegen die Türe —- ich setze
mich mit dem Gesicht gegen sie. Er
trinkt sein Bier aus und bestellt sich
ein neues- — ich trinke mein Bier aus
und bestelle kein neues, bezahle, stehe
auf, gehe zum Kleiderhalen, setze mei
nen Hut auf und gehe. Und jetzt muß
ich halt lachen, wenn ich an das Ge
sicht dente, was der machen wird,
wenn er seinen alten Hut wieder an
dem Haken findet.«
Aus der Reduktion.
Redakteur (;,um Dichter): »Ouier
Sie mir Jhre Manustripte nu: hier;
ich werde Jhre Splitter jedenfalls im
Augen behalten!«
Ist
Redakteur eines Witzblnttes zu ei
nein Mitarbeit-n »Jhre Witze wer
den einseitig. -— Sie miissen sich nicht
Io oft auf den Kindermund den
Deckel und auf das Theater legen-«
—J-n Sicherheit Juncie
Frau (in dem höchftgelegenen Badehw
tel der Schweiz): ,,Llch, Männchen,
wie weltentriickt ist man hier oben!
Weißt du, von hier aus möchte ich
unserm Dienstmädchen tiindigen!«
—- Naiv. Bartfifch (im ländli
chen Knrort): »Sieh doch, Martin, die
beiden dünnen Schweinchen . .Die
sind gewiß auch zur Kur hieri«
— Ei n guter Mensch. Sie:
»Wenn Du fo unsinnig Geld hinaus
wiefft mit vollen Händen werde ich
noch Gütertrennung von Dir bean
tragen!« »
Er: «J·fi recht —- das Klavier
darfst Du behalten!«