mJeefledrsbettereis Von Baltwiu Grolle Aus der Stadtbahn hatten sie sich kennen gelernt, und immer unterhiel- . ten sie sich "genau neun Minuten. Länger dauert die Fahrt nicht von der Rossauerliinde zum hauptzoll-" amt. Sie war serawatiennaherim nnd suhr jeden Samstag sue selben; kztormittagsstunde die Streite, um in! l s II F nein Stadtgeschäst die Erzeugnisse ihrer Kunstfertigkeit abzugeben und dasiir ihr Geld und weitere neue Aufträge und frisches Material ent-. gegenzunehmen Was er war, das blieb siir sie vorläufig in ein ge heimnisvolles Duntel gehüllt. Sie war nicht schüchtern und plauschte gern, und so stellte sie ihn einmal ganz ohne Scheu mit der direkten Frage: »Was sind Sie denn eigent lich, here von Forsteri« · .Was Jhnen angenehm ist, schönes Iriiulein,« erwiderte er daraus. »Ich bin ein Dichter, ein Geschiistsmanm ein Doktor, wenn Sie wollen, ein Baron — suchen Sie sich etwas aus, was Jhnen das Liebste ist.« »Mir ist halt alleiveil ein ordent licher Mensch das Liedste.« »Ja, wenn Sie so einen Geschmack haben .. ll« Max Forfter war Kolporteuy Kel porteur von gräßlichen Schauerroma nen; der geschickteste Kolporteur der großen Kolportage-Buchhandlung W. Berghaus cke Eo. Kolporteure sind sonst nicht so schiith daß sie sich veranlaßt sühlten, aus ihrem Berus ein Geheimnis zu machen, aber For ster reiste doch gern inkognito. Er war ein Detlassierter, der bessere Sage gesehen hatte. Er hatte zwar mit leichtem Sinn die Folgen seines Leichtsinn- aus sich genommen und war recht resigniert ins Elend hin eingestiegen, aber iiber einen Rest oon Erinnerung an sriihere Zeiten kam er doch nicht hinaus. Er war nun dreißig Jahre alt und hatte es so herrlich weit gebracht. Seine früheren Bekannten gingen ihm aus deni Wege oder es wurde zufällig, wenn er ihnen begegnete, immer ihre gespannten Aufmerksam teit nach einer anderen Richtung ge lentt, als nach jener, in der sie ihn sehen mußten. Er war aus gutem hause und an seiner Wiege war ihm gewiß nichts von dem «Mädchen mörder« dorgesungen worden, den er jegt so eifrig tolportierte· Sein Va ter war Atademieprosessor, ein Künstler von Rus, der, in Anbetracht seiner ersprießlichen Wirksamkeit, so gar in den Adelstand erhoben worden war. Die Mutter war ihm gestor —hen, da er noch ein tleiner Junge war. Der Vater tat, was er konnte, dem Knaben eine sogenannte gute Erziehung zu teil werden zu lassen. Jhn selbst erziehen, das tonnte er nicht und tat es auch nicht, oder er tat es falsch. wo er es versuchte. Es wurde ein großes Haut geführt. Max lernte zeichnen und malen, er lernte Sprachen, spielte mehrere Jn strumente, konnte wunderschön singen» und deklamieren, und kannte, vor die« Berufswahl gestellt, von alledem doch nicht genug, um daraus eine Existenz aufbauen zu können. » So entschlosz er sich denn, als er’ das Ghmnafium hinter sich hatte« Medizin zu studieren, und er war? mit seiner Berufswahl außerordent·» lich zufrieden. Denn das Universi-» tätöleben dehagte ihm aucnehmend gut. Er trat einer Verbindung bei» und genoß bald hohen Ruhmeö.’ Seine Trinlfestigteit war von keiner» Mutter Sohn zu überbieten und bei den Mensuren tras ihn fast niemals das bittere Los, abgefiihrt zu wer-; den. Jm Bierschwefel konnte er eines ziindende Eloquenz entfalten, und» da er im Geldpuntte nichts wenigerj als tnauserig war, erschien er seinen Kommilitonen als ein wahrhat re-1 präsentativer Mann. Das alles wäre sehr schön undi gut gewesen« wenn es nur die leidi gen strengen Prüfungen nicht gege ben hätte. So waren zwölf Seme ster ins Land gegangen, ohne dasz auch nur eines der hindernisse ge nommen worden wäre, die ihn von seinem Ziele trennten. Da starb sein Vater. Jn die Erbschaft hatte er sich nrit seinen verheirateten Schwe stern zu teilen, und aus ihn entste len vierzebntausend Gulden. Die ta rnen ian gerade sebr gelegen. Er schasste sich einen unnurnrnerierten Gummiradler und eine ebenfalls un numrnerierte Geliebte an, und war nach einem weiteren Semester mit frbschash Gummiradler und Gelieb een fertig, und auch das war gut; denn nun tonnte er ans Studieren tcnlen. Dazu brauchte er sreilich · Geld, das er nicht hatte. Die Ka meraden halfen aber aus. Sie mach ten, obgleich er seht schon bei der zweiten und dritten Generation von Kommilitonen hielt, eine Kollelte siir ibn, und als er auch dieses Geld ver tan hatte, sammelten sie noch einmal. Dann war's aber aus, und wenn auch hie und da noch ein kleiner Pump gelang. lo lob er lich doch endlich ausgeschaltet. Das Lernen hatte er verlernt; hatte es eigentlich nie gelernt, und so wollte er sich auch nicht zwecklos weiter da mit abrackern. Er begann also ans Erwerben zu denken, und er batte sich auch sehr schöne Pläne ausge dacht, nur mußte er et, als sie sich nicht verwirklichen lassen wollten« mit seinen Zulanstsphantasien immer bil liger geben. Die Existenz als tonans gehender Musiklrititer bei einem gro ßen Blatte war ihm ganz annehm bar erschienen. Er wäre geneigt ge wesen. Die großen Blätter waren aber alle versorgt und machten iibers haupt keine Miene, sich um ihn zu reißen. Er probierte es mit seinen ehrenden Anträgen oon oben herunter. Es ging nicht. Nur bei dem einen oder dem anderen der ganz kleinen Wochenblätter wäre es möglich ge wesen, aber da hätte er sich nur mit der Ehre begnügen müssen, und mit der ruhmvollen, aber doch recht un sicheren Aussicht, das Blatt durch seine ersprießliche Tätigkeit in die Höhe zu bringen. Es war nicht die Ehre, um die es ihm oorderhand zu tun war; er probierte also weiter, aber es wollte nichts gelingen. Er wollte Stunden geben« überflüssig hatte er deren ja genug, aber nie mand wollte sie nehmen« Für die kleinsten Stellen fanden sich immer zahllose Bewerber, die obendrein noch Zeugnisse und sonstige Befähigt-age nachweise oon früheren Stellungen her hatten. Da war also auch nichts zu machen, und so mußte er schließ lich noch froh sein« als Kolporteur untertommen zu können. Der »Wäh chenmiirder« sristete ihm nun das Dasein. Die Sache war gar nicht schlecht. Er war ein verhältnismäßig freier Mann, war nicht an Amte-stunden gebunden, hatte nicht am Schreibtifch zu hocken oder hinter dem Ladenpult zu stehen· Es war ein peripatetischer Beruf. Viel Treppenfteigen aller dings, aber schließlich — eine Schat tenseite muß jeder Beruf haben, und das war noch nicht das Aergste. Das Hübsche an seinem Beruf war auch noch das, daß fein Schicksal in feine Hand gegeben war. Er war kein Uohnsllave in festem Sold. Es hing ganz von seinem Fleiß und seinem Genie ab, wenn er seine Einkünfte vermehren wollte, und hatte er ein mal Lust, an einem Tage gar nichts zu tun, so ging auch das niemanden etwas an. Was der römische Dich ter von der Fama singt ·- »crescit eundo'·, das galt auch von seinem Berdienstz er wuchs im Gehen. Max Forster mußte viel gehen, um sich die zehn Kronen im Tage zu verdienen, die er als sein Pensurn betrachtete. Das war sehr viel, weit mehr als sonst ein Kolporteur verdient, aber es lag bei ihm nicht nur in den Bei nen, es kam auch der Spiritus dazu. Seine Wege führten ihn iiber die Dintertreppen. Seine Landschaften waren die Köchinnen und die Stu benmädchen und bildungsbeslissenen hauslnechtr. Seine Kunst bestand darin, daß er mit den Leuten reden konnte. Jhni geschah es nicht wie den anderen hausiererm dasz ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde von dein dienstbaren Geist, den er zur Unzeit von der Arbeit weggeläutet hatte. Er trat als Kavalier auf, den man doch zunächst um sein Be gehr fragen mußte. Da hatte er schon halbgewonnenes Spiel. Er be gann mit einem seiner Trieb. Das Repertoire derselben war nicht groß, aber dafiir durchwegs wirtsam. Zu nächst beging er gewöhnlich einen Irrtum. «Jch habe doch die Ehre, rnit der gnädigen Frau zu sprechen?« fragte er, wenn ihm eine dralle, vom Verd feuer gerotete Köchin aufmachte. Das schmeichelte, und auf die hold derschamie Berneinung war er maß los erstaunt. Wie so etwas nur möglich sei! Eine so fein aussehende und gebildete Dame! Ja, dann brauche er die Frau des Hauses gar nicht mehr. Seine Absicht sei es ge wesen, sich an eine Dame zu wenden; dazu habe er nun Gelegenheit. Die weiteren Verhandlungen wurden rann nicht mehr zwischen Tiir und Angel gepflogen. Man lud ihn be reitwillig ein, das Vorzimmer zu be treten, wo er unter großartiger Hof inacherei endlich ein heft, das Probe heft des »Mädchenmörders« aus sei ner eleganten Lederiasche hervorholte. Geld wolle er natürlich nicht. Man solle nur erst lesen und fich selbst überzeugen. Er werde in einigen Tagen wiederkommen und wenn. was er siir ausgeschlossen halte, das hest nicht gefallen haben follte, dann wer de er sich ohne Bemerkung diökret zu rückziehen. Denn er brauche wohl nicht zu oersichern, daß es ihm nicht in erster Linie um das Geld zu tun sei. Der Betrag sei ja lächerlich klein — fünfzehn Kreuzer die Woche! Darüber redet man gar nicht« zumal bei einem so gediegenen Werke. Nein, für ihn sei die Hauptsache die Zu friedenheit seiner Damen. Sie solle nur anfangen zu lesen, dann werde sie ihn bitten, wiederzukommen. So ging’s. Der Dichter hatte in dem ersten Kapitel so ftark aufgetragen, daß die Köchin noch nichi erfunden ift, die seiner Wirkung erfolgreichen. Widerstand entgegensehen könnte. War es ein hausknecht, defsen er» in irgend einem Magazin habhaft wurde, so zog er andere Saiten au, obschon er auch da zunächst als Gön ner auftrat. Er beanspruchke ges» wöhnlich ini Vorbeigehen gegen ein ’gutes Trinkgeld einen kleinen Dienst. Er ließ sich entweder seinen seinen lieberzieher aushiirsten oder die Schuhe putzen, und da sich das im fTag sehr häufig wiederholte, hattez er wohl die bestgepusten Schuhe in Wien. Dabei tarn man ins Reden, und er verließ den Schauplah derj Begebenheit selten, ohne sein hest an den Mann gebracht zu haben. Das Trintgeld schmälerte zwar seinen Verdiensi, aber es war doch eine niips liche Jnvestition und ein produktiveö AnlagetapitaL Er tonnte es ver-« schmerzen, wenn der Mann gemacht war der ja teine Ahnung davon hatte, daß er nun aus achtzig Liefe rungen hineingestiegen sei. · Das also war der here Max For ster, der aus der Startbahn sich an Fräulein Toni, die Krawatlenniihes rin, herangeschlängelt hatte. Sie ge siel ihm sehr wohl, und er ließ alle seine Künste spielen, um sie zu be zaubern, was ihm auch vollständig gelang. Er schätzte sie so hoch, daß er ihr noch nicht einmal einen »Wäh chenmörder« angehängt hatte, und das will viel sagen! Er hatte es übrigens auch auv Selbstachtung und aus Eigenliebe unterlassen. Wer weiß, oh der Zauber noch vorgehal ten hätte und ob nicht Jllusionen zerstdrt worden wären, wenn -. dteinz wenn man schon so viele Sta dien der Entehrung durchgemacht hat« dann tut es doppelt wohl« von einer gläubigen Seele bewundert zu wet den. Das wollte er nicht verscherzen Jrauiein Ironi haire gianzenoe braune Augen und glänzeiides tastas nienbrauneg haar. Sie hatte rote Wangen, und wenn sie lachte, da zeig ten sich seine Grübchen auf ihnen, und es lachte nicht nur der frische Mund, sondern das ganze Gesicht, und namentlich die Augen lachten mit. Es gefiel ihm, sie lachen zu se hen, wie ihm das ganze iiiollige, gut angezogene Persönrhen gefiel, und da sie ein überaus dankbares Publitum selbst siir seine ältesten Witze bildete, fühlte er sich angeregt, sich immer mehr hinauszuliziiieren in den sehr ernsthaft hervorgebrachten Aeußeruns gen des höheren Blödsiniis. So vertiefen ihnen die neun Minu ten des Beisaminenseins immer sehr rasch, und wenn sie sich dann trenn ten, machte sich auch Ioni ihre Ge danlen über den seinen, angenehmen Herrn. Er hatte so eine elegante Fi gur, das Kavaliersbiirtchen stand ihm so gut —- er mußte doch etwas Be sonderes sein. Sie hatten schon ihre Verabredun gen, dasz sie sich nicht dersehlten. Der Zug war aus die Minute bestimmt, den sie beniiszen wollten, und der Waggon, den sie zu besteigen hatten. Da lonnte es leinen Jrrtum geben. Sie waren schon alte Belannte und hatten sich noch gar nicht oft gesehen. Alle Wochen einmal am Samstag, und auch da immer nur aus neun Minuten. Da Toni nun daraus rechnen lonnte, mit ihm zusammen zutressen, machte sie sich auch immer schön siir ihn. Er hatte ein Auge dafür; sehr sogar. Als sie an einem schönen Mittage die Patade auszog niit einer neuen rotseidenen Blase, die sich gefällig um ihre jugendlichen Formen schmiegte, da lonnte er nicht umhin, ihr zu gestehen, daß sie ei gentlich und ganz genau genommen ein ungeheuer netter Besen sei. Sie machte ein Mäulchem Der Besen gefiel ihr nicht. »Das verstehen Sie nicht« Fräu lein Toni,« belehrte er sie. »Für studierte Leute gibt es nicht« Höheres auf der Welt, als einen- netten Be len.« So konnte man sich die Sache schon eher gefallen lassen. Sie wollte also das eine Mal noch Nachstcht mit ihm haben. Also gut; sie solle das Nachsehen haben, meinte er. Uebri gens hätte er eine Jdee. ’ »Und wenn sie noch so gut is,'« ent gegnete sie, »für heute kommt sie zu spät. Unsere neun Minuten sind um; ich empfehle mich Ihnen, here von Forster.« » «Tun Sie mir nur das nicht an!« » ries er, indem er ihr aus den Perron nachlief. »Ich kann mir doch eine» gute Jdee nicht acht Tage lang aus-» heben. Wissen Sie denn, was das heißt, eine oerschlagene Jdeeii Las-z sen Sie sich die Sache erklären« s Er lief neben ihr her und erklärte.s Sie solle nur gut auspassen. Der! Tag sei doch wunderschön, nicht’ wahri Das müsse sie doch selbst zugeben. Na also! Für die Arbeiti sei ihr der Vormittag doch schoni verloren. Sie solle also ihre Abis lieserung besorgen, und dann wolltens sie einen Ausslug machen. Er schlages dor: Mittagessen aus der Bohrer-l hätte, dann Spaziergang aus die Sophienalpe. Dort wird Kassee ge trunken und gegen Abend bummelt man durch den Wald entweder nach Hütteldors zur Stadtbahnstation oder nach Neuwaldegg zur Elektrischen. Das sei doch wirklich eine großarttge Jdee. Fräulein Toni sah das ein und gab ihre Zustimmung mit leuch tenden Augen. Ob man sie zu hause nicht ver missen werde, sragte er daraus vor sorglich. Sie schüttelte den Kopf, dann drückte sie ihm sreudig erregt die hand, bat ihn, aus sie zu warten, und trat hastig in das Stadtgeschiist ein« vor dem sie nun angelangt war. Er pairoiiillterte dort eine Weile aus und ab iind machte sich dabei seine Gedanken. Es waren seltsame Ge danken. Das Seltsanie war nicht, dass er sand, Toni sei ein so herzige Kind, wie es ihm überhaupt noch nicht untergeloininen sei, sondern saß dieses Kind auch respektiert werden müsse. Er, der schon so viele aug getvachsene Lumpereien im Leben be gangen hatte, er sühlte sich da plößlich im Banne weiblicher Reinheit und Unschuld. Nun schritten sie wieder neben einander ber in der Richtung nach der Aspernbrüae, und wurden e zunächst gar nicht inne, daß sie eigent lich ziellos gingen. Da blickte sie niit einer Miene der Besorgnis zu ihm aus und wies aus die große Pappschachtel bin, die sie trug. Die könnten sie doch nicht aus die Land partie mitnehmen. Natürlich nicht, und überhaupt — sie solle seine Gedankenlosigteii ver zeihen, daß er sie ihr nicht gleich ab genommen habe. Er könne doch nicht zugeben, daß in seiner Gesellschaft eine Dame sich damit abschleppe. Trni lachte. Sie sei leine Dame, und viel schlechter würde cg sich noch ausnehmen, wenn ein so seiner Herr, wie er, mit einem so großen Raimu del daherinarschiertr. Die Schachtel war allerdings sehr groß, viel zu groß siir die paar Stück Seidenstoss, die sie jetzt barg, aber da es dieselbe war, in der Loni die fertigen Kraioatten zurückzubringen pslegte, mußte sie so groß sein. For ster löste das Band, mit dem die Schachtel zugebunden war, und össs nete sie. Dabei fand er, daß auch seine Ledertasche noch ganz in ihr Platz habe und brachte sie dort un ter. »Wenn wir jetzt erst nach Hause sahren sollen,« sagte er, ,,u1n unsere Sachen loszulriegen, verlieren wir zuviel Zeit« »Was sollen wir aber sonst tun?« »Lassen Sie mich nachdentem Fräulein Toni. Jch halte die staat liche Aussicht doch siir die verläß lichste.« ,,Was sür eine Aussicht?« »Die staatliche-« »Das verstehe ich nicht.« »Ist in Jhreni Beruse auch nicht notwendig, Fräulein Toni. Sehen Sie dort den Vertreter der staatli chen Gewiilt?« »Sie meinen den Sicherheitswacht mann, Herr von Forster?« Jn der Tat stand dort, umbrandet von den tosenden Fluten eines unge heuren Verkehrs, wie ein Fels oder ein tleiner Leuchtturm im Meer das Organ der Sicherheit. »Den meine ich allerdings,'· erwi derte For-ster. »Es ist ein Auge des Gesetzes, und dieses Auge soll wa chen über unsere Schätze.« »Der Mann hat ja aber zu tunl« »Was hat er denn zu tun?« »Was-? Jch weiß nicht. Er muß acht geben.'« »Woraus muß er denn acht geben, Fräulein Toni?« »Vor allen Dingen, glaube ich, daraus, daß er nicht überfahren wird?« »Damit hätte er allerdings genug zu tun. Jch kann ihm aber doch nicht helsen.« Forster nahm die Schachtel, begab sich mit ihr zu dem Unglück-menschen, dem der riesenhaste Verkehr nur so um die Ohren sauste, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Er habe die Schachtel soeben aus einer tltingstraßen-Bank gesunden, tvo sie jemand vergessen haben mochte. Schön, meinte dag Organ der Staatsgewalt, er solle sie nur aus die Polizei tragen. Forster wandte ein, dasz er dazu nicht verpflichtet sei und auch nicht verpflichtet werden tbnne. Er habe ein gutes Werk tun wollen, aber er denke nicht daran, sich Scherereien auszuladen. Dazu habe er gar nicht die Zeit. Wenn die ehrlichen Finder bei den staat lichen Organen selbst so wenig Ent gegenkoinrnen fänden, dann würde die Ehrlichkeit bald ganz aussterben aus der Welt. »Ich kann doch nicht mit dem Rie senpact dastehen!« gab der arme in die Enge getriebene Sicherheitöwachi mann zu bedenken. »Gut; dann nehme ich die Schach tel, die ich übrigens gar nicht so ungeheuer groß finde, und trage sie wieder zurüik und lege sie hin, wo ich sie gesunden habe. Dort wird sie natürlich gestohlen werden. Jch habe nichts dagegen, geht mich auch nichts an, aber die Verantwortung kommt auf Jhr Haupt, herr Wachtmanni Sie sind berufen, über Leben und Eigentum der Staatsbürger zu ma chen, nicht ich!« Das Auge des Gesetzes zuckte un willig die Achsel und übernahm die große Schachtel, woraus sich Forster sehr böslich empfahl. »Sie können unbesorgt sein, Eriiuleinh berichtete er, als er sich oni wieder zugesellt hatte, »unsere Sachen sind in sicherer Hut.« Wie werden wir aber wieder dazu tomnieni« Außer-ordentlich einfach. Heute abend oder morgen früh begebe ich rnich aufs Fundbureau der Polizei direttion und lasse mir nach genauer Angabe des Inhalts die Schachtel ju riictgeben, die ich leider irgendwo ver gessen oder verloren habe.« Toni bewunderte den Mann, der sich immer gleich so zu helsen wußte, und sie bewunderte ihn aus der gan zen Landpartie weiter, wie er sich ihr, der kleinen, unbedeutenden Ar beiterin gegenüber immer so vornehni und so ritterlich benahm. Sie war ja gar nicht verwöhnt, die Kleine. Ihr Vater war Gerichtsdiener in einem steieriniirtischen Städtchen ge wesen. Mach seinem piösilichen Tode — er war immer sehr vollbliitig ge wesen und hatte immer eine tleine Schwäche siir den steirischen Schil cher gehabt, der sich- so leicht und an genehm trintt — konnte die Witwe mit der Tochter das Ali-langen mit der winzigen Pension nicht finden. Da hatte sich denn Toni nach Wien ausgemacht, uni in der Großstadt sich selbst den Lebensunterhalt zu suchen. Brav und aiistellig war sie Und ein wenig ward sie auch vom Glück be günstigt. Nun schlug sie sich tapser durch mit ihrem täglichen Verdienst von zwei Kronen. Sie bewohnte ein kleines, freundliches Kabinett in ter Borstalt und wußte so tlug zu wirt schaften, daß sie durchtoininen, sich nett tleiden und sogar noch iiioniitlich einige Kronen ihrer Mutter schicken konnte. Max Forster führte die Rolle des rüctsichtsvollen Ehrenmannes wäh rend der ganzen Partie mit uner schütterlicher Konsequenz durch. Auch nicht mit einem Worte versuchte er es, die Schranken zu durchbrechen, die sich zwischen einem Ehrenmann und einer Dame erheben. Tonis Bewun derung und Dantbarteit wurde da durch nicht unwesenttich erhöht. Sie fühlte sich förmlich beguacet vor tau send und tausend Maochen aus ihrer Sphäre. Auch Forster war gehoben von dem Hochgefuhl, ein anstandiger Mensch zu sein. Für ihn tam bei diesem Gefühl noch der Reiz der Neuheit hinzu, und er berauschte sich darin. Er feierte geradezu Orgien männlicher Ehrbarkeit und beging Exzesse tugendhafter Zurückhaltung So sagte er, als sie sittig durch den Wald dahinschritteii, in den der Mai sein Sonnengold hineinstreute: »Wie schön wäre es doch, wenn wir in jeder Woche einmal uns so einen freien Tag machen tönnenl« »Ja, herr von Iorster, schön wäre hast« »Und doch wird es besser sein, nicht daran zu denken.« »Warumi« »Wir sind beide jung!« »Das ist tein Unglück.« »Aber eine Gefahr. Glauben Sie denn, Fräulein Toni, dasz ich immer wie ein Holztlotz oder wie ein Eis zapfen an Jhrer Seite stehen werd?" »Aber Sie sind ja auch heute we der ein Holzllotz noch ein Eiizzapfem Herr von Forster. Sie brauchten nur immer so zu fein wie heute, dann wäre ja alles sehr gut.« »Ja, wenn man einftehen könnte für sich!!« »Das muß man können, Herr von Forster. Das muß ich ja auch, und das müßte vor allen Dingen meine Sorge sein, und mich beunruhigt es nicht« »Ja, Sie! Sie sind eine gelernte Tugend, Fräulein Toni, bei mir ist’5 aber nur so angeslogen. Für mich kann tein Mensch gutstehen.« »Ich tät’ö.«· »Dann würden Sie sich in eine sehr risiante Unternehmung einlas sen! Sehen Sie mal, ich sinde sie unglaublich reizend —« »Nicht schmeicheln, Herr von For fterl« »Nein, nein, ich schmeichle nicht — ganz unglaublich, und gut und schön. Sie wären vielleicht unllug genug, auch an mir nichts auszufegen zu haben.N Toni ließ einen raschen Blick auf ihn schnellen und schwieg. »Wir würden uns ineinander ver lieben —« Toni verharrte im Schweigen und blickte errötend zu Boden. »Und fehen Sie, liebes Kind,« fuhr er fort, »da steckt die Gefahr. Denn — heiraten würde ich Sie doch ganz bestimmt niemals.« Es flimmerte ihr eine Weile schwarz vor den Augen, als er das so brutal herausfagte, aber sie rich tete sich dann doch auf und sagt: »Ich habe die Gefahr nicht für so groß gehalten. Wissen Sie denn, ob ich gewollt hättet« »Sie würden mich nicht nehmen, Fräulein Tonit« »Ich würde mich ganz bestimmt nicht um einen Mann reißen, dem ich nicht genug bin.«' Max Forster fuhr fort, sich ob sei ner Ehrenhaftiglcit zu bewundern, und darum blieb seine Stimmung andauernd eine gute und aufgeräum te, Toni aber plauderte lächelnd wet ter mit ihm, während Trostlosigteit ihr armes Herz erfüllte. Der Maiw sonnenschein war ihr mit einem Male erloschen, eine stille Hoffnung war zerstört, eine lichte Welt war unter gegangen. Er wird sie ganz und ganz mestimmt niemals heiraten. — Die Hochzeit wurde drei Monate später abgehalten. Forfter hatte lange betteln müssen, bis Toni, die, den Vorteil ihrer Position einmal erken nend, ihn auch zu behaupten wußte, nachgab. Forster ward riesig fleißk und es gelang ihm, fiir beide M Existenz auszubauen. Sie selbst fol len die Früchte ihrer Arbeit genießen und nicht die Unternehmen Fiir Toni wurde ein kleiner, aber ele ganter Krawattenladen eingerichtet, Da konnte ibre Arbeit zehnmal io viel einbringen, als vordem. Es selbst wollte seinem Metier, für das er so viel Genie bekundet hatte, treu bleiben, aber auch da wollte er nicht einen anderen bereichern. Er ward selber Unternehmer und blieb dabei sein eigener Kolporteur und sein eige ner — Dichter. Nachmittags dichtete er im Hinterftiibchen des eleganten Ladens feinen Kolportageroman »Das Verbrechen des Staatsan walts« —- er machte es nicht schlech ter als der »Verfasser des «Mödchen mörders« — und am Vormittag trug er die ausgedruckten Lieferungen zu feinen Kundschaften Beide Geschäfte gehen gut. ——- -—- «——-——-—————-——-.—--’ Humor im Minentriege. Von H. Maro Musietier Pan-. Kiesel war der Fäuste Esset seiner Kompagnie. Jn riedenszeiten, in der Kaserne war, die Magenfrage ja auch stir ihn leich ter zu lösen gewesen. Da gab die Mannschaststiiche oft doppelte Porq tionen her. weniger appetitgesegnete Kameraden teilten mit dem Unersätt lichen, und regelmäßig traf von Mut tern eine »Futtertiite'« mit allerlei gu ten und nahrhasten Sachen ein. Dagegen im Kriege! Nach den Gewaltmärschen der ersten Zeit war es ben Feldtiichen nicht selten unmöglich gewesen, rechtzeitig zur Stelle zu sein« und später, im Stellungstriege, wur den die geschätzten Gulaschtanonen auch öfter durch das weitreichende feindliche Granatenfeuer in der riintti lichen und regelmäßigen Speisenlie ierang gestört und behindert. Da mußte Mustetier Paul Kiesec seinen Letbriemea so manchesmal se fser anziehen. Heute war seiner Kompagnie die Ausgabe zugefallen, einen englischen Schutzengraben zu siiirmen. Die Pionicre hatten unter B.ihilse oer Jnsanteristen bis dicht vor die feind liche Linie eine Sappe getrieben, deren letztes Ende in Form eines unterirdi schen Minenganges bis unter die eng tische Stellung führte. Puntt 6 Uhr morgens sollte mittels einer elektri schen Zündoorrichtung die Sprengung und im Anschluß daran der Sturm erfolgen. Erwartungsvoll standen die Solda ten mit ernsten Mienen sturmbereit in oem tiefen Zickzackgraben Paul Kie sel aber zeigte ein besonders verdü stertes Gesicht, denn er litt wieder einmal Hunger. Durch das überaus starie Artilleriefeuer der Engländer, die wohl merkten, daß Unheil für sie in der Lust lag, waren die Feldtüs chen au heute zurlictgehalten worden; seine ei erne Portion hatte Kiesep längst heimlich verspeist, uni- so er tönte zwischen dem Kanonendonner das laute Knarren und Grollen sei-. nes Magens. . Punkt 6 Uhr explodierte die Min mit Donnergepolter, und der Boden· erzitterte wie bei einem Erdbebenx turmhoch flogen Erdschollen, Steine Bretter und so weiter in die Höhe-, um erst nach setundenlanger Dauer wieder zu landen. s Aber was war das — was regnet-« da außerdem noch aus der Luft her niederi Brote, wohlgefüllte Konser venbiichsen, ganze Schinken undf Speckseitenl Des Rätsels Lösung lag aus der Hand: An der Spang ftelle hatten englische Proviantoor rate gelagert, die nun mit ausgeflogen waren. i Gerade zu ten Füßen des Muste tiers Kiesel aber tam eine große, schöne, wohl etwas erdbeschmußte,« aber sonst sehr appetitliche Servelati wurst heruntergesaust Mit einem blitz schnellen Griff packte der hungrige Baterlandsverieidiger die willtrmme· ne Beute, riß schiell die Pelle her unter und biß herzlkaft hinein. « Und dann tönte durch die momen tane, unheimliche Stille, die der Ex plosion gefolgt war, die Stimme des. mit beiden Backen lauenden, appetit gesegneten Soldaten: »Weiterspren gen!!« tu , —- Jn der Rolle. Aus einer Provinzbijhne hat sich der Tenor mit dem Spielleiter verkanii. Der Sän-. ger wird grob, schleudert dem anderen eine Beleidigung an den Kopf, womit das Wortgesecht sein vorläufiges En-. de findet. Aber der Beleidigte sinan aus Rache. Bei der nächsten »Nei schiitz« - Ausführung weiß er es sos einzurichten, daß beim Schuß dess Tenoristen in die Wollen statt des· Adlers ein ausgestopster Pintschen aus der Luft fällt. Er erreicht indes damit nicht viel. Jäger Max singt und pielt ganz sachlich weiter, und sein ollege aus der Bühne ändert so fort die Texisielle vom geschenlten Ad-. et, indem er ausrust: »Glaubst du« dieser fliegende Hund sei dir ge-. schenll?« . — Oh weh. Studenten: ,,Diirsen wir Jhnen morgen abend ein Ständ chen bringen, liebes Fräuleian Dame: »Morgen abend soll es mir rechi sein, — dann bin ich nicht zu Haus«.