Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 25, 1915, Sonntagsblatt, Image 11

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    W
Stein«
Von Emaiiiiela Varwiin Maul Löwen
Kruz.
Einige unter uns has-en sieschivöri
nierisch geliebt, andere taszieii sie —
wie Schnlmiidcheii das qui töiiaen«
rnit tausend Sticheleien und tiiidi
schen Bosheiten Gleichgiiltig blieb
teine. Sie lernte gleichsam spielend
Wenn wir iider das Thema eines«
Aussaszes seiiszteii, untereinander lot
spelien und ratlos in die Ecke-irre
Klassenziininers starrten, ipitzte Jn
ne seeleiiriihig eine Anleyi Bleististe,
die neben dein Uebungddeite bereit
liegen mußten, neigte die getraiiste
Stirn über das Blatt und begann.
Bald gewohnen wir, daß der Slosf
siir sie jegliche Sprödizleit verloren
hatte, denn sie geriet in fliegende
Hast, und ein Bleistisi nach dein
anderen wanderte, stiiinrs geworden,
aus seinen Plan zurück. Ein leicht
ongespanntes Lächeln lag aus ihrem
Gesicht, und während der starren un
serer weniger beschivinqteii Phanta
sie langsam dahertrödelie, in tausend
Nöten wohl aiich stecken blieb, siihri
te sie ihre Arbeit in brillaiitern
Fluge zu-Eiide, tranite Fch ein Buch
von zu hause aus dem Schiilrani
zen und oertieste sich darein. Sie
liebte es nicht, uni ihr- Letiiire be
srsigt zu werden. Wir sahen auch
nie die verlockenceii Ukiisciiliige einer
goldgepreßten Klara Einn, Eninii
Nin-dem oder sonstigcis Bactsisuss
schwarin in ihriri Das-dein sondern
es schienen wissenschaftlsche Bücher,
die sie der häuslichen Bitsliothetents
noininen hatte. Später alk- ich ihr
ein wenig nat-erstat, erfuhr ich, daß
sie sich nöchtelang init Schopenhiiien
Nietzsche und sonstigen ichioergriindii
gen Philosophen heriisrsschlug Tee
und starken Kasse dazu trank, wäh
rend die nichts ahnenoe oder allzu
nachstchtige Mutter einige Zimmer
weiter rudiii ichtiei.
Daß Jrene durch die Wahl ihrer
geistigen Führer, durch den Wust
von viel Undersiandenesn nnd das
absolute Unorrmiigen, sich einem er
saheenen Berater zu osienbaren, der
sie in diesem Wirrwarr, der Emp
sindnngen hätte leiten tönnen —- in
große seelische Not gehet meine ich
wohl. Anderseits litt sie wie alle
Vertiinder und Vortäxnoserz sie war
die erste in unserem Krreie, die nach
erweitertem Wissen hungerte und
dürstete. Als die Hotaschulen spä
ter den Frauen wirklich ihre Tore
gastlich össneten« erwarzete ich nicht
anders, als dass unsere Jiene eine
der ersten sein würde, sich den Wis
senschasten nun völlig in die Arme
zu wersenUDas geschah jedoch-richt.
Sie war inzwischen sowohl in gei
siiger als auch in soziaier Beziehung
eine Eigenbröilerin gen-orden, ich
lande, es wäre ihr enttsszlich gewe
sen« aus ihrer geliebter. Einsamkeit
herauszuttetem in der Schar der
Studierenden ausgehen zu miissen
Vielleicht auch lodten tie Wissen
schasten nicht mehr, da ihr unqeleii
teter Sinn in der Dich-; schthlcs
durchgriibelter Nächte die Bittetnis
immer neuer, ungelöster Fragen
durchgelostet hatte. Inzwischen war
Jrrne 18 Jahre alt geworden, und
erst seht wird es mir oåilig llar, wie
eigenartig schön sie « jener Zeit
war. Wie waren so.srhr an tie
blossen, regelmäßig gezeichneten sil
ge gewöhnt, dass wir weiter tein
Wesens daraus machten, und wenn
ein Fremder s:i9te, wie itiiin sie sei.
so nisten wir rnit dea Siöpien nnd
meinten »ja, ja, recht hübsch« ——.
Aber heute erscheint mir Jeenes
Antlitz als das hinreisiendsie und
dabei süßeste, das ich in meinem
nanzen Leben aesehen inde.
Dem Drängen ber J.-tutter mich
gebend, entschlos; sie sitt-, mit uns
nndeeen Ballnobizen die erste Tanz
unterhaltung zu besuchen. Jede vcn
uns meinte sich aufs Mächtigste her
ein-geputzt, aber ieine mar, vie nicht
doch einen Stich im Herzen emp
sand, nts sie nn jenem Abend Jres
nens gewahr wurde, denn samt und
sont-ers schienen wir Ltschenputtel
neben ihr... Die Mutter hatte sie
in weißen Atlas gekleidet wie eine
Vermi, an der Brust tru; sie weis-e
Rosen, und die im Riscten insge
steckten Blondzöpse mater mit lan
gen Perlenschnüren «urchflocl.ten
Die jungen herren scharren sich um
sie, und wer leinen T.-iiz, teinen
Blick, iein Wort ethalcken konnte.
blieb dennoch stehen und gafste sie
nn. Ihre Mutter strahlte ocr
Selbstbewußtsein in eitler Freude
Aber Jrene babe ich tacht ein ein
ziges Mnlliicheln gesehen Sie tanz
te, wie mnn ein Penium nbtnt
«Mich macht bns alle-! so müde.«
ilngte sie mir, als wie Auen Augen
bliet vor einem Spiegel allein stun
den und die Tänzer in respektvoller
Entfernung harrten. — .Wenn man
mit geschäeften, wachen Sinnen in
dieses nufgeeegte, hatbivnbnsinnige
Treiben bineinblickt. meint inan
nichts andere-, als hast man sich in
einein still-out befinde. Warum
mirs meine Empfindungswelt fo febr
von bee euren nbtveichen —- lch glau
be, ich toeebe in biesetn Leben telnen
eins Insenblick des Glückes
but tosien...
Nach diesem ersten Soll hat re
ne nie triebee einen besucht. De en
unaeqchtet siebenten semimberer unb
—
Bewerber ins Hauss. Wenn sie nun
vielleicht von einein ehrlich verlieb
ten Jungen nenivorhen worden wä
re, wenn es hindernisse und Hin
terhalte gegeben hätte, ein bißchen
Poesie, vielleicht hätte ixch auch tie
ses Antazonenherz ergeben. Aber eo
war nicht die nötige heilige Stille
unr ste, daß ein Schicksal-met ver
nehmbar gewesen wäre. Nicht ein
junger Mann tatn —- nein, zehn,
zwanzig —- inehr, die halbe Stadt
hat sich bei Jrene einen Korb ge
holt. Und weil sie immer darauf
vorbereitet fein mußte, Laß einer si
giirlich oder auch in Wahrheit vor
ihr aus die Knie sattt, hatte sie
eine Gebärde der Abwehr angencrns
men, die ein Rüstungbstück wurde,
das sie nicht mehr ablegte. Sie glaub
te einsach an diese Liebe nicht, die
sich an ihrer Gleichgutiigteit ent
zündet hätte —- — sie lachte den
Männern ins Gesicht, tagte ihnen
tausend Bosheitem nahm sie nicht
ernst· Das ging Jahre lo sort.Jh
re Schultolleginnen hatten samt und
sonders geheiratet. W.eder war sie
die Vertörperung eines neugebore
nen Frauentuni5. Sie ivar in un
serem Kreise die erste, rie dem be
lächelten oder gesehm-Um Stande
der »alten Jungser« den Nimbus
von etwas Stolzern, Zieigetvähltein
autdriictte.
Jreneno trotziges Her,;, das sich
der Mitwelt zu verschließen liebte,
össnete sich in Gottes sreier Natur.
Sie nslegte weite Streisziige in
die Bergwelt zu unternehmen Die
Uebertvindung von Saioierigtriten
bot ihr starten Anreiz, nnd im Lau
se der Zeit bildete sie sitt zu einer
hkchtouristin aus, der manchtiihner,
den Frauen bis nun vermehrter
Aussiieg gelang. Als sie eines Tas
ges von einer halsbrecherischenTour
zurückkam — von der ist-. besorgte
Mutter wie gewöhnlich nicht allzu
viel ersuhr — den Filzhut mit ei
nein Kranz Alpenblutnen geschmückt,
. wes innuovnsfirsnnto Reitliis in
leuchtende heiterteit getaucht, als sie
den Bergstock an die h,I.-·toandlehn
te und mit ausgelassenem Schwung
den Nuctsait irgendwo mg Gras-ab
wars, saß die Mutter itkll an ihrem
Plas in einen Wust von Zeitungen
vergraben. Und Jrene ersuhr, daß
während sie sorglos durch die Weite
streiste —- Krieg ansgsherchen war.
Die Mutter wollte m Sommer
srische nicht verlassen, learnte oor
übereilten Entschliissen, die Ziige
wären übersiillt, da in wenigen Ta
gen der Verlehr iin die Reisenden
würde geschlossen werden. Aber Jn
ne mochte nicht hören. Totsmiide
packte sie noch an demselben Abend
die Koffer, und am anderen Morgen
suhren sie nach der Deimat zuriiet.
Keine Stunde sollte ve:.c-ren gehen.
Unverziiglich trat sie eixtim Pslegei
tursus bei, der auch ktliche ihrer
ehemaligen Schultamerrinnen der
einte. lind ganz wie zur Kinder
zeit übertraf sie uns alle. Keine
wußte so geschickt mit Dein Werd-ind
zeug umzugehen, überwand so rasch
das Grauen vor dem Entseylichen
Während wir ansango blaß nnd
ängstlich durch die Kraniensiile
schliipitrn, leuchtete aus ihrer Miene
die hohe Freude, helfe-r zu dürsen,
die Genugtuung, endlich tnit ihren
Iiihigteiten einer Sach: restlos die
nen zu können. Die Verwundeten
siebten sie« hingen an «t-:, und war
einer nrch so trositos, sie vermochte
ihn auszurichten Manch armer
Junge litt unsinnig, Jrrne saß ne
ben ihm, hielt seine )«’;-einde, be
schwichtigte ihn wie eine Mutter,er
zählte don den Schlachten draußen,
wo die unseren wie die Löwen
törnpstem und daß tin-J Blut, das
auch er mitvergofsen, ten herrlich
sten Sieg erlausen srsiirde —- —
endlich lächelte so ein zermartrrtes
Gesicht in seinen Qualer« und leise
drückte eine schmerzzittsrnde Hand
die ihre.
n « s , « ...,s---—
W Jll Ulclkl okll ging mir unsre-s
Jrene eine Wandlung wi. Wir hin
ten kaum mehr ein hdnniiches oder
hechsahrendes Wort dosi ihr. Sie
war nur vcn Männern umgeben —
die sie ehemals zu ver-selten vorgab.
denen sie tausend Kleinlichteitem
Schwächen und Eitelke.trn vorwari
—- ini Spitnl lernte ti- des Man
nes Sein und Wesen tennen, in
dieien Kindern, die eeneden litten,
nachdem sie wie helden gelöcnpit bat
ten. Die Mast und dse Größe, die
Güte und die Geduld zeteg einzelnen
unter ihnen offenbarte »Ich ihr irrte
ein heiliaes Evangelium »Jrene war
auch nicht melancholiich oder geübte
risch in dieser Zeit, nee von nns
allen in diesen Winmtagen hat
denn nn sich denlen nsdaeni Wir
waren eine Armee von helfenden
händen und brenne-seen hergen.
nickts anderes tvar in unsereni Leben
als die Säle unseres Spitan die
sich ini Wandel der Wochen und Mo
nate stillten und leerten.
Eines Tages brachte man uns
einen jungen Qberleutn.s.nt von den
Kaiseriiitzem Er war start benom
rnen von den Qpiumgidrn die den
Iranipprt hatten ermöglichen müt
sen. Its der Rausch und die Be-«
nomrnenhett von ilnn wich, litt er
und Nacht unter quälendsten
S mer-en, das-i die Ilsezte ratlos
standen und befürchtete-i er lönnte
der Schmerzen tobltistisig werden«
Ei war die Rede davon, ihn in eine
Retoenheitanitali zu übersiihrentlltr
dies etwa noch zu vermeiden, trug
sich Jrene ern, die Pflege dieses Ver
wundeten völlig zu übernehmen. Jn
unserem Spinne wurde ein tleinej
Zimmer nusgeriiumh dort brachte
sman den Leidenden unt-r, Jrene unds
ich betreuten ihn. s
Was Jrene dabei leiitcte, ist un-;
I.sagbar Jch weiss nichr wie sie es
zuwege brachte, aber unter ihrent
IHänden wurde er still, stöhnte undt
«sv sehr wußte sie ihm Mut zu ge
f
seuszte nur mehr. Ich weiß nichts
mehr, wag sie sagte oder tat, aber
immer ruhiger wurde er, ein Scheins
von tvieder erwachenrem Leben
spielte iiber das versutl ne Gesicht,
ben, daß er selbst zu hcfsen und zu
glauben begann. Auch die Aerzte
sprachen von einer möglichen Ret
tnng. Jrene brnchte ihm täglich
Blumen, Orchideen, Reiten, Rosen
— er ahnte taum, wie kostbar die
Gabe war. Und nie sunnIe er sie
wie uns andere »Schu-·ester'·, son
dern »Mutterl" sagte er zu ihr. Als
es immer besser mit ils-n stand, ver
langte er Bücher. Jch wollte in
unserer Spitnlsbibliothet etwas siir
ihn holen. ,,Laß nur,« sngte Jrene,
»ich will selbst Bücher siir ihn
bringen. Es macht mir Freude, ihn
ein bißchen zu beschknten, und ich
möchte, daß sie ihn spatei im Leben
on »Mutterl« rrinnern...« Rnn
waren es aber nicht jene Schtnöler,
die sie zu lesen pflegte, sondern um
Fensterpintz unserer- tl: :nen Ober
teutntmts türmten sich prächtig ge
bundene Gedichtenbiinde, vaterlän
dische Werte Biittser von Frühling
nnd Blumen, Liebe und Freund
schaft. Und mit niiichsggem Prithosl
Eines Tages stectte mir miser
junger Mann in aller heimlichteit
ein selbstversnßteg Poe.n »u. Ob es
etwas tnuge? Ob der Leser nicht
darüber lachen würde? Ob man esi
wagen tdnne, es jemand zu Füßens
zu legent Daß nicht .ch der besag i
te Jemand sei, wußte itt natdrtsch
Die Verse waren unbeholfen, nbers
ein echteg, jungheiszeg ikswuchen und»
Fühlen sprach aus ihnen. Jch well-»
te ein bißchen Schicksal spielen, steck
te das Blatt Jrenen zu· Sie riß
eg mir aus den Händ-in Beninhe
zeigte sich wieder die tte Herbheit
An diesem Nachmittag überließ ich
kä- l.- LI-- kä- F-ll.k4 « l. ---- ID
.«. .».»«. ,..., ,.».. ... »
sorguiig vor Sie scheinen sich chiiiich
diiriiber, baß ich die Verse besiiß,
die eine andere anging-ern verständigt
zii haben. Als ich in ins Zimmer
trot, saßen sie niit leuchtenden Ge
sichtern. Wie ein Mäu-« ten verhielt
ich mich bescheiden, um nicht zu stö
ren, versentte mich in meine Arbeit.
tehrte ihnen den Rücken zit, on ich
nichts sehen sollte. Stille war's- im
3iininer. Die Frühtiiigzscnne schlug
eine goldene Briicte errin, nnd iitg
ob immerfort Enge vorüber gin
gen, sielen hinter niir leise, zag-!
hafte, glückntmenbe Worte. Jrene
war gewiß uin iniinchei Jahr äl
ter nls iinser Krieger, ioiig tiit es.«
sie ioiir plötzlich jung, sinnig, eine
selige Benut, obwohl its das Ge
heimnis bloß von ihren Gesichtern
ablnsk Die beiden blieben stiiiiiin
Dann ptöhlich —- eiiie Wochespäs
ter — geschah das Unfiiszbiire. Die
Aerzte sprachen von Rotiirilitiitioneii,
Operationen. Unser P·iiient war-.
be unruhig. biis Fiebkr nnb die
Schmerzen kehrten z.«riiii »Noch
eiiininl miissen ioie ihn :etten,« iiig ,
te Jrene Mit anruiiis unb Fami
iisniiis, mit der nniiusrrttbiireiiGe
wißheit, baß sie stärker sei iils das.
Schicksal, tiit sie Uebe::nenichliches.
Aber ihr Wert zerbrach in ihren
hönben Nur ioor tin-I Ende gott
lob sanft. Am letzten Tag tiinieii
Ivoii ireit her seine Eltern Und Ge-v
schwister. Schlichte Leute bie ver
sstört in der ctiibe siißiri und ri.sch
storeoer hinaus-gingen gse Cum-c
t
ftern wollten noch die Kirchen der4
Stadt besuchen — Irr-te mußte sie
erft mahnen, zn bleiben. fonft let
men sie zn spät. »Vieileicht iibers
windet er die Krife do.t: noch,« lag-.
ten die Eltern mit terfchlossenen,
ftnrren Gesichtern Am Abend gin
gen sie in ihr hoteL Gleich am
Morgen würden sie wiederkommen
Auch ich verließ das Zimmer. Jrene
konnte allein mit dem Sterbenten
bleiben. Jch gönnte ihr diefchmerz
liche Weiheftnnde des Alstchiedek »
Am anderen Morgen war nllesY
vorüber. Seine Verwandten wein
ten und flimmerten und tnieten rund
unt das Lager. Dann fchoben sie
zufammen, gaben die Naht frei fiirl
Jrene, die einen dnntlen Veilchen
trunz auf feine gefnttcten Olinde
legte. hochanfgerichtet ging sie. Siek
verbarg den Schmerz, nie sie die
Liebe heimlich getragen. Beim Be
gräbniffe anr von uns beiden nurj
ich anwesend Jrene hatte neue
Patienten übernommen nnd pflegte
in einein der Säle. Jus i vom;
Begräbnisse zurückkehrt-. sie in die
Arme fchliefzen wollte, irehrte pe
.Nicht fprechen,« bat sie, »nicht tw
nn rühren, sonft ertrag ich’s nicht!«t
Später fngte sie ein-nat trnntnveri
loren —- vielletcht hätte ich ed nicht
hören fallen —: »Mir einen Wnnsihl
— Vereinigung —- er Wt mich birld«
Bald nachher ertrantte sie an Lun
genentzilnduiig. Sie tyt te sich auf
gerieben, ihre ertchöpfteu Kräfte tot
derftnnden nicht. So ging ihr anfch
in Erfüllt-nd Jrene in nicht mehr .
las ee nnd- oarans vor I
F
Zvei steter-.
Von Eugeu Stande-L
»Die Nebelsrauen laufen wieder
übers Feld«, sagte der lleine Nudi.
«Und zum Lazarett —- als ob sie
auch die Verwundeten pflegen woll
ten« meinte ernsthaft Hans-Paul —
beides tleine. hübsche Jungen in Uni
forrnen, mit helmen und schleppenden
Säbel-i — Dinge, die das Christtind
gebracht hatte. Ja, der Nebel zog in
langgedehnten, dicken Schwaden über
die weiten Wiesen —- es fah aus,
als ob ziehende Gestalten mit lang
ausgestreckten Arm.n nach einem Ziel
griffen. . .
Und wenn die Nebelsrauen so
Ebers Feld ziehen, stirbt einer —
dachte Erwina.
Das war eine Sage aus ihrer fer
nen WölderhcimaL
Erwan stand im Rahmen der Tür
des tleinen Gärtchens und sah mit
ihren seltsam großen, unendlich tiefen
und dunklen Augen wie müde in das
graue Trauben So bekommen, so
nostle machte dieses Wetter.
»Gehst du wieder pfleger Matti?«
fragte hansAisauL der die weltfremi
den, seltsamen Augen der Mutter ge
erbt hatte.
-.,Ja, Kind —- heute wird wieder
xin requ Verwundetentransport er
wartet.««
»Dann spielen wir wieder Schlacht
inzwischen und verhalten die Russen,«
sagte Rudi Minnen-Lend
,,Jr —— spielt schön, Kinder —
behiit Gott!«
Mit geschnunqenen Daveln unem
ten die hübschen Jungen davon.
Etwan ging ihren stillen Gang
Erst durch die Häuser der großen
Jrrennnstult hindurch —- ihr Mann
war Beamte hier. . · An einem Fen
ster ward ein Gesicht sichtbar — ein
Frauengesicht, jung und schön. Dicht
an die Scheiben gepreßt war das Ge
sicht — rabenschwarzes Haar umfloß
es gelost wie Fittigex die Augen start
ten. . . So las-, sie immer — wie ver
steinert —- mit starrenden Augen«
Nur wenn sie Menschen sah, todte
sie. . . Und sie sah Erwinm Da
gellten sie aus, die grauenhnstem gräß
lichen Tobstlchtsschreie — marter
sehiitternd . . Was mochten ihr die
Menschen getan haben? —- Erschau
eend ging Erwina weiter. Jst das
Schicksal tviltliirlich? Jst ee weise?
Sie fragte es sich so oft. . .
Nun bog sie in die Landstraße ein.
Zur Linien dehnte siet weit das slnche
Land — Innz weit —- biz zu einem
Bahndrnnnn über den wie eine schma
te, schwarze Schlange, ein Vorortzug
kroch. . .
Die Nebelsranen ««ogen noch immer
iibers Feld und grisfen mit langen,
lun en Armen nach ein und demselben
Zie. . .
Wilde, vertrachsene Weiden stunden
cnn Weg mit wehenden, sliisternden
Zweigen.
Tropfen fielen, grrß wie Tränen.
Erwan ging durchs Dorf —- der
»neuen Jrrenanstalt« zu —- aber die
war sitt Berwnndele eingerichtet. . .
»Schwestet Erlvina.«. . .
Wie in besteiendem Aufatmen llang
das von so vielen Lippen
,Schtoester Erwina —- die Wunde
brennt nicht mehr so, wenn Sie da
sind.«
Die lnelancholiiche Frau lächelte
leise. Aus den loeltsrernden, seltsa
men Augen tliclte Güte jeden ver Ar
men an. . .
Die Dberin tam.
»Schtveroertoun«.)ete lomnten heu
Ertdina nickte nur —- und begann
so lind wie möglich einen, der sich in
Rußland den Gelentrheuinatiömug ge
holt, heilend zu massieken.
tc
Die Verwnrdeten kamen. . . vom
Osten her. Und einer war darunter,
dknr war die gan» untere Gesichts
hälste weggeschossrn. Man sah nur
rrnen weißen Verband und darüber
zwei Augen —- sclnvarz, Ioie ans ed
tem Samt geschnitten, und darnber.
wie aus dlaßgelblikltem Marmor ge
sormt die Stirn i-— die sich eine wirre
Welle schwitzen Haares bog. Die
Oderin neigte ihr Haupt erschüttert
zu Erwian »Der tann nur
tiinstlich ernährt werden! Wie lange
nur?«
Jst das Schicksal willtiirlicht Jst
es weise? Wieder sraate es lich Er
rvina Könnte es auch hier noch ei
nen Art-gleich schaffen-s Und fre trat
an das Lager des Allerärmste»n.
Das Unstete in den Augen milderte
sich· Gewinn hab an zu reden in
ihrer dunlelleisen lieben Art und
Inn dabei aus das Kartchen an der
Brust des Verwundeten »Nonge
mald Torsen·« hieß er. Rongetvald2
— Sie hatt- diesen Namen noch nie
esehbrL . .
»Wir psl:gen Sie schon wieder ge
sund —— es lomnst mal wieder
Sonnenschein —- bessere, glückliche
Zeit.«
Rangetvald Torsen aber machte mit
ler Hand eine seltsam bezeichnend-e
Geste. Wenn er doch zerstört sei siir
immer durch die sehtende untere Ge
sichtshälftett Was nn te ihnr da Le
ben und Sonnenschein !
Ersotna sah ihn voll all ihrer
Toiite an. Eber Sie können sehen,
hören —- das Edelste ist Ihnen geblie
oen. Und morgen schon sollen Sie
Oelga von heidegg hören, diese be
rühmteste der jungen Sängerinnen —
—
ich selbst hate an sie geschrieben und
ssie gebeten zu tontmen."
I Rougewald Tarsen schloß erschöpft
die Augen.
, Und Helga lam
s Als ob eine Undine —- die Lores
lei selber —- das Pvdium betriite . . .
Uliiirchenhaar —- rotgolden und glän
Izend. . . Blaugriine Augen« wie
lSonnen unter langen Wildern in
dem jungen fast griechisch-schönen
lGesichL
Und Helga sang — mit all dem
Zauber ihres-« vollentseten Kunst —
thd mit ihrer ganzen Seele, sang
Izum Schluß auch leichtem ausheitern
de Weisen
»Voget.im grünen Wald,
Kannst wie alt?«
So zuversichtlich, so lebenssroh
klang es: ,.Dreis3igmal, vierzigtnal
sntsszt du schreien.". . .
Da fühlte sie den Blick zweier Au
gen. . .
Diese Augen ließen nicht iib von
ihr. . . Dort —- in einem weichen
Lehnstuhl saß ein Mann. Nur
die Augen sah man noch — sonst
nichts-. . . Wie zwei Sterne waren
diese Augen. . . Helga von Heidegg
schritt durch die Reihen der Verwun
deten hindurch, sprach niit vielen.
herzlich, schlicht —- und stand dann
vor den bannenden Augen. Grauen,
entsetzliche-Z Grauen stieg wie eisiger
Frost in ihier Seele hoch und rann
ibr iiber dcn Körper-. Erwina hatte
ihr von drin Aern.sten erzählt. . .
Helga wußte. . . so -— ohne Gesichts
hölfte — ohne Mund —— ohne Lä
cheln — immer künstlich ernährt —
io sollte ein Mensch leben? Die samt
schwarzen Augen isihen tic noch sm
rnct an —- zwei sremde, nie ge
tannte Stett-e. . . Und Helgas
Grauen schwand in einem unsiiglichen
Erbarmen hin. Zu leisem Lächeln
sich zwingend-, neigte sie ihr goldschim
merndes Haupt zn dein Verwundeten
nieder.
,,hat Jhncn auch mein Sang ge
f- Ilse- T«
Ein schwaches Nisten wur die Ant
wert.
»Sol! ich Ihnen öfter etrvas vorfin
gen kommen, Herr ’Lorsen«i«
Rongetvnlds Händ flogen empor
im Aar-brach der Verzweiflung daß
leg teine Rede-, teine Verständigungss
iusöglishleit fiir ihn gab. Helga von
.Heidegg begriff kosort
»Dir —- Sie werden sirh verstän
digen lernen, ulles Schöne der Erde
sehen und hören —- und sich ver
ständigen «ruch; als qunz junges Mä
ksel habe ich's auch gelernt -- Steno
graphie.'«
Da guckte es jäh auf in seinen An
gen — er nittte eifrig.
»Wie? Sie tönnen stenographie
ren?«
Wieder das Nickesr
Da entnahm die junge Sängerin
ihrem Handtiischchen ein tleines No
tizbiichelchen und einen Stift und
reichte Rongelvnld beides. Er griff
hastig nach Leidens und schrieb. Der
.Sängerin Blicl glitt an ihm nie
älter. Schnitt —- ivie vom Hochge
liirge ein Tannenhnum —- edel ge
wachsen —- wie mußte er einft schön
gewesen seien · .
Da blickten die Augen wie flehend
zu ihr empor· Helgn las im Steno
grimmi:
»Ich habe nie, nie Schöneres gehört.
als Jhren Gesung!«
«Möchten Sie, dosz ich öfter zu
Jhnen törne?«
Rongelvnlds Hund führte den
Stist Oelgn lns: »Vor mir muß
sich ja fortan jeder Mensch entfet
izen;"
Helgas blaugriine Undinenaugen
tblictten lang-, lange in die schwarzen
’Stetne hinein. Jhre rechte Hand
Yaing langsam empor —— und strich
die eigensinnig wirre Haarwelle ans
ider gelblichrn Stirn ziieiiik eine
innendlich keusche, zarte Lielstosunky
ldann ruhte die weiße schmale Hand
IJer Sängerin aus dem schwarzen,
glänzenden Scheitel —— es sah aus,
ialg segne eine blonde Königin den
yeldgrauen Krieger . .
»Ich —- komme :rieder, Iliongewald
Torsen —- dst, so ost ich tann«. .
Sie glitt weiter. . .
Ertvina hatte die kleine Szene be
odnchtet . . Als sie später ihrem
Iheins zuschriti — einsam zwischen
den wilden, rerivachsenen Weiden hin
i—— salteten sich ihre Hände Doch —
es gnb ein Erbarmen des Schicksals
—— einen Aug-gleich .
Und als der kleine Rudi noch
zivach in seinem Bettchen lag setzte sie
sich zu ihm Und erzählte ihm ein
twunderschönes rührendes Märchen
.vois. einem armen Krieger und einer
Hungeri, blonden Königin . . Und
’die Königin heilte ille seine Wunden
und reiche ihm die Krone vom
Haupt » de wurde er König und
ihr lieber, lieber Mann. . Das war
e: n schöner Schluß. Und Rudi schlief
glückselig ein mit dochroten Wan
gen· . .
Helga hatte sich mit der Oberin
angesreundet und kam ost, ihr zu hel
sen. Ganze Nachmittage verbrachte
sie im Lazautt —- und saß jedesmal
lange, lange an Rangewalds Bett
Denn er hatte wider zu Bett ge
bracht werden müssen — er mußte
«liegen. Die Augen strahlten nicht
lmehr — matt blickten sie — ein Blick,
sder Helga ergriff. Sie streichelte leise
die Hand dell Kranken
»Was haben Sie nur daß Sie mir
smatter werdens Es ist als ob etwas
W
linnerlich nn Ihnen zehrek
I Ein Blick W sik spie noch nie —
ein qunlvoller Blick. Dann griss er
jzum Stift.
. »Sie haben Erbarmen mit mir —
Iich weiß es; und ich danke Ihnen das
innig —- aber Erbarmen ist keine Lie
Ibez mich kann niemand mehr lieb ha
ben —- ich möchte sterben.«
i Erschiittert lns es Helgu. Tränen
I schossen ihr ins Auge.
»Rongewnlb«, sprach sie leise, feier
lich, ,,tein Erbarmen —- nein s
Liebel Jch --— liebe Sie — ja, so wie
Sie sind — Jhr schönes Haar —
die Stirn —— Jhre Augen — lieber s
Rongewald’«
Er schüttelte ungläubig den Kopf.
Helga hob die gesalteten hände em
por und legte sie ans die Brust lvie
zum Schwur Da -- glaubte er. Der
Stift slog über ein Blatt:
»Mit dem ersten Blick, da ich Sie
sah, habe ich Sie geliebt! Jch habe
vordem nie geliebt-«
»Rongervled! — Und nun ist alles
guts Keine Bitterkeit mehr, lein
Sterbenwotlen?«
Sein Kot-i sank wie müde in die
Kissen zurück- Sein Mund —- sein
schöner, junger, roter Mund — wie
würde er jetzt gelächelt haben —
aber nur die Augen lebten ja noch.
.Waren sie zu mntt zum Lä
cheln? —- Helga stund aus nnd beugte
sich noch einmal nieder —- und driiäte
einen Kuß auf die lleiche, gelbliche
Stirn.
»Ich habe auch vordem nie geliebt
— nnd nun bist du auch meine ganze
Liebe.«. . .
Als Helga um andern Nachmittag
wiederkam, liefen die Nebelsrnuen
wieder lang iiber die Felder.
Es sah aus, als griffen sie nach
zsem zittppelturm des einen Lag-nett
hanses. · .
Auf der Schwelle stand die Obe
cin Helga rief ihr schon von weitem
entgegen: ,,Torsen -— lvie geht es ihm
mutim
Die Oherin ward sichtlich verlegen.
Da erschien neben ihr Schwester Er
wina. Die melancholische Frau hob
wie beschwörend beide Hände empor:
«Fnssung, Helgn — Rongewald Tor
ien ist snnst entschlasen diese Nacht
. und es ist heiser sv.«. . .
Helga schritt ini Erwinas Seite
durch die Säle· . . Alles wie sonst.
. .So viele, viele Augen sahen die
junge Sängerin freudestrahletid nu.
. . Und doch —- zwei Augen fehlten.
. Zwei Sterne lenchteten ihr nicht
mehr — nie mehr — die Augen des
Gliicts. . .
—-.-.———
Uns änder.
Von H. Maro.
Vor einer schloszähnlichen Villn iin
vornehmsten Viertel von London hielt
ein elegantes LlutoinobiL Ju ne
schiifttger Eile verließ es sein Jnsnsse,
Dottor Brotvn, der beriihmte Ir
rennrzt, von dein reichbetreßten Por
tier mit tieser Verbeugung begrüßt.
»Mister Huniiltcn zu Hausei«
Der Gesragte bejahte, und schnel
len Schrittes verschwand der Arzt
durch das Portni. Wenige Augen
blicke später saß er in dem mit reicher
Pracht auggestntteten Ernpsnnggsalon
dem Herrn des Hauses gegenüber Der
Arzt richtete seine Augen gespannt Jus
das glattrnsierte Gesicht des Multi
rnillionörs.
»Sie sind gewiß erstaunt, Herr
Doktor. dasz ich Sie rusen ließ?"
,,Jn der Tut, mein Herrl« erwi
« «c
I ·- Je- Mk- Wust
derte der Arzt. «Woniit tnnn set) die
um«-«
»Es handelt sieh um meinen Bin
der.«
Und Mister Hmnilton tippte mit
dem Zeigesinger der Linken vieltngend
an die Stirn.
Der Jerenarzt war sichtlich über
rascht. »Nicht möglich! Jhc Bru
der? Dieser junge, ledengsris.he
Minn, dessen sporttiche Leistungen ich
nus dem grünen Rasen so manches-sinnt
bewundert hube?«
Der Villenbesitzer nickte init betiiini
merter Miene.
»Und uns Grund welcher Sympto
me sind Sie zu Ihre-n Verdachte ge
kommen, Mister Hansilt0n«t"
»Nun hören Sie« sagte der Mut
timillionär erregt, ,,tvnrnm ntz rrn
Eintritt einer geistigen Störung bei
meinem Bruder annehmen muss. Er
ist doch völlig unabhängig reich, tehe
reich und hnt sich trotzdem —« stei
toillig zum Eintritt in die Armee ge
;meldet, um für sein Vaterland zu
-täntpfen. Nun« ist denn das nicht
losnplette Verriicktheit?«
--—-—-..-.——
—Doppeltinnig. Alte Jung
fer (die einen Hund taufen michs Jst
Mieter bund ankl- tret-?
» Hundehändterr Freiteinchen, io
ktreu tvnr Ihnen Iiberhnntst »e
i nert
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