Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 22, 1917, Sonntagsblatt, Image 11

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    —«—
Äu- Ringen
morden Ketten.
Roman von stiert still-aufs
(3. Fortsetzung-)
Da —- ein Geräusch! Es hatte
( gerade halb zehn Uhr geschlagen, als
draußen die Korcidoriiir mit gewohn
tein Ton geöffnet wurde. Hedwig
versuchte, ruhig zu sein und sich zu
fagen, daß Bruno noch nicht heim
toinnren könne, trotzdem nber eilte sie
zur Tür und öffnete sie. Nun sah
sie was ihr Herz nicht zu hoffen ge
Eagt hatte: ihr Mann stand vor ihr.
«,n Hut und Pelz tenn er zu ihr her
ein, faßte niit ausgestreuter Händen
die ihren, sah ihr tief in die Augen
nnd fngte mit einem feierlichem be
sonderen Ton: »Da hast du mich
1vieder«.
»Das ist schön, daß du wirklich
schon da bist, Bruno«. Ganz ruhig
tlang ihre Stimmc; nichts war darin
zu spüren von der Aufregung der
letzten Stunde. Nach einein ganz tlei
neu Schweigen setzte sie hinzu: »Wie
tnlt aber deine Hände sind! Und wie
naß du bist! Itegnet es denn so
sehr?«
«Naß? Jch tveisz nicht, ich hab’ es
nicht vernertt. Aber ich glaube, daß
es reanet«.
ss
»Ja. Jch habe nicht weiter dar
auf ge.ichtet. Es macht mir nichts.
Jst Elti schon eingeschlafen?«
»Im fir- schläft«
»Ich will aber doch noch zu ihr
«binein. Jch hab’ es ihr ja verspro
chen«.
»Leg’ doch den Pelz erst ab, er ist
so ausz. Bist du zu Fuß gegangen?"
»Gewiß, — sa. Lange bin ich uni
txrgetaufen«.
»Umhergelaufen?«
»Ja, bis ich nach Hause tani iiuz
der Sitzung. meine ich. Aber ich will
mir den Pelz wirtlich ausziehen. Es
ist hier so heiß«.
Er ging hinaus und laut mich einer
lleinen Weile in seiner Haustleidung
wieder herein. Es fiel Hedivig auf,
daß er ielsr bleich war.
»Daß du so ftiih tämeit, hatte ich«
gar nicht gedofft", sagte sie freund-;
lich. »Als die Tur ging, meinte ich.j
es wäre Fräulein l««egeivisch. Die ist
nämlich auch noch nur-gegangen«.
»Jo, is, ich weiß«.
»Du weißt es?«
»Ja —- tomm, laß uns zu Elti ge
lieii· «
Das Kind erwachte gleich, sobald es
des Vaters leisen Etiiruf hörte, und
begrüßte ihn mit teidenschaftlichep
Zartlichteit. Auch in seiner Art, initj
dem Kinde zu sprechen, bemerkte Hed«
wig etwas-, das ihr anders erschieni
als gewöhnliche dieselbe feierliche, be-;
sondere Weise, womit er sie begrüßt
hatte. Wohl zehn Minuten saß er«
an Eltis Bett und erhob sich ersi, ath
Hedwig mahnte, dus Aind nun wie-.
der schlafen zu lassen. « i
Sie hatten lauin dar- t.liictl)nziininerl
betreten, atr- ein lauter Ton der elek
trilchen Glorie zu ihnen hereindrang.
»So spöt, wer tann das sein«-«
fragte Dürrnger. »
»Gewiß Fräusein Hegewifch dief
den Korridorschiiissel vergessen hat«
Er war im Begriff- die Tiir zu
öffnen, als diese schon von außen sich
auftat. Mit erstaunteni, aufgeregtein
Gesicht erschien das Hausniiidchen in
ihr, um zu melden:
»Es ist ein Herr draußen, der den
Herrn Regierungsrat noch durchaus
sprechen will.«
»Ein Herr?«
Wieder versuchte Diiringer die Tiir
zu gewinnen, doch trat schon der Ge
meldete iider die Schwelle.
»Sie —- Herr Polizeitoiiimissar?«
»Den Regierungsrat verzeihen
mein spites Eindringen, aber es han
delt sich um eine unausschiebbare An
gelegenheit. Jch komme in amtlicher
Eigenschaft Wenn ich vielleicht bit
ten diitste, init irr Herrn Regierungs
rats Arbeitszimmer gehen« zu dür
sen?«
»Du glaubst es i«
l
»Gem, wenn Sie tvuntchen".
»Eiönnen die Herren die Sache nicht
hier besprechen? Darf ich nicht hören,
un- was es sich handell?«
Es war Hedwig, die fragte, und
sie bemerkte selbe-, wie ihre Stimme
zitterte, doch höre sie nicht sagen klin
nen, warum eine plötzliche Todesangst
sie zu ersticken drohte.
Gnädige Frau miiffen giiiigfi ent
schuldig-n, wenn ich Ihren Wunsch
nicht erfüllen kann. Es handelt sich
um eine Sache die vorläufig nur zwi
schen dem herrn Regierungsrat und
mir besprochen wert-en darf«.
»Dann muß ich mich fügen«.
K»ommen Sie, Herr Zion-missar,
ich stehe zu Ihren Diensten«.
» Düringer öffnete die Tür zum
Korridar und ließ den Beamten vor
angehen. hedwig blieb allein im
Zimmer zurück; sie preßte die Hand
aufs her-, die Kräfte versagten ihr,
fie sank schwer in einen Sessel. Von
draußen kam der Klang einer zwei
ten geöffneten und wieder geschlos
senen Tür, dann breitete fich die tie
fe Stille des Winterabends iiber
das haus.
Ein unklar dumpfes Gefühl der
Angst peinigke heim-ig, das deshalb
gerade um fo schwerer auf ihr laskei
—
-,—— —
te, weil es lein bestimmtes Ziel hat
te. Bald nbee mußte sie iihlen,dnß
es nue dns Vorspiel eine noch weit
gewaltiges-en Ekeegung wur,
Wenige Minuten hatte sie allein
in nneuhigem Grübeln verbenchi,als
draußen die Kotridoetüe geössnei
und gleich darauf auch die Zimmer
iiie schnell ausgerissen Ioutdr.Fräw
lein Hegewisch war es, die ausgexegi
heteinstiiezir.
«Wissen Sie es denn schon, gnä
dige Frau? Haben Sie es auch
schon gehörl?«
»Was Musik Maß gis-U cbk
»Mein Gott, es ist ja schrecklichll
Die ganze Stadt wird außer ficht
sein. Die Schauspielerin, die Ru
newta« —
»Was ift mit ihr?«
«Ermordet i-— ertviirgt hat man
sie heute abend in ihrer Wohnung
aufgefunden l«
»Um Gotteswilleth —- das ist ja
nicht möglich!«
»Alle wissen Sie ei noch nicht?
Jch war doch in der Steinstrasze bei
meiner Freundin. Und wie ich auf
dem Rückwege durch die Kurfiirstensl
firaße ging, wo die Kunewta fa’
wohnte, da sah ich vor dem Haus
eine Menge Menschen fiehen. Ich
wurde neugierig und fragte einenl
Schuwanm was da los wäre. Derf
hat es mir dann gesagt: ermordet,
erwürgt ist sie gefunden worden in
ihrer Wohnung.« l
«Griißlich, gräßlich! Wer denn,
— wer hat es getan?« ·
»Das weiß man scheinbar noch
nicht. Erst ganz vor kurzem hatte
man’s entdeckt. Als ich auf dem
Hinwege vorbeikam, war noch alles
wie sonst. Auch der Herr Regie
rungsrat werden da nichts bemerkt
haben.«
»Wieso, —- mein Manni«
»Ja, —- oder sind der herr Ne
gierungsrat noch nicht zurücks«
»Doch, doch. Aber —'«
»Ich meinte nur, weil ich auf dem
hinwrge doch dem Herrn Regie
rungsrat begegnet bin gerade vor dein
Hause, tro die Schauspielerin wohn
te.«
»Wieder dort, vor ihrem Hause?«'
»Ich verstehe gnädige Frau nicht
ganz! Es war das erstemal, daß
ich ihm dort begegnete.«
»Gewiß, gewiß, das erstemalhm
ben Sie mit ihn-i gesprochen?«
»Eine» Augenblick, ja. Der Herr
Regierungsrat war aber eilig und
sagte nur, er hätte dort auf einen
Herrn gewartet, um zusammen in
eine Sitzung zu gehen. Der Herr
schiene aber- nicht zu lommen.«
»Und dann ging er fort?«'
»Ja, nach den Anlagen zu.«
»Und jent eben, —- als Sie zu
rückkamen —«
»Da habe ich den Herrn Regie
rungsrat nicht wieder gefehen.««
Hedwig, die bei der Schreckens
nachricht ansgefprungen war, stand
einen Augenblick wortlos mit inein
andergetranlpften Händen. Dann
sagte fie: »Bitte, sehen Sie doch
nach, Fräulein Hegeioisch, ob Elli
nicht aufgewacht ift. Es war so viel
Unruhe heute abend im Hau-.«
»Unruhe?«
»Ja, — bitte sehen Sie nach.«
Das Fräulein ging ein wenig wi
derwillig und unzufrieden über den
aufregenden Vorfall nicht noch aus
führlicher sprechen zu dürfen. Kaum
hatte die Tür sich hinter ihr ge
schlossen, als Hedwig ihr nacheilte,
dei? Schlüssel faßte und ihn uni
drehte im Schloß.
Allein sein, —- allein sein iuk
ein paar Minuten um jeden Preis!
Den Sturm der Gedanten, die sie
peitschende, namenlose Furcht ohne
Zeugen erdulden! Zur Besinnung
tonnnen, bevor sie wieder angesproi
chen wurde nnd Rede stehen mußte.
Was war denn geschehen, wovor beb
te sie denn, als wenn Fiebersrost sie
schütteltes Ja, da waren Dinge,
vor denen sie zittern durfte. Wieder
und wieder hatte sie seit vor-gestern
abend ihren Mann in Gedanken mit
jener Schauspielerin zusammen ge-.
sehen; ihre leiblichen Augen hatten
ihn am Nachmittag vor dem Hause
der Kunewia erblickt, zu den Fen
stern hinausstarrend, hinter denen sies
wohnte; vor ein paar Stunden war
die Erzieherin ihres Kindes ihm wie-s
der am selben Platze begegnet; hatte
mit ihm gesprochen, so daß jeder!
Jrrtum ausgeschlossen blieb, — und
nun lag die Schauspielerin erniordet
in ihrem Zimmer, während hier nur,
durch zwei Türen von ihr selbst ge
trennt, ein Polizeibeamter in dieser
nächtlichen Stunde mit ihrem Man
ne oerhnndeltel
Sie machte sich in diesem Angeli
blicle noch nicht star, welche Folge
rung aus den Ereignissen gezogen
werden konnte. Nur ein unwider
stehliches Bedürfnis nach Klarheit,
Wahrheit, Beruhigung beherrschte sie.
Dort im Zimmer ihres Mannes gab
ed vielleicht, wonach sie so ungestüm
verlangte. Fräulein Degewisch war
noch keine zwei Minuten fort, nnd
schon eilte hedwig aus die Portiere
zu, hinter der die Tür zum nebenan
gelegenen Sols sich befand. Hin
ter dem Solon aber lag ihres Man
nes Arbeitsziminer, ebenso wie das
ihtkge durch Tür und Portiere ver
schlossen. '
Sie trat in den Solon, aus dem
eine kalte Lust ihr entgegenichlug,
und in dessen Fenster nur von der
W
Sakin he- gevijmpnee Latein-nachts
hereindrang. Hedtvig hatte fiir ein
kpaar Setunden fast vergessen, daß
ihr Mann gegenmärti nicht allein
war; die namenlose kurcht vor et
was, Unbekanntem, Gestaltlofem
trieb sie dorwiirtg. Mit wenigen
großen Schritten hatte sie den tak
ten, öden Raum durchmessen und
legte die Hand auf die Klinke der
Tür, die sie noch vom Zimmer ihres
Mannes trennte. Jetzt erst brachte
der Klang von matt und unverständ
lich durch die feste Tür zu ihr her
tönenden Stimmen sie wi ier zum
vollen Bewußtsein ihrer Lage. Wenn
Isie hätte hören tönnen, was dort ne
benan verhandelt wurde! Vielleicht
wäre dann mit einem Male von ihrl
genommen worden« was erftickend
auf ihr lag. Sie fühlte sich von
einer Macht getrieben, die stärter war
als Wille, Gewohnheit, Erziehung;
fast ohne sich tlar zu werden über
ihr Tun, drückte sie leise, behutsam
die Klinke nieder und öffnete mit
vorsichtiger Langsamteit einen Flu
gel der Tür, so daß die dahinter
niederhiingende Portiere sich nicht
bewegte.
Das Blut stieg Hedwig dabei so
gewaltsam vom Herzen zum Kopfe,
daß es ihr zuerst unmöglich war,
zu sehen oder zu hören. Dann aber
atmete sie tief, preßte die Hand fest
auf das tobende Herz und fchaute
durch einen schmalen Spalt in der
Mitte der Portiere hinein in das
erleuchtete Zimmer ihres Mannes.
Jhr gerade gegenüber saß er selbst«
in einen Sessel zufammengefunken mit I
einem fremden Ausdruck verfteinern-!
den Entfetzens auf dem Gesichter das
» er dem zweiten im Zimmer befind
lichen Manne starr zugekehrt hatte.
Diesen erblickte Hedwig nur im Pro
fil, doch erkannte sie trotzdem genau
die gegensätzliche Ruhe seines Aus
drucks. Vorher hatte sie nur einen
flüchtig-nannten Eindruck von seiner
Persönlichkeit gehabt, jetzt bemerkte
sie, daß er allen gängigen Vorstel
lungen von einem Polizeibeamten
widerspruch. Er hätte für einen Of
fizier außer Dienft gelten können,
vielleicht war er es wirklich. Die
feste, sichere Haltung, das kurz ge
schnittene, leicht angegraute Haar,
die tlugen, mit einem Aneifer be
waffneten Augen sprachen mehr für
einen Hauptmann oder Major au
szer Dienst als für einen Polizei
kommifsär. Seine ruhige Stimme
war tief und voll, aber offenbar
eurch Gewohnheit gedämpft.
»Die Nachricht hat Sie ja ganz
niedergeivorfen, Herr Regierungsrat.
Kommen Sie zu sich, fassen Sie sich!«
»Nur einen Augenblick lassen Sie
tnir Zeit! Jch kann es noch nicht
ausbeuten, daß diese Vertörperung
von Jugend und Lebensluft —- vor
gestetn abend noch um diese selbe
Zeit jubelte fees in eine begei e
tungstruniene Menge hinein » ch
bin die Jugend, ich bin das Leben«
— und nun — und nun —«
»Gewiß, es ist ein ungewöhnlich
ergreifender Fall, felbst für einen
alten Kriminalistem Aber das beste
Mittel gegen unfruchtbare Trauer
bleibt es doch immer bei solchen Ge
legenheiten, fiir die Bestrafung der
Schuldigen zu sorgen. Jhre Hilfe
dafür in Anspruch zu nehmen« Herr
Regierungsrat, ist auch der Zweck
meines Besuches bei Jhnen zu fo
später Stunde «
»Meine Hilfe — wieso2«
»Weil Sie vielleicht in der Lage
sind uns Angaben von Wichtigkeit
zu machen, da Sie ja sdoch um die»
Zeit, als die Tat verübt wurde, oder;
vielmehr kurz daran in dem Haufe
waren, wo die sinnen-la wohnte «
,,Wo —- ich -—- in welchem Hause?«
»Wie schon gesagt: wo die Stu
1.elvta wohnte «
»Dort soll ich —- um die Zeit —
um diese Zeit, als man sie —- nein,
nein, nein, ich bin nicht dort gewe
sent«
»Sonderbar!«
Hedwig sah, wie sich der Ausdruck
im Gesicht des Fiommissars verän
derte, wie sein Blick schärfer, kälter,
durchdringender wurde.
»Wer hat es behauptet, wer hat
Sie so belogen?«
»Ich bitte noch einmal: beruhigen
Sie sich! Es ist ja verständlich, daß
es für einen Mann in Jhrer Stel
lung nicht’angenehm ist, auch nur
als Zeuge in solch eine Sache ver
wickelt zu werden, aber wo sich’s um
die Feststellung der Wahrheit han
delt, müssen doch persönliche Rück
sichten schweigen.«
»Ich tveiß nicht« ich verstehe Sie
nicht!« «
Ein klein wenig tebhafter wurde
ieht auch die Sprache des Kriminalii
sten. »Herr Regierungsrat, Sie
werden mir doch nicht im Ernst ab
streiten wollen, vor ein paar Stun
den im hause der Ermordeten gewe
sen zu sein? Jch sage nicht: in ih
rer Wohnung. Dadurch betänie die
Sache ein anderes Gesicht. Aber im
Hause. Dafür haben wir eine
scheinbar eintvandsreie Zeugin, die be
stimmt ertliirt, Jhnen heute abend
aus der Treppe zum ersten Stock
tvert, wo die Kuriewta wohnt, begeg
netdrki sein«
» r will mich gesehen hibeni"
»Ich tann es Jhnen ruhig sagen,
da Sie es ja ohnedies wissen müssen:
die Jungfer der Ermordeten. Sie
war file Nachmittag und Abend be
urlaudt, kam aber aus irgendwelchen«
Gründen früher nachhause, als be-!
stimmt worden war. Sie sind ihr»
dabei aus der· Treppe begegnet- fik«
hat Jhnen »Guten Abend«gewiinscht,i
und Sie haben den Gruß erwideer
»Es ist nicht wahr-L«
»Bei-innen Sie sich. Die Sachki
scheint mir zweifellos erwiesen. Das’
Mädchen hat angegeben, es habe Sie!
bei der Begegnung mit Jhrem Titels
angesprochen und »Guten Abend-l
Herr Regierungs-»mil« gesagt. Es
muß also gewußt haben, wer Sie
sind, hat mir auch Jhren Namen ge
nannt und erklärt, Sie hätten im
Laufe der letzten Wochen ein paar
rnal Besuche bei der Verstorbenen ge
macht. Einwandfreie, turze, zu vor
geschriebener Zeit abgestattete Besu
che, Herr Regierungsrat die Sie oh
ne jedes Bedenken zugeben tönnen.«
Düringers auf dem Schreibtisch
liegende Hand schloß und öffnete sich
krampshast ein paarmal. Dann sprach
,er so miihsam, als wenn dieses Wort
ihm Schmerzen bereitete: »Diese Be
suche gebe ich zu.«
Ein Ausstöhnen kam von Hed
wigs Lippen, doch war es nur wie
ein Hauch, und sein Ton drang
nicht hinüber zu den beiden Män
nern.
»Das freut mich. Sehen Sie wohl,
so kommen wir der Sache schon ein
wenig näher. Dein Gott, es ist ja
doch kein Verbrechen, einer schönen
Künstlerin seine Bewunderung zu Fü
ßen zu legen. Alle Männer der Stadt
wären sicher gern an Ihrer Stelle
gewesen. Und auch wenn Sie es
versucht hätten, sich der Schauspiele
rin einmal zu etwas weniger passen
der Tageszeit zu nähern, so wurde
Jtznen das niemand oerdenlen —
oielleicht Jhre Frau Gemahlin aus
genommen.«
»Lassen Sie meine Frau aus dem
»Spiel!«
f »Ich siirchte, daß es auf die Dauer
snicht möglich sein wird, so sehr ich
les bedauere, wenn ich Sie verletzen
muß. Aber Sie werden eg mir zu
geben, Herr Regierungsrat: die ve
igreisliche Rücksicht auf Ihre Frau Ge
mahlin wäre die harmloseste Erklä
rung fin Jhr unter allen Umstän
sden auffallendes Ableugnen einer be
lwiefeneu Tatsache. Und in Jhrem
eigensten Jntersse scheint es mir
höchst erwünscht, solch eine harmlose
Deutung siir Jhr Verhalten zu fin
beu.«
Düringer hatte bis setzt immer nur
bor sich hin auf den schwarzen Schat
tenfleck neben einem Schreibtisch ge
blidt Nun hob er zum erstenmal den
Kopf und starrte den anderen mit
weitoffenen Augen an.
« »Was wollen Sie damit sagen?«
Es war wieder die langsame,
scheinbar schmerzhafte Redeweise von
»odrhin.
»Sie sind Jurist, Herr Regierungs
rat. Es bedarf also keiner weiteren
Antwor..«
Eine tiefe Stille folgte. Hedivig
meinte, die beiden müßten ihr
schnelle-s, angstvolleg Atmen verneh
men. Dich wandte keiner von ihnen
den Blick nach der Seite, wo sie
hinter der Portiere verborgen stand.
Sie faßen einander gegenüber, Auge
in Auge, wie zwei Kämpfer-, von de
nen jeder die Waffen des anderen
prüft.
Endlich nahm der Polizeibeamte
wieder das Wort. »Ich habe Ihnen
Zeit gelassen, sich noch einmal zu
isberlegen, ob es vernunftig, eine Tat
sache zu leugnen. Bedenken Sie
auch, daß man — bis jeßt wenig
stens, Herr Regierungsrat — keiner
lei Verdacht irgend ernsterer Art ge
gen Sie hegt, solch ein Verdacht aber
könnte möglicherweise doch entstehen,
wenn Sie fortsiihren, die Anwesen
heit iin Haufe der Ermordeten am
heutigen Abend abzustreitem Bor
iäufig geht meine Bitte nur dahin,
mir zu sagen, ob Zie dort nicht ir
gend etwas bemerkt, gesehen oder ge
hört haben, was auf die Spur des
Täters hinweisen könnte.«
Düringer stand auf. »Ich kann
Jhnen immer nur wiederholen, Herr
Kommissar, daß ich am heutigen
Abend nicht in dem fraglichen Hause
war, daß ich also nichts dort wahr
nehmen konnte, was von Wichtigteit
für Sie wäre.«
»Das ist Jhr letztes Wort?«
»Mein letztes.«
»Dann bleibt mir allerdings nichts
übrig, als für heute zu gehen.«
»Ich empfehle mich Jhnen und ich
bedauere. daf· ich dieser Sache der
Gerechtigteit nicht habe dienen tön
nen.««
Einen Moment noch zauderte der
Kommissar, als wenn er snir einem
schwierigen Entschlusse kämpfte; dann
stand er auf und ging mit kurzer,
militörischer Verbeugung zur Tür.
Düringer begleitete ihn bis dorthin,
rief das Mädchen durch einen Druck
auf die Glocke herbei und gab ihr
den Befehl, dem Besucher das ver
neutlich bereits derschlossene Haus zu
öffnen. Dann trat er in sein Arbeits
zisnmer zurück, die Augen auf den
Erden geheftet, in Gedanken versun
ten.
Mit raschem, instinktivem Ent
schluß wur Hedtvig aus ihrem Ber
steck hervorgetornmen und stand ihm
nahe bei der Tiit gegenüber. Jhr
Fuß aber hatte auf dem Teppich
keinen Laut geweckt, und ihr Mann
dar zu seht mit sich beschäftigt, um
sie gleich zu sehen. Erst als er nach»
«
-
; andere Franck«
einigen Augenblicken ote Betäubung
von sich abzuwölzen suchte und ein
paar chnelle Schritte vorwärts tat,
tam die Anwesenheit seiner Frau ihm
zum Bewußsein.
, »Hedwtgl« Der Name, den ei aus
ries, klang sast wie ein Schrei
« a, —- ich.
»Was ist, —- ioas gibt es, —- wie
kommst du hierher?« ,
»Ich war dort-« »z
»Wo, —- rorr im Zimmer?"
»Ja, ich habe gelanscht, — hinter
der istortiere dort.«
»Oh, warum hast dii dass ge
tan?«
Es war teiii Vorwurf in seinen.
Worten — nur eine große, lastende
Trauer.
»Es war das erstemal.«
»Ich weiß e«5. Dn bist nicht wie
C
»Ich habe dir niemals nachgespiirt.
Aber heute, —- jetzt weiß ich, daß es
Augenblicke gibt, in denen man taum
verantwortlich ist fiir das, was man
tut.«
Er sah sie an mit einein beson
deren Blick; es war, als wenn ein
leiser Hosinungsglanz darin aufleuch
tete
»Ja, Hedwig, es gibt solche Au
genblikcke —
Langsam ging er noch näher zu
ihr hin, machte dann wieder halt und
fragte: »Du has alles gehört?«
»Ich glaube, —- das Wichtigste we
nigstens.«
»Wichtig fiir dich oder siir iiiich?«
»Sollen wir das trennen?«
»Nein, —- verzeih «
Sie schöpfte mit behenden Lippen
ein paakniak ties Atem; es kostete sie
neuen Kampf, die nächsten Worte her
vorzubringen Ganz leise brachte sie
zuerst nur seinen Namen heraus
»Bruno!« l
l
»Was meinst dii?"
»Ich wollte nur fragen, — kann ich
dir helf-ent«
»Wobet?«
»Ich weiß nicht, —- sei nicht böse,
—- inufzr du nicht flieheii?«
»Flier-en?«
»Ja, dii hast vielleicht nicht be
mertt, wie er, —— wie dieser Mann
dich angesehen hat« Jch aber hab' es
gesehen, —- ein Verdacht war ii sei
iien Augen, — ein furchtbarer Ver
dicht « —
,,Hedwig, — Hedwig! lind auch
du, — glaubst auch du's« — s
,,Laß ung- nicht oon mir sprechen«
Um dich handelt sichs jetzt. Kanti:
ich dir helfen? Jch rann dir Geld aess
ben, wenn du vielleicht nicht geniigs
hast« Jch hatte mir ein paar tsnnsp
dert Mark erspart sur die Sommer
rcise. Willst du sie haben?«
Er trat ganz rasch unmittelbar
vor sie hin
«Hedwig, halt st du mich siir schul
dig Z«
»Frage mich nicht, Bruno, heute»
nicht! Meine Gedanken sind oerwcirrt, «
ich weiß kaum, was ich spreche Sag s
mir das eine nur: Kann ich oii l,el-s
sen?« i
Er schüttelte langsam den Kopf: !
»Nein, ich dante dir Du gehst von
einer falschen Voraussetzung aus, —
ich denke nicht an Flucht. Ader ich
danke dir, — ich dante dir. Jch sehe
jetzt.« —
»Was-Z«
»Nichts-. Jch dachte nur lant.· Jch
bin glücklich über diese Stunde.«
»Glii:3lich?«
»Ja. Weil ich fiihle, daß du mich;
lieb hast«
»War es dafür nötig, daß diese
Stunde kam?«
»Vielleicht. Jch habe manchmal
nach einem guten Worte von dir ver
langt, meine liebe Hedwig!«
Er zog sie an sich und liißte sie
auf die Stirn. Sie duldete seinen
Kuß, ohne selbst ein Zeichen der
Zärtlichkeit zu geben. Jhr Gesicht
war totenbleich.
Sie fest anschauend, schien er mit(
seinen Gedanken in ihrer Seele zu
fachen. Dann begann er mit schwererl
Zunge wieder zu sprechen:
»Du hast alles gehört, —- also nacht
mein Zugeständnis?«
»Welches?« Ihre Lippen zuckten.
»Daß ich die Kunewta besuch. ha
be, schon bevor ich aus dem Feste
oorgestern ossiziell in deiner Gesell-l
schaft ihre Bekanntschaft machte
Kannst ou es mir verzeihen
Sie setzte ein paarmat an, ohne re
-den zu tönnen. Endlich antwortete
. . »Lasz mir Zeit. Es ist ja nicht,
—- nicht die Sache an sich. Daß du
fhngegangen bist meine ich. Sie
smusz einen gewaltigen Zauber auf die
IMtinner ausgeübt haben, — ich fühl
te das do Igesterr abend ganz gut
’Aber das andere, —- daß du mir die
Unwahrheit gesagt haft, — ich muß
’Zeit haben darüber wegzutoinmem
Es hat mir einen Ston gegeben, —
mein Vertrauen zu dir hat es er
schüttert.«
Sie brach ab, vors empordringew
den Tränen erstickt.
»Ich verstehe das, Hedwig. Und«
ich lasse dir Zeit. Mehr als tin-II
ich werde versuchen, dein VertrauenF
zuriickzurvinnen Soweit es geht.« j
,,Soweit es geht?«
»Frage mich nicht weiter-. Es isti
eine schwere Zeit jetzt fiir mich."
»Das weiß ich. Und wir wollen
nach gar nichts mehr von mir spre-·
then-«
Die Hände ineinanderpressenv,!
kämpfte sie eine Weite mit sich. os-!
vor sie weitere Worte sand: »Bro
no« —
»Was willst du ivissenisp
,,Ob ein« Frau, —- vb sie verpflich
tet ist, etwas gegen ihren Mann aug
zusagen W
«,.iein, sie kann jederzeit ihr Zeug
nis verweigerte Aber was hättest
du gegen mich nuszusagen?"
»Weißt du es nicht? Ich have dich
doch gesehen-«
»Geset,«en?'«
»Ja, heute nnchmiimg. Vo- dem
Hause der Schnufptcchm Wi; ya
ben doch darüber gesprochen«
»Ach, ich vergaß es. Und ich ver
gaß es, iveil ich nicht dort wur. Du
yust dich getäuscht.·
Sie preiszie die Lippen um bitte
rem Augduck auseinander: »Als« das
Drin-ehe ich nicht nukzusngen?'«
»Nein, du würdest nur Verwir
rung damit onrichten.'«
»Gut. — ich danke dir. Am« —
»Was?«'
»Du bist ja doch noch einmal dort
gesehen Ivorden?'«
»Auf der Treppe« meinst du, —
wie?die Jungfer der Toten behaupten
soll «
»Nein Vorher, —- don Fräulein
Hegewisch. Sie hat ja mit dir ge
sprochen."
»Das ist richtig. Hat sie es dir er
zählt?«
»Gewiß. Durch sie weiß ich über
haupt von der Ermordung der Schau
spielerin«
»Wir haben ein paar Worte mit
einander gesprochen das ist eine Tat
suche.«
»Du hast ihr gesagt, — ich meine.
dii bist von dort in deine Sitzung
gegoiigeii?«
»Das habe ich ihr gesagt. Jch
war eiber in ieiiier Sitzung.«
»Nein?«
»Nein. Jch habe dir versprochen.
wieder guiziimnchen, was ich an dir
gefehlt habe. Darum sage ich dir die
Wahrheit, auch in diesem Punkte.
Jch hatte nur die Sitzung erdiichi, uni
einen Vormund für mein Fortgehen
zu haben."
»Ich kühne ims, Brune. Jch hav
es geivußt.«
»Ich iin dir noch mehr sagen.
Die sinnen-to hatte iiiich eingeladen,
sie zu besuchen —- heute abend. Und
ich linde den ganzen Tag mit mir ge
.iiiis.pft, ob ich hingel)eii sollte zu ihr.
EI- trieb niich und yicli mich znriirt
,)u gleicher Zeit. Jch bin oor ihr
Hans gegangen, —- dort hat Fräu
lein Hrgervisch mich gesehen. Sie
.on:« nur iii jene-n Augenblick wie
ein Bote von dir· — odii Eili. Das
Bild immer stillen glücklichen Häus
lichleit iriit vor mich hin. Quid
idnr ich oorqer schon entschieden diiH
Haus nicht zu betreten, nun koni· ich
es- gnni Jch bin fortgegangen und
nicht zuriieigelommeM
»Wenn tch, — wenn ich dir glau
ben könnte!«
»Arm- Hedwig, —- du leidest. Jeh
verstehe dich, fahle, wie das Miß
trauen an deine-n Herzen reißt. Aber
glaube mir, tch leide auch. chelieicht
noch mehr als du« Wenn ich« —
»Was meinst du? Warum sprichst
du nicht weiter?'«
»Nein Es muß Maus-gesprochen
bleiben. Aber versuche, mir wieder
zu dertrauen.«
»Ich —- will es Versuchen.« .
»Ich hab’ es noch nie so tief ge
siiylt wic heute, was du mir gewor
den bist iin Laufe der Jahre und was
du aus niir gemacht hast. Jn meiner
Jugend war ich ein toller, wilder,
leidenschasilicher Bursche. Der wollte
nech einmal ausleben in den letzten
Wochen, —- die Knnewta wollt-. ihn
weclen. Und beinahe, —- aber nun bu-.
ich wieder srei.'«
«Durch ihren Tod«
»Die Arme hat sterben müssen.
Aber ich bin srei.«
tinwilltürlich wich Hedwig einen
Schritt vor ihm zurück, und erst nacls
einem bangen Zögern tat sie eine nene
Fraget ,,Bruno, —- sdll ich ihr, —
Fräulein Hegewisch sagen, das; sie
schweigt.iiber die Begegnung inn dir
vor dem Hause der« —
»Nein, laß das. Die Folgen Inei
nes Tuns rnuß ich tragen. Aber nun
komm, es ist spcit in der Nacht, wir
wollen uns nieder-legen Und versuchen,
ob wir schlafen tjnnen«.
»Ich glaube die-se Nacht nicht an
Schian
Dann wenigsten-I ruhen. Es wer
den Tage kommen, in denen wir beide
Kräfte nötig haben. Wir iniissen se
hen, sie zu gewinnen. Kontin«
sc
»Wie gesagt, ich war sehe iin Zwei
sel, ob ich nicht doch zur Verhastnng
schreiten sollte«.
»Um Gottes willen nichti Vorläu
fig haben wir dasin keinen zwin
genben Grunr«.
»Herr Staatsanwalt ».verzeil)en.
Verdachtig im höchsten Maß ist inir
das Verhalten des herrn Regie
rungsrat-T Er ist im hause der
Kunewta von einer scheinbar zuver
lässigen Zeugin zu einer Zeit gesetzen
worden« die der Begehung des Mor
des mutinnßlich sehr nahe liegt. ter
hat mir zugegeben, die Tote gekannt, sie
in letzter Zeit ein Paarmal besucht zn
haben. Er leugnet aber mit einer be
sonderen Hartnäckigieit, gestern wie
der dort im Danke gewesen Zu sein.
Verdiichtig mindestens muß man das
nennen«.
(Fortsehung folgt;