Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 30, 1916, Sonntagsblatt, Image 10

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    W we klarer-.
Roue..e von Georg Hirschseld
Der Banldirektor Grevenberg fand
sur Kriegszeit in manchen Dingen·
Quellen der Befriedigung, die ihm ins
fernen Friedensjahren nur Unbe-«
quemlichkeit und Aergernis gewesen
wären. Er hatte nun schon lange
nicht mehr die schönsten Automobile
der Kolonie Grunewald und wußte
fie gern im Heeresdienst Nachdem er
eine neue Einteilung seiner kostbaren
Zeit vorgenommen hatte, bediente er
sich nicht einmal täglich eines Brosch
tenautomobils, sondern fuhr ost gut
hiirgerlich in der Stadidahn nach
Berlin und stellte in der Fußwandps
rung von der Station Halensee nacht
seiner Van in der Königsallee noch;
eine Förderung seiner Gesundheit!
fest.
Ebenso befriedigten ihn die Ent-·
dehrungen der sleischlosen Tage, da
ihn ja die Teuerung der Lebensmittel
nicht treffen konnte. Begeislert gera
dezu lud er es aus sich, daß ihm die
jährlich gewohnten Reisen durch
Feindesgrenzen und umständliche
Passe versagt wurden. Er zog daheim
aus allen Opfern fiir das Vaterland
eine gütig pedantische Nutzantoens
hung, die aus seinem Wesen kam. Er
predigte Frau und Kand, daß ge
rade den Gesichertem Daheimgebliebei
nen der Tag nicht in gedankentose
Bequemlichkeit oersinken, sondern
ihnen stets die allgemeine Gefahr de
wußt bleiben müsse.
Ob Marga, seine Fran, ihn mehr
mit achtungsuoller Geduld als mit
Zustimmung anhörte, konnte er nicht
feststellen. Sie hatte nun einmal die
schöne Unbestimmtheit ihres Wesens.
Auch iiber die Wirkung aus Ulrich,
sein Söhnchem war sich der Bantdis
rektor nicht tlar. Der dachte vielleicht
doch nur daran, zum Soldatenskiel
wieder in den Garten hinauszukom
men. Aber das war eben die Jugend.
Die durfte so sein. Anton Greveni
berg fiihlte sich seiner Frau gegen
iider als Führer, dem Kinde bei
allem spät gefundenen Vatergliicl
doch mehr als Großpapa. Er war
sechsundzwanzig Jahre älter als
feine Frau. Ulrich war erst neun
Jahre alt.
WIWIH, kk Wllklllglc IT Ulls Urst
ga, ohne etwa oberflächlich zu iein
und gegen den Ernst der Zeit zu ver
stoßen, auch jetzt im Bannlreise der
derwiihnten Frau blieb. Das gab ja
täglich soviel Licht aus sein sorgen
schroeres Arbeitslebem Für sie sollte
die helle Seite des Reichtums sein,
siir sie und sür das Kind. Er stand
auch beruflich dem Kriege riel näher.
Jniniersort rollte der Geldstrorn des
vaterländischen Besitzes, der keinen
Ausfluß mehr nach Feindesland hat
te, sondern ein genial gesiihrter
Kreislauf war, an ihm vorüber. Das
ob dein Finanzmann auch die tie
ere Sicherheit, denn er wußte mehr
als andere. Aber es herrschte noch
ein zweiter Trieb in ihm, site die
große Sache der Zeit zu dulden, den
seine Frau noch weniger erfassen
konnte als den beruflichen: es war
der ganz persönliche, d:r den IMM
ger damit quälte, daß sein Körper
älter war als sein Geist. Daß er,
völlig untriegeriich- nur daheim et
was nützen konnte. Marga unter
schiihte doch sein Temperament, da sie
es durch den weisen Drang zur Gäste
gebändigt sah.
»Man muß mehr tun« —- dieses
Gefühl beherrschte Anton Grevens
berg. Dabei setzte seine Menschen
freundlichkeit nicht aus. Ader er h.:ite
endlich entdeckt, was ihn bisher unde
sriedigt gelassen: Sein heim, ietn1
großes, prächtiges haus im Grunesl
wald war es, wenn auch noch ioriels
Gutes aus ihrn hervorging. Jtnmer
wieder verführte es zu senern fried
lichen Behagen, das auch unter das
Kriegt-gesetz gestellt werden mußte.
Zugleich rnii dieser Entdeckung war
Anton Grevenberg ein Beispiel begeg
net, das ihm sein Freundeskreis det.
Es erleuchtete ihn, sein Entschzuß
war gefaßt, und er nahm heute eine
Automobildroschte, rnn von der Bank
einmal schneller in den Grauen-old
zu gelangen.
Beim Mittagenen —- es war, was
ihm heute itiametweiie schwer wur
de, ein fiei chlvfee Teig —- biieb Gre
venberg einsiibig. Es fiel nicht nur
Marga, sondern auch Fröu!ein Bkkn
und schließlich sogar iilrkch, ihnen
Zögiisg, auf. »Was hast du denn,
Papa-P fragte der Kleine piötzsich.
«Gestern war doch ersi ein Sie-is«
Maega lachte, nnd Grevenberg
verlor seine Befangeuheii. Er wurde
Ulrich schnell los, indem er ihm er
laubte, den Nachtiäch im Garten zu
ver-einem Bald so en sich Vater und
Mutter allein gegenüber.
«·«ch habe dir etwas Mitzuienm
liebe Marga, du hast es mir gewiß
schon eingescheu- Erfchcick nicht, es
wird fiir dich, wie ich beiiimmt vor
auifeße, nur etwas Angenehmes
sein« Du hast dir doch gewiß auch
die Frage vorgelegt, die mich,
gest-indem täglich beschäftigt:
wozu hat man in dieser eit ein ioi
goßesw geradezu luxnrkö es Hat-ZU
chen, wie wir, und lie«
weiche es uuns in Wahrheit erhalten,
habe- nichis dem-ni« i
-«-«W meinst ve, Antoni« i
Freiens-es machte eine etwas un-?
Wut Bewegung Wiese Fee-ge
sitzer nichi iibetlegi,:
Marga. Jch meine selbstverständäichs
unsere Krieger dranßen.«
«Berzeib',« sagte March errötend.
»Aber die konnte ich zu unterm
hause nicht sogleich in Bezirk-Zug
bringen«
»Es est dir doch bekannt, onsz
manche Lazarette überfällt sind. Und
vielfach sind die Leiden mit been Ans
enthalt darin nicht beendet. Jn vie
len Fällen laan die Militärverwnli
tung nur das nötigste tun. Wenn die
Retonvaleszenten noch nicht wieder
bienstsiihig sind, werden sie zu ihrer
weiteren Erholung privater oder sa
rniliiirer Pflege überwiesen Da be
ginnen neue Schwierigkeiten Entwe
der haben die Sanotvrien leinen
Plan, oder sie sind unerschwingsich
teuer — oder die armen Soldaten
besiyen keine samiliiire Zuflucht.
Kurz, liebe Marga » .«
»Du willst einen Relonvaleszenten
bei uns ausnehmen? Eine neue Ein
qnartierung« Antoni«
Grevenberg tnactte sich erst eine
Nuß —- dann erwiderte er: »Das
lehtere nicht. Wir hatten ja schon
wiederholt Einquartierung —- hinten
im Gärtnerhause —- durchreisende
Mannschosten — aber das waren
Selbstverständlichleiten, das rechne
ich nicht. Jch beabsichtige jetzt hier
vorn bei uns, und zwar im großen
Gastzilnmer oben, einen Retonvniess
zenten auszunehmen« einen Ofsizier,
Marga, der aus dein Laznrett ent
lassen worden ist« der dringend einen
Erholungsnusenthalt braucht, bevor
er on die Iront Hirn-geht«
,,hast du schon einen bestimmten
ien Anges« I
»Ja, das hab ich. Es handelt sich
um einen jungen Leutnant der bei
Yperii verwundet worden ist und
außerdem· einen Nervenzusaninieni
bruch erlitten hat. Von Flotoio heißt
er. Er soll ein außerordentlich vor
nehmer-, liebenswürdiger Mensch sein.
Die Wunde ist iin Lazarett geheilt
— aber die Nerven bedürfen noch der
Pflege. Jch hörte die Sache von
Heinz Simon, aber der hat schon
einen Major iind lann den Leutnant
nicht mehr ausnehmen. Da erbot ich
mich. Es ist dir doch recht, Marga?«
Grevenberg war gegen seinen Wil
len erregt geworden, denn die pfleg
matische Art seiner Frau, die ihin
sonst so vertraut war, reizte ihn
heute. Er erwartete Widerspruch.
Aber Marga überraschte ihn:,,Selbst·
verständlich, lieber Anton. Wenn du
dich uber die Veränderung unseres
ganzen hausstandes, die damit ver
bunden ist, hinwegseßt —- ich tu' et
gewiß. Der her-r Leutnant wird doch
ooraussichtlich nicht kurze Zeit bei
uns bleiben? Er iiiuß init uns ver
kehren, an unserm Tisch essen — sol
cher Anschluß gehört dazu-«
«Selbstversttindlicht«
»Ich nehme wohl auch richtig an,
daß er ohne Angehörige und arin
ists«
»Ja, Marga —- ganz unter uns
—- so verhält es sich. Ein bedau
ernoioerter Mensch. So jung noch,
so tapser und... Natürlich das Ei
sere und das Berdiensttreuz· Uebri
gens soll er durchaus nicht inehr hin
fällig sein, so daß wir teine zu große
Verantwortung übernehmen. Er
braucht nur Ruhe, Behagen, gute
Lust, teilnehmende Menschen. Er soll
sogar sehr lustig sein können. Ach,
das sreut mich, Marga, daß wir
gleich eines Sinnes sind. Jch hab’
es ja dorausgeseßt. Aber du verstehst
auch die höhere Befriedigung die
man in einein solchen Fall... Na,
wir find also einig. Jch telephoniere
sofort an Heinz Simon, und über
morgen haben wir unsern Retonvas
leszenten hier.«
H
DJH Haus Greoenberg geriet in
eine festliche Stimmung Das war
euch in Zirieggzeiten selten. Selbst
verständlich wurde keine Gelegenheit
die schone Fahne zu l,issen, versäumt,
aber einerseits die attetnde Bequem
lichteit, anderseits das gleichmäßige
Arbeit-sieben des Hausherrn, gab dem
Laus der Tage einen etwas trocke
nen Ernst, den Marga sich nicht de
ivuszt werden ließ. Sie wurde damit
fertig, weil es bei ihren Eltern in
Hamburg auch so gewesen, und weil
jede Auflehnung gegen übernommene
Notwendigkeit gefährlich war. Nun
aber hatte sie plötzlich eine neue Aus
gabe. Ihr Gatte bestiirlle sie d.1rin
— sie sollte ea dem Fremden, der in
ihr stilles heim eindrang, so schön
wie möglich machen. Sein Zimmer
wurde ein Musterzimnier, die Diener
schast ganz aus die Wichtigkeit ihrer
neuen Pflichten eingestellt. Die größte
Umwälzung aber bedeutete der ber
annahende Ossizier siir Ulrich. Seine
neunjubeige Phantasie war vollkom
men durch die Berheißteng ausgefüllt,
einen richtigen Leutnant, einen reden
digen beiden von da draußen lennen
zu lernen. Was auch immer diii
Knabe-they, das in dieser gewalti
gen Zeit erwacht war, bewegte, kam
zu dem Unbeiannten in Beziehung
Ulrich liebte seinen alten Papa —
aber der blieb doch derselbe, genau
wie in Friedenszeiten, siir Utrtchd
Urteil wenigstens —-, der war so
grau in all der bunten, abenteuerlii
chen Herrlichkeit. Ulrich dankte es ihm
aber, daß er ihm — so empsand er
es —- einen lebendigen helden scheut
te. Er stampfte den ganzen Tag mit
Marschgesiingen durchs Bau-. Wenn
inan ihn suchte, stand er gewiß iin
Oastziinmer und träumte sich schon
in des Leutnantg Anwesenheit hinein
Piinttlich lam Herr v. Flotin
Das Ehepaar Greoenderg empfing
ihn am Haustor. Beglückt stellte der
Banldireitor fest, dafz es sich wirt
iich um einen durchaus gewinnencen
T
Menschen handelte. Ritterlich beschei-.
den sprach er, da er jetzt erst Gele
genheit dazu fand, seinen Danl aus. -
Er überreichte Marga einen schonen.
Rosenstrauß —- Unsinn so viel Geld
dafür auszugeben, dachte Grevenbsrg
— . dann gab cr Ulrich die Hand und
trat, am Stock sich ziemlich leicht ve
tvegend« in die halle ein. Sehr bleich
war er noch, durchsichtig fast —- aber
der Blick seiner lebhaften Augen
bannte jedes Bedauern, das an
iibertvundenen Leiden haften wollte.
Aus Worten und Bewegungen brach
beständig seine gesunde Jugend het
vvr. Auch war ej deutlich, daß er
von vornherein ein möglichst ange
nehmer Gast sein wollte. »Ein tran
ies Mädchen bin ich ja Gott sei
Dank nicht mehr!" Das sagte er oft.
Er zeigte, wie er gern lachte, wie
glücklich er im Grunde über sein
ganzes Dasein war. Ausfalien konnte
es dein Beobachter, daß er sich meist
an Grevenberg und wenig an seine
Gattin wandte, obgleich er dieser bei
jeder Gelegenheit eifrigste Arligteit
bewies. Es mußte ihn schon bei der
Ankunft betroffen haben, wie jung
und schön Frau Grevenberg war.
Herr Simon, .den der Leutnant
schänte, mußte in seinem gütigen
Eifer davon nichts erwähnt, sondern
nur die bejaht-te Würde des Bunt
direltorö geschildert haben. Matt,
und nach all feinen Leiden leicht in
Dämmerzustände geratend, wurde
Herr v. Flotow zu allem Glücks-as
seiner Beicht-werthen wloerfunr,
durch die anmutige Wirtin verwirrt.
Das war zuviel. Aber er faßte sich
gewaltsam. Er hämmerte es sich ins
Bewußtsein, was die strenge Pflicht
gastlicher Dankbarkeit verlangte. All
zu groß roar der Gegensatz seines
Zustandes im Lazarett zu dem im
Haufe Grevenberg. Deshalb wandte
er sich, etwas ftarrer, ais es sonst
feine Art war, immer wieder zu oem
Mann und ahnte nur die Frau.
Ulrich ließ nicht die Augen von
ihm. Er wahrte sich, so lange herr
v. Flototv im Zimmer war, einen
Platz, wo er selbst nicht auffiel und
den Helden beobachten konnte. Als
der Retonoaleszent sich behaglich in
einen seidenen Sessel zurücklehnte,
hätte Ulrich ihm fast »Hu Pferd!
Zu Pferd! Der Feind greift ant«
zugerufen. Er biindigte sieh nur mit
Mühe und hörte heute sum ersten
Male mit gerunzelter Stirn, voll
Ungeduld den Vater reden. Warum
nahm er so oft das Worts Wenn ein
Kriegsmann sprach, hatte der Bür
ger zu schweigen. Alles Wissensrverte
erfuhr man ja seht doch nur von
einem aus dem Felde Außerdem
diese weise, gesiittigte Sprechtveisr.
Mit überschlagenen Beinen saß der
Vater da und sprach von großen
Taten, während das elettrische Licht
sich in feinen Lackschuhen spiegelte.
So kritisch dachte der kleine Frevler
— niemand wußte es.
Seine Mutter aber ftand in der
ersten Stunde schon am Ufer jenes
Stromes, der jenseits alles dunkel
Prächtige. Ersehnte und Mißbrauchte
der Jugend zeigt. Marga war ein
hamburger Patrizierkind. Sie konn
te, wenn ihr schon die unberechenbare
Leidenschaft drohte, noch erwägen,
was so gefährlich und hold auf sie
zusam. Dieser Mensch, der plödlich
vor ihr entfaltete, in ihrem streng
g ehlossenen heim, in Gegenwart
ihres tadellosen Gatten — dieser
Mensch besass, was sie vor ihrer Ehe
zuweilen im Licht gesehen und dann
mit Pslichtschleiern unsichtbar ge
macht hatte. Dabei war er auch ein
Geschöpf der Pflicht, weit höher als
sie. Was er von Gefahren und Taten
erzählte, ließ goldene Bescheide heit
iin unbezwetselbaren Dienste der ffci
che erkennen. Seine Seele lebte vcin
Vaterlande. Sein überwundenez
Leid war deutsches Leid, seine Hofs
nung deutsche hoffnung. Und er trat
sröhlich, nicht belehrend. Er war os
sen, nicht weise. Sein Gesicht be
herrschte den Körper, und der Kör
per war noch immer herrschend ge
nug. here v. Floiow hatte den Reiz
des Junkers, der erprobt worden.
Sein Aristotratentuin war in zuver
lässige Menschlichteit umgesehn
Daß er sich viel weniger an sie,
als an ihren Gatten wandte, entging
Marga nicht. Es tränkte sie nicht,
sondern im Gegenteil, es freute sie»
weil sie ihre Wirkung daraus las.
und es beruhigte sie, weil der junge
Mann von vornherein das Feuer
mied, wie ste, das junge Weil-. War
es denn nicht auch bei aller schwin
genden Lust dieser ersten Stunde eine
Pein, daß Anton Grevenberg ah
nungslos wie ein Vorwurf sele
wirttei Daß er, je behaglicher und
zufriedener er sich gab, ein schwer
bedrohter Gegensas zu herrn v.
Flotow wurdei Marga war jun ge
nug, uin diesen Gegensai zu et,-en,
aber sie war auch zu sehr das Ge
schöpf der Ehrbarkeit, das dankbare
Kind von Anton Greoenbergs Va
tergüte, uin sich nicht davor zu ent
seßen Sie machte es sich niit pocheni
dein Herzen klar, während ihr Gotte
und der Gast immer let-hattet wur
den: Schuldig war hier niemand —
daruin sollte es auch niemand wer
,ben. Was edle Harmlesigieit artige-s
stiftet« durste nicht Verrat erdulden.
Verzicht, Verzicht, dreimal Verzicht
innr- die Forderung. Nur beinahe un
erträglich blieb re, wenn rnnn jung
war —- und Marga war jung —
daß der Verzicht sich in die schönste
Forderung kleidete. Sie siihlte einan
Erstickendes in diesem Kampf. Als
der Diener sich im Netenzimmer
zeigte, suhr Marga, ohne seine Mel
dung abzuwarten, nus und bat, zu
Tisch zu gehen. Erstaunt sah Anton
Grevenberg die sonst so Ruhige an.
Aber er tannte nun einmal nicht
wissen, was hinter Margns Wesens
schleier lag. Er hatte es auch eigent
lich niemals wissen wollen, denn der
Reiz der Unbestimmtheit wnr ihm
das Liebste nn ihr.
Herr v. Flotoro erholte sich schnell.
Anton Greoenberg war stolz aus sei
nen Gast. Es blieb der seine Stolz
der Güte, der sich mit nichts Aeuszers
lichem brüstete, sondern sern von der
Welt nur nus den Menschen sah.
Der junge Ostizier, der wenig Liebe
erfahren, bevor ihn der Krieg in
seine eisernen Arme genommen, aus
harte Waisen« nnd Kadettenjahre
zurückblietend, erkannte den Wert
dieses Burgcrgeiniita. Es tnt ihm
wohl, sich immer sreier zu geben« im
mer bertrnuter an den Interessen
seiner Wirte teilnehmen zu können.
Was ihm den himmel bewoltte, war
sein naher Abschied — er fürchtete
zuweilen, nicht entbehren zu können
und unentbehrlich zu werden. Zu
Marga hntte er bald ein tlarerei
Verhältnis gesunden, und dieser
Fund ließ ihn Gredenbergs Gastlich
teit urn so tieser genießen. Durch die
Drohung ihrer Anmut war ihm sieg
hnst Margnit ehrensester Ernst sent
gegengetreten. Es war ausgeschlossen,
hier aus einen Abenteuertreg zu ge
raten. Was ihn anderswo vielleicht
gereizt und iiber manche Gewissens
schwere sortgebraeht hätte — hier
frano er mir gesenktem avps davor
und erspart blieb, was er doch nur
gefürchtet hatte. Um so stärker zog
es ihn nun freilich an, in das See
lenleben dieser wertvollen Frau zu
blicken. Da hemmte ihn nichts, weil
er sich auf erlaubtem Vor-en glaub
te. Es fesselte ihn mit den Fäden des
Erbarmens, ein unglüaliches Gliick
zu sehen. Er erkannte in der innig
sten Gemeinschaft qualvolle Einsam
keit. Je mehr er Mann und Frau
in jeglicher Weise fchiifztr. desto mehr
betlagte er den Krieg daheim, der
schwer genug war, und doch leine
Fahnen, leine Zeichen der Ehre hatte
Er aber, von einer tieferen Be
iingftigung ergriffen, als jene, die er
zuerst empfunden, hielt sich inbrün
stig an das. war nur reine Treue,
nie Versuchung gab· Ulrich wurde
sein bester Freund. Er sah in die
Kinderaugen des Vaterlandes, denn
die hatte es eigentlich mit all sei
nen politischen Sorgen und furchtba
ren Waffen. Der. Glaube an Sieg
war kindisch- darum echt. Er lebte
in Ulrich, denn was war dem Kna
ben eine Welt von Feinden? Leiden
schastlich erwiderte er das Geschenk
einer Neigung, die er nur ertriiumt
hatte. here v. Flotow fürchtete zu
weilen diefe Unzertrennlichleit —
ohne von den Eltern dazu ermahnt
zu sein, wies er Ulrich jeden Tag
behutsam darauf hin, daß er nun
bald wieder hinaus miisse, und daß
dies der Abschied sei. Es war schwer,
dem Knaben das letztere klar uma
chen. Er hing zu tief mit feinem
Leutnant zusammen — Abschied gab
es eigentlich nicht fiir ihn. hinaus,
zuriick in den Kampf — das sollte
der Vergöttertr.
Yiur zu vaiv kam es dazu. Herr
v. Flotow erhielt seinen Befehl —
er hatte noch drei Tage im Hause
Grevenberg. Diese Zeit wurde ihm
wie ein schönes, gefangei.es Tier, das
immerfort festgehalten werden muß
te, weil es entfliehen wollte. Er such
te Ordnung, Ruhe hineinzubringem
um auszulostem genießen zu tön
nen Was stand denn hinter dieser
quälenden Unrafti Was war ihr
lauernder Sinn? Sah et den gewis
sen Tod vor sich, wenn et zum zwei
ten Male hinausgehen würdet Liebte
er Marga? Beides wollte er nicht zu
gestehen. Aus Angst vor Schwäche,
draußen und daheim, mied er es·
Ader er lonnte mit dem Unab
wendlichen nicht allein bleiben. Da
tat er, was ihm die letzten Tage irn
hause Greoenberg nicht erleichterte,
foudern erfchwerte. Es war eine
rechtfchasfene Torheit. Bald nachdem
er den Befehl erhalten hatte, machte
er mit Marga und Utrich einen
Spaziergang nach hundelehle hin
über. Es war der erste, ungestüme
Vorfriihltngstag. Alles drängte nach
Gewißheit, nach Erlösung. Der dür
re, märtifche Kiefernwald zitterte,
wie von gebärender Kraft überrascht.
Di schwarzen Radeln träumten von
leuchtenden Blüten.
Plsslich sagte Herr v. Flotow,
was bevorstand. Ulrich lief am See
ufer über den schwankenden Boden
hin; er fchlug mit feiner Peitsche das
trockene Schilf. Marga wurde bleich.
herr v. Jlototv fühlte es ohne sie;
anzusehen Sie schwieg lange —
dann seufzte fie. Die Refisnations
der ehrbaren swErstei lag darin, doch«
auch die Aufle ung des immer wie
derzurlietg , iu ngen Weibe-.
Es ist ian t zu lindern-« fagte sie
We« Jst-If ischts Schick lat. Mars
sieht es voran-, und wenn ed kommt,l
will man ei doch nicht wahr da
den...«
Sie stockte. Sie siihlre tond mit
ihr durchging, und dnsi sie schon sast
zuviel gesagt Aber ed war uninng
lich, neue Worte dnsiie zu finden, die
doch nnr lieststigten nichts zurück
nahmem Machie er es nur wissen.
Errötet, mit gesenktem Kopf ging
er neben ihr. Man schwieg, bis man
zur Billa zurückgelehrt war. Dant
oar lauschte mnn heute, was Ulrich
ndnungelos schwatzend immer wieder
herantrug Doch Murg-e klammerte
sich jetzt sester als se an Pflichten
ilzr Muttersinn ertannte, daß es nö
tig tvnr, auch Ulrich vorzubereiten
Flotin bestärlte sie darin, denn er
wußte, daß Ulrich seine Andeutun
gen immer leicht genommen hatte.
Um so betrossener waren er und;
Marga, als aus Ulrich nach der
Mitteilung der Mutter ein leiden-»
schastlicher Schmerz hervorbrach«
Jeßt erst schien er zu wissen, umt
tvno es sich handelte, und die rauhe’
Wirtlichteit zu begreifen. Alles, was
sein Held ihm zuvor gesagt, tonr nur
Rausch gewesen. Miertrvuedig leid
vall sah er nnn auch oft aus die
Mutter, ganz von sich selbst sort,
nur aus ihre Seele. Es war, old od
er ahnte, was jenseit seiner Jahre
log. Er verband sich mit ier mit
geheimnisvollem Schmerz, er blieb
nicht fkliei Fräulein Bern, sondern
suchte immer wieder «Mamn'«, als
könnte einer den andern trösten. So
gingen sie am vorletzten Tage zu
Dreien spazieren, diesmal durch den
dichten, endlos gleichmäßigen Wald.
Ein wunderbare-T- Verlangen tnm
iider Marga und den Leutnant. Bei
de wußten, daß sie in Ulrichs Ge
genwart und durch sie allein aus
sprechen lonnten, ivad möglich war.
»Das Leben in alte-F tagte Fio
iotv, aus den troetrnen Nadelboren
starrend. Marga erschrak, aber ttttr
durch den Klang seiner Stimme
die Worte ängstigten sie nicht. »Man
sündigt« toenn man sich nicht ganz
an die Gewißheit hält. Wie r-iel
Herrlichleit ist schon neben mir ge
salleni Auch Patrotloö ist gestorben
und tvar mehr als du! Nein, ich
hasse jede Sentimentaiität. Das Le
ben ist herrlich, aber es gibt nicht
Genuß, sondern Pflichten oder rochl
in den Pflichten den Genuß- Das
muß man lernen —- dann kommt
man durch. Was heißt seht deutsch
sein? Seine Verantwortung lennen.
Wer es auch immer sei...'·
»Wer es auch immer sei.« Matga
hatte seine letzten Worte wiederholt.
Da wars er ihr einen heißen, zum
erstenmal betennenden Blick zu- und
sie erwiderte ihn, angstvoll ringend,
aber mutig und tlar. Er sah rasch
aus Ulrich und legte im Weiterschreii
ten seine Hand aus den Kops de
Knaben.
»Der Lebensglaube schützt,« sagte
Marga nach einer Weile. Er mußte
thr zustimmen, obwohl sie es tonloä
ohne Ueberzeugungslrast gesagt hat
te. »Für die Kommenden geschieht ja
alles — nicht wahrt« Er iah wierer
aus den Knaben. —- ,,Noch viel wird
geschehen müssen. Viel Unheil und
viel Großes. Ach, wenn doch erst
Friede lätne...« Wieder der leise,
innige Ton, der doch nicht über
zeugte.
»Wir wollen nicht zu weit hinste
sehen," fliisterte er. »Die Forderung
des Tages ist zu groß. Das Beste lit,
n wissen. daß in der Heimat Herzen
sind, die —- ich meine — Herzen, die
einem zuschatten — mit Wünschen
nnd Gedanken —- Sie verstehen...
Und was ich mit der Heimat meine,
Frau Marga — nun, die ist wohl
Jus beiden Seiten — draußen und
ter...«
Jeßt richtete sich plötzlich Ulrichs
dunkler Blick zu den beiden Großen
empor. Er schien auch Ungesproches
nes zu verstehen· Seine Augen tun
deten Trost und zugleich die War
nung, nicht mehr zu sagen. Floren
und die Mutter seufzten besteit. Jetzt i
zähmten sie sich wieder. Mit ernsten,
aber zuversrchtlichen Mienen gingen
sie beim.
Arn les-ten Tage, der den Gast in
seinem Hause ließ, tat Anton me
venberg etwas Besondere-i Er ließ
sich in der Bant vertreten und bLieb
den ganzen Tag daheim. Das glaub
te er herrn v. Flolow schuldig zu
sein. Der Freund —- denn das rrar
er Anton Grevenberg and den Sei
nen geworden —- sollte das volle Ge
sühl mitnehmen, was sein Wirt siir
ibn tun konnte. Marga wehrte sich
nicht. Auch Ulrich larn zu leiner Er
tenntni5, ob der gute Vater störte.
Man saß den lehten Abend beisam
men, wo man den ersten verbrucht
hatte. So gern er auch alles noch in
sich au nahm, was der liebe Gast zu
geben tte — sein eigenes lVerz war
doch zu voll: Anton Greventerg
mußte wieder das Wort silbern. Den
andern war es heute tteb — sogar
Ulrich toar rntt dem ahnungslosen
Mast-P einverstanden. Gan in tlsr
stummet, schwebendes We tonnte
die Jugend sich versenken. Das Alter
sorntte zu tnniger Philosophie, was
hier zu sagen oder besser zu schmti
gen war
»Ja, meine Liebenf sprach Anton
Greoenberg, während das elettrtsche
Licht wieder in seinen Laaschus
here sp elte —- «nun lommt es dechf
tvas ralte vorn ersten Tage an
igewußt dabei-. Die Notwendigkeit
sdie ebenso schwer. wie groß ist Jlse
steil habt den Vorzug der gttietlii
chen ugend —- tbr habt es euch
oHelleicht nicht so zum Bewußtsein
kommen lassen Aber Ja.
wirkli, lieber Freund en chwird mir
hart, ie ziehen zu lassen. Jch hätte
Sie gern noch länger und sester an
mein Haus gebunden gesehen-»
Nun ja, die Pflichten —- wir wissen
ja alle gleicherweise wag uns bindet.
Aber unt eins bitt ich Sic: behalten
Sie uns lieb.«
Herr o. Ilotow gab ihm die hand.
Er sagte nichts, und auch Marga
schwieg. Ulrichö blasses Gesicht blicite
zum Fenster, das den gliihenken
Sonnenuntergang des Grunewalds
auffing Es sah sast aus, als ob der
Kleine lächelte.
Nach dem Essen wurde bald Nacht
gemacht. Herr o. Flotow mußte mor
gen schon utn 6 Uhr heraus, und
Anton Greoenberg sorgte bis zutetzt
mit ärztlichem Eises, daß sein Pfleg
ling sich nicht zuviel zumutete.
Am Morgen standen, gegen die
Verabredung. doch Marga und ill
rich in der Halle, als der reisefertige
Gast, bleich, aber frisch, zum Auto
mobil hinaus wollte. Er drückte
Marga die band und tiiszte seinen
kleinen Freund —- dann stieg er ein
nnd tlemtnte Anton Gredenberg, der
noch an seinem Gepäck ordnete, sast
die Hand in die Wagentiir ein. Noch
ein Winten —- dann davongesaust.
Eine plötzliche, löbrnende Ferne. Ul
rich starrte der Staubwolle nach.
Marga aber wandte sich weinend ab.
—- »ttiun, Kind,« tröstete der Gatte,
sie umsangend. »Man darf sich nicht
so hingeben. Ich bitte dich.«
Der türkische Eulenstiiegeb
Der deutsche Eulenspiegel, der
Erzsihelin, hat in der Iuitei ein
Seitenstiiet in Nase Cddiri dessen
Streiche auch in deutscher Ueberset
zung erschienen sind. H:er ein paar
Proben
Das Badegeld.
Nach einer Krankheit, die ihn ge
nötigt hatte, siir liingere Zeit das
Bett zu hüten. ging Nase Eddin
zum erstenmal wieder ins ossentliehe
Bad, ivo inzwischen neiie Leute un
gestellt waren, die ihn nicht rann-en
Als die Wär-irr bemertten, daß er
nicht die Kleidung eines seiiken Mun
nes trug, behandelten sie ihn nicht
sonderlicy freundlich, sondern gaben
ihm ein altes Badetiich und eine
schmutzige Schutze, wie sie sich auch
in ihren iveiiern Hilfeleistungin taig
gegen ihn zeigten.
Nachdem er mit dein Bade fertig
war, verließ er den Ort, ohne ein
Wort zu sprechen, iviirs aber ziir
größten Verwunderung des Perso
nals zehn Asper aus den Zahltisch,
einen Betrag, den selbst oeriiiögeiide
Leute tauin zu geben gewohnt ira
ren.
Einige Wochen sviiler iani Nase
Eddin wieder in dasselbe Bad, und
eingedenl der reichen Spende von
damali, behandelte ihn das Perso
nal init außerordentlicher Freund
lichkeit. Wiederum sprach er tein
Wort, legte jedoch, als er wegging,
diesmal nur einen Asper aus den
ZWHM
Lrstaiint iiber diesen geringen Be
tr«.,g fragten die Badetviirtm »Den,
was bedeutet das?«
,,,O es hat alles seine Richtigkeit,«
gab Hodseha zurück. »Dieser Asper
ist die Bezahlung sür das vorige
Mal; die beim vorigen Mal von inir
gegebenen sehn Asper aber sind die
Bezahlung siir heute-« Damit ging
er.
Das Almosen.
Eines Tages trat Nasr Eban
eng der Moschee und fand vor der
Tür drei Blinde, die ihn einer nach
dem anbern um etn Almosen baten.
Er griff in die Tasche, tnertte inm,
daß er tein Geld bei sich habe; da ek
jedoch aus seine Weise eine Wohltat
verrichten wollte, sagte er: »Da habt
ihr einen Piaster. teilt ihn unter
euch.«
Die Blinden, in der Meinung,
daß rr das Geldstiick irgendeine-n
von ihnen in die Hand gedrückt,
banttm dein Spender voller Freuren
nnd slehten den Segen Allahs auf
ihn herab «
»Nun wollen wir teilen,« nahm
einer von ihnen das Wort.
«Wer’5 hat, der lasse wechseksi·«
sagte der andere.
Jeder von ihnen aber versicherte
»Jch habe nichts, du mußt es ha
ben.«
«Rein du!«
Von Mißtrauen erfüllt, das sich
alsbald zur Wut steigerte» gerieten
sie einander schließlich in vie Haare,
nnd es entstand unter ihnen eine
mörderische Prügelei. -
Rate Ebdnt ah abseitsstehenb
dem Treiben eine eile belustigt zu,
dann näherte er sich ihnen und sagte
«Warutn haut ihr denn so toll aus
einander ledi«
Da riesen sie alle zu gleicher Zeit:
»Der ihn hat, will den Muster nicht
teilen!«
«O weh, ich sehe, er ist aut vie
Erde gefallen. Da will icb ihn zur
Strase iiir eure Raublust doch lieber
Wieder einstecken,«« sagte der lustige
stude- md sing lachend Davon.