Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 15, 1917, Sonntagsblatt, Image 10

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    Äu- Ringen
methklecetten
Roman von Robert sthlruss
—
(2. FortsehungJ
Sie hatte den einen Handschuh ah
geftreift und hielt ihre geöffnete
handfliiche der Alten hin. Mißmu
tig erhob sich Duringer, trat an die
Tür zum Saale und spähte hinaus.
Die Zigeunerin beugte sich tief hinab
au die dar-gebotene Hand, fo tief,
da; et den Anschein hatte, als wenn
sie den feinen Duft einföge, der von
der weichen, gepflegten, rsgen haut
emporstieg. Dann begann sie zu mur
meln, zunächst allerlei unverständli
ches Kauderwelfch zuletzt dernehmii
che, verständliche, wenn auch nur ganz
leise Worte.
·Jch sehe Liebe in deiner Hand.
Liebe, die du gibft und die du nimmst.
Aber hiite dichl Ein Riß geht hier
durch deine Lebenstinie, hüte dichl
Du wirft umlämpft von feindlichen
Mächtem dir droht Gefahr. Hüte
dich vor dem Manne dort. vor dem
Schwarzen, hinter ihm steht der
Todt«
«Unfinn, ich will nichts mehr hö
ren. Wenn du nichts Besseres weißt
als Tod und Gefahr-, behalte deine
Weisheit fiir dich«.
Sie war hastig ausgestanden und
neben Düringer getreten. «Sie sind
klüger gewesen ais ich und haben sich
nicht zum Narren halten lassen von
der Alten. Kommen Sie, die Musik
hat aufgehört, wir müssen zurück in
den Saal«.
An sein-ern Arme trat sie hinauf-,
das grellr. häßliche Lachen der Zi
geunerin klang hinter ihnen her.
Jm Saale herrschte oerftätlte Be
wegung. Die Souperpaufe war ge
kommen, die herren drangten sich
durch den bunten Menschenlnauel, um
ihre Damen zu suchen.
«Da ift mein Ritter', sagte die
Kunetvla und wies qui einen gro
ßen, starken Menschen in japanischer
Tracht. «Schön ist er nicht, aber ein
mächtiger Mann beim Theater. Le
Peäre Sie wohl, auf baldigeö Wieder
e n".
Sie trennten sich; Diiringer schritt
nach dem Pinse, ioo feine Frau zu
rückgeblieben war. Sie stand auch
jetzt wieder dort; ein tragenden for
schender Blick begrüßte ihn. Doch
kagte fie nichts, auch war sie nicht
allein. Rittner, ver sie zu Tisch süh
ren wollte, tvar bereits pünktlich zur
Stelle; die Frau von einein Kollegen
Düringere war in dein kleinen Kreis.
Er bat um ihre Nachbarschaft beim
Sonder; sie war noch frei, die schon
ältere, aber lustige skd unterhaltende
Dame war ihm gerade recht. Er
brauchte an ihrer Seite nicht viel zu
reden, konnte sich in ieine Gedanten
vertiefen.
Unter den Klängen des Einzugs
marfches ans dem «Tannhaa1er«
schritten die Paar-e in langem Zuge
über die beiden Arme der Freitreppe
in den tiefer gelegenen Speifesaal
hinab. Das Licht von oben war hier
sanften dafür tenchteten die weißen
Tischtiicher. Metall und Glas todt-en
aus unzähiigen tteinen Bliyen ein
seini- Yiec darüber, und Sträuße
von frischen Blüten unterbrochen sein
schimmerndes Gewebe mit geschlosse
nen, traftvellen Farbenfleiteir.
Das Mahl begann, Musik, aus dein
oberen Saale leite berabtlingend, und
Wein steigerten den Frohftnn. Die zu
erst gedäinpften Reden lvurden lauter,
heller das Lachen der vielen Frauen
stimmen. Die Gläser tlangen, Mei
ser und Gabeln gaben ein leises Seen-i
Herr auf den Teuern.
Diiringer hatte seinen Platz am
Ansang vom Sau-, nicht sern wn
du Freitreppr. Seine zrau saß imn
zur Linien. Am nächsten Tische, ganz
nahe den untersten Treppenstuxem
hatte die Kunewta issren Platz. An
einer Schale mit s:artdustenden Hyai
ztnthen vorüber tonnte Dütinger
durch eine Liiete zwischen den Eulen-;
schentöpsen zuweilen ihr Gesicht er
spähen. Mttuntet tras ihn ein ra
scher, vorsichtiger Blick, lachend, strah
lend, verheißungsvoll. Mit einein vit
steren, beinahe zornigen Ausdruck
antworteten seine Augen. Zuletzt riß
er sich gewaltsam log, wandte sich
ganz ver Nachbarin zu und vertieste
sich in ein Gespräch mit ihr, ohne
innere Anteilnahme, doch mit äußerer
gewirkt-in
Als er dann kurz vor dein Schlusse
bei Mahles doch wieder hinüber
schaute, tatn ein Gefühl des Er
schrecknis über ihn. Der Platz war
leer, wo die Kiinstlerin gesessen hatte.
Unwilltürlich fragten seine Lippen:
»Mit ist Kunewtali«
Seine Frau sab ihn mit einem
leichten, besonderm Lächeln an, dann
sagte sie, die Dand nach liats erbe
benb: »Sieh bin, dort ist ste«.
Reich-eins erstillte ein ungebeurer
Insel den Saat. Mit Dauben-suchen
tx« , schasenden Zur-sen be
nlle bat oben aus den Bat
tpn zwischen den Treppenarinen sicht
bar setwrdsene liebliche Bild. Ber
vaubelt, in sieghasier Schönheit und
Icenbpracht stand sie dort oben. Sie
tte be- Dmtso abgeworfen und
entth was bitt-unter verborgen ge
wesen war. Ver Gent-is des seith
lings, die streute-betränte Frei-enge
statt ans Botticellid RIEMANN
isae unter der Hätte hervorgekome
Ein leichtes Ilorgeivand init einne
wirlten Mitten ninflaß den Körper,
ein Blumenlrani las auf dein gelö
sten haar, ein niederer legte sich uin
den lchlanten Hat-. das Gewand be
geenzend, ein dritter umschloß als
Gürtel den Leid. Reben der lichten,j
dliiteniiderichlitteten Gestalt hielt ein
Page in dranngoldener Renaissaneei
tracht einen großen Koth der ganz!
niät Roten qefiillt nar. Der Geniujj
hatte die eine hand leicht auf dies
Schulter des Pagen gestühi und blick
te stuniin einen Augendtiel in den
Saal hinab, aus dein ein Meer der
Begeifierung zu ihm hinan drandetr.
Bann hov vie Kuneivla die hand,
und mit einemmal verstummte der ju
delnde Tumult. Eine tiefe, plötzliche
Stille der Erwartung trat ein« und
nun oegann sie zu reden. Es waren
keine bedeutenden Worte, die sie zu
sprechen hatte, doch ihre Stimme. die
von verdorgenein Feuer ganz erfüllt
schien, durchtoärnite und veredelte fie.
Vom Winter sprach sie, der draußen
lauerte, von einer ialten. tiefen Nacht,
in der vie Menschheit voll oergeblicher
Sehnsucht nach der Sonne spähte.
Von einein Lichte, das ganz von ferne
leuchtete, bis es allmählich näher lam,
größer wurde, zu wärmen begann.
Von der Hoffnung auf neuen Früh
ling, die niemals ersterdsen dürfe, vie
jedes Leid und alle dunklen Tage
freudvoil ertragen lehre. Und jetzt
begann ihre Stimme zu jubeln:
Frisch sich die Erde mit Blüten iinihiilli,
seh diti die Göttin, auf deren Wink-i
»Ich stieg hernieder, euch zu begrüße-h
sein« euch die Hoffnung. vie na) erfull:.
Ich bin der Frühling, ich lsTii das Leben.
Jan viii das Lachen, icli isiii das Muth
ceyruche die .:okgeii, scheuche den lluins
( · « » mer « « »
Fern in die finster-neu Tiefen zuruck·
Ich bin der Frühling, ich bin das- Leben,
hieniiii fic, die Mute-n stoylict; errluhn
Ftciu euch der can-m iieiii euch der
« Biede,
Als cum III chUIcUl sUlllllu UULUMIUUII
Mit beiden Händen griff sie hinein
in den Rosenlorb« streute die leuchten
den Blumen hinab in den Saal, warf
sie mit sicherem Schwung auf die Ti
sche, nahm endlich den beinahe geleer
ten Korb« und schuttete den testeii Rest
seines blühenden Inhalts in die be
gierig, sehnsuchtsvou emporgestreetten
Hände. Mit anmutooollem Abschied
mint war sie dann plötzlich verschwun
den, und tein Jubelrus, tein lautes
Verlangen vermochte sie, noch einmat
zu erscheinen. v»Die kjriihlingsgottin
gehe-raste nicht irdischern Beifall.
Gerade vor Durinizer war eine gro
ße, voll erblühte Rose niedergesauen
auf va- weiße Tischtuch. irr hatte
sie schnell ergriffen, hielt sie nun in
der Hand uno sah stumm darauf nie
der. Dann hob er sie empor und
atmete den saßen, heißen, aus blut
roten Blaitern einporstetgenven Dust
.Guten Abend, Elli. Wo ist Fräu
tritt-«
.Gleich, Mutter, gleich.«
»Nein, erst mußt du mir antwor
ten, wenn ich frage. Hinterher tannst
du weiterlesen.«
»Aus ihrem Zimmer isl ste. lind
meine Arbeiten sind schon lange ser
tig.«
»Dann ist es ja gut.«
Das Kind safz im Wohnzimmer
des Düringerschen hause-. Der
warme Lichttreis ein-r mit rotem
seidenem Schirm umschatteten Lampe
siel auf fie, der hellste Lanz aus ihr
Haar und ihr Gesicht. Sie las niit
giühendem Eifer in einem Buch und
sah nicht aus, alo die Mutter, die
sag Gemach tn Straßenileidung be
treten hatte, siir einen Augenblick ins
Yiebenzimmer ging, um hat und Pelz
abzulegen. Mit einein bedauerndeii
Seufzer schloß nun Elli das Buch
Und sah umher. Jhre Mutter tam
zurück, hatte sedoch teinen Blick siir
vie brennenden Wangen und Augen
ihres Kindes-. Eine unruhige Span
nung war in ihrem Wesen. Sie
ging an's Fenster und schaute hin
aus, dann zur Stir, wo sie ein paar
Setunden stehen blieb
«Bater toar doch nicht hier?« fragte
sie «plötzlich.
»O nein, ver in ja schon um vier
Uhr sortgegangen.·
»Ja, ja, ich weiß, getvisz."
Wieder schritt sie unruhig im Zim
mer auf und ab, von der Tür zum
Fenster, dont Fenster zur Tur. Ihre
Bewegungen waren gemessen wie
steig, nber ein leichtes, nerdöses Zacken
in ihrern ruhigen Gesicht verriet eine
tiefe innere Bewegung. Nach einiger
Zeit erst bemerkte sie, daß Eilig Au
gen ihr mit beobachtender Aufmerk
samkeit folgten; sie nnhni sich zusam
men, trat neben den Tisch, wo die
Kleine saß, und fragte: »Was hast
Eva denn gelesen?«
» »Mein Sagenbuch, Mutter, rnein
wundertvunderschiines Sagenbuch das
Große-riet Herrnnnn mir zu Weih
nachten geschenkt hat.«
Ein leichtes, steundliches Lächeln
milderte den Ausdruck in Frau v.
Diiringert Gesicht. »Aber das sannst
du sicher schon nuttvendigk
»Ic-, beinahe schon. Aber so tvie
heute hobe«ich es noch nie gelesen«
«Wirso denn und withole
»Weil du doch vorgestrrn die Ge
noveba gewesen bist, Mutter, und
weil ich da bei der Geschichte von Ge
nobeda immerfort an dich habe den
len müssenR
— —-vs- —————s-q-—- ——-——-——
»Ach W« Des sichel
attt ihren Zägen wurde noch ntikder.
Ei war, als wenn des unschuldigen
Kindes Geplauder ihre Unruhe de
sänftigtr.
Use-wesen und ich bin ganz
furchtbar traurig gewesen« wie die
arme Senodepa to oiel Schrettliches
hat leiden müssen. Jnttner ist es
mir gewesen, als wenn dir das pai
sierte.g Ader ich muß dich tun etwas
tragen, Mutter.«
»Moti«
Nicht wahr, Vater ist dvch dein
Manni«
Das Lächeln wurde zatn Lachen,
zum leichten, leiten, beinahe tonlojrn
Lachen. «Ireilich, das ist et.'·
Leider dorgestern, da war doch Ja
ter der Rattenfänger von hameln.«
.Gewiß.·'
»Dann war Vater also vorgestetn
nicht mehr dein Manni«
Frau o. Düringers Gesicht det
änderte stch auf mertwürdige Weile«
Seine Musleln zogen sich zusammen
wie oor törpetltchem Schmerz, und
für einen Moment preßten ttch die
oberen Zähne sichtbar auf die Unter
lippe. Dann erst antwortete sie:
»Nein, dorgejtern abend war er
woyl nicht medr ntein Mann.«
«llnd etnen anderen Mann haft du
auch nicht geh-Mk
»Nein, auch nicht.« —
»Und wer war der böse Golo?«
»Den gab es gar nicht-"
»Und Schmerzenretch und die
Hirschtuh, — waren die nicht da?'
«Yiein, die haben auch gefehlt-«
Das Kind schüttelte mtsdilligend
feinen blonden ttopi. Es hatte die
Paare der Mutter, ader die schwarzen
hingen des Vaters. »Das getallt
nur nicht. Stein« Mutter-, dann dift
du auch nicht dte richtige Genoveva.'·
»Die richtige, nein. Und es ist
auch wohl dener so.«
Die meine sprang plötzlich empor.
»Da tommt Vaterl«
»Ich have nichts gehört.«
«)t.:och, doch, ich weis es, ich sühle
es, wenn er tomiiit. Jin Sommer,
wenn vie Fenster ossen sind, hore ich
seinen Schritt von unten heraus, schon
ganz von weiter-U
Sie stiirinte zur Tür, die sich össs
nete· Büringer triii ein; er hatte
vie Straseniieidung schon brausen
abgelegt. Er siisite vev Kindes nach
ihiii ein-gestreckte Arm-, hov es ein
por, hieti et tin sich gepreßt.
.Vater, Bat-t! Du vist solange
soei gewesen, ich have mich so nach
vir gesehm. Nicht wahr, Vater, ou
hist ooch ver Atleratlervestei«
»Wenn vii es sagst, inus ei wohl
so sein. Lied hav« ich dich, liest«
er tiiszie vie Kleine init leioenschiists
licher seinigtein Nun erst vegriisite
er auch seine Frau: «Guien Wiens-,
Hedwig.«
s .Guien Abend, Bruno.«
» Er ließ diw Kind aus die Erde
gleiten. »So Schutz, jetzt isi es ge
nug. Wir velvniinen sonst Scheiie
von Mutter.'·
«Ach nein, gewiß nicht. Gib ihr
Hoch auch einen Russ, dann vors sie
nicht scheltenf
Er liichelte uno ging aus seine
Frau init ausgestreitten Händen zu.
»Wie wär’ es, Hedwigi«
Er wollte sie in vie Arme ziehen,
sie aber wich vor ih:n zurück.
«Nicht vor dein Kinde,a sagte sie
leise
Mit einein Seufzer wandte Dü
ritiger sich ah. Elii sah verwundert
aus vie beiden. Jhr Vater ging
langsam zu dein Tische, wo vie Lam
pe sinnt-, unv sehte sich nieder. Jin
hellen Lichte war sein Gesicht heute
von einer gelvlichen Blösse, vie ver
schwarze Rahmen ves Haares noch
starter hervorheb. Ein paar Semi
oen lang sah er starr vor sich hin;
va- Kinv hatte sich wieder an ihn
geschmiegt, doch schien er es taiiin zu
teiiierteih Plohlich hob er ven tiops
Weis ich noch sagen wollte, heh
ivig. Können wir heute nicht ein
wenig zeitiger essen?«
»Gewiß, woruin2«
»Es ist — ich habe noch eine Sit
zung heute abenh.'·
Jiine Sihuiigi«
.Jo.'
»Das tornrnt aber bcch sonst nichtl
vor-"
«Nein, ej ist eine Ausnahme We
gen einer etligen Sache-«
»Gut, ich will Anna Bescheid fasl
gen. nomin· Eul, du tun-in fo lazigei
zu Fräulein geben« J
Sie nahm das Kinn bei der hanb «
— ej verließ den Vater offenbar nur
ungern -- und nahm es znit sich bin
aug. Däringee bliev auf feinem
Muse, brütete oor sich bin unv strich
lich nur zuweilen mit nneinanberge
peelzlen Fingerspitzen über vie Stirn·
als wenn er ftbrenbe Gebnnlen fort
wichen müßte.
un trat feine Frau wieder ein.
Sie warf einen beobachtenven Blick
arf ihn, rat aber keine tage, fon
vern trat abermals an’- enfter und
blickte hinaus in bie mit tebeltreifen
umfponnenen Lateran-lichter auf ber
Straße. Nach einer Weile want-te sie
fich nun wie mit plii lichem Ent
schluß, atmete tief und ragte: »Bev
np- hast du mich vorhin wirklich nicht
gefehenlM
åch dich-? Wo denn7«
« nf ver KnrfllHtenftrahe, in der
Nähe des Theaters »
«Dort bin ich nicht gewesen«
M seit es spielen sei-. as wei
chek Stellek«
»Es tdar dor iingesiihe einer Stun
de. Jch ging in die Stadt, um eh
paar sesdrgungeii sit machen, uiid
kam dar-ei durch die Anlagen iif der
Bitte der sursiirsteiistraha Dort
sah ich dich in geringer Entset
niing aus etneni Wege, der sich mit
rneinein irruzte, rasch dortibergehen.«
«Mich —- michk
«Ganz deutiich Du warst ei. ich
sah dein Gesicht. deine Kleidung.
Ich tenne doch deinen Pelz, deinen
braunen Pliischhut. Ich ries dich an.
aber weht zu leise; dii hörtest mich
nicht und gingst weiter.«'
.Die Anlagen sind nur schwach
beleuchtet; dort ist eine Täuschung
leicht möglich.«
»Das dachte ich auch, wenn ich dich
nur dort gesehen hätte. Aber ale ich
ain Ende don den Anlagen, die inir
deine Gestalt rasch wieder derdertt
hatten, in den schmaleren Teil der
Kursiirsteiistraße eintrat. sah ich dich
wieder." «
«Es war eine Täuschung. Hed
wig.'·
»Nein, et- war ddrt ganz hell.
Du standest aus der anderen Seite
der Straße und schautest nach den
Fenstern eines Hauses hinaus.". Sie
zögerte einen Augenblick, holte noch
einmal ties Atem und siigte dann hin
zu: .Es war das haue, in dem die
sinnen-la wahnt."
Er hatte sie bisher ziemlich ruhig
angehört, suhr aber jetzt vor ihren
Worten zurück, als wenn sich plötzlich
ein Abgrund ddr ihm aufgetan hätte.
Seine Augen weiteren sich. Er wollte
sprechen, doch gelang es erit beim
zweiten Versuch.
»Dan, dort hast du mich —- willst
du inich gesehen habeni«
»So deutlich, wenn auch nicht sd
nah-, wie jett in diesem Augenblick
Dir gerade gegenüber stand ich aus
der anderen Seite der Straße, und
ich ware gleich zu oir herangekommen,
ioenn ein dichter Strom oon Wagen
und Auioi niir nicht eben den Fahr
rciinni versperrt hätte. Als ich donti
doch glücklich hinüberiani, war oon
dir nicht-i mehr zii sehen, und ich
mußte die hossnnng ausgehen, dich
in dein dichten Gewiihl der Kiirsiirs
stenstraße uiii diese Zeit wiederzufin
oen·«
Sie wartete aus eine Antwort von
ihm, doch sprach er nicht. irr war
ganz in sich zusammengesunten, als
ioenn ihin eine schwere Last aus die
Schultern gelegt worden wäre, hatte
die hände iroinpshast ineinander ge
peeszt iind schaute unverwandi oor
sich hin aus den Boden, ioo die man
nigsaltigeii Farren des Perserecopichs
tin Lompenlichte inott ineinander
stoßen. Doch sahen seine Augen
osscnhnr nichts davon; sie schienen
in einen dunllen Winkel seiner
Seele hineinzuspiihen Die Augen
ioelt war ihni tot und stumm in die
sen Minuten iasteiidnngstvollen
öchioeigeniä
Ein leises Eil-eben ging bei sei
neni Anblick durch hemigo Gestalt.
Sie stand und wartete; zuletzt er
trug sie die drohende Stille nicht
mehr.
»Sprich doch« Bruno —- was fehlt
diri«
qWie —- wns —- entschiiltige —
tout has: du gesagti«
»Du bist sonderbar. Co ist so doch
Lein Unglitck, wenn du niich nicht ge
sehen hast. Jch hätte gar nichts da
von gesagt, aoer" —
»Du hast dich getäuscht, Hedwig.
Glaube mir, es ist ein Jrriiiin· Du
kannst uiich nicht getehen haben, ich
war nicht in der Kursiirstenstroße.«
Er hatte sich wiedergefunden und
sprach verhältnismäßig ruhig
»Aber Braut-, ich habe doch nieiiie
guten Augen. Wo warst du denn,
wenn du dort nicht gewesen sein
r.irst?«
»Am ich wars Jch —- waete ein
mal, ich ein so verwirrt· Jch war
im Stixoiw.iloe.«
«Dort —in der Dunkelheit?«
»Ja, zu der Zeit, lini die sich’s
kund-lis- »
»Ja-Jesu
»Alle-n«
«Verzeib’. ich will dich nicht aus
sragen. Aber es- tlingt mir so wun
derbar, daß du an diesem häßlichen
dunklen Nebelabend im Stadtwatde
gewesen sein willst-«
»Ich hatte mancherlei zu durchdra
ten. Ich hatte das Bedürfnis, allein
zu sein."
Sie wandte sich ab nnd ging von
ihm weg, langsam und schweren Fu
ße-. Vor einem Blumentisch mit
Palmen blieb sie stehen, faßte den
Wedel von einer der Pflanzen und
sah so angespannt aus ihn hinab, all
wenn ein Geheimnis davon abzntesen
wäre. Das Blatt erzitterte in ihrer
vebenden hand.
Nach einer Weile hob sie den Kops
und lehrte sich wieder zu ibrem Man
ne. »Brono«, sagte sie leise, »wir
hatten uns doch versprochen, wir woll
ten einander immer vertrauen«.
sich vertraue dir ja«.
»Nein. Vertrauen bedeutet Wahr
heit. heute hast du mir aber die
Wahrheit nicht gesagt«.
,Gtaube mir, Hedwig«.
Einen Augenblick· Laß mich erst
reden. Es wird mir ja so schwer-,
manches zu sagen. Die Worte tönns
ten mtr wieder verloren gehen. Sirt-«
du mußt nicht glauben, ich wiirde dich
nicht verstehen. Ich weiß ganz gut«
wasdiraninie hit-—ichbindir
sit nordisch, sit i hi, zii stumm. Ich
tann mich nicht anders machen nnd
mirs et tragen, wenn dir dann einmal
eine andere besser gefällt als ich. deine
Frau. Eine andere, die hat. weis
mir fehlt — die sagen and acht-sk
ten kann. was in ihr isi — eine, die
Feuer im Blut nnd in den Urtng
hat wie diese —- diese sinnen-in'.
Sie schwieg siir einen turzen Mo
inient, avet da er nicht sprach, fuhr
sie gleich wieder sort. »Ich verdente
Dir-'s ja gar nicht« wenn sie dir ge
fällt. Als ich sie korgestern dort oden
stehen sah, wie fie die Rosen herab
schiittete und die Verse sprach, da
sauste ich.zti mir sagen: zo, das ist
eine Vertrirperung non Jriihting und
Leben, und ein Mann, der ihr wider
steht, wenn sie seine Liebe will, der
muß tapfer sein und sehr treu. Bei
dir over habe ich das weint-h fn wiu
deine Liebe. Jch weiß nicht, wie es
toinmt —- ein Blick von ihr, den ich
anssing, hat mir s verraten. Darum
tann ich es auch vegteisen, daß ich dich
vorhin vor ihrem Hause sah. Verstehe
mich recht, ich mache dir teine Vor
würfe, wenn es mit auch vielleicht ein
wenig« —
Sie brach ab mit erstickter Stimme.
»Was wolltest du sagen?«'
»Ach, nichts. Nur um Wahrheit
woll«e ich dich bitten, am Wahrheit
und Vertrauen. Das tann eine Frau
von ihrem Mann verlangen, meine
ich'.
»Ich sage dir hie Wahrheit, Hed
wig, ich war nicht in der tkursiirssens
si.asze·«.
Sie preßte die Lippen sest ausein
ander; ein hartek, versteinerier Ano
dtuct trat aus ihr Gesicht
»Nun gut, so wollen ivik es ruhen
lassen, sagte sie nach einer Weile ienv
ging zur Tür-.
Dütinger hob die Hand, als ivenn
er sie zurückhalten wollte. »Hedlvig
— höre mich — laß dir etwas sagen.
Es tut mit weh, ioenn la zornig auf
mich dist. Ich hnde dich viel zu lied,
um das gleichgültig hinzunehmen. Ich
weiß, was du mir bist, was ich durch
dich geworden din. Aus einein wil
den, allen Gefühlen des Augenblicks
folgenden jungen Menschen bin ich
ein ruhiger, verständiger nnd glückli
cher Mann geworden. Du wirst mir
dae zugeben müssen — tin allgemei
nen wenigstens- Mitiinter mögen lvies
der Zeiten tomnien —- vielleicht— ja,
Hedwig, es mag sein, daß mich im
Augenvlict etwas ist, ioae zwischen
une steht. Ader« —
«th es die Kuneivla « Sie war
wieder zu ihm herangetreten; ihre
Lippen zitterten vor nufgeregier
Spannung, während sie seinen Wot
ten lauschte.
»Frage mich nicht, Hedwig, sei gut.
iJch tiiinpfe ja dagegen, ich hoffe, bald
aus deni Wege zu rannten, long ge
genwärtig miser Leben ftort. Laß
mir ein wenig-Zeit. Und giv mir eine
Waffe mit in meinen Kampf —- du
tonnft es".
Jkrine Waffe?"
«Ja. Sage mir, Hedwig, daß du
mich lieh hast".
»Ach, Brunn« —
«Sage mir-, ed ivikd mir Kraft
geven".
»Dir mußt es ja doch fühlen, ohne
das ich es dir sage. Jch have nun
einiiiul nicht gelernt, meine Gefühle
iitif der Zunge zu tragen. Wie oft
schon habe ich dir s erzahlt, wie streng
und ernst es in meinem Elternhaufe
zuging. Niemals nnde ich gesehen,
day der Vater die Mutter küßte, nie
haven die Eltern die geringste Zärt
lichkeit fiir uns itinder gehabt. Von
Gefühlen durfte überhaupt nicht gere
det werden. Jch bitte dich, Braut-,
laß niich vleibeii, wie ich diii'«.
»Gut, ich will dich nicht quälen.
Aber wenn du nicht sprechen tanntt
und magst, sieh inich wenigstens ein
mal treundlich an. So itt es recht
So tann ich durch deine guten-, reinen
klugen hinunteriehen in dein Herz
Uno, was ich da iehe — za, Du hatt
mich lied. Ich wiil daran denken,
verlaß dich dariui. Du diit iiiein
liebe-, gutes, treues Weil-, das all
die Jahre hindurch iiiir init stiller
Freundiichteit mein Leben schön ge
macht hat« Komm, gib inir einen
Kuß — dazu braucht es ja teiner
Worte".
In ihren Augen war ein glückliches
Leuchten erwacht. Sie Ichiiiiegte sich
mit schuchterner Hiiigehuiig an ihn
an und erwiderte seinen stutz. Dann
machte iie sich ptiihlich von ihni frei.
«Laß· laß —- Elli idinmtt"«
Es war, wie iie tagte. Das Kind
tani eilig hinein und meldete, das
Abendessen iei bereit. Jhre Hand in
die des Vaters legend· fuhrte die Klei
n- ihn in das neoenan gelegene Spei
seziinnier. Dort wartete schon Fräu
lein hegen-tsch, Ellis Erzieheriri.
Die vier Personen seiten sich zum
Abends-rot an den hellgedeclten, hell
beleu teten Tisch. Ein Gespräch iilier
est-stehe Fragen tain in Gang. doch
eteiligte Düringer sich nur wenig
daran. Mit vortichtigen Blicken iah
ieirie Frau, daß er mehr und mehr
wieder in sich verlaut, daß unruhige,
icheinbar diiftete Gedanken hinter iet
ner Stirn arbeiteten, daß er immer
häufiger zu der braunen holziihr an
ver Wand hinüberfah, die mit einem
qleichniäßiaem dunklen Tone den Fall
der Selunden und Minuten vertilni
dete. Kaum war hedwig mit dem
cssen fertig, als er aufstund
Ecke-ist nut- gehm'· .
-Jn deine »Amt« .-:.--«
«Ja. in vie Stdn-US
Mel-, Boten warum gehst du foetf
Ich lasen ja nicht einschlafen, wenn
is M bei mit bist!'
ctu flüchtiges Lächeln erhellte fein
M. Oe tilßte das Kind unv
sprach et zu Ruhe mtt elligee Freund
liebtest
»Aber nicht lange fortbleiben, Ba
tee — va- must du mit peecheiu
Und stellt un mein Bett ommen,
Tweun tm wieder da blit. Wette mich,
wenn ich schon schlafe, das ich vtt
gute Nacht tagen kann'.
«Getoiß, gewiß, ich verspreche
dik«s«.
»Ja, Beuno locnm' nicht zu ipäl«.
Hebung war aufgestandne und la ,
ihn an mit bleichgewoevenecn Gesicht s
»Ich glaube lauen — gewiß, e
wird nicht spät werden. Lebt wohll«
Er ging hastig, ohne auch noch em
tnal zueuckzuschouen. Hebwig nahm
vas stind an ver Pano, um et zu
Bett zu bringen. Bevor sie vie Tut
erreicht hatte, trat Fräulein Dege
wifch auf sie zu.
»Es-HERR Juw, ich hätte exzee
Bitte«.
«Unv?«
»Ich möchte auch noch getn für
eine Stunde Ioktgebm site-nein Bet
nek, meine Freundin von Frantiutt
yet — gnädige Frau haben sie ja
schon bei mit gesehen — bat mu- ge
schrieben. Sie bat wieder einen »un
tau von Rbeumsiusinuo, an dem sie
schon lange leidet, und mochte gern,
daß Ich tbk etn wenig Gesellschaft
leitte'«.
«Gehen Sie nut, ich habe nichts
dagegen. Lasten vie sich von Anna
den Vauoichlujiel geben«.
»Den brauche ket) taum. Es ist ja
noaz nicht acht llyk, unv es txt tem
weiter Weg«.
»Um woynt Fraulein Petrus-"
»Ja der Stei;.jttiiße«.
»Die in, ach, ich weiß: eine Sei
teiiiieiise von oec Kutsueiiennmue".
»Ganz techi, grindige Frau. Oc
wiii ich inich gieiiy aus den Weg inu
chen".
»Bitte Nacht, Fräuleins tief Elli
hiiiiek Ihr yet, kann ging yedioig
inn der Meinen nie Ochiiiizmimer.
Wohl eine yiiive Oiunce riiev Iie
noch iin dein Ente dei- )eindes, das
iininek wieder voxn Vatei zu ptiiudetn
anfing. Vevwig imme, irie schon
heutig, das mu- Lieoe zu iym viel
gkoyek war iu- oie zu ihr selbst, over
Iie niihiii oag hin oyiie kämmen
war imch iyte eigene Liede zu inni,
lvclM um«- IGII cuigqqiqiru sit All
Innes Hei-, eoeniu tiei und heiß wie
esie des made-. Datum iin iqi yeiite
,ciiich das Vec- iiiiiiiec wieder weh.
Yiiin war ou- mnd eiiigeiiyiiicem
mit seines Viiieko via-neu aus Sen
Lippen. pedwig nano ieiIe auf uns
ging qinuuex ins Woynziiiinien Der
stieolnye Lichttceip der Lampe iuof
ne zum Siden, iivee die iiiiiuhe in
iym Seeie itieo ixe zum tiiniojen
muyelwiindetn an. Viiiiscg ikui ne
ans Fenster uns Ichiiiiie yinaiis in
den ikuven, ttiiuiigeii Winlecaoeno
nin seinen um«-neuen Laternen
iiazxetn Die deiiue ioiir gekrochen,
ein feuchten ietzt noch oichiee genier
venet Mel-ei eciuuie oie Unit. Mit
Regenicnieniem vie vlant muten von
Reine, gingen vie keine aus vec an
deren Seite der Tit-use oocnver. we
viimpie miiien dum, oeii Abend-met
die nicinge ver Iicnen Jnciniiyt yet
jäher.
yeowig yorirsie oneiiiis, zatsite sie
un» iviiiioeiie si·:;, ioie iciiigsiiiii vie
einsame Wariezseit verging. Soiisr
psiegte Brutto iesr uveiiuz vorzuieseii
Haus irgeiideiiieiii giiteti Buche-. Wo
inne er setztt »Sie giiiiivte nicht tin
’die späte Sitzt-ig, — «nein, ich
glauve nicht darin-J sagte sie iiiut
uni) erschrai vor ver eigeiieii Himme.
Vor ihr stieg vie wesiiiii Oee sinnen-la
empor« wie sie ooi zwei Itioeiioeii ihr
so iiiiis gewesen weit in au iisrer via
yeiiueii, giuizeiioe.i, sonnigen Lebens
:i.isi. Wenn er dori nur« iveiin er
vei ilsr ioiieL Sie preszie die pano
iiiis vtio Verz, dessen raising sie zu
isoren iiieiiiie in oee grobem tastenden
.«s-"tilie. Von der Hei-se yet tiini uni
riese Stiiiide kein Qecaiisch; ocg
Haus Lag iti eine-. siiiieii, garieniep
useii Vorstadt, m- das ver-en zeitig
nin Aveno entschähiniiieitr.
Nun schlug es nun uhr aus veiii
Kiieistiinn pedioig iecisiieie noch tiicisc
ans eine heimkommen iyres Mannes-;
er tviir sii kaum eine Munde sort.
Aber vie Unruhe. die sie uiiiyertriev,
wuchs mehr iind mehr mit seder Mi
nute. Wie Unheiieaisniiiig lag es aiis
ihr. Sie nahm dar Buch, aus oein tin-«
Mann ihr iim reegaiigeneii Avent
vorgeieseii hom, versuchte allein wei
terziiiesen iiiid fins die Stimme dabei
vorzustellen, die sie liebte. Doch die
Tränen traten ihr in vie Augen, und
sie muszie das Buch schließen. Jetzt
vegiinn sie dirs limisirinanvern in pens«
stillen, einsamen Zimmer iiiiss neue-«
Opetsepunis soigt).
os—
—Ungewo:!ietkritit.herr
Czii einer nicht mehr ganz sungeii
Dame): »Ich habe die Rose, die Sie
mir iiirztich schenkt-in sorgfältig mis
betvalsri; denn, isi sie mich längst ver
weilt, so wird sie mich doch stets an
Sie erinnern!«
Dame (empöri). »Mein »tre, tvie
listigen Sie es wagen, mich fi- zii be
schimpft-M