Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 24, 1915, Sonntagsblatt, Image 12

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    Die letzte Meile
Roman von Oes- Besee.
—
ca Ritters-Ia
Sie konnte keinen Entschluß fas
sen. —- Eine oriickende Schwere lag
aus ihr —- wie eine Undankbare tam
sie sich vor und tor- nte doch nicht hel
fen, nichts tun um ihm Glück zu
geben.
Langsnin erhob sie sich, schweigend,
ohne noch ein Wort zu sprechen.
gingen sie den Weg zum Hotet zu
rüst.
Aus der Termsse war noch eiii
Teil der Gesellschast versammelt.
Ul- sie var-»in vorüberlainen, ver
stummte plötztich die Unterhaltung,
die ihnen in vie Nacht hinein entge
gengeschalit —- es erschien Atice, als
ov alle Augen aus sie gerichtet wären.
Das erweckte ein Gefühl in ihr,
eine neue Unruhe·
Durste sie ietzt —- in dieser neuen
Lage, in der sie sich besond, noch so
weiterlebens — Gab sie nicht nach
dem, was heute geschehen, den Men
schen ein Recht, sie zu verdächtigen?
Sie verabschiedete sich von Frank
ville, doch die Gedanken sotgten ihr
und v;rließen sie auch nicht, als sie
ihr Zimmer betreten hatte.
Sie schickte die Jungfer hinaus:
Sie solle schlafen gehen, sie würde
sich selbst anstteiven — dann, nach
dem sie ihr Kleid mit einem weichen
Schlaer vertauscht hatte, seyte sie
sich nn das ossene Fenster und sah
rn die Nacht hinaus.
Durch die Stille draußen tönten
noch immer gedänipft die Stimmen
der Plaudernden auf der an der an
deren Seite des Hauses gelegenen
Terrnsse, das Wetterleuchten hatte
aufgehört, der stärker gewordene
Nachtwind trieb vereinzelte Wolken
iiber den Himmel, an dem sich nur
ab und zu ein Stern sehen ließ.
Vom See her hörte sie das Anschla
gen der Welten an dns Ufer.
Durste sie bei ihm bleiben?
Diese Frage quälte sie. Sie ver
stand wohl, was Trennung fiir ihn
bedeute.
Aber auch fiir sie — hatte sie noch
einen anderen Plan auf der Erde at
dei ihm?
Jm Elternhnusesi — Das war ihr
fremd geworden, sie gehörte nicht
mehr dorthin, sie war durch das, was
sie erlebt, von den Eltern innerlich
getrennt —- sie fchauerte bei dem
Gedanken, an Vergangenes rühren,
gestehen zu müssen, was sie sung-trie
ben hatte.
Mußte sie denn fort, konnte sie
nicht troh allem, wag geschehen, was
heute geschehen war, bleiben?
War er nicht ein edler Mann,
stand er nicht hoch iiber anderen
Männern, durfte sie ihm nicht weiter
vertrauen, würde er sie nicht führen
und schöner-, wie er sie bisher ge
führt und geschützt hattet
Aus ihren Gedanken heraus, wie
um ihren Entschluß zu befestigen,
neigte sie den Kopf. Nichts ändern,
alles so lassen, tun, was er be
stimmt —- und wenn er nicht daran
cis-htt, auch nicht daran rühren. —
Wem hatten sie Rechenschaft zu geben,
sie, die beiden Einst-mein die auch
weiter einsam hleiben würden?
Eine lange Zeit war iiber ihrem
Grübeln nnd Denten vergangen. Sie
hatte dessen nicht acht gehabt, ietzt,
als sie fertig mit sich, entschlossen
war, erhob sie sich von ihrem Plah
am Fenster, fühlte nun erst die Et
rnattung, die sie ergriffen hatte.
Nun frostelte sie, oie liihlere Nachl
lilit machte sich geltend. Sie 3og
den Schlafrock fester um ihren Koe
pet und schloß das Fenster.
Dabei sxih sie, ousz drüben im
Osten der Himmel sich schon tötete —
ein Blick aus vie lleine Reiseuhr, die
auf Dem Tische stand, zeigte ihr, daß
der Morgen anbsechen wollte.
Hostig entlleidete sie sich, um den
versäumten Schlaf nachzuholen
Der Tag ionk schon vorgeriickl, als
sie erwachte.
Noch im Schlaf hatte sie jemand
an ihre Tür klopfen gehört; jeE
war es wieder still — sie mußte st
wohl getäuscht haben.
Eine Mattigkeit, wie noch langer
Krankheit, hielt ihre Glieder geses
sell, verträumt blieb sie liegen, die
Ereignisse des vergcingenen Abends
wollten in ihre Erinnerung zuriicks
Lehren.
s Da pochte es von neuem, ein-, zwei
mal, sie hörte die Stimme ihrer
Jungfer:
«Gnädige Frau, gnädige Freud'
Das klang erregt, ängstlich —- oder
Wien es ide, der noch vom SCle
Besessenen nur soll —- Eia We
Schn- ergeifs sie, sie wollte Int
Isstten, rufen, doch die Stimme ver
sssee — und do schon siedet
«Iuädise nu, bitte, öffnen Sie
det Ism« —
Stunde — ist der Itzt gerufen —
eirr schwerer Herzkrampf' —
Totenbteich stand Alirr. Aus ih
rem Gesicht war jeder Blutstrapfen
gewichen — mit zitternden Fingern
grisf sie nach ihrem Halse, in dem
etwas herauskroch, sie wiirgte — ihrs
Atem und Sprache raubte
Und immer nur der eine Gedanke,
der sich in ihr hirn bohrte:
«Daran trägst du die Schuld, du
hast ihn getötett«
Die weitausgerissenen Augen starr
ten aus die Jungfer, die sie am Ar
me gefaßt hatte, um sie zum hinsehen
zu zwingen —- Alice regte sich nicht
von der Stelle, aus ihr schien ame
Leben gewichen, doch das Zimmer
fing an, sich mit ihr zu drehen —- ein
Schwindel erfaßte sie —- mit einem
Wehlaut sant sie auf den Stuhl.
Die Jungfer eilte zum Toilettens
tisch, um lötnisches Wasser zu suchen.
Doch sie war selbst so aufgeregt, die
Flasche entfiel ihrer Hand, zerbrach
tlirrend aus dem Fußboden, so daß
der herausströmende Duft das Zim
mer erfiilltr. Einen Augenblick stand
sie und sah mit abwesenden Blicken
aus den angerichteten Schaden, dann
raffte sie sich wieder auf. Im Hand
tosser mußte sich mehr davon sin
den, die gnädige Frau führte Immer
einige Reserveflafchen mit sich —- end
lich hatte sie das Kästchen entdeckt.
Nun suchte sie nach einem Gegen
stand, um die Flasche zu öffnen —
irgendma mußte ein Miniaturtorizies
her sein« doch der fand sich nicht« ei
blieb nichts übrig. als den Kort mit
der Schere in die Flasche hineinzu
stoßen.
Auch das gelang — nun konnte sie
ihrer Herrin Schlasen und Stirn mit
dem erfrifchenden Wasser reiben.
Langsam richtete sich Alice auf —
doch wieder dieser starre, sragende
Blick, die Lippen bewegten sich laut
los —- erst, als die Jungfer wieder
holte, was sie ihr vorher zugerufen,
daß Herr Frantoille schwer erkrankt
sei, tam ihr zum Bewußtsein was
geschehen war.
Sie versuchte sich zu erheben, tau
nielnd fiel sie zurück, allein die Sor
ge um den Kranken riß sie wieder
aus« einige Setunden stand sie, aus
die Lehne des Sessets gestützt, dann
stieß sie hervor: -
Kommen Sie, führen Sie mich»
zu ihm.« ;
Die Jungfer tvar verzweifelt. Ja
diesem Zustande, mit nackten, in Pan
toffeln steckendeii Füßen, nur mit dem»
übergetvorfeiien Morgenrosck bekleiden-;
mit wirrein, von dem tölnifchen Was-s
ser durchnäszteni Haar wollte die gnä-;
dige Frau aus dem Zimmer, iiber den
Korridor, unter fremde Menschen gesf
hen! E
Sie versuchte ihr das verständlich
zu machen, hielt sie zurück und dtiiate
sie in den Sessel — dann stürzte sie!
hierhin und dorthin, um das Nötigste»
zum Antleiden zusammenzusuchen s
Alice hatte sie erst daran hinderns
wollen, sie hatte nicht begriffen, wass
Elise wollte, verstand kaum die Wut-l
te, die jene sprach —- doch die Jung-l
fer war schon bei ihr, kniete vor ihr«
nieder, um ihr die Strümpfe über
zuziehen, dann ordneteisie ihr schnell
- oaö haar, richtete sie auf, um sie an
szutleiden — wenigstens Unterzeug —
kund da Alice seit willenlos geschehen
’ließ, was die Jungfer tat, war die
lJungfer in kurzer Zeit fertig.
. Eine Ewigkeit war es Akice erschie
nen, was zwischen den Worten des
»Mädchens und ihrem heraustreten
iaus deni Zimmer lag, est ftie eine
zueue Furcht in ihr aus« daß ie etis
»was versäumt hätte —- zu spät kom-«
meii könnte.
l
Wochen waren vergangen, Wochen,l
die silr Aliie Leiden gebr.1cht, wie
kaum Der Kranke sie zu erdulden ge
habt.
Immer nur der eine Gedanke:
»Wenn er stirbt, nagst du allein viel
lSchuld — er hat an deine Liebe ge
;glaubt, darum geworden —- du hast
Jihn zurückgefmßen — mit einem
IWorL mit einem Namen, den du
san-gesprochen — als er dich in sei
Inen Armen hielr.«
Ost am Bette des Kranken war sie
made daran, ein Gelübde abzulegen:
l»Wenn er leben bleibt, will Ich alles
gutmachen« — aber gleich brach ver
ertiinstelte Mut wieder in sich zusam
men — sie tonnte ihm nicht anderes
als eine treue Pslegerin sein«
Und würde er einer solchen nicht
»in erster Reihe bedürfen? —- hatte
nicht der Arzt gesagt, daß die größte
Schonung Lebensbedingung seii
JAn sich- welches Leben ihr bevor
stand, wollie sie nicht denken —- et
war genag« daß sie hoffen darste, gut
zuraachen, ihre Pflicht zu erfüllen·
Riesengraß war ihr die eigene
Schuld in der Zeit seines Krankenlas
ger- erschieuen, hin und her gezerrt
war sie durch die Furcht, daß der
Tod sie daran verhindern könnte, iu
sühnen, das sie allein niirde weiter
leben müssen mit der ewigen Reue im
FOR Schrein im suche 's- rat
en. es hatte mir aebrohe —
ranW starb . » —
- sit
ess- W er trägt-. ice sei-me
set-·
Mit-LI- mk Mem-·
T Jan un sein«-sit hanc ne es za
rückgewiesein als er vorges lassen hat
te, daß der Diener ihn sii solle.
»«Und ich, wozu bin ich denn dei«
Er hatte sich gefügt get-! dtsiigt
F würde sie dann doch stets uin ihn
em....
Langsani gingen sie erst im Gar
ten bei Dotels aus und ab, nnd als
Atice sah. das er sreier austrat, schlug
sie mit ihm den Weg zum See ein.
Dort sa sie und sahen hiniibet
zu der Fel enlette —- es war derselbe
Plai. an dein sie oor seiner Crtrans
tung gesessen — beide schwiegen sie
— waren rnit ihren Gedanten bei
Vergangene-in
Aber die Gegenwort sorderte ihr
»Recht. Es mußte überlegt werden,
Hwohin sie sieh wenden, wo sie den
’Winter zubringen sollten.
» Der Arzt hatte einen südlichen Ort
Iznr Bedingung gemacht. Am besten
Aegnpten oder die Niviera. —- Für
die jetzt noch warmen Monate hatte
et jednch Wiesbaven angeraten, wo
Frantville Bäder nehmen sollte, um
die nachgebliebene Körpetschwäche zu
überwinden.
, Viel-baden —- die ganze Vergan
genheit rollte sich vor Alterns inne
rem Blick ans. Würde nicht jeder
Weg, jeder- Steg ihr Erinnerung
bringen —- tviirde sie das ertragen
tönneni Uns-te der Onkel nicht, daß
sie in Wieibaden jenen tennen gelernt,
der ihr Leben zerstört hattet
Sie sann nach, sie wollte sieh ins
Gedächtnis zurüdrusem ob damals
davon gesprochen worden war, da er
innerte sie sich, daß immer von Rom
die Rede gewesen, auch die Eltern
nicht gejagt hatten, daß ftr ihren
Mann in Wirsbaden kennen gelernt
habe. Auch davon war nicht gespro
chen worden, daß Trentelno Mutter
dort lebte, oder Franlville, der ja
bald nach ihrer Rückkehr abgereift
wor, hatte das vergessen —- er in fei
nem Zartgefiihl wurde ihr fonft ge
wiß nicht zugemutet haben, Wie-va
den zum Aufenthalt zu nehmen.
Vielleicht glaubte er irn Gegenteil,
daß es ihr Freude machen würde,
Wiesbaden, :vo sie ihre lustige Pen
sionszeit durchlebt hatte, wovon sie
fv oft erzählte, wiederzufe
Und sie — sollte sie jeit daran
rühren, ihm fagen, daß sie in,diefe
Stadt nicht tonne, nicht wolle? —«
Sollte sie den Namen dessen, der fiir
sie tot war, tot fein mußte, wieder
nennen —- alles von neuem ans Licht
zerreni.»
Lieder schweigen. — Dann, als sie
ruhiger geworden, fiel ihr ein, daß
vielleicht Wiesvaden der lehte Ort
fei, wo sie ihm begegnen tönntr. Die
oft hatte er geäußert, daß er dtefe
Stadt nicht liebe, daß er nie nach
Wiejbaven gehen würde und auch
feiner Mutter geraten hätte, fortzu
ziehen.
Seine Mutter. Die liebe, alte Da
me. Die ganze Zeit her hatte sie nicht»
mehr an sie gedacht. :
Ein paar Briefe hatte sie mit ihr
non Prag aucgetaufcht, ein paar Posi
tarten vorher von Berlin und Monte»
Carlo gefchiat —- auch wohl damals,
als sie fein haui verlassen hatte, ei-.
nen Augenblick daran gedacht, sich zus
ihr zu flüchten; später hatte sie In
Scheu und Furcht nichts mehr von
sich hören lassen.
Es war ja die Mutter —- feine
Mutter — würde sie nicht glauben.
daß ihr Sohn im Rechte fei, daß nur
sie an allem die Schuld trüge —«
lonnte die Mutter anders urteilen?
Und doch zog es sie jeht mit ein
mal mächtig zu der Frau hin —- sie,
die faft des Verkehr mit andern
rauen entwöhnt, immer nur in Ge
ellfchaft eines Mannes gelebt nnd
sich fcheu von jedem weiblichen Ber
lehr abgeschlossen hatte, wenn sie zu
erkennen glaubte, wie man iiber Ihr
Zusamenlebem ihr Reisen mit dem
noch« nicht alten Manne, der trotz
seiner Krankheit ein schöner Mann
war, im stillen urteilte.
Da tönte seine Stimme hinein in
ihre Gedanken:
»Wean es dir recht ist, Alice, rei
sen wir in ein saar Tagen —- viel
Zeit haben wir nicht mehr, in vier,
süns Wochen ist es herbst."
Jn ihn-, dem Kranlem war die
Sehnsucht erwacht, recht bald hinzu
kommen an die heilquelle, von ver
sich der Arzt so oiet versprochen hatte·
»Gut, ich -"·werde alles onorvnen,
übermorgen können wir reisen.«
Er war das schon so gewöhnt, daß
isie fiir alles sorgte —- seit seiner
Kranlheit n mehr wie früher —
Jdasz er zustie gastiert-nie mit ei
nem ieisen Dank siie sie, die sein gu
ter Engel geworden war.
- i o
Viel schmerzlicher noch, als sie sich
vorgestellt hatte, wirkte aus Alice in
Her ersten Zeit der Aufenthalt in
Dis-TM ne is habet
n alt vom a zum
tel fahre-, die Wilhelrnftkaße, die
uplstra der Stadt, passierteu,
meldeten ch die Crinnerungem
Dort, dein I ster gegenüber, tue
Ue Stelle, wo ihn getrossem von
war er ihr olgt und hatte
e dann später ·der einsamen
Partfeaspe entsprochen
Um Karl-aus verbei, wo sie ihn
zuerst Iesehen —- deiiben das com,
wo sie als srwimr so lustig sit
den Eltern zusammen Unieet nnd
seigbrt hatten.
, i- mutite die sum schließen
W
um die ansillrmenden Bilder von sich
zu scheuchen —- war froh gewesen. als
der Wagen vor dem Hdtet hielt, tpo
sie Zimmer bestellt hatten
Ilder das tviirde wiederkehren, täg
lich. ftilndlich —- die Straßen, das
Nathan-, der Wald —- allei tviirde
von der Vergangenheit erzählen. —
,Sawie sie einen Schritt tat, würden
befeligende Bilder vor ihr ftehen.
Jn der erften Woche war sie nicht
aus dem hotel gegangen. Da hatte
sie noch eine Entfchuldigung: Den
Onlel griffen die Bilder an, et fiihlte
sich ermattet, lag tagsiiher anf dem
Diwan — es war ja nur natürlich,
daß sie ihn nicht allein lassen wollte,
wenn er auch immer von neuem
drängte, daß sie in die frische Luft
gehen folle.
Dann fühlte er sich bald kräftiger
und verlangte feldft hinaus. Die
herdftfonne ftrnhle noch fo warnt,
vor ihren Fenftern flutete die Menge
der Kurgäfte, Equipagen, Automobile
jagten vorüber, von drüben her aus
dem Garten fchallte Metsit — alles
forderte zum Leben, Genießen auf.
— Welchen Grund hätte Alice jetzt
noch angeben tönnen. im Zimmer zu
bleibeni «
So fuhren sie täglich in den Wald,
befuchten den Neroberg, waren zum
Nachmittagslonzert im Kurhaufe —
allmiihlich wurde sie ruhiger.
Nur fremde Gesichter um sie her —
auch unter den jungen Mädchen des
Pensionats, die ihnen oft im Walde
begegneten, lein bekanntes Gesicht —
die waren wohl alle schon fort, in der
Heimat oder ;- verheiratet.
l Auch an ihre reinliche unanin
hatte sie kaum mehr gedacht —- sie
hatten die Korrespondenz, die sie in
ider ersten Zeit nach ihrerBerheiratnng
sgefiihrt nach und nach eingestellt —
was hatte sie ihr auch zu sagen ge
’hadti —- Sie wollte sich nicht bedau
Iern lassen. Auch seht dachte sie wenig
»an die Freundin ihrer Mädchensahrr.
» Nur ein Gesicht stieg immer von
sneuern vor ihr aus —- dat liebe Ge
sicht der alten Dame, fiir die sie so
viel Sympathie empfunden hatte.
Wenigstens wissen wollte sie, was
aus ihr geworden war, ob sie ncch
hier in der Stadt lebte.
Jhre eigenen Verwandten, die
während ihrer Pensionizeit hier ge
wohnt, waren fort, nach Berlin til-er
gesiedelt, wo sich der Sohn verheiratet
hatte — vielleicht war auch die alte
Dame ihrem Sohne nachgezogen, um
die paar lehten Jahre in feiner Nähe
zu sein.
Immer wieder quälte sie sich damit,
daß sie die Frau wiedersehen müsse
—e5 war ihr. als oh sie etwas an
ihr gutzumnchen hätte, ihr ein paar
freundliche Worte sagen müsse.
Vielleicht zürnte sie ihr nicht« schloß
sie in ihre Arme —- oielleicht tonnte
sie sich einmal dazu-einein am her
zen einer Frau ausweinew -
Ihrer eigenen Mutter gegenüber
hatte sie ein fcheuei Gefühl zurückge
halten, sie hätte sprechen, erklären
müssen — diese andere Frau, die ihr
so einsam, fo selbst des Trostes be
dürftig erschienen war, würde gewiß
nicht fragen
Und wenn sie doch verdammte, ihr
alle Schuld zuschrieb — auch das
wiirde sie ertragen —- dielleicht ge
hörte das noch besser in ihr jetziges
Leben und Empfinden.
Wie ein neuer Reiz erschien ihr
das —- immer mehr Qual wollte sie
wie eine echte Märtyrerin auf sich
nehmen.
Aber von Tag zu Tag hatte sie
gezögert, sich der alten Dame zu niis
hern, ieht stand bald die Abreise de
vor, da- Nomadenleben sollte wieder
beginnen — noch immer hatte sie zu
reinem Entschluß kommen tönnem
Da, an einem Regentag, da sie, um
einige Eintiiuse zu besorgen, allein
in die Stadt gegangen wor, nahm
sie all ihren Mut zusammen und fuhr
mit der Elelteischen nach der Straße.
in der Frau von Trenteln damals ge
wohnt hatte. —
Wenigstens das Haus wollte sie
sehen — eine Erinnerung mit sich
sortnehrnen.
Longsacn aing sie, nachdem sie an
der Este ausgestiegen, die stille Straße
entlang —- langsam mit zögernden
Schritten.
» Dort lag das Hau- bor. ihr. Die
szenster der Wohnung standen weit
fassen, aber niemand war zu sehen.
« Sie näherte sich dem hause —- wie
einem Zwange nachgebend, trat sie
durch die ossene han«-tue ein, suchte
an der Jnnentiit nach dem kleinen
weißen Porzellanschilde, das ihr noch
in Erinnerung war — von dem Ve
such mit ihrem Verlobten bei seiner
Mutter.
Das war noch da: »b. Trenteln«
las sie mit tlopsendein Versen —- nnd
nun —- in blötlichem Entschluß —
drückte sie aus den Knopf der elettris
schen Glocke
Von innen naheeten sich Schritte,
alles slnt trat aus ihrem Versen.
sie wollte umlenken. fliehen und blieb
doch stehen —- tpte eine Händerin,
etni näessien sucmbltck ihren Ue
teielssptuch hören soll.
Usd M- eint sticht sticht-I sie sich
in der Sat- sarnnn toqu das allen
Bat weilte hier, war-in drängte
FIHtM herausf« thtvebsignsäafn
Gedanken voraesiellt, das die alte
Frau ibe ztlrnen nasse —- tosklte sie
F
I
Isiaz zu allem Leid noch eine Zurüc
froeisung holen?
; Ganz ttar tatn the auf etnnrat zum
LBewußtsein daß fie einer trunthafs
Iteu Sentirnentalitiit, einem Mitleid
Jnit jener Frau oder intt sich selb
Enaehgegehen hatte. Schon trat re
einen Schritt zurück —- da öffnete
ssich die Tür; ei war zu spät sie
mußte dem Dienstmädchen das im
schwarzen Kleide vor ihr stand, et
was sagen, um ihre Anwesenheit zu
erklären. X
Einfach einen fremden Namen nen
nen« fragen, ob nicht der oder jener
hier wohnte und dann fortgehen, dazu
fehlte ihr der Mut, wohl auch die
Ueberlegung, denn jede Art von Ver
stellung war ihr fremd —- sp sagte
sie stotternd, als das Mädchen sie
fragend ansah, während sie die Augen
auf den Strauß Rosen geheftet hielt,
den sie unterwegs aus einer untlaren
Empfindung heraus getauft hatte
Jtann ich die gnädige Frau spre
chen?«
«Die gnädige Frau —- Frau von
Trentetn"t'«
Die vor ihr Stehende starrte sie
an. Und als Alice schweigend rnit
dein Kopfe nickte:
»Die gnädtge Irnu ist gestorben.
vor einer Woche wurde sie begraben."
Als sie daraus nichts antwortete,
sondern immer nur vor sich hinsch
«Aber der Sohn, der here Leut
nant ist hier — das heißt« - sie
verbesserte sich —- .er ist seht nicht
zu Hause, er kommt aber bald zus
rück. Jn der Zeitungsanzetge war
doch gesagt, daß die Möbel zwischen
ein und zwei Uhr zu besehen seien,
ietzt ist es halb eins-. —- Sie kommen
doch wohl, um Möbel zu luuseni Et
ist nicht mehr viel da, der here Leut
nant hat sehr billig verlanst, da er
Inbreisen will.«
Wie elf-kalte Wisserlropsen sielen
die Worte aus Alten drangen ihr
durch die baut, singen an, sie zu ste
chen —- sie verstand nicht, was jene
von Möbeln schwerste —- nur daß
die Mutter tot, der Sohn hier sei,
bald zurücklommen würde, hatte sie
egehiirl.
, Scheu blickte sie aus. Sie maß
.die paar Schritte, die sie von der Tiir
trennten —- wiirde sie Zeit sinden,
um fortzukommen, ehe er zuriirtlam'.«
Die Rosen entsielen ihrer Hund«
ein Teil der Blättchen löste sich und
bestrente den Fußboden vor ihr, sie
achtete nicht daraus, sie antwortete
kauch nichts, sie hatte nur mit An
strengung gehorcht, ob sich von der
Straße her tein Geräusch hören lies:.
Als alles still blieb, kehrte Leben in
sie zuriich ste stürzte hinaus aus die
Simse, mäßigte auch ihren Lauf
nicht, als sie bemerkte. daß sie eine
falsche Richtung eingeschlagen —- das
war ja gleichgültig, nur sort aus der
Nähe des houseg, aus der Straße
Ehinaus — irgendwo würde sie ja
seinen Wagen finden, der sie inH Hotel
»zuriickbrachte.
I Das Mädchen hon- ihk »Ma
Inachgrsehen Was die wohl gewoll:
hattet Schöne Kleider hatte sie an,
auch hübsch war sie. Ob sie wirklich
nur wegen der Möbel lau-?
Sie bückte sich, suchte die heil ge«
bliebenen Rosen zusammen nnd trug
sie in die Küche Die losen Blätter
ließ sie liegen. Wozu sich noch an
strengen? Sie ging ja doch in den
nächsten Tagen sort, see hatte genug
gearbeitet.
Als Botho von Trenteln nach
hause tum, blieb er vor der Tiir der
Wohnung stehen. hin s-· wer hat
da noch Blumen gebracht, acht Tage
nach dein Begräbntsi —- Dnnn, statt
mit dem Drücker, den er bei sich
trug und schon in der hand hielt,
die Tür auszuschließen, tlingelte er.
Ali das Stubenmiidchen össnete,
seagte er: «
»Wo kommen die Rasenblälter her.
Animi —- War jemand hier«-«
s »Ach, herr Leutnant — ja, ei wir
eine Dame hier« ein Fräulein oder ’ne
junge Frau, sehr elegant war sse nn
gezogen und sehr schön war sie« —
Trenteln wurde ungeduldig.
»Gut, gut schon —- wns wollte sie,
wer war es?'
Das Mädchen blickte verlegen.
»Was sie wollte — sie hat noch
der gnädigen Frau gesragt. Als iclk
ihr sagte, dass die Gnädiae — aber
daß der Herr Leutnant hier sei, da
wurde sie weiß wie die Wand, ließ die
Rosen, die fie in der hand trug, sal
len und lies sort. Jch hatte teine
Zeit, nach ihrem Namen zu fragen.
hatte auch geglaubt, sie wolle Möbel
lausen.«
«Durnmheit!« —- Undeutlich zwi
schen den Zähnen stieß er es hervor,
dann trat er ins Zimmer.
Gans kahl starrte ihm das entge
gen. —- Die Miibel asi schon alte
fort, die Wände leer, mit großen
und tleinen duntlen Flecken, die die
Stellen be eichneten, wo die Bilder
gehangen tten — nur der tleiue
Glasscheant mit den Schäsen der
Verstorbenen stand einsam. luqte
aus seinen kleinem neettlerten III
sern wie init eben o vielen Augen
trautt in die Oel-e
Voäo von Irenteln blickte noch
dentl vor hin. Wer konnte
die san-e erpe en seint von dein
Tode der utter hatte sie nichts ges
wußt, und als sie gehört, das er da
sei, tonr sie sprtgkanqen —- ecausen
—- ivie sich die nna ausdr ste. —
Seine Anwesenheit hatte sie also er
«:cheeclt, verjagt — sollte —- aber
nein, das war doch nicht m lich,
was hätte sie hierher siihren öni
nenit....
Und doch —- es war ihr zuzu
trauen. Vielleicht war sie rnit ihrem
Ontel zur Kur hier. — Dass sie mit
dem in ver Welt herumreisie, was-te
er — da wollte sie wohl die gewesene
Schwiegerinama besuchen, hatte sa so
grose Verehrung silr sie gezeigt. na
— an Sentimentalitiit sehlte es ihr
auch nicht. Vielleicht war ed übri«
gens nur Neugierde gewesen« oder —
Er ging zur Tör. .Anna!«
Sie tarn schnell aus ver Miche·
»Beschreiben Sie mal die Dame:
Haar, Augen, war sie groß, tleini«—
Er sah gespannt aus das Mädchen.
»Ja, Herr Leutnant, das ist schwer
zu sagen, es war ja nur ein paar
Minuten —- Augen hatte sie mächtig
große, ich glaube: blau. Und haar
— richtig, ich erinnere mich: tein
duntles haar, nein« duniel war es
nicht — bland — aber nicht hell
blond, auch nicht rötlich, so, wie soll
ich sagen —- aschblond nennt man es,
glaube ich —- graß war sie auch
nicht, eher tlein, tleiner als ich —
unv wie ich herrn Leutnant schon
gesagt habe, sehr elegant, ganz weiß
geileidet, so leichte Seide und 'nen
dicken Reiher am hut —- der kostet
Lgewiß« —
Doch Trenteln hörte schon nicht
mehr hin. Alles poßte aus Mike-—
Also ie, sie —- wsaz hatte sie hier
gewollti. . . .
Gewißheit mußte er sich verschass
sen, ob sie es wirklich gewesen war.
Das war nicht schwer. Er brauchte
nur die Kurlisten durchzusehen, in
irgend einein Buchladen oder itn Kur
hau5, am besten inr Kurhaut —
Den Hut hatte er noch nicht abgelegt,
bei der Erzählung des Mädchens
nur etwas nach hinten gerückt, jehi
setzte er ihn zurecht, suchte noch sei
nern Stock, die er bemerkte, daß er
ihn in der Hand hielt —- dann ging
er, ohne noch ein Wort zu sagen, au
detn Hause
Was er eigentlich wollte, war ihrn
selbst noch nicht tlor.
uErst rnnl Gewißheit,« wiederholte
er bei sich, »dann« — aber aus dies
»Dann« snnd er nicht gleich eine
Antwort
Ja, was dann? —- Hatte er Sehn
sucht nach ihr, liebte er sie —- hatte
er sie denn geliebt —- so geliebt, das
der Gedonte, sie sei hier in seiner
Nähe, eine so große Erregung in thn
nuslssen konntet —
Wöhrend er durch die Straßen
ging, die zum Kurhaue führten, die
Nitolntstruszq die Rheinstrnße, in die
Wilhelrnstrnsse einbog« versuchte er
zu überlegen. «
Er ries sich die Zeit ihrer Ehe su
rtiet. Gewiß, er hatte lie des Geldes
wegen geheirntet —- daz war in seinen
Singen teine Schande, d.rs taten viele,
seine Verhältnisse hatten ihn dazu
gezwungen — aber vielleicht hatte
er sie auch lieb gehabt, in seiner
Weise —- sie war hübsch, sogar schön
und — so geduldig. Er hatte sitt;
seine Freiheit bewahren tönnen. Das
war ja auch alles ganz gut gegan
gen, bis zu dem Tuge, als der Bries
kam. der über die Verluste berichtete,
und baß sie nun weniger haben soll
cert.
Da hatte er sich im Zorn hinreisen
lassen —- detrogen hatte man ihn —
die Worte hatte er nicht überlegt.
tvuszie taum, was er gesagt, womit er
sie sartgetrieben holte.
Und dann wor der Onlel, dieser
gestrenge Philister. getonrmen Der
hatte sie ganz auseinandergebrnchi.
Wäre sie selbst zurückgetehrt, dann
hätte wohl alles wieder eingerentt
werden tiitmen —- nber so —- das
Blut stieg ihtn ins Gesicht, heute noch,
nach so langer Zeit, wenn er sech ein
gestehen mußte, welch tliigliche Rolle
er gespielt hatte.
xer edle Patnzier hatte ihn gereizt
—- und dann — nach Uns mußte e:
sich eingestehen —- das Geld, das er
ihm geboten, hatte ihn verführt.
Es war doch ein ganzer Hausen —
ek hatte, nachdem er aus leisen Wink
seinen Abschied eingereichi und erden
ken, angenehm leben können, war viel
aus Reisen gewesen« auch in Monte
Caeio —- nber merkwürdig, jeyi mit
den Groschen in der Tasche, als Ka
pitalist, hatte ihm der Mut zu gro
ßem Spiel gesehn, er war vorsichtig
geworden, nur ein paar Tage geblie
ben —- besser so.
Jest hatte er seinen Wohnkh in
Berlin, bei der Deutschen Bnnt noch
ein ganz hübsches Konto, sein Adel
machte ei ihm möglich, in guten Krei
sen zu verkehren. —- Ek hatte schon
angesangen, hemmt-spähen ob er
nicht eine neue passe-we Partie fände.
Und nun heute diese Erinnerungen.
Es kam ja spr, das sich Geschieden
tviever vereinigten — Geld hatte sie
gewiß oder wenigstens von dein cis-st
Ontei zu erwarten, na, tpenn sie
wollte, riiclte der wohl auch ieyt noch
einen Zuschuß heraus —- aber das
waren Ia alles Hirnpespinsiet Wo
hin hatten sich seine Gedanken ver
irre! Das stand ia alles noch im
weiten seide
Ce hatte das Karl-aus erreicht, löste
eine Tag-starrte und ging ins Lese
siinnier. -
Gottletmsa total-)
—- Ein Bekennen-. Mann an
seiner stau. einer isistelletin, die
stun ersten Male ! i): »sechs VI
gleich ins Ueinef«