Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 29, 1915, Sonntagsblatt, Image 10

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    M
,-e·isesneuueu.
o-..-«
«
Crziiblnng ovu e. Enlmliug
»Ich soll Feier-is Nienmlti Jisn
Gegenteil· ich empfinde direkt einen
physischen Ekel vor jenen Leuten, die
dem Poterfpiel baldige-, biete-u Os
iord ber Pferdediebe unb Eos-W.
Da sijen nun die Leute da briibeu.
tie jeden Tag mit ihrem Leben spie
len wie mit einem gesäbmten Jaguay
und verspielen in einer Recht eine
Gage eines Monats — ihre Uhr-n.
ihre Beim-new ihre Pferde. Der
Artiit als Spieler ift eben zu allein
fähig, in dieser Hinsicht kann ich ein
trauriges Stiick aus meinem Leben
erzählen«
Es war herr Julius KreuhberH
ein alter Tierbändiger nnd Meer-gei
riebesiser. ber in einem Berliner Ur
tiiteneufö so zu mir sprach, als er
von einem Nebentische aus aufgefor
dert wurde, mitzupsierm
.Wie Sie wissen, reiste ieb bis
vor fünfzehn Jahren, bevor ich mich
hier zur Ruhe feste, unter bem Na
men sales Wheeler. Damals gab ei
noch teine Zentralliifige wie heute,
die rund um bie sMetmge aufgestellt
werden, sondern der Transportlpass
gen diente zugleich als Produktions-’
läfig, ber fiir die Arbeit in die Are-«
im geschoben wurde. Freilich tonnteu
wir auch nur mit vier, höchstens sechsl
Tieren arbeiten. Zu jener Zeit, in
der meine Geschichte spielt, besaß ich»
drei Löwen, ausgewachsene Betber,’
und eine Löwin: Busche-, Romulus»
Renmg und Claudia. Jch war niit’
den Tieren denen ich eine gute Das-s
sur beigebracht, bei Carree in Wienj
engagiert nnd bewohnte mit Iraus
und Sohn drei möblierte Zimmer in
der Nähe des Praters. l
Mit meiner Frau war ich damals«
schon länger als zwanzig Jnhre ver
heiratet. Als blutjungef Ding wurde
sie mein Weit-. Sie entstammte einer
alten französischen Kunftreiterfarnilie
und war irn Zirtue Ducog als Pan
neaureiterin und Tänzerin engagiert,
als ich mit zwei bressierten Eisbiiren
dahintarn Wir lernten unt lieben
und heirateten. Merkwürdigerwe. se
aber verlor meine Frau ihre Furcht!
rot meinen wilden Bestjen nie; frei
zitterte förmlich, wenn sie nur in tsie
Nähe der Käfige kam. Jni übrigen
hatte sie sich wunderbar jung und
frisch gehalten; ich galt überall als
der Vater meiner Frau und mein
achtzehnjährigee Sohn alt ihr Bru
der.
Das war ein etwas wilder Bur
(
sche. M stzigttchsiieu Monds-vorig
frech wie ein Dachshund und ge
schmeidig wie ein Diesel. Der Junge
war vor Jugend eins in einer Schwei
see Pension und besuchte später bat
Gymnasium in Sraßburz Er sollte
nicht unser Metier ergreifen Kunst
reiter aber Tierbändiger werden. sich
vielmehr betn Studium der Elektro
technit wibinen. Wie hielten den
Jungen daher ziemlich von uns fern;
nur während der großen Fersen
durfte er zu Besuch kommen
’« .Du, Papa, wie schön!« sagte
mein Sohn zu mir, nli wir eines
Tages an einer Platatsiule vorüber
gingen, an ber mein silb zu sehen
war in blauer silberner-schritt rter hu
farenunisvrnr, Orden auf der Brus,
die Peitsche in bee hand, meinen
Füßen die Löwen· Jn gleich
stoben war u lesen: Zirtui Satt-C
Täglich Au reten bei Mr. s
Wheeler, genannt der Löwe-Wir
' Alles Ilittertan.b. mein sahns
antwortete " ihne, «Drben und Uni
forrn habe siir selbß verliess-.
und meine König-treue besteht ans
Pappbeckei. So bunt unser san
Leben unsere Gesellschaft, unser
tier so bunt muß auch unser Los-III
beschaffen sein —- arise-blenden
glitzernb. Goldslitter nnd Glasperlerr.
Tag Publilum will es nun einmal
so. Hinter dem farbigen Zauber ver
birgt sich aber meistens viel Kummer
und Elend, und glücklich ist der
Mensch, dessen Schicksal ihn andere
Bahnen wandeln läßt. Der Sprung
" in den weichen und doch so heißen
Sand der Menage endet vielfach mit
Krankheit, Siechtum, Berlassenheit
und mit dem Tode cnn Wege-tin.
Mancher Traum von Gold und
Ruhm nnd Lorbeeren fand ein jähe-,
schrecklichej Erwachen ien Spital.«
Mein Junge lächelte nun und sah
mich seltsam von der Seite an
Einige Tage nach dieser Epiiode
ging ich von meiner Wohnung durch
die Prater-niesen zum Zieht.da
klopfte mir. ein gntgelleideter here
ans vie Schulter. Er mochte etwa
dreißig Jahre alt sein nnd machte
den Eindruck eines verabschiedete
Offiziers.
.Sie sind Herr Kreucberz nicht
wahrl« fragte et.
»Ganz recht Irrt-M ist mein
Inseiliennamr. Was Wehen Sie
vpnziräxße w W ne.
» er. W
Tinte nnd scheuensie N diesen
check mi; ich wollte Sie sure iro
IQ Ob M Ists UW ist«
Mist-Milch nah-sieh kehrst
vier in die WM.M Es Iscr ein
IMW . «- use-reim
o
das ich nie-noli unterschriebf ries
ich erschrocken
L »Das ist alte nicht Ihre Unter
se11i«r·ist?w meinte der Fremde. «.’.Iiun«
dann bin ich Ihnen eine Erklärung
Lchsldiz Jbe Sehn verlor diese
Sie-inne ini Peter-spiel. Ei war ein
ehrliches Spiel nnd niemand hatte
Ihren Sohn gezwungen. daran teil
;5nnehmen Er spielte totltiibm ver
lor gab sein Wert nnd brachte Lini
ge Stunden später diesen Ehe- als
"Sicherheit.«
Ich fühlte. wie mir alles Blut
zum per en zuriietsiriimte. Jn inei
nein Hist-F siiirmte und sanfte es —
ich nmßte mich nn einein Baum fest
holten
Großer Gott, mein Tugen· unser
einziges Kind —- ein Spieler nnd
Fälscher-. Viele Jahre habe ich all
täglich dem Tod ins Untlis geschaut,
viele Jahre bat mein braves Weib
gearbeitet nnd gespart — siir wen?
Für einen Berbrecherc
Meine Kehle var wie verdorrt,
und ich brachte kein Wort hervor.
»Es tut mir außewrdentlich leid,"
meinte der Fremde, .nber -l)r Sohn
wollte mit aller Gewalt km ern. Ani
miert iit er nicht worden«
Da packte mich eine maßlose Wut.
»Nicht einen Psennig zahle ichs«
schrie ich so laut, das die Passanten
stehen blieben. .Nicht einen Pfen
nig! Wachen Sie. was Sie wollen,
vielleicht lotnint dann der mißratene
Bengel zur Bernnnst!«
»Es ist gut. here Kunst-ern Aber
bedenken Sie la, was Sie tun. Wir
geben Jbrern Sohn noch drei Wo
chen Zeit, dann . ..'
»Aus dein Weg. Sie Hochstapler!«
brüllte ich; »Wer ei gibt ein Un
glück.«
Jch hob den Stock, und blihschntll
verschwand der Mann in einem Sei
tenpsad des Parttoegei.
Wie ich an diesem Abend gearbeitet
habe. weiß ich nicht mehr. Co war
bereite zwölf Uhr vorbei, als ich in
meiner Wohnung anlangte. Ich hass
te. daß meine Frau bereite ihr Bett
ausgesucht hatte, aber sie war noch
wach und snh so traurig und verstört
aus, dnsz mir sosort llar wurde:
Auch sie isi von dem Unglück bereits
unterrichtet
»Mit ist der Bursche! Sage es mir.
Georgettr. Du mußt es mir sagen!«
Ohne zu wissen, was ich tat, eilte
ich ins Schlaszimmer unb holte ei
nen jener großen Bulldoggreoolver,
wie ich sie bei der Arbeit gebrauchte.
Meine Frau lies mir nach. schlang
ihre Arme um meinen Hals und
siehte mit tränenerstielter Stimme
«Mäßige dich, Julius! Bedenke. was
du tust! Jch habe schon so viel gelit
ten, vielleicht mehr als du. Eugen hat
mir alles erzählt unb mich tniesiill"
gebeten, ihm zu. helfen. Er versprag
mir hoch unb heilig, nie wieder eine
Karte zu berühren. Er muß direkt
nnzurechnungesähtg gewesen sein« als
et die Fälschung deging. Er will ja
auch alles aus heiter und Psennig
eivbezahten, sobald er verdient. Nur
dies eine Mal verzeihe ihm — er
war ja bis seit immer brav. Und
dann wird er aon der Schule gejagt
—- er geht ins Elend. ins Verderben
Dabei ist Eunen unser einziges
Kind...'
.So lasse ihn doch ins Verderben
gehen, diesen Strolchz er soll nor
das Gefängnis tosien —- vielieicht ist
es gut siir ihn, eine Lehre siir sein
gan I serneree Lebens«
. st es wirtlich bein Ernst, Ju
liui?«
»Mein heiliger Ernst, mein lesteb
Wart«
Wie betäubt lebte ich weiter. Mei
nen Sohn hatte ich noch nicht toies
deriesehen —- er wagte sich nicht in
meine Nähe. Nur bat vermeinte und
bergein-te sutlis meiner Frau stand
mir tiM oor Auge-. J
Das Berliner Banthaus hatte von
mir die Anweisung bekommen, den
gefalschten Check nicht zu honorieren.
Nach acht Tagen ungefähr schickte
der Direktor zu mir. Jch sand hin
irn Bureaa mit der Zusammenstel
lnng des Programms beschäftigt
»Was gibts neues, Wheeler?«
»Nicht viel, here Entwi«
»Nicht viel! hat« tönnen Sie denn
nicht ein wenig Abwechslung in Jhre
Nummer drin-sent Sie sind noch zwei
Monate engagiert, splanae ich in
Wien spiele, und wir rniissen unbe
dingt zusehen, daß Jlsre teure Rum
mer wieder etwas antraft gewinnt
Dae Publikum will nun einmal im
rner etwas neues schauen· UebetleOeIt
Sie sich einmal die Sache.'
»Da ist nichts zu überlegen, Derr
Eures, meine Arbeit ist aWndet
und anerkannt gut. Es dürfte W
Bändiger geben, deren Lentnreerq
ich scheuen tniißtr. Aber ich sann die
Löwen nicht Pelia tanzen lasse-«
.Wei.ß ich euch, here Uhulen
verstehe auch ein klein wenig von
Dressur. Nur seine ich. man litt-nie
einmal einen Stich einen einerilanb
sch- Auii IMM- Im US III
iitmn heranzuhoiern Mit seinen
Malen allein nnd der Musen M
reiterei gebt-i nicht niede. Die
Mit- lsiltu sehr zu III-siche- Mie«
Ich schaute dein Direktor set-Isid
mäxi ins-is s D da
er e ort: , a t
Stute eine Daae set-seiden eine J
M die bisher in einer » s
- W M «
MAX hat M , M: O M
den Eiertaeei « la Miste-n im Lö
wentiitig nuesäheen Die Gejthichte
wird zweites-i sieben Dabei in dir
Sache höchst einfach Sie arbeiten Idee
steinerne-r herunter und then zum
Schluß den Eieeennz biet-ihren Sie
brauchen nor dir Löwen in Schild
zu halten Ein Stallnieiiter reicht
Ihnen einen tleinen Teppich und
Porzellaneier hinein. die Ssie schen
qundritiich hinlegern Damit der
Trick noch neebe zieht lassen wir in
dir Presse bringen daß es eine Dante
der betten Geteil; ch st ist die in den
Käfig gebt, and ri- deshalb eine
Halbton-te trägt. Verstande-n herr«
Wbeeleri«
»Hu right, here Carr6!«
Die ganze Sache war nächst ein-J
fnch und durchan ungefährlich Aehn
tiche Leids hatte ich seither in der
Meinigerie. tun das Publikum brenn
znzrehem wiederholt emsgefiihrt De
wurde Juni deispiel eine Partie·
Sechsundsechz eni Löwentifis Heil
spielt. eine lFlasche Seit enttorkt
und getrunken, es konnte also nsch
einmal ein kurzer Tanz vorgeiiibrtt
werben
Die neue Reue-mer wurde rnit geo
ßeen Terminen anständigt Ter Er
folg blieb nicht mes. Die erite Bor
stellung fand an einein SiJiontegnbendl
s.ntt. und der weite Raum wnr total«
ausvereaust I
Gegen neun Ubr begann meine
Arbeit. .Jst die Tänzerin auch er-:
fchieneni« fragte ich einen der Stall
meister.
»Die Dorne ist in der Gnrderobe,
Mister Wheeler.« s
»Dann gut. Teppich und Eier
müssen ilklt bei der Hand fein. LosPi
Kalt und gleichsilttig betrat ich den«
Käfig. Lächelnd berbeugle ich mich
vor bern Publikum Poscha knurrte
wie immer, die beiden anderen Lö
wen peitschten mit ihren Schweifen
bie Boblen des Missge, während· die
Löwin wie ärgerlich an den eisernen·
Gittern met und ab sprang i
Ein kurzer sinnt und die Arbeit
ver Tiere begonn. Sie sprangen
iiber Stank-« durch Feuerreifem
wippten sich nat einer Schnulel; schif
fen eine Pistole ab Romnlus nebst
neir ein Stäet Fleisch nu« dein
Munde nnd wes dergleichen sinnst
ftiickchen mehr find. Zuletzt bereitete
ich mir auf den gelben weichen Lei
bern ver Dritten ein etwas seltsames
Lager, nahen ben Pafcha bei der
Wähne, riß ian den Rachen auf, nnd
legte out einige Selunden meinen
Kopf in den beißen, gesabrvollerr
Schlund. «
Tns Publikum llatfchte wie m
ienb. Dabei möchte ich heute noch
wetten, daß es eine Menge Leute
gab, die innerlich wünschten: wenn
doch der Löwe rinnral zufchnapps
Und dann tam die neue Nummer.
Ein Stallrrreifter schob einen kleinen
Teppich durch vie Eifenftöbe, and
mein Burfche reichte mir zwölf Eier
herein. Jch trieb die Tiere in eine
Ecke, breitete fein fänberlich den Tep
pich aus, nach been Eingang zum
Käfig zu. und legte in regeln-is «gen
Ubftiinben die Eier auf das ach.
Dann pflanzte ich nrich rnit der Peit
sche vor die Löwen, and zwar feitlich
an den Statut« fo daß ich bie Tiere
wie auch die Tänzerin gut im Auge
bebabten tonntr.
ig t«
adsnoifelle LicnedeMpnceau in
ihrem weltberühmten Mtanz tm Lö
wenliifig!« war auf dein Programm
angeln-ringt
Die Tänzerin eine jugendliche zarte
Erscheinung, trat n den Varieitiifig
und wartete auf meinen Wink zum
Eintritt. Die Augen waren von einer
weißfeidenen, mit Golbfranfen befeh
ten Binde in Form einer halt-malte
verdeckt.
Die Mosis intonierte eine Tanz
weiie, auf meinen steif öffnete das
Mädchen die Tür nnd trat herein. Die
Tänzerin wiegte sich langsam in den
hiifteiy wie zögernd abwartenb, dann
aber wirbelte sie eine Pirouette und
fianb einen Moment später inmitten
bei Eierguadratt.
Merkwürdig: eine guiilende Un
ruhe ergriff mich. Die Sache war
is im stoben neuem Mist unge
fährlich, die Löwen blinzelten zwar
ärgerlich auf ben Gindringling aber
in ibrern angezogenen Respekt bar
mir wagten fie nicht die geeingite se
NUM
Vach dieser fonnenwarine Tenn,
bietet schwarzblau Our biete beni
leIM m einefirrchts
Lippen, tin-die es ver
is zitte«
«Ie·tsettei«
Die Um in zuckte zufammen nnd
»Seid-i hinan-P suchte ich ihr zu.
«Jch will alles tun. . aber verlasse
auf der Stelle den Misigf
Da lachte sie leise aus« »Nein,
muß tanzen. . tm mich
i beug. wenn Du mir bis«
Ich mai tanzen-. Jst mitten Inn
Einst-M Ich versucht-, sie an der
va——-—-——
Jailie zu fallen III-d dem Apis-ich tu
drängen Georgette hob die danke
ttsie ndtoedernd.
Jm Publituni entstand Unruhe.
Der Direlternar erstaunt dicht as
ten Käfig getreten· '
.Vsrfichl, Me. scheelen der Pa
scha!« schrie mein Bursche.
Das Tier, wahrstllintieh in dem
Glauben« das ich angegriffen würde.
hatte zum Sprung auf Georgetle an
gesest Ich steste mich vor meine
Fran« hob den linlen Arm hoch nnd
hielt in der Rechten die Peitsche zum
Schlage bereit.
Einen Moment später gruben sich
die scharfen Zähne der Bestie in den
sur Abwehr erhabenen Arm. Jch
stürzte seitwärts in Boden. behielt
aber Besinnung und Geistesgegennart,
und bearbeitete mit dem Stahlgeflecht
die gelingelben Augen des Löwen Die
anderen Tiere wurden gleichfasj un
ruhig, doch hielten Stalimeister und
WarOre diese mit eisernen Gabeln in
Schlich. s
«Soll ich Pascha erschießeni" rief
der Direttor. ·
»Nein — ich werde fchon mit ihm
fertig!·· -
Und merkwürdig: das Tier schien
wieder meine Stimme zu erkennen.’
ei gab langsam meinen Arm, in den
er lich detbifsen, feel, ich erhob mich »
ging vorsichtig immer die Tiere im
Auge behaltend, rückwärts zufsciirs
and war eine Selunde später geret-.
let. l
Georgette war sofort bei Beginnt
des Kampfes von meinem Burschen
ans dem Käfig gezogen roh-den
Als ich am anderen Tage aus ei
ner schweren Ohnmacht erwachte« saß
Enge-i an meinem Bett —- weinend
nnd ftöhnend. Neben ihm die«
Mutter, die laut lachend sein blonde
Haar streichelle wie bei einem kleinen
Linde. Meine Frau war gemiitslrant
geworden. Doch wurde sie, Gott sei
gedankt. nach mehrmpnatigern Aufent
halt in einem Sanatorium wieder
pollständlg gefund.
Bei der ganzen Sache habe ich ei
gentlich ganz allein Schaden gelitten
mein linter Arm ist steif geblieben.
und zwei Finger find fiir immer da
n.
Können Sie nun begreifen daß es
mich dire’t schaudert, wenn ich nur
das Wort .Itoier« hörei Mein
Sohn Eugen hat ja nie toieder eines
Karte angeeiihrt nnd ist ein braver,
titchtigee Mensch geworden, der Stolz
und die Oeffnung unseres Alters —
aber das derhaßte Wort kann ich nun
einmal n mehr hören.
seien mmel: »Richt- Größern
gith als einer Mutter Liebes«
sit IMe.
Nach dem Pol-use n ers-Ihn von Ete
sania oldeureng.
Das matte Lampenlichi siel aus
die jugendliche Stirn, aus die ver
ständigen Linken Qieistis. Aber eine
Watte umsch eierte diese Augen, eine
stiilsseitige urche, das Zeichen tieser
Sorge, due chnitt diese Siirrc Das
Licht, das nur den Schreidiisch er
leuchtete, ließ dns Zimmer bunt
ter erscheinen. In den iniein
taaeeten die bösen Mächte eines vis
steren, dassnungslesen Geheimnisses«
schwirrtrn die drohenden Gespenster
tses Bergangenem die böse Kunde ves
sen, Das time-sen Inan.
Nur das eintön e Tinitnck der
Wanduhr unterer die nächtliche
Stilles
Dieisti erhob sich, s ritt mehrere
Male nervös durchs immer und
lähniebkdrn schweren Kops an die
Tiefe Stille, tieses Dunkel, wie
ans dein Kirchhos. Draußen schritt
geriiuschlos und heimlich vie Nacht
einher. Man sah nichts als die Zin
siernis, man hörte Nichts« als das
Schweigen. Ptsslich glitt ein Schat
ten an der Mauer entlang, hieti an
unt- schante sum Fenster herein.
Schritte schienen i t zu nahen.
Die Tiie öfsneie tan sam. nnd
tias graue harret eines titterchens
Ists-b sich vptståtis herein.
»Warum legsi du dich nicht, Ste
Ian, es ist schen zwei Uhr.'
»Warum schtösst denn da noch
nicht, Mutteri«
»Ich sann nicht« vie Unruhe quält
mich Vielleicht hörst du doch
aus vie Warnung des Komitees und
reist ab.«
Weit-, Mutter, ich reise nicht. Dars
ich mich unt meine persönliche Des-Or
kümmern, da so viele unserer Besen
in die menschenleeren Steppen Cis-is
riens hinauMchasst wurden, da
Unzädl e ihr Leben arn Galgen los
sen rni- ten, da vie Arbeit noch nicht
sertig ist! Da bist von dem Ce
schlecht, an des en Bett n Glaube
nnd hossnu Enden. Un etcpr
aber schaute te der Stier-i und er
ans uns das Wiegenlied. Der sus
vvonsststjaeinesvylleis
gleich mit dein von WOC. Da
mals var vie Ueber-tacht nicht so
reich an grausamen Einfälle-n urn
die Versuche-, siir die vie ca es
nicht fernster-« von den nsz l
Zen ins-e Me- uten ou M
. ro
tiwa da
in lang-er Stloverei geimirterten her-·
zenl Frenrisze Scheren zogen durch
tie Stadt es nieste die ansersnnsene
Sen-sparte man nd tseu kreisen In
pen Linn in Im lnit dein polni
schrn Herrscher-, Scharen pur-staunt
und Kindern. Ilus tausend Kehlen
irnng das Lied der Erlssuns zum
himmel .. . Aber pliiplich vernahm
man Schreie des Entse ens: Jesus,
Mori.ik Die Kosnlen chlugen vor
teni Rathaus drein! Erinnerst du
dich des surchtbnken Augenblick-?
Weißt du noch, wie mein Freund
Jur, der Sozn eines zum Motte
witertrnn bete rleii Polen, des Gen
tnrnienoderstem vor das Rathaus
rannte. um den gemeinen Verrat des
Vaters Inst eigenem Blut zu ent
gelten! Es ist ihm gelungen: irn
nächsten Augenblin lag er. mit Blut
iibergossen, tot am Boden. Erin
nerst du dich jener wilden Kpsnteni
schar, die Greise und Kinder nieder
tr.it, den schwierigeren Schoß der
Frauen mit den Pserdehusen nnsrißl
Es lebt noch srisch in unser aller
Herzenl Nein Mutter, dn bist eine
allzu gute Tochter unseres armen
Polen, als daß du mich veranlassen
tönntest, meinen Posten zu verlassen,
während das vergessene Blut unserer
Brüder noch Rache schreit. Ich harre
ans Vielleicht entgehe ich einen
bösen Schicksal. . . .'
Er fprnch nicht zu Ende Ein g
tonltiges Riitteln am Tor ließ in
beiden den Atem ftocken
»Sie iommen," ftammelte die
Mutter, am ganzen Leibe zitternd
Auch Stefon zweifelte nicht, daß fie
ihn holten, doch wollte er der alten
Frau noch einen Hoffnungsschimmer
lnffen
»Beruhige dich, Miitterchen, viel
leicht kommen fie gar nicht zu mir.«
Ader im felden Augenblick ftiirzte
eine Schar Polizisten durch die Mi
chentiir herein.
»Seht erfreulich, daß Sie noch
nicht fchlofen, fonft müßten wir Sie
ftiiren,« fagte der Iiihrer mit der
iiblichen Höflichteit.
Stefon fchickte sich on« mit ihnen
zu gehen, ohne die Mutter anzu
fchauen.
»Wir möchten oorher noch eine
tleine Hausfuchung oornehmen," fagte
ier Gendarm gefchmeioig.
Bei der ·tleinen Hausfiichnng"
zerfchlugen fie die Schriinie, fchiitte«
ten die Federn aus den Kiffem kiffen
die Bilder aus den Rahmen heraus
und die Bretter aus dem Fußboden
Mitten in der wie oon Hunnen zer
störten Wohnung ftand das Miittero
chen ioortlos, tote erftorrt. Als das
oandoiif Treiben ein Enden-thin,
begann mit Qitternden hönden
den Dandtrffer fr den Sohn su
rasen, der·toodl bald einen toeiten
Weg antreten toiirdr. Tränen ums
orten immer von neuem iste emiiden
ugen, oder fie drängte arti-:
keine mosiotoitifche Seele folte die
Muttertränen eines polnifchen Kin
des sehen.
Mit einer flehenden sitie in den
Augen bat fie den Sendarnn das ihr
gefottet werde, den Sohn bis nns
Tor der Zitndetle zu desteitetr.
.0etoifz, gewis', lautete die gnä
tiqe Inn-ort.
Vor dem houfe warteten zwei
Drofchiein Das Miitterchen fchlug
das Zeichen des Kreuzes iiber den
Sohn der mit der csiorte einstiep
und besol- fich vonlenden Schrittes
zu dem anderen Wogen sen. Starr und
gieichgcltig fuhr fie durch die fchios
sende, fin e, wie mit einein Trauer
tlor uin ilte Stadt. Ja ihren ers
tofchenen Gedanten regte sich ein un
deutiiches Mhtfeim daß etwas
verginge
Erft das Knorren des Riegels er
niichteite fie, die fchioeren Leiter am
Tor riefen ein tödliches Schluchsen in
ihr-m her-en wieder.
Nur der Gedanke, den Sohn noch
sehen zu dürfen, hielt sie aufrecht
Wie ein armer, nlter hund, der sei
nen Deren verloren hat« schleppte sie
sich von Tür zu Tür, bis sie schließ
lich nach flins langen Wochen, in
denen sie nicht müde wurde, stunden
lnng im Vorzimkner der Gendarcnen
zu tvzittety einen Erlaubniszettel be
kam, den Sohn zu sehen·
Sie wurde in eine große, graue
Stube geführt, tvv viele Leute in
neevöser Enegung hin und her gin
gen. Sie stellte sich vor, wie sie das
tenee Daupt an vie eniide Brust driiki
Len, wie sie nach so vielen Wochen
ver Trennung in die teueren Augen
blicken würde.
Endl ries man sie sue Unterrei
hung. ie erblickte das abgehsesnte
Gesicht es Ctesqm der tpie ein
Tier irn iisig hinter dein Drahtgits
ter stand. Er trat unter der Eskoete
weier Soldaten enit hochgekichteten
jenetten ein. Nicht einmal ein
Inventar konnte getaascht werden
o Hut es sing, deiickte er vie Lip
kz ans vie miltterliche dand vor
Gitter
.sei statt, Mutter, raube- mir
nie-sen Mut, ich muß viel Mut
hassen nimmt Da- nk mos
mit-«
Sie passe seh demtlitisi dndgesäiäx
IMMMÆYKM »Hi
lier ins e sl M iden
.svrbef du n ver-neuest
«s-, U biet IesV-ed «sie seht es
Inlnk Und hold herauf flitfternde
»Dieses-l seti t et dir, mich nach
rein zehnten sitt-n perfesen Ia
lassen. hier ift der ftrense Kom
men-dont Gebieter iibee Leben ans
anssttert uns mit peringen nnd
Lasse. löst nnd durften, weilt uns
aus dein eeften Schlaf, will unt e
rsann-ern verwirren, ntn die Unze ge
rer Genossen« ver Organiation zn
erzwingen Eifer den od....«
.Richt fliifternl Dir Sofern-nen
lnnft ift zu Enve·«
Der Mutter Schien es, als wäre
mit feinem Entfchwinden vie Sonne
erloschen und die fchtvnrze, fchtvere
Nacht auf die Erde hernbgefunlen
Als hätte die Verzweiflung die Luft
der Jahre von ihren Schultern ge
nommen, rannte sie zu den Vorge
festen nnd Generälen, fuchte Prolet
tion, um wenigftens Verminderung
der Strafe, wenn nicht Begnadigung
In erlangen
Stefnn fühlte inzwif en. bat die
feuchten Mauern der Ko etnnlten ihm
has Blut ans dein Körper sogen.
Wenn er noch dreifacher Vernehmung
während einer Nacht wieder zu fei
nem Lager zurückkehrte, wußte er
nicht mehr-, wonach man ihn gefragt,
was er ertoidert hatte, ol- er nicht
eine Frage mit «jn«, anstatt mit
»nein" beantwortet hatte.
Jn der legten Woche hatten sie
Ihm einen Verriietten als Zellengei
nossen gegeben. Er« vermutete in ihm
einen sirnulierenden Spigel Wenn
aber die Nacht herbeikam, faßte ihn
bange Angst ver dem bewußtlosen
Blick und den heiseren. gestarnmelten
Lauten. Das Angstgesiihl war ihm
selbst dann noch geblieben und legte
sich wie ein eiserner Ring um seine
Stirn, als sie den Verriickten wieder
fortgenommen hatten. Er fiiblte sich
Ielbsl dem Wahnsinn nahe. hinter
dem Guetsenster des Korridors fühlte
er ständig das lauernde Auge des
Spigetn
Var einer Stunde hatte man ihn
auch in dieser Nacht zum dritten
Male geweckt: Nummer vierzig in
die Kanzlei!' Er fühlte deutlich,
Laß seine Gedanten lich fe t oerwirrs -
ten, daß noch eine einzige olche Nacht
genüge, um ihn ganz miirbe zu ma
chen. Völlig erschöpft fiel er auf
feine Pritsche. Erfsiilslte draußen
hinter dem Fenster des Gefängnisses
die schwarze nasse Nacht. Das Daar
iträubte sich ihm dor Entseßem Mit
tödlicher Angst blickte er in sich. Es
gibt wohl starke Menschen, die don
den schlimmsten Torturen nicht nie
dergedrückt werden« aber er fühlte
sich nicht so start. Er mußte diesen
Zweifel abwersen und sich stählen.
Die nter durften ihm nicht in
schwa r Stunde ein Wort erbringen,
das auch noch seine Genossen preis
geben tönntr.
Es muss ein Ende gemacht wer
den« je schneller-, um so besser, dachte
er. Vor seinen Augen tauchte das
slehende Gesicht der Mutter auf. Was
hilst’s! Lieber Verzweiflung als
Schmach aus ihr haupt u laden.
Der gütige, darmdergige zod wird
den bleichen Schrecken mit sich neb
men und dem Elend des langsamen
Dabtnsterbens in Erwartung des
Galgentodes ein Ende machen .....
Aber wie sbbrt man den Tod berbeii
So mancher bat sich aus dein Demd
eine Galgenschnur gedreht. Iberibm
widersteht der Erstickungstod der an
den Galgen gemabnt. der große,
edle und rettende Tod mit flammen-,
dem Aatli möge iiber ihn lemmem
wie er den «Leuchten des Ebri
stentums' zuteil ward.
Er wartete, bis die Schildwache
vorüber war und das Guelfenster si?
wieder schlos. Dann stand er au ,
zog unter dem Strobsaet eines ch
tel Ziinddiilzer beraus· rieb me rere
leichseittg an und derstreute sie au
«ein Lager. Das feuchte Stro
wollte nicht Feuer sangen, er mußte
immer neue sitt-bissiger iu srand
seien. Endlich, als die blauen Flam
menstachel in das Sacktuch einzu
dringen be armen, legte er sich wieder
bin. Nu , Ust fröhlich wartete er
aus sein suto fö.
Beisender Rauch legte sich ihm
wie wohltuendei cspiam auf Augen
und Brust. Er verlor sofort das
Bewußtsein Er fühlte ni t, wie
das Feuer feinen Körper bis enweise
verzehrte, hörte nicht« wie es schmerz
hatt«unter den zerstörenden Flam
menzungen prasselte. Nur ither lei
nem haupt läutete eine laut ver
sehn-here Glocke. Und mächtiges
Läuter- folste ihr ....«hunderte von
Glocken läuteten, schlugen, dröhntem
Und plöilich regte sich in den ver
worrenen, fiir einen kurzen Augen
dltc sur Oesinnung erwachten Ge
danlen, in diesem schon hold ver
lohlten menschlichen Körper dte seith
lich desiilckende Wahrnehmung
»Olockengeläute! Glockengelttutet Zu
Polens Erlöses-gl«
— Das diese Ende. Wirt:
«Wie — um vier Uhr morgens wo
ren Sie erlt zu houlet Sie sind doch
schon zwei Uhr in einer
Drotchte ingesthenl«
« hren unsere Otoschken eltvo
di« n den zweiten Stock hinnusi"
— stattlich. Mutter: »Geh'
mal, Elte. einer von untern Gold
fitchen ist tot.«
Aschen: Ech- Motno, der iß Ie
wlt ertrunteu.« 10