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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (Sept. 28, 1916)
Sonntag-blau de Staaks Anzeiger und Ren-old audJsla ich-M ,D·I ImerstHgdms. Scptnmber 116 Zni gestiegen Novelle isoii Jngcborg Andresein Wieble Mhlius schritt mit ihren leichten behenden Schritten durch die liihle sliesenbelegte Vordiele. Da vor ne an der Haustür stand der große Schrank aus Birnbauinholz, in den zwischen Alabastersäulen ein wunder volles Spiegelglas eingelassen war. Dort liesz sich am besten der hut auf fesien und der Schleier binden. Wied le Mylius pflegte diesem Teile ihrer Toilette immer besondere Sorgfalt zu widmen. Es war ihrer allem Hef tigen und Gewalttätigen abgeneigten Natur peinlich, zu einer Gesellschaft mit verwehter und zerzauster Frisur anzuloininem selbst wenn man es so zwanglos vorfand, wie sicher ans Ro smhos, wo Frau Deichgraf Ebsen stets eine ganze Reihe Gastziinmer iir den aiilommendeii Besuch zur erfiigung hielt. Außerdem aber hatte sie Vater heute so lange mit Bitten bestürmt, bis er ihnen die ge schlossene Chaise zur Fahrt nach No senhos erlaubte. Er war sonst nicht dafür, denn er fand es allzu groß artig und anspruchsvoll, wenn das junge Voll im geschlossenen Wagen fahren wollte —- den benuhte er nur bei besonders seierlichen amtlichen Anlässen. Wieble lächelte befriedigt ihrem Spiegelbild zu: sie sah wieder «siisz« aus, wie sie sich selber gestand. Zart und hellblond, ein richtiges Rot-ita gesichtchen, dein selbst das pilante SGnheitspslästerIen in Gestalt eines winzigen eberfleclchens ani Kinn nicht fehlte. Nur das allzu helle Blau ihrer Augen verursachte ihr Kummer; doch waren sie in letzter Zeit entschieden dunller und träume rischer geworden, wie sie feststellte. Wohl infolge des inneren Erlebens der letzten Wochen — noch einmal lächelte Wieble selbstvergessen ins Glas. Jm gleichen Augenblick über og ihr Gesicht ein jähes Erschienen, se fühlte sich in ihren innersten Ge danken ertappt und belauert; über iihre Schulter sah das Gesicht ihrer iiiltereii Schwester Merket ihr entge s Lehnsmann Murme- utoquchs, rote Merret im weiten Umkreis genannt wurde, war das gerade Gegenteil der zierlichen Wiebte, groß, trästig und breitschultrig, mit starlem braunro tem Haar und dunkelblauen Augen. Merret Mylius’ starle Brauen hatten sich sinster zusammengezogen und in ihren Augen lag ein Aus druck, der wenig zu einem Fest zu passen schien. »Bist Du bald einmal fertig? Du weißt doch, daß der Fuchs nicht so lange vor der Deichsel stehen mag!«· Jhre Stimme klang herb und unfreundlich, dabei sahen ihre Augen noch immer wie die der Schwester unverwandt ins Glas. »Der Fuchss« Wieble starrte im Spiegel der Schwester ungläubig in das drohende Antlitz. »Der Fuchs? Wir nehmen doch die Chaise mit den beiden Schimmeln! Vater hat es mir heute mitiag zugesagt-« Merret lächelte höhnisch aus: «Glaubst Du, ich will im Zuckeltrab aus Rosenhos vorsahrens Mit der Begräbnislutsche hinterher? Nur da mit Deine Locken nicht vertvehen?« Der Schwester zartes Puppenges sicht verzog sich weinerlich: »Ich mag aber nicht den Fuchs, und die ossene Gig! Bei diesem Sturm! Du brauchst doch nicht selbst zu fahren — das tann Thomas ja tun! Seh Dich zu mir in den Wagen, Merret!« Das Lehte llnng wie eine dringende Bitte, Wirth Ziige hatt-en sichzliitzz lich lvltvet gestatten turru Yiuuu umspielte ein Lächeln und in den Augen lag ein zärtlicheö Flehen Merret gab keine Antwort. Das sind die Augen, mit denen sie ihn auch ansieht! dachte sie in ausqnellen dem Zorn, und eine heiße Bluiwelle schoß ihr zum Kopf, daß ihr bunte ver-wirkende Farbslerke einen Augen blick alles zu verdecken schienen — der Schwester holdes in Erwartung gespannteö Antlitz und daneben ihr eigenes wie in einem dunklen Gefühl etstirrrtes. Mit einem Ruck wandte sie sich um: »Nein, es bleibt dabei, wie neb men die Gig mit bem Fuchsl Weißt Du nicht« baß der eine Schimmel noch immer knme Sollen sie unt aus Rosenhof auslachen, wenn wir ankommen wie Armenhiiusler aus einer Sonntagbsahrt?« Wiebke sagte nichts mehr-, ihr wa ren nun wirklich die Tränen gekom men, aber sie biß die Lippen zusam-l men und stand nur noch ein wars Augenblicke mit vorgeneigiem KovL um den verhallenden Schritten der Schwester zu lauschen. Wenn sie nur selbst hätte fahren können —- dann biitte Merket nicht ihren Willen durchgesetztl Aber sie batte nie Lust und Neigung dazu verspürt, ihr wart es immer angenehmer erschienen, alsJ ler Verantwortung ledig im Wagen zurückgelehnt sihen zu lönnen undl sich an der ihr in bunter Fülle gu-. strömenden trausen Gedanken und Bildern zu erfreuen. Daher bestimmte nun die Schwester immer allein —1 Wiebte schüttelte sich vor Unbehagen und schritt dann zögernd mit unlusl stigern Gesicht der Vorangegangenen nach. Aus Rosenhos riisteten sich die Git ste zum Abschied. Es war heute nur junges Voll geladen: die jungen Männer und jungen Mädchen von all den umliegenden Herrenhösen dursten in zwangloser Kameradschast, nur unmerklich beaussichtigt von der se tveiligen Hausfrau, miteinander ver kehren. Sie hatten alle als Kinder miteinander gespielt, lange Jahre dieselben Schulen besticht und sreuten sich nun gemeinsam ihrer frischen Jugend. Wie selbstverständlich und ohne viel Aufregung knüpfte sieh hier und da ein sesteres Band, fast immer den Wünschen der Eltern entspre chend, da der Kreis von vornherein mit strenger Auswahl sich bildete. Seit einigen Wochen ging es auf die sen Festen etwaö anders zu: lebhaf ter, lustiger, um einen Grad ausge lassener· Es war, wie wenn ein plötz licher Windstoß ilber ein ruhendes Gelvösser fährt: die glatte Oberfläche lräuselt sich und ties dem Grund steigt es rote wachgeruseneö Leben aus. Die alte Frau Deichgras Edsen sah diesem heimlichen Brodeln und Wühlen mit verstecktem Lächeln zu. Sie hatte es sich wohl gedacht, daß der Junge ein tlein wenig wie der Dreht im Karpfenteich wir-ten würde. t Nur zu — das lonnte ihrer Ansicht nach der hiesigen fchwerfälligen Art nur gut tun. Bendix Grager war der einzige Sohn ihrer Schwester, die sich frith nach einer anderen Gegend verheiratet hatte. Er kam zum ersten Mal in die Heimat feiner Mutter — nicht ohne bestimmte Absicht: das vä terliche Gut brauchte mal wieder einen größeren Barzuschuß. Doch das verriet Frau Deichgraf niemand, u mal da sich das lebhaft Sewtins «te so zwanglos zuverwirilichen schien. Sie stand in der offenen haustiin hinter ihr in der hohen breiten Diele flatterten die dnftenden Wachslichter in den silbernen Leuchtern und blitz ten die Mefsingbeschliige der alten Schranke und Truhen. Die letzten Nachztiger drängten sich um sie, siir jeden hatte sie noch ein Scherzwort, einen Auftrag siir zuhause —- dabei spiihten ihre Augen unter der schwar zen Spitzenlapotte immer wieder zu Lehnsmann Mhlius’.beiden Töch tern hinüber. Merret saß schon in der Gig und hielt die Zügel straff in den nervigen händem Sie hatte die Lippen zusammengepreßt und sah starr geradeaus in die dämmerhelle Sommernacht. Dann und wann ging es wie ein Ruck durch ihren Körper, sie riß an den Zügeln, daß der Fuchs erschrocken hochftieg und die zittern den Nüstein blähte. Ob Merret es endgültig ausgabi Frau Deichgraf seufzte ein tlein we nig ungeduldig — ihr war die ältere Lehnsmanntochter lieber als das ver wöhnte jüngere Püppchen. Na, der Junge hatte vielleicht da doch den richtigen Instinkt: er war wohl nicht der Mann dazu, einer Meeret My liuö gegenüber Herr zu bleiben. Da stand er noch immer mit der anderen zusammen, sie lachten und schwatzten und flüsterten, als ob sie sich Gott weiß was für Geheimnifse von der Seele reden müßten! Endlich nahmen sie Abschied — Bendix Grager zog verstohlen Wied tes lhand an die Lippen, sah ihr zärtlich in die lockenden Augen und half ihr dann «in«den»Ti3agen. Noch I lll OTHE, Ucc urlucu Ort-Weinen pu gleich galt, Wiebte wollte sich verbie gen und noch ein Wort sagen — da traf ein Peitschenhieb das ungeduldi ge Pferd, daß es entsetzt bäumte und dann wie rasend dnvonstiirzte — der zweirädrige Wagen schien sich auf der tollen Fahrt die steile Werft hinunter fast überschlagen zu wollen. Unter den Zurückbleibenden wurden unwil lige und ängstliche Anörufe laut. Frau Deichgraf aber lachte sorglos aus: »Gott, Kinder, was soll da pas sieren? Die Merret fährt sicherer als Jhr alle ntitetnander!« Auf dem ebenen, gut gehaltenen Weg flog der Wagen nur so dahin. Die Schwestern schwiegen beide, nur hielt die erblaßte Wiebke sich stampf hnft mit beiden Händen an der Wa genbrüftung fest. Merret hob den vorgebeugten Kopf, ein rascher ent-i schlossener Blick sprung zur« Seite und tm nächsten Augenblick wandten sich Pferde und Wagen so scharf nach links die schräg nnsteigende Deichbös schnn hinauf, dan Wiebte unwill kürlt gegen die Schwester rutschte. — »Aus den Deich, Merretlt Warum denn? Laß uns doch unten bleiben — ich bitte dichl« »Der Weg ist kürzer.« Wieder schwiegen die Schwestern. Wiebte wagte keine weiteren Einwen dungen, obgleich sie heute wie immer gegen ein starkes Unbehagen ankam-s sen mußte bei der raschen Fahrt ans dem schmalen und hvlperigen Deich iamm. Doch schob sie das mit Ge walt zurück, —- sie hatte so viel Schöneres zu denlen und zu erin nern, daß dagegen ihre heimliche Angst völlig untertauchte. Meeret hockte zusammengeduelt wie unter Frostschauern — ihr war, als ob immerwährend. eiskalte Wellen ihr über den Kopf zusammenschliigen und dann wieder eine brennende ver zehrende hihe ihr alles Denken un möglich machte. Nur sekundenlang tauchte sie gleichsam atemschöpsend aus diesen Qualen auf —- dann suhr wie ein Blid die Erkenntnis durch ihre Seele, daß ihre Liebe Narrheit und Wahnsinn war; sie wußte in stinktmiiszig um all dasUnversöhnlichs Gegensäsliche zwischen sich und Ben dix Grager, sie ahnte ihre überlegene Krast und seelische Stärke und litt alle Bitternis dieses Wissens im vor-» aus — aber gleich daraus knirschten wieder ihre Zähne auseinander und wie mit blutroter Flammenschtist stand einem Wegweiser gleich, dem sie folgen mußte, der Entschluß vor ihrem inneren Auge: Er muß mein sein! Meint Nicht Wiedtest Die fast taghelle Mittsommernacht umzog alles mit weichen zärtlichen Konturen — zur linken einen Stein wurs weit das schlafende Watt, aus dem dann ein gluetsender schmerzlich siißer Laut herübertam wie aus leich tem Kinder-traum, daran das schmale Borland mit den ruhenden Tierwe pern, die sich fast der miitterli en Erde einzufügen schienen, hier o en-« die leicht gekrümmte Linie des massis gen Deichs, heller darauf der schmale Fahrweg, dann und wann ein an der steil absallenden Jnnenseite nieder stetgendes Gatter, und zur rechten das weite alte Koogaud mit den bet steeuten Herrenhöfem die mit ihrem Patentschutz verschmolzen wie riesige« Urweltttere in der einsamen Ebene hackten. Aus Merret Minqu Brust stieg ein verzweifelter Laut, halb Schluch zen, halb dumpfes Drohen. Sie riß an den Zügeln — das zitternde schweißvedeckte Tier stand. Nun sah» sie ihrer Schwester voll ins Gesicht, ruckweise, zwischen zufammengepreßs ten Zähnen stieß sie die Worte her aus: »Wiebte.... hör!... Du mußt« Du mußt verreisent Gleich! Morgen schon!... Du sollst gehen, hörst Du! ...Jch... tann nicht mehr...« Die Jüngere richtete sich erstaunt auf, eine Frage wollte sich ihr über die Lippen drängen, aber dann kam ihr blitzartig das Verständnis und sie konnte das leicht triumphierende überlegene Lächeln um die Lippen nicht mehr zurückhalten Meeret sah es wohl taum, in drängender Unge duld hob sich ihre Stimme ,,Vekstehst Du mich nicht? Du sollst fort.·. fortr Wiebke lacht jetzt hell auf: »Das möchtest Du wohl! Aber weshalb sollte ich gehen? Jetzt gehen? Niemals tu ich das, Merret!« »Niemalg·?« Merret schrie das Wort förmlich heraus und wieder holte es immer wieder, dazu wie von Daß und wildem Zorn völlig ge tränkt den Namen der Schwester «Wiebte?l Wiebte?t« Doch die schüttelte nur leicht ver ächtlich den Kopf: »Nic! Niet« Da griff Meeret Mytiujz wie von Sinnen nach der Peitsche, ein klat schender Hieb traf das ahnungslose Pferd, ein scharfer Ruck am rechten Zügel: keezengerade stieg der Fuchs hoch, im nächsten Augenblick riß er den leichten Wagen mit sich den stei len Jnnendeich hinunter. Ein entsetz ter Schrei durchbrach die tiefe Stille der Nacht, noch ein lurzes scharfeö Krachen und Splittern, das angst volle Schnauben und Stöhnen« eines Tieres, ein paar wahnsinnig klopfen de Huffchläge auf die weiche Gras narbe der Fenne — und dann wieder lautloses Schweigen is If I Merrei Myliuz schritt unablässig in der langen Vordiele auf und nie der, nun schon zwei Nächte und zwei» Tage. Die Leute gingen ihr scheu aus« dein Wege. »Die kann nicht mal wei neni« sagte die alte Botilde Lassen ins der Küche; aber bei den andern weckte dies Wort kein Mitleid: Merret Mylius sah nicht aus, als ob sie weinen möchte. Und doch lag drinnen in der großen Vorderstube ihre Schwester auf den Tod darnieder — man hatte Wieble mtt einer schweren Gehirnerschiitterung nach Hause ge bracht. , W ! »Du, Du mit Deinem wilden Ja gen trägst die Schuld daran!'« hatte der Vater ihr im ersten Entsetzen zu .gerusen. Jhr hatte dabei keine Wim kper gezuckt und jetzt beim Aufs und Abgehen wog sie das Wort nur im mer wieder mit leiser Verwunderung iSchuld trageni Unter quälender sSchuld leiden? Das hatte ihr schon früher nur ein ungläubiges Kopf fchütteln entlockt, — wenn man so entschlossen etwas hatte wollen wie sie es gewollt, da konnte sie sich beim besten Willen ieine Reue nachher vor stellen. Sie wußte noch genau, wie sie gedacht hatte in der Minute, als sie auf das Tier losschlug: »Wir beide! Wir beide fort! Ausgeloschtt Todt« Aber dann die paar Sekunden, in de nen das Gefährt den Abhang hin nnterstürztr. hatten ihr den schon lange dahinter lauernden stärkeren Wunsch entlockt: »Sie nur! Nur sie! Jch nicht!« Und das Schicksal hatte ihr zugestimmt. Merret Mhliug trug den Kon mit den brennenden Augen hoch —- in ihr war nur ein fieberhaftes Abwarten, eine zehrende Ungeduld, sonst nichts, kein Gefühl irgendwelcher Art, das sReue und Schuldbewußtsein ähnelte. Hinter ihr klangen Schritte auf den braunen Fliesen. Sie wandte sich nicht um. Es war der Arzt, der wie der ging. Unter den blanken Brillen gläsern hervor traf sie ein forschen der Blick! »Es steht nicht zum besten, Fräu lein Mytiust Jch komme heute NachtU wieder — wenn wir diese Nacht« überstehen, geschieht ein Wunder.'· Sie zuckte nur gleichgültig die Schultern — ein anderes Wunder sollte ihr zukommen. Noch einmal traf sie der suchende Blick: »Sie fehen schlecht aus« Sehen Sie nur einmal in den Spiegel und le gen Sie sich hin!« Damit ging Dol tor Bartels leicht grüßend zur Tür hinaus· « Merret Mylisus verhielt eine Se tunde ihren Schritt —- schlecht sah sie aus? Wie aus einem dumpfen Trieb heraus streifte ihr Blick den Spiegel im Birnbaumschrant. Sie guckte jäh entsetzt die Hände aus, ein « allen brach iider ihre blutlosen Lip pen: Herrgott —- tvar sie das? Sie, Merret Mylius? Nein, nein, unmög lich —- so brach das gierige Verlan gen aus ihren Augen: Wieble soll sterben! sterbenti So grub sich der rasende Haß um ihren Mund, so la gerte sich die übermächtige Leiden schaft aus ihrer Stirn, so verzerrten die wilden heißen Wünsche ihre Zü ge? Herrgott... Herrgott: Das war Kains, des Brudermörders unseliges Antlitz! ,Sie schlug die behenden Hände vor das Gesicht und brach mit dumpfem Laut in die Knie, ihre Schultern bo gen sich wie unter einer übergroßen Last — Merret Mylius war wie durch weltenfcrne Zeiten plötzlich dem ersten verzweifelten Büßer an die Seite gerückt und schleppte dessen Riesenfluch mit. " s Al s nach einem halben Jahre Lehnsmann Myliu5’ jüngste Tochter dem Neffen der alten Frau Deichgraf die Hand reichte, war Meeret Mylius ein paar Tage früher in ein entfern tes Schwesternhaiig eingetreten — unter der dunklen entftellenden Hau be brauchten die sie eintleidenden Frauen nur noch fchneewetszes Haar zu verstecken. --. sciihlich bis aus End-. Von Haus- Flövuler. Ja, Kinder, hab' so manchen ins Gras beißen sehen; ein Paar im wei chen, warmen Bett, ein paar auf dem Strohsack, Alte und Junge, und viele, viele »auf grüner Heid’, im breiten Feld«, Junge und ganz Junge! — Ob man Geschichte-i vom Sterben erzählen foll? Na, solch Sterben, wo eine müde, lebenssatte Seele, dur stig nach einem besseren Dasein, hin überschlummert, davon laßt euch nur von der Großmutter orer dem Herrn Paftor erzählen. Aber glaubt ihr, daß einer vom Leben, vom jungen, heißen Leben mit Singsang und Klingtlang Abschied nehmen und dem Tode wie einein fröhlichen Gesellen entgegengehen kann? Nein, das dünkt euch unmöglich! Darum will ich euch erzählen, wie der Unteroffizier nnd Geschiitzführer Niilich starb. — Das war in den Kämper um Cal varja. Nachts fuhren wir in Stel lung. So deutlich schwebt sie noch in meiner Erinnerung, diese Nacht, um weht, durchhaucht von der großen, harten, überwiiltigendeu Schihheit der Nächte da draußen. Kein Stern am schwarzen Himmel, nichts, rein igar nichts zu sehen als die aus und Fnieder wippendcn Köpfe der nächsten iReiter und die unheimliche dunkle Masse des Geschiisteg vor dir. W Wir ritten Schenlel an SchenkeU Riilich und ich. Milde war ich, hunij demiide und ärgerlich dazu, weil mein Nebenmann andauernd leise vor sich hinpfisf und dem Paul vergnügt aus die Hinterbacken klopfte. ! »So halt' doch endlich das Maul, Mensch! Was hast du denn bloß immer zu pseisen?" »Was ich zu pseisen habet« Er zog die Uhr heraus: es war nach Mitternacht. »Na, heute hat doch Frieda Geburtstag; ganze zwanzig Jahre, Mensch, soll ich da nicht pie pen?« Und dann hat er mir erzählt von der Frieda und von sich. Aber das geht euch nichts an. Sie hatten sich eben lieb, und wenn der Krieg vor-; über wäre, dann wollten sie heiraten Na, da ließ ich ihn denn pseisen und stimmen. i Bei Morgengtauen waren wir ini Stellung. Eine flache Sente von einigermaßen fester B:denbeschasfen heit in der unendlichen Sumpföde Calvarjas. Als die Handa zen in die Stände geschoben wur den, sah ich zu ihm herüber. In herndsärmeln stand er da, hoch und breitbeinig, den Richtbaum aus der Schulter, taute Tabat und riß saule Witze, so daß seine Leute vor Lachen nicht die Speichen drehen konnten. »Schöneg Geburtstagswetter!« rief ich ihm zu. — »Versteht sich von selbstl« antwortete er lachend. Um 7 Uhr wurde das Feuer aus die seindlichen Schützengräben eröff net, ruhige-Z Einzel- and Gruppen seuer, mal etwa-:- nach links, dann wieder etwas nach rechts geschwenkt. Hinter uns war eine Fußer-Batterie ausgesahren, und die dicken Fünfzeh ner zischte-i uns iiber den Itops weg. Von der seindlichen Artillerie teine Spur-. «Rus3ti permit« rief Riilich zu uns herüber, an dessen Geschiitz schon die Fiasseeiuühles schnurrte. Denn wenn die heilige Artillerie in gute Stellung geht und der Alte·be nehm »eines an ote sochcinzuroerrr", so taan man doch immer irgendeinen »alten Krieger« sehen, der sich, den Kochlessel an der fturntfreien Seite, um die Ecke drückt, um das heißbe thte Kasseetvafser zu holen· Der lte siehPs auch, aber er ist ein Mensch und — sieht nichts. — Für 10 Uhr vormittags war der Sturmangrifs der Jnsanterie ange setzt. »Um 9 Uhr«, so lautete der Zusatz im Tagesbefehl der Artillerie, »ift das Feuer zu steigern, von fünf zehn Minuten bis fünf Minuten vor 10 Uhr Schnellfeuer sämtlicher Bat terien.'« 9 Uhr mochte es eben sein; die Batterie war in voller Tätigkeit. Jn regelmäßigen Abständen brüllten un sere Haubitzen aus, und der Pulver dampf lagerie sich an dem windstillen Morgen in dicken Schwaden am Bo den der Mulde. Regelmiißig, wie Teile einer großen, oft erprobten Ma schine wandern die roten Granaten mit dem hübschen, blinken Messig lnöpfchen von Hand zu Hand und verschwinden in den Rohren. ,,Klapp!« sagen die Verschliisse. Laut und fröhlich hallt am vierten Geschiitz die helle Sprengtvolle vor uns. Haben wir einen Frühtrepierer gehabt? Naaaspt —- Weiter, man wei ter! —- Und nun zischt’s uns scharf über die Köpfe weg, und —- pusfl —- huudert Meter hinter der Batterie schwebt das niedliche, weiße Wölkchen Der diensttuende Leutnant schiebt die Mütze ins Genick und kratzt sich den kahlen Schädel. Alle-Z hat sich um gedreht. Ein Augenblick Stille. »Panje hat uns weg.« Hm — ein unbehagliches Gefühl. Stehen wohl ein bißchen zu hoch hinter dem Hü gel, so daf; der feindliche Beobachter die Rauchwolten unserer Abschiisse sehen kann; aber das hilft nun nichts mehr. Bumm — ssss! Die vierte feuert schon wieder. Ruhig und straff steht Rülich hinter seinem Richtlauo nier. — Na, wann kommt er nun, der dritte Schuß, die Aufschlaggrns nate, mit der der Feind vom Ein schießen zum Wirtungsschiefzen über geht? Da —- ietzt, iedt. iebt: huiiii — tmckll —- Kurz hinter dem zwei-l ten Geschütz ist sie eingeschlagen Ver fluchtes Schwein! Niemand verletzt! Ach was, jetzt wird nicht rechts unds links geguilt, jetzt schießt die Butte rie, jetzt ist keine Zeit zum Umsehen. Und nun tomn1t’·z in tiirzeren Zwi schenräumen herüber: Huiiii —- trackl Huiiii —- lraclt eine zwischen dem ersten und zweiten Geschütz, die an dere in den niedrigen Wall unseres Einschnitte5, daß die Splitter an die Schilde prasseln. Immer noch lein Verwundeter; vielleich: geht’s noch mal gut ab? Verwünschtes reißentes Krachen der einschlagenden Geschosse, dich hab’ ich im Magen! Das zweite Geschütz meldet einen Toten und einen Verwundeten Also der erste Tote in der Batteriet Ein siebzehnjähriger Primnner. Armee-, kleiner-, dicker Seissert, nun ist'S aus mit der Apritosentorte mit Schlag sahne, ans die du dich immer so sehr gefreut hast, als, ganz aus! — Der Osfizier fragt beim Hauptmann, der von der Beobachtungsstelle aus das Feuer leitet, ob dieses eingestellt wer den dürse. Wir wissen alle vorher die Antwort. Um 10 Uhr will die Jnsanterie stürnten, wie dürfte da die Artillerie die Hände in den Schoß legen! »Es wird weitergefeuert!« Jch traue meinen Ohren nicht durch den Höllenlärm hindurch höre ich die Stimme Rülichs Buschverse deklamieren, und da leiner mehr da zu lachen will, tut erls selbst. Armer Kerl, eine etwas gestörte Geburts tagsseierP Das seindliche Feuer verschiebt sieh etwas nach rückwärts, wir atmen auf. Aber nein -— zu früh! Wieder liegen die Schüsse in der Batterie. Am vierten Geschiih zwei Schwer derwundete. Und noch einmal! Ein Höllentrachl Es heult und surrt mir um die Ohren und läuft mir heiß und rot über die Hand: Volltrefser im zweiten Geschützt Diese Bedie nung bis auf einen Munitionstanos nier zerfetzt. Hunde, Hunde, vers fluchte-Z Gefindel, wartet nur, war tet!! Wie ein riesiges graues Grab treuz ragt der zerschmetterte Schwanz der Lasette in die Lust. Sicher sehen ihn die Russen drüben. Ob’s ihnen genügt? -·— Ansrage an den Herrn Hauptmann, ob weitergeschossen wer den solle. »Es wird tveitergeseuert!« Gut, gut, also weiter! — Huiiii —- trackll Jch werde zu Bo-, den geschleudert; zwei Schritt vor mir ist das Aas eingehauen und hat mir Mund und Augen voll Dreck gespritzt. Mein Ladetanonier wälzt sich unter dem Munitionöwagen brül lend im Blute. Aber jetzt ist keine Zeit zu Samariterdiensten. Weiter seuern, schneller-, immer noch schnel ler! Gliihend heiß sind die dicken Rohre, der Richttanonier wischt mit dem Rockzipsel Vieles-, rotes Blut vom Zahlenring. »Es wird weiterge seuert!« Riilich sieht zu mir her-. über: Jch habe keine Zeit. Das Munitionsloch des Ersten jliegt in die Lust. Nun ist alles gleichl Die ganze Batterie liegt in dicken, braunen Dampf gehüllt, durch den uns die Splitter der eigenen Gra naten aus die Helme prasseln. »Es wird weitergeseuert!« An der Vier ten schlägt’s ein. Ein Ausblitzen, weiter sehe ich nichts. Da — ja, bin ich denn verrückt geworden, träume ich etwa? Un sinn! Durch erstickenden Qualm, durch den Donner der Haubitzen und das gellende Krachen der Granaten höre ichs deutlich, ganz deutlich vom vierten Geschütz herüber, laut, frisch und rein: »Ach, du klurblauer Him mel, und, und wie schön bist du heut.« Der Kerl singt, singen tut der Him melhundl Ein Windstoß zerreißt den wogen den Qualm, und — da steht Karl Riilichl Heut noch seh’ ich ihn vor mir, als ob’s gestern gewesen wäre Rechtg hinter ihm ein toter Gefreiter, quer vor ihm, über den Lasettens schwang gesunten, der Richtlanonier mit llnssender Schädelwunde. Das Kurbelrad der Höhenrichtmaschine liegt in Riilichs Faust. Ueber Stirn und Wangen läuft ihm das Blut und tropft aus dem kleinen, blonden Spitzbart. Mit dem Handriiclen wischt er's sich aus den Augen und schaut nicht rechts und links, läßt die Li-. bellen einspielen und singt und singt; am anderen Flügel hören ste’s und lauschen, lauschen in Todesnot und Kampfeswut. »Miicht nns Herz gleich dich drücken vor Jubel und Freud’« Rumsl —- Der Ladelanonier stößt das Geschoß in den Lauf. »Aber 's geht doch nicht an, denn du bist mir zu weit.« —- »Feuer!« Bumml Der todwunde Krascinsli richtet sich vom Boden auf und hestct die starren Au gen lächelnd aus die Lippen seines Geschüßsiihrers. »Und mit all mei ner Freud', was sang’ ich doch ani« Ich will auf Rülich zuspringen, ihm die blutigen, singenden Lippen tits sen; lieber, lieber Kerl! Herrgott, dieser Gesang an das Leben aus Qualm und Blut nnd bitterer Pein! Und die Hand will ich dir drücken, Karl Rülichl Jch komme, ich tommeU Da — da! — Huiiii — trackU Ein Aufblitzem eine Wolke von Erde und Rauch, und —- die Stelle, wo et gestanden hat, ist leer. — — Nichts, nichts haben wir von ihm gesunden. — Es war des Feindes letzter Schnß. So starb der Unterossizier Riilich. s I s-— Geegenbetveis. »Bei Ih nen in der Stadt ist wohl auch Dienstbotenmangel?« »Glaube ich nicht. Meine Frau hat ivenitgstenz alle acht Tage ene ans · dere «