Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 08, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

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    Aus Ringen
morden Zeiten«
Roman von steten copies-sch.
(5. Ioeienungx
Beennett wies mit einer Handbetop
z ung auf den Staatsanwalt, und on
F fein einer Stelle gnb dieser te Antwort:
« »Er soll eintretenk
Sol-end sich die Tiik wieder ge
schlossen hatte, sahen die beiden ein
ander mit bedenknngsvollem Blick in
die Augen, und Lüdemnnn sagte:
,Der Regierungsrat kommt hierher
-—«« in das Hans- vek Ermordeten —
das ist auf alle Filtr- benchtenstvert —
so oder fo«.
»Seht benchtesxcwert«, wiederholte
der Polizeitommisior.
Es dauerte nur einen Augenblick,
bis die Tiir sich wieder von außen
öffnete und in ihrem Rahmen Dürins
geis traftvalle Gestalt erschien. Die
gelbliche Hautfarbe seines Gesiclxtes
war aufsallend blaß, und er mußte
für die Dauer einer Selunde tief
auiatmend unt Fassung ringen, bevor
er sprechen konnte. Dann ging er
’niit leichter Verbeugung auf Brennert
zu und sagte: »Herr Kommissar, ich
suchte sie auf Jhrem Burenu, dort
wurde mir aber gesagt, ich wiirde Sie
hier finden«.
Brennert wies auf Liidemann.
«Das trifft sich gut, Herr Regie
rungsrat. Sie tönnen Jhre Mittei
lungen sogleich dem Herrn Staatsan
walt selber machen«.
Es gab Diiringer einen leisen R1:cl,
als et sich so dem Staatsanwalt ge
genübergestelli sah, doch er wandte sich
dann schnell gefaßt ihm zu, stellte sich
vor und sagte: »Der Herr Kommis
sar machte mir gestern abend noch die
Mitteilung« daß niich die Jungfer der
— des Fräulein Runewta hier im
Hause gesehen haben will. Jch stelle
das nach wie vor ganz entschieden in
Abredez ich war gestern abend nicht
hier im Hause. Aber der unerwartete
Besuch des herrn Nommissars hatte
mich so verwirrt gemacht, vasz ich aus
eine mir heute selbst unbegreifliche
Weise versäumt habe, gleich zu sagen,
was ohne weite-etc die Behauptung
von meiner Anwesenheit hier wider
legt hötte«.
.Bitte, nehmen Sie Platz, Herr
Regierungsrat, und lassen Sie uns
die Sache einmal in aller Gemüts
ruhe bereden. Sie haben also gestern
vergessen· einen wichtigen Punkt anzu
führenlt«
»Allerdingsi«
«llnd was ist edi«
«Datf ich zunächst noch eine Frage
tuni Ich wiiszte gern die genaue Zeit,
ann mich die Jungfer hier gesehen
den tvill«.
--' «llm halb neun llhr ungrsahr. Ein
paar Minuten vorher oder nachher«.
«Gut. Jch tann demgegenüber ei
nen Zeugen anführen, der von ein
Viertel nach acht Uhr bis etwa zehn
Minuten vor neun mit mir zusam
mengewesen isl«.
. «Wirllich? Das würde ja die An
gaben der Jungfer gründlich wieder
legen'«. Der Staatsanwalt warf
Brennert einen Blick zu, der einen
f lleinen Triumle betundete, und stag
te gleichzeitig: »Wer war denn dieser
Zeuge2ff
»Ein alter Freund von mir, Ju
lius v. kiiittiter tnit Namen, ein ver
D mögender Junggeselle, aer draußen
i in der Vorstadt Yxenz jetzt ein paar
I Monate in der Pension Herbart ge
wohnt hat'«.
, »Ich glaube, daß ich ihn von An
s sehen kenne. Und wo waren Sie mit
ilnn zusammen-«
»Ich machte gestern abend einen
Spaziergang, wobei ich Mittner in
der Nähe des Justisztiastes trat. Ich
begleitete ihn dann ein Stück wtii
nach seiner Wohnung hin. Er hatte
eigentlich fahren wollen, ttttr zut« e
ging er aber zu kkksz Während wir
beisammen waret-. schlug es halb neun
Uhr. Jch soeiß es bestimmt, weil
Rittner seine Uhr herauszog und sie
stellte«.
»Ein Aiibi, wie matt sich's nur
wünschen lann. Haben Sie sit, i:k«.t·
Ihrem Freunde bereits ins Einver
nehmen gesest wegen seiner Aussage,«
s die autt formellen Gründen ja notig
it?«« l
f i«Ii)iiringer stockte mornentan, suchte(
noch Worte, blickte unsicher umher.
«Jch hätte das bereits getan, —- es
«re ja das Natürliche und Gebo
e e, —- aber die Sache, —- leider ist
eine Schwierigkeit bei der Sache.
Mein Freund ist nämlich gestern
abend um els Uhr abgereisl nach dein
Süden, —- er ist sehr viel aus Reisen,
—- besonders im Winter, den er in
Deutschland nicht liebt, — nnd ich
innn leider nicht angeben, wo er sich
kurzeit besindet«.
Liidernann mußte, wider Willen
vielleicht, Brennert abermals an
schauen, der dem Staatsanwalt sei
nen triumphierenden Blick von vor
hin Urteil-gab
« »Ja, das bedingt eine für miæ
seh- unangenehme Ver ögerung. J
werde selbstverständli versu en,
Rittner lelegravhtsch zu errel en,
L aber es tvird seine Schwierigkeiten
I« ben. Denn er sagt nie vorher, wo
in er ·siihit, kann es auch nicht«
mit er sich niemals einen bestimm
—--—..——-..---—,--—- - —. -- —— .-. Ahn
ten Reiseplnn macht, sondern sich auf
vermögender Mann, der jede Laune
zu befriedigen vermag, vorn Augen
blick treiben läßt« Sicher ist nur« daß
er stets nach dem Süden geht« Jni
übrigen hat er Inir auch gesagt, daß
er selbst nicht wisse, wohin der Wind
ihn treibe. Bis Basel ist ihm der
Weg wohl vorgezeichnet, iiber Basel.
musz er jetzt aber schon hinaus sein,«
und ob er weiter über den Gotthard,
über den Genser See oder über den:
Simplon sährt, ist eine Sache des
.Zusalls, der Reisegesellschnst, irgend-,
seines äußeren Umstandes. Trotzdem
werde ich gleich an ein paar Stand-!
»nen der genannten Routen telegrai
sphieren und versuchen, ob durch Ra
Tmentsnufrus mein Freund in eineml
»der durchpassierenden Schneslziiges
dech vielleicht zu ermitteln ist« Aber!
zleider ist es eine ziemlich unsichere.
sAussichy und mit Schreiben gibt
»Nittner sich nuch nicht gern ab. Sol
Jtann —- ich vemerie das von vornher
’ein — einige Zeit vergeben, bis es
iinir gelingt, mich iiiit ihm in Ver
Ibindiing zu schein«
’ Nach dem ersten, augenblicklichen
iStocken hatte Düringer schnell, in
einein sogar immer mehr steigenden
Tempo gesprochen. ZDoppelt start
wirkte nun die Stille, die seinen
Worten folgte. Denn der Staatsan
walt antwortete nicht gleich, sondern
zeichnete mit einer Fingerspitze aller
lei Figuren auf die grüne Pliischdecle
des Tisches, an dem er faß, wobei
er den Iiopf zugleich nachdenklich hin
fund her bewegte. Nach einem Schwei
gen, das länger schien, als es war,
isprach er dann in einem leicht ver
sändertem tiihleren Tone: »Das ist
junaiigeiiehnh —- sehr unangenehin
ffiir Sie, herr Regierungsrat, und
siir die Behörde« Machen Sie aber
iiminerhin den Versuch, Jhisn so un
lzeitig abgereisien herrn v. Rittner
izu erreichen. wenn mir aii ein Ersi
sfolg wenig wahrscheinlich it.« i
s »Mit-er auch mir,'« sagte Diiriiiger I
fund stand anf. Jedenfalls will iih
i
eilen, —- wenn Sie mich nichts mehr
szu fragen haben, herr Staatsan
iroalt."
i »Mir ein paar Worte noch. Sie
shaben eine Bekanntschaft mit der»
JVerstorbenen gestern abend schon dem l
lHerrn Kommissar gegenüber zuges
’sianden, nicht wahr?" ·
. Eine merkwürdige Veränderungi
zeigte sich bei Düringer, als die Ku
newia erwähnt wurde. Seine Lip
’peii zuckten, als wenn er mit Wei
Jnen tiimpfte, seine Hände bewegten(
:sich nervbs, und mühsam, heiser tass
imen seine Worte hervor: Allerdings
i— gewiß. —- der Wahrheit gemäß.«
; »Jhre Bekanntschaft war nicht von
"älterein Datum, wurde hier erst an
geiniipft2«
Einen Moment schien Düringer zu
zögern, zu überlegen, um dann in
derselben heiseren Weise zu sagen
«Jch habe sie hier erst leniien gelernt.
Ich bewunderte sie als Künstlerim
das tat fast ein jeder in der Stadt,
—- und ich habe sie besucht.'«
»Wurden Sie hier in diesem Bon
doir von ihr empfangen?«
»Ja, hier. Dort, —- dort auf dein
Diwan hat sie mir gegenüber geses
sen.'« Wieder klang eine tiefe Bewe
giing aus Düringers Worten.
Auch der Staatsanwalt erhob sich.
»Für heute will ich Sie nicht aus
halten, wir werden jedenfalls noch
öfters miteinander zu ionferieren
haben-«
»Ja, ich werde zum Telegraphem
amt gehen,« sagte Diiringer, bewegte
sich aber dabei nicht vom Fleck. Er
starrte zur Tür hinüber, die nach
dein Speisezimmer führte, und seine
Hand hob sich langsam, dorthin wei
send, wie von fremder Macht wider
Willen regiert.
»Ist-sie, — ist sie sehr eiitftellt?«
»Ortss
,,Liegt sie dort —- dort im Zim
mer?«
»Nein. Der Herr Kreisphnsilus
wollte den Körper ins Schlafzimmer
schaffen lassen, um alles für die Sel
tion vorzubereiten.«
»Ob« es ist furchtbar —- furcht
bar!'« Ein lonvulsivifches Weinen er
tchiitierte Düringers Körper fiir
einen Augenblick, doch ging es rasch
vorüber.
»hätten Sie den Wunsch, sie noch
einmal zu sehen?'«
»Nein, nein —- oh nein! Jch bitte
Sie, verschonen Sie mich damit und
lassen Sie mich gehenl'·
»Ich halte Sie nicht.«
Der Regierungsrat öffnete die
Lippen, als wenn er noch etwas fa
gen wollte« machte dann aber nur
eine stumme Verbeugung und ging
hinaus.
Staatsanwalt und Kommissar
schauten einander stumm in die
Augen.
»Seltsam ist sein Betragen, das ift
nicht zu leugnen,·« sagte Liidemann.
«Selfr seltsam.«
»Und seine so merltvtirdig spät
vorgetragene Geschichte von diesem
Herrn Rittner klingt start na dem
roßen Unbelannten, den wir o gut
ennen, und der niemals aufzufin
den ift.«
Mir ifi es am auffallendften, daß
er hierher ins caus gekommen ist-«
«Warumi«
« Werk Staatsanwalt lennen doch
den merkwürdigen Reiz, den der
Plai des Mardes auf den Mörder
tlbt. Und außerdem —- tpenn er in,
die Tat vermittelt wäre —, so hötteY
fein Kommen auch den Zweck haben
tönnen, zu sehen, ob nicht irgendwel
che Spur von feinem Hiersein geblie
ben wäres«
»Dasitr hätte doch nnr der Anblick»
des Zimmers nützen können, wo der
Mord geschah. Nein, nein —- ich will ·
auf diesem Wege nicht weitergehen.
Tatsachen zwingen bisher dazu nicht
wenn ich auch gestehe, daß mir dies
vergessene Alibi recht verdächtig er
scheint. Aber wir hoben ja die viel
handgreiflichere Spur der beiden ver
dächtigen Burschen, und auch die
Glnubwiirdigteit der Jungfer haben
wir noch nicht tontroltiert. Vielleicht
hätten Sie die Freundlichteit, jetzt
einmal wieder an die Gendarmeries
stotion in Hegendorf zu telephonieren’
und nach dem Erfolg der Recherchen
tu froaen. Der Herr Höcker oben
diirfte wohl ein Telephon haben.«
»Ich werde gleich nachsehen."
»Und hinterher wollen wir die
Stubenföhr vernehmen. Ader nicht
eher, als bis Sie zurück sind.«
Mit stummer Zustimmung ent
fernte sich Brennert, während sich der
Staatsanwalt ins Schlafzimmer be
gab, wo der Kreisphhfilus bei feiner
traurigen Arbeit war.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis
der Kommissar seine Rucltunft mel
dete; fein Gesicht schien Besonderes
anznzeigem Liidemann erkannte das
auf den ersten Blick und ging mit
ihm wieder in das Boudoir.
»Nun, haben Sie oben ein Tele
phon gefunden?«
»Allerdings«. Und es hat niir ge
sagt, daß ich ein Dummtopf gewesen
bin.««
»Wieso?"
»Weil ich dieser Person, dieser
Stubenfiihr, zu viel geglaubt hat«-e
Sie liigt.«
»Wirtlich'i Sehen Sie wohl, jetzt
werden wir zu den Tatsachen kom
men.«
»Hofsentlich. Jn Hegendors ist je
denfalls festgestellt worden, daß die
alte Frau Stubensöhr lerngesund ist.
Unsere Zeugin aber hat ihrer Mut
ter gesagt, sie miifse mit dem-Zuge
um dreiviertel acht Uhr hierher zu
rücksahren, weil sie nicht länger Ur
laub habe. Das genaue Gegenteil
also von dem hier Ausgesagten.«
»Sehen Sie wohl, daß diese Kon
trolle doch nötig und moglich war
Nun wollen wir aber die Person
selbst einmal vernehmen.«
»Sie läuft bereits aus dem Kor
ridor umher und wartet, scheinbar in
großer Aufregungk
f »Seien Sie so gut, sie hereinzurus
en.«
Erennert ging an die Tiir und rief
Marie Stubenföhr ins Baudoir. Es
war eine tleine, zierliche, hubsche
Person, die mit einem halb toletten,
halb nerviisen Lächeln vor den
Staatsanwalt hintrat.
Er stellte zuerst it ruhiger
Freundlichkeit ein paar leichgiiltige
Fragen über Namen und hertunft
und fuhr dann sort: »Seit wann
waren Sie bei der Verstorbenen in
Dienst2«
»Erst seit Oltober, als das Thea
ter anfing und sie hierherlam. Aber
wenn es auch nur ein paar Monate
waren, ich habe sie doch in der tur
zen Zeit so lieb gewonnen, so lieb!
Sie war immer gut und heiter und
freundlich «
»Wenn das wahr ist, was Sie da
eben über ihre Zuneigung und Er
gebenheit fiir die Tote gesagt haben,
dann sollten Sie doch auch alles tun,
um zur Bestrafung des Mörders bei
sinnigem
»Aber ich habe doch dein Herrn
Kommissar gestern bereits alles ge
sagt, was ich weiß.«
»Nein, das haben Sie nicht getan.
Sie haben gelogen-« Die Stimme
Lüdemanns nahm auch jetzt keinen
Ausdruck von Horn und Hesiigteit
an, sondern blieb ruhig und freund
lich wie zuvor, so daß auf dem Ge
sicht der Jungser zuerst mehr ein un
gläubiges Erstaunen als Erschreaen
zu sehen war. Dann aber flammte
ein heißes Rot darin aus« und sie
sagte mit bebender, unsicherer Stim
me: »Wieso soll ich denn gelogen ha
ben, Herr Staatsanwalt?«
»Sie haben gesagt, Sie seien schon
um dreiviertel acht Uhr von hegen
dors abgesahren, weit Jhre Mutter
unwohl gewesen sei. Das ist nicht
wahr; Jhre Mutter ist terngesund.
Sie haben ferner dort gesagt, Sie
müßten um die angegebene Zeit fort
sahren, weil Sie nicht länger Urlaub
hätten. Das ist auch nicht wahr. Sie
hatten, wie Sie dein herrn Kommis
sar gegenüber aussagten, Erlaubnis,
bis um els Uhr sortzubleiben, und ich
habe Grund anzunehmen, daß dieser
Teil Jhrer Angaben richtig war. Al
les iibrige aber war salsch und erlo
gen.«
Marie Stubensöhr brach plötzlich
in Weinen aus, hob die hände bit
tend empor und ries
.,Oh, Herr Staatsanwalt, machen
Sie mich nicht unglückilcht«
»Es ist nicht mein Zweck, Sie un
glücklich zu machen. Mein Zweck ist
es, die Wahrheit herauszubringen
Und ich rate Ihnen, mir ietzt in al
lem und jedem die Wahrheit zu sa
gen.«
»Ja, ja, das will ich tun, Herr
Staatsanwalt! Jch sehe ja doch, daß
alles herauskommt Aber unsereins
hat auch ein Deri in der Brust und
l
Fischte gern was haben siie sein Ge
übt«
»Aha ·- eine Liebesgeschichte
Läust es daraus hinan-W
»Ja, wenn der here Staatsanwalt
es so nennen wollen. Aber nichts
Leichtsinnigeö —- ganz in allen Eh
ren, Heer Staatsanwalt Jch habe
einen Bräutigam, einen richtigen
Bräutigam, der mich heiraten will,
tvenn er nur erst eine Frau ernähren
kann. Franz heißt er nnd ist Schlos
ser, und ich hatte für gestern abend
mit ihm verabredet, wie wollten uns
um halb neun Uhr, weit ich da ge
wöhnlich mit meiner Arbeit fertig
war, hier vor dem Hause siir eine
Viertelstunde treffen. Fräulein Ku
newta gab mir aber gestern oen Ur
laub erst nachmittags und so uner
wartet, baß ich meinem Bräutigam
teine Nachricht mehr schicken konnte.
Darum habe ich zu Hause gesagt, ich
müßte schon um dreiviertel acht Uhr
wieder sort, und weil ich dachte,
Fräulein Kunetvta hätte vielleicht tr
gend jemand im Haus erzählt, ich
brauchte nicht vor els Uhr wiederzu
toinmen, da habe ich mir das aus
gedacht mit der Kranihcit von meiner
Mutter-. So ist es gewesen, lHerr
Staatsanwalt, wahr und wahrhaf
tig!«
»Die Geschichte rungr einigerma
ßen glaubhaft. Wie heißt Jhr Ver
tobter und wo steht er in Arbeit?«
»Franz Riedegger heißt er und er
arbeitet schon seit vier Jahren in der
großen Kunstschlosserei von Heinrich
Mathiag in der Hochstraße«.
»Gut· Und wie war es gestern
abend? Haben Sie Franz Nisegger
hier um halb neun Uhr vor dem
Hause getroffen?«
»Ja, Herr Staatsanwalt, schon
etwas eher. Denn er stand bereits va,
wie ich von der Bahn kam, was un
gefähr fünf Minuten vor halb neun
war. Er hatte nämlich nur einen
Augenblick Zeit, was er vorher nicht
gewußt hatte, weil eine Versamm
lung unerwartet aus dieselbe Zeit
einberufen war."
»Was fiir eine Versammlung?"
,,Eine Arbeiterversammlung, wei
ter weiß ich nichts. Nur daß er dort
eine Rede halten sollte.«
»Eine sozialistische Versamm
lung’t"
»Es ist wohl möglich, Herr
Staatsanwalt, aber genau weiß ich
es nicht«
»Wie lange sind Sie gestern mit
Ihrem Verlobten zusammen gewe
seni"' fuhr der Staatsanwalt fort.
»Ach, nur ganz kurz. Wir hörten
es halb neun schlagen auf der Niko
laitirche, und da hat er gleich gesagt,
er. müßte nun fort, er käme so schon
zu lpät«.
»Ist er denn lvirllich sofort gegan
geni«
»Ja —- das heißt, ein Paar kurze
Minuten ist er noch geblieben und
hat mir einen Kuß gegeben im Haus
gang. Ach, er kann so wunderschön
iiissenl«
»Das interessiert mich weiter nicht,
ob Herr Niedegger schön tiissen kann.
Aber wann, um welche Zeit genau,
ist er gegangen?«
»Es lann drei, höchstens fünf Mi
nuten nach halb neun gewesen sein«.
»Und Sie sind gleich darauf ins
Haus und nach oben auf Jhr Zim
mer gegangen?«
»Jawohl, Herr Staatsanwalt, und
eben bei dieser Gelegenheit bin ich dem
Herrn Regierungsrat von Düringer
begegnel«.
»Sie halten also die Behauptung
aufrecht, ihm gestern hier begegnet zu
seini«
»Ganz gewin. Was yane ich na
bei, mir so etwas augzudeiiten?«
»Es war aus der Treppe nach Ih
rer Angabe, nicht wohn-"
«Jawohl, aus der Treppe«.
»Und aus der Treppe zu welchem
Stoawert?'«
»Doch zu diesem hier, Herr Staats
anwalt! Jch setzte gerade meinen Fuß
aus die unterste Stufe, da tain der
Herr Regierungsrat eben um die Ecke
der Treppe und gerade auf mich sit-"
»Sie tannten den Herrn Regie
rungsrati«
»Ja, gewiß —- weil er doch zwei
oder dreimal bei meinem Fräulein
gewesen war und weil er mir bei sei
nem ersten Besuch seine Visitentarte
gab, die ich natürlich las«.
»Natürlich! War es hell im Trep
penhaus?«
«Oh sa, so ziemlich. Das elek
trische Licht brennt ja nicht übermä
ßig hell, aber es war doch eine Flam
me hier im Flur und eine vor un
serer Korridortiiy und ich konnte
ganz gut sehen".
»Wie war der Herr, dem Sie be
gegneten, gekleideti«
»Er trug einen Pelz, in den er dicht
eingewickelt war, weil wir doch ge
stern abend recht unsreundliches Wet
ter hatten und einen braunen Hut.
Jch glaub-, daß es ein Paischhut
war«. -
»Sie können sich nicht geirrt, kön
nen den herrn Regierungsrat nicht
mit einem anderen Herrn verwechselt
habeni"
»O nein, Herr Staats-i valt. Jch
kann es jeden Augenblick eschwören
bei Gott dem Allmächtigen, daß er
es war«.
Der Staatsanwalt hatte seine Fra
gen slehend getan; jetzt ging er ein.
paarmal mit gesenktem Kon aus und
ab, wobei er Zeigesinger und Daumen
W
-—.——
feiner linken Hand aneinander riebÅ
was bei ihm als ein Zeichen tiefen
und unbefriedigten Grübean galt
Sich dann aber aus der nachdenkenden
Stellung aufeaffend, trat er wieder
vor vie Jungfer hin.
»Sie haben gestern abend angege
ben, baß In der Wohnung nichts fehle,
daß also nichts geraubt worden sei?«'
»Ja, soweit es in der Eile mög
lich war. Der Herr Kommissar mem
tea« —
»Ich weiß, es ist vorläufig nur
eberflächlich nachgesehen worden. Wir
wollen das jetzt grünblieher besorgen.
Wo pflegte Ihre Herrin Geld und
Schmuclsachen aufzubewahren?«
»Geld hatte fie überhaupt immer
nur wenig un Hause. Sie sagte, das
müsse man als einzelne Dame so ma
chen. Sie trug es zur Deutschen
Bank und holte sich, was sie ge
branchte«.
»und Ihren svchmuar Versamme
leriniien pflegen wertvolle Sachen zu
haben«.
»Das hatte sie auch. Eine herrliche—
Perlentette namentlich. Damit war
sie"sehr sorgfältig. Jn ihrem Tonn
tezimmer im Kleiderschrant ist eine ei
serne Fiassette aiigeschraubt, und in
ihr wurden die kostbarsten Sachen
aufbewahrt. Mit anderen Dingen
war sie weniger genau. So lagen
immer verschiedene Ringe und Bro
schen auf ihrem Toilettetisch in einer
Metallschate, die wie eine Muschel
aussieht. Jch sagte ihr ein paarinal,
das wäre doch unvorsichtig, aber sie
antwortete mir, es wäre so bequemer,
und wenn von diesen Sachen einmal
was gestohlen iviirde, dann wäre das
tlngtnct nicht allzu groß«.
»Wo bewahrte sie den Schlüssel zu
der eisernen Kassette aus?«
»Ja einer Handtasche, von der sie
sich niemals tren-ite«.
»Sie tomite die Tasche doch nicht
mit auf die Bühne nehnien«.
»Das nicht. Wenn sie spielte, blieb
die Tasche in der Garderobe, und ich
mußte daraus achten. Das band sie
mir jedesmal aus die Seele«.
«Jst in der Kassette gestern bereits
nachgesehen morden?«
Jetzt antwortete Brennert an
Steue des Mädchens. »Ja, Herr
Staatsanwalt; nichtig ist es gesche
hen. Jch habe verschiedene Schlussel
an mich genommen, —- hier stsd sie«.;
»Auch von den Schmucksachen fehlt
nichts, die gestern von der Schauspie
lerin getragen tvurden?« .
»Nein, nach den Aussagen der?
Jungfer hier fehlt nichts«. "
»Nun, wir wollen alles noch einmal
nachsehen«.
Sie gingen über den Koreidor und
betraten, ohne das Schlasgeinach zu
berühren, das durch Brennert aufge
schlossene, daneben gelegene Toiletten
ziinmer. Auch hier brannte bereits
Licht und beleuchtete den Raum, wo
die Tote sich gestern siir den unbe
kannten Gast geschmückt hatte. Aus
dem Toilettetisch lagen allerlei Ap
parate siir Schonheitspflege; Puder
und Schminte deuteten auf ihren Be
rus.
Zuerst öffnete der Kommissar den
Kleiderschraiit, dann auch, indem er
darüber hängende Kleider beiseite
schob, die fest an den Boden ge
schraubte Kassettr. Ein mit rotem
Samt iiberzogener Lasten wurde
oariii sichtbar, der sich an einem ver
goldeten Grisse herausheben ließ. Als
Brenners seinen Deckel zuriictschlug,
drang ein Blitzen und Leuchten von
edlen Steinen und Perlen daraus
hervor. Die schimmernde, dreireihige
hterleiitette vor allein war an ihrem
Platz, auch sonst lagen die Schwiel
stücte wohlgeordnet uiid scheinbar un
berührt.
»Haben Sie diese Sachen öfters ge
seheni ttöiinen Sie mit Bestimmtheit
sagen, ob nichts fehlt?«
»Gewiß, Herr Staatsanivalt«, er
widerte Marie Stubeiisöhr. »Uiisereinö
hat doch auch seiite Freude an so scho
nen Sachen, freilich immer nur von
weitem. Aber ich lenne das alles
ugenau und weiß, daß nichts fehlt".
»Nun wohl, dann schließen Sie
Kasten und tiafseite wieder ab, Herr
Kommissar. Wo befindet sich denn
die Muschelschale, von der Sie sagten,
Fräulein Stubciifiihr?«
»Die steht hier aus dein Toilette
tisch unter dein Tuche, das ich immer
darüber gebreitet habe, damit tein
Staub an die Sachen toinmen sollte".
Sie wies auf ein Tafchentuch aus
weißem Batist; es lag etwas unor
dentlich über die darunter befindliche
Schale gebreitet. Sobald Lüdemann
es aufhob, entzündete sich auch hier
am Licht ein Glanz von verschieden
farbigem Schmuck, doch sah man
gleich, daß die Schale nicht solche
Kostbarleiten barg wie der Kasten im
Schrank.
»Sehen Sie sorgfältig nach, ob
auch hier alles am Platze ifi«. »
»Gewiß, Herr Staatsanwalt. Aber
ich glaube schon so zu sehen, daß-»
nicht-s fehlt. Hier bie Agraffe mit
Türlifen hat das Fräulein viel getra
gen; hier ist auch der Smaragdring,
hier die altmodische Granatbrosche, die
sie siir gewisse Stücke brauchte, und
hier — mein Gott!«
»Was ist? Warum erfchreclen
Sie?«
»Hier fehlt ein Ring! Darf ich
noch einmal sehen? Dies ist er nicht
und dies auch nicht —- wahrhaftig,
er fehlt. Wenn sie nicht gestern abend
vielleicht ihn getragen hat. Aber so
viel ich mich erinnere« —- -
»Wie fah ver Ring aus?" »
»Er war von ganz besonderes-«
Form und sah so aus« als wenn zwei
kleine goldene Schlangen sich inein-.
ander verwickelt hätten. Sehr withan
war er wohl nicht, aber ganz be on
dets, wie ich eben schon sagte. as
Fraulein hin ihn zu Anfang auch Mk
immer getragen, sinf einmal aber trug
fie ihn nicht mehr. Und als ich mir
erlaubst-, deswegen zu fragen, da ing
te sie: »Ich mag den Hing nicht
mehr· — weiter nicht-XI
«an eg vielleicht noch irgendein
besonderes Kennzeichen daran-«
»Jii, Herr Stjatgmnoaln Ich hdlse
die Suchen ja mehrfach puyen müssen
und habe sie mir dabei genau betrach
tet. Hm diesem Ringe win- eine Jn
schrift«.
M;
»Ah! Und welche-"
,,Zl:erst tainen zwei Buchstaben.»
Welche das waren, weiß ich aber nicht
mehr. Und dahinter das Datum: l.
Januar 1893 —- dessen erinnere ich
mich ganz genan«.
»Deinen Sie nach, die Buchstaben
wären uns von großer Wichtigleit.
Können Sie sich baran nicht befin-.
nen?« «
»Nein, ich möchte nichts Falschez
sagen. Jch glaube, der eine Buch
stabe war ein D, doch tann ich es
nicht beschlvoren«.
Staatsanwalt und Kommissar
wechselten einen raschen Blick; dani
fragte Lildenianin ,,.Qaben Sie die-«
sen Ring an der Talen gez terr. abend
gesehen dserr tiociiitiissars"
»Nein sicher nicht Er war nicht
an ihrer Hand«.
»Sonderbarl llnd weiter sollte
wirtlich nichts fehlen als dieser ein«
ziae Rings Sei wen Sie noch einniaJ
ganz genau nach'.
Marie Stubensöhr gehorchte denn
Befeh: mit Eifer, doch erttörte sie be
stimmt, alles- Uevrige sei vorhanden«
Auch bei der weiteren Durchsuchnnsj
der Wohnung stellte sich, nach drnlt
Zeugnis der Jungfer —- heraus-, dass
nichts fehlte als dieser einzige Ring«
Es blieb nur iibrig, nach Erledi
gung der- Protokollå die zeugin ztl
entlassen. Lüdeinanns Gesicht hatt
ganz den gewohnten hefteten Ausdruck
verloren; er begann eine langdauerndo
Wanderung durch das Boudoir und
rieb Zeigesinger und Daumen mit er-«
höhtem trifer ane: minder
Zuletzt blieb er vor Brennert ste
hen und ergriff einen Knopf an dein»
sen Rocke, den er festhielt, während
er sprach. »Das Fehlen dieses Ringes
wirft ein ganz besonderes Licht aus
die Tat. Ein Raubmörder nimmtf
Geld und Geldeswert ohne Unter-s
schied. Er beschränkt sich nicht aus
einen einzigen Ring. Es muß mi.
ihm eine besondere Bewandtnis haii
ben, worauf auch die Abneigung des
Ermordeten, ihn zu tragen, hindeuo
tet. Erinnerungen bedeutsamer Ar
müssen an diesem Ringe haften. J
tommc beinahe dahin, Herr KommisJ
far, Jhre Ansicht von einer Othellod
Tragödie zu teilen. Ringe pflegt-w
von Liebhabern geschenkt zu werden
und vielleicht hat wirklich ein Lieb-i
haber« —
»Wir haben wenigstens das Da
tum im Ringe. Das ist schon etwas
Mbchte sich-Z nicht empfehlen, eine geq
naue Beschreibung des Ringes an dis
Zeitungen zu geben und um Verbrei
tung der Notiz zu bitten?«
»Gewiß, tun Sie das Die Presse
hat uns ja schon oft geholfen. Abel
wir diirfen auch die andere Spur;
nicht aus den Augen lassen. Die bei
den Bnrschen, die der Herr Jngr-.
nieur gesehen hat« haben zweifellos
hier in die Wohnung eindringen wol-.
len, und sicher in ubler Absicht. Ma
rie Stubenföhrs Glaudwurdigteitt
aber ist immerhin ein wenig erschüt
tert. Sehen Sie zu, der beiden Kerls
habhaft zu werden —— und, mir
lommt eben ein Gedanke —- prüfen
Sie, ob nicht vielleicht eine Bezie-.
hung besteht zwischen ihnen und die
sem Herrn Franz Niedegger, der so
schön küssen tann.««
Hedmig von Diicinger saß an deni
tleineii Rotoloschreibtisch ihres Bon
doirs. Jhre Hand glitt schreibend
über einen Briesbogen dahin, zuersts
gleichmäßig und sicher, dann merklich
verlangsamt. Nun ein Absetzen, ein
Ueberlegeii, ein Durchlesen des ist-.
schriebenen. Einmal noch hob Hed
ivig die Hand, uin ein paar Worte
hinzuzufügen, dann brach sie wieder
ab. Endlich legte sie dte Feder hin
ergriss den Brief und riß ihn lang
sam in kleine, ganz lleine Fetzen. Die
wars sie hinab in den Papiertorb,»
und gleichzeitig bewegten sich ihre
Lippen sür ein paar taum vernehm
liche Worte: ,,Dahinein soll niemand
sehen — auch meine Mutter nicht«
Sich im Stuhl zurücklehnend, bliebl
sie lange Zeit in statuenhaster Unbe
weglichkeit und starrte getadeaus vor
sich hin. Die Augen brannten nnd
fragten in tiefem, verschlossenenr
Weh. Der Körper zeigte tauni eine
Regung des Lebens, nur die Brust
hob sich mitunter, von einem schweren
Seufzer bewegt.
Dann aber, als die Tür sich öff
nete, ging es wie ein Erschrecken
durch ihre Gestalt. Sie wandte den
Kopf so jäh nach jener Seite liin.
als erwartete sie jeden Augenblick »O
Nahen von etwas Furchtbarem, di)
draußen hinter den Türen la MED
(Fortsetzung solgt.) . Bd
.0.4
si;