Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 18, 1917, Sonntagsblatt, Image 9

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    Sonntagsblatt de
Staaks Anzeinger und Ilserold
apdJWtheim Don crstapxd its-it Jai art917M
—
ctin-ei Missetat-n
Vuu Arke-di Aiocrticheulo. Ilcbekfets
Hang von Wcrncr Peter Lucien
Den schlafenden Bezirlölommissiir
Buchwostow weckte der Gendarm nnt
der Mitteilung, die Bauern hätten
soeben zwei Gesangene zum Verhör
eingetiesert: Snwoli Sechshiitter und
einen unbekannten, der sich standhaft
weigerte, seinen Namen zu ennnen.
Der mitsolgende Bericht des Ge
meindeanitell desngtet die zwei Uebel
täter «hiitten sieh der Verlegung der
Bestimmungen des Strasgeseszvuches
iiiser die Sicherheit des Leibes und
des Lebens schuldig gemacht....«
Weiter unten erzählte der Schrei
ber dnnn schon in menschlicher Spra
cl;e, lvte ihm dee Schnabel gewachsen
war, die Verhcisteten hätten sich un
ter aller Kritil benommen: so war
Sechshiitter in die Behnusung des
jiidischen Pächter-s Salmnnn einge
drungen, hatte alles turz und tlein
geschlagen, die Pachterssrnn mit« ei
nem Bratpsannensticl derlth und de·
ren Sohn ein Ohr abgerissen; ins
Gemeinden-m tmnsportiert, hntte er
den Aeltesten derpriigelt, dem Gen
dnrmen zwei Zahne nusgeschlngen
und zu guterletzt versucht, seine —
des Schreibers — vordere Extrenii
täten zu beschädigen. . . .
Din- nbgertssene Ohr und die Gen
dnrmenzahne lagen, in einen schmut
zigen, dlutdurchtriinlten Lappen ge
wntelt, dem Bericht iiber Sechs-hüt
tens lintnten dei.
Was den zweiten Verorecher he
lras, so hatte man ihn in den Ge
niiiseseidern erldischt, wobei e: sich
nicht auszuweiseu vermochte; eine
Ueihesvisitation förderte eine Bomle,
eilten Stoß Flugdlätter und einen
falschen roten Badenbart zutage.
Buchwosiow ins den Bericht zn
Ende, tat einen Psiss durch die Zäh
ne, traute sich das Kinn und mur
melte: -
»So ein Lumpenpack. . . . l«
lind es tonr in diesem Augenblick
völlig unmöglich-, aus seinem Mienen
spiel zu schließen, aus wen die Be
zeichnung »Lunipenpnck« gemiiuzt
spar: ob aus die Bauern, die ihn aus
dem Schlns gestört hatten, oder aus
Sechshiitter, der dem Pöchterssohn
das Ohr abgerissen, oder aus den
llnbelnnnten, der in den Gemiisesels
dem sein geheimnisvolles Wesen
trieb. . . .
Der Kommissar Buchwostow össs
nete die Tiir und ries hinaus
,.Der Reihe nach vorsiihrenl«
Ins Zimmer trat ein hochgewnche
senkr, schwarzhaariger Mensch in
tnrzem Schatgpelz mit kleinen ge
schlitzten Kalmitckenangen Er trat
big var den Tisch, machte halt nnd
hestete den Blick beharrlich ans seine
linte, tlnssende Stiefelspiyr.
Der Kommissar ging entschlossen
aus ihn zu, wars seinen Kops mit
einein energischen tttnrt unter das
Fiinn zuriiet nnd sagte stirnrnnzelnd:
« »Ein nettes Friichtchen....! He,
du. . .· Sechshiitter, du! Dn solltest
von Rechts wegen nicht Sechshiitter
heißen, sondern. . . .«
Buchwosiow hatte eigentlich die
Absicht, etwas sehr Winiges zu sa
gen, das erstens den Namen Sechs
hiitter verdrehen nnd zweitens eine
Rüge seiner Untat enthalten sollte,
anstatt dessen aber sehe er, da ihm
nichts einsallen wollte, ganz unsr
wnrtet hinzu:
,,....sondetn — Schlveinehundl«
Sodann ging er ans den Amtston
über.
»Du wirst also beschuldigt, in der
Pächterwohnnng alles zertrümmert
zu haben, dem Sohn des Pächters
ein Ohr abgerissen, den Gemeinde
ältesten derpriigelt und dem Gendaks
men zwei Zähne allsgeschlagen zu
haben, Jst das loahr?«
Der Angetlagte wars dem Kom
missiir von unten heraus einen Blick
zn nnd antwortete:
»Ja, das ist wahr-«
»Hm man denn schon so etwas er
lebt-"' tief Buchwostow, die hände
zusmnntenfchlagend. »Im gesteht
ver Kerl es sogar auch noch ein!
Was hat dir denn übrigens der Päch
ter getan. . . .?«
Der Gestagte behachtete den Päch
ter» ubekmals aufmerksam und erwi
derte unbeirrt:
»Ich have alle Juden, die ich zu
fassen triege.«
«Wakum?«
Erstens haben sie den heiland ge
peinigt, und zweitens haben sie keine
Achtung vor der Obrig Leit. Ich
hanc sie haukssöchlich stieg dieie Nicht-«
Ei aus« « I d
s ,
»Hsn. . .. «, mnchte der Kommissar."
«Trohdem haft du aber noch lange
kein Recht, mir nicht-, dir nichts
über friedliche Menschen herzufallen!"
»Wieso nicht«-U Jch sage: nur Ge
duld, sage ich, ihr Galanten, über
kurz oder lang hängt euch der Herr
Gouverneur ja doch samt und son
ders an den Galgen, und was ani
tvoriet mir der Kerl von Pächter
daraufi Bah. meint er, was ist denn
mir dein Gent-ernean Den kann ich
mir doch fiir drei Nabel iaufeni'«
»Das hat er gesagt?«
»Wie ich es sage! Warte, sage ich,
alter Freund, wenn deine Lästerioorte
dem Herrn Kommiffär zu Ohren
iommen! lind er, der Schweine
hund? — er grinst sich eins nnd
sagt: wenn euer Gouverneur drei Ru
bei kostet, dann tann ich den ganzen
Kommissar um fünfzig Koneien tau
sen. Ah, sage ich, fo....?!«
Der Kommissar brach unwillkür
lich in lautes Lachen aus.
»Und da hast du dann ohne wei
teres dem Jungen das Ohr abgeris
sen. . . ·?'«
»Ohne weiteres-! Wie es sich ge
hört! Jch sage mir so: wenn du
meine Obrigkeit beleidigst, soll ich
da etwa tein Recht haben, deiner
Brut die Ohren abzureißenlt Das
Recht habe ich, ja, das habe ich!
Ohne weiteres!"
»Hahaha! Ach, du närrischer
Kauz! Du sattelst also nicht lange,
was-? Aber, höre mal, das Gemein
deamt schreibt doch, du hättest das
ganze haus aus den Kopf gestellt?
Warum hast du denn die Pächters
srau mit der Bratpsanne geschla
gen?"
»Sie hat allerlei Bemerkungen ge
macht, Euer Wohlgebren. lieber Jhre
Gattin was so die Tugendhak
tigteit anbelangt....«
»Ah, so....«, lächelte der Kom
missar säuerlich. »Gut. Darüber
werden wir mal die Pächterssrau hö
ren. Was bloß schlimm ist, ist, daß
du den Gemeindeiiltesten berprügelt
und dem Gendarrnen die Zähne einge
chlagen hast. War denn das unbe
tngt nötig....?«
»Die haben es redlich verdient. Jch
sagte zu ihnen: Jhr habt tein Recht,
mich anzuhalten oder einzusperren,
denn ich habe mich ja nur siir den
herrn Kommissar eingelegt. Und sie
darauf: Für den Kommissar? Das
ist auch recht was? Glaubst ou
etwa, das ist so ein großes Tiers
Na, das war mir denn doch zu bunt!
So sprecht Jhr also von Euren Vor
gesetzten?! Und da holte ich eben
aus« . . .«
shall-Ihn hohnhoS Ich sehe schon
du bist gar nicht so dumm! Du
haft das herz anf dem rechten Fleck!
Wir wollen alfo dein Verfahren ein
ftellen.... du tannft gehen, Sechs
hiittert Watte mal! Schuaps trintst
ou doch, wagt«
Der Komitnffar lramte in feinen
Tafchen und fifchte einen halben Nu
bel hervor.
»Da, zur Stärkung wird eg wohl
reichen. . . .'«
»Ich dante auch schön! Und dann
möchte ich Euer Wohlgedoren bitten,
ob Sie nicht vielleicht ein Paar ab
gelegte Stiefel hätten? Die meins
gen sind ganz und gar zerrissen. . . .«
»Gut, meinetwegen.... Weil du
ein fideles Haus bift! Jch will dir
ein Paar von meinen geben, die ich
nnr zwei Monate getragen habe
Dn haft ihr alfo glamoeg eins mit
der Bratpfanue versetzt?«
»Na, warum denn nichts Jch dre
fche einfach drauf loo.... Anders
lanu man mit der Sorte nicht fertig
werden!«
Der Kommissar trat aus der
Kanzlei in das Schlafzimnler nnd
lam nach einigen Augenblicken mit
den Stiefeln wieder.
»Da«, sagte er, »die lannft du
nehmen. lind nun geh, Freund. Gott
mit dir!'««
»Ener Wohlgeboreni Vielleicht
hätten Sie auch irgend einen alten
Mantel?«
»Genug, genug. . . . nun zieh schon
ab! Alles mit Maßen — he, Par
fen, laß ihn mal hinaus. . » er mag
gehen.... Und bring mir mal den
anderen her. Leb wohl, Dreihütter!
Als »greße5 Tier« haben sie gesagt?
Hahaha.
Der Gendarm iiihrle den zweiten
Gefangenen herein, verfehle ihm der
Ordnung halber einen Rippensioß
nnd stampfte hinaus-.
»Ah, edler Falle, du! Da bist du
also in den Wollen umhergefchwebi
nnd schließlich dennoch ins Garn ge
gangen?!. . .. Von deiner Sorte habe
ich schon lange keinen mehr hier ge
bade! Walz macht denn das Erfnrs
ier Programm. . . .?«
Bot dem Kommissar stand ein
oierichrötiger, stiernaeliger Mann, eine
k —-s
alte, zerschlissene Neitmiise in der
hand, und lauschte gesenkten Blickes.
»Von Jbtem Gewerbe brauchen wir
wohl nicht erst weiter zu reden: Lib
dit, Melinit, Nitkoglyzerin und Lun
ten, nicht wabt?« i
Dann aber ging der Kommissnrl
aus einen anderen Ton über und
fragte, dem Unbeiannten scharf ins«
Gesicht sehend, trocken
«Komplicen. . . .?·'
»Rein,« antwortete ver Fremde
leise. ·
»Na, selbstverständlich; habe ich
mit gleich gedacht! Ja, Herr lim
stiitzler, da Sie anscheinend also ein
Vogel von der rötlichen Sorte sind,
so werden wir beide mitsnmmen wol-l
einmal in die Kreisstadt fahren müs
sen, ah. .. .?!"
»Da tornrne ich ja gerade her. · . .«
»So, so. Welcher Wind hat Sie
denn, wenn ich sragen dars, in die
Sinjuchinschen Gemiisefelder geweht?«
»Ich habe nichts nrit den Gemüses
selbern zu schassen. Ich ritt in der
Richtung auf Bortino, Euer Wohl«
geboren!«
»Natürlich! co d sz der Gemeinde
iilteste und der Schreiber und die
Bauern Sie turzweg fälschlich be
schuldigt hätten. . . ·?! ArtnerMensch,
Sie. . . .!«
»Der Deubel hat mich da hinein
verwickelt. . . «'«
»Was Sie nicht sagen! Zum er
stenmal höre ich, daß dieser Herr auch
Parteimitglied ist! Der hat Sie,
dann wohl anch gleichfalls angestif
tet, aus Mord Und Totschlag auszu
gehen?«
»Ein Totschlag war es ja gar
nicht! Jch wollte ihnen bloß einen
Schrecken einjagen....'«
»Gewiß, gen-ißt Man wirst so ein
Ding einem Menschen vor die Füße,
und die Folgen sind ein lleiner
Schreck, eine slitchtige Nervenerschiits
terung. Hahahat Deshalb sieht
wohl Jhr Progrimnt, wenn ich nicht
irre, auch Großmut nnd Nächstenliebe
vor? Ah? Warum antworten Sie
nicht«-«
Der Unbekannte trat von einein
Bein auf das andere nnd murmelte«
schließlich: - -
»Ich war besoffen....«
»Wa—a—as?!"
»Befoffen.... Und sie —- dreißig
Kopelen wollten sie fiit das Hen!
Jst denn das erhöki....?!"
»Wer will dreifzig Kopelen? Für
weffen Heu?«
»Für ihr heu.·.. Jch sage zu
ihnen: das ist ja nachgerade gottlos-,
so was zn verlangen! Das ist uns
ganz fchnuppe, antworten sie darauf,
gottlos hin, gottlos her, aber bevor
du nicht zahth geben wir einfach
den Wasfjka nicht frei-...«
»Ich verfiehe iein einziges Wori!
Welchen Wasfjla denn — ?«
»Den Tfchugrejewfchen, den ich
ritt. . .. Und da bin ich eben wiitend
geworden. . .. Ach, sage ich, ihr Lau
febande, ihr miserable ....! Kein
Fetzen soll von euch übrig blei
ben. . . . !«
»Halt, halt.... ich verfiehe nicht
mein Befiel-, zn wem haft du das
gefath« ·
»Na, zum Pächter.«
»Ja, was hat denn das mit Bom
ben zu tnn —- ?«
»Mit Bomben hat das nichts zu
tun-«
»Ja, Ian redeft dn mir denn da
von einem Pächter vort! Wo hast du
die Bombe hergenommen, ivill ich
Ioifsen?!«
»Ich habe keine genommen, Euer
Wohlgeboren.... Was soll ich denn
damii.... ich brauche kein fremdes
Gui....«
Der Kommissar wurde dlmielrot.
,.Ja, wer bist du denn, zum Ten
bel noch einmal?!«
«Jch sage doch — bei Tschngre:
jeto in Diensten.... Dreißig Kape
ien, sagen sie, mußt du zahlen!
Wa—a—ns? Dreißig Ropetensi Wo
sieht denn das geschrieben, daß man
siir sauliges Heu dreißig Kopeten
zahltil Und da ging es eben !os!. ..
»Was ging los?«
»Was will man denn überhaupt
von einem Betrunlenen, Euer Wohl
geboren?! So was gibt’s doch
nicht!«
»Nein, Freund, so kommst du um
die Sache nicht herum! Du glaubst
wohl, du tnnnst dich hier herstellen
.. als dumm ausspielen....?!«
,,Duin1n war ich ja auch! Reißt
denn ein vernünftiger Mensch den
Judenjungen sonst so ohne weiteres
die Ohren ab?! Nein, bloß in der
Besossenheit. . . .«
Der Kommissar Buchwostow sprang
plötzlich aus, stürzte sich iiher den
Fremden, packte ihn bei der Kehle
und schrie
»Du.. »dri« ..tvie heißt du« ..i!«
»Jchi Soweit heißt ich. Speicher
Inecht bei Tschugtejew».. Soweit
Sechshiltter.«
DefKommissar stieß Saweli von
sich und stürzte brüllend in das Vor
zimjner hinaus.
»Ist er wng Habt Jhr ihn ’raus
gelassen, den Schurke-ji«
Saweli aber zog die Brauen hoch,
schüttelte den Kon und sagte, zu dem
herrscherbild im goldenen Rahmen
gewandt
,,Da haft du’s nun... . Trinlt
man nichts, geht alles gut; kaum
aber trinlt man mal, gleich wird man
fidel Und reißt dem einen die Ohren,
dem andern die Zähne aus ..... .
Wenn das so weitergehi, Sechshiitter,
werden so manche bald keine Ohren
mehr haben. . . . Aber wie soll man’s
nun eigentlich machen, Sechs-hättet
....? Gibt es denn da nirgends
einen Ausweg. . . .?! Kreuzdonner
wettet-. . . .?!«
-—-.- .---—
Wo Gespenst tm
Darueniailåsichen
Nutmlettc von state Unbonsrsti.
..--.:
»Es geht tvirllich nicht, Fräulein
chen,« sagte die frische Förstersfrau
von Lebensroda und blickte voller
Mitleid in das schmale Gesicht der
jungen Lehrerin die sich bei ihr ein
quartieren wollte. ,.Rechuen Sie mal
nacht Vier Stuben sind da! Darin
teilen sich unsere fiiuf Jungen —
mein Mann — ich und das dileinsteZ
Wöchentlich zweimal kommt auch noch
der Altenbraeler Revierförster und
verlangt Unterlunft siir die Nacht!«
Oildegard Breithaupt ließ ihren
Rucksact von den Schultern nieder
gleiten und lehnle sich schwer auf den
Bergstock in ihrer Rechten! Die tiefe
Röte, die ihr der lange Gang von
der Rositrappe herunter bis hierher
aus vie blassen Wangen gemalt hatte,
war längst wieder verschwunden
Weiß und still hob sich ihr Gesicht aus
der Dämmerung heraus und unter
ihren großen, schönen Augen wurden
Die tiefen Schatten, uni derentwillenz
-ie der Arzt hierher gesandt hattes
’ chtbar. s
»Frau Försterin,« bat sie trotz dert
Anlehnung, »W- —— bitte, schicken!
Sie mich nicht fou. — Es ist so stius
und so schön bei Jhneni Mir ist’s als
sei ich wieder zu Haus· Als sei das.
mein Heim und mein Wald! Und
doch sind die Eltern schon lange Jah
te tot und Unsere alte Obersörstereis
hat ein anderer!« —
Die Försterin seufzte mitsiihlend
aus und sah nachdenklich an ihrer
sblauen Schürze herunter.
s »Wenn man wüßte« daß der Herri
Oberjiigetmeister erst im Herbst ins
sBorkenschlosz einzöge —- dann könnte
n.an vielleicht trotz seines Ber
!·cots....«
) »Und wenn schon, Frau Försterin
s— schadet das etwas? Jn die
Turmspitze kommt er sicherlich nicht.
IZudem bin ich dan ganzen Tag im
sWalde und abends husche ich durch
idaö Hintertteppchen ungehört die
sTreppen hinaus --- -—«
»Wenn Sie mit dem Gespenster
stiibchen siirlieb nehmen wollten —«
Gleich daraus wurde sie wieder
schwankend. »Wenn er durch einen
Zufall ersiihre, daß wir seiner Ans
weisung entgegen gehandelt hätten —
die Stelle könnte uns das kosten.«
»Er wird aber nichts ersahren«,
entgegnete Hildegard
»Na — denn -neinetivegen.«
So kam’5, daß Hildegard Breit
haupt, die stille Lehrerin der B. Klas
se der Schöneberger Mädchenschule,
zur Schloßherrin wurde und die fünf
flachsblonden Försterjungen zu ihren
treuesten Rittern avancierten, die sich
um die Ehre, den Rest saurer Milch
aus ihrer braunen Saite zu lösseln
— allabendlieh in den Haaren la
gelb-»
J « see
»Sieh bloß Wilhelin«, sagte acht
Tage später die Förftekin zu ihrem
Eyehetrn, ,,eg ist kaum zu glauben,
wie sie sich rauggemachtl Ordentlich
hübsch sieht sie aus, baß wenn unser
Obetjäger jetzt wirklich kommen soll
te, er nicht zum Schelten Zeit fände,
weil er genug zu tun hätte, uni sein
Herz in acht zu iehmen! Vielleicht ge
länge ihm das iar nicht nml —- -——«
Das Jhr Frau-i doch das Pläne
machen nicht lassen könnt«, Vrnninite
der Fötstek.
Jn diesem Augenblick öffnete sich
die Tür. Der älteste der Flnchsköpfe
schaute ganz fnssungslos drein nnd
der grüne Hut mit der kecken Reiher
fedet saß windschief auf dem linten
Ohr . . . .
»Junge«, sagte der Föestey »was
hat's wieder gegeben?«
Ftiy wütgte ein wenig —- dann
stieß er hervor:
»Der 0000 Herr esse Obekjägcr
metstee ....«
-
s »Von Blitz und Element, Jun
ge wo?«
»Auf der Bunt, Vater, hier unter
der Buche.« —
»Und das Fräulein?«
»Im Ziegenstall. «
Der Förster atmete erleichtert auf.
,,Mars, Fritz — und sag« ihr, sie
möcht’ ge iilligst drin bleiben, bis
Mutter sie rausrustZ Leg noch zur
Sicherheit den Sticken in die Kram
pe —- hötst du?«
»Ja —- ivoll —— Viliek.«
Jn langen Sätzen stiirmte er von
dannen nnd der Förster ging zur Be
grüßung seines Vorgesetzten hinaus.
Eine vornehme, stattliche Erscheinnng
war’s, die da unter dein Schatten der
Buche saß. Nicht mehr in der — er
sten Jugend stehend —- dennoch ein
Mann, den man nicht übersehen
konnte.
»Verzeihen Herr Oberjägerineister,
daß wir nichts hergerichtet haben —«
»Da ist nichts zu verzeihen, Rei
chelt. Jch bin der Schnldige Die Luft
war in diesem Jalsr heißer denn sonst
trieb mich nach Lebensrodai Sonst
nlles im Wildstmkd in Ordnung?«
Jetzt tonr der Försier in seinem
Element.
,Der Bestand ist gut. Die Schon
zeit trägt ihre Fruchte nnd die ver
flixten unbernfenen Knnllbiichsen ha
ben endlich Ruhe gegeben.«
Herr von Steinen reichte dem För
ster die Hund.
»Ich danke Ihnen, Micheli ich
wußte, daß ich mich vollkommen auf
Sie verlassen ionnte.«
Da nahte —— mit der neuen weifzen
Schürze angetan —- die Frau För
sterin. Jn den Händen ein Tablett
mit frischer Milch, ein paar Schwarz
broischnitten und einen der köstlich
sten, selbstgemachten Käse haltend.
»Willkommen· Herr Oberjägermeii
ster,« sagte sie und setzte ihre Last vor
ihm nieder; ,,mcinen nntertiinigsten
Wunsch, daß Sie sich recht in ihrem
Schlon wohl fiihlen mögen.«
Herr von Steinert, dem die junge
Frau sympathisch war, dankte ihr
herzlich und leerte ein Glas Milch
mit durstigem Zug. Der Förster ging
nachher in den Wald —- seine Ehe
hölste zog mit Besen und Scheuertii
chern gegen den Staub und die
Spinnweben des Schlößchens in den
Krieg und die fünf Flachsblonden
schafften mit dem Ziehhund die Kof
fer des Oberjägermeisters vom Bahn
hof im Tal her. An Hildegard Breit
haupt dachte niemand.
Die saß im Ziegenstall und zer
brach sich den Kopf, weshalb man sie
toohl eingesperrt haben mochte. — —
5 Stunden ertrug sie tapfer die fticki
ge Luft in dem engen Raum, dann
begann sie um Hilfe zu schreien, trotz
dem Fritz gesagt. »Sie möchten hier
so lange drin bleiben, bis die Mutter
Sie ruft.«
Das zunehmende Hungergefiihl und
die Beklemmung gaben ihrer Stimme
durchdringende Kraft — —- Fritz —
Wilhelm —- Kari —- Kurt — Max
schrie sie mit vollen Lungen —- —
aber reiner der treuen Ritter tam zu
ihrer Rettung. Da halfen die tleinen
Fäuste mit. Sie hieben nnd pnfften
gegen die waclliae Tür-, daf; die Bret
ter ächzte-I —— endlich ließen sich
Schritte hören.
»Laszt mich heraus —- ich ftiele ja«,
schrie sie mit der letzten Kraft.
Da flog der Sticten aus der Kram
pe und in blendender Fülle lachte die
Sonne zu ihr herein! Sie mußte die
Augen schließen -— der Wechsel war
ein zu plötzlicher und gewaltigen Als
sie sie wieder öffnete, wurde sie blut
rot. Ein fremder Herr stand vor ihr
und schaute ihr starr in das erschro
ckene Gesicht. Sie sah sehr lieblich aus.
Die hellen Locken waren in dem Ge
fängnis in Unordnung geraten und
aus den großen Augen sprach hilf
lose Verlegenheit.
Sie fühlte, daß sie irgend etwas
tun mußte, um der peinlichen Situa
tion ein Ende zu machen.
«Vielen Dant!«« sagte sie deshalb
leise. »Die Jungen haben sich wohl
einen Scherz gemacht und mich hier
eingeschlossen. Jch hätte es ihnen nicht
weiter übel genommen, wenn sie nur
nicht vergessen hätten, mich wieder he
rauszulassen.« ,
Der Fremde verneigte sich tief. " »
,,Vielleicht bin ich indirett daran;
schuld. Die Jungen sind nämlich sort,:
um meine Sachen zu holen. Erlauken
Sie, daß ich meinen Namen nenne —
Oberjägermeister non Steinert.«
Hilgegards Herz schlug plötzlich bis
zum Halse herauf. Das war er, vor
dem sie sich nicht sehen lassen durfte
-— und nun — —
»Sie sind hier zu Gast, gniidiges
Fräulein?« fragte er interessiert.
,,Nein«, log Hildegard, »ich streife
im Harz rum und komme nur täg
lich fiir ein paar Stunden hierher,
dabei habe ich mit den Jungen
Freundschaft geschlossen.«
»So ..« so sagte Steinert
'und sah sie prüfend an, »vielleicht see
hen wir uns bei dieser Gelegenheit öf
ter.« —- Dann zog er den Hut —
blickte noch einmal zu ihr herüber und
verschwand im Tannentvald, während
Hildegard zu der Försterin ging. um
ihr die Vorgänge der letzten zehn Mi
nuten zu erzählen
I· si· st
Seit sie im Borlenschlößchen wohn-.
te, das seinen Namen wegen der äu
ßeren Bekleidung aus Baumrinde
trug — hatte sie traumlos und fest
geschlafen. Das war nun zu Ende!
Die Nächte, welche der Gefangenschaft
im Ziegenstall folgten, waren qual
voll und unruhig, weil ihr allerhand
sonderbare Gedanken durch den Kopf
gingen. Zwar hatte das Turmstüb
chen einen besonderen Eingang durch
die Hinterpsorte —- 56 Treppenstnsen
trennten sie zudem von den Wohnräu
men des Oberjägermeisters und den
noch stieg ihr jedesmal eine Blutwelle
bis in die Stirn hoch, wenn sie daran
dachte, daß sich dasselbe Dach über ih
ren Häuptern wölbte.
Sie hatte dasiir zu sorgen, daß sie
mit dem Manne, dessen Gastfreund
schast sie heimlich genoß, möglichst
selten zusammentraf.
Warum rebellierte ihr Herz dage
gen, das jedesmal einen heißen Schlag
tat, wenn das Auge die hohe Gestalt
des Herrn von Steinert erblickte
stt il- il
Trotzdem Hildegard ihn zu vermei
den suchte, treffen sie sich täglich. Er
weiß längst ihren Namen und die Art
ihrer Tätigkeit Auch heute sitzen sie
imHirschgrund beisammen. Ganz Alls
tägliches sprechen sie. Wie schön die
Natur —- wie licht das Buchenlaub
und wie tiesgriin der Tann sei. —
Dabei denken sie —- an ihre Liebe! —
Wie tief und stark die geworden ist
u. sich nach einer Aussprache sehnt! —-——
Am Abend, als Hildegard schon in ihr
Stäbchen geschlüpft ist, bricht ein
Gewitter los, eisi Wirbelwind pfeift
um dass Schlößchen und reißt aii den
.Feiisterii. Hei-auszugehen und sie zn
sschließem wagt sie nicht —- wie sie
sdenn auch kein Licht anziindet, aus
iAngstz er könnte eg sehen. Sie hält
Jden Atem an. Gingeii da unten nicht
fdie Türen —- Ja und Schritte
..... kommen — ganz langsam die
iTieppe herauf —- sie zählt jeden ein
«zelnen in Todesangst — jetzt sind sie
dicht vor ihrer Tür — was soll sie
tun? —- Sie stürzt nach vorn, um den
Riegel vorzuschieben —- aber er ist
abgebrochen —- da schlägt sie die Hän
de vors Gesicht und wartet.
Eine Hand legt sich schwer auf die
Klinke — und die Tür springt ans!
—- Vom Windstoß erlischt das Licht
in der Hand des Mannes-! — Da
fährt ein Blitz herunter und taucht
das Zimmer mit der zusainniengetau
erten Mädchengeitalt in loderndes
Gold. —
Klirrend fällt der Leuchter zu Bo
den — dem starken Mann wird es
wundersam zu Mut — wieder ein
Blitz —- sie hat die Hände von dem
Gesicht genommen und sieht ihn an.
Da weiß er, daß das vermeintli
che Gespenst ein Wesen aus Fleisch
und Blut und das Mädchen ist, das er
lieb hat. — —
»Sie,« sagt er ganz leise und
kommt näher.
Das Wort gibt ihr die geschwun
dene Willenstrast zurück.
,,Ja«, sagte sie fest, »ich — Hildes
gard Breithaupt — bin’s — — schel
ten Sie mich nnd strafen Sie För
sters nicht! -——- Jch ganz allein trage
die Schuld! Mit meiner Sehnsucht
und dem Glücks-gefühl, das mein
Heimweh endlich still wurde, habe ich
niir den Platz errungen. —- Morgen
:n aller Friihe relse ich ab —- -—-«
»Von welcher Schuld sprechen Sie
—- Hildegard —- ich weiß von keiner.
Jch weiß nur, daß mir allezeit die
Liebe gefehlt hat, und da sie nun end
lich doch gekommen ist —- nun mein
Herbst beginnen will.«
Wie ein schüchternes Bögelchen
schiebt sich da ihre kleine weiche Hand
in die seine. —
»Haben Sie Dank fiir Jhre Wor
te — —- und nun gehen Sie — Herr
von Steinert.«
Aber er geht nicht· Er beugt sich
tief zn ihr niedkr und nimmt sie ans
herz. — —
»Mein Uliick —- mein Ein»3iges,«
sagt er, »als-s ob ich dich jemals wie
der lassen wurde, du gehörst zu mei
Ircnr Eigentum —— als das Gespenst
im Turmstiiblein —- —-— mein bist du
nnd bieiist du sitt immer! Nur sagen
mutßot du mir, ob du mich auch lieb
«««,-sls ".-«
Worte findet sie nicht. Sie Lege w
Hslrme um seinen Hals und neigt ihm
den Mund entgegen. —- -— is—
Und unter Donner und Blitz küßt
der ernsthafte Mann, den die Liebe
erst das Lachen und das Jungiein
lehren mußte, seine künftige Ober-jä
germeisteriw