Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 05, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Sonntagsblatt des
Staats ««-Ä.nzeiger und Il'cerold.
Grund Island, Nebr» Donnerstag, den 5.-2lfjtgf1yuft 1915
stimmungetsils Im Fett
inttstiiens in Lotsen-gern
Durch vie Freundlichkeit von Dr.
M. Löwenthal, 2453 E· Sö.
Straße, ist uns der folgende stim
ncungsoolle und hochinteressnnte
Feldpostbries zur Verfügung gestellt
worden, den sein Nesse hani Löwen
thol von der Front in Lothringen nn
seine in Berlin wohnhnsten Eltern ge
schisi hat:
Wieder mal ans Fell-wache,
s. Mai 1915.
Meine Lieben!
Gerade wnr der ersehnte Moment,
in dein ich in Gedanken ein wenig bei
Euch weilen kann, gekommen, als
Euer lieber Bries eintrns. Jhr seit
halt doch immer die Alten« immer
gui und lieb, und andererseits er
gänzen sich Pol-is und Muttls Worte
so, dass es mir möglich wird, mir ein
Bild zu machen, wies zu hause steht
und geht. Und die Nachrichten von
Hause, das ist nach wie vor sür uns
deutsche Soldaten Licht uno Lebens
lnsi — ob gut oder schlimm. Jch
glaube, daß unsere Gegner schon ves
lsallr verlieren müssen, weil ihr Post
wesen nicht sunltionie1t, und va- ist
uur eines der wichtigen Glieder der
Organisation. Freilich wären sie in
ihren innerlichen Bedürfnissen so
start wie wir? —- der Wille zur Tat
ijt ja saft dasselbe, wie diese selbst
Jhr glaubt garnicht, wie erhebend
uns unsere«tstr1tionkileigenschnsten ge
rade erst iin Vergleich mit denen ver
Gegner zum Bewußtsein kommen, wie
wir eigentlich von Tag zu Tag an
innerer Stätte gewinnen. wenn auch
der Körper vie Spuren der neun
Kriegjmonnte nicht verleugnen lnnn.
Wenn ich von einem Vergleiche
sprach, so hat das seinen ebenso gu
ten tvie eigentümlichen Grund: Eine
Eigenschast aller Lebewesen, die deine
Menschen in Friedenszeiten sast ganz
schtäst, wird in diesem durch den
Krieg su neuern, mächtigem Lesen
geweckt, und man merkt mit Starr-s
nen vom ersten Tage an, wo rnan
durch die gross Rot-sum Herde-tin
wird — wenn dies Wort noch aus
ten deutschen Soldaten angewandt
werden darf —- und doch ist es ja im
Grunde so —, wie dieses neue unge
lmnte Organ «Justintt« sich regt
und einem durch das Wirrwarr der
taglichen Röte hindurchhilst. Freilich
dersagt es dei manchen und die liegen
bar bald an Erschöpfung oder gar
Gemütstrantheiten im Lazarett —
aber die« die durchlonrmen, die sind
gestählt bis aus die Knochen. Uebri
gens, um Jertiinrern vorzubeugen.
natürlich hat jenes Maß an natür
lichen inneren Reserven, toie nian sie
auch benennen mag. mit der Wider
sn:nd5söl)igleit gegen das ost geschil
derte silrtillerietrommelseuer sehr we
nig zu tun, was schon daraus erhellt,
daß m diesem so gut wie alle Betrof
fenen der Nervenzerreiszung zum Op
ier stillen. -
Jn großer Anniiherung un diesen
Moment des Retszenz der Nerven,
t.dcr immer noch ziemlich weit gliick
ice-erweise, habe ich nnd wohl jeder
Mitten, der in der Iront steht, mich
seyen öster befunden. Am sxrzlimnp
sten war es bei Lunisvtlle damals-.
Ihr werdet Euch erini.ern, daß ich in
einem Brief aus iener Zeit, in dem
ich jene Momente, besser Stunden
i.-schriev, von einer Apoll-je oder sust
urinatiirlichen Ruhe: Broindeeresseu
eu. sprach, das ist so ungefähr der
Anfang vom Ende, und tatsächlich
hielt dre Nervenschisdigung dieses Ta
gef« lange Zeit nn, bis sie glücklich
überwunden rom
Wie ost sind seitdem die schrecklichen
langen Dinger, die die Nationen aus
speien, in meiner Nähe irepiert. mei
stens zu dreien oder vieren, wie osl
haben wir rnit Spannung den-. Pfei
Ien der nnionrnirnden Grunaien und
Schrapnells gelauscht, das durch das
schnellen —,tveil den geraden, iiitzei
ten Weg nehmende —- Wou, Wau
der Kantine angeliindigt wird
Sei-redlich ist dieser eiserne Ten. ein
s.rsi menschlicher Schluchirus, der vorn
Echo sssort suriickgewoesen wird ichs
her das zweite »Mu«).
Inst noch schrecklicher alt die täg
iiqe unt persönlich nngehende Attil
lerieisiisieii sind die in letzter Zeit
selienen Mnenntiden bei Verdun; in
skiiheteu Monaten, alt Verdun und
Tcui noch nitueller waren und be
sonders. nls diese Gegend den Brenn
punlt der Yestsront bildete, zitterte
die Erde und die Lust unaushiirlich
unter eine-n sueqtbaren Leben. Kein
Wunder, sollen d allein die deut
schen Geschiish die II in diesem un
sern Nachher-kaum zeitweise bestra
tsen habet-, in die Tausende
gehet-. Wie i haben wir da in
Ularsbeeeilschot gelauscht in den
PM, denn das ist die Haupt-ten
te- Iedernen Impsesz und Denn
ist«-er das gleichmäßige Rollen der
mittleren Kaltber pliißlich die großen
und größten in den Forts ihre Don
nerstimme erheben, da ist es, als hielt
die Natur ihren Atem an. Was ist
ter natürliche Donner gegen dieses
Beben!
Je unheimlicher die Nacht von Va
str aus, desto lieber-wird sie srl
Ueberraschungen ausgenußt, und ge
rade in den abscheulichsten Gewitter
rmd Regennächten mußten wir hin
aus, wenn wir nicht schon ohnedtes
csus Borposien lagen. Jedes Gefecht
rechts oder linsls von uns hat seine
Rückwirtung in unserem Abschnitte,
allerdings werden diese Schwingun
gen resp. die Größe der Ausschliige
immer geringer, entsprechend der im
mer furchtbarer und starrer werden
ren Besestigungem die die eiserne
Mauer des Westens bilden.
Unser Abschnitt ist sicher einer der
interessantesten der ganzen Westsront.
Mit allen anderen Teilen derselben
hatte er nnsänglich gemeinsam eine
ziemlich große, mit anstrengenden
Likiirschen oertniipste Ausdehnung
und eine größere Elnstizitiitz seine
Besonderheiten liegen hauptsächlich
im Gelände, und dann in der Eigen
tiimlichteit des Grenzverlauses, der
auch aus sehr kleinen Entfernungen
solche Windungen und Unregelmäßig
triten hat, daß die Orientierung und
te: gesamte Kampf siir Führer und
Mannschast sich äußerst schwierig ge
stiittet, und es kostet z. B. nach meh
reren durchwuchten Nächten, durch die
rie Denlsöhigteit sehr herabgemindert
wird, ost große Mühe-, sich das Ge
tandebild oon dort aus, wo man sich
gerade befindet, vorzustellen. Und
ons ist eigentlich sast fortwährend
notwendig, ost oder ganz besonders
rasch und star
Das gilt hauptsächlich von den
Patrouillegängrn bei Nacht, dem schö
nen Vorrecht der Unterofsizierr. Jn
tsnseretn »Geiände« sindet man weht
sämtliche denkbaren Schwierigteiten
nnd Eigentümlichteiten anderer Fronts
teile. Die Ratt-r ist von einer uner
schöpstichen Unregelmäßigkeit, und
setbst unsere großartigste-i Besestis
gungsnntngen verschwinden darin,
i.nd man tann sich dem Genosse die
srr Naturprncht ungestört hingeben,
soweit einem die seindiiche Artillerie
Viiihe läßt. Ja, wir sind seht soweit,
die Kämpfe, die sich über-, aus nnd
nkitetdings unter der Erde abspielen,
MS zur Natur gehörig anzusehim ais
ekn Element, das ihr erst recht Leben
gibt, den Knmps zwischen Werden
nnd Vergehen erst so recht deutlich
m die Erscheinung treten läßt.
Man tann schon bald mit dem
selben Wohlgefallen eine aufsteigende
Lerche trillern, ein habichtspaar über
ice Waldhöhen seine Kreise ziehen,
ia:d eine oder mehrere Granaten
pseisen hören —- besonders, wenn sie
einem nicht selber zugedacht sind, son
tern einein menschlichen Habicht, ei
ncas seindlichen Fliegen Ihr macht
Dach keine Vorstellung von dem Ras
sinement, bei dein das Kriegsslugwei
sen jetzt angekommen ist, und welche
außerordentliche Rolle eo spielt, mit
welcher Ansmerlsarnteit und Erre
gung jeder Flieget oersolgt wird und
weiche ausregenden Mimpse sich dort
cben ost entwickeln. Die Flieget wer
ten oon beiden Linien wie rasend mit
echrapnelto beschossen und beschieszen
elnander mit Karabinern und sogar
Maschinengewehren. Die Franzosen
sind erstaunlich frech. Die Frechheit
teiuht wohl hauptsächlich aus dem
hervorragend leichten nnd beweglichen
Bau ihrer Flaggeuge, die im Ge en
sad zu unseren —— obwohl dogetahns
iicheren — aber viel schwerer irr-nier
ien und in der Lust duntler ausse
heiden Tauben, wie durchsichtige
Schmetterlinge dahingleiten, ein Cin
trnek, der durch das bekannte srans
zosische Iliegerabzeichem die tot-irden
crtige Trikolore unten an den Flü
geln, noch erhöht wird!
Von mir kann ich als Neuigkeit
einen sehr interessanten und auch gut
gelungenen Patrouitlengang melden,
und zwar war es eine steiwillige
Ausgabe: Beobachtung der eindlichen
Stellung aus nächster Nähe, einem
zasarnmengeschossenen Geht-ist Früh
um drei Uhr brach ich mit zwei
nimeidigen Kerls, die mir oom Kom
pagnieches selbst empfohlen waren,
aus« kam etwa um 4 Uhr in das
Gehöst, welches wir ebenso wie die
umliegenden Gärten niit aufgedslanzi
tem Seitengeweht durchsuchten und
von Franzosen srei sanden, und hiel
ten uns dann den ganzen Vormittag
darin aus, jeden Augenblick mit der
Msgllchteih durch die seindtihen Ar
tilleriebeobachtee oder Jnianteriepos
sun entdeckt und unter Feuer ge
nommen zu werden, wobei tolr na-,
nietich oon dee ersten Granate unter
ren zusammmstitrzenden Mai-ernsten
begraben worden wären. .
CI MOII aM nichts dergleichen,
Mensch-innen wen unsere ranner
die gegnerische zu stark in Anspruch
nahm. Daher konnte ich in »Sa
lcnruhe« vier Zeichnungen machen
und mich mit diesen mittags, als die
Uriillerie Mittagspause u halten
und der strahlende zrühlingös
tag auch sonst die Feindfeligkeiten
etwas milder gestimmt zu haben
schien, aus dern Staube machen.
Dieser Rückzug über gänzlich offenes
Gelände, über einen langen hübeni
rücken hinweg, war das aufregendste
am Ganzen. Glücklicher-weise sahen
uns die Jranzmänner. die sonsi so
tasfiniert aufmerksamen Kerls, ein
klein wenig zu spät, und so konnten
wir uns außer Gefahrbereich in die
grünen Wiesen unter die Maiblurnen
sehen und nach Belieben verschnauserh
Der Oberleutnant lonnte ein Schulun
seln nicht verbeißen, als ich mitä arn
hellen Mittag wieder bei der am
pagnie einsam-.
Den Brief von Waller habe ich er
halten, der arme Junge tut mir leid.
Aber ich kann ihm zum Trost
sagen, daß ich die hundehüks
nn, Misse, Gestank, Schlaflosig
leit acht Monate zur Genüge
gekostet habe, und seine Gefühle tei
ltn und verstehen kann. Gent la
Hirt-Pfeil
Aber nein, was hilft das Klagen,
man muß sich aus allem das Beste
lxeraussurhen Jn wünsche Walten
kaß bei ihnen drüben an der Rawla
rer Frühling bald so herrlich Einzug
halten möge, wie hier, in Lathrini
gen-B Gefilden Das bringt einen
auf andere Gedanken
Seid alle vielmals gegrüßt von
Eurem
Hanneh
Nie-der mit Beethoven.
Ein sonderbareo Abenteuer-. das«
zeigt, wie sehr die Franzosen schon
den Kopf verloren haben, wird einein
italienischen Platte aus Marseille
berichtet» Jn dern Vernichtungstrieg,
den die Franzosen gegen alle Deut
schen, auch die Toten. unternommen
haben, wurde Beethoven bisher noch
immer ein wenig geschont. Zur Beru
higung der Gewissen hatte ja der
Figaro herausbetominem dasz dieser
Beethoven eigentlich ein Belgier, rnit
hin ein Verbündeter, wäre. Ganz so
sicher scheint den Franzosen aber die
ser Nachweis doch nicht geführt wor
den zu sein; denn schließlich sind sie
dazu übergegangen, auch Beethoven
auf die Liste der Verdammten zu set
!zen. Jhre blinde Wut hat ihnen dabei
einen spaßhasten Streich gespielt. Jrn
großen Rathaussaal von Marseille,
in dein auch Konzerte abgehalten wer
den, stand seit vielen Jahren eine
Buste von Beethoven aus denktslodii
uni. Als nun vor einigen Tagen wie
der ein Konzert gegeben tverden soll
te, das nur Werte völlig unverdäch
tiger Franzosen enthalten darste, hat
ten die Beranstalter in richtiger Bor
auitahnung des Kommenden die Büste
wegnehmen lassen. weil man sonst
einen Ausstand der in ihrem stan
zösischen Gefühl getränlten Konzert
desucher zu besiirchten hatte. Leer
tonnte man den Plag, wo die Miste
gestanden hatte. aber doch auch nicht
lassen, und so stellte das Komitee un
die Stelle Beethovens eine Büste von
Berlioz. Das sollte siir den arnien
Berlioz, der so viel Ungemach ini Le
ben erduldet hatte, verhängnisvoll
werden. Kaum war das Publituni in
den Saal hineingetassen, als es sich
wild aus das Podiurn stürzte und
unter Pseisen, Heulen und Klat chen
—- die Biiste des großen sranzösi chen
Komponisten zu Boden wars und
erschnietterte. Keiner unter den Ra
senden hatte bemerkt, daß der gesähri
liche «Boche« gar nicht inehe da war,
und alle triumphierten über den glän
zenden Sieg, der wieder über die
deutsche Kultur davongetragen wor
iden war....
Jst Defects
Jwan Pktvlvtoittckh der General,
saß in feinem Zimmer über der
Ratte und dachte nach. Dann tlin7
gelte et. Sergei Jultwitfch, der Ad
Intant« tmt ein: »Was befehlen
Enek Exzeltenz?«« —- »Sekgei Juli
tottfch, schau einmal hin auf vie
Ratte. Siehst Du vteie höhe?« —
,quohl, Einmqu -,- »Dek Berg
Hin-h befeht werden. Sorg« dafür,
Eund melde tnik, wenn et geschehen
ist« —- «Jntvoh!. Exzellenz!" — —
Nach zwanzig Minuten tlopit eg·
Sei-get tritt ein. schlägt die hacken
zusammen und fnluteetL —- »Was
ist, Seegef» mein Söhnchen?« -——
»Melde gehorsamst Exzeltenz, daß
dik- tdöhe besetzt ists« —- »Schon be
icht? Das ist fette schön, mein Söhn
chen, sehe schön. Wes ist denn aus
tsek ist-M —- .Metve gehorsamst —
cte eutfchen. Exsetlenz!«
sie kein-km l
Novelletie von Richard Rief-.
Frau Beitina kam heute ein wenig
spät nach hause. Der Andkang war
während des ganzen Tages beson
ders groß gewesen, und sie, die man
nicht mit Unrecht »die Seele« der
Suppeniiiche nannte, mußte stets
bleiben, bis alle Abtechiiungen eile
digt waren. So sah sie den Gatten
bereits am Abendbiottisch siyen, ais
sie ins Eßzimmer trat. Sie ent
schuldigte sich mit hastigen Worten,
ein wenig huschig, und rief nach der
Zofe, die Pelzjatett und hat hinaus
tiiig und mit dein Serviektablett
zurückkam.
Frau Bettina etziihltex von den
Ettebnissen des Tages und ven Ei
snhrungen ihres Amtes, das sie so
manchem Schicksal verschwistettr.
Die Aerinsten vertrauteii sich ihr so
manches Mal an. Fingten, ob sie
nicht schon für zwei Pfennig den
Teller Suppe erstehen durften; das
dritte Kupfekstiict sehle ihnen. Und
wurden dabei ost iot vor Scham.
«Wegeii eines lumpigen Pfennigö,
EbeihatdL Denke Dii!« Und dann
mai heute auch die Friiiize wieder
getoiiimen. Die holte stets suiis Por
tionen aus einmal. »Man solt einem
einzigen eigentlich gar nicht so viel
geben, Eber, aber: bei den Leuten
essen sieben Personen im diesen »siins
Betteln-» Ileven Personen sur juris
zebn Pseiinig. Und eg sind Buben
dabei, die im Wachstum stehen..."
Frau Bettinas Augen glühten; ihre
Wangen waren rot oor Erregung.
Sie hatte sich niemals so wohl ge
siihit, wie in dieser Zeit Ver Näch
stenliebe. Nur hatte sie ja endlich
einmal eine richtige Sorge!
»Du hast heute viel zu schaffen
gehabt?'· sragte der Gatte, der ge
rade ein Stück Kalb-braten gabelte.
Sie sreute sich seiner Anteilnahme:
»Ja, weißt Du, man muß seine Au
gen überall haben... Jetzt merte ich
erst, daß man als praktische haus
seau auch etwas wert sein tann...
mit seinen Ersahrungen»· Aus die
jungen Miit-eli. weißt Du, die »Hel
serinnen", ist recht wenig Verlaß.
Sie meinen es ja alle herztich gut,
nber... Wollen alles machen, aber...
weißt Du, die Leute haben nicht das
rechte Zutrauen zu so jungem Volk.
Wir wollen doch auch Das Vertrauen
ver Leute gewinnen. Teilnehmen an
ihrem Leide, ihre Not mildern. Jch
dente mir, das könnte die beste
Brücke schlagen über die Gegensätze
von reich und arm."
So plauderte Frau Bettan und
vergaß auch nicht das Abendbrot.
Dann schob sie den Teller beiseite
und verlangte nach der Zeitung, die
Herr v; heller noch immer in der
Hand hielt. Der aber widerstrebte
ihr und sagte mit bemertenswerter
Feierlichteit, zärtlich:
»Laß. mein Muzzitindchen...
nicht Zeitung lesen jeht... nicht...
den heutigen Krieger-nicht kennst Du
doch schon«i«
»Warum soll ich nicht« Eber. . · die
Familiennachrichten. . ji«
»Erschrict nicht-» es es steht
etwas drin, roug...«
»Was, Eberhardf Um Gottes
tvillen. was?«
»Es steht heute drinnen...« Und
nach einer Pause: »Friedtich Farga
ist vor Soisson gefallen, mein Lie
bes«. Und stockte wieder nnd nictte
schwer mit deni Rot-re
Nun durste Frau Beitinn selber
lesen. Jer, es fund darin, mit
schwarzem breitem Rande, treuzges
schmückt: der Sonn ihrer Schwester-,
das einzige Kind» den Tod fiirs
Vaterland. . .
Frau Bettinn erhub sich, tieferregt.
Zertniillte die Serviette, die sie hin
ter sich wars und ging ins Wohn
zirnmer. Zog dort die tleinen Gur
dinen von dem Ertersensterchen nnd
presste ihren Kopf gegen die Scher
ben. Bald siihtte sie einen leichten
Kuß im Nacken Und Eberhnrds
Atem: «Geht es dir so nahe. Lie
desi«
«...ich dent an sie, Ever... nicht
an den Buben-. Fennni ich ihn
denn? Wie oft werd« ich ihn in den
fünfzehn Jahren gesehen habeni
Aber sie! Glaubst Du, daß sie nun
auch den Schlag noch verwinden
wird?«
»Es wird sie schwer tressen. Es
war ihres Lebens ganzer Inhalt.
Er war ihr Stolz«.
»Ihr Stolzi« fuhr Bettina aus.
»Er war ihr hoch-nut, ihre Eitel. .
,,... er wirr, mein gutes Kindl«
Sie empfand den gerechten Vor
wurf und siihlte das Nahen der
Tränen. »Nun tsi alles vorbei
Eben» nun ist sie nein wie ich,
Einem nein. noch ärmer, noch viel
ärmer... Nun sind wir alle gleich
Dann schwieg sie, lange Zeit. Sie
war in den Sessel gesunlen der in
dem Erler stand, vor einem Damen
schreibtisch Jm Dunkel saß sie so,
lange Erinnerungen füllten ihr
Denken aus. Die Doppelhochzeit dor
zwanzig Jahren... die beiden Zwil
lingsschwestem die »Unzerirennli
chen«. Und nun an einem Tage
Ellen den Assessor und Bettina den
Baumeister.·. Die Großmutter hatte
gewarnt: Nur keine Doppelhoch
zeit;.. das dringt keinen Segen...
Man hatte gelacht: die gute aber
gläubische Großmutter... Und war
doch die Klügste gewesen. Daran
hatte Beitina dst denlen müssen.
Reinen Segen... Die ersten Jahre
steilich... Jminer hatte inan beiein
ander gehockt, im ersten Jahre, im
mer: Bettina und Eber und Ellen
und Jütgen. Aber dann... dann
kamen die Jahre des Glückes sur
Ellen und siir sie die langen, langen
Jahre des Hoffens und Harrens und
Begehrenö und des Neides-» oh
des Neides-. und schließlich der
Verzweiflung! Fiir fie, sijr Beninal
Ellen hatte ihren Jungen. und sie?
Kinderlosl Ellen durfte sich in ihrer
Freude sonnen. Und sie zeigte ihr
Glück· Reinen andern Gedanken als
der Bud. Jmmer und immer nur
der Bud... Das war das Thema
ihre-?- Herzens nnd ihrer Worte. Bet
tina sühlte sich verhöhnt durch dieses
Glück der Schwester. Sie hatten al
les gemeinsam getostet, nun war sie
benachteiligt? Oh« sie lernte es, die
Glückliche schließlich zu hassen! Die
sonnle sich in ihrer Freude· Sie
aber wollte lein Mitleid! Was der
andern Licht war« war ihr Leid
Die junge Frau.Bettina lonnte
nichts hören von den Sorgen der
Mutterschast· All das reiste ihren
Kummer. Verhöhnt fühlte sie sich,
wenn Ellen von ihren mütterlichen
Freuden erzählte. Beschimpr Und
sie rächte sich durch Zank. So kam
es zum Bruch mit der Schwester...
Fünfzehn Jahre war das her-»
Iiinszehn Jahre dergeblicher Hass
nung... »vielleicht, ach viekeicht doch
nachl« und schließlich der Ergeben
heit in ihr Geschick. Und siir Ellen:
Fünfzehn Jahre des Muttergliicles,
des frohen, sicheren Besitzes-. Und
beide waren sie alt geworden. Ohne
einander näher zu kommen. Und
wohnten doch in einer Stadt engen
Mauern. Zwillingsschwesterm . .
Frau Bettina weinte leis vor sich
hin. Ganz leise war so etwas wie
ein stiller Triumph in ihr geteiiar.
Aber das zerstog. Sie liebte Ellen
noch. Und hatte sich selber ja erge
ben: Mutter der Armen war sie ge
worden. Wenn sie in den spateren
Jahren noch an sich selber verzwei
felt hatte: Was ist eine Frau, die
nicht Mutter wurde? Ein Baum
ohne Frucht, ein verdörrender
Baum!, da hatte ihr Haugarzt und
Freund, Dr. Wegener, ihr gesagt:
Daß jede Frau tausendfältige Mut
terschast in sich habe, auch wenn nie
mais eines Kindes Schrei ihr ezni
gegenthlL Daß diese vielen stin
der: die Menschheit. die arme, not
leidenoe, ihrer Mutterliede entgegen
harrr. So hatte Frau Betiina sieh
denn ihrer sozialen Ausgaben zuge
wandt, die sie schließlich augsiillte.i.
Da war auch ihr Groll von ihr ge
wichen· Aber eine Vlnnöhernng an
die Schwester war doch nicht gesun
den worden. Wie eben zwei Men
schen, die einander einmal innWriye
standen, schwer aus jäher Trennung
den Weg zuriiclsinden. s
Noch einmal nahm Frau Bettinai
das Zeitungsblatt und lag, daß
Friedrich Farng sur das Vaterlands
gefallen sei. lind las auch den Arn-s
men der Schwester, der Witwe des»
Geheimrats Jiirgen Farga. An drei
war nun die Reihe des schiiietzlichs
sten Entbehrens gekommen· Zuerst
der Mann, nun auch der Sohn... s
»Die arme Ellen«, sagte Frau
Bettina· Und als ihr Gatte, eini
wenig zogernd, fragte: »Miirhtest dui
nicht hingehen zu ihr?«, da
hob sie den Kopf mit den rotgeweaii
ten Augen nnd niate ihr: Ja!
o s «
Und dann lag Frau Ellen
Farga ans der Ottomane, den Kopf
mit den schon leis ergrauten haa
ren in seidenen Kissen vergraben.
Sie sprach tein Wort. Weinte aus-h
nicht. Bizweilen nur hob sie ein
wenig den Kopf und sah nach denn
Bilde, das aus dein Tischchen, ihr
zu häupteih stand. Nur minuiens
lang ließ sie sich durch ihre Schwe
lter von ihres Leids schwerer Not
nblenlen Bettina hatte nicht viele
Worte gemacht. Eine ilmarmung
unter Tränen, und der Kummers
hatte siinszehn Jahre der Trennnxigs
hinweggespiilt, als seien sie vons
nichts mehr ersiillt gewesen. als von
einei Tändeltnges nichtigem Jnlsalti
i Bettina streichelte die Niedergesun
Nenn Da kamen wieder die Tränen
Ellens, von der Zärtlichkeit des Mit
.leide5 angelockt. »Nun ziirnsi du
mir nicht mehr, Bettina.. . Nun
ibin ich ja ärmer als du« Ich habe
dich ja immer begreifen idnnen..
und nun begreif ich dich besser als je
Jeht bin ich viel. viel ärmer als du.«
Sie erhob sich ein wenig und
wischte sich die Augen. Frau Bettis
Jna erwiderte leise: »Vergib mir, du
»Liebe, Gute. Wenn man jung ist,
iund es bleibt einem das Liebste un
erfiillt, dann wird man leicht grau
sani und ungerecht. .
»Die alten Dinge sind ja nun be
graben. Sind... ja... nun... be
gra...« wiederholte sie noch einmal
und brach unter Schluchzen zusam
men, als ibr die schmerzliche Bedeu
tung dieser Worte vor Augen trat
»Weißt du, was das beißt? Bettina:
Mut-ter—see—len—allein! Das ist
ein Leid, das nur die Mutter allein
fühlen tann . . . Aber kein frohes
Leid, Bettina . . ." und, lauter los
brechend: »Sei froh, dasz du keinen
Sohn hast. Da kannst du auch tei
nen verlieren. Weißt du, daß ich
dich beneide....beneide..., so sehr
beneide....« und wieder stiller: »Du
hast ihn in nicht gesannL das gute
Kind »das- liebe, gute Jugend
kindl«
llnsagliches Mitleid empfand Frau
Betticta. als sie die Schwester so dar
nieder sah. Und zugleich lauerte das
unbewußte Gefühl der Genugtuung-.
Ich habe doch des Schicksals besseres
Log gezogen. llnd nicht von ferne
tnm ihr der Gedanke, daß auch des
Schmerzes Qual, die dem Geliebten
gilt, selige Menschlichteit ist, wie se
des Opfer der Liebe· »Du wirst an
mir stets eine Stütze haben, Ellen,'«
Isagte sie und: »Ich hab« ja solch tie
’ses, tiefes Mitleid mit oir."
I Frau Ellen aber fühlte bei diesen
JWorten noch schwerer die Last ihres
sKumcnerL Mitleids Von der Frau
ldie sich einst von ihr wandte, weil
Ider Anblick ihres Glückes ihr uner
träglich war's Oh, ihr Glück! Die
langen Jahre! Die Freude an Frie
dels Entwicklung. Die Schulzeit,
»die der begabte Bub so leicht über
«lvaud.... und im letzten Jahre dann
der Stolz aus den großen Jungen.
Wie sie einen erwachsenen Sohn hat
te, der ein Korpsbaud trug
Aus dein Nachttischchen stand ein
Bilderalbum, das Frau Ellen immer
und iunner wieder betrachtet hatte
...in ull der letzten Zeit der Tren
nung. Hier lag die Jugend Friedels
mit ihrer ganzen Entwicklung. Sie
lebte all die Jahre wieder, wenn sie
die Bilder betrachtete. llnd dann
»die letzte Photographie...in der
seldgranen Unisorm des Krieg-stet
toilligen. Sie hörte ihn, wie er beim
Abschied sagte: »Wenn ich salken
sollte, Mutttchen, mein gutes, junges
Muttichen, dann sei nicht traurig um
meinetwillen Jst es nicht sein, daß
alle unsere Jdeale plötzlich Wirklich
leit werden töunenk
llnd während Frau Ellen, unter
Schluchzen, an all dies von neuem
dachte, kam es ihr in den Sinn, dasz
sie schier einen Verrat an ihrem ge
lieissten Jungen begehen wurde, woll
te das Leid um ihn zn vergessen su
chen. War nicht gerade ihr Leid
auch Gliicl, ihr Stole llnd...w-ir
sie denn wirklich so arm und mit
ieidloert mit der Erinnerung an die
ietzlen Jahrzehnte ihres Lebens-? Es
drängte sie, wieder Zwiesprach zu
halten mit ihren Erinnerungen. Ill
lein sein wollte sie mit ihnen, allein
sein mit ihrem geliebten Sohne.
Frau Ellen hob müde den Kopf.
,,Bettina,« sagte sie, ,,hal) vielen Dank
siir deinen guten Willen...vieien
Dant...ader, laß inich... sei mir
nicht bös drum, laß mich....etn
wenig ..dort driiden . . . in dem
braunen-Kästchen dort . . . sind dieBrm
sen-»eines FriedL Du hast ihn ja kaum
gerannt, Bettina . . . . Aber ich . . ..
ich will meinen Etle ein wenig aus
richten daran (nnd sast lächeind:),
ich hab es ja so nötig ...Dann wer
de ich alles besser ertragen können,
Bettina · . . . besser . . .«
Da fiihtle Frau Pettina, wie reich
die Schwester noch immer war,
——.-.-—-—
isine prickelndk Geschichte.
Der Mann alt-:- Rom: Mir schwani
Vösesk
Der Mann ans- Maiiand: Jeh habe
saion lange keine Dresckke gekriegt!
Ter Mann ans Iuriin Mir iuckl
Ists zeu!
Der Mann ans Florenz: Ich
krauche mal wieder einen Ader-lass
Der Mann aus Palermo: Mir
müßten die Hosen mal strainrn gezo
gen werden!
Alle: Gut, machen wir also Kriegl
«