Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 12, 1916, Sonntagsblatt, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Sonntagiblatt de
Skaaks Anzecger und Ilserold
,ebN ,DMI erst-«
Väter-.
Kricgzslizze von Else Krafsh
Der schreckliche Kampf in ten
Straßen. aus den Plänen und Wie
sen der Stadt hatte aufgehört.
Jn wilder lucht waren die Fran
zosen durch de bergigen Wälder zu
rückgejagt, das Brüllen der Kano
nen war verstummt, und nur verein
zelte Schüsse von der breiten Wald
gren e her perrieten den Einwohnern
die Derfolgung ded Feindes.
Frau Anna Biidentamp, die im
verzweifelten Gebet stundenlang ihre
Kinder im Arme gehalten, hob wieder
nnd wieder lauschend den Kopf.
Nachdem das Licht ausgebrannt
und auch der legte Dämmerschein von
draußen vor dem vergitterten Keller
senster verschwunden war, konnte
man tanni noch die band vor Augen
sehen. Auch die Kinder schrien und
weinten nicht mehr, hielten sich nur
noch angstvoll und zitternd an ihrem
Kleide fest, und Großvater, der in
den ersten Stunden immer noch laut
gebetet oder der Tochter gut zuge
sprochen hatte, war eingeschlafen und
saß zusammengelauert in einem Win
lel voller Flaschen und Weinsässer.
Die junge Frau tastete in der
Dunkelheit nach ihm und rüttelte an
der hageren, reglosen Schulter.
»Gros3vater... sie schießen nicht
mehr m der Stadt... Wach’ aus«
Großvater!"
Es dauerte aber sehr lange, bis
der alte Mann völlig begriff. Schlaf
trunlen taumelte er hoch, öffnete die
Kellertür und horchte in das ver
schlossene Haus hinein. Als sich dort
nichts regte, schlürfte er die Treppe
empor« sah in die Küche und Stuben
und rief, da alles still blieb, Tochter
und Enteltinder aus ihreni Versteck.
Toumelnd schlichen die drei über
die tnarrenden Stufen in die erleuch
tete Schlaftammer, wo Frau Hanna
die Kleinen, die vor Miidigteit und
Erschöpfung Hunger und Durst ver
gessen hatten, fosort ins Bett brachte.
Wieder und wieder litfite sie die run
den, verweinten Gesichter und sprach
dar- Abendgebet heute ganz allein.
Nur der Großvater-, der schwer at
mend in seinem Lehnstuhl saß, innr
rnette ein paar Worte mit, den wei
ßen Kopf schon wieder halb heran
tergebogen, nnd die Augen geschlossen.
»..und vergib uns unsere Schuld,
«.. wie wir vergeben nnsern...« da
war er schon wieder eingeschlafen.
Die junge Frau raffte sich niit Ge
walt zusammen, nin nicht auch uni
zufallen. Sie ging ein paar Schritte
bis zur Nematode, too das Bild ihres
Mannes stand, der seit Wochen ir
gendtoo da draußen für das Vater
land tiirnpite, und nickte dein lachen
den Gesicht unter dem Glase auf
schluchzend zu.
«Fronz..." bat sie hilflog...
Aber ihre ausgeflreckte hand blieb
ieer... ihr banger Ruf verhallte, sie
war ganz allein in ihrer großen
Angst und Herzens-not
Sie hatte noch die Kraft, die Tür,
die nach hinten in die Küche führte,
zu öffnen und leise wieder zu schlie
ßen, dann fant sie wie leblos auf
den Stuhl, der gerade im Wege
stand, hart mit dein Kopf gegen die
dicke Holzlehne auffchlagend.
Wie lange sie so gesessen. wußte sie
nicht. Ein Wehen von tühleni Nacht
wind lain von irgendwo, und das
Rauschen von Bäumen im Garten,
der unter dein Küchenfenster lag.
Das Gesiiht, daß da ein Flügel
offen stehen mußte, risz die funge
Frau ivieder hoch. Und da... fa...
was war denn da noch, was gewalt
sam ihren Kopf herumzwangi Ein
Stöhnen, laut und aualvoll... wie
sie es nie vorher zu hören geglaubt.
Es til-ertönte das Wehen bei Win
des, das Blätterrauschen, das ferne
fallen von Schritten und den dump
en Liirm aus dem Innern der zer
Legossenen Stadt, aus der nach stun
langem Ringen die Franzosen
vertrieben waren
Frau Hannn war plötzlich wieder
ganz frisch und stark. Da unten in
ihrem Garten lag ein Mensch der
verwundet war... der Nachbar der
leicht, der sich zu früh aus dem Haufe
gewagt, die Nachbarin... oder
gar ein Freund, ein Verivandter aus
der Stadt, der gewußt hatte, daß sie
hier draußen allein mit den Kindern
und dein alten Vater geblieben, und
der nach ihr sehen wollte. Und er war
getroffen worden von den schrecklichen
Gelchossen... vielleicht von einein
fliehenden Franzosen dilttqs erlchtai
gen, als er ihm in den Weg tam
O, wie sie diese Feinde haßte...
daste« mit den bleichen schwarz
bärtigen Gesichtern und den finsteren
heimtiickifchen Augen!
Nun aber waren sie fort... Itih
vertrieben von den braven deutschen
heranttitrmenden Soldaten« die Stadt
wieder deutsch«. .hlieh deutsch...«
großer Gott, sie mußte ja deutsch
bleiben, wenn nicht alle-, was recht
und heilig war, log...
Die junge Frau strassie den
schmerzenden Körper und strich sich
die zerzausten blonden Haare aus dem
Gesicht. Var einer halben Stunde
noch hatte sie in Furcht und Grauen
vor den Franzosen gezittert... seht
...n)a das Stöhnen von da unten
immer stärker wurde, kannte sie plöhs
lich teine Furcht mehr.
Sie öffnete die Küchentiiy schritt
iider den Flur und schloß das noch
mit dicken Holztlarnmern derrammelte
Hauötor aus« das nach hinten hinaus
in den Hos führte.
Alles war hier still... nur im
Stall mecketten die beiden Ziegen, die
man heute nicht gemollen zum Abend,
und hoch oben über den alten Bäu
men stand der Mond, leuchteten die
Sterne...
Vrandgeruch war in der Lust; donj
drüben, wo die breite Hauptstraszef
entlang führte, Röderrollen... hu-.
schende Lichter von Laternen . ..
dann wieder Dunkelheit... tiefe
Dunlelheit ringsum . . .
Die junge Frau zündete die Stall
laterne an. die noch aus dem umge
lippten Karten stand, in dem der
Vater gestern das letzte Gras siir die
Ziegen vom Felde geholt. Jhke Fin
aer zitterten... denn da... da war
es schon wieder das schreckliche Stöh
nen . .. es kam mitten aus dem alten,
umgegrabenen Erbsenbeet, un dem
seitwärts noch die hohen Sonne-Glu
rnenstauden standen nnd die bunten,
hochstieligen Astern, von denen sie die
ersten Blüten Franz beim Abschied
an das Gewehr gesteckt...
Das Dolztiirleni stand ossen, das
vom Hof in den Garten siihrte...
und drüben, seitwärts am Zaun wa
ren die holzplanten eingebrocheii...
das Strauchwert zerknickt und das
lleine, so sorgsam gepflegte Beet der
Kinder zerstampft
Mit weit vorgebeugtem Oberler
per leuchtete die junge Frau liber
Weg und Baum, biß die Zähne zu
sammen und lrmiipste die hände um
den Rock, um sich selber in dieser
Nacht voll Angst und Grauen vor
wärts zu treiben. Vielleicht war es
auch nicht der Nachbar ode’r ein Be
lannter, der hier in ihrem Garten
lag, vielleicht war es ein armer, ver
wundeter Soldat, der, von den fran
zösischen Kugeln getroffen, seit vielen
Stunden hilflos verblutete... einer
von den tapseren Rettern der Stadt·
Frau hanna hob die Laterne hö
her, als sie an dem zerwiihlten Erb
senbeet stand.
Ein dunller, lang ausgestreuter
Körper lag da · .. beide Hände in die
nasse Erde getrampst, die Augen
starr... weit osseii... ganz dunlle,j
schreckliche Augen· Zerziiustes, schwar-’
zes Haar unter einein fremdartig geis
formten Miva der blaue Rock ossen,s
unter der freien Brust rote, brennen-»
de Dosen, genau so brennend, wie;
das Blut in dein geöffneten Heindj
iiber dein Herzen».
Frau hanna starrte entsetzt in das«
wachsgelbe, verzerrte Gesicht. Hob sich
nicht der Arm dort... regten sich
nicht die Hände... drohend und ver
nichtend?
Mit einein Ausschrei taumelte sie
zuriick und lies das Stück Garten·..
durch den Hof zurück... Gott sei
Dant, nun ioar sie im haus.
Kein Freund... lein Deutscher
lag da unten, ein Franzose war in
ihrem Garten, einer von den Fein
den, die so viel Unheil iiber sie und
alle gebracht, die lisher im Frieden
lebten.
Was hatte sie denn überhaupt da
draußen wollen, als sie so schnell und
uniiderlegt in den Gatten hinauslksi
Helsens Ja, einein Deutschen hätte
sie wohl geholfen, einein Franzosen
nie! Mochte er verbluten und
sterben·.. aber eine Hand rühren,
daß er weiter-lebte, daß einer mehr
war von diesen Feinden? Nie!
Frau Hannn zitterte von Minute
zu Minute mehr. Jn die Kammer tief
sie, wo die Kinder schliefen, wo der
Großvater immer noch reglos in tei
nem Stuhl friß, wo mich das Bild
ihres Mannes auf der Kommt-de
stand, lächelnd, als iei nicht Krieg
draußen, als sei er noch tin-»
»Frqnz...« bat sie veriiört...
Er antwortete nicht. Sie wußte
nichts von ihm». drei Wochen tang.
Mußte nicht, ob er hungrig war oder
satt, ob er ein Lager hatte zum Aus
ruhen oder ob er schon kalt und steif
in fremder Erdei i.ag
«Frt1nz...« schluchzte die junge
Frau anf. Was wnr denn mit einem
Male? Was sah sie denn da siir ein
Bild ptöhlich... wie hergeweht, wie
hergezaubert in dieser Standes
Ein heller, geliebter Kopf, indes
Ivund in Nacht und Grauen und
Einsamkeit, ringsum Feinheiten-d . . «,
fremde Erde. » fremde Menschen, zu
denen er hinaufstöbnte in seinen
Schmerzen, und die es nicht hörten
... nicht hören wollten.
«Franz ...« schrie Frau Hanna
zum dritten Male. Sie schrie so laut,
daß der alte Mann in seinem Sor
genstubl aus Schlaf und Schwäche
hochfuhr. Selbst die miiden Kinder
töpfe regten sich«. »Papa«.» sagte
der Junge... halb in Traum...
Jm nächsten Augenblick stand Frau
Hanna vor dem Vater und hielt sei
nen Arm. -
«Großvater, um Gotteswillem
Großvater, schlafe nur setzt nicht wie
der eint Da unten liegt jemand in
unserem Gatten . . . verwundet, ver
blutend... er stirbt, wenn du jetzt
weiterschliifst... Großvater! hilf
mir » . ach hilf mir doch . » daß wir
ihn ins Haus tragen-«
Der alte Mann blinzelte ein paar
mal in das verstörte Frauengesichi,
dann lief er mit hinunter, so schnell
ihn seine alten Beine tragen lonnten.
Er sprach nichts, und er fragte
nichts, auch die talte Nachtluft piirte
er nicht aus die hager-e, alte Brust
wehen, die so oft vom Husten durch
schüttelt wurde. Er lief der Tochter
m den Hof, den Garten nach, stol
perte über Strauchwert und Wurzeln
und fuhr sich wieder und wieder mit
der Hand iiber die Augen, um völlig
munter und frisch zu werden. Bis
Frau Hanna zitternd stehen blieb und
sich irgendwo festhielt, damit sie auf
recht stand in dieser Stunde...
Der Berwnndete lag jetzt still. Er
stöhnte auch nicht mehr. Seine Augen
waren gefchlossen, die vorhin ge
lrampte hanb war aus der nassen
Erde hochgetommen und hielt, wie
Schutz suchend,·einen dunklen Gegen
stand mit den steifen Fingern unt
lrallt, der noch halb in der Brusttas
fche des geöffneten Rockes steckte...
»Jst... ift... er tot?« stotterie
die junge Frau entsetzt. »Ja, er ist
tot, Großvater,« schrie sie auf.
Der alte Mann beugte sich nieder,
hob die Stalllaterne, die er der Toch
ter aus den zitternden Händen ge
nommen. -
»Faß an,« sagte er, »der ist noch
Blut... nein-« so geht das nicht«
Hanning, Du mußt an den Beinen
anfassen.'«
Sie gehorchte. Das flackernde Licht
der tleinen Laterne verwirrte sie vol
lends. . . sie sah lein fremdes Gesicht
mehr mit fchwarzen Haaren, keine
frindliche Uniform... sie sah nur
Blut-» Das sickerte langsam über
eine geliebte Brust... färbte helles
Haar... rann bis zum Herzen, das
plötzlich stehen blieb, und nicht, nicht
mehr schlug . . .
»Nein," schluchzte sie auf... »lie
ber Gott, nein... Franz lebt... er
muß ja für uns leben da draußen.«
So trug sie den fremden Mann
mit dem Vater ins Haus. Langsam,
vorsichtig, Schritt für Schritt durch
die weichen Gartenwege, über den
steinigen Hof . . . und nun die Treppe
hinauf bis zu der Stubentür, dahin
ter ihr seit zwei Nächten unberührteö
Bett neben dem leeren ihres Mannes
stand.
Der Großvater bliclte schwer ai
mend hoch mit seiner schweren, reg
losen Last. Er wußte offenbar nicht,
ob die Tochter damit einverstanden
war-, den fremden, halbtoten Mann
durch diese Tür in ihre Schlafkam-;
mer zu bringen.
Aber sie hatte schon mit dem Eli-:
bogen die Tür aufgestaszen. Jrgend
etwas trieb sie vorwärts, ließ te er
schauernd alles Grauen vor iesem
Gesicht vergessen. Sie wußte nur eins
». »was du an diesem hier tust,
tun vielleicht andere an dem gelieb
ten Mann da draußen...!«
Nun lag der Vertvundete auf dem
breiten Bett, über das sofort die
s tvarzen Erdlrumen bröcketten, die
il rall an dem Tuch der Unisorm
sestsaßen.
Frau hanna sah es nicht. Nicht
den Staub und den Schmutz des
Körpers von dem der Vater den Rock
herabgezogen hatte, um die Wunde
zu untersuchen. Der Puls schlug noch,
das herz klopfte in ganz trägen, mü
den Schlägen, er war noch nicht tot,
der sranzösische Soldat, der sich in
seinen Schmerzen sliichtend, in den
stillen, fremden. deutschen Garten ge
schleppt...
Frau hanna hatte Wasser geholt,
Verbondzeug und Karl-ol. Der akte
Vater hatte schon mehr wie einmal
Wunden verbunden, das verband er
gut.
Nun wusch er den Besinnungsloi
sen, stillte das immer noch rinnende
Blut mit Watte und sprach tetn
Iort davon, daß er ein Feind war,
dem er diese Samariterdienste tat.
Ob er ei schon wieder vergessen hatte,
daß er noch vor wenigen Stunden
da unten tn dern verschlossenen Kel
ler allen Franzosen den Tod Ie
wünfchh daß er die Fäuste geballt,
mit denen er jedem einzelnen diej
Gu el zudriicken wollte, wenn er un
ter eine Finger kam?.. Z i
an hanna hatte plötzlich nichts
mehr zu tun.
legWer Vater deckte den Kranken zu,
ihm Kompreffen auf die Stirn
und horchte weiter an feinem Herzen
ebenan schliefen die Kinder in
ihren Betten, die Nacht draußen wur
de immer dunkler und stiller, und das
Bild des fernen Vaters lächelte im
mer noch unter dem Glase...
Die junge Frau schlich sich lang
fam aus der Stube. Der große Auf
ruhr in ihrem Herzen hatte sich ge
legt« und sie biß die Zähne aufeinan
der,; um nicht aufzufchreien in all
dem Wirrwarr-, der über sie hereinge
brochen. Sie hatte einen Feind im
Hause« .sie hatte vielleicht fein Le
benkgeretiet, damit er später ein an
deres zerstörte» . war das recht ge
inni»
Auf dem Treppenfenfter ftcmd noch
die brennende Stalllaterne, die der
Vater da hingestellt. Und dicht vor
ihnan der obersten Holzsiufe, lag
eiwag Fremdes, Schwarzes«. lag
dasfelbe, was der Verwundrte da un
ten im Garten mit den Fingern fefti
gehalten und dann, als man ihn
hinauftrug, wohl unterwegs verloren
hatte...
Frau Hanna bückte sich jäh und
hob es auf. Es war eine Brieftafche
aus zerfchrannniecn Leder... Blut
flecke darüber, die noch feucht wa
ren...
Die Finger der jungen Frau zuck
ten so, daß die Tasche wieder zu Bo
den fiel nnd geöffnet liegen blieb. Al
ierlei Papiere flatterten durch die
heftige Bewegung ausJ dem Leder,
und dicht vor den Frauenfüszen blieb
eine Photographie von zwei Kindern
liegen, die genau in dein Alter zu
sein schienen wie dort drüben die zwei
schlafenden Kleinen in ihren Betten.
Jin nächsten Augenblick hatte Frau
Damm das Bild aufgehoben. Da
ftand etwas geschrieben unter dem
weisen Karten « ganz ungelenkig,
wie der Junge feinem Vater damals,
eile Franz in den Krieg mußte, »Gott
behüte Dich, lieber Papa« . . auf die
gemeinsame Photographie von Frau
und Kindern getritzelt, und das sich
Franz so zuversichtlich lachend in die
feldgraue Unisorm gesteckt. ..
»Natürlich wird mich der liebe
Gott behüten, Kinder-, wenn Euer
Bild bei.mir ist."
Das hier war auch ein Kinderbild
.auch eine Kinderhandschrift, steif
und groß, wenn auch in fremden,
französischen Buchstaben
Die junge Frau las . buchfta
bierte... und sentte den Kopf tief
...immer tiefer über das Gelesene.
»Que Dieu te protdge, cher Papa!«
Ein Weilchen stand sie noch, un
fähig so rasch alles zu begreifen
und zu verstehen, was da auf sie ein
stürnitr. Dann ging ein tiefer be
freiender Atemzug durch ihren Kör
per... ein Lächeln kam in ihr star
res Gesicht, das erste warm, mütter
lich und voll Liebe.
So ging sie weiter, klinkte leise die
Tür zu der Kammer auf, wo der alte
Vater bei dem verwundeten Franzo
sen am Bett stand und gerade die
ausgestreckte Hand festhielt, die
schwach nach seiner gegriffen.
»Er lebt,« durchsuhr es Frau
hanna frohloctend·.. »er soll auch
leben, genau so leben wie unsere
deutschen Väter-, für die ihre Kinder
zittern und beten."
Sie trat an das Bett, sah in weit
geöffnete, bittende Augen, sah ein ar
mes, von langen Entbehrungen im
Felde gezeichnetes Gesicht und hob die
Hand mit dein fremden Kinderbiide,
mit den fremden Worten: »Que Dien
te protdgr. cher Papa.'«
Still legte sie das auf die Bett
decte, sah, wie zwei roachgg:!be Hände
danach griffen·..; hörte ein paar
französische titnternatnen beinahe
janchzend». und ging still wieder
hinanz... hinein zu ihren eigenen
Kindern nnd zu dein lächelnden Bilde
ihres Mannes.
Dort sank sie in die Knie.
»Franz ..« schluchzte sie unter
Weinen nnd Lachen« »du wirst leben
wie dieser Vater, den ich feinen Kin
dern erhalten habe, so Gott es will.«
Stumm lächelte das Bild weiter-.
ftolz und zur-ersichtlich wie alle deut
fchen Krieger lächeln...
sie beiden Gefangenen.
Sitzze vcn Crdmann Graescr.
Beim Transnort durch lnie Stadt
nach dem Gefangenenlager fielen
diese beiden Rassen sofort anf. Sie
kamen übrigens zu verschiedenen Zei
ten: Jurij Ssemanow war bereits
Hi Tage da, all man Andrei Tschers
Iotv ärachtr.
Während die anderen Gefangenen
in iyrem tlobigen Schuhwert iiber
das Kastnkopspslaster des Markt
platzes dahinstapften, alle von glei
cher Größe und mit denselben start
inochigen Gesichtern, die sich rechts
nnd links wandten in stumpfsinniger
Neugier, hatten uiese beiden vor sich
hingeschm, als .itten sie unter den
Blicken der Leute-. Sie fühlten, daß
sie besondere Aufmerksamkeit erreg
ten durch ihre schlanke Gestalt, die
hohen Stiefel, den ganzen Eindruck
ihrer Erscheinung.
Man hatte wenig Umstände mit
ihnen im Lager, sie lärmten und san
gen nicht wie die anderen, hielten sich
gern abseits —- vor allem beim Essen
—, liebten die Einsamkeit.
Dann, als die erste Vorsriihlings
seit tam, fügte es der Zufall, daß sie
derselben Arbeitslolonne zugeteilt
wurden. Sie beobachteten sich ein
paar Tage verstohlen, sogar voll
heimlichen Mißtriiuene, schließlich
sprachen sie ein paar Worte miteinan
der, schienen sich zu ge,«allen und nun
froh zu sein, daß sie unter den anne
ren nicht mehr ganz so einsam
waren.
Eines Abends — der letzte Schnee
war jetzt geschmolzen, die Felder
dampsten morgens-, und in der Däm
merung und in der grauen Lust klan
gen schon manchmal fremde Vogel
stimmen —- sprachen sie von der Hei
mat, zum ersten Mal.
Andrei Tschernocv war »in-S Mos
kau, Ssemanoro stamnite aus Peters
burg. Der Krieg schien beiden geles
gen gekommen zu sein« hatte sie ris
senbar ans Verhältnissen befreit, die
ihnen schon lange unerträglich ge
wesen sein mußten· Draußen aus den
Feldern, ivo sie arbeiteten, stand eine
alte, morsche Weide — dort ivar ihr
Platz iii den Feierstunden .
»So ist mein Herz« — sagte Sse
manow plötzlich, als sie heute, am
Sonntag, zusamniensaßen, und
klopfte ans den geborstencnStamm,
der innen hohl und «veetohlt war
»Meins ist auch vorn Blitz ge
trossen,« erwiderte Tschernoiv.
Dann sahen sie beide ins Gezweig
schinimerndes Griiii nnd Blüten
iätzchem zwischen denen schon eine
Biene summte.
»Sprich, Bruder- erzähle,« sagte
Ssenianow, als er sah, dasz dem
andern die Augen feucht wurden.
»Es gibt nichts zu erzählen...«
Aber plötzlich umtlammerte Tscheri
now den Stamm, preszte sein Gesicht
nn die morsche Rinde und schluchzte.
Sseiiianoiv schwieg, wartete erge
ben ab, bis Tschernoiv ruhiger wur
de. Vom nahen Städtchen her trug
der Wind die Klänge einer Zieh
harmonita herüber — sehnsüchtige
Töne, deren Wehmut hier draußen
in der Stille der Felder noch stärter
tiihlbar wurde.
»Jst’s die Heimat, Andtei?«
Tschernoiv schüttelte den Kopf.
»Was soll ich dorti«
»Und was soll ich dart!« sagte
auch Sseinanoiv. »Mein Gliiei ist
tot!«
»Keine Kugel wollte mich tressen·«
»Und hätte ich sie mit der Brust
ausgesungen, sie wären abgeprallt,«
sagte Ssemaiioiv und spie aus.
Seine Hand hatte in dek lockeren,
schwarzen tssrde eine-:- stifebenMauk
iriurseihiigelf sen-Ihn —- ietzt starr
te er sie alt, .il-3 sit-e er etwas.
Freude-L lief-. sie sinken and sciiszszF
»Wie Aliidiich will- ixii -—« Lillbkki
Tschernoio sprach halblaut vor sich
hin — ,,Nastas3ja hatte inir zwei
Kinder geschenkt —- eiiien Jungen
und ein Mädchen —- sie liebten mich
sehr -—«
»Und sind gestorben?« fragte Ese
monoto
«
»Sie leben —
»Und sie —— Deine Nastaskj a?«
sorschte der andere wieder.
Tschernotv aber beachtete die
Frage nicht« »Unser Haus tvar stets
voller Gäste,« sagte er, ,,sie kamen
und gingen und sprachen in Ehrer
bietung von antaßja, die ich aus
Liebe geheiratet Sie war die Toch
ter eines Generals —- streng erzo
gen —, wagte lanm die Augen aus
zuschlagem als ich um sie tvarb. Sie
blieb mädchenhast, selbst als die
beiden Kinder gekommen waren —«
»Was schwärmst Du,Bruder, was
ist mit ihr?« fragte Ssemnnow un
geduldig.
»Leo Wetlugin schickte ihr ost
Blumen.«
»Wer tvnr das?«
»Ein reicher Gutsbesitzer, der in
Moskau lebte. Er liebte den Wem
— und die Pferde — und die Frau
en. Hätte ich ahnen können —«
Tschernows Stimme brach wieder.
»Nun also, Bruderherz, sie ist Dir .
untreu geworden mit diesem Schust
von Gutsbesitzer —- tröste Dich,Du
bist nicht der erste, dem das ge
schiebt!«
«...Dätte ich ahnen tönnen,«
wiederholte Tschetnow, ohne den
Kameraden zu beachten. ,,Jn der
Trunkenheit verriet er sich selbst,
spielte den Großmütigen. »Und
wenn Sie’s nicht glauben," schrie
er, »fragen Sie Nastaßja, von wem
das Tänbehen den Diamantring be
kommen hat.«
»Und hast Du sie gestagt2«
»Sie gestand sofort —- —"
»Nun —- und was weiter-i«
»Und als ich ihr verzeihen wollte
und sagte: »Mit Rücksicht auf das
Glück der Kinder —«, da sah sie
mir kalt ins Gesicht und lachte.'«
»Ja — so sind sie — diese Hol
den — diese Feinen — diese zarten
Engel, —- mit den roten Lippen nnd
dem weißgepuderten Näschen. Hast
Du ihr die Kehle zitgedriickt?«
»Sie hat mich verlassen — mit
den Kindern — ist zu Leo Wetlus
gin gegangen. Jch habe sie ziehen
lassen, denn ich wollte ihrem Glück
nicht im Wege stehen!«
»Hahaha! Du bist ein Rechtgläu
biger, Bruderherz, ich merke schon,
alle Schuld war bei Dir, Du hat
test das Teufelchen ernachlässigt!«
Tschernow schwieg, chien zu be
reuen, daß er sein Geheimnis ver
raten, und nagte an der Unterlippe.
Ssemanow sah, daß er den Ka
meraden verstimmt, reckte seine
mächtigen Glieder nnd sann nach.
»Da war —,'« sagte er, und seine
Stimme llang widerwillig, als är
xsere es ihm, nun auch etwas er
zählen zu müssen —- ,,da war in
Petersburg eine, die allen die Köpfe
verdrehte. Gott weiß, aus welchem
Gouvernement sie gekommen war.
Sie nannte sich Linn Fotin, war
leich, und es galt als besondere Eh
re, mit ihr im Schlitten zu den Zi
geunern zu fahren. Jch hätte mich
wohl nicht um sie »geliinimeet, wenn
sie es nicht getan —«
»Schweig’, Bruderherz, das ver
stehst Du nicht! Wenn so eine schö
ne Frau tommt und bittct und wie
ein treues Hündchen wird —, ich
ließ es mir gefallen. Einmal,dacht’
ich, ist es ja doch zu Ende. Und so
war es auch, aber da verdroß es
mich. Jch liebte sie also doch, hatte
es nur nicht gewußt und wollte es
ihr auch nicht zeigen; und als ich
Gewißheit bekam, daß es noch einen
anderen für sie gab, da konnte ich
sie nicht mehr entbehren und schwieg
Das ging so einen ganzen langen
Petergäuxger Winter durch —- und
man hatte schon wieder aufgehört,
mich mit meiner Liebschaft zu necken,
nannte inich nur noch den »Philoso
heii«'.
»Ich habe sie alle enttäuscht,« sag
te Ssemanoiv, als er ein Weilchen
nachgesonnen, »denn da tam dann
ein Abend, der über Lisas Schicksal
entschied.«
Tschernow sah ihn an, ohne zu
verstehen.
»So begreif doch, ihr Schicksal
entschied sich —- im Konzertsaal bei
ten Zigeunern, schoß ich ihr eine
Nevolverlngel durch die Schläfe.«
»Ja —- aber warum denn?« schrie
Tschernolo aufspringend, »Du wuß
test doch sochn lange, daß sie Dich
betrog —- ioenn Du es gleich getan «
l;ättest!«
»Das hat man mich nachher auch
Vor Gericht gefragt. Und als ich
ten Grund angab, hat man mit
nicht geglaubt — nnd dcch war es
so «
,,Wlls?«
»Als sie da durch den Saalging,
das rote Seidentleid hinter ihr her
lchleppte, war ihre Schönheit mir
koiderwärtig Sie glich einer
Schlange einem bösen, giftigen Ge
schöpf, bestimmt, noch viele nach mir
unglücklich zu machen.«
»Und Deine Strafe?"
»Ich hatte sie fast berbüßt, als
«er Krieg ausbrach, wurde ich be
qnadigt.«
Noch immer klangen drüben, vom
Ztädtchen, die Töne der Harmo
nita heriiber, und die beiden lausch
ten jetzt stumm, sahen sich nur zw
rrieilen forschend an.
»Aber — warum leidesi Du jetzt
ioch2« fragte Tschernoiv dann.
»Weil ich Lisa Fokin — dieses
Tenfelchen — nicht vergessen kann.
Die Liebe frißt in meinem Herzen
vie ein Wurm und höblt es aus!«
Nachdenilich kehrten sie beide ins
Lager zurück.
Ein paar Tage später kramte
Isemanow unter seinen Sachen,
sand eine Photographie, starrte sie
ange an, seuszte und wandte sich
in Tschernow, der am Fenster saß
,,Das war sie,« sagte er.
Tschernow griff nach dem Bild
—- aber plötzlich weiteten sich seine
nagen vor Entsetzen,und dann stieß
er einen Schrei aus, der alle er
"chreckte: er hatte Nastaßja —- sein
Weib, erkannt.
Seitdem sprach er nicht mehr,
rachtg aber hörte man ihn stöhnen
md weinen.