Sonntag-Hatt de Skaaks 0«aneiger und Il'cerold. tiefes-freiwilliger Hine land. Novellrktc von Frone Krämer-. Karlernst Mariens war neunzehn Jahre alt und fühlte sich immer noch» etwas befangen in seiner neuen Wür de alz Leutnant. Das war auch alles gar zu schnell gegangen —- wie im Traume. Vor sieben Monaten noch Schüler des Gynaiiums, und gerade teine be sondere Oeffnung der Primn, dann innerhalb weniger Tage mit Not-Nei Jepriifung als Kriegefreiwilliger in die Laterne und in die graue Unl form, auf den Exerzierplntz. ins Feld und ins Feuer. Grausenhaftes war an ihm vor beigezogen Jn ungezählten Schwen gräben hatte er gestanden, gelegen, ge schossen, hise und Kälte empfunden nnd geschlafen, von unfäglicher Mii digteit übermältigt. Mit wildem Hurrafchrei tonr er von dort ge gen den Feind gestürmt. Dazwischen wieder Matschlage und Marschtnge, als wollte es nicht enden, zuweilen aber auch ein ruhigeö Quartier, wo man sich von wochenlangem Schinuh saubern, in einem wirklichen Bett lie gen und seine Gedanken ein wenig sammeln konnte. Ein paar rasche Zeilen nn Mutt;r, eine Karte nn ei nen der daheimgebliehenen Freunde: »Ich lebe noch!" » »Dann es geht vorwärts!« — ·,L-ol!te ich fallen, halte mich in gutem Gedächtnis!« Karlernst Martens inufzte sich wohl in all diesem kampfettoben außer ordentlich bewährt und hervorgeton haben. Schon in der fünften Woche gab man ihm das Eiserne Kreuz, später die Tressen eines Unteroffis Hiers. Als er sich aber, in einem heißen Gefecht, mit einer Schar von seiner Iruppe abgeschnitten, durch eine itarte feindliche Abteilung toll tiihii durchschiug und seine Leute so wie iiber funfzig Gefangene zurück brachte. wurde er Otfizier - Stellver treter, und nicht lange darauf tom seine Ernennung zum Leutnant. Wie eit. wiifter Traum erschien ihm dies altes noch an dein Frühlingstage. da er langsam den Laufgraben ah schkiti. uin sich nach dein Unterstand zu begeben, der schon unter den grü nen Waldbäuinen tag. lks war um Mittag, und die Leute holten das Essen von den Feldiiichem die an zwei Kilometer hinter dem legten Schühengraben am Rande ei i,es Dorfes standen Der Tag war fchön und hie auf ein ferne-, dumpfes Dröhnen in der Luft so still, daß Kaeiernst Mariens nach Wochen wieder einmal das wun derbare Gefühl des Aueruhens hatte. Freilich drüben — etwa sechshundert Meter vor der ersten Linie —- tagen die Franzosen. und in der Nacht konn te man manchmal Gesang hören, der von dort tam. Ader heute hatten sie noch nicht geschossen und schienen auch i.ictn die Absicht zu haben, einen An grifi zu unternehmen Auch in ihren Graden mochte e ietzt nach Eisen rie chen nnd nach dem Duft von schwar zem Wasser- -— — — Als der junge Leutnaiit bei ienem tinterstaiio angxlangt war, wandte er sich zurück, atmete tief die milde Luft ein und sat; einem Zug von Leuten entgegen. die eden mit gefüll ten Eimetn von der Feldtüche kamen. Das war ihm gerade recht, denn auch ihm mußten sie seht sein Essen brin gen, und er hatte ordentlichen Hun ger, den hunger eines Neunzehnjähris geil, der seit den. Frühstück nichts zu F genommen hatte. als ein paar iictchen Scheiolade und den Rauch einer Zigarette, die er hie und da an die Lippen führte, um einen langsa men Fug daraus ,·,u tun. ist lannte die Leute mit hen Ei nem nicht; sie waren ekst zwei Tage zuvor eingetroffen und lagen nicht in seinem Graben. Wie sie aber in seiner Nähe wnten und mit »Au geis linke-" un ihni vorbeischtittem viieb iein Blick tin einem von ihnen haften. iiin wunderliches Eint-finden über tani ihn eift, dann ein stotte- Stau nen. Ganz tot wurde das heaunges ioettette Junglingdgesicht Das war ju· · . Nein doch, ei konnte nicht sein. . . llndenihnt. . . Wie sollte denn das zusammenhän gent. . . Gewiss, et hatte sich geirrt. Freilich, der Itivc vierzigjiihtige. auf nllend schlanke Mann mit dein et was wie-ein leise angegeauten beau nen Bart hatte ihn. . . das war teine Täuschung. . hatte ihn auch niit einem Wundern in den Augen angesehen. . «hallo, Sie, Gef eitet!« tief Leut nuni Mariens einen an, der in dein Zuge dei- Essenttiigek ist's letzter und Ohne Gesösze ging »Ja Befehl here Leiitnant!'· : « .Gehöten Sie zu den Leuten» hier7«' « »so Befehl, Herr Leutnant!« »Da isi einer darunter«. . . so und to. . . Er schilderte den Soldaten, »Den meinen Herr Lentnant«, ant wortete der Gesteite, »den mit der großen, runden Brille?. . . Ja, det is auch sonne puszige Krulr. . .,.Pro fessor" rasen wir ihm. ’n Lehrer aus Berlin oder sowat» . . Kriegösreiwib liger Söneland Herr Leutnant!« Also doch. . . dachte Marten5. . . Eöneland . . Sein Lehrer Wilhelm August Söneland der Stille, der Träumer. wie sie ihn in der Schule nannten, wenn er einmal besonders nett war· . . Der Oberlehrer sür Deutsch und Geschichte an dem Ber sliner Gymnasium, dessen .Bänie der nunmehrige Leutnant Karlernst Mar iens noch vor einem halben Jahre ge drückt hatte, in steter Angst und Sor ge nm den nächsten Kltissenaussas, vor; dem er immer ein geheimes Grausens gefühlt hatte. Denn da lonnte ihm doch seine gute Schwester Elise, die Lehrerin, nicht helsen, Ioie bei den häuslichen Arbeiten dieser Art; da mußte er schon im Schweiße seines ei genen Angesichts so surchtbar schwere, geistestiese Söse hauen siir herrn Söneland und Gedanken entwickeln, die sich doch nicht einstellen woll ten... Sein Lehrer Ssneland den er troy allem doch außerordentlich hoch schiitzte, )iriegssreiwilliger. . . als ganz gewöhnlicher Soldat ohne Rang und Abzeichen im Felde. . . Und sein Schüler Karlernst Martens. die sei jungen Kerlchen. das so schlechte Aussage machte und in Geschichte auch nur immer gerade noch mitrutschte, war bereits Ossizier und der Vorge setzte seines gestrengen Lehrers, der vor ihm strammstehn und ihn mit hörbarem Ruck grüßen mußte, wenn er vorbeikam. wie eben seht. Das war doch eine sonderbare Ge schichte, und der Leutnant nahm sich dor, seinem besten. jetzt noch in der Schule schwisenden Freunde Tho mann, der wegen allzu großer Kurz sichtigteit untauglich war zum rau ben Kriegshandwerh schnell ein paar Zeilen darüber zu schreiben. Die ganze Oberprima, soweit sie eben noch vorhanden war, sollte ihre Freude ha ben. . . Jawohl, eine luriose Geschichte und eigentlich zum Lachen. Aber Karlernst Mariens brachte es doch nicht dazu. Etwas Wunderliches war in ihm, das durchaus nicht mittun und sden Gedanken, dem Freunde ein paar lu stige Zeiten zu schreiben über die Be gegnung, nicht gutheiszen mochte. Aber seine Schwester Elise sollte schleunigst einen Bericht bekommen Der war ja, wie er wußte, Oberlehs rer Söneland gut bekannt, aio älterer IKollege freilich, da er an derselben Höheren Töchterschule in deutscher Li iratur unterrichtete, wo sie selbst die « Jüngsten m die Geheimnisse der fran Izösischen und engtiichen Sprache ein izusiihren hatte. Das war auch geeig 3rseter siir sie und ihr etwa-«- schwärme "risch veranlagtes Gemüt als siir die Jungen, denen mehr das Spaßhaste ider Sache eingeleuchtet hätte. Ein sstrenger, wenn auch beliebter Lehrer, der seinem Schüler auss Wort und ohne mit der Wimoer u zuaen, parie ren und doch tnirs end in seinem Innersten denten mußte. daß dieser "seibe Leutnant vor ein paar Mona ten noch pslichtgemäß zu bibbern hat te, wenn er trotz aller Einsiüsterungen die Punischen Kriege heillog durchein-» ander brachte. ’ Nach dem Essen schon schrieb Leut-i nant Martenz den Brief an seinei Schwester schilderte ihr wie Herr Oberlehrer Söneland mit ei-s nem Subpeni und Kasseeimer an ihml vorbei marschiert war, ein Feld grauer mit schweren, lehmigen Stip seln und einer Unisorm, so herge nommen und verschmuht, daß dem immer mit peinlicher Sorgfalt geklei deten Mann gewiß vor sich selber« graute. l Die Sammelstette site die Feld-« post besnnd sich un einem weiter ent-« sernten Unterstand, zu dem Leutnants Mariens sich begab, als er tin Lausel des Nachmittags wieder aus demj Schüyengrnben kam. Gerade hob er den Denckel dee ungesiigen Knstens, Inn diesem seinen Brief onst-vertrau en, da erschien ein Soldat, nahm diel vorgeschriebene haltung an und war-I tete: Sönelanv, und wieder fühlte er,l daß er rot wurde. Aber er gab sich einen Ruck streckte mit lebhafter Herz tichteit dte Band aus und ries, vor Vesnngenheit etwas stotternd: »Herr· . · here Oberlehrer«. . . »Ja Beseht, here Leutnnnt!'· ant wortete Söneiand mit heller Stimme (tn ver Schule sagte inmi, er spreche Amor) and ergriss die band desi jungen Ossiziers, um sie kräftig zuj schütteln Dabei entsiel ihm der Brief, den« er in seiner Recht-n gehalten, und es W — geschah, daß here Leutnant Karlernst Mariens, seine Würde völlig verges send, sich schleunigst bückte, das Schreiben vom Boden aufhob und es dem Soldaten reichte. »Wenn ich bitten darf, Herr Ober lehrer«, sagte er fast schüchtern. Sei ne Gedanken waren wieder in der Schule. «Zu Befehl, Herr Leutnant!« gab Söneland stramm zurück, aber in scinen großen, blauen Augen hinter den runden Brillengläsern war ein Lächeln. ,,Wiewohl sich’s nicht recht schicken mag, Herr Leutncmt«, fuhr er leiser fort, und da dieser verlegen drein iah und ganz im Banne seines Schul respektes zu sein schien: »Aber sehr, sehr hiibsch ist es doch von Ihnen, mein lieber Karlernst Matten-. . . Auch daß Sie mich nicht vergessen ha ben. . . Ja, wenn man so seinem al ten Lehrer plötzlich über den Kopf wächst wie Jonä der Terebinthenbauni dazumal in Ninive«. . . »Aber, Herr Oberlehrer, dasiir — dasiir kann ich doch eigentlich gar nichts. Hab’ ja nur meine Schukdigs leit getan wie alle anderen. IT werde doch nicht — kann d nicht« — So ein ganz tlein wenig nahm er sich’s doch übel, daß et den Schüler in sich noch immer nicht ganz zu un terdrücken vermochte und sich sogar iibek den Scherz des Lehrers so freu te, als könnte ihm dies bei der näch sten Zensnr zugute kommen. Wenns jener nur nicht gleich fragte, war- mits dem Wunderbaurn des Propheten Jo-; nas eigentlich los war. So ganz geii nau hätte da Herr Leutnant Karlernst Mariens nicht Bescheid gewußt, eher ware ihm noch die vielgefiirchtete ,Vier« im Notizbiichlein des herrn! Söneland sicher gewesen. Aber der Kriegsfreiwillige dieses Namens fragte nicht. Dagegen nahm er die Einladung des jungen Offi zers, ihn doch in seinem Unterstanb auszusuchen und an seinen allzu zahlsi reichen Liebe-gaben teilzunehmen, mit herzlichem Dank an. Als sich dann» Martenj entfernt hatte, öffnete Säue land den Brief, der ihm vorhin zu Boden gefallen war. suchte auf den vier beschriebenen Seiten eine leere Stelle und schrieb: »Nun, mein verehrtes Fräulein Elise, habe ich Ihren lieben Bruder Karlernst wirklich als Leutnant an getroffen. Er schreibt Ihnen wohl auch darüber, und fo wird Jhnen Meldung und Betätigung in einem. Wie denn Goethe sagt. daß Memoiren von oben und unten sich begegnen müssen. Bleiben Sie mir auch wei ter gut, selbst »denn das Zitat nicht völlig stimmen sollte.". . . Leutnant Martenö hatte seinen Lehrer als Gaft im Unterstand und bewirtete ihn siirstlich mit all deins Guten, das er in seinen vielen Was teten sand. Söneland ließ sich Esseni und Trinken ohne Gewissensbedenkenl schmecken und planderte dazwischen mit feinem Schüler iiber die Prima nnd anderes, erzählte auch, wag ihn veranlaßt habe, freiwillig in den Krieg zu ziehen. Jn seiner Jugend sei er nicht einmal als »Landsturm ohne Wasse« zu brauchen gewesen« nm fo mehr hätte es ihn gefreut, dasz er als Vierziger dem Vaterlande; Kraft und Blut geben dürfe. Mitl habe er ja müssen! Ein Lehrers der Geschichte -—· wie sollte der nichts mit eigenen Augen sehen und anij eigenen Leibe erfahren wollen, wies Weltgeschichte gemacht werde! Er! habe bisher keine Ahnung gehabt,« die sei ihm erst ausgedämmert, alr er zum ersten Male im Feuer gestan den sei. Der Kriegöfreiwillige Sönetand schrieb dann auf die Bitte des Leut nantj einen Brief an seine Primit, und was Martens gestern wie hohn erschien, da er an Thomann über die Beg nung berichten wollte, das llang hier ganz rnders. »Der Schiis ler ward zum Führer, der Lehrer, der ihn erzog, lernt ihm gehorchen. Seltsam scheint diese Wandlung und manch einer mag lächeln darüber. Laßt ihn! Er hnt diese wunderbare, große Zeit nicht erfaßt Die Jugend voran, Freundes Zeige sie, was wir zu machen wußten aus ihr. Jeyt don nern die Kanonen. Jmmer näher und näher. . . Huren, nun kommen wir wieder damal« Sie kamen daran. Schon in ver Frühe des nächsten Morgens gab es Sturm. Die seindlichen Gräben wurden genommen. Zwischen dem zweiten und dritten wurde Leutnunc Mariens von einer Schrapnellkugel genossen Kriegosreiloilliger Söneland san ihn zu Boden sinken. Er sprang hinzu, nahm den Betousztlosen aus und trug ihn von der besonders ge säbrdeten Stelle, belastete ihn zit ternd, schnitt ils-n den Rock aus« aus dem das Blut quoll. Die linke Schul-« W ter und ver Oberarni waren verletzt, schwer aber nicht tödlich. Sönelano hatte die Freude, seinen Schüler aus der Betäubung erwachen zu sehen; er til-ergab ihn den herbeieilenden Sa nitiitgsoldaten und stürmte dann zu riick, den anderen nach. Mit einer leichten Verwundung kam er wieder. Aus dem Verband pfatz fand er den jungen Leutnant, der tunstgerechi verbunden auf der Troge lag. Er sollte in den Lazaretts zug gebracht werden. Jn die Heimat ging es, nach Berlin. Leutnant Karlernst Mariens sagte «Ach. Herr -Oberiehrer, jetzt ist aber sur mich die Weitgeschichte wieder aus.« »Für zwei, drei Monate. mein Junge,« antwortete der Rriegssrei willige Söneiarb und streiche-te sei nen Vorgesetzten »Uni) Hchivester Eiiie wird nun zu tun haben Was ich mir sehr schön bente', siigte erl hinzu, während aus seinen großen Augen ein Leuchten kam Diesrnal aber nicht durch die runden Brillen- ( giiiser Die hatte eine tückische Kugel mit einem Fetzen Haut iiber dein Ohr in die Lust geschleudert. - »Und ich«. sagte Karlernst Matten-J mit schwache-n Lächeln, ,,darf ich ihr wohl einen schönen Gruß bestellen von dem Herrn Oberlehrer, der heute seine Reisepriisung bestanden hat siir das Eiserne Kreuz?« »Ja Beseht, Herr Leutnant!« ant wortete der Kriegssreiwillige Sism ianb und gab dem herrn Leutnant Karlernst Mariens einen Kuß aus die Stirn. — Yie patriotenligm Sitz-Je von W. Johannes-. Die Erde darnpfte und der Regen rauschte eintonig wie ein Gießbach vom dunkelgrauen himmel. Seit Ta gen, seit Wochen ging das so, man konnte glauben, daß zu allem andern in diesem Unglücksjahr Frankreich auch noch ersäuft werden sollte. Herr Juleö Baroche stand, in einen seite nen Schlafrock gehüllt, aber sonst ser tig zuin Ausgehen angekleidet an veni hoben, breiten Fenster seines elegan ten Frühstückszirnrners und starrte in den trüben Morgen hinaus. Er roar groß und hager und hatte ein schma les, faltiges Don Quichotte-Gesicht, von dessen Kinn ein weißer Knebel bart wie ein dicker Eis-zausen her unlertropftr. Das Frühstück stand unberührt. Die slackernden Flammen des Kammer ers warfen zitternde Reflexe auf den kostbaren Perserteppich, sie spi elten sich in dein schweren Silbergechirr, das aus der Damastdecke des Tischcs stand und in ihrem Schein golden ausgliihte. —- Jules Baroche sah nichts von der ganzen Herrlichkeit Zeit einer Stunde starrte er hin über nach dem Städtchen Beauville. das er bis vor kurzer Zeit als Bur germeisier beherrsciit hatte. Seine Van lag etwas von der Stadt ent fernt neben seiner Fabrik auf einer Anhöhr. Er konnte ganz Beauville überblicken, dag, in einen feuchten Dampf gehüllt, han« schwarz und cnelancholisch vor itnn lag init dem viereckigen Nathauinursn in der Mit-» te. Wie ein drohend erhobener Find ger sah dieser Turm von ferne aus. Jules Baroche stöhnte. Jetzt toar es! halb zehn Uhr und er hatte sich feier-? lich verpflichtet, unt zehn Uhr den« Major Rocholv zu erichießen, den die! Deutschen als OrtstommandantenI etngeseht hatten und der sent als-l nungslos dort im Rathaus saß. I Wie ein wüster Traum erschien ihml das fett. Jrntner wieder fuhr er sichs mit der feuchten Hand über die Stir-l ne, als ob er damit seine Gedanten wegwischen könnte, aber sie knicken nicht. Wie ganz anders hatte er sich diesen Winter vorgeslellt! Als der Krieg ausbrach, war er eben im Be griff gewesen, sein Amt als Bürger-· meister niederzulegen Die Leinwand fabrit, die er aus kleinen Anfängen; zu hoher Blüte gebracht hatte. solltei sein Schwiegersohn übernehmen, der« seht irgendwo in einein Schützengtcp ben lag und et selbst wollte einmal ausatmen, zum erstenmal seit dreißig Jahren einen vergnügten Winter in Paris verleben. Alles war nicht«-, alles hatten ihm die Preußen verdor ben mit ihrem Krieg. Wenn sies durchaus die Welt erobern wollten, so konnten sie damit doch wenigstens warten, bis er gestorben war. Wie er sie hnszte, diese Preußen, Diesen dicken, alten Major, der da drü ben in seinem einstigen Amtszimmer snsk und mit einem Dutzend Land wehkleuten ganz Benuville in der hand zu haben glaubte. —— Glaubte! Varoche pfiff durch die Zähne· — litlaubteH Seit Wochen war die istntriotenlign heimlich am Wett, jeder Mann in Bcanville ir)tts-.ie, was er zus tun hatte, wenn die Stnkmgtocke län-; M tete. Wie ein Blitz mußten sie über die tleine Besaßuiig kommen, die hilsloo war, wenn der Kommandeur sehltc. Mit Begeisterung hatte er gestern abend, als die entscheidende Sitzung der Patriotenliga in seinem Hause stattfand, sich selbst erboten, den Major aus sich zu nehmen« Es war der schönste Augenblick seines Lebens gewesen. Alle jubelten ihm zit, drückten ihm die Hände, umarm ten ihn. Ganz Frankreich würde dein Beispiel von Beauville solgen und sich erheben wie ein Mann, wenn erst einmal an einem Platz reinii Tisch gemacht war, wenn sie sahen, wie leicht es qing. Jetzt, im kalten Licht des Morgens stiegen dem Bürgermeister allerlei Be denken auf. Er war seiner Sache nicht mehr so ganz sicher wie am Abend vorher, als der schwere Wein t die Begeisterung mächtig aufslamneenf ließ. Ohne daß er sich’g selbst recht eingestehen mochte, bedauerte er fast, sich so sehr in den Vordergrund ge drängt zu haben· Er hatte noch nie einen Menschen erschossen — das war aiich so eine Sache. Würden seine Hände nicht zittern, würde er nicht den Mut verlieren? te man nie sicher, wie so etwas auss ging. Wenn etwa der Major zuerst schoß? Juleg Baroche wurde ganz talt bei diesem Gednlen. Und dann wuß-. Die Uhr über dein Kamin schlug dreiviertel zehn Uhr. Mit einein energischen Entschluß schlüpste Jules Baroche aug seinem Schlafrock und kleidete sich vollends an. Der Diener brachte den lleberzieher, die Gumini schiihe und einen Regenschirin. Als er das Zimmer wieder verlassen hatte, steckte Jules Baroche einen kleinen, niedlichen Revolver in die Tasche, die sich komisch bauschte, als stecke ein Apfel drinnen. Gut, daß er sich we nigstens von niemandem zu verab schieden brauchte. Frau und Tochter waren im Süden. Er wars einen langen, schmerzlichen Bna auf ven lieb gewordenen Raum und dann ging er. Als die Haustür hinter ihm ins Schloß fiel, schauerte er nerviis zusammen. Er war fertig mit dem Leben. Mit zögernden Schritten ging. er hinab zur Stadt. Nur ein ganz aufmerksamer Beobachter hätte mer ten können, daß sic) in Beauville et was vorbereite Es standen troh des» Regenwetter-s mehr Männer als sanft: auf den Straßen umher, die Jules! Baroche mit gespannter Aufmerksam-! teit nachbliclten Vor der Kirche,den1. Rathaus gegenüber-, traf er Jean Lip ( barbe Er war ein kleiner, dickers Mensch mit einem scharf geschnitte- i nen Gesicht« der sich einbilde, ein! Doppelganger des ersten RapolronY zu fein und der nicht wenig stolz dar-s auf war. Er hatte die Aufgabe, iinl rechten Moment, sobald der Leim-we ber mit dein deutschen Major fertig. war, das Zeichen nun Lauten derI Sturmglocle zu geben. Darauf war-! tete er, die Arme iiber die Brqu ver schräntt, und starrte in Die Luft. Irrt leg Baroche begrüßte ihn »Viel Glück, « iaqte L iharbr.T ann zog er die Brauen how es fiel ihm auf, daß Baroche treidevleich war. l »Nun.'« fraate er verwundert Jules Baroctie hörte die Frage gar nicht, es laa ihm wie ein Nebel truf allen Sinnen. tsine ungeheure Aus regung hatte sich seiner bemächtigt, er zitterte an allen Gliedern nnd beiasz nur noch so viel Zelbstbel)errschnna, das-, er geradeaug lief. tsr wuszte, das-, er nmtehren würde, wenn er ietzt nur erst stehen blieb. Sein Here schlug wie ein Hammer. lfr stolpers te die Rathaustrrppe empor, sah wie durch einen Vorhang die Landweliri leute, die in eine-n Petrterrezinnner die Wache hatten und klopfte endlich im ersten Stock an die Tür seines ein stigen Amtsziiiiitters. »Herein!« schrie drinnen jemand so laut und energisch, daß der Bürger meistet zusmninensuhr. Der Mnsor war eben mit dem Frühstück fertig. Der Diener stellte das Porzellan auf einem Servierbrett zusammen, als Jüleg Baroclse ein? trat. Majot Nochow vertniillte rsie Serviette, wars sie aus den Tisch undl erhob sich. Er war groß und breit,l mit einem glatt rast « « Gesicht ’ ! »Ah, welche Ueberraschung!« sagtes er liebenswürdig in nusgezeichneteinl Französisch — ,,Willtominen, Herr Bürgermeister! —-« l Er schob dem Besucher selbst einenI Stuhl zurecht, während der Dienerl hut und Schirm des Bürgermeisters nahm und schüttelte ihm kräftig die Hand. Baroche setzte sich änng ch Und widerwillig und deckte die Linlei über die gebauschte Tasche, welche den Revolvee barg· Rochow schob ihm die gefüllte Zigarrentiste zu. Der Fronzose wollte abwehren aber sei ne Zigarre brannte, ehe er selbst nmfk te, wie. Jnles Baroche fühlte sich immer unbehaglicher. Aus dem mächtigen bartlosen Gesicht des Offiziers sehen ihn ein Paar graue, scharfe Augen ruhig und durchdringend an. Ner vös wandte er den Blick und sah auf die Hand des Alten, welche die Zi garre hielt. Es war eine große schwere Hand, wohlproportioniert, mit starten Sehnen. Wen diese Hand er griff —! Der Bürgermeister schauder te, wenn er das zu Ende dachte. »Nun darf ich wohl fragen, was Sie zu mir führt?« Jules Baroche fuhr auf, als ob er eben aus einem Traum erwachte. Er fühlte, daß er erblaßte, aber er nahm sich zusammen. Er hatte sich eine große Rede zu rechtgelegt. Nicht wie ein Räuber wollte er den Major überfallen, den ganzen Schmerz Frankreich-, die gan ze Wut des Volkes wollte er ihm ins Gesicht fchleudern, ehe er zum Revol ver griff. »Herr Major«, sagte er und ver suchte. sich drohend zu räuspern, »Nordsrantreich ist verwiiftet, die Be wohner verarmt, die Industrie ver nichtet . . »Ja, ja,«' erwiderte Rochow, als der Franzose eine kurze Pause machs te, »das ist traurig, ich weiß es; aber wir beide werden es wohl nicht än dern können.« »Unsere Industrie ist beruichiet,« wiederholte Baroche, der den Faden seiner Rede in der Erregung plötzlich verloren hatte. Der Major blies eine mächtige Rauchwolte gegen die Decke. Er ver stand nicht, worauf der Franzose hin aus wollte. Er war doch wohl nicht nur deshalb gekommen, um sich Trost zusprechen zu lassen. »Bei Jhnen hier ist es übrigens nicht einmal so schlimm«, sagte er. »Nicht schlitnm?« Baroche reckte sich empor. »Nicht schlimm? Wie können Sie das sagen! Wissen Sie, was ich sonst verdiente und was ich ietzt derdiene"?« »Wenn Sie auch jetzt nur fünfzig Prozent . . .« ,,Fiinfzig Prozent!« Der Bürger meister wurde rot wie ein Krebs und rang die Hände. »Wie können Sie das sagen. Jch sehe zu! Sehen Sie ...·" Er stand auf, um näher an den Major heran zu kommen, hielt die sem die gespreizten Finger vor die Augen und begann zu reden, zu rech nen. Er rechnete seine Ausgaben vor nnd seine Einnahmen, Punkt fiir Punkt. Je länger er sprach, desto mehr geriet er in Eifer. Er hatte die Putriotenligu, den Revolver in seiner Tasche, die Befreiung Frankreichs — alles vergessen. Er Our nur Ge schäftsmann »Und so steht es mit allen von uns, wir gehen zugrunde,« jammerte er, »und wer hilft unsi« Der Major begann zu verstehen. »Du-«- ist ein merkwürdiget Un full,« sngte er, nachdem er eine Weile geduldig zugehört hatte. »Ich have heute morgen,« er nahm ein großes Kitvert von einem Seitentisch, »Auf-« trag erhalten, große Warenvorröte zu requirieren, und dachte eben darun, Sie zu mir bitten zu lassen, als Sie selbst kamen. Es handelt sich unt große Wurenposten derscksiedenfter Art« Damit entsaltete er einen großen Bogen vor JuleH Baroche, dem platz ilich das-Z Sonderbare der Situation zum Bewußtsein kam. Statt diesen fMann zu erschießen . .. Ach wag, dachte er. Und dann zog er sein No tizbnch um sich die Aufträge zu no tieren, die ihn persönlich anainaen. Eine Stunde später ging es im Nebenzimmer des ersten Wer mein-n kants von Beauville sehr erreat zu Jean Labarbe todte oor Wut und nannte den Bürgermeister einen Vec täter und einen Spion es fehlte we nig, so wäre zuletzt hier noch Blut geflossen. Aber es gelang, die beiden zu trennen und als Baroche ungefähr anszählte, was der Major alles brauchte —- gegen bares Geld — wur den die Gemüter bald ruhiger. Die Diskussion nahm lzusehends sanftere Formen an. »Was sollen toir,« wagte endlich ein Weinhändler zu sagen, ,,einen Men schen erschießen, mit dem wir Oste sehäfte machen können. Hast du nicht gehört, was er an Wein kaufen will. Wenn wir den Auftrag teilen . . ." Seine Worte sollten Labarbe gu ten, aber umsonst sah er sich Ietzt nach dem Napoleonslopf desselben um. Während noch die Wogen der Erre guna hoch gingen, war Ladarbe ge räuschlos verschwunden Jetzt war er schon im Rathaus, denn er wußte, daß est- anßer ihm noch ein Dutzend andere Weinhändler in Beanvtlle gab. -.-· wer-listed Urimfiihrcn kostet lseiinntliiti Neid Hei-am ihr Trctnci nnd Barte-n; Bett-under m Liedern eitlelsxlxiellz Teuisciyland hat unste- Millmtdenl (