Blauixstdrin » Roman von Mars Rasta. (11. Fortsetzung). Jch soll übrigens out-richten, dass tvir alle beide Unsang Mai zu Jhs nen kommen und bis zum Juli blei ben. Werden Sie uns auch nehmen, liebe Frau Bariett Jch geige sh iien die Ohren ootl. Wie mag es mit Lisa und Andras seintt Jch glaube sie schreiben sich nicht; ich verstehe das gar nicht. Ari dratt spricht nie von Lisa, und doch glaube ich, dasz er immer an sie denti, sonst hätte Jngeborgs Gitte oder Lo nhit Temperament ihm schon lange den Kopf verdreht. Mir scheint auch, als ob seine schone Ruhe immer et was getrübt ist, wenn Briese aus Lusstn kommen. Das dars Sie aber nicht abhalten« liebe, verehrte Frau Bartel, recht viele Briese aus Lussin zu senden Jeder Brief von Jhneii oder Ihrem Gatten ist ein Ireudentag siir mich.« Zwanzigstes Kapitel. «Du glaubst nicht, wie man sich ärgert, Jnge!« ries Lony Jezet iind schüttelte heftig ihre braunen haaie, die sie wie ein Page verschnitten trug. Jhre großen schwarzen Augen sun selten. »Ach, mach Dir doch nichts daraus-, Lony. Am Theater ist das nun mal nicht anders-" »Ja, das sagst Du, Tu bist eine sischbtiitige Notodeutsche, Du hast keine Ahnung davon »t« Lony stieß den Rauch ihrer Zigarette hestig von sich und wars sich in den Sessel, aus dessen Rand sie batancirt hatte «Na, so eine tleine Ahnung habe ich schon, nach Deinen täglichen Schei derunaen.« »Aber heute, ich sage Dir, wir war ten, warten wie verrückt, warten, bis wir schwarz werden« und da kommt ein ote mit der Nachricht, daß das köstliche Fräulein Steisi. dieses Weit-, verhindert ist, Kopfschmerzen hat — was weiß ich — und es ist eine hauptprobet Jch hatte plahen tön rten und was meinst Du. der Direk tor muß das einstecken So eine Wut, wie ich gehabt habet« «Lony, so laß das doch endlich mit der Theaterschulr. Du stehst da als bessere Statistin herum, und zu den Vorlesungen kommst Du nie mehr.« «Ach, was, Botlesnngent — Gelssr Du ost zu den Votlesungeni Du siht am Flügel, stundenlang —- so hat eben jeder sein StectenpseriD lind das ist ja gerade dao Lustige, das — wie soll ich sagen?« sie grifs mit bei den häuten in die Lust, »das Kost iiche, Verriiclte, Uebersliissige und deshalb so Schöne, daß man immer Dummheiten macht und daneben preist. Jch lönnte gar nicht Tag aus Tag ein bei einer Sache bleiben, da lönntest Du mich gleich einbalsas mieren und sortpaclen. Nein, leben, leben, brave, liebe Inge, leben, sich ärgern, lachen, bis das Herz springt! Da merlt man doch, daß man da ist, mitten aus dieser runden, lächerlichen Drehlugel. »Ja, wo Du stehst« Lonh, da ist sicherlich immer die Mitte. Nun trink aber noch eine Tasse Lee, sonst hältst Du den Aerger im Theater gar nicht ausl« »Hast Du auch noch von Euren norddeutschen Bittterbioten?« »Gewiß, sie stehen nebenan in un serm «Wirtschastoraum,« sie werden sonst so trocken." Lony lies sort und holte die Schüssel. »Ah, sein, zweite Auslaget Du, Juge, ich glaube, wir machen mäch tige Ersparriiste.« «Miissen wir auch, Du willst ja Weihnachten aus den Semmering unv ich rette nach nun-W »Noch Lussini Oh, Jnget« Lonn lachte laut aus: «Du bist nicht recht gescheit! Nein, daraus wird nichts. Du gehst rnit ins Gebirge, zum Win· ; terspoet. Du wirst sowieso immer-» ätherischer.« Sie sprang aus unbi nahnr Jngeborgs Gesicht rn ihre bei den Hände «Weißt Du, daß Du mir manch mal Sorgen machst, liebe Jnge«t« «Ach was, Lony,« Jngeborg lö chelte unb strich ihrer Freundin dail Haar zurück, das ihr von beiden Sei ten iiber die Wangen stel, »ich hab’ nie gut ausgesehen Da oben bei uns, in der Moorgegend, da sind tie roten Backen seltener, als in Wien.« «Erzähl’ noch mal etwas von Eu rem hos.« Lonn Jezel seszte sich Jnge gegen Iber aus die Tischlantr. »Du machst es gerade wie meine kleinen Geschwister. Jrnrnee muß Ich dieselben Geschichten erzählen, und wenn ich dann oente. sie wären es nun ganz leid, und ich habe mir et was recht schönes Neues ausgedacht, dann unterbrechen sie mich und sa gen: und nachher erzählst Du dann das von benr alten Tagnan ja?« »Ja, so bin ich, Juge!« — Lcnh biß in ihr Butterbret —- »Du könn test mir jeden Tag vom Heitinghos erzählen, und-es wäre mir nie zuviel; also —- rund uns das Geh-ist läuft ein Graben« « a, — und aus dein Graben, ten tvtr Gräste nennen, schwimmen viele Yheil riine Samtdecken mit kleinenl wei en oder gelben Biütchem Und wenn Du nun zum hoftor willst, dann mußt Du immer an der Gräfte entlanggehen. Links von Dir ist ein unabsehbareg Wogen, herrliches, reifes Gold, nnd die Schwalben schie fzen darüber hin — oft meinft Du, fest streift eine Dein Gesicht.« .Jngeborg,« fagte Lony ganzer-aft haft, »ich glaube, Du mischst die Jahreszeiten durcheinander-I ; »Macht nichts, ich soll Dir so oft Fettvas erzählen, da muß ich schon einige Freiheit haben.« s «Aiso gut — und rechts voms Weges« Rechts vom Wege stehen viele Baumstümpfe, aus deren Rund grü ne, schlanke Zweige mit saftigen Blättern und roten, leuchtenden Spit zen herausgewachfen sind. Die stehen da nun wie Nester. Jn der Mitte ist der glatte, fchöne Sitz und rings um wuchern die fchwanten Zweige und niemand schneidet sie ab. Darin saßen wir Kinder, jeder hatte sein Häuschen, und wir besuchten uns und spielten Nachbarn und richteten uns Knusliiden ein.« »Und die Kleinen purzeln nie ins Wafferi« »Nein, Lony,« Jnge lächelte, »die ganz Kleinen bekommen eine Mutter, und die andern — weißt Du, wir sind es doch gewöhnt, überall herum zuftreifen.« «Und weshalb habt Jhr denn die Bäume abgehaueris« »Mein Vater sagte, sie wären schon sehr erlt gewesen und sie hätten auch dirs Land so start beschattet. tveisz es nicht· Jch liebte sie sehr-, und als ich einmal irr den Ferien nach Hause karn, und ich sah die hellen, srischblutenden Stümpse, da war ich surchtbar traurig. Wie Wunden kamen sie mir vor; ich ging jeden Tag hin und legte Fell-blumen sträusze aus die seuchten Stellen.« »Aber jenseits des Wassers, da stehen noch hohe Ahornbiiunre, nicht weiht?« »Ja, da stehen die Ahornbäume, eine lange, lange Reihe . ging da nicht die Klingeh Lonh?" «Verdnmmt!" ries Lonh unter driictt. »Doch nicht siir unsi« »Vielleicht durchs sagte Jngeborg zögernd —- ,,Audratt ere wollte mit mir mnsizieren.« »Andrast« ries Lonh und riß die Tiir aus. »Am-ragt ere, wirtlich! —- Es sei Jhnen verziehen, Sie ha ben mich sehr gestört, Jngeborg et zählte von zu Hause.u »Schulde, sagte Zenke, »das hätte ich gern gehört. Nun ist oer Zauber gebrochen. nicht trsahr?'· Er reichte beiden Mädchen die Hand und lächelte. Das Licht blthte nus seinen wei ßen, gesunden Bahnen »Vor allem Ist die Zeit siir Lonh drihin," sagte Jugeborg, »sie muß ja durchaus ins Theater!" »Mus- ich auch. Ohne mich? Jch bitte Tich, Juge!« Sie lachte. »Der Ditettok würde rasen!" Sie zog eine Pelzmiihe ties über den Kopf und liesz steh von ere in einen langen Petzsnantel helfen. »Ich danke «huen, mein Fürst,« sagte sie feierlich. Sie blieb unbeweglich vor Andrns ere stehen uno betrachtete ihn mit srohen Augen. »Einen Pelztragen müssen Sie ha jben, ich sage es Jhuen, Andraö, . dieser aristotratische tiops iibek einem JPelztragen —- und ich wäre verlo » ren!« Andrns und Jugeborg lachten. Jngrdorg ries: »Wie ost warst Du schon verloren, arme Lonhl« »Ah, ihr spottet iiber mich,« sagte Lony pathetisch, »ich gehe — lebt wohl, Jhr Teurent« Dann steclte sie nochmals den Kops durch die Tür. »Um-Um Zutre, Herr Andras, ich» habe Jhnen alle Buttetbrole aufgesi geffen!« ( »So fchlimm ift’b nicht,« fagte Jn- l geborg, Jeden Sie fich nur hierbei-, in Lonys tiefen Seffel, Sie bekom men noch alles, Tee,. Butterbrote, Gebiicl, wenn Sie wollen — und auch Bigaretten.«" Andras feste sich bin und driickte sich behaglich in den Seffel hinein. Während Jngeborg Helling den Tifch neu ordnete, hin und her ging, Gebrauchtes fortkiinmte und die Flamme unter dem Teeleffel entzün dete, fah Andras ere sich in dem Raum um. Eine einzige Lampe brannte, un ter tief otange Seidenfalten. Sie war nicht groß nnd ftand auf einem Nebentifch. Jhr Licht warf warme Funken auf das Porzellnn und Sil-« ber und lief über eine handvoll bun ter Tulpen, die an langen, mattgtlli nen Stielen ans einer Kristallvafe hingen. Die Politur der alten Möbel weich durch das Oalbdunkeh von dem fattroten Teppich ftieg eine wohlige Wär-ne auf Jn einer Ecke des Zimmekö, vor einer Madonnenftatue mit grazlöi bewegten Linien. brannte ein blaues, ruhiges Licht, eine ewige Lampe, in einem silbernen Ständer. Jngeborg ging feinen Blicken nach. »Nicht wahr, es ift schöns« t..Sel)r schön-" «Lonys Wert. Die Möbel flam men aus ihrem Elternblius.« »Den Fräulein Jezel teine El tern mehrf« »Das wußten Sie nicht?« «Neln.« »Sie steht eigentlich ganz allein aus der Welt. Jhr Vormund, ein Freund ihres verstorbenen Vaters, ist fass immer aus Reisen-« »Ist sie denn unabhängig? Jch meine peluniiir unabhängig?'« Andras ere dachte an Lisa, die» in Zara unter Fremden war. »Ach ja, man könnte Ldny reich nenneni« »Ich glaube, es ist ein großes Glück siir ein junges Mädchen, wenn sie so vermögend ist, daß sie sich immer sreis siihlen tann,« sagte er nachdenklich.f »Es mag sein, teine ihrer Ent schließungen ist dann durch Nebengei danken getrübt.« Jngeborg reichte Andraö den Tee. Sie saßen eine Zeitlang,ohne zu spre chen, jeder seinen Gedanken nachhäns gcnd. Dann sagte Andras: »Wiiren Sie sehr ungeh-.1lten, Fräulein Helling, wenn ich heute meine Geige einmal ruhen ließe? Ich bin initde. Jch möchte gern in die sem Sessel sitzen und hören, wie Sie spielen «- — ein wenig träumen möchte lch.« Man hörte nichts, wie seine ru hige, wohllautende Stimme. Jngeborg schwieg. «Friil)er,« suhr Andras ereiort, »als ich noch da draußen war, lag ich stundenlang in der Sonne und träumte. Wenn ein recht schwerer HDnst aus den Büschen laut, und die lBäume unbeweglich in das tiefe Blau :starrten, dann war mir wohl, dann sregte ich mich nicht, dann lag ich da Hund hörte aus die sernen Stimmen, saus das Oämmern im Dorf, oder aus idie Schnitter im Feld. Alles war Moll-Frieden nnd Musik —- —«« »und nun, Anorag ;imre, vei uns hier in Wien, da wird Ihnen nicht warm, da hehen Sie der Arbeit nach, da haben Sie keine Heimat — —« »Heimati" Es ttnng so verloren. »Lieves Fräulein Helliiig, spielen Sie etwas recht Bliihendes, Frohes, et was von Mozart. Sie sinden schon immer das Rechte.« Jngrborg stand iin Dunkel und sah zu ihm hinüber. Dann ging sie zum Fliigel und spielte. Sie war so bleich. Ein goldenes Kettlein lief uiii ihren Hals und ver lor sich in den Falten ihres dunklen Kleides. Jhr Gesicht, von schlichtein dunkelbloiiden Haar uiiirahint, war von unendlicher Zartheit und Stille Jinre erinnerte sich, einmal ein tlei nes Mädchen gesehen zu haben, das aufgehahrt in einein duntlen Raum lag. Eine einzige Kerze brannte. Sie lag da wie ein Wachsbildu Er schlich ganz leise zii ihr hin. Alle, die herein toiiiinen, stören sie, dachte er. Nun wollte er wieder gehen, aber es fiel ihm ein, daß er der sriedvollen kleinen Laien ein ais schenlen müsse, und er suchte in feinen Taschen und fand ein Stiick blaues Seidenpapier, in das irgend etwas eingewickelt ge wesen war. Er foriiite es wie eine Blume und befestigte es mit dem ab laufenden Wachs um die einzige Ker ze. Die slackerte nun hinter der blau en Bliite und die Stille und der Frieden schienen noch tiefer — — Jnires Blicke gingen zu dein blauen Licht unter der Madoniieiistatue, das goldene, rote, grline Lichter aus den Falten ihres tileides hervorzauherie, und dann ruhten sie wieder auf Jngr lwrg, der Welchem Stillen. Er lehnte den olopf in seine Hände. Das Spiel lvar verstummt. Jngeborg halte sich zurückgewandt Jhre Hande lagen ivie niaite Blumen in ihrem SYoh « : is-« sallUlUV olltlc — llilk UllU lclwl klangen ihre Worte —, »du ist nichts in mik, was nicht Dir gehörte, ich wollte, ich könnte esiir Tich sterben«. « Als ob drnnszen in tiefer Nacht das Schweigen Ptdgiich zu einer Lichtge stalt geworden wäre und in echobenen händen Jnire eine tbstliche Schale entgegengetrngen hatte, so klangen die se süß entfachen worin Er sprang uns und trat bebend vor die rührende Mädchengestalt. »Jngebokg, liebe-, liebe Jngeborg'«, stammette ec. Sie streckte ihm beide Hände entge gen. »Was soll ich Dir geben, du Lie bers« Jhte blauen Augen stunden leuch tend in dem blassen Gesicht. Andras ere tniete vor ihr nie der und ttißte ihre Hände, wie man die händchen einei- schlnsinden Kin des küßt. »Du hast mich gesegnet, Du Grund gütige —- ja, segne mich nochmals leg die lieben Hände aus meine Stirn«. « Jngeborg siteichelte ihm sonst Stirn und Wangen. »Wollte Gott, herzliebe Jngebotg, daß ich Dein sein könnte. Jch bin ein armer Bettler und kann Dir ni ts schenten, nicht einmal dieses elen e, traurige Herz. Das gehört einem Mädchen, einem norddeutschen, blon den — ich sann es nicht zurücknehi men«. Wieder hatte er das Gesti l, daß er dem stillen, bleichen Kind aetwas schenken müßte. Er suchte suchte, und dieses Mal waren seine Hände ganz Ost« «Jngeharg, liebe Jngeborgt« sagte er traurig. « Er sah zu ihr ans. Unberveglich saß sie da. die Augen schmerzvoll erhoten Andrag ere stand ans und umsnßte sie scheu. Da kehrten ihre leidvvllen Augen zu ihm zuriici. Ein nnsäglich rührendes Lächeln umzog ihren seinen Mund. »Du bist der einzige nnd wirst der einzige bleiben —- veezeihe mir'«, sagte sie could-. Dann legte sie ihren Kopf an sein Herz und weinte. Einundzwanzigstes K api tel. Die Straßenzeile entlang brannten alle Lichter, ein opalisierender Dunst vermischte die Kontnren, die großen elektrischen Lampen hingen wie Leuchtlugeln ans dem userlosen Dun lel. Fiaier, Autonwbile, flinle Ge schäfte-wagen, alle versandten ihr ei genes Strahlenbiindel; Schausenster, Hans an haus, gebärdeten sich wie Scheinwerser. Es war Weihnachtszeit und eine Lust. einer von den vielen zu sein, die da drinnen wählen durften und einen lieben Menschen ivnßtent Andras ere ließ sich weiter schieben. Er hatte den Kragen hochge schlagen und die Hände in die Man teltaschen versenkt. Kalt mass und schön! Er sah in die Gesichter der Damen, die ans den vreiten Pelzen frisch herausschautcm Jn den vielen Gesichtern hatte er das eine gesucht, in den vielen Frauen, in ihren Bewegungen, ihrem Dust, ihrem Kleiderriuschen suchte er die eine — und neben dieser einen stand immer das dlasse Gesicht seiner Freun din, er sah ihre ernsten Augen, nnd er fühlte, wie Tränen über seine Hand rannem I Auch sie war ein oeisiiieres Mao chen gewesen, ivie Jngeborg, voll Güte und Süßigteit. Und er? Andras ere biß die Zähne zusammen. Die öden, schlecht beleuchteteii Gas sen zeigten ihm piöszlich ein höhnisches Gesicht: als streckten sie Fangarnie nach ihm aus, so drückten sich die ho hen Häuser an ihn heran, —- sie er innerien ihn an das stark parsiimieri ie, geschinintie Mädchen, dirs sich dreist iiii ihn geilaiiiniert hatte. Er ging ziiriick iind aiinete leichter, rilss er das Licht der hellen Straße in die Enge hineinslnten sah. Vor einein Biuiiieiiladen blieb er stehen — da schob sich eine Hand Un ter seinen Arm »Sie wollten mir-Orchideen tausen, TAiidras, ich sehe es Jhiien an, aber sniin ist’s nichts mehr mit der lieber raschuiig. Frommen Sie!" »Fräulein Jezet!« ries er freudig. »Ja, sie ist«-s, mein Fürst, und ich möchte Sie schon längst gern spre chen, haben Sie etwas Zeit?« ,,O·:ine halbe Stunde noch — nein, warten Sie'«, er sah mis seine Uhr, «sast dreiviertel Stunden. Was gibt's denn?« »Na, hier aus der Straße«, —- sie sah sich Uni, ,,hier geht’s nicht« «Uilso in ein Casij«. »Auch nicht, Teuerster, was inei neii Sie vom Stefsil?'« »Gem, Fräulein Jezel««. Sie eilten die diarnlner Straße entlang der Stezaiigkirche zu. Wie eine Bision reclte sie sich iiiiichtig aus grauvioleitein Dunst ziiiii Nachthims niel empor. Sie schritten diirch das breite, seit liche PortaL Wie aiig altem Erz, mit ehriviirdiger Patina überzogeii, schwangen sich die edlen Bogen über ihren Hauptein. Aus dein Innern der Fiirche drang Orgelspiel. Andras Jirire hiili einen Augenblick den Schritt an uni- sah sinigeiid zu Lony Jezek hin, die iiickxe ziisiiiiimriid und sie traten ein« Bonn ging aus ens- Lennoasservers ten zu, tauchte ihre Fingxrjpitzen hin ein und belreuzigte sich. undras nmr befangen; er folgte ihr in das Mittel schiss. Sie trnr dicht nn ihn heran und sagte: »Ist es nicht wunderban Jch wußte nicht, daß rlbendandacht ist — hören Sie nur: das Iantum ergol« Die Orgel ging von einem leisen Vorspiel zu dem tauschenden Weihe gesang über. Ein herrliches Brausen ersiillts die geheiligte Schönheit ringsum. Jn nein halben Dunkel weiteten sich die Dimensionen, die tveihrnnchutnzogencn Säulen schienen ins Unendliche zu wachsen. Andras Jtnre stand und schaute. Die brausenden Tontoellen ersiills ten den Riesenrnum. Dort drüben, um den Hauptaltnr, in spitzen Bogen nnisteigend, flimmer ten viele Kerzenreihen, und unter den Kerzen standen große, bunte Blumen sträußr. Jnmitten von Licht und Blumen, wie das strahlende Auge des Herrn, dns Allerheiligste, mit blitzen den Edelsteinen besetzt. Der Priester in einem weiten, blut roten, golddurchtvirtten Gewand streck te seine lhände aus« hob dns Aller heiligste empor und wandte sich dem Volk zu. Das silberne Glockengeläut der Ministranten rieselte über die Knienden dahin, die Weihrauchtvolten umhüllten das heilige Mhsteriuim al les beugte sich stumm und ties vor detn herrn und Erlösu. Der Priester segnete dns Voll tn der grandtosen Stille dieses mächtigen, v alle Generationen Uberdaiiernden Gri- i teshaiises. ! Auch Anbras hatte seine Knie ge beugt, und neben ihm srnlte sich Lonys launischer Bubeniops Die Orgel rauschte wieder aus, dröhnend setzte sie zum Schinszgcsangs Un l Die Menschen drängten zum Aus-; gang Loan zog Jiiire am Aeriiiel zu einem Seitenaliar, vor dem einige Opferierzeii brannten. «Sehen Sie, Andras«, sagte sie, »viele Kerzen wollte ich opsern. nein, cin goldenes Herz wollte ich der Jung frau Maria hierher tragen — ach, was sage ich —- iiiein eigenes Herz, wenn ich Jngeborg retten töiiiiie«. Anbras Jinre erschrak. »Jageborg?« »Ja, Anvrcis, Jngeborg. Haben Sie es nie gesehent Sie ist tranl, wie ihre Mutter lrant war; Verz, Lunge, sagen die Verzie, und — oh Gott, Andras, wir alle können ihr nicht helfen, sie geht dahin, wie diese Blumen hier«. Sie wies aus einen Striiusz, der halb verweilt vor dein Madonnenbild lag. »Fräiilein Lunis, wissen Sie das ganz sicher?« sagte ere heißer. »Ganz sicher, heute hat es niir der Arzt gesagt er ist der beste Arzt in Wienc Andras Jinre starrte vor sich hin. »Ja —- und ich wollte Jhrieii etwas sagen«, hörte er Loiins unruhige, be deckte Stimme. »Was denn, Fräulein Lony?·« »Haben Sie eiii Mädel lieb, ich meine mit Jhrem ganzen Herzeii?" Jhke Blicle begegnete-i sich. »Ja,' sagte Jinre gepreßt »Hier in Wien?« Lonys Augen hielten ihn sest. ! ! »-«eiri, nicht in Laien-. »Herrgott«, sliisterte Lonh, »was soll ich nun tun't« Ein schnelle-'s Vetftehen flog- von einein zum anderen. »Jngedorg Helling weiß es«, sagte ere leise. »Am-ras, Andrag, weshalb sind Sie ein solcher Fiinatitert Diese Inge borg Helling ist so ein feines-, zer brechliches Gefäß. Ich fühlte es, daß irgendeine Hand sie hart ungerührt hat«. Lonh war ungerecht nnd wollte nn gerecht sein. »Sie haben es gesiihtt«, fuhr sie heftig fort, »daß Jngeborg Jhnen entgegenglitt, und es toar Ihnen ein Genuß, nicht wahrt Jhr stiinstler braucht das ja!' fügte sie höhnisch hinzu. Andras Jntre hörte kaum, er sah sie an und es fiel ihin ans, daß einer ihrer Schneidezcihne, der zur Hälfte aus Gold war, zeizvoll anfblihtr. »Als Sie dann sahen, daß die Nichte des Professors sich allzu tief verstriclt hatte, da erzählten Sie ihr gelegentlich von Ihrer Liebsten!« Der Rausch war oerflogen. —- An dras packte ihr Handgelenk. »Was wagen Sie da zu sagen, ian wissen Sie von iiiirt Ziehen Sie Jhre Freundin nicht herab durch die ses elende Gesichte-Ha Mich beleidi gen Sie nicht, dtg aierten Sie sich.« Ain liebsten hLitte er das Mädchen an den Schultern gepackt und ge schüttelt. Lorin Augen bolxrten sich in die sei nen: »Und Ihre Rohheit inacht die Sache nicht bessert« »Sie haben recht«, sagte Andras Jinre beherrschter, »e5 handelt sich ja nicht uni Sie oder uni mich, es han delt sich nin ein tLItädchem das wir beide verehren nnd das leidend ist". »Verehren! Ja, wenn es nnr das wäre«, auch Lonh beruhigte sich. »Se hen Ste, ich tvar init Jngeborg von ineineni siiiifzehntei Jahre ab zusam men, erst iin Institut, dann aus der Universität — ich have teiiie Eltern und Geschwister »Jaget-org hai viele Geschwister, aber eine zweite Mutter und diese Mutter mag Jugeborg nicht, weil sie ganz das Abbild der Frau ist, die der Vater zuerst und zärtlich geliebt hat. Nun tdnnen Sie sich ungesahr denlen, irie Jngedorg und id, aneinander hän gen. Ich werde sie verlieren, meine Jngehorg«, — Lony preßte ihr Gesicht in ihre Hände — »meine klare, liebe Ungeborg und ich muß initansehen, wie ihr Herz verbluten Das tropst über Sie hinl« sagte Lonh plötzlich wieder aufilainiiiend, ,,nichts wäscht das ab! Sie mußten iider Jugedorg wachen. Sie sind in der Welt her unigelonimen, Jngedorg nicht« Juge borg ist älter als Sie, ja, aber sie ist ganz unersahriii, und das wuß ten Sie«. »Fräulein Lonh«, sagte Andras Jinre einst, »vielleicht bin auch ich junger, als Sie denken, denn meine Gedanlen gingen nicht ties — früher-, ehe ich das Mädchen kennen lernte, das Sie meine Liebste neunen«. Das klang bitter ,,Jch habe keine Liebste, Fräulein Lonh«, suhr er fort, »weiß nicht ein mal, ob das Mädchen, von dem Sie mich zwingen zu sprechen, Jnteresse an mir nimmt. »Wenn alle Gedanken don der Ar beit hingenoinmen sind und von einem feinen Menschen, den nian halten möchte, dann ist man vielleicht blind siir das Nächste. Jch will mich da mit nicht entschuldigcn, das ist nicht nötig«, fiigte Andras hinzu, »ich hätte nur noch eine Frage an Sie zu rich ten: glauben Sie, dasi Jngedorg helling sich freuen würde, wenn sie um diese Unteryiltiing mußtes« »Diein«, sagte Lor.y. »Und glauben Sie, daß Jngebrirg Helling ähnlich iioer iiiich urteilt wie LIM« »Nein«. ,,W-"gre es nun nicht besser, tvir täten aller-, was ti- unseren sitt-isten steht, uin Ihre Freundin sei-h zu mu itkn?" »Ja, das iviir es su, tviis ich mein te!« siigte diiö iiiiiiiilsirie wiiicichen plötzlich und riiOtte wieder dicht an Aiioriis Jiiire derein ,,Wns habe ich ixeiin nur alles ge sagt«t' fuhr sie fort. »sich ioill ja nichts anderes, Andriist Sein Sie nicht döie«, sie ergiiss seine Hinw, »ich siszchietc, ja, ich have es gesehen. daß Jlit Herz nicht ver ineinei sagevorg to;ir, und ich wollte Sie eigentlich bit ieii«, ein freiiiixitiges Lächeln liber stog ihr Gesicht, »daß Sie Jngevorg tauschen nibchieri, e. ist nur eine turze Spanne Zeit. Und nun haben Sie niit sage gesprochen und die andere, die andere — — —'·, sie sah Andias ere limge an: »ich wollte, daß ich einem Menschen die Treue beiuxiyren tdrinte, die Sie dem Mädchen beinah ren'·. Immer noch hielt sie seine Hund. ixr drückte die feste, warme Hand leicht. Jhre Schulter leyiite ein sei-. nein Arm. »Könnien wir nicht Freunde sein« Andrus ere«t« »Ja, Fräulein Berufs sagte Aiidriiö lächelnd, »aber Sie müssen schon eine etwas feinstere Fieundin sein«. »Sansier·t nein, das tanii ich nicht« aber gerechter«. Sie richtete sich auf . »Ich glaube, ich verstehe Sie se t«« fuhr Lonh fort, »wir toeeden « eh manche schwere Stunde zufatn en verleiten, Andrat Geben Sie inie nochmals Jhre hand«. Sie nahm die Händ, und dann gingen ihre Blicke langsam über fein Gesicht hin und ruhten in seinen Augen. Jntreg Gedanken · konnten keine Ruhe finden, sie umfaßten Lint Bild wie die Hunderte oon Umn mernden Taubenfiißehen die schönen Stulpturen des Dorne von August-« und doch flatterten sie bet etnetn fe den starken Geräusch auf wie die silberschitntnernden Tauben. Er dachte viel in den Bildern sei ner weiten, großen Heimat. Je dichter sich das Leben nn ihn hertindrangte, jetzt, inmitten seiner ftiirinenden Arbeit, um fo mehr flüchtete er sich in. die wogenden Erinnerungrn, die, golddnrehlenchtet, wärmer wurden, fe weiter sitzt-rück lagen. Langsam schritt er Jngehoegs Wohnung zu. Du standen sie an feinem Weg, die Feine, Zarte und das dunkel It gige Mädchen mit dein eeizenden’ te bentopf, und zogen ihn aus den stil len Tälern feiner Gednnten, aus dtn strengen Bahnen feines Willens in ein farbige-z Reich hinüber. « Seine Augen durchdrangen die Dämmerung der abendlichen Stra ßen. und cr sah sich wieder vor den Zigeunern stehen« iin leyten Mühen der grundgiitigen Sonne, dis» un endlich flimmernde Ebenesvor ihm nttggebreiteL Satt und kräftig lag das Durs, sich dehnend in dttntelfarbigen Gär ten. Das Brüllen heimtehrender Herden und der Gesang der Wasser schvpsendett Mädchen klang harmo nisch in der dätntnernden Weite zu sammen. Der Dust der mildem großen Flächen, die steh zum Schla fe riisteien, stieg zu dem göttlich weiten Himmel-stund empor, und er stund vor den Zigeunern und spiel te. Leise, tastend glitten ihre Lieder zu den Heinigetehrtem Ruhenden hinüber — nicht lange, dann kamen die blauen, kühlen Schleier-Aber das Land, und dann erwachters «s Le ben hier atn Rand der gro« Ebe ne, erwachte wie das Trei am Lagerseuer. Ja, das waren freie, alte Zeiten. Andrag Jinre schlenderte an einein Kasseehaus vorbei, aus dein Musik drang; er trat an eins der großen Fenster und sah hinein. Und andere Bilder lamen, wi drige, schale, erfüllt vom Dunst ei ner Umgebung, die ihn seither schon abgesioszen hatte, ihm nun aber im erträglich geworden war. Er zog den Mantel enget um sich, und schneller wurden seine Schritte. Ah, nur nicht mehr Geld nehmen müssen, Geld von betruntenen Män nern, die mit treischenden Weibern tanzen wollten —- — — Vor der Haustür tras Andkas mit Lony zusammen. Ein mächtiger Strauß Flieder, leicht in Seid-spu pier eingeschlagen, quoll übel-« ihren Mass, unter ihrem Arm hervor-. ,,.tdelsen Sie, Fürst,« kies K,Mi sen Sie, ich lann die-Tür i aufsperren —« . Er nahm ihr die Blumen ad. »Ja, wag sollen da meins «·Ip· sen?« sagte er lächelnd und ieiqse aus einige duiilelrote Rosem ge e in der Hand hielt. Z »Juki« schönstes Weiden-situi scheni,« sagte Lony und sah CI ihm vorbei Sie stiegen stumm die Treppe hinaus, Lonv össnete leise die Korrii dortiir: sie legten die Blumen vor dem Spiegel nieder. (Fortsetzung folgt).