Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 15, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntag-hinkt dei ; -
StaaszkS . Anzetger und Wer-old
I .
Ernst-manc
øeliges End-.
Novelle von Georg Versich.
Johann Krusernann hatte den
dertn Paftor bitten lassen. Aber bald
möchte er kommen, recht bald; es wäre
so weit.
Der Pastor hatte seine Frau ange
sehen.
Mit Krusetnann ists wieder mal
so weit,« sagte er. »Es wird wohl
-teine Eile haben, daß ich zu ihm
gehe.'«
»Man tann doch nicht wissen,«
meinte die Gutmütige. »Jung ist er
nicht mehr, und als ich ihn neulich·
tras, stüste er sich auf seinen Stock
und schien recht hinfällig zu sein.
»Er wird’s Padagra haben. Das
hat inan in der Jahreszeit. Der denlt
aber immer gleich ans Sterben. Nun,
ich werde ihn trotzdem besuchen, und
vielleicht heute noch.«
Und als der Pastor abends bei
einer Kindstaufsseier saß, ganz drau
ßen, am letzten Ende des Dorses, das
sich hinterm Deich hinstkectte, und ge
rade wieder einmal an dem Glase
Portwein nippte, das man ihm aus
Hochachtung nach jedem Schlückchen
sosort wieder vollschentte, erinnerte er
sich seines Vorhaben-« und erklärte,
ausbrechen zu müssen.
Die Ottern Des Yeeugeoorenem
Großeltern, Gevattern und Gäste ba
ten ihn, doch zu- bleiben. Es sei ja
noch früh, und man toche schon wie
der frischen Kasser. Den Butterkuchen
habe er vorhin kaum geschmeckt. Oder
oh er lieber noch mal von dem Kale
braten haben möchte? Er hätte ja so
wenig gegessen. Und da wurde ihm
auch has Glas schon wieder voll bis
zum Rande geschenkt.
»Es ist ein Kranienbesuch den ich
beabsichtige,« bemerkte er schließlich,
als der einfache hinweis, has er noch
einen Besuch abzustatten habe, ihnen
nicht genügte.
Jett schwiegen fee alle und be
drängten ihn nicht mehr.
Zither wer isk denn krank?« sragte
in die Stille hinein eine der Frau
en. —- »Johann Krusemann.«
Neues Schweigen. Dann ein halb
unterdriickte5, glucksenveg »Qoho!«,
ein ticherndes »Hihi!«
Und Hinz Neelsen, der Wein, Bier
und Schnaps tunterbunt durcheinan
der getrunken, schlug aus den Tisch
und gröhlte: »Dein-i Krusernanm da
ists so weit! Beim Zirusemann —- —
— ach, entschuldigen Sie man, Herr
Pastori Aber wenn's bloß nicht Ver
Krusemnnn wäre!'« — Und in sein
breites Lachen fielen die Männer und
Frauen ein, nnd auch der Pfarrer
konnte nicht ernst bleiben.
»Nun ja, nun ja,'« gab er zu, «es
wird noch nicht zum Schlimmsten um
ihn stehen! Aber« —- unv seiner Frau
Worte kamen ihm in den Mund—
»man kann doch nicht wissen. Jung
ist er nicht mehr und auch schon hin
sällig.«
»Der wird hundert! Weiten, Herr
Pastor2«
Aus den sündhaften Vorschlag ging
der geistliche here selbstverständlich
nicht ein, und er ließ sich auch nicht
länger halten. Der Krankenbesuch bei
Krusemann behütete ihn vor einem
vergrämten Magen, den eine aberma
lige Austage von Kassee und Butter
lnchen nach all den leiblichen Genüs
sen, die er schon hatte in sich ausneh
inen müssen, zur Folge haben mußte.
Er ersuchte freundlich, sich nicht stö
ren zu lassen, und verabschiedete sich
von jedem der Anwesenden mit
einem Händedruck.
Timm Burmester, der junge Ehe
ma:m, hals dem Seelsorger aus der
Diele den Ueberrock anlegen. Sein
Vater langte ihm den Schlapphut
vom Daten.
Schon wollte der Pastor dem Aus
gange zuschreitem als rau Frands
sen, die Mutter der uösrnu, an
pihn herantrat. Sie machte einen hal
ben tiniaö und sagte, indem sie«ihm
zwei tleine Patete reichte: »Das eine
siir die Frau Pastornt Sie soll uns
die Ehre tun und probieren, ob er
recht geknickt ist. Bitte schön! Und das
hier« —- sie diimpste ihre Stimme —
wsijr den Kranken, den der here Pa
stor jetzt besuchen wollen-«
»Für den Krusemann?«
Sie niatr. »Aber es ist nicht von
mitt« fügte sie beinahe ängstlich hin
zu. »Man schickt’s ihm! Mani«
»So, Jhre Tochter vielleicht?«
»Wenn er fragen sollte — ja, mei
ne Tochterl« Eine dunkle Röte hatte
ihr Gesicht til-erzogen.
Dem Pastor war der Austrag nicht
ganz tlar. doch er versprach ihn aus
susbheen. Das ihm siir die Gattin
tibergebene Patet schob er in die lin
)
le, das andere in die rechte Rocktai
sche. Und ging.
Hut, fuhr ihm draußen ein Wind;
entgegenl Und von jenseitö.des Dei-;
cheö scholl das Rollen und Rauschen
des Wassers. Wie der dumpfe holt
von Breitseiten aus schweren Ge
schützen.
hier nahte der Frühling nicht mit
sanftem, lieblichem GesänseL Unters
Donnekn und Krauchen sauste er vom
Meere daher, stürmte gegen den ho
hen Wall, stürzte dariiber hinweg,
polterte hinein ins Flachland, über
Aecker nnd« Moore, und riß den
Bauern fast die Scheunentore aus den
Angeln. Hier sächelte er nicht leis’ und
linde träumerische Menschenstimm.
Hart schlug er gegen die eckigen Schä
del des Küstenvolles. Und lüszte nicht
den Winterschlaf von den Augen, er
rijttelte wach.
Dabei bedurfte er dessen taum.
Man hatte nicht fest geschlafen. Die
Fischer waren auch im Winter mit
ihren Neyen aus der See gewesen.
Der Pastor nahm den Hut vom
Kopf. Heiß war ihm in der niedri
gen Stube geworden, in dem Tabatss
qualm. Ach, wie das kühlte
Jn den Häusern brannte Licht.
Auch bei Krusemann.
Euer Pasror oruare aus oie nur
tlinte. Die Tiir war zu. Er llopstr.
Nichts rührte sich. Er klopfte stärker
und stärker und lauschte dazwischen.
Drinnen tein Laut. War der Alte
allein, lng im Bette und konnte nicht
öffnen? Er bückte sich, um durch das
Schlüsselloch zu spähen; es lostete ihn
einige Anstrengung.
»Krusemann!« rief er. »Kruse
manni«
Ein Tosten über seinen Nacken, ein
Griff in den Rockkrngen.
»Hab’ ich dich? Habf ich dich end
lich? Hiibsch unter geblieben, du in
sainer Bengel! Willst du wohlt«
Der Pastor riß sich los·
Vor ihm in der Tür gähnte eine
schwarze Oeffnung. Ein Arm hing
heraus.
War iou denn m heiß-urs- me
fuhr es ihm in starrer Entrllstung.
»Was ist das siir ein Empfang? Ha
ben Sie den Verstand verloren, Kru
sernann?"
Ein menschliches Antlitz wurde in
der Oeffnung sichtbar. »Ach du liebe
Zeit —- ——— —- Herr Pastort Sie
sind's? Und ich meinte — —- —
Dng Gesicht verschwand, ein Schlüs
sel wurde umgedreht, die Tiir ging
auf. »Entschuldigen Sie nmn bloß,
Herr Postan Aber die Bengel-J ha
ben mich geärgert! Wenn’s finster
wurde, waren sie da und haben nn
geunllert und meinen Namen schimp
fiert· Flnsemunn und Dusenmnni
Kommen Sie doch rein, Herr Piistort
Und tvollt’ ich mal einen zu fassen
kriegen, rissen sie aus. Dorn-n habe
ich mir die Lute gemacht. Wer rnn
lum, sollle eins übers Kreuz haben
— mit dem Kniivpel hier!«
»Ich danie!« erwiderte der Pfarrer.
»Am Ende lann ich mich noch glück
lich schätzen, daß es bei rnir ohne
Prügel abgelausen ist? Und ich war
besorgt um Sie, glaubte, Sie wären
todtrant, lägen hilflos iin Bettl«
Er war ins Haus getreten und
Kruseniann schloß hinter ihm zu.
»Man lann todtrant und doch aus
den Beinen sein. Herr Pasior,« sagte
er. »Obwohl ich's jetzt gehörig in den
Knochen habe, bin ich doch nicht siirs
Liegen. Die Doktors sind ja dasiir
und packen einen stantepede in die
Federn, aber deshalb sterben auch so
viele Leute vor ihrer letzten Stunde,
was gar nicht nötig wäre.«
Er ließ den Pastor respektvoll zu
erst in die Stube hineingehen.
Sie toar verriiuchert, als hätten
darin auch zehn Männer Kindtause
gefeiert, und eg dustete nach —- nun
ja: aus dem Tische stand das damp
sende Grogglas. Wie ost mochte es
diesen Abend schon geleert worden
sein?
Der Pfarrer zog Stirn und Nase
traus.
»Mein bester Krusemann,« sprach
er mit verhaltener Strenge, »ich kann
Euch mein Erstaunen reicht verhehlen.
Ihr laßt mich wissen, daß es so weit
sei und daß Jhr mich zu sprechen
iviinschtet. Jhr hat« schon etliche
Male getan und lebt heute noch —
tvosiir wir Gott danken wollen, ge
wißlicht Doch dünkt mich, daß Jbr
sträflichen Fürtoiß treibt, die himm
lische Nachsicht herauf-fordert und auch
die meinige aus eine ungebührliche
Probe stellt. Unmöglich könnt Jhr
ernstlich trank sein. Und wenW dem
Menschen ersprießlich «t, daß er zu
weilen seines Todes ge nlt, mit ihm
zu spielen, sich selbst und andere da
zmit zu narren.ist Sünde!«
s Er hatte Krusemann bei dieser
»Straspredigt unverwandt angeschaut,
aber der war dem Blicke nicht ausge
wichen und in seinem tupserroten,
von einer grauen Barttraufe um
rahmten Gesicht hatte sich tein Zug
verändert. Jetzt antwortete er mit der
schlichten Frage:
»Warum bin ich nicht traut?«
»Weil ihr ganz munter herumlauft,
sog«ar auf der Lauer liegt, um je
mand zu verprügeln, und raucht und
trinkt wie ein Heide.«
»Das will alles nichts bedeuten,
here Pastor,« techtfertigte sich Kru
semann. »Jeder ist auf seine Weise
trank. Und esist schon manch einer,
dem man nichts anmertte, im Unite
hen toppheister gegangen. Solang' ich
lebe, muß ich doch Luft haben. Dar
um rauche ich meine Pfeife. Habe ich
Durst, muß ich trinken. Soll ich viel
leicht lali Wasser trinken? Sterben
muß man ja, aber mit Gewalt bring’
ich mich nicht unter die Erde. Es wä
re auch Stint-et
»Darf ich’n Herrn Pastor was an
bieten?« Krusemann machte eine emp
fehlende Bewegung nach dem Greg
»glafe hin.
Die Ablehnung war fast schroff,
Idoch eines Lächeln konnte tich der Pa
htor nicht erwehren
»Aber wenn Ihr schon wieoer
Durst habt und durchaus trinken
müßt, trinkt meinetwegen. Euer Teu
fels-zeug, ehe es talt wird," sagte er.
»Wirk) ja auch immer weniger von
dem Teufelszeug, je mehr man davon
trinkt," schmunzelte der andere. »Sie»
sind ein tluger Mann, Herr Pastotzz
und verstehen unsereinem Habe dar-;
um auch solch’ Vertrauen zu Jhnen.«
Er schnupperte an dem Glase und
schliirfte das Naß mit der Bedächtig
teit des Kenners und Genießers.
»Wohlan,« meinte der Geistliche,
»dann Vertrauen gegen Vertrauen«
Offenheit aegen Offenheit! Die Jun
gen im Dorfe hänseln Euch, die Al
ten tun desgleichen, nur daß sie nicht
zum Schabernack greifen. Aber Jhr
habt schuld, mein Freund, Jhr selbst!
Sondert Euch ab, lebt wie ein Ein
siedler, und laßt Jhr von Euch hö
ren, ist's. daß Jhr am Sterben seid·
Jahr um Jahr. Ein Sonderling!
heißt es. Ein schnurriger Kauz! Und
sie reden Euch nach, Ihr hättet Furcht
vorm Tode, weil Jhr ihn bei jeder
Unpäßlichkeit an die Wand malt.
Kann Euch dieser Ruf freuen, Keusc
mann?« — »Die können mir was!
Allesamt!« entgegnete Krusemann ge
ringschätzig »Die Schafstöpfel« Er
ivölbte den Brustkasten, daß der blaue
Seecnannssweater, den er trug, zu
plaßen drohte. »Ich und Furcht! War
noch nicht zwanzig und hatte schon
deimal Schiffbruch gelitten. Bin im
Jndischen, wo so viele Haie sind wie
Heeringe in der Ostsee, über Bord ge
sprungen, um den Kerl raugzuholecn
den’5 Marsseael runtergeschlagen hat
te. Furcht habe ich nicht dor dem To
de, aber’s Leben paßt mir schon lange
nicht mehr. Und die Menschen —«?
Alle könnten sie im Jndischen zap
peln, und ich ließ sie drin-«
»Und diese unchristliche Sprache
siihrt einei, der zu seiner letzten Reise
geriistet sein möchte? Denkt Jhr, daß
sich Euch die Himmelstiire öffnen
wird, wenn Jhr die eigene aus Men
schenverachtung geschlossen haltet? Da
könnte auch wer am Guclloch stehen
und Jhr tönntet ihm nicht behagen.
Krusecnann, Jhr habt Euch in einen
schlimmen Wahn eingesponnen! Er
blickt in Euren Mitmenschen Eure
Feinde, mit denen Jhr aus dem
Kriegsfnß leben müßi! Wißt Jhr«
wie meine Frau Euren Zustand be
met-sit?«
»Die Frau Pastoren?«
»Sie ist der Ansicht, daß Jhr hät
tet heiraten müssen und daß ein ande
rer aus Euch geworden wäre, wiirdet
Jhr es nicht versäumt haben«
Krusemann stutztr. Er griff mecha
nisch wieder nach dem Glase, schüttete
den Rest des Inhalts aus einmal hin
ab und wischte sich umständlich den
Mund mit dem Handriicken.
»Wer heiratet, weiß auch nicht vor
her, ob’s ihm gut oder schlecht aus
geht,« sagte er dann langsam. Hier
aus drehte er sich um und machte sich
an einem Wandschrant zu schaffen.
,,Uebrigens, hm s—— habe ich ja mal
heiraten wollen. Das Mädel hat mir
einer weggetapert, als ich zwischen
Valparaiso und Frisco suhr, und sie
hat sich tapern lassen. Die Frauens
leute tönnen nicht warten, die sind
siirs Gewisse. Was haben sie von
einem Schatz, der tausend Meilen weg
ist? Der tann sich da auch ’ne andere
genommen haben. Na« nun gab’s ja
freilich noch mehr, die Frau Muse
mann geworden wären, als ich das
Anwesen vom Alten übernahm, aber
ich war topfscheu geworden, wolli’ die
Weibsen immer noch besser kennen
lernen, um nicht die Vertehrte zu er
wischen. Und das ist ein langes und
schweres Lernen. und man kommt
wahrhaftig zu keinem Schluß damit;
man kann studieren, so viel man will
eine ist immer anders wie die andere.
Aber ganz anders. Zuletzt ist man :
noch dämmer. als man am Anfang
war, und hat graue haare darüber
geltiegt.«
»Krufemann,« rief der Pastor la- «
chend, «Jhr habt drollige Einfälle.
We n ich mich nur erst bei Euch
aus enntel Aber da geht's mir wie
Euch bei den Frauensleuten. Jch habe
noch keine Erklärung dafür, weshalb
Ihr mir wieder die Bots aft schick- ’
tet; es sei so weit. Was ehlt Euch -
nun eigentlich, daß mein geistlicher
Zuspruch vonnöten wäre? Habt Jhr -
mit dem Arzt geredet und hat der
Euch zu verstehen gegeben, daß Eure
Tage gezählt seien? Jst Euch im Ge
müt so, als ginge es zur Neige?«
«Jch habe bei dem böigen Wind "
manchmal einen Frost in mir, daß «
ich den Kurs fiir’n« Grog nicht nörd
lich genug nehmen kann. Aber deswe
gen hiitte ich doch noch geschlafen. Jch
tonnt’s nicht, zwei Nächte lang nicht, :
weil ich mir ganz was Schrecthaftes «
vorgesiellt habe, wovon kein Losiom
men war.«
»Und was war hast-«
Krusemanns Mienen zeigten jetzt«
den Ausdruck aufrichtiger Bekümmer
nis.
Jung oin ich nicht mehr, hab-g
mir auch nicht mehr eingebildet. Aber «
bin ich schon alt, Herr Pastoris Stein
alt? Bin ich ein Greis?« Er reckte
sich kraftvoll und stemmte die Arme
in die Seiten.
»Unsin-n — wer Euch so sieht, muß
Euch für einen halten, der die Fünf
zig eben überschrittenX
«Etwas weiter bin ich ja schon,
doch das wäre zu ertra en Bloß die
Gedanken müßten ni t sein, die
dummen Gedanken, die immer rück
wärts rennenl Fährt ein Schiff rück
wärts, ist es auch meist in Not. Jch
sagte, daß ich ein Mädchen gern ge
habt und beinahe geheiratet hätte.
Wenn’ö man eines war, vergißt
man’s nicht« und mir war stets, als
wäre die Geschichte erst ’ne lurze Wei
.le her. So frisch war sie mir iml
Gedächtnis. Aber wie ich neulich wie
Idee alles überdenle und deutlich vor
sali- habe tnschelkz mir ins Ohr-:
Flausenl Beschwinbele dich boch nicht!
lMiidchene Hat sich was! Die ist sckoa
Großmutter! —- Und das war die
Wahrheit Sie ist schon Großmutter-,
Herr Pastorl Hundsmiserabel wurde
mir· Furcht hab’ ich nicht! Aber
nachts im warmen Bett hab’ ich mit
den Zähnen geklappert nnd bin aus
gestanden. habe mir ’n Fieberpunsch
gebraut: halb Jamaila, halb Noitoein
und vier Stückchen Zucker. Bis-« ich
wieder leidlich im Lot war.«
,,Jamaila und Not-Dein sind lein
Ziärletrunl fiir die Seele, die vor
der Vergänglichieit ulleg erischen er
schauert,« wies ihn tniszbilligenb, aber
ohne Schärfe der Pfarrer zurecht.
»Da hilft nur dauernd dag Vertrau
en in die göttliche Weisheit, die alle-»
zum Besten bestellt hat. Krusemann.
Euer Alleinseiu, Eure Absonderung
von den Menschen gibt Euch Vorsteh
lungen ein, die Euch peinigen. Jhr
haltet nicht Schritt mit der Zeit, weil
Cur Inqu unserer Sorgen uuo Hirn
den teilt. Rasst Euch doch aus, Kru
semann! Glaubt mir"e-: Jhr seid noch
nicht alt. Und wenn Euer Mädchen
aus der Jugendzeit wirtlich bereits
eine Großmutter geworden ist —- was
will’s besagen? Jch war, bevor ich zu
Euch kam, aus der Itindtaussseier bei
den jungen Burmesters. Da tvaren
auch Großmutter. Und die eine, die
Witwe Frandsen, nimint’s bestimmt
noch mit jeder Jungen aus. So könn
te ich Euch mehrere aus dem Dorfe
nennen, Großmutter und Großvater,
die ihre Jahre spielend leicht aus dem
Buckel tragen. Aber halt — ehe ich’s
vergesse —- -— —'« er langte in die
rechte Rocktasche und zog das Kuchen
patct heraus. »Ist mir aus der Taus
seier mitgegeben worden sür Euch!«
»Von der Frandsen ---? Der Lena
Frandsen — —- ——«i« staunte Kru
semann. Von ihr —- —— —?"
»Ich habe versprechen müssen, dar
aus keine Augiunst zu geben,« sagte
der Pfarrer, und Arusemann schien
dieser diplomatische Bescheid zu ge
nügen. —- Er wickelte das Papier aus.
—— ,,Buttertuchen!« ries er gerührt.
,,Buttertuchen! Den hat sie schon als
jungeSeTäiädchen so gut baclen tön
nen. Nei, die Lenet Die Lene!« Er
seuszte, als sei er um eine Zentner
last erleichtert worden, und biß in
den Kuchen hinein, herzhast und heiß
hungrig, wie man ins Glück hinein
beißen möchte, um ein recht großes
Stück zu ergattern und mit seiner
Süße all das Saure und Bittere zu
verwinden, das man wider Willen
hat schlucken müssen. —- -— —
Der erste, den der Pastvr am näch
sten morgen tras, war Hinz Nul
sen. Der sonst so Bewegliche und
Laute ging seines Weges mit gesenk
tem Haupt und bemerkte anscheinend
niemand.
Da grüßte ihn der Pfarrer-, und
iun sah er aus und nahm die Mühe
ib. Er hatte ein übernächtiges Aus
"ehen.
»Ist wohl spät geworden bei Bur
nesters?« erkundigte sich der Pasior
ihnungsvoll
»Viel zu spät!'«
»Doch friedlich abgelaufen.«
»Wie man’s nimmt. Nein, nein,
Streit war nicht,« beruhigte er den
ilushorchendem »Aber so 'ne Kind
Jause habe ich noch nicht mitgemacht.
Ver Krusemann ist doch noch gekom
nen.«
»Wer?«
»Der Johann Krusemann, Herr
Bastor Und hat noch Pate sein wol
en. Er müßte Pate sein. Daß die
lause langst gewesen, wäre ihm egal.
Ind hat einen silbernen Becher siir
las Kleine mitgebracht, als Geschenk.
Das Kleine sollte auch mal sein Haus
)aben. So hat er geredet. Verrückt
dar er nicht, aber lustig. Na, und
m sind wir denn alle noch lustiger
sen-orden. Um Fünfe sriih haben wir
roch getanzi. Aber ist das nicht der
Xrusemann —- —— —
Er deuteie mit dem Finger nach
Iem Deich
ssz ...... n—..k...--.-.. L-» L-—4 k
) CI IUUL OISUIIJIIUUIH UIL UUSI VES
1nterstieg, in schweren Wasserstieseln,
Ien Oelmantel über den Schultern.
Er war wohl schon.init dem Boot
Draußen gewesen.
Als er den Pastor erblickte, lüstete
er die Kappe und winkte mit der
hand. Und als er näher herankom,
sah man, daß er in sröhlicher Laune
sein mußte.
»Ich höre soeben von gestern abend
und heute sriih ———« sagte der Pfar
rer. —- ,,Ja, gemiitlich war’s, sehr ge
mijtlich! Nicht wahr, NeelsenZ Haben
nachher noch getanzt. Jch niit der
Großmutter —— der Lenal Die nimmt
es richtig noch mit all den jungen
Dinger-n auf.« Und Kruseinann lach
te so recht von innen heraus und
machte ein paar listige und vieldeu
tige Augen. »Ich meine, Herr Pastor,
es ist bald so weitl«
« cMenschenleben
Ztizzc von I. Gurt-mitsch.
Aus dem Hinsiisilieu von E. stempeln
...Aus der Brücke war es men
schenleer. Von dem morschen Bretter
beschlag roch es nach FeuchtiateitszDie
Laternen beleuchten-n matt die steiner
ne Einfafsnng Des gußeisernen Git
ins-.
Tschnnltolv hatte schon die Mitte
der Briide erreicht, als er plötzlich
auf dein Holzpslasser einen Ueberrock
bemerkte, an dein ein Zettel besestxgt
mar...
»Jemand hat sich ertranttsl sing
es ihm durch deii«ttopf, und ein nn
anaenelnneo tlälteaeiiihl kroch iiber
seinen Riiclen « «
»ES lohnt nicht zu Wen-. Use
Menschen sind —-—- Bestjen, die nur an
ihr leibliche-Z Wohl denken. Warum
soll man leiden nnd sieh quälen? Je
gorow,« lag er auf dem Zettel.
Tsehmutoio seufzte Er lehnte sichl
ans Gitter und verfiel in Gedanken.
»Der Glijctliche!« flüsterte er· »Erl
ist den Bestjen entronnen und hat:
aufgehört zu leiden! Er hat rechtz.
es lohnt nicht, zu leben! Mein Freund
Abram-Im lebt wie ein großer Herr»
und ich besitze nichts! Leide Hunger
und Kälte und Erniedrigungen!...
Es hat teinen Sinn zu leben!!« ;
Tschmutoio warf energisch seinen!
Rock ab, fügte mit einem am Gitter
herumliegenden leistist seinen Na
men dem Zettel ei und sprang ins»
Wasser. Er tauchte einige Male unter;
nnd verschwand spurlos . .. H
Kaum hatte sich der letzte von dem"
Sprung Tschmutotos herrührende
Ring auf dem Wasser verteilt, als
Suchotin die Brücke betrat. Die bei
den Röcke und der Zettel fesselten so
fort seine Aufmerksamkeit
,,8wei Menschen haben sich er
tränlti« durchfuhr es Sachotin, nnd
ein unangenehmer Schauder rieselte
über seinen Rücken.
Er las den Zettel und rief: »Ja!
...Sie haben rechtl·.. Das ist ein
Hundelebenl Tag für Tag steht man
hinter dem Ladentisch und mißt init
dem Arschinmaß verschiedene Stoffe
ab... Wieviel man auch abmifzt —
mehr wie zwanzig Rubel monatlich
erhält man nicht, und der Prinzipal
hat von jeder Arschin seinen Vorteil!
Lohnt es denn zu leben? Wozu? Um
zu essen, zu trinken, zu schlafen und
Stoff abzumessen... Und so das
ganze Leben hiiidurch?! Nein, die an
deren haben sich ertränkt, und ich will
mich auch ertränlen!!«
Suchotin nahm Mantel, Rock und
hut ab, schrieb auf den Zettel: »Ge
lesen und richtig befunden. Mache da
her dem Messen mit dem. Arschinmasz
durch den Tod ein Ende. Suchotin,«
und stürzte sich in den Fluß
Einige Zeit darauf passierte det
Student Perewersew die Brücke. Er
gewahrte sofort den Haufen Klei
durgöftiicke und den weißschimmerns
den Zettel.
»Jns Wahr gesprungen!« dachte
er, und ein unangenehmes Frösteln
überlief ihn.
Er las den Zettel, lachte bitter auf
und bemerkte: »Da haben wir eine
Illustration unserer kapitalistischen
Ordnung, da haben wir die grellen
Folgen unseres Regimesl Drei Leben
sind vernichtet. Wer weiß, was sie
dem Vaterland gegeben hätten, wenn
sie im Zukunftsstaat gelebt? Es lohnt
nicht zu leben! Es ist sogar ein Ver
brechen, zu leben, wenn dem Proleta
riat nur ein einziger Ausweg geblie
ben ist: von der Brücke ins Wasser.
Und ich war gestern im Marienthea
ter! Habe Sobinow (beriihmter rus
sischer Sänger) gehört... gemeiner
Kerl, der ich bin!« er tnackte mit
den Fingern und, nachdem er gerufen
hatte: »ich will es sühnen!« schrieb er
folgende Worte auf den Zettel: »Es
ist langweilig, niedrig und empörend,
zu leben! Es ekelt mich vor den Men
schen, es ekelt mich vor mir selbst.
Sobinow ist ein Sänger für die
Bourgeois... Jch schäme mich für
Sabinow und siir mich. Manja, er
innerft Du Dich der Worte des Dich
ters: »Traure nicht um ihn, schön ist
es, jung zu sterben?« Uebergebt dem
Dienstmädchen meinen Wecker: sie hat
noch fiir drei Franzbrote zu bekom
men. Kämpft für das allgemeine
Wahlrecht! Perewersew.« Daran
warf er Meintel und Uniformrock ab
und sprang ins Wasser.
Ein betrunkenes Bäuerlein erschien
aus der Brücke. Er sah gleichfalls den
Haufen Kleider und rief: »Ertränlt!
Ah, hier ist gleich eine ganze Gesell
schaft! Gütiger Herrgott, bin ich denn
schlechter als sie?«
Er streifte sein durchlöchertes
Wams ab, betreuzigte sich und
schwang sich über das Gelände. Kaum
war er aber im Wasser, so dachte er
augenscheinlich, daß er doch schlechter
als die anderen sei, denn er machte
verzweifelte Schwimmversuche; allein
die mit Wasser vollgesogenen Beintlei
der und Stiefel zogen ihn auf den
Grund.
Eine Weile darauf trat ein Fuß
polrzist aus einem Haustor.
»Ah!« rief er aus, —- ,,l)ier hat
sich jemand meine Abwesenheit zunutze
gemacht... Ohn! Wieviel Volk! Es
wird mir schlimm ergehen!!« Er
kratzte sich den Kopf, tat ein paar
kräftige Fläche, spustte aus, nahm
den Zettel zur Hand und las mit
Mühe das Geschriebene. »N—ja,«
fliisterte er gedankenvoll. »Es- hat
teinen Sinn fiir mich, noch weiter zu
leben: meine Vorgesetzten kriegen
einen Rüssel und ich komme vors
Gericht! lind alles wegen dieser Kö
chin, daß sie verdammt sei! Auch das
Voll ist heutzutage gemein: es kann
sich ja einer ertränlen, nun meinet
wegen zwei, aber doch nicht gleich eine
ganze Horde! Jetzt muß ich mich fiir
sie alle verantworten Man sollte den
ken, daß es in Petergburg wenig
Brücken gäbe! Alle sind sie darauf
versessen, sich von derselben Brücke
hinabzustiirzen!«
Er kratzte sich noch einmal den
Hinterlopf und, nachdem er gesagt
hattet »Besser ins Wasser-, als vors
Gericht!« schnallte er seinen Säbel ab,
entledigte sich des Uniformmantels
und sprang in die Tiefe.
»Heute habe ich Glück gehabt!« be
merkte Jegorotu sich von dem Boden
einer leeren Barke erhebend.
»Siehe da, die vielen Sachen!«
flüsterte er freudig, indem er die
Röcke und Mäntel mustette. »Nun
wohl bekomme es... ich habe ins
Schmutze getroffen! Sie beißen jetzt
gut an auf solch einen Zettel!«
Er zog aus dem Haufen feinen
zerrissenen Rock hervor, lud sich die
fremden Mäntel undRöcke auf den
Rücken und schlenderte nach Haufe.
—- Dir Nervenchvk· »Na,
Herr Sufmieyer, hat anen das viele
Morphium, das Sie während Jhrer
Krankheit haben nehmen müssen,
nichts geschadet?«
»Jo, m, : hob halt an starken
Nervenchok davongetragen; so oft i
zum Beispiel a Maßlrug in die
Hand nehmen tua. kann i ihn nit
eh’r tvkeoa hinstella, bis i ihn aus
trunta l)ab"'
—- O weh! »Als Mädchen war
meine Frau ein Märchen s— aber
jetzt — Es tvsns einmali«
— Beruhigung. Freund:
»Ganz gern würde ich 'inal niii Dir
auf die Jagd gehen, aber ich treffe ja
doch nichts!«
,,,Unfinn, alter Freund! Jn mei
nem Revier sind so viele Hafen, daß
man fcbon ein ganz vorzicglicher
iSchiitze fein muß, wenn man keinen
Itreffen will!W
Ospw qyshssk -- .-«-—