Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 22, 1916, Sonntagsblatt, Image 9

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    Somäagiblatt de
Staats Anzetger und YOU-old
,Neb ,D:u Angst
-A ser- Insel-in
Stizse von Hans Land
Die verwitwete Prinzefsin Clemen
tine fuhr in die Hosopw Es war
«Figaros Dochzeit«. Da sehlte die
alte Dame nie —- selbst nicht bei der
bedenklichsten Besetzung der haup«
rollen. Die hofdame und Freund
Clementinen5, Grdfin Barihanien,
lag wieder mit ihrer Venenentziim
dung auf der Rose, und deshalb suhs
ten Königliche Hoheit diesmal allein
in die Oper. Sie liebten dieses alte
vornehme wohlige Hans. Die kleinen
loietten und versteckten Hoflogen tou
ten so anziehentn Tief zurückgelehnt
m ihre schattenreirhen Winkel, konnte
man, vom Publikum ungesehen, hin
ter purpnrwtseidenen Gardinen Mo
zart trinken und oon vergangenen Ta
gen, von zerstobenem Getändel träu
men, das in diesen altver
trauten Räumen vor vierzig, fünfzig
Jahren bei mancher Hofmahterade sieh
abgespielt hatte.
Jn der ganzen großen Königs-resi
denz gab es fijr die Prinzessin kein
Platze-en siißeter Erinnerungen als
diese alte Operxtloge, die Gott sei
dani beim Frgaro wenigstens regel
mäßig leer wur, wenn nicht gerade
einmal der grose Rattenfänger Ca
rnso auf dem Zettel stand. Aber
dann« blieb Clementine hübsch zu
;;,nuse. Sie hann den Massenun
drang der Hosgeketlschast.« Jn der
zuversichtlichen Gewißheit, heute abend
wieder einmal ganz — ganz unge
stört und nllein in der.lleinen Loge
ihr Crinnerungsbad genießen zu tön
nen, sah Jhre Fixinigliche Hoheit die
altmodische Cauipage lAutos haßte
fiel tnit den beiden Trolehnern in die
"Einsahrt fiir Hofgesiihrle einbiegen —
das wohtige Lächeln auf den feinen
alten sugen, dns die Erwartung ei
ner sestlichenko ..1nde dorthin gezan
dcrt bitttr.
Jes: hielt der Wagen mit einem
Ruck. Der Luni sprang vorn Bock,
ris den Schlag auf und war mit
entblosztem haupte der Prinzessin
beim Aueftetgen behilflich. ’
Der alte hochgewachfene langi und
weißt-artige Turbiiter. in seiner
reichvetreßten Gitt.ir.niforrn, der hier
wohl schon an die vierzig Jahre sei
nen Dienst tat, riß die Glastiir rnit
den blitzenven riesigen Spiegelscheiben
nuf und stand, sich tief verneigend, ans
der gelben Martnorwand des VesiisI
hüte-, als die Prinzessin sent, von
dein Latai gefolgt, ovriiderschriit. Sie;
ttittte dein niien lliortier gnädig zttH
euch er war itn Laufe ver Jnhr-’
zehnte ihr hier eine Vlrt vertrauten
Jrventarstiickö geworden und paßte
mit seiner Heldrngestnlt und den tin-s
genehnten, heute schon edrmwiirdigen
Zügen so wundervoll in diese tönigi
ltche Atmosphäre hinein, die das alte
Opernhaus mit phrem so nnmutenden
sauberhckuch ers-Lilith Doch, da sie
dem greifen Tutlsuter ebenso gnädig
zunickte, erschrat die Prinzessin hef
tig. s
Welch eine Vertretung sah sie heute
in dein alten wohlbekannten Ge
sicht!
Es war verfallen, wie von tiefen?
Leiden zerpflügt und zerstört. Die
guten, großen, schonen, blauen Au
gen des Alten richteten sich mit einein
schrecklichen Ausdruck der Verzweif
lung aus die Prinzessin. »
Einen Moment stockte diese tin Weiis
ierschreiten. :
Es zuckte ihr der Gedanke durch de s
Kopf, den Alten zu fragen, ob er eti l
wa trank sei. i
Aber diese Aktion schien Jhrer Eis-I
niglichen hoheit irn Augenblick eins
wenig zu auffallend, da ein haufe
Neugieriger, von S uhleuten zurück-i
gedrängt, in das estibiil von derl
offenen Einsahrtftelle her, hinein-!
gaffte, und Kd.tigliche hoheit verabis
scheute nichts heftiger, als den Gasserns
Gratikschauspiele zu geben.
Sie wird den Alten im Zwischen-s
at: in ihre Loge befehlen und ihni
steigen, was ihm eigentlich zugestoßen
stt
— Vayuch eigentucy unv seltsam ge
--1 von ihr, daß sie im Laufe all der
, - kilofen Jahre, da sie hier an ihm
vorbeigeschritten war — er hat sie als
lionfiknmndim als Braut, als Witwe
geiehen -—— daß ice in all diesen Jah
ren nie ein freundliches Wort·an
Den Mann gerichtet hatte. Wie oft
hätte sie dazu Gelegenheit gehabt, und
wie leicht wäre es ihr gewesen, ihn
durch irgend eine lleine Aufmerksam
teit glücklich zu machen. Und schließ
lich war er doch auch mit ihrem Le
ben verbunden. Er war der Hütee
einer ihr vertraute-i lieben alten
Stätte. Ei wäre sicherlich hier in
Ichmeezlichftee Weise etwas verändert,
fände lie, die Prinzessin, etwa an ei
nem der nächsten Mozartabende hier
vor dieser Glutin- einen anderen
Wächter-. «
Sie gehörten beide, die Kön i
loqtee wie ver Tür-hüten in die g ei
Oc Zeithelmat hinein s-. und das
verknüpfte ihre Lose miteinander ge
wissermaßen —- - —
Sie nickte mit dem haupte, wie
grüßend. '
Ja, ja, in der großen Pause wird
sie den Alten in die Loge bitten und
ioni die Teilnahme bezeigen, deren er
ifrnglos wert und würdig war...
Wenige Augenblicke später saß die
Prinzessin in ihxem holden Traum
ioinlel und genoß ihr Seelenbad bei
Mozarttlängen mit geschlossenen Au
gen in solcher Jnuiglett, daß die ge
samte übrige Welt im Nu ihr restloä
ver-Land Als die Ioße Pause kam,
rnt eckte die alte ame unter dem
faus der Brüstung für sie bereitgeleg
ten Programm einen zweiten Zettel.
Er war aus Seide gedruckt, trug das
Datum ihres Hochzeitstages vor 45
Jahren.
Aus allerhöchste-i Befehl, zur Feier
der Vermählnng Ihrer Königlichen;
Hoheiten der Prinzessin Clementine
sund des Prinzen Sigismund: «Figa-"
sros Hochzeit«.
s 45 Jahre! Der chevaterdte alte
Gras. der den Posten des Generalins
ltentsanten der Kontglichen Schauspiele
steit einem Menschenalter schon beilei
;dete, hatte in der sicheren Erwartung,
Tdaß die Prinzessin die heutige »Fi
garo« - Vorstellung wieder besuchen
werde, ihr dieses alte Dotument in
die Lage gelegt und aus so zarte Art
Hhr diesen Abend zu einein ganz be
sonderen Gedächtnisseste geweiht.
Träumend richtete die Prinzessin
lihre noch immer jugendlich strahlenden
Blauaugen aus hie große Königöloge
rechts über ihr und suchte sich das ge-’
Hjellschastliche Bild zurückzuzaubern,;
das an jenem einzigen unvergeßlichen
»Maiabend ihres hochzeitstages dies
zRiesenloge dort oben umrahmt halte.;
Dieses Gewimmel von KönigenJ
Prinzen und Fürsten, an ihrer Spihes
weiland ihres Vaters Majestiit —- undj
zvorn an der Logenbriistung ste selbsi
Eim Brautschmucl und neben ihr —- die!
glänzende Gestalt ihres jungen schö-s
xnen PrinzgemahlL !
; Ach — himmel — wo waren fie!
iheute alle, die erlauchten Gäste jeness
istrahlerrden hochzeittsestei —- und wol
;waren die, die der Prinzessin damalsl
—- mit Mozarts »Figaro« —- den
Hrchzeitsreigen sangen?
Sie durchslog die Reihen der
Künstletnamen aus dem seidenen
Theaterprogramm — die goldene
Lorgnette gegen die Augen drückend
—tot — tot —- tot — gestorben —
hin —- Sänger und Sängerinnen von
damals verschwunden und vergessen· ..
Jetzt verdunkelte sich das haus, die
große Pause war vorüber —- die Oper
nahm ihren Fortgang
Ties, ties in ihre Erinnerungen ein
gesponnen, wohnte die Prinzejsin dem
Rest der Vorstellung bei, an deren
Schluß Clementine mit dem heutigen
Programm auch den seidenen, den hi
storischen Theaterzettel mitnahm, um
ihn daheim der Barlhausen zu zeigen
und ihn ihrer eigenen Neliquiensamw
lung einzuverleiben.
Eine Zeile des Dankes morgen
noch an den Generalintendanten, der
—- taitvoll wie immer — an diesem
Abend sich nicht gezeigt hatte
Aber die alte Königliche hoheit —
ein noch heute höchst spontaneg
Frauengemiit — vergaß den ganzen
lhrischen Mozartabend schon über ih
rem nächsten, recht umfangreichen Ta
gesprogramm das ie noch diesen
Abend eisrig disponierte, so gründlich,
daß weder der Danlbries an den Ge
neralintendanten geschrieben noch der
seidene Theaterzettel der tranken
Barihausen vorgelegt wurde.
Urst in der zweiten, aus oen »Ic
garo'· - Abend folgenden Nacht fuhr
die Prinzessin aus tiesem Schlummer
mit einem Angstschrei plöylieh aus«
denn sie hat ein ganz entseyliches
Traumbild gesehen.
Der alte, weißbärtige Kastellan des
Opernhauses toar vor ihren Augen —
in seiner Galaunisorm —- ins Wasser
gesprungen und im Augenblick laut
los- darin versunken.
Von dem Angstschrei. den sie selbst
ausgestoszen, war die Prinzessin in
ihrem Bett jäh erwacht und lag seht
mit wildllopsendern Herzen eine Weile
regungslos da —- in Angstschweiß ge
badet.
Jeyi ordneten sich ihre Gedanken
allmählich, und sie sing an, diesem
»Alpdruck dankbar dafür zu sein, daß
ser ihr die Erinnerung an den alten
Rastellan zurückbrachte, um den sie sich
ngeieh morgen sriih kümmern wollte.
) himmel — himmel — dem Grasen
ILoscn dem Generalintendanten, hatte
sie auch nicht siir seine große Illustriert
sarnteit gedankt!
Ach — ach — man wurde alt.
sDas Gedächtnis sing an out-zuset
zen. Man mußte die Ohren sesthali
ten. .
Sie entzündete sogleich das elektri
’sthe Licht aus ihm Nachttoilette und
schrieb aus eine Schreidiasel, die dort
tag, mit goldene-n Stiste in groken
buchstoden den Namen des Genera in
iendanteru Dann verlöschte die Prin
zessin das Licht, nachdem sie aus der
kleinen Repetieruhr gesehen hatte, daß
es drei Uhr morgens war. ;
Zehn Minuten später fiel sie wieder
in ihren tiefen, gewohnten, gesunden,
ruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen, gleich nach
dem Bade, feste sich Prinzessin Cle
mentine an ihren Schreibtisch und
richtete diese Zeilen an den General
intendanten:
»Mein lieber Gras!
Nehmen Sie, tvenn auch verspätet
jmeinen herzlichsten Dank für die zart
sinnige Aufmerksamkeit, die Sie mir
zam letzten »Figaro« - leend erwie
sen.
Das Hochzeitöprogramnt, von dein
ich ein Exemplar nicht mehr besaß,
bereitete mir wehmütige Freude nnd
ztauchte mich in eine Flut seliget Cr
« innerungen.
Wollen Sie Jhrer Güte die Krone
aufseßem so bemühen Sie sich doch
möglichst sogleich zu mir: ich möchte
etwas mit Jhnen besprechen.
Aus Wiedersehen
Jhre Ihnen wohlgesinnte Clementine’.
Ein Latai brachte das Hanf-schrei
ben dem Generalintendanten in seine
Diensttvahnung
Eine halbe Stunde später wurde
der Gras der Prinzessin gemeldet Sie
lLichte dem schlankem heute noch stat:
lichen, weißhaarigen Kavalier, oein
der schwarze Gehtoct prächtig stand,
die Hand zum Flusse und lud ihn
zum Sitzen ein.
Dann ging sie in ihrer entschlosse
nen Art sofort zu ihrem Gegenstande
liber.
»Es ist lieb von Ihnen, Gras, dasz
Sie meine Bitte so rasch erfüllen nnd
mir die Freude Jhres Besuches schen
ken. -
Jch habe Sie lange nicht gesehen
und freue mich um so mehr, Sie end-«
lich wieder einmal hier zu haben,
wenn gleich so viel ernster als sonst
—- und ein wenig blaß —- und mit
genommen, wie mir scheint.
Lieber Gras, haben Sie über Jhre
Gesundheit zu tlageni«
»Nein, Königliche hoheit«. i
Elias ich Ihnen sagen wollte, ist«
fvlgende5... An der Einfahrt zur
hvflvge im Opernhaus steht seit mehr«
als vierzig Jahren allabendlich —- ein«
hochgewachsener, sympathischer Mann
—- heute —- ein Greis» .«
Die Prinzessin stockte. Denn ent
gegen allen Regeln des hoszeremvs
niells war der Gras plötzlich ausge
sprungen und hatte sich mit einem
tiefen Seufzer abgewendet. . .
Gebeugten Hauptes stand er da.
Die Prinzessin fühlte, wie ein eisi
ges Grauen ihr ans her-z griff. Eil
nahm ihr den Atem. Mit weit ge
öffneten Augen starrte sie ins Leere —
ein banges Schweigen ging betteln
rnend durch den tdniglichen Prunt
kaum.
Die Prinzessiii kunnte dies Schwei
gen nicht länger ertragen. Jn der
qualvollen Gespanntheit ihrer Seele,
in der törperlich-schmerzvollen Ge
wißheit, etwas Furchtbares irn näch
sten Augenblick erfahren zu müssen,
stieß sie das Folgende turz und ah
gerissen hervor:
«An jenem Abend —- vorgestern —
als ich zum »Figaro« tam —- be
rnertte ich, daß der —- der Kastellan
—- dessen Gesicht mir seit Jahrzehnten
vertraut ist und angenehm war, un
siiglich —- verstört aussah — ganz
unsäglich — —
Es war nur der — der Bruchteil
einer Selunde —- daß mein Auge in
seinen Blick tauchte — und darinnen
Todesqual sah —- Todesqual ja
wvhl. . .
Jch wollte den Mann in meine Lage
bitten — ihn fragen —- ob — ob —
man ihm nicht helfen lönne —- vergaß
—— ja —- vergaß es aber dann — —
Tvtal
Man ist ja so zerfahten und
sprunghast. Kommt vom Hundertsten
ins Tausendste. Sieht und sieht nicht.
Beschlieszt und vergißt, den Beschluß
auszuführen Hat so wenig Samm
lung und Rast. Ein Bild verdrängt
das andere.
So geschehen solche Unterlassungen,
über die man sich hernach die bitter
sten Vorwürfe machen muß.
Man hat zu oiel im Kon — zu
viel —- zu viel ...«
Sie hielt inne — noch immer den
angstvoll gespannten Blick auf den
Grafen gerichtet, dessen weißer Kopf
nur noch tiefer herabsant.
Der sonst korrekte Hofmann stand
noch immer abgewendet —- jetzt zog
er das Taschentuch und führte es an
die Augen«
Da sprang die Prinzessin aus ih
rem Sessel aus; von Angst gepeitscht,
packte sie den Grasen mit beiden hän
den an den Schultern
»Was ist mit dem Manne2!« rief
sie.
»Er hat sich heute nacht erschossen«,
lüsterte der Graf, der sieh fett der
rinsessin zu ewendet tte. Die
Ame waren Ia schlaff abgesan
slew Sein Gesicht zuckte vor Erresj
sgunn (
Die Prinzefsin wankte, sie ergriff,
note um einen Halt zu suchen, des
Jakoka Recht-. Dem-I qvek kiß sie ih-s
iken Willen traftvoll zusammen;
stärnpfte ihre Erschiitterung niedetJ
führte den Grafen zu seinem Sessel
zueiick, nahm ihren eigenen Platz wie-s
der ein und sagte in einem befehlsis
habekifchen Ton
»Was ist geschehen? Berichten Sie!««s;
Der Generalintendant faßte sich. Er»
berichtete jetzt mit fester Stimme: «
»Vo: einer Stunde, Königliche Ho
heit, erhielt ich den Brief des alten
Kastellans, in dem er mir mitteilt,
daß er aus dem Leben gehen müsse,
weil er die Schulden nicht bezahlen
könne« die sein einziger Sohn, ein
junger Leutnant der Linie, im Elsaß
gemacht hat. Dieser Sohn war des
Alten ganzer Stolz gewesen« Er
hatte den Jungen mit unerhörten per
sönlichen Opfern endlich so weit ge
bracht —- und nun tam dieser Schlag
Zehntausend Mart oder schlichten
Abschied.« · .
Der brave Alte, ein hochachtbarer
Mann, sah teine Möglichteit einer
Rettung, war stolz und verschlossen
und ging schweigend aus dem Leben
Heute nacht erschoß er sich —- heute
nacht — um drei Uhr«. l
»Heute nacht — um drei« —- hauchis
te die Prinzessin, die totenblaß gewor-;
den war und wie abwesend vor sich;
hin nicktr. . I
Hätte ich —- vorgestern —- dachtei
sie — hätte ich mit dem alten Mann
auch nur ein Wort gesprochen... l
Sie strich nervös über die Stirn,
als wollte sie etwas aus ihren Ge
danken gewaltsam sortwischen. Eine
lange Pause entstand. Endlich sagte
die Prinzessim »Mein lieber Graf,
ichsweise Ihnen hiermit-Uns meimr
Schatulle die zehntausend Mart an.
Reiten Sie die Karriere des jungen
Leutnantsi Ich —- ich lege diese Sa
che — vertrauen-voll —- in Jhres
Hand. Berichten Sie mir später dar-i
über!
Jeht —- «eht — leben Sie wohl! —
Jch danke hnen«.
Ein Schluchzen erstickte ihre Stim
e.
Der Gras küßte die dargereichte
Hand und ging, sich dreimal vernei
gend, zur Tür.
Die Prinzessin weinte lange —
weinte einsam in ihrem Gemach über
das jähe Sterben eines alten Men
schen, dessen Namen sie nicht einmal
tannte.
Die Prinzessiei weinte über diesen
Toten, über sich selbst, über uns alle
Sie weinte über uns Menschen, die
wir unbewegt und tatenlos an der
Qual des Nächsten vorübergehen, unH
in Kunitträumen, Erinnerungen und
Genuß verlieren, indessen der Nächste
—- der Nächste in Qual und Verzweif
lung hilflos dahinsabren muß.
—.--.-——
M
Die Stnsenlriier.
Tritt in den Heeresdienst ck ein«
So iit der Solidat genicin
Bald schreitet dic Ormanni-n weiter
llnd der Soldaic nsird Wir-eilen
Jst cr crit llntcroffizici,
Dann ist er srlion cni grosse-S hier.
Vetzicrt man ihn noai nin ncni duldde
Dann steigt dic Wurde ilnn zn stumm
Eis wird als Große ancilannt
lliid dienstlich »Herr Zeigt-ant« genannt.
ziticgt er dann gar den langen —Enicjz,
So lebt er loic iin Paradies
Und blickt als Vizc ital-i jehnnder
Stint das-·- gemcine tit-oni1,iciig runter.
Naht man ihni an dcn grossen stnops,
Zieht cr vor Freude anf dein stopf.
Hoch über dem gemeinen Trossc
steht er iinn auf disr honiiten Sprosse
Der innern, steilen Ztiifciilcilcr.
Dann itoppt ci, denn es geht niait wei
tei.
Jetzt glänzt in hiininclholicr Reinheit
Er anf dein Gipfel der (ilcmrinhrit,
Tut feine stoinpanie liennittern
Und darf, rnit Rein-, siir zweie fnttcrn.
Er hat crreth sein hiiiliiics Ziel
lliid tritt nun wieder ins- Zivil.
—-.-.
Belgiithe Jungen.
Ein Landstnrminann in Belgirn
teilt folgendes Erlebnis mit: »Als
ich türzlich einmal zum Zeitvertreib
durch die Straßen der fremden, doch
jetzt mir schon recht vertrauten belgi
schen Provinzstadt schlenderte, traf ich
in der Nähe des Marties aus eine
Schar 10—12jiihriger Knaben, die
sich zu frohem Spiel vereinigt hatte.
Unauffällig hemmte ich meine Schrit
te, um zu beobachten, was die Jun
gen treiben wollten. Spielen wollten
sie, darüber konnte tein Zweifel sein.
Was sie spielen wollten? Natürlich
«Soldaten«, ganz wie daheim die
unsrigen. Und einer —- sie redeten
sranfiisisch —- sprach: »Ich bin ein
Den scher, Du bist ein Franzose«.
Da reckte sich der Angesedete, so sehr
er konnte, ging ein paar Schritte und
entge nett wörtlich: »Nein, ich bin
der entsche. Sich einmal. wie ich
schön gerade gehen lannl«
— Zettgemiiße Variante.
Wenn du noch etwas Butter hast«
dann danle Gott und sei zusriednn
Iie Inhalts-eh
Tiroler Skizze von Hermann Greinz
Tief drinnen im Tiroler Tal steht
das RautiAengele, ein ileiner Bau
ernhof mit zwei Kühen, einer schma
len Tenne und einer Schar gackern
der hennem Der stolze Hahn bläht
sich als Vizelönig auf dem Mist,
denn der eigentliche Herr hat sein Kö
nigreich verlassen müssen und steht
im Feld. Weit droben, irgendwo in
Galizien.
Jn der Stube, auf der »Gut
schen"·» einer behaglich gepolsterten
Osenbant, sitzt der weißhaarige Aehnl
mit der großen Hatennase, an der
sich das kleine Martele festhält,
wenn es auf seine Knie klettert.
Beim Ofen ist gut sein. Der Aehnl
hält die qualmende Holzpseise in sei
nem fast zahnlosen Mund und
schmaucht anisijchtig den Tabak.
Den hat ihm seia Sohn Loises ge
schickt. Es ist taiserlich töniglicher
Kommißtabat, den er beim Miiitiir
ausgesaszt hatte Der Vater sollte
auch etwas vom Krieg zu riechen be
tout-nen.
Der Aehnl denkt nach. Der Krieg
läßt ihn nicht zur Ruhe kommen,
nicht allein des-halb, weil es um sei
nen,Buben geht. Er war auch nicht
sonderlich weich geworden, als der
Loises mit den anderen fortzog.
»Dreinhau’n!« hat er zu ihm gesagt,
nnd ein wildes Glänzen hatte sich
in seinen mühen, fast erloschenen Au
gen gezeigt. . . Der Aehnl hat es
sich vielleicht anders dargestellt, hatte
an die niörderifchen Kämpfe der Ti
roler gedacht, von denen er in seiner
Jugend erzählen gehört, von den Ti
rolern, die den Feind mit Steinkr
winen und Pechkränzen aus dem
Land gejagt. Jn seinem Herzen hatte
sich unermeßlicher Groll nufgespei
chert, aber mit der Zeit war er müde
geworden. De-. Krieg dauerte ihm
zu lang. Berdrossen blickte er durchs
Fenster, wenn ein Nachbarsschn in
graucr Uniform, den Spielhahnstoß
auf der Mütze, den Arm in der
Schlinge tragend, draußen vorüber
ging. Früher, ja da war er, so
weit es ihm seine alten Füße erlaub
ten, hinausgeeilt, hatte den Krieger
hereingebeten, der mußte ihm erzäh
len·
Jetzt saß der Aehnl nicht mehr auf «
der Lauer, wollte scheinbar nichts
mehr wissen vom Krieg. Jn feinem ’
Herzen nagte aber die Frage: Wo
bleibt die Gerechtigkeit, muß es
Ströme von Blut geben, ehe die Sa
che des Rechts entschieden war.
Jn der Küche neben der braun ge
täfelten Stabe, in der der Aehnl
saß, hantierte die Mena, das Weib
des Loifes. Ende der Zwanzig, groß
und stattlich gewachsen hatte sie Lai
ses aus dem Rachbardorf geholt und
als Bäuerin auf das Rout- Aengele
gebracht. Der Oerrfchaftswechsel hat
te sich in vollem Frieden vollzogen,
der Vater ging in die beschauliche
Nuhe des Altenteils, nachdem er
Haus und Hof den jungen Leuten
übergeben hatte Der Loises und die
Mena hatten starke Arme. Ein flachg
blonch Mädele war noch da, dasl
Mariele, vier Jahre alt, ein Manna-l
aiaer Guttindiewelt. Hatte schwerl
Abschied genommen, der Loise5, oons
Weib, Kind und Vater, besonders-s
schwer aber, tveil er wußte, daß sichs
sein Weib wieder Mutter fühlte.s
»Wird ein Wintertindl toerden«, hatte -
er noch lächelnd gesagt, »das mit der
Schneelfauben und dein Schlieser zur
Welt kommt. Vielleicht bin ich wie
i"er zurückt« Vielleicht. . . Der Schnee
deckt alle Hänge, und Mena sieht ih
rer schwer-glücklichen Stunde entge
gen. Wird ein Kriegskind werden,
das ver Mutter die Sorgen aus dein
Herzen gehorcht.
Der Llehnl in der Stube sinniert
vor sich hin, ist schläfrig geworden,
die Pfeife ist erloschen. Da schleicht
sich von der Küche das Mariele her
ein, im Arm tranipfhaft die Puppe
haltend, die das Christkindl gebracht
hat. Die gibt sie nicht aus der Hand,
nicht einmal zum Anschauen, selbst
wenn man ihr einen Kreuzer schenkt.
Das Mariele drängt sich zum Groß
vater und will gehutscht werden. Klet
tert miiham auf feine Knie; das
Händchen trampft sichan die große
Hakennase, bis das tleine Mädele
erst den richtigen Halt hat. Nicht ge
nug damit, ein Liedel muß er ihr
auch noch singen.
s s II
Der Loises aber hockt im Schützen
graben, hat sich tief eingewintert in
Schnee und Eis, verwildert Haar
und Bart.
Mitten im eintönigen Leben, das
schon mehrere Tage kein Schuß, kein
Sonnenstrahl und tein Gruß aus der
heimat unterbrochen hat, kommt ein
Brief mit unbeholfenen, zittrigen
Schriftziigen, vom Vater natürlich;
der Loises aber jubelt aus. Ein Bub s
WI, und wie ihm die Kameradens
gratulieren, werden feine Augen naß.
Freilich, der Kaiser braucht Solda
ten; die Jahre werden auch vorüber
gehen, dann wird er ,,fpielen«. Kei
nen anderen Gedanken hat er jetzt,
der Loifes, ein Kaiserfchühe muß er
werden wie er und das Heimatl zu
sammenhalten, bis schließlich auch
einmal der Loifeö auf der Ofenbank
sitzt wie jetzt der Aehnl.
Der Loises ist treu, nimmt feinen
Stutzen wieder. um ihn aufzuwär
men. Den Brief fleckt er in die Herz
gruhe. So eine Botfchaft fchirmt
mehr als ein tugelsicherer Panzer.
Von fern dröhnt Donner der Ge
fchiitzr. Sie schießen das Bübel ein,
denlt sich der Loifes, ist ein vorneh
mer Prinz, lricgr hundertundeinen
Schuß.
Die Schlacht rückt näher, die »fel
fenföschten« Oberländer machen sich
bereit. Aus der Untätigteit der leg
ten Tage reckeln sie sich wie baum
Tstarke Riefen. Wo es dick hergeht,
sind die Tiroler dabei. Es dauert
Inicht lange, da roird zum Sturm ge
fblnfem Noch liegen sie in der siche
Iren Deckung des Schützengrabens.
Jtleine Bauer streckt die prallen Aerm
;nahen Wald her, zwei, vier, sieben
:Mann, die Augen der Tiroler aber
»sind scharf. Der Loifes hat zwei aufs
Korn genommen, muß sein Bübel ein
fchießen, ift ein Prachtfchuß geworden.
Jn wilder Haft ftiirmen die Russen
zurück, aber aus dem Wald kommen
hageldicht die Gefchosse und bestrei
chen den Schüaenaraben
; Bis zum Abend ist Ruhe. Die
»Hu-ei Kosaten liegen im Flimmerlicht
des Mondes aus dem Schnee. Den
Lotses laßt es nicht ruhen Da ist
ihm Feind nicht mehr Feind, son
dern Bruder und Mensch; die Toten
begraben« heißt man ein christliches
Wert. .
Der Loises schwingt sich aus dem
Schühengraben und schleicht leicht
fiißig über den Schnee. Der Wald
drüben schweigt, ist still und schwarz.
Da tnattert die Kugel des Russew die
ieige, gottverdammte, fährt zischend
durch die Lust und zuckt dem Lotses
ins Herz. Jst nur ein Brief gewesen
mit alten, zittrigen Schriftzügenz die
Russentugel macht teinen Umweg,
geht mitten durch, ist der hund-.rtund·
erste Schuß!
I . .
Ein Tag im Vorfrühling: der war
me Wind streicht über die Berge und
Wälder und frißt mit gieriger Zunge
den Schnee.
Tief drinnen im Tiroler Tal steht
das Raut-Aengele. Auf der ,,trumi
men Lies« liegt ein zerfetztes Hermes
tintleid. Gänseblümchen und Hirn
melschlüssel wagen sich schüchtern aus
den-. Rasen. Der stolze Hahn, der
Vizetönig, bläh« sich nicht mehr, es
liegt ein Prinz in der Stube. Der
kleine Bauer streckt die prallen Anm
chen aus der Wiege, hat blaue An
gen wie das Mariele und lacht.
Lacht über Tod und Leben, will sich
sein Recht bewahren· und schreit
isleich wenn man ihm nicht zu Wil
len ist.
Die Mena hat es hart getroffen.
»Als mai-. ihr nach Wochen die Mes
singtapscl des Loises schickte, lag auch
der Brief des Achill dabei. zerschossen
und blutbefleckt Da ginges wie stil
ler Jubel durch ihr Herz, daß der
Loises noch die Freude um das Bü
bel in die bittere Todesnacht nehmen
durfte.
Sie darf nicht murren, gegen Got
tes Fügung muß sie tragen und
hoffen aufs neue. Sie hat zwei
starte Arme, die arbeitest von früh
bis spät; es tut not!
Jn der Stube hockt der Aehnl und
sinniert vor sich hin. Es quält ihn
im Herzen nicht mehr die ungeduldige
Frage, jetzt hat er Zeit, zu warten.
Denkt in stillem Gram an den Bu
ben, denkt nicht mehr ans Dreinhaun,
ist still und verloren geworden: lamcnt
einmal der Frieden, tommt er auch
iiber ihn. Wenn das Mariele sich an
seine Knie drängt und gehutscht wer
den will, schüttelt der Aehnl müde
lächelnd den Kopf·
,,Draußen, auf der ,,irummen
Lies«. blühen Himmelschiüssel und
Gänsebliimchen Mariele pflückt sie
mühsam mit den kleinen Patschhänds
check-» findet zwei kleine Aestc, faltet
sie zum Kreuz macht ein ernsthaft
Gesicht und trägt alles zur Haus
ntauer, Blumen und Kreuz.
Die Mutter tomknt vom Weg.
Friihlingssonne macht müd, der
Himmel, ist wie blaue Seide,
iiber das Raut - Aengele streicht
eine Wolke, weiß und zart
wie ein Schäflein. Das Kind
läuft der Mutter entgegen, macht ein
ernsthaft Gesicht und sagt: »Du, den
Vaterle hab' ich begraben!«
Leise weht ein Wind von irgend
woher, die Erde duftet statt, neue
Triebe schwellen. Die Mutter führt
das Kind in die Stube, seht sich hin
muß bitteeiich weinen.