Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 24, 1916, Sonntagsblatt, Image 11

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    pas Ieetst der sagte-.
Von E lic Krasst
Se war no.tz im S.l-·Iaizimmer, itlE
das Acad-ten Våe Morgenpeft brachte
Die Fenstervorhänge zog es zuruck
tia legte die drei Briefe aut die tei
deae Bettveete der alten Dame.
hastig griiiert die reißen, gepfleg
ten Finger nach dem knisternden Pa
pter.
Eine Gelchiiftsasserte eine Abneh
nung rer Bunt, und der blaßtslaae
schmase Umfetlag mit den kräftigen,
großen, lateinischen B.«a,itaben war
von Dante Etnilie, von der Schweige
rin, die ihre Einlade zum Oster
feste wiederholte . . . sicher.
«Meiter nicht5?« tragte sie ent
täuscht
«Rein, für gnädig-e Frau nicht!«
sagte das Mädchen xnit einem Lä
cheln. über das sich tie alte Dame
ärgerte. »Der Felv.·osibriei vom
Deren Leutnant war fiir die junge
gnädige Frau . . . ich bade ihn schon
auf die Veranda getragen. die junge,
gnädige Frau war schon ganz irah
heute morgen im Garten und im Wal
de vriiben.«
Die alte Dame saß plötzlich in ih
ren Kissen, steif und aufrecht.
»Und an mich nichts .. . haben Sie
auch die Adresse richtig geleien...
Marsei«
Da- Miibchen lächelte
«Selbftverftänolich, gttiidige Freisi«
»Was-en Sie doch nicht immer
wenn ich mit Jhnen tprechel" regte
sich die verwitwete Frau Major v.
Planet auf. »Und gehen Sie...
ich werde allein fertig . . liegt mein
blauer Margenrock das«
»Jawohi, gnadige maul
Das junge Gesicht verbarg sich nun
Beugie sich über den teilen Wolllrepp,
die Hände zupsten ein paar der ge
drückten, schwarzen Spitzen glatt und
schoben die Morgenfchuhe näher an
das Vett.
Dann llarspte die Tür, es wurde
wieder still im Zimmer, und nur die
Sonne blieb und glaiizte, und von
den Fenstern zirpten uiid lärmten
laut die Vögel.
Die alte Dame wartete. Lauschte
mit voraebeugtem Kons.
Es lam niemand. Und zehn Mi
nuten waren es nun wohl her, daß
die Postbotiri dagewesin und einen
Brief von ihrem Sohne gebracht hat
te. Nach achttiigigem Schweigen...
und dieser Brief war nicht sür sie
....niir diesem langersehnten Brie
se ging die Schwiegertochter setzt wohl
egoistisch im Garten aus und ab und
dachte gar nicht an ihr lrampshastes
Warten hier oben.
Jegt tand die Frau Masse aus
beiden Füßen vor dem Bett uns zog
sich an. Flüchtig, siehe-hast. Die sonst
so Eigene vergaß das Waschen und
das stammen, hatte lag Morgenll2id
an und lief durch die Tür, die Trep
pe der Van hinab uno aus die Glan
oeranda vor dem g:rßen, schönen,
blühenden Garten des Berliner Vor
orts.
Da stand der Katseetisch gedeckt
und unberührt. Und die Garteiiwe«
ge waren auch leer, die von der
Frühlingssonne in ein gelbes, war
mes Licht getaucht worden«
«An:ieliese!« ries die alte Dame er
regt in die Morgenstille hinein. Und
noch einmal lauter, ärgerlichen »An
nelieie!«
Keine Antwort. Nur von weit
drüben, wo neben der Tannenschonung
die dicken Fliederbtische begannen, die
alten, tnorrigen, die Helmuto Groß
vater gepflanzt, der 1870-—71 niit
hindenburg bei Sedan geliimpst,
schimmerte es wie eine helle Jacke-»
dies weiße Strictjacke wohl von Anne
lie e.
Die alte Dame riet noch einmal,
mit schnellen, lleineii Schritten dem
grünen Winkel ustrelscnd. Bis sie
vor der jungen pyrau s«anb. die dein
" Sohne vor zehn Monaten, ehe er in
den Krieg hinauszog iinen Tag nach
der raschen, stillen Trauung gehört
hatte. Unglaublich schmal und schlant
war sie doch! Nie recht begreifen
konnte die Frau Major diese Liebe
ihres Jungen, diesen Geschmack.».
nicht mal ein Soldatenlind...die
Tochter eines wunderlichen Gelehrten,
der ein Jahr nach dem Tode seiner
·Frau selber plötzlich am Herzschlag
starb . . . kurz nachdem sich helmut
mit Anneliese verlobt hatte.
»Ja, wo steckst du denn? Hast du
mich denn nicht rufen gehört?« sragte
die Frau Major ganz atemlos uiid
laut. »Warum lommst«du denn nicht
gsort heraus zu mir, wenn du einen
rief don Helmut hasti«
Die junge Frau sah ganz heiß und
vetwkrrt aus. Es war, als müßte
sie sich erst besinnen. wer vor Ihr
stand und mit ihr sprach. Ein Lä
cheln trar um den fesnen Mund und
Tränen in den Aue-en. Und vie
Hände preßte sie gegen die Brust und
gegen den Feldpostbeies, mit dem sie
in das Bliihen und Werden gelaufen
war, Jassungslos vor Glück, vor so
viel Glück, das nicht so leicht zu be
wältigen war . . .
«Verzeih . . . ich glaube, du schliesst
noch, Mama . . .und. ., nnd es kam
so unerwartet nach dem langen Ban
gen und Gtömen . . . man glauth
nicht sosort, daß er morgen schon hier
sein fann...dnsz vielleicht schon in
der nächsten Stunde Jas Telegramm
lommt in dem er«
Sie schwieg mlften im Satz« so
heftig datte die Schwiegermutter nach
dein Brief gegriffen.
»Und das sagst du ietzt erft . . .
das. .ader fo laß d:ch los! . . . .
Der Brief iit doch sicher auch für
mich bestimmt, wie meift . . . ja, mein
Gott....und Itarfreätag ift heute
...r:ian kriegt nichie zu kaufen, und
der Junge kommt . . Aber fo laß
doch last Was foll denn das fchon
wieder heißen?«
Die junge Frau lisß nicht lot. Jn
kindlichem Trotz hielt sie das erknik
terte Papier über des Brust eft.
»Es fleht wirklich nicht viel darin
;...Mama...nur . . . nur daß wir
warten follen auf dat- Telegramni.
und er hätte Ofterurtaub, in fiinf
Tagen könnt’ er hier fein, vielleicht
fechs irenn die Verbindung gut tlappt
.dee Brief ift wirklich nur fiir
mich. .verfteh' das doch . . . Ma
l·
i Die alte Dame verstand nicht. Sie
regte tirh furchtbar auf.
)J » Jch ioerde dich nicht zwingen, wenn
ldu mir ihn iiicht freiwillig zum Lesi
lfeii aibft Geheimnis e hat doch meini
IJunge nicht vor mir .hat er nief
lgehadk. . er war immer ein gusi
ter, zärtlicher Sohn, der seine Mut
ter siber alles stellte. Daß ich das
mit dir teilen mußte, war doch Ichirer
genug, das weißt du . . aber wenn
du teilen follft, heißt ed gleich nein
. . . und: »Das kann ich nicht fa
geii« . . . und läufst mit deinen
Briefen im Walde herum, als hattest
du Anafi vor mir Hädfch oder kind
lich ifi das nicht«
Das Lächeln war ietzt ganz fort
im Gesicht der jung-n Frau. tltur
die Tränen blieben Und als hätte
Idie alte Dame recht —- eine Art
Furcht war in den dunklen Augen »
»Ich bitte dich. Mama . .
ich weiß ja felder nicht. wie mich das
oft fo uberkoinnit, um nur allein zu
fein mit Helmuts Briefens Jch will
dir mich damit nicht saeh tun. Und
heute . heute friio . . . als alle
lTore ploylech aufspekngem die seyn
"Monate geschlossen waren . . . als
Iich bar-an dachte, morgen schon ist er
»hier . . . und Ostern ist . . . und
Frühling . . . und alle Angst fort
. . alle Not, Sehnsucht . . . ach,
Mama!«
Die jungen Arme strecken sich aus,
haltlos, verlangend.
»Da, lies, nein, Geheimnisse ba
ben wir wohl nicht, nur« —- sie
stockte jäh. Sie hatte wirklich ge
kglaubh jeyt am Herzen seiner Mut
ter sich aus-weinen zu dürfen, allen
Schmerz, alle Lust.
Aber die alte Dame griff nur nach
dem Brief.
«Mau5«, las sie, »goldene, gelieb
te Maus, ich hab' Urlaub! Ostern bin
ich iei dir, vielleicht volle filnf Ta
ge, wenn alles gut geht! Und ich le
be, und du lebst, und wenn das Te
legramni kommt, bin ich schon un
terwegs zu dir, dent kral an, Maus-!
Grüße unsere alte Tante und sage
ihr, sie mischte sich mal dreißig Jah
re zuriieidenien, dann weiß sie, wie
uns zumute istl . . . Velmut.«
Die beiden Frauen sahen sich un
sicher an . . .
Doch die Dand der Aelteren reichte
das Briefblatt wieder ruhig zurück
,Na siehst du, . . . was ist denn
dabei so ängstlich zu verstecken? Du
hast wohl ein böses sewissem Kind?
. . . Wer weiß, was du ihm in dei
nen endlosen und vielen Briefen bor
getlagt hast, daß er so von mir
schreibtt Und tennt mich doch bes
ser als du . . . ja, sichert Komm mal
her, glaubst du nicht, daß ich mich
mindestens ebenso freue wie du2'«
Die Stimme der alten Dame zit
terte nun doch etwas. Und die Ar
me streaten sich der jungen Gestalt
entgegen, die schon wieder ganz start
kschlclh
»Das sollen herrliche Lage werden
siir uns! Ein Essen soll der arme
Junge zum Empfang triegen —- du
sollst staunen, Anneliesel Und am er
sten Feiertag muß Tante Adele kom
men. . und am zneiten sahren wir
zu Oberst v. tlamsste T- der alte
Ferr wird ausleben, wenn er den
unget: so deloriert und gesund wie
der vor sich steyt — und am dritten
IFeiertag muß Tante tsmilie kommen,
sich schreibe ab —- ste toollte durchaus,
daß ich morgen zu ihr sahte — und
zu« Fest bei ihr die-de. Heute tam
schon der dritte Brief deswegen, ja!
Und was ich noch sagen wollte,
sKind — Helmut wird auch zu den
sarmen Lüders ins Lazarett sahren
wollen —- und bei Frau General
Schmidt muß er einen stondolenzbes
ssuch machen —- aber da sahre lieber
nicht mit hin —- du weißt doch, coe
gen der Rosemarie, die sich soviel
JHossnung aus Helmut gemacht.«
s »Ja —'« sliisterte die junge Frau
mit herabgesunkenen Armen. Jhre
Finger trampsten sich um des Lieb
sten Brief. Das —- nein, das wür
de doch auch er nicht wollen —- so
viel hinausgehen - soviel Besuch ha
ben m dieser kargen, tnrzen Urlaubs
zeit — das — das ging doch gar
nicht —- pslegen wollte sie ihn doch,
ruhen sollte er doch nach allem Sturm
und Kampf da draußen —- es war
doch Krieg, da sind doch gesellschaft
liche Pflichten so gleichgültig — oa
wußte doch trotzdem einer vom an
dern, daß alle zusammengehörten,
das gleiche fühlten.
Aber sie wagte nicht. ihre Gedanken
»in Worte zu kleiden. Langsarn ging
e der .geschästig uno froh Voran
chkeitenden zum Hause uno zum
Jriedstiickötisch nach.
Die himmelhohe Seiigleit der leh-·
ten halben Stunde wollte sich gar
nicht mehr so leuchtend und berau
schenb zeigen —" seltsaml Und sie hat
te doch so dankbar, so ielig sein müs
sen: Und immer no mehr versuchen,
Demut-Z Mutter näher-zukommen m
kindlicher Liebe, bie soviel fiir sie ge
tan. Die nach soviel Sträuben es
damals zugegeben, day sich der einzi
ge, oerwöhnte Sohn die arme Pro
fessoeentoehter nahm, die weder Baker
und Mutter hattet-nd nun boch hier
in becn wunderschönen Hause thrl
Heini gesunden, nacht-ern der Braut-J
tran gebliiht — und nach der sur-;
gen erlobungbzeit die rasche Kriegs-»
trauung kam, nach iser Helmut so«
stürrnisch begehrt, ehe er hinauszog
ins Feld
Die junge Frau niptste an ber Kas
feetasse, uno bas Fruysiiiclsbrot blieb
unberührt.
»Morgen,« dachte sie erschauernb,
»morgen.«
Sie hörte gar nicht, wag die alte
Dame sprach. Wie iqu weiter Fer
ne drang die freudig erregte Stimme
an ihr Ohr. Sie hatte auch nicht
gewußt, was sie sagen sollte. Es
brannte in ihrem Herzen, es flammte
vor ihren Blicken, das Zwitschern der
sVögel und seines-, oiinnes Glocken
lliiuten wurde zu brausenden Akkor
lben; so, nein, so war ihr ja nicht
einmal zumute gewesen an ihrem
Hochzeitktagy so cerstehend alles
Glück und so der Drang, geben zu
können an Liebe fessellos, ohne En
oe und Wahl —
Annenese schlosz die Augen vor oen
vielen süßen Bildern, die sich in ihre
Seele drängen wollten.
Nach zehn Monate langer Tren
nung iriirde sie Helmut wiederhaben,
in wenigen Stunden schon, spätestens
morgen, am Oftersounabend. Wo
blieb der Krieg und sein Grausen
heute? Wo Angst und Noti
«Jch glaube, du hörst gar nicht hin,
wenn ich spreche,« sagt( da hinein die
alte Dame, indem sie aufstund und
dem Mädchen klingelte. »Ich verste
he deine Art wirtlich nicht! Wie tann
man nur so still und stumm dasitzen,
wenn uns soviel bevorsteht? Es ist
ein Glück, daß ich noch da bin! Für
den Jungen sorgen kann! Die Mad
chen haben natürlich beide keinen
Ausgchtag in den Feiertagen. Und
Wein muß sofort telephonisch be
stellt werden, Bier, Fleisch und Tor
ten. Am liebsten würde ich noch
selbst etwas backen; mein Gott, An
neliese, rühr’ dich doch ein bissel;
oben in eurem Zimmer muß doch
noch getrennt werden — und alles
hergerichtet.«
»Was denn?« wollte die junge Frau
fragen. »Es ist doch immer alles
bereit in mir zu meines Liebsten
Heitnlehr. Nur Blumen muß ich noch
holen, sehr viele Blumen, sür alle
Winkel, und meine weißen Kleider
hervorsuchen, und die Mädchen tön
nen doch ruhig ausgehen, es wäre
umso stiller und schöner im Hause
nach dem Schlachtennirm da drau
ßen, und lein Mensch darf wissen,
daß Helmut hier ist, «einer.«
Jetzt schreckte Annriiese doch hoch
aus ihrer Versunlenh: t. Wie Flam
men schlug es über die zarten, schma
len Wangen. Was hatte sie denn da
eben gedacht, geträumt ganz ego:'sti
sche Wünsche —- nieniand war plötz
lich ans der Welt gewesen als Helmut
und sie, wahrhaftig! Sie beide ganz
allein hier in dem einiomen, blühen
den Erdenwinkel am Frühlings- und
Osterwalde. Selbst seine Mutter
nicht.
Ganz scheu und schuldbewuszt
blickte die junge Frau hoch, direlt in
das Gesicht der alten Dame, der Her
tin über dieses Haus.
aVerzeih, Maina, ich komme sofort!
— Schon als kleines Mädel war ich
dumm und stumm, wenn so eine gro
ße, große Freude konn. Es geschah
nicht ost, und so groß wie heute war
sie wohl nie —- und — und sei auch,
bitte, nicht mehr bös-, daß ich heute
nicht sofort mit dem Brief zu dir her
auslam, ich denl’ ja jetzt immer noch,
ich träume-"
Die alte Dame nahm die ausge
streckte Hand und schien etwas ver
wirkt von der unerwartet weichen
Bitte.
»Ist schon gut," sagte ste. Sie er
innerte sich. daß ste noch unfristert
war, und lief erschroaen die Trepoe
zu ihrem Zimmer hinauf·
Den Tag über lramte, räumte, be
stellte sie und ordnet: an. Und als
am Abend das erwartete Telegramm
eintraf, das des Sohnes Ankunft
für eine frühe Mcsrgenstunde des
nächsten Tages liindete, behielt ste es
erst eine ganze Weile bei sich, in ih
rem schönen, von rotem Abendlicht
durchflessenen Zimmer, ehe ste An
nelic«se, die noch im Garten war, zu
stch rufen ließ.
Die junge Frau stand mit gefeal
ieten händen und ganz bangen, welt
fremden Augen«
»Es ist beinahe zuviel des Segens.
Mama; wenn man dagegen an ande
re Frauen denkt, denen stch nie wie
der so viel Türen zum Seligsein auf
schließen«, sagte sie fliisternd.
Jm nächsten Augenblick war ste
schon wieder draußen, und die Frau
Major hörte die leichten Schritte wie
fliehend auf der Treppe, die zu den
oberen Räumen der Villa führte.
Nur das tote Adern-licht war nich
itn Zimmer. Seine letzten Funken
tagen gerade auf den beiden Solon-;
tenbiloern auf ihrem Schreibtiich.
Mann und Sohn. Der eine, oen
ihr der Tod zu früh genommen, uns
hellt-lauen Drommeer der anderes
in Ieldgrau. Beide schmückte dass-!
Eises-ne Kreuz
Die Frau Major saß vor dem ai-»
ten Schreibtisch, ganz in sich versun-;
en. -
Es wurde dunkler draußen. Das
Licht schwand, und durch das offe
ne Fenster drang Blütenduft, genau
so statt wie damals ver dreißig Jah
ren, als zu Ostern Schon die Kirsch
diiume im weißen Kle de standen und
die Tannen schimmerten, die den
Garten begrenzten.
Wie kam der Junge nur darauf,
jdaä zu schreiben, was ihr den ganzen
iTag nicht mehr aus den Kopf woll
lie! «Grüße unsere nie Dame und
Zuge ihr, daß sie sich mal dreißig
ahre zurückdenien mde. dann weiß
fie, wie uns beiden oumute ist.«
) »Unsere alte Dame-·
Die Frau Major hatte plötzlich den
Kopf auf die Mahagi-nipiatte gelegt,
Idicht ver die beiden Soldatenbilder.
An das junge, junge Frauengesicht
dachte ste, das so thrnal und zart
und leidvoll ausgefehen in den letz
ten zehn Monaten, und in dem es
heute gezuctt und gebrannt hatte oon
hundert Flammen de: Erwartung
und Erfüllung aller Lelsensroiiniche
der Jugend und Liebe. Warum hat
te sie das nicht sofort empfunden und
das zitternde, haitlofe Feind an ihr
Herz genommen ohne Wort und Vor
wurf. nur derftehend die Frau zur
Frau, die Mutter zur Tochter? Ja,
warum nicht?
Jetzt hob die Frau Maer doch den
grauen Kopf mit der: zierlich und
sorgt-ans gewtckelten Wachen. Jhr
Blick wanderte vom ddilr des Man
nes zu dem des Sohnes.
,,Junge," fagte ic« »haft recht,
wenn du die alte Mama mal ein dis
chen auf sich felbft befinnen läßt, haft
recht, Junge. Wir Mutter vergef
fen im eigenen Glück triel zu oft das
Zurückwandern in junge Tage und
Empfindungen Und es ift doch ein
fo guter Weg, Kinder recht zu ver
ftehen.«
Jetzt war die Sonne ganz fort.
Jn der Dunkelheit ging eine Tür-,
tamen Schritte auf isie reglose, ein-«
fame Frau zu.
»Morgen, Mai-krachen ach, morgen
—- sagte eine junge Stimme dicht an
ihrem Ohr. Und zwst '«.«lrme fuchten
'nach ihr und fanden —- — —
Und der Morgen kam.
Die beiden Frauen ftanden auf
dem Bahnfteig der giofzen Halle und
wagten sich nicht ge.3eufeitig in die
Augen zu fehen.
Anneliefe hatte Blumen in der
Hand. Mandetdliiten taufrifch, wie
fie heute früh im Garten standen.
Von denen fielen die winzigen, rosen
roten Blättchen eins nach dem andern
an den zuckenden Frauenhänden her
unter.
Die Frau Major hatte leere Hän
de. — Und es war gilt, daß niemand
fah, wie diefe Händ-. sich bemühten,
ftill zu bleiben, ganz ruhig um die
Schnur des schwarzer Seidenbeutels
gelegt, in dem das Bild von Hel
muts Vater lag, due sie für zwei
oder auch drei Tage mitnehmen woll
te in ein fremdes Haus. Sie hatte
dann mehr Halt, und der Mund
würde immer da fein und sprechen:
»Weißt du noch?«
Jn die Wartenden auf dem Bahn
fteig kam Leben. Jen irgendwo —
da hinten bei den hoIsen Pfeilern und
Häufern brauste es, heran — stamp
fend, qualmend, der Zug vom We
ften her.
Anneliefe ftand ganz bewegungs
los, beide hände um die blätternoen
Blumen.
Die Frau Majvr Ich in das jun
ge Gesicht, das nur Argen hatte für
den einfachen Zug, und es lam wie
ein Lächeln in ihren nassen Blick
Jiii einem Male begriff sie, was
ihren vertvöhnten Jan-gen zu dieser
stillen, feinen LlJiädchsnblume gezogen
Und zum erstenmal war sie dem Ge
fchicl dankbar dafür, daß ihr wilder
tapferer Bub fo ein Ziel gefunden
Der Zug fuhr cin. Aus feinen Tü
ren und Fenstern winkte, lachte, fang
es. So viel Feldgmue, die in den
wohlverdienten Osten-rian heimfuh
ren. So viele . . .
Bei den Frciuenpuerfchtvann alles
in einem einzigen Durcheinander. Sie
sahen nicht mehr — hi.srten nur noch
das Rufen, Lachen, Größen
Bis die Frau Majsr Plötzlich auf
fchrie: «Junge!« und blindlingg zus
griff.
Wirklich, für einen Augenblick hielt
sie als erste ihr Kind am Herzen
Gesund, braungebramit, mager und
schmal geworden, aber er lebte. Und
fv ernst, gar nicht jung sah er aus,
fv bitter ernft die heilen Augen un
ter dem blonden Haar.
Mit einem Ruck riß er sich los,
lraftvvll, riefenftarl, nnd hielt sein
junges Weib im Arm, das wie verlo
ren dageftanden in dem Gewühl.
«Maud —- gvldene —«
Die Mutter war vergessen.
Sie lächelte aber trotzdem, immer
in die fließenden Tränen hinein. Die
beiden jungen Köpfe sah sie, den hel
len und den dunklen, und ihr schö
nes, altes Haus mit den vielen Lenz
blüten und ver Waldeintarntett rings
um.
Nun schritt man den Ausgang qu
Der Junge hielt Zlnnelkesee Hand
starrte unentwegt in das zarte Frau
engesicht in dem eine Schönheit war,
als ob leibhast der Frühling barinj
untergetaucht. ·
Und nun, kurz vor dem wartenren!
Auto, in dein die Damen zum Bahn-l
hos gefahren, drehte er sich um undi
sah die Mutter an. s
»Ich glaube, das habe ich dir aucht
zu danken, daß die Anneliese sa
bliiht, « sagte er erschü. tert.
Die Frau Majar schüttelte .den
Kons. Jhr Lächeln war noch im
mer da. Und ihre Hand hob sich
und strich rasch, beinahe verschätnt
über den grauen Aexmel des Kriegs
mantels.
Er hielt die Hand fest, streichelte
sie ohne ein Wort.
Uno da sagte die Frau Major ganz
laut und start:
»Ja, Kinder, ihr müßt mir aberz
nun nicht böse sein Das-. ich noch nicht
mit euch hinaussnhre nach Wann
see. Tante Emilie sst lrani, sie er
wartet mich heute morgen. Du, du
bleibst ja fiins Tage hier, Junge,l
nicht wahr? Da könnt ihr doch den
ersten, oder vielleicht auch den zwei
ten ncch ruhig erst mal ohne mich
auslommen, denle ich.' l
»Er s Tage bleibe ich, vielleicht sie
ben,« agte der junge Ofsizier, und
hielt plötzlich die Mutter im Arm.
»Ist das auch nicht Fahnenflucht
Mutter?«
Sie schüttelte den Kopf. l
»Ich glaube das Gegenteil, mein
Junge« I
Die junge Frau widerstrebte. Ganz(
sassungelos und blu: übergossen stand!
sie vor dem Auto u»d vrangte ge
gen die alte Dame an
»Mama, du mußt mit uns ton
men. Jch verstehe das nicht, Ma
ma.«
Aber die Frau Major drängte
selbst ihre Kinder in vie ossene Wa- i
gentiir. ;
»Ich habe dich ja nun erst mal ge-:
sehen, ge übli, Junge! Und ich bin io
froh. hr wißt das vielleicht ninjt,
wie srth Seids auch zusammen
Am ersten oder zio;.ten Osterseieri
tage iomme ich, da haben wir noch
viel Zeit zum Plaudern, meint ihr
nichts«
Das junge Paar hielte überzeugt
Hielt sich schon wieder bei den Hän
den und ließ sich von der alten Da
me in das Auto dran-zin. .
Um den ernsten Mund des Krie
gerö aber tam ein Lachen, Leuchten,
Begreisen.
»Na, dann aus Wiedersehen, du
prachtvolle, alte Danie."
»Aus Wiedersehen!«
Das Auto suhr, und die Frau Ma
jor blieb noch ein ganzes Weilchen
stehen und sah ihm nach, ehe sie sich
ein eigenes suchte, um zu der Schwe
ster in die stille Tiergartenstraße zu
fahren
Augen hatte sie, als wäre sie wirt
lich um dreißig Jahre junger.
—..-.-—
Der Idiot.
Jm Fischerdörschen Flundernort
haben sie einen Jdioten. Jm Som
mer wird Flundernort als Seebad
besucht, und für die in recht statt
licher Anzahl sich einsindenden Bade
giiste ist der Jdiot ein Gegenstand
großen Interesses. Er liebt es, blöd
sinnig aus die See zu starren und
sich dabei anstauncn zu lassen. Spre
chen tann er ganz gut, aber natür
lich gibt er immer verkehrte Antwor
ten; das liegt nun einmal so in rer
besonderen Beschaffenheit der Jdio
ten. Am meisten Reiz aber gewährt
ein Spiel mit ihm, dessen die Bade
gäste nie miide werden. Man hält
ihm zwei Geldstücke hin: ein Mart
stück und ein solches von zehn Mart
Und jedesmal nimmt der Jdiot beide
in die Hand, dreht sie, sieht sie ganz
genau an, legt schließlich die Krone
aus das Martstück, findet, daß das
Goldstück bedeutend kleiner ist, und
steckt schließlich die Mark mit blöd
sinnigen Grinsen ein, während er
das Zehnmarkstiick dem Eigentümer
widerstandglos wieder einhändigt.
Das macht natürlich Svafi, und an
manchen Tagen, besonders wenn neue
Badegäste angekommen sind, kann
der Jdiot bis zu einem Dutzend
Markstiicke in die Tasche stecken.
Neulich saß ich mit dem- Gemein
devorsteher von Flundernort bei ei
nem Glase Bier zusammen. Jch
brachte das Gespräch auf den Dorf
idioten. »Wissen Sie,« meinte ich,
,,eigentlich ist es doch merkwürdig
daß er immer die Mart nimmt, auch
wenn sie noch so abgegrifsen und un
scheinbar ist. Man kann ja ver
stehen, daß ihn das größere Geldstück
reizt, aber andererseits sollte man
doch auch meinen, daß er eher am
Blinken und Glänzen des Goldes
Freude haben müßte.«
Da sah mich der Herr Gemeinde
vorsteher sehr überlegen an, als ob
ich eine große Dummheit gesagt
hätte. »Na, wissen Sie,« antwor
tete er, ,,da müßte ja unser Jdiot
schassdämlich sein, wenn er das auch
nur« einmal machte; kein Mensch
würde ihm mehr eine Mart geben«
III-che- Iek III-«
Skizze vor Franz Lüdtfr.
Der Feldgeistliche schritt durch M
anmett, helfend, tröstend, segnend.
Er tmn auch dahin, wo vie Schaden
verwundeten lagen, deren Leten ins
Flächer war. Da winkte ihm einer,
schon zum letzten Gange gezeichnet.
»Es geht zu Ende, Hochwiikden,««
flüstme er. »Aber lem tatholjscket
Priester ist hier. Jch bitte, hören Sie
mich —- ich muß beichtm — ganz
kutz’».
Er war mein bester Jugendsreund
Auf dem Gymnasrum nannren sie ihn
Läuschen, denn er hieß Wlabiolaus
mit Bornamen, Hochwürden -—. und
Lehrer und Mitschüler verspotteten
ihn oft. —- Er schrieb schlecht und
knickte die langen Buchstaben so merk
würdig scharf ein, so etwa. — Auch
wußte er in der Physit nicht« ob die
schiefe Ebene nach unten oder nach
oben führe. Darauf fiel er immer
hinein, obwohl der Professor zu Ihm
zu sagen pflegte: Mäuschen die schiefe
Ebene lanu nach oben, sie kann aber,
auch nach unten führen! —- Aus
Obertertia ging er ab, und ich hörte
lange nichts von ihm. Jch wurde
Postbeamter und war, obwohl ich
Zbigniew Motrinski hieß, ein guter
Deutscher. Glauben Sie es mir«
Hochwürden!
Da kam der Krieg. aber meine akte
Mutter wollte nicht, dafz ich freiwil-.
lig eintrat. So blieb ich auf dens
Amt. Jm Herbst erschienen die Rus
sen in unserer Nähe und gruben sich
ein. — Wir hatten Postsperre, und
ich mußte die eingelieserten Sachen
durchsehen helfen. Da fiel mir immer
wieder eine Handschrift mit so selt
sam eingetniclien Buchstaben auf,
und, Hochwürden, ich erkannte sie:
Läuschen war am Orte. Aber was
er schrieb, Hochwürden! Es klang
ganz harmlos, immer an einen Besit
zer in der Nachbarschaft. Da stand
zum Beispiel: Alexander ist scholt
gesund, Josef noch nicht, wird es abes
in den nächsten Tagen werden, undY
die Stanislawa sei eben erkrankt.
Auch seien tausend Zentner Kartoffeln
angekommen und so ähnlich mehr.
Hochwürden, zuerst erschienen mir
diese srch dauernd wiederholendm
Meldungen als dummes Zeug· doelj
schließlich mußte man es ia mertenz
Läuechen war Spion! —- Die Na-.
men bedeuteten Strecken im Geländeq
die ariniert wurden, und die Zahlen
waren Berstäriungen oder Regimen
ter. —- Jesus Maria, was sollte ich
tun! Jch hatte ihn anzuzeigen das
war klar, aber Löuschen war mein
bester Freund und hatte mich einmal
aus dem Wasser gezogen, wie ich als
Junge im Eis eingebrochen war.
Wäre ich nur ertrunken, hochwiirdie
ger Herr, denn nun wußte ich nicht,
was tun! Es war eine schreckliche Zeit
für mich. — Da suchte ich Läuschen
auf! — Jch fand ihn in einer Gast
wirtschaft, doch wie: Heruntergeloms
men, schlecht, ganz schlecht· Jch sagte
ihm alles auf den Kopf, und er gab.
es zu. Aber dabei verhöhnte er mich
daß ich eine deutsche Uniform trüge«
ein Nimiec, ein preußischer Hunger-.
leider sei. Er llapperte mit dem Juq
dasgeld in der Tasche. Jch warnt
ihn, ich bat ihn. Er lachte mich ausck
doch dann erzählte er von seinem
sverpsuschten Leben, und daß dtIA
Jschiefe Ebene ihn nach unten geführlt
hätte. Aber sie tönne auch wieder nnd
loka führen! Jch drohte ihm mit einen
tAnzeiga da lachte er wieder uns
lschrie: Deinen Lebensretter. deinens
sFreund —- tu's, psiatrewt Da konnt
sich’s nicht· Jch marterte mich, aßs
nicht, schlief nicht. Bis eines Abendst
—- da tain das Entsetzliche, die deut
sche Stellung wurde überfallen, und!
es wurde laut gesagt: nur durch Spi-.
onage sei das möglich gewesen. Dankt
wurden die Toten, die Verwundeten
durch das Städtchen gefahren! Was
lich da ausgestanden habe, Hochwür
,den, ich schrecke noch jetzt in meiner
letzten Stunde zusammen, wenn ichj
daran denke. — Jch lam mir wi
der Verräter, der Mörder vor! Ant
selben Tage war Läuschen verschwunq
den. Und dann —- dann brachten siq
einen zu uns, zu meiner alten Mut
ter ins Haus, der schrie Tag und
Nacht, ehe er starb. Ein junger Oftl
fizier, Bauchschuß. Jch hatte ihn ge
mordet, Hochwürden! Da wollte ich«
mich erhängen, aber, gelobt sei Je-.
sus Christus!, ich besann mich! Jckj
wurde Soldat, um zu sühnen . .. mei-.
ne entsetzliche Schuld! Und Gottt
jschentte mir Gnade — ich konnt
liimpfen und darf jetzt sterben, hoch-»
würdiger Herr, sterben fürs Vater-«
land — und ein bißchen sühnen —··
ein llein bißchen sühnen —- -—."
Ein Blutsturz endete seine Beichte«
sein Leben. s
Der Feldgeistliche drüctte ihm die«
iAugen zu und segnete auch diesen
Toten.
Gefühnt . ..
.-.-——
—- Doch etto a g. Schauspielerq
»,,Jch bin unter ausgezeichneten Bedqu
igungen an das Theater in X. enga
i irrt. Gage bekomme ich ja aller
; ingg vorerst teine, aber der Direttor
hat mir tontrattlich versprochen, das
er mich in den ersten sechs Wochen
nicht animian —