Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 07, 1915, Sonntagsblatt, Image 12

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    Die letzte Mete.
Roman von Haus Beter-. « T
Schon mehrere Male batte der al
te here auf die Uhr geseher jeßi
Ihorchte er nach der ans dein Kabinett
in die Bureauräume fiibrenden Tite,
ob sich noch feine Schritte hören lie
sßen; es blieb jedoch alles still, die
spionrmis saßen schweigend bei ihrer
Arbeit, nur ab und zu ein gefliisterteg
Wort, eine Frage von einem zum an
dem.
Seufzend stöberte er auf dem
Schreibtisch herum, nahm dies nnd
sdaz zur Hand. einen Bleistift, einen
Federhalter, legte die Dinge auf ih
ren Platz zurück, griff nach den Zei
tungen, die er schon von Anfang bis
zu Ende durchstudiert hatte, schob die
Blätter wieder zur Seite und saß
dann eine Weile still vor sich hintan
wend
Nach einigen Minuten drückte er
auf den Knopf des neben ihm befind
lichen elektrischen Läulewerts und
fragte den dadurch herbeigerufenen
Kontordieneu
»Ist mein Bruder immer noch nicht
inriict?«
»Nein, der junge Herr ist noch nicht
getornrnen.«
Der Diener stand noch einige Au
genbl icte wartend; als keine weitere
Frage erfolgte ging er hinaus
Der Junge Herrc wie Richard
von Franlville — die Brüder ent
zsksnnrnten einer französischen Euri
grantenfarnilie — zuin Unterschiede
von dem älteren Bruder Alfred ge
nannt wurde, war ein Mann an
Tsangs der Dreißig, der trotz seiner
olräntlichleit die Leitung des großen
ZGeschäftg in seiner band hielt, wäh
Zrend Alfred von Frantbille gern al
Zlez von sich abschod; er empfand es
auch fest schon als Last, daß er län
ger wie sonst hier sisen und die Rück
Zieht des Bruders abwarten muste.
f Das Warten quiilte ihn, er stand
Lbon seinem Platze auf und trat ans
;Fenfter.
- Vor ihm lag die Straße inr Glan
ze des ersten Frühlingstages Die
Menschen hatten alte frohere Gesich
I,.ter ihr Gang schien schneller, elastis
sfcher, als eilten sie ihre Geschäfte zul
zteenden nnd den schönen Tag zu ge
niesen
Verdrießlich wandte Alfred Ironi
vjue sich ab und ging in dem geräu
migen Kabinett hin und her. End-(
lich hörte er Schritte: Der Bruder4
k-..m1
Eilig, ohne sich wie es sonst feine
Gewohnheit war, beim Proturiftem
vaufzuhalten und zu fragen, ob wäh
rend seiner Abwesenheit etwas vorge
f«:elten, war Richard Frontvitle durch
die Bureauräume gegangen und inc
Kabinett getreten, wo er steh unschei
nend ermüdet in feinen Sessel fallen
stieß·
Den Kopf bereit-gebeugt brütete er,
ohne zu sprechen, vor sich hin.
Die hohe, schlank Gesinit war in
sich zufummengesuntem die sonst leb
shuft btickenden klugen Augen erschie
rken matt, die schmale, weiße hemd
-spiette unruhig in dem sorgsam ge
Tpftegten Spihburte Erst auf die
Frage des älteren Bruders:
" »Nun, wag hat der Professor ge
sagt?« richtete er sieh langsam auf:
»Was er gesagt hat? —- Daß ich
ganz fertig bin, der Rücken tuput, to
tal fuput.« —
Er war aufgespeungea und lief
im Zimmer umher.
«- »Jch soll est-stumm fort out
dem Geschäft, nach Südfrantreieh
oder sonstwphiax früher als tu einein
Jahre dürfte ich nicht zurück. un Ar
betten sei gar nicht zu deuten.«
Alfred Frankvitle fah fnssuugslos
auf den Sprechenden
Vag war ja eine schöne Aussicht!
—-Cin Jahr sollte er hier Tag für
Tag stundenlang im Kontot sihen!"
Erst allmählich lam ihm zum Be
wußtsein, daß es sich nicht nur um
ihn, um seine Bequemlichkeit handelte
er trat aus den Bruder zu und klopfte
ihn ans die Schulter:
»Mir ruhig, wird so schlimm nicht
sein, manche Aerzte übertreiben gern;
geh« nach Berlin oder Wien, konsul
tiere eine Autorität, du wirst sehen,
nian schickt dich zurück.«
Der Bruder, der genau wußte,
daß weniger die Sorge um ihn als
«die Aussicht ans Geschäft gefesselt zu
»sein, den andern so sprechen-ließ, hob
die hand:
»Halte nur keine Furcht, daß du
hier sihen mußt, ich werde vorher al
sles arrangieren. Der Maßen hat
Zstch gut eingearbeitet, er wird die Sa
che sehen machen. Ah nnd zu zeigst
:du dich hier —- im Ihrigen« —
? fEr ließ den Rest des Saft un
’aucgesproehen; der hätte wohl gelau
siel, daß der Bruder ja dsh ins Oe
«schöst wenig niisen konnte —- statt
en ssste er hinzu: -
»Ist sortreisen kannst du natürlich
Ot. mit dich bog-seen—den---Soms
in Kranz zu bleiben. Du weißt
Mc ich kann. kein-ne ieh seh-el
r hierher, zurück, dann könnt ihr
sahst nich irgean.«
k e, var ruhiger geworden, auch
, s« « der aus seinen W Werten
eiii Ho Wir in vi- sa
rche nicht mehr so verzweifelt an
I Er verschloß seinen Schreibtisch.riick
te noch hier und da an einem Segen
-siand been-ex um seinen Ausdruch
nicht zu eilig erscheinen zu lassen
dann aber aing er schließlich fort, im
heraussehen nochmals wiederholend:
uAlso nach Berlin oder Wien, du
wirft fchon sehen —- wir sprechen
,noch darüber, halte dich nicht zu lan
fge auf, es ifi bald Tifchzeit« —
i Die weiteren Worte blieben un
- verständlich.
! Richard Franlville rief den Prolus
Triften herein:
. »Ich muß fiir längere Zeit fort,
Sie wissen, meine Gesundheit — der
Professor befiehlt ei —- benusen Sie
die paar Tage· die ich noch hier bin,
sich über alles zu orientieren, fragen
Sie, was Sie zu kragen haben. Jch
habe volles Vertrauen zu Ihnen, daß
Sie die Sache ohne mich zwingen
werden. Und nun vorwärts« wag
liegt fiir heute noch varim
Doch während er mit Klafzen
sprach, lehrten die Gedanken an fei
ne Krankheit immer von nenem zu
riick, bohrten in seinem hirn nnd lie
fzen ihn nicht zur Ruhe lommem
Was würde aus dem Geschäft wer
den, wenn er tränler würdet Als-ed
war nicht der Mann, die Sache al
lein zu führen, sein Neffe Lothar fiir
das kaufmännische Geschäft untaugs
lich —- fa würde alles in fremder
hand sein.
Er hatte gehofft, den Neffen her
anzuziehen —- eine Unterredung je
doch die er mit dem jetzt New-zehnjäh
rigen vor längerer Zeit gehabt, hatte
ihn belehrt, daß der gar nicht in
Frage tommen könnte.
.Jch ’n .Koofmich", Onkel? Nö«
das gibts nich, tch werde Ofsizier,
bleibe auch nicht hier in dem Neste.
wo mich jeder Saatröger als Ironi
villes Jungen kennt, ich geh' nach
Berlin. Meine Freunde, Graf Dol
land und der lleine Erfenbech treten
bei den hufaren ein« das tue ich
auch, wenn ich nur erst hier mit dem
Ghmnasrum fertig bin-«
Es lag ein Jahr zurück, als er die
se Antwort vom Neffen erhalten« da
mals, als er die ersten ernsteren An
zeichen feiner Krantheit verspürte,
vorher . . . er hörte nicht mehr hin,
was Maßen sagte, seine Gedanken
weilten in der Ferne.
Vorher, ja vorher hatte er andere
Pläne gehabt — ein Bild trat var
Hin Auge, das Bild seiner Nichte
lice.
Eine Weile saß er sinnend, dann
fiel sein Blick auf den Prokuristen.
der ihn verwundert beobachtete — er
raffte sich zusammen und nahm die
Arbeit wieder auf.
Alfred Iranloille war inzwischen
auf die Straße getreten und hatte
sein dort wartendes Auto bestiegem
Der Chauffeur schlug, da er leine be
sondere Weisung erhalten« den Wen
zur Wohnung ein, und bald hielt Vers
Wagen vor einem villenartigeu haust
fe.
Der alte herr hatte während der(
Fahrt darüber nachgedncht, wie seine
Frau es aufnehmen würde. daß sie
den ganzen Sommer in Königsberg
bleiben sollte oder sich auf Kranz be-!
schränlen müßte — daß aus Nest-!
verneh, wohin die Reise geplant war 1
nichts werden würde.
Jhnt selbst wäre es ja recht gewe
sen —- auch in Kranz konnte mani
leben, hatte auch dort Seelnft, aber
daß er täglich ins Kontor sollte, bie
se fortwährende hinundherfahrerei.
wollte ihrn nicht in den Sinn.
Nun empfing ihn seine Frau auch
noch rnit der Mitteilung, daß soeben
Frau Konsul Bohlen bei ihr gewesen,
und daß diese rnit ihrer Tochter auch
nach Norderneh tornrnen würde.
»Wie wird sich Ilice freuen —
doch ich habe dir noch gar nicht ge
sagt, sie hat geschrieben, daß sie nicht
ganz wohl sei —- ich hole den Brief «
Mit diesen Worten verließ sie das
Zimmer. »
Frau Eleonore von Franlville war
eine disiinguierte Erscheinung. Ihr
afchblondej lhaar. das nach feiner
Farbe das Ergrauen nicht zu fürch
ten hatte, war nach der neusten Mo
de frisiert, wie sie auch in ihrer Klei
dung den zunehmenden Jahren keinen
Einfluß gesintiete, sondern sich durch
aus jugendlich trug, ohne dadurch
aussallend zu erscheinen.
Jhre großen, grauen Augen blick
ten stolz und lebenslusiig in die Welt,
und sie besaß das Talent, ihre Um
gebung in Laune zu erhalten und
über ihr hauswesen stets einen
freundlichen Sonnenhlick strahlen zu
lassen. So zeigte sie auch keinen
Verdruß, als sie nach einigen Minu
ten zurückkam und ihr Mann ihr er
zählte, daß sie Richardz wegen flir
den Sommer Norderney Intt Kranz
vertauschen müßte.
»Nimm hie Sache nicht so tragisch«
—- meinte sie lächelnd — »wir wollen;
lchon versuchen, uns in Kranz utj
einzurichten; zum herbst, wenn i-x
chard zurück ist, machen wir dann eis
ne größere Reife nach Italien. Alles
wird gewiß zufrieden sein, auf Not-»
der-sey zu verzichten, um dann später
Venedig und Rom zu lehen.«
Iranlville war erfreut, das sie die
Sache so leicht nahm.
«Wie immer, gut und zufrieden«
—- sagte er; mit einem eundlichen
Blüt dann, nachdetn er A ieens Ortes
gelesen: «Hast du Illire schon geant
worieti ? Dann ist es wohi das
beste.to schieren ihr, das sie
gleich fest ohne die Ferien abzuwar
Iten nach se lommt Elsas
Ernstliehes es ja nicht« ein weny
Ertönt-ers da ist Luftoeriinderuns
das beste, nnd Reifegeseilschaft hnt sie
auch. wie sie schreibt«
Damit war die Sache asgetarn
. Il- «
Auch im Bureau war inzwischen
die Arbeit beendigt Briefe und De
peschen zum Ubfenden bereit, der Kon
itordiener ränmte die hölzernen
fSchiisseln mit den Getreideproden
I«fort und Richard Franldille ging
inach seiner Wohnung, um sich set-n
!Mittagessen, das er fast ausnahms
klos im hause seines Bruders ein
nahm, umzulleiden
: Jn feiner etwas vorgebeugten Hal
tung ging er durch die Straßen; ei
schien, als ob er noch immer rnit
seinen Gedanken im Geschäft sei,
denn er erwiderte die Griifze Vorüber
gehender fast ohne aufzusehen.
Aber das, wag ibm im Augenblick
durch den Kopf ging, hatte mit dem
Geschäfte nichts zu tun, das war ei
ne ganz persönliche Sache, eine Sa
che, iiber die er zu lächeln suchte, und
die sich ihm doch immer wieder anf
dröngte: Wenn er schon in einigen
Tagen abreisie, sah er Alieen nicht
mehr, die erst turz vor Beginn der
Sommerserien aus dem Wiesbadener
Pensionat ins Elternhaus zurückkehr
te. —- Sollte er ganz ohne Abschied
gehen, nachdem er sie Ietzt monatelnng
nicht gesehen? —- Lag denn die Mög
lichleit nicht vor, dafz er sie über
haupt nicht mehr sehen würde?!
Die Unterredung mit dem Profess«
for fiel ihm wieder ein —- hkid Mes
ihm das Blut in die Stirn —- jest,;
nachdem er das Geschäft hinter fichE
hatte. lamen die Gedanlen zuriiel nnd
mit ihnen die Furcht. Ja, Furcht —
er gestand sich das ganz offen ein,
eine wahnsinnige Furcht vor der ihm
vorhergesagten Lähmung. Wohl hat
te hatte er sich zu überreden gesucht
—- und tat dies auch noch —- daß
er von dem Schrecklichstem Grauen
hasten ver schont bleiben würde. Der
Professor, der wegen seiner riielsichtss
tosen, zufahrenden Weise belonnt
war, halte ja hinterher auch seine
Worte obs-schwächen gesucht, von
analogen Fällen, in denen die Läh
mung ausgebtiebem von Theorie, die
nicht immer standhölt, und vielem
andern geredet —- aber der Stachel
saß doch nun einmal. Er wollte,
mußte andere setzte hören! Vielleicht
urteilten die anders.
Diese Oeffnung allein delebte ihn
wieder, und von neuem wandten sich
seine Gedanken Alice zu — irgend
wie mußte es sich arrangieren lassen,
daß er ihr, ehe er fortging, vielleicht
aus lange fortging, Lebewohl sog
te.
Was hatte er sonst noch vom Le
den als diese Schwäche —- warum
sollte er sich den Abschied versagen?!
Die Frage blieb nur: Sollte er die
Eltern zu veranlassen suchen,Alicesch-)n
seht aus dem Pensionat abznrufen?
— Aber unter welchem Vorwandet
— Oder sollte er von Berlin aus ei
nen Abstecher nach Wiesbaden ma
chen? .
Er war noch nicht mit sich einig,
als er seine Wohnung verließ und
sich in das haus seines Bruders de
ab. Wie eine Wohltat des Schick
sals empfand er ei, als ihm Frau
Leonore gleich na den ersten Be
grilszungstoorten nt teilte. daß Alice
in einigen Tagen erwartet würde.
»Sie war nicht ganz wohl, und
tvir haben ihr telegradhiert, daß sie
nach Hause tonunen soll, was sich um
so besser einrichten läßt« da eine
Dorne aus Peterilmrg, deren Toch
ter irn gleichen Pensionat mit Alice
ist, und die in Wie-baden zur Kur
war, heute oder morgen, wie Aliee
schreibt, nach sit-stand zurückreisn
Das Kind hat somit guten Reis-rn
schluß. Du lannf dann, da du ja
wohl auch nicht M zwei oder drei
Tagen reitest, dich wenigstens von
deinem Liebling oeeaischieden.«
Frau Frankville rannte wohl die
besondere Zuneigunz die ihr Schwa
ger der Tochter entgegenbrachte; sie
erschien ihr jedoch als der Ausfluß
eines durch körperliche Kranlheit lei
denden Gemüte und als verwandt
schastliche Zärtlichkeit eines Man
nes, der vom Leben nichts mehr er
wartete und die sonnige Freundlich
leit, rnit der Alire seine uneigung
erwiderte, wie ein lehtes lüct emp
sand.
Daß sich außerdem das Vermögen
dieses Mannes bei seiner zurückgesc
genen Lebensweise von Jahr zu Jahr
vermehren mußte, er somit ein Erb
ontei erster Klasse war, ergab sah von
selbst, wenn ihr einmal einsiel, dar
über nachzudenken. Er machte nur
geringen Aufwand siir sich im Ver
hältnis zu ihrem eigenen luxuriiisen
Leben. Und wenn sie auch jeder sol
chen Berechnung sern and, anr aller
wenigsten sich mit rbschastspliinen
siir ihre Tochter beschäftigte war es
Hihr doch eine Genusmth denken su;
cdiirsen, daß Aiiee einst, wie sich ihrs
jLeben auch gestalten möge, eine Ie
isnherte Zurunst haben wiirde. Die
ast recht engen Verhältnisse ihres
eigenen Elternhauses, das Versaqen
und Entbehren, das sieh ihre Familie
hatte auferlegen miissen, waren noch
unveraessen — wie sollte sie nicht srph
sein. ihr Kind siilr aile seiten davor
gefchiltt ev ie
Die Its-set von Alterns Riickieht
hatte Richard Jrnntvtlle mit Freude
erfüllt, gleichseitig aber auch ein Se
fuhl des Schmerzes in ihm ausgeliift,l
dessen er nicht Herr zu werden ver
mochte. Seine Abreife ftand wie
ein drohendes Gespenst vor ihm: un-»
möglich diintte ei ihm, fest fortzugesf
hen. I
Frau Franlville, die feine Verstim- !
mung der Sorge um seine Gefunbheitl
und dem Ausspruch des Arztes zu-»
fchrieh. bemühte sich, ihn asrfzuheitern,j
doch wie er sich auch aufzuraffen such-»
te, immer verfiel er in ein diifterei
Vorsichhinhriiten und war froh, als er’
sich endlich wieder allein in feiner
sWohnung befand. Aber Ruhe fand
er auch hier nicht denn immer von
neuem, wenn er bei dem Entfchluß
Langelangt war, nicht fortzureifem
drängte sich ihm der Gedanke on sei
ne Krankheit auf, und daß er sich Ge
Twiszheit tät-schaffen miisfe.
’ c sit
Es war einige Tage später bei
Tisch im hause Franlville. Alice
war am Morgen angelommen, noch
etwas bleich von der überstandenen
sKranlheit, aber fonft in ihrer ganzenj
slieblichen Schönheit
; Der fein geformte Kon mit den
;großen, blauenAugen unter den dunk
Jlen Wimpern und Brauen, dem wel
iligen Blondhanr, der geraden, schmu-l
len Nase bewegte sich lebhaft hin und
her — s· e erzählte von den schönen
Festtagen in Wiesbnden während der
Anwesenheit des Kaisers »
» Alle hörten aufmerksam zu, nur?
Richard Franlville nahm wenig An
teil daran, der Gedante, daß er in
der Nacht reisen müsse, die Ungewiß
heit seines Schicksals die Sorge um
das Geschäft — alles quälte ihn. Und
noch ein anderer Gedanke war in
ihrn rege geworden: War Acicenti
Herz noch unberiihrth Sollte man mit
diesem schönen Mädchen noch niemals
von Liebe gesprochen haben? Wohl»
glaubte er sich sagen zu dürfen, daß
sie in dem Pensionen gut dehiitet gesz
wesen, aber gab es nicht hundert Ge-»
legenheiten, bei denen sich ein Manns
ihr hätte nähern tönnent Er wollte
den Gedanken verscheuchen, doch derj
drängte sich ihm immer von neuem
auf und veinigte ihn
itlls rnnn von Tisch ausgestanden.
war Alice allein ans Fenster getreten
und sah träumerisch in den Garten
hinan-. Da ging er hin zu ihr. Wie
einen eigenen Reiz empfand er es,
sich zu quälen.
»Alle so schön war es in Wies
baden« —- und als sie lächelnd miti
dem Kopfe nickte —- .und das herz
ist ganz unberührt geblieben?«——
Et sprach schimpft siedet-kind
dnnn hatte er sie jäh bei beiden
Schultern gefaßt und ihr Gesicht dem
seinen zugewandt, während sein Puls
sioate und e: atemlos ihre Antwort
erwartete.
Er sah, wie sie errötete — sollte
er sich doch nicht getäuscht haben?
Da tani die Antwort, lachend
übermütig« dabei hatte sie sich von sei
nen händen befreit und ihre Arme.
wie sie es sriiher als Kind so oft ge
tan, um seinen hals geschlungen:
»Aber Ontel, was denkst du? Wie
lonnnsi du darauf? —- Mademoiselle
Juliette hätte uns schön den Stand
punkt tiorgemacht, wenn wir es ge
wagt hätten, einen Mann auch nur
anzusehen!«
Und doch tlang aus ihren Worten
ein Untertonherauä —- verhalten,
zaghast —- und was er nie so emp
sunden, die verwandtschasttiche Anre
de verlehte ihn. Wie Hahn klang
es ihm in sein Empsinden hinein
Doch er versuchte weiter zu scherzen:
«Laß doch das .·Onlel«, ich ioms
me mir sonst toie ein Greis vor.«
Und auch bei ihm ein llnterton —
oon verhaltenem Schmerz.
Chr sie etwas sagen tonnte, war
Lothar zu ihnen getreten.
Frau Eleonore hatte ihm gesagt«
er solle Onkel Richard anbieten, ihn
zur Bahn zu begleiten, damit er bei
der Absahrt in der Nacht nicht so ein
sam sei. Doch dieser lehnte ab, sast
heftig-·
«Itern, ich danie, das regt mich aus,
ich muß allein sein.«
Und da Lothar stehen blieb und
von Alt-e noch dies nnd das über
Wietbaden hören wollte, verabschiede
te sich Richard Frantville, sagte, dass
er nach hause müsse —- noch zn
baden habe.
Mike hatte ihm erstaunt nachgese
her-. Dann, als er sort war, wandte
sie sich an die Mutter
«Was ist mit Onkel Richard? Er
schien so traurig, und als ich vorher
bei Si ch erzählte, hat er mich so ernsti
angese ,ich siirchtete schon, das- ich:
zu kindisch gewesen sei.«
Frau Leonore tröstete sie:
»Du weist. Onkel ist nicht ganz e
;smtd, seine Nerven sind herunter. Er
muß ein paar Monate vom Geschäst
Esset, sich auteuhem das bersttnimi
ihn. Er hängt doch so am Ses sti
Wenn er sue-twome wird chon
alles wieder gut werden-«
Icice seufzte
.Der arme Onkel, er tut mir leid.
Er ist immer o It I mir.«
srau an l tedot dorsich
hin. stimmt-us stieene mus
Fe tie brausen, tun ihr die Mitteilung
t
sonach-der ausgegebenen Lade-reife II
m
E .Ss wiko du out-i auch sitzt rote
sein, daß wir durch seine Reife ver
shindert An n,d nach Rotderneh zu fah
ir miifsen diesen Sommer
hierbleiden oder nach Kranz gehen
denn. wenn Onkel fort ist, mus- doch
Papa da fein. Das Geschäft lann
nicht allein gelassen werdenk
Alire hatte erst enttiiufcht ausge
selifem dei den lehten Worten lachte sie
au
»Aber Martia, was solt denn Papa
im Geschäft? Er hält es ja gar nicht
im Kontor aus! Sagt er doch feldsl
immer, daß das fiir ihn die reine
Mille sei —- er geht ja auch nur sel
ten hin. höchstens auf die Börse. —
Dann ist doch auch here Maßen da;
der tann doch das allein machen.u
»Das verstehst du nicht, Kind.
Onkel Richard hat mir das erklärt
Einer der Chefs muß immer da sein
da ist nichts zu machen. Und übri
gens, ich hahe dir noch nicht alles ge
sagt. Wenn Onkel Richard zuriiets
loinmt —- er hofft im Herbst bestimmt
wieder hier zu sein, dann —- nun
kommt eine Ueberraschung: Wir wol
leu mit dir im Herbst erst nach Ve
nedig und dann nach Rom reisen. du
hast doch immer für Italien, nament
lich siir Rom gefchtviirmt, nun soll.
dein Wunsch erfüllt werden."
m ersten Augenblick blieb Alice
still. Wohl freute sie sich auf Jtas
lieu, gewiß, das würde herrlich sein;
— aber Mama hatte vorn herhft geil
sprochen, dann mußte sie doch wieder
im Pensionat sein! Wie war denn
das-, sollte sie nicht mehr dorthin zu
rück? —- Das ging doch nicht. Dann
würde sie ihre Freundinnen nicht wie
dersehen, von denen sie sich mit so
viel Tränen getrennt hatte!
So fand sie auch nor für den leh
ten -Gedanlen Worte.
»Aber Mntnn, ich muß doch ins
Pensionen zurück. Jrh habe auch mit
Alexandra — du weißt, die Russin
—- verahredet, daß sie mir schreiben
soll, wenn sie aus den Jerien tornmt
und hier durchreist; wir woiten dann
zusammen bis Wiesbnden sahren —
also tann ich doch im herbst nicht
nach Jtaiient Habt ihr nicht daran
gedacht?«
Frau Frnnioille hatte geglaubt, ih
rer Tochter eine große Freude zn be
reiten. Nun schien dtett gnr nicht
der Full zu sein.
Sie zog Atice näher zu sich her
an und strch ihr iiher Haar und
Wangen. --
»Aber Kind, du sollst nicht zuriia
ins Pensionat, du hist heim-he ein
Jahr dort gewesen. Jm Winter
sollst du Balle besuchen, da mußt du
dich vorher in der Weit umgesehen
haben. Denie, du könntest gar nicht
mitreden, wenn andere von ihren
Reisen erzählen! Und drinn« — füg
te sie hinzu, nis sie sah, dnsz ihre
Worte Mike nicht sroher stimmten —
,toenn wir aus Italien zurücklehrem
wehen wir noch einige Wochen in
Berlin bleiben. Vorher können wir
erst in Wieshaden Station machen;
da hast du Geiegenheit, deine Freun
binnen zu besuchen.'
Das schlug ein. Aiice strahlte
Jefi erwachte auch die Freude
iiber die proseitierie Reise in ihr —
nnd nu iiber das. was Mnnta sonst
noch ge agi: Biillei —- Eigenttieh
wnr es doch auch im Pensionat recht
tangweiiig gewesen: die neue Frei
heit wiirde ihr schon behagen. —
I . .
Die Nachrichten, die von Onkel
Richard nach Kranz gelangten, hat.
ten beruhigend gelautet· Der her
vorragende Arzt, den er in Berlin
tonsultiert hatte, sand seinen Zustand
nicht so hossnurigsloö; er hatte je
doch ebenfalls siir einige Monate
Ruhe anhesohlen. Richard war nicht
nach Siidsra.itreich, sondern nach
Tirol gefahren, wohin er sich von
Maßen über das Geschäft berichten
ließ. Ende September wollte er nach
Königsbeeg zuriiatomrnen.
Nicht ohne Sorge dachte Frau
Leonore daran, dass sie Lothar zu
rücklassen mußte. Der Junge durs
te den Unterricht im Gyrnnasimn ver
säumen, sollte sein Exarnen nicht in
Frage gezogen werden. Die Liebes
geschichten, in vie sich Lothar immer
oon neuern verwickelte, ängstigten sie.
Er hatte die Neigung, sich immer
gleich ernstlich zu rerlieben.
Auch in Kranz war wieder etwas
Derartiges passiert —- eine Geschichte,
die die Mutter nur rnit Miihe ver
tascht hatte. Weise Gott« wie er
wieder dazu getomrnent Zu Tode er
schrocken war sie. ule er ihr mitteilte,
dass ee sich herlobt habe. Nur mit
Froste Mühe war es ihr gelungen,
hn znr Vernunft zu bringen
Wohl war Lothar einige Tage wies
ein Verzweiselter hernmgelausen, hat
te sich dann jedoch beruhigt wie es
Iherhauyt in seiner Natur lag, seine
stets so heiße Liebe bald wieder zu
hergessen wenn ihm der Gegenstand
seiner Scheoiirnrerei aus dem Auge
setiiat vorhe.
Und nun sollte her Junge sich allein
til-erlassen bleiben. Frau Leonore
sann hin nnd her, wein sie sich an
hertrauen könnte, wein sie die Aussicht
Ober den Jungen überlassen solle —
aber als sie ihrem Manne von ihren
Besllrchtunaen sprach, glna dieser
leicht darüber hinwoa - «
[ III liebst zu its-vorn lal- ihu lich
Lanstatt-en Das isi alles nicht sehiintnn
iBenn er erstens ver« Schule heraus
tm Diana in. wird a schm- ask
andere Gedanken tonlmen.«
; So wurde Ende September die
Reise eingetreten
Venedig Florenz, Neapel hatten
einen Monat in Anspruch nommen
—- Detr Alsrett Frantvi e nannte
das eine hehsngd und war
nur zehn-er zu überreden. Capri zu
verla en. Ihm wiire es ane liebsten
gewesen, wenn man Rom ausgegeben
and aus der schönen Jnsel geblieben
wäre. Dann hätte er voeh endlich
Ruhe gehabt. sber Rom war nun
einmal als Ziel der Reise gewählt
Fran Leonore und Aliee wollten von
ihrem Programm nieht abgehen, und
Papa mußte sich bequemen, schon
nach achitiigigern Verweilen ans Capri
die ihm Unhehagen erseugende Ueber
sahrt Capriisieapel zu machen. Er
nahen sich dabei aber im stillen sesi
vor, sieh wenigstens in Rom nicht so
bald ans seiner Ruhe herausbringen
zu lassen. Daß er sich nicht an der
Besichtigung der römischenltunstschähe ·
beteiligen würde, war siir ihn be
schlossene Sache —- er iannte Rom
und trug nach den alten Steinhaufen
lein Verlangen.
Am späten Abend waren sie in
Rom eingetroffen und hatten im Ho
tel Quirinal Wohnung genommen.
Schon ganz srith am andern Mer
gen erwachte Alikr. Das Gesilhl, in
Rom zu sein, hatte sie nicht langer
schlasen lassen. Sie trat ans Fenster
und spähte hin-auch
Eine lebensvolle Stadt —- große,
schöne Häuser, gut erhaltene Stra
ssen, eletirische Bahnen, Menschen, die
wie sie und ihre Elterr gekleidet wa
ren. Kein einziger ernster Römer
in weißer Toga« der gesenkten Haup
tes zu heimlicher Verschwornng
schritt —- eö war alles so, wie sie es
schon kannte. . .
Wohl spannte sich ein tieshlauer
himmet darüber, das war aber auch
nnderwo se, auch in Wieidaden —
und vielfach ergriss sie Sehnsucht
nach dern Pensivnnt und nach den
Freundinnen
Mein Gott« wie hatten diese, und
sie mit ihnen, von Italien ge
schmärmll —- Getvis, ja, ed war in
alles schön, was sie bisher gesehen:
das herrliche Florenz, das pittreele
Neapel, obgleich sie in letzterer Stadt
in steter Furcht vor Banditen und
Taschendieben gelebt —- aber die
schönen Waldspnziergönge mit ihren
Freundinnen in Wieedaden waren
doch auch herrlich gewesen! Nun
hatte sie ihre ganze Erwartung siir
Zions ausgespan, jest silhlte sie Ent
täuschulig.
Aber sie hatte ja noch nicht-l ge
sehen von allem, was Rom darg.
Vielleicht gab es da Schönes-zu de
ldundern, vielleicht waren es auch
nur wieder Gewölbe und Statuen
—- itumer wieder Gemälde und Stir
luen wie in Florenz! Papa hatte
wohl recht, wenn er sich gesträubt
hatte, immer von neuem mitguwans
dern.
Alice seufzte leise aus. Sie lleti
dete sich an und ging hinüber in
den gemeinschaftlichen Sitten, um
mit den Eltern zu srlihstiiclen. Dort
war nur Frau Fonlrille ·- Papa sei
noch zu müde, er würde erst eine
Stunde später ausstehen, sie hätte je
doch schon einen Wagen bestellt, und
nach dem Frühstück könnten sie gleich
anfangen, Rom zu bewundern.
Man bewunderte also Rom, zu
nächst den Vatitcuu —- die Sixtinis
sche Kapelle. . .
, Atire tieb teilnahmätos, nicht
nur heute, nnch in den nächsten Ta
gen.
Sie wollte sich einreden, saß sie
von der Reife ermüdet fei, daß ihr
Intereer nech erwachen wiirdr —
fnnd sich jedoch iinmer wieder in ihren
Gedanken fern von der Stätte, an
der sie weilte.
Wenn sie aufrichtig fein wollte, war
pag fchon fo bei ihrer Rückkehr in
Etternhnus gewefen. Mit Schrecken
hatte sie von der geplanten Jtalienreife
erfahren und sich erft darein gefunden,
als die Mutter ihr versprochen hatte,
im herbft einige Wochen in Wiesbas
den zuzubringem
Und wni wollte sie eigentlich dort?
— War es wirklich nur die Sehn
fncht noch ihren Freundinnen,
wiinfchte sie wieder im Pensionst zu
leini — Damals-, bei ihrer Rückkehr
ins Etternhiruö, war sie krank, ihr
Denken unttar geweer —- jeht wnr
sie gesund und fnnd trosdem keine
Ruhe
Jmmer wieder written ihre Gedan
ken in Wiecbadem
GMWW lsIIU i :
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; —- Uerptnppert. Erbonkel2
E»Jenn, fngen Sie 'mnl, mein Neffe
Itand wohl, ich fehe fehr leidend aus«-»
J Lammerdieneu »Im Gegenteil,
Jus-heimlich gefund.«
—- Oegriindet «Wesherlh
nennft Du nur Deinen biirloelßigen
Bräutigam immer »Siifser Zeiss
»Weil er — Konditor ist«
—Er will nicht versie en.
»Und nun hoffe ich. rr rich
heim, daß Sie fiir die bgebranns
ins auch etwas Itzeichneu werdeni«
Ver geislge eichheimx »Ich ver
sichert Sie, daß ich gar kein Taler-.
WI Wo hebt-«