see zweie-treu Novelle von Bedo Wild-sem Sein Nervensystem war nicht nichts in Ordnung. Schon seit langem quälten ihn Zweifel und Unsicher heit; jegt aber, da der Tag heran kom, an dein er in seinem Btpkan »Andrvrneda« den Reuenhurger Ste« überstiegen sollte, bemächtigte sich diese Erkenntnis seines innersten Ge-' mittels und drückte ihn zu Boden mit grauenhaster Gewalt. Und setne Feinde waren an der Arbeit. Die Konkurrenzgesellschnst, die seinen Ri valen Autour vorzusiihren sich nn schiäte, sie entflrltete eine geheimnis volle und unheilverkiindende Tätig keit. Seine Freunde zwnr lächelten: -unser Avinttker leidet nn Verfol gungswnhnsinn Manchesrnal war er daran, diese Ansicht siir richtig zu halten. Dann aber, wenn er aus versteckte heimische Andeutungen in ten gegnerischen Blättern stieß, wenn feine Wächter zur Nachtzeit oder am ruhen Morgen fragwiirdige dunkle Gestalten sich um M Ziel herum be wegen sahen, in Dem die Andromeda verwahrt wurde —- dann sagte er sich selber: Nein, du bist nicht verrückt, der Feind ist wirklich in Anmnrsch, und vielleicht bereitet er jetzt einen Hauptschlng vor. Sein Vermögen loar nahezu ver braucht, die mannigfaltigen Verbesse rungen der Erfindung hatten imnter neue Summen aufgefressen. Von feinen Verwandten loar teine Hilfe mehr zu erwarten, und die Geer fchaft, die ihm ihre Unterstützung zu " zuwenden begonnen hatte, erwartete einen großen Erfolg — fonft würde fie ihn fallen lassen, daran war nicht zu zweifeln. Jm Verwaltungs-rate nahm eine einflußreiche Minderheit zu feinen ungunften das Wort. Siegte sie, was follt. dann aus ihm und feiner Familie werden? Und erst gar, wenn er derunglücktet Er dachte an Lilienthal, an Pichler, an Ferrer, Lefeore und andre. Sein Nervenfhftem war nicht mehr in Ord nung. Das ift für jeden Strebenden ein arges hemlnnis. Dem Adialiler be deutet es das ruchlofe Anllopfen des Schickfals, den Vordoien des Elends, des Untergangs, vielleicht eines ruhm lofen Todes. Der Startplah befand fich auf ei nem Felde,das fich zwifchen dein gruuroten, turmreichen Schweizers ftüdtchen und dem Strande deo Sees ausdehnu. Ein Dampfer follte der »Androrneda« auf ihrem luge nach den flhwarzen Jnrabergen eeiiber das Geleit geden. Läng f aulelte das lleine, goldbraune Schif am Ufer dannn, in dessen Fugen die blitzt-laue Blume« die wir »ftolzer heinrich« nennen, in fteifer und stattlicher Fülle wucherte. Die Witterung war unbeftimmt: warm ohne Sonne, windftill ohne Freundlichkeit Blanle Möwen fchof fen über die fchwarzgriine Wasser breite, die don einer inneren Unruhe erfüllt fchien. »Der See zieht« fagen die Fifcher, toenn fie bei ruhigen Lüften jene eigentümliche, leife zer rende Gewalt der glatten tückischen Fläche derfpliren Der Aufforderung des Adiatilers, es möge sich ein Fahrgaft für den zweiten Sessel des Aeroplans mel den, war erft in letzter Stunde ent sprochen worden. Ein Artift aus Befaneon wollte die Reife wagenJ Ein befchäftigungslofer armer Teu fel gewiß, in dessen Beruf es lag, daß er feinen Hals rislierte. Die Mit teilung war dem Luftfahrer schriftlich zugekommen. Der Flugpassagier tdnnte erft mit dem Nachmittagszug anlangen. Der Statt war aus sechs Uhr fest gesett. Verschiedene Widerwärtig teiten verzögerten die Absahrt in die siebente Stunde hinein. Endlich war man so weit, daß die Schraubenslijs get angeworsen werden konnten. Der Septembertag ging allmählich in Dämmerung über. Der Aviatiter bestieg seinen Sessel zur Seite des Kupserzytinder5, in dem der Motor arbeitete. Der Passagier war noch immer nicht eingetroffen. Unmutig gab der Lustsabrer das Zeichen zur Klärung des Startplaszes. Da schob ich noch eine dicht gedrängte Gruppe - ran. Bei ihrem Anriieten war es dem Aviatiter zumute, als wälze sich das Unheil in sinsterem Schwarm aus ihn her· Aber sein Wille schien elähmt. Aus dem Menschentnäuel olperte ein Mann in einem engans liegenden dunklen Wollanzuge, sinn log glohend aus wunderlichen tar ren Augen« Die Angst schien eine Züge zu einer Maske versteinert zu haben. Einige von seinen Begleitun, die dem Fahrer nicht betannt waren, ießen den Menschen aus die Ma chinr. hier« Mister Wilman,'· trö zte einer, «ist der Signor Ma lateta. Er ist nur etwas stets von der Eisenbahnsahrt, sonst jedoch geht es ihm gut, und er hat Courage.« Das bleiche, regungslose Gesicht des Fremden, sein leicht zitternden Kör per strasten die Behauptung Lügen. ’,,Wenn Sie Furcht haben, dann soll ten Sie lieber unten bleiben«, sagte Wilmans Gebilse zum Fahrgastr. Der aber schüttelte den Kopf. Da drückte ihn Wilman in den Sitz, legte ibm tie Arme aus die schmalen Lehnen; der Gehilse streckte unter ei nigem Gelächter die Beine des Arti sten ans das Ins-breit Dann wie-s derholte der Aoiatiler das Zeichen; ein Trompetenton jubelte oon der Stadtmauer, die Menge hielt gespannt den Atem an. Jn diesem Augenblicke rief eine Stimme aus der Menge: »Sie haben eine Unglücksstiitte zum« Starten gewählt, Monsieur! Genau dort, wo Jhre Maschine steht, wurde vor vierhundert Jahren der Ritter Elaudius vom Stässis im Angesichte seiner eigenen Burg um einen Kopr tiirzer gemacht.« I Was hatte dieser Zufall, diese lo-l lalhistorische Reminis eng mit Wil man und seinem Aussiuge zu tnn24 Dennoch huschten diese Worte iiber sein Gemüt wie der Schatten einesi Sturmoogelö. Aber schon rollte dass Gestell über die Gleitschienen, und setzt erhob sich die »Andromeda« un ter schallendem hurrageschrei der Zu schauer in die tiihle Abendlust und surrte lustig aus die graugriine See släche hinaus. Der tleine Dampser war oorausgesahrenx bald holte ihn die Flugmaschine ein; sie machte ei nen anmutigen Bogen nach den roten Turmspiszen des Schlosses Stäsfis hin, und dann schwirrte sie in einer Höhe von etwa 176 Fuß über den Wassern, fuhr Schleifen und nahm schließlich den Kurs nach den sernen Höhen des Westusers. Wie eine Dop pellibelle mit weißen, langen Flügeln slirrte mit weißen, langen Flügeln ten, und die eilig sinkende Sonne ließ den Kupferzylindey den glänzenden Leib des Nieseninselts, in sattem Karmoisinrot glühen. Der Motor arbeitete ausgezeichnet. Wilmnn fühlte sich eins mit seinem Apparate, die dumpfe Vergangenheit ängstigte ihn nicht länger, die Luft blieb ohne Regung, alles schien sich nach den geheimsten Wünschen seiner Seele zu richten. Ob er sich eine ·Zigarette anziini dete? Erst aber einen Blick auf sei nen Luftpassngier, den Signor Mala testal Die Beine des Artisten ruhten noch in der vorgeschriebenen haltung, ebenso die Arme und der Obertörper ;. . . doch. . . allmiichtiger Gott, wag war dasi Der Aviatiter glaubte, lEiner Sinneötiiuschung unterlegen zu . ein. . . Weit es möglich —- der dunkle, stille Mann aus dein zweiten Siye shatte aus seinen breiten Schultern »teinen stopr ) Diese Wahnvorstellung mußte au genblicklich aufgehoben werden. istranipshast packte der Aviaiiter die Ibeiden Lentstangem dann schielte er semichiossm nach nnir hinüber. nich tig: am Nachbarsitze streckte sich o ne ist-sung eine schwarze topslose e stritt Also war er, Wilman, doch ver riickt gewordent Und er hatte sichs eben noch so wohl gefühlti Aber das war nur die «Euphorie« gewesen, je ner Zustand lügenhafter Helle und Heiterkeit, der (wie er einmal gelesen hatte) dem Sturz in geistige Todes nacht vorauszugehen pflegt. s So tief erfchiittert war schon sein seelisches Gleichgewicht, daß die al-" berne Bemerkung jenes Schweizer Landniannes —- oder wars ein be zahlter Agent seiner Feinde gewesen? —- törperliche Form für ihn anneh men tonntei Denn gewiß ioar nberhaupt tein Passagier eingestiegen —- diis hatte er sich nur eingebildet —, sondern die Tradition von der Enthauptung jenes Claudius von Stäffio hatte im iiberreizten Hirne des Luftfahrers dieses Sputbild er zeugt Und zugleich tam eine stößige Bö iiber den See von Südwesten her. Er mußte lavieren, auftreuzen . . . .alleo mit dem Gefühle, daß er neben ihisi faß —- der Bote des To des! Die »Andromeda« kämpfte mutig gegen den Wind. Das Danipsschiss da unten würde sie nun bald wieder eingeholt haben· Man wunderte sich gewiß über die Mandver des Aviaii ters. Und daß sein Gesahrte leinen Fiops besaß, das ionnte bei der zu nehmenden Dämmernung gewiß nicht wahrgenommen werden. Ein Schnur ren, Ticlen, Pochen hatte Wilman nun schon eine gute Weile lang ge stört, ohne dasz er es wußte. Jn das Surren seiner Propeller hatte ed sich eingeinengt — pochte, iickte, schnurrte es so in seinem Hirneii Nein, in der Brust des lopslosen Mannes arbeitete jener eigentümliche Ton. Wieder schielte der Aviatiler nach seinem Nachbar hin. Er hatte dort ein intzes Geräusch vernommen, wie ein leises Knicken oder Kra chen. Richtig: das rechte Bein des Signor Malatesta war verschwun den. Dieser gräßliche Vorgang war ein Gleichnis siir Wilmans Los. So zerbröckelien nach und nach sein Ver trauen, sein Mut, seine Ausdauer, seine einst so gesunde, sesie Körper lichleiii So waren seine Freunde von ihm abgefallen, einer nach dem andern, wie hier Glied um Glied von dem gespenstigen Begleiter siell Denn eben löste sich auch der zweite Fuß von dem dunklen Rumpf und tiirzte ins Gestell des Fliegers, der alsbald aus dein Gleichgewicht zu ge raten drohte. Noch ein paar Sekun lden jedoch hatte die »Andromeda« den ilästigen Gegenstand abgeschnitelt und ließ ihn in die Tiese verschwin den. Jedt aber bedrohte den tief verstör ten Aviatiter eine noch weit schreck lichere Erscheinung. Gerade vor sich in der Luft glaubte er sich selbst zu sehen; wcigrecht ausgestreckt, die hän de auf. der Brust getreuzt, schwebte er da als Toten mit fahlen, eingefal lenen Zügen. Ganz tu der Ferne je doch —- rvelch bittrer und grausamer hohn — erschien inmitten der finste ren Ubaldhänge des jensettigen ilferö die kleine Lichtung« der freundliche helle leu, auf dem zu landen er sich nenne en haue.. . Und beim Anblick-e jener Lichtung, jener grüngoldenen Bergsviese tam ihm die Kraft zurück. Er dachte an Weib und Kind. Daß er so da läge, ein starrer Toter — das durfte nicht geschehen. Seine Gegner foll ten diesen Triumph nicht haben. Und du gnmsiV Numpfnnsrinu Sriu splln alle Nhcht ümr chn vutin ren! Doch da legte sich der rechte Arm As düsinn Torioö mtt essunnn Griff auf Wilsnans Schulter-! Zu gleich stürzte der linte Arm des häß lichen Fahrgastes wirbelnd in die Tiefe hinab. Vllleni die neuguvonuene LBillens traft blieb dem Luftfahrer getreu. «Jener sirnh sichte Flut mußte er reicht werden. Und mit übermensch slicher Energie schüttelte er den feind Tseligen Arm von sich ab. Rumpf und sArm wackelten, trennten sich im IIsallen —— und versanken iur Lib ’grund. » i I I I An Bord des kleienen Dampfers befand sich auch Monsieur Roulande, Hder Direktor der Konkurrenzgesell Ischaft Er unterhielt sich mit ei nem tleinen, gewöhnlich aussehen den Manne. Beide sprachen sehr lei e. Waben Sie Malatesta auch richtig instruiertt Wir haben ihm seinen zerlegbaren Menschen teuer genug be zahlen miifsen. Jch sehe aber nicht, daß der Trick wirkt.« »Lassen Sie dem Mechanismus nur seine Zeit,« bemerkte der andre. »Mein Gott, ich wünsche dem Wil man ja nichts Böses —- nur daß er seinen Flug unterbrechen muß, da mit niichstens unser Mann seinen Re tord macht und den Preis gewinnt. Holla! da fängt die Maschine schon zu schwanken an. Er hängt ganz schiesp Operngliiser nnd Krimstecher wa ren auf die »Andromeda« gerich tet. Ein Herr näherte sich den bei den: ,,Wilman wirst Ballnst aust« »Unsinn!« sagt ein andrer, »die »Andromeda« ist doch lein Luft schtf !« ,, chade, daß man bei der ver wünfchten Dämmerung so fchlet sehen kann. Jch vermag den Pa - sagier nicht so recht wahrzuneh men!« »Er kämpft gegen Böenl Er bleibt zurück! Gleich werden wir ihn über uns haben!« Jetzt kreiste die ,,Andromeda«, ei nem ungeheuren abicht nicht un iihnlich, gerade ii er dem Verdeck des Drimpfers. »Dömon der Lüfte, laß ihn jetzt irre werden,« murmelte die Stimme des Direktors Rou lande. Da fuhr ein Gegenstand sausend und pfeifend durch die Luft! Wie im Traume nahm ein Augenzeuge wahr, daß ein schwarzer Arm, eine wachsbleiche Hand auf das Schiff herabsaustenl Und wie vom Blitze getroffen, taumelte der Di rektor und schlug lang aufs Verdecks hin. i I I I Davon aber wußte er nichts, der Aviatiter dort oben. Er hatte sich in eine ruhigere Luftschicht emporge tärnpft. Jn 600 Fuß Höhe surrte die »Andromeda«' dahin. Das Ge birge tam eilends herangeriiclt. Die Wipfel des Fichtenwaldes dnfteten. Eben verglomm die Abendröte, und ein rötlicher Schleier wob sich um die Waldmassen. Jetzt lag die Lich tung unter ihm. Leicht und sicher senkte sich die Flugmafchine, ohne Ne gung stand sie auf dem stillen Feld in einer Blumenwildnis. Jetzt war ctilllez wieder vernünftig und rein und ar. Der Luftfchiffer fragte nicht mehr danach, was an seinen Bisionen Wahrheit gewesen, was Einbilbung, und wie sie entstanden fein mochten. Er trant den Atem des Waldes und genoß die Seligkeit des Erfolges. Und schon klangen durch den Abend freundliche, kräftige Stimmen. Neid lofe, froh bewegte Menschen eilten herbei, um den Sieger zu feiern. — Ein Mündchen. Tramwai genfiihrer (zu feiner teifenden Frau): »Nun sei aber still, Weib; jetzt habe ich genugt« »So — so genug! Nagele doch lieber gleich eine Tafel an die Stu bentiir: »Das Sprechen mit dem Wagenführer ift streng verboten«t" Merkwürdig. Patient ,,Ach, herr Doltor, diese Nacht bin ich wohl zehnmal aufgewacht, und trin mal tonnt’ ich wieder einschlafen«. — Es zieht nicht. Richter (zum Angellagten): »Das Leugnen nützt Ihnen nichts, denn Jhr Kollege hat bereits alles gestanden«. Angeklagter »Aber, Herr Richter, das ist ja schon ein alter Witz von Jhnen«. Yet Fee-eigen Erzählung von Hannö Kant« Herb und liihl war der Abend. Jch stieg von der Biesegg her nber die letzten Hangwellen an den See hinunter, an dem Baldigbiihl in den deirfchbäumen liegt. Seit ich zuletzt in Baldisbllhl die Ferien verangelt, verrndert und ver liebt hatte, waren es nun zwölf Jah re. Jm Dorfe tannte mich keiner mehr, seit der alte Dieriter, der ge fprachige Fischer-Kaki Und der Ster nenwirt nicht mehr am Leben waren und die fchöne Renate aus dem »Sternen« an den Comerfee hinab geheiratet hatte. Die übrigen Valdig viihler haben mich damals nnr »den Fremden genannt. Der Wind pfiff hell zwifchen den Baumstämmen hindurch und schüt telte das junge Lan an den Zweigen, daß die großen Tropfen, die der Mor genregen ins Geäft geworfen hatte, dumpf ins Gras fielen. Jch schwang meinen Butel hoch nnd fah im Herab fchreiten, wie der Abend allmählich die großen Nebeltiicher über den Waf fern zufammenzog. Als ich durch die Dorfgaffe fchriit, bewegten sich da nnd dort hinter den Fenftern die getlärten Vorhangtiicher und gilxelnde Augen duckten sich schel mifch dahinter. Jm »Sternen« warf ich mein Ränzel von den Achfeln, hing Stock nnd Hut ins Gaftzimmer, bestellte lühlen Moft und wunderte mich, wie bei den neuen Wirtsleuten alles geblieben war, wie ehedem, als der Siernenwirt noch mit waidgei rechtem Stolz im Hinweis auf die Rehhörnchen und die ausgeftopfien Waffervögel, die in der Gastftnbe hingen, von feinem Nimrodleben er zählt hatte. Auf der dunleleichenen Kredenz standen auch noch die hell gescheuerten Zinnteller, die Karaffe und der blaubebxiimte Steinkrug, den der Fischer-Wart einmal, ohne abzu setzen, vor mir geleert hatte. Jch saß am halbgeiiffneten Fenster gegen den See zu. Zwischen der Lande und dem .,Sternen« pfiff der Abendwind wie ein Lausbub die zu gestuhten Platanen an. An ihreni fleckigen Stämmen vorbei strichen dies feuchten Nebel landwiirtg und durchs das Abendgrau schlich die Einsamkeit. l Jch empfand sie trauriger, als auf Hallen meinen Fahrtem zumal mir mit einemmale der alte Dieriker, der Fi scher-Kari, der Sternenwirt und seine Renate mangelten. Jch hörte die Abendstimmen, das Gluckfen der Strandwellen, die tropfenden Platai nen, die schnarchende Wanduhr, spürte die feuchte, fifchelnde Seeluft und verfiel in eine lederne Stim mung, die mich leicht enttäufchte. Jch hatte mich in lauten Städten nach der Baldisbiihler Einsamkeit und ih rer Seeruhe gesehnt, und nun, da ich ihr begegnete, fanden wir zu einan der keinen Zusammenhang mehr. Wie ich so den einschläfernden Stimmen der Dämmerung lauschte, mass als wandelten fchwermiitige Geigenlieder über den See. Jch ver nahm sie aus der Ferne nur schwach, allmählich etwas deutlicher, und als die Wirtin die Petroleumlampe auf den Tisch trug, strich der Geiger die letzten Takte eines gemiitvollen Volks liedes. Da kam die Wirtin von sel ber aus das Spiel zu reden: »Heute spielt der Kapitän wieder einmal schön auf, gelt?-« »Ja, bigoscht, der kann’s. Jst’s ein Gast von Jhnen2« »Nein, ein Hiesigey der Kapitän Dieriler. Er ist halt manchmal ein bißchen ein Spaßiger. Daheim geigt er nie. Nur wenn das Wetter um schlägt, rudert er mit der Geige hin aus, dem Wasser zulieb, sagt er. Er hat seinen Sparren, wie sein Vater selig.« »Der Chueri Ticriter — im »Wie fengrund««t« Die Wirtin sah mich groß an, weil ich in Baldisbiihl Bescheid wußte und da ich ihr erzählte, wie ich vor Jah ren diesem Seenestchen ein paar Wo chen Ferienseligteit verdankt habe, wurde sie zutranlich und erzählte mir, was ihr von meinen alten Freunden noch in Erinnerung war, und daß der junge Dieriter einmal Lehrer-, dann Schiffslassier und schließlich so gar Kapitän der Dampfschwalbe ge wesen sei, nun seit des Vaters Tod im ,,Wiefengrund« wohne und sich un Dorfe fast nie blicken lasse. Nur, wenn er auf dem See gespielt habe, steuere er seinen Kahn dem »Sta nen« zu, um noch ein Weilchen beim Abendschoppen in den Zeitungen zu blättern. Jn ein Gespräch lasse er sich aber dann gewöhnlich nicht ein. In leifen Wogen flutete - der Wunsch in mir heran, daß der Ka pitän auch heute abend landen möch te, und ich an ihm das freundschaft liche Ebenbild seines Vaters fände. . Wenn man ganz stille hinhorchte, vernahm man regelmäßige Ruder schliige, dann wurden sie wieder leiser, wetcher und erstarben nach und nach. Ich gab die Hoffnung schon auf, als aus sinnlicher Nähe beseelte Töne in die zarte Melodie »Leise, leise, from me Weise« hiniiberzitiertem Nach ein paar Tatten gewann das Spiel unverlilnsteltes Temperament und Sicherheit. Dieriler spielte schön, rein und torrelt. Ich hätte ihm viel leicht lange zuhören lönnen, vielleicht hätte mich aber jene Sehnsucht und jenes Heimweh gepackt, das die Seele zu Schmerz und Wehleiden führt. Aber Dieriter brnch mit einemmale ab, und spielte was mir ganz uner tliirlich war, einen frischen, alten Löndler. Da mertte man es heraus: alles tonnte bei dem Geiger nicht in Ordnung sein. Als die Dunkelheit vollkommen un ter dem Fenstersliigel saß, trieb Die riler seinen Kahn wirklich vor dem ,,Sternen« an die Lände. Der Gar tenties knirschte, und mit sicherm, se ftem Schritte trat der Seegeiger in die Gaststube. Ein altes Schiffs-s manns-Käppi saß ihm etwas schief auf den gebleichten Haaren. Aus unruhigen, tümmernden Augen floh ein lichtgeblendeter Blick. Er streifte mich unfreundlich. Wie ein verlots terter, vagierender Musikant, mit ver tniipftem Wams, aus dem Geigen hals nnd -ngen hervorlugten, mit struppigeu Schnauz- und nebelfeuch ten Schläfenhaaren setzte er sich in die Ecke. Die Wirtin tischte ihm seinen Schoppen auf. Er tat bedächtig ein paar große Züge, musterte mich, und sing an, mit der Wirtin über das Wetter zu sprechen. Mit einem Hin weis auf ein gutes Obstfahr, verband die Frau einen Gedanken an den al ten Dieriler mit mir, und zog mich geschickt ins« Gespräch. Als ich bonI damals erzählte, und auf den Wunsch Izu sprechen tam, der mich aus den« Stadien wieder ins stille Baldisbühl gefiihrt hatte, lächelte Dieriter aus schonen großen Blauaugen, und ich sah, daß ihm diese alten Erinnerun gen wohl taten. Mit jedem Schlucle wurde er gemütlicher. Er ähnelt darin ganz seinem Vater. Auch schlug er mir die Einladung zu einer Fla sche Wein nicht ab, und fliefz ab und zu mit mir an. Als die Wirtin hinausging, urn meine Kammer zn rüsten, legte er feine Schleifen in die aufgestützten Hände und lud mich ein, ihn über die Bucht heimzugelei ten, um meinen Kopf vom »Wirku grund« auf dem Landweg bis zum ,,Sternen« ein wenig an der Nacht zu kühlen. Da die Wellen leise Innr rnelten, und ein sanfter Spätwind die großmiichtige Finsternis durchzog, war ich mit feinem Vorschlage gerne eins verstanden, umsomehr, als es mich freute, in dem Sohne den alten be freundeten Vater wiederzuertennen und ich zudem eine unverwellte Zu neigung zu diesen Leuten im Valdig bithler ,,Wiesengrund« hergebracht hatte. Wir lösten den Kahn, stießen ab, und fteuerten eine Weile durch dies glänzende Dunkelheit See-ein. Die-Z riler sprach keine Silbe mehr. Als tvir einige hundert Meter vom Lande entfernt waren, und aus dem »Ger nen« und den übrigen Baldisbühler Häufern die weichen Lichter wie liebe Augen zu uns herüber sahen, ließ Dieriter die Ruder sinken, griff nach Geige und Bogen und spielte lang sam und sicher das Liedchen, das ich vor Jahren die Baldisbiihler Mäd chen an einem Sonntagabend am Wieshang singen gehört hatte: »Anneli, sind er alli Tag — Hin der ein Hus im Gärtli?« Mit leiser, rauher Stimme beglei tete er sein Spiel: »Ach, tnin Schatz chnnt niimme meh, Wird en fchwerli wieder gseh Hinder ein Hus im Gärtli.« Dann legte er die Geige wieder weg und ruderte dein »Wiesengrund« zu. Langsam furchte der Kahn die plätschernden Wasser. Einmal hielt Dieriier inne, wandte sich zu mir, und als er sah, wie ich ruhig in die tiefe Schönheit der Nacht hinaus blickte, sagte er fast wehleidig: »Viel leicht wissen Sie von diesem See auch mehr-, alr- dasz er nur schön sein lann.« Jch nickte, und Dieriter sah wieder von mir weg: »Ja, wenn man ihn halt lieb hat! Aber lieb haben und lieb haben müssen, ist nicht das Gleiche. Einmal habe ich ihn auch bloß lieb gehabt. Damals, als er mir am Morgen beim Erwachen mit seinem goldigen Gesicht ins Bett hin ein gesehen hat, aber jetzt muß ich ihn lieb haben. Halt, weil er mir das Teuerste.aus der Heimat geholt hat« Als ich einst drüben in Stand bach Lehrer war, hat er mein Lieb von mir hinweg ins nasse Grab ge nommen, wie sie mich an einem Psingstmontag hat drüben besuchen wollen. Daraus habe ich nicht mehr Schule halten mögen in einem Zim mer, in das hinein der See mir im mer zugesehen hat, wie ich an die Schultlassen gebunden war. Er hat so lang gelockt, bis ich zu ihm hinaus gegangen, und als Schiffsmann bei ihm geblieben bin. Jahrelang habe ich ihm ins Aug Und in die Seele gesehen. Er hat mich nie gewollt und die Liebe nie zurückgegeben, aber « losgelassen hat er mich auch nicht, der See. So bin ich alt geworden, und wo der Vater gehaust, hat·s auch siir mich ein ruhig Wintelchen, wo ich warten kann, bis ich wieder die Geige nehmen und hinaustreiben muß, just an die Stelle, wo die Baldisbiihler den umgetippten Kahn meines Mäd chens gesunden haben. Da tann ich schöner spielen, als ein Seminarist im Examen, und allemal chohlet’s mir mehr, weil es nicht gar so lang mehr gehen kann, bis er mir mein Lieb zurückgibt. Denn der See ist besser, als die Menschen. Ich habe es erfahren, darum verstehen sie mich nicht. Aber ich will nichts von ihnen erbettelt haben, und von Ihnen weiß ich schon, daß Sie nicht über mich spötteln. Sie sind lein Solchen wie die andern.·« Dann trieb er den Kahn an die »Wiesengrnnd-Länder«, reichte mir die Hand, wies mir den Weg gegen den «Sternen« und schielte mich an dem Haus vorbei auf die Straße. Als ich schon eine Strecke Weges hinter mir hatte, tam er mir nach. »Ich würde Jhnen zu einem Aufent halt eher den Staadbaeher »Seehos« empfehlen. Sie finden dort vieles besser, und — es ist wegen uns Zweim. Verstehen Sie?« Ich tannte seine Zweifel und ver sprach, ihm den Wunsch zu tun. Am andern Morgen, als die Flut glitzerte, gluctsten die Wellen. Die riter trieb das Boot an die Liinde Und brachte mich nach Staadbach. Jch hörte ihn noch etliche Abende geigen. Einmal kam er auch schon jam Vormittag zu mir herüber, und schlug mir einen Spaziergang vor, lerwies sich als lieber Führer und war sleutselig und ausgeränmt. Beim Ab schiednehmen hielt er meine Hand sest in der Seinen. »Ich danle Jhnen«,» sagte ek dabei, »daß Sie mich verste hen, und nicht über mein Spiel söps peln, wie die andern, und dafür, daß alles unter uns geblieben ist. Jch muß halt mirs-zieren, ob ich will oder nicht. Manchmal düntt es mich ein fältig, aber wenn der See tust, tann ich nicht widerstehen. Sie muß Mu sik haben, und Geigen spielen hat sie zu Lebzeiten immer gerne gehört. Le ben Sie tvohl.« Jch sah ihm nach, wie er trotz seinen Jahren rüstig ausgriss, rasch vorwärts kam, mitten im See an hielt und lange, lange über Bord in die kühlen, wandernden Wellen hinab stlh. Schmerzkünftler. . Sigismund Hosmaam Konsistorial und Stadtprediger in Celle, hat nn Jahre 1698 ein aufsehenerregendeö Buch geschrieben, das m kurzer Zeit sechs Auflagen erlebte. Er eifert in seinem Buch leidenschaftlich gegen die Neuerer, welche die Folter abgeschafft wissen wollten. Zum Beweis dafür, daß die Folter nicht einmal gegen die »harten Knaster" ausreiche, schildert er die Vorgänge bei der Folterung des Räuberhanptmanns Christian "Miiller, eines Menscher-, »der mit aller Schmach, Schimpf nnd Marter ein Gefpött trieb.« Müller machte zum Hohn aus der Tortur ein Studium. Da an den meisten Orten die Folter nach dem Stundenglas abgemessen wurde und er noch immer dies Maß überstanden hatte, glaubte er auch in Celle ihr trotzen zu können- »Im Anfang,« sag te er zum Gefängniswärter, »tut es etsag weh, nachher achtet man's nicht mehr.« Man kannte ihn in Ceüe als Eifenfresser und griff ihn deshad mit Schnüren und Beinfchrauben aufs unbarmherzigste an. Er trotzte aller Marter. Als man ihn los band, rief er lachend aus: »Wenn mir nur die Beine erst wieder heil waren« dann hät te ich wohl Lust, noch ein Gängelchen auf dein Eisenbrett zu wagen.« Ein mal ließen ihn die Richter während der Folter peitschen, daß das Blut ans den Striemen spritzte. Nach der Exelution zeigte Müller den Leuten von der Wache seinen rotgeftreiften Rücken und meinte dazu, man habe es mit ihm, einem Sachsen, so weit getrieben, daß er die rote lüneburgi fche Livree angelegt habe. Müller, der nur durch Aus-sagen seiner Genossen überführt werden tonnte, wurde mit ihnen am 23. Mai 1699 gerädert. Der alte Chronift Lauterbach er zählt: »Als der Richter einen Verbre cher wegen einer großen Untat, die je ner nicht bekennen wollte, mit der Feuerfolter aufs heftigftc Eingreifen ließ, widerstand diefer, fo dafz der Henker, an dem Erfolg der Tortur verzweifelnd, den Feuerbtand aus löschen wollte. Wie dies der anuifit fah, rief er dein Henker zu: »Weder Meister, ich habe hier ebenfalls noch etliche Haare, die brennt mir doch auch ab!« Der Meister tat i m den Gefallen. Er hat ihm die Li ter an befagten Ort gehalten und gebrannt, daß es geftunten. Da habe der Bube gesagt: »Da rechts, lieber Meister, da juclet mich auch noch!« Er geftand nichts, und man mußte den Kerl lau fen lassen.« Der französifche Räuberlöntg Louis Mandrin wurde an acht verschiedenen Stellen »gezwickt«, ohne daß er einen Schmerzenslaut ausstieß. In Nördlingen wurde die Ulmertn Marie Hohl von 1598 bis 1594, alfo während eines ganzen Jahres, in fechsundfünfzig Torturen aufs gran famfte gefoltert, ohne zu bekennen. Der Nördlinger Rat mußte sie auf Betreiben der Ulmer freilassen. Die Lehrersfrau Katharina Lips legte 1672 tron fürchterlicher Folterung im Hexenturm zu Marburg lein betraut nts ab und mußte freigelassen wer den. Später wurde sie unter nichtis gem Vortvand wieder eingezogen, vier mal getvippt und fechzehnmal ge fchraubt, fo daß die Knochen lnaclten, aber fie blieb ftandhaft und wurde aufzer Verfolgung gesetzt.