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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (March 19, 1915)
. vie W - » ·,.)vetle von Ricinrrt Marsh. Manchmal hatte ieh das Gefühl, als ob mich die Gabe, die Worte von den Lippen anderer zu lesen, nn ter die Vorcheeinnen treibe. Kam ei doeh gelegentlich vor, das ich auf solche Weise verteiniliche Gespriiihe auffing, hie als Geheimnis gedacht waren. Jch schämte mich dieser Gabe, eilt wäre ich eine Horcher-in an der Weint-, und des öfteren verwünschte ich fie, obwohl sie mir die Reine ver liehen hatte und Jahre ver Uebung sie vervolltonitnnet hatten. Ein tin deree Mal dagegen ionr ich recht froh. in ihrem Besih zu sein, beispielsweise hei folgender Gelegenheit Jeh mochte siehzehn Jahre nlt ge worden sein. Meine Mutter war lei dend und mein Vater nicht gewillt, sie zu verlassen. Schon hielt ich mei nen versprocheneii Soniniernrlauh fiir verloren, als zwei Bekannte, Mr. isnd MUS. Travers, sich anbeten, inieh unter ihre Fittiche zu nehmen. Sie plnnten eine Schweizerreife und einen länieren Aufenthalt in Jnterlnlen. nnd meine Eltern, di- mich bei ihnen gut aufgehoben inuszteii, nahmen ihr Anerbieten an. Alles ging gut, bis wir noch Jsiteriaten Lamen. Dort irciien meine Beliinnten ein pcar Freunde, die eine Kiettertonr vor tnitten nnd da sie iiihne Touristen tot-ren, brannten sie darauf. sich ih i.en anzuschließen. Jch bildete ihr Hindernis. Jhr Vluslsieiden dotierte verinntlich eine Wuche, nnd wag lallte indes in dein -irof;en Hotel ans mir treiben? Unter den Gästen, die wir iiri .-,")oiel leniien lernten, befand sich eine Witwe in mittleren Jahren. M "-. H«iii)it:oriie.- Lille sie rrfnhi, nni unt-J ec- sich titindeth erbot fle sich, in thkttsrienlseit kein Mr. nnd Mis. Tranke-.- isiidi zii chaperonnikren nnd versprqu die grkfztniögliche Sorge fiir instit zit trnsxeik sini selten Hoiel loaierten die wes seinnisier Mr. nnd Mis-, Sterndiile, denen ich mich ansreiinreie Mr. Sterndrile mochte etwa siiirfiind,noan zi-i Jahre alt sein, seine Schwester i«ni iin bio zwei Jahre jünger. Mr. Steiikdale erwies inir ein Paar Ans inertiiiniteiten die meinem Mädchen her-sen am so irohter taten, als man mich iiiiiiier noch wie ein Kind zu tselsasikiln pflegte nnd es mir nicht nelmiiii wollte mich als Erwachsene durc;:s:!sei,isn. Plin dir-ten Knie nach Mr. nnd Mie. Traderg Tit-reife iniii Mig. Haioitiisrne zu mir, iiiit langem Ge sicht. einen Brief in der Hund« »Meine Liebe,« rief sie, »ich bin trojtlos, aber ich mnsz heute noch nach tsngkiind abreiiin. Was soll init Ih nen zieschehen?" Ihre Schwester war ans den Tod ertraiilt und sie mußte zu ihr. Jch hatte indes eine Menge Leute im Hosel tennen gelernt, die alle freund lich in mit waren· Das sagte ich ihr, sind daß sie sich meinethalben teinr Sorge zu machen brauche. Noch ain selben Nachmittag reiste sie ab, nnd schon am nächsten Tage began nen meine Leiden. Gleich am Morgen. Jch sasz mit einem Buche aus der Terrasse und pliniderte mit Mr. Sterndale. ijr er hob sich nnd aing seiner Schwester entgeaem die am anderen Ende der Terrasse durch die Gliisiiir heraus iani nnd inir zuliicheite, als sie mich sah. Die Anrede ihres Bruders sonn te ich nicht entnehmen, weil er mir den Mitten zittehrtr. ihre Antwort aber las ich deutlich von ihren Lip pen ab. »Sie hat irgendein rotes Maro aninSchninetiiisichen aus dem Ka minsims stehen« ich legte es in's un terste Fach. Abgesehen von dein gol denen Arinband das sie immertriigt, ist nichts als tindischer Plnnder drinnen.« Woraus zielte sie? Ich hatte ein rotes MaroquiniSchmuittästchen aus dem Kaminsinio stehen und trug häu sig ein goldenes Armband. Sie habe etwas in's unterste Fisch gelegt, sagte sie. In meinem Schmucktiistchen gab es Fächer, meinte sie eine davon? Absiirde but-Und dennoch berührte es inich eltsam. Wären wir nicht nach St. Beatenberg ausgebrochen, ich ioiire geiadeaus in mein Zimmer ge gangen, um nechzusehen Am Abend zuvor hatten ivir — eiae Gesellschast von küns, sechs Per sonen — einen Autslug nach St. Beatenberg am Thunersee verabredet. Sie alle hatten sich nach und nach aus der Terrosse eingefunden. Jch tonnte nicht gut entschlüpsen und den Ausbeuch verschieben.-Aber so töricht ich es empfand, war meine gute Laune dahin, meine Freude an der Pattie verdorben. Nach der Rückkehr ins hotel suchte ich mein Zimmer auf und ging ge rade auf mein rotes Schmucktästchen zu. Es war verschlossen, so wie ich es verlassen. Dennoch zog ich meine Schlüssel hervor und öffnete es. Der Inhalt schien unberührt. Jch hob die zwei Fächer nnd — erschrock. Zu üntekft lag ein Anhängen ein schöner Btillantenanhönger. Er gehörte nicht cnik. Sollte ihn Mtß Stetndale hier her gelegt haben? War ei das, was sie meintef Jeh nahm das Schwur-titles heraus. Es war herrlich. Bei nähme Betrach tung regte steh in mte das unbehqgs ach- Oesiihh an heim ich se schon im hause nn irgend jemand gesehen. s Jn meinem Dirn wirbelte es, sodo ich mich nicht erinnerte an wem. J brachte rasch meine Totlette in Ord nung und nahm den Anhänger in die nnd, entschlossen, Miß Sterndale iaus ede Gefahr hin zu fragen, warums Isie ihn zu mir hineingelegt habe. sich sellschnftszimmen too ich an der Tür-· mit Miß Goodridge zusammenstiesH «Um Gotteöwillem Kind, geben Sie acht!« ries sie. «Beinal)e hätten mich umgeworsen.« »O, Misz Goodridge," rief ich unds starrte mit dummen Gesicht die älte re Dame an. die mir bei jeder Ge legenheit ihre unverdiente Abneigung zeigte. »Was ist denn geschehen, Sie! sehen so erregt ein« 3 »Was geschehen ists Ein Dieb ist im Hause. Mein Brillantenanhönger ist mir gestohlen worden« Jltr Anhänger —- gestohleni War ««- die Ertliirnngi War es möglich? —- Wie versteinert stand ich da. Ich wollte sprechen, aber wie gelähmt war mir die Zunge. »Starren Sie mich nicht so nn, als hätten Sie einen Mord began gen« rief Miß Goodridgr. »Das-en Sie mit meinem Anhänger einen bö Ien Streich ansgesiihrtZ« »Jch·... ich fand ihn,« stanunette ich nnd hielt ihr die ossene Hand mit idem Anhänger hin. »Mein Anl;änger!'« rief sie, ihn mir entre:ßend. »Sie Diebin! Und Sie haben die Frechheit anzugeben, daß Sie Ilm sandenS Immer hatte ich eine Abneigung gegen Sie, aber siir eine Dievin hätte ich Sie doch nicht gehal m. Ist is meinen AngetW cie gab mir einen Stoß, daß ich Jnf dem glatten Boden nngglitt nnd an einen Armstnhl anprallte, nnd sanfte ans dem Zimmer. Jch war ol lrin nnd in keinem beneidensiverten Zustand. Mit siebzehn Jahren ist man, so erwachsen man sich diinlen mag, doch noch ein Rind, nnd ich mnr m der Fremde, ohne Freund in dem stoßen .Hotel, ohne einen Rat geber. Dust- Diner verliet iur riiich schreck lich. Und noch schlimmer erging es mir später ini Msellichaststimmen Miß Sterndale hatte die Kühnheit, tu mir zu iommeii und niir gegen iiber die teilnehmende Freundin zu spielen: »Sie sind so allein, Miß Lee,« be gann sie. »Warum sehen Sie mich so sonderbar an? Haben Sie üble Nachrichten von Hause?« Jch tvar im Begriff, ihr die ge biihreiide Antwort zu geben, da siel mein Blitt aus Mr. Sterndale und Miß Goodridge, die am oisenen Fen ter ihren Kaiser trauten. Mr. Stern dale saß mir gerade gegenüber. Er redete unaufhörlich. Obwohl ich leinen Laut vernahm, sah ich genau, toas er sprach. Und seine Aeußerung mach te mich verstunimen: »Natürlich ist das Mädchen eine Diebin. Einigen Verdacht mochte ich schon gehabt haben, zur Gewißheit iourde es mir erst heute. Einer mei ner Bekannten hielt sich Nachmittags aus seiner Durchreise hier ans. Der Pfarrer von Leeds.« Jch wunderte mich, daß es nicht der Bischof von London gewesen. »Er sah unsere Freundin·.." Eine leichte Neigung des tlopses noch der Richtung zu mir. »Und rief ans: »Holla, das ist ja das BurnettsMädel!« »Warum-Mä del? Nein, sie heißt Judith Lee,« er widerte ich. »So hier nennt sie sich Lee? Das ist ausschlaggebend Zu Anfang der Saison logierte sie in Pontresina in demselben Hoteh ioo ich wohnte. Sie nannte sich Burnett. Durch die ganze Zeit ereigneten sich Diebstähle. Schließlich vermißte eine Russin einen wertvollen Schmuck. Da mit ist alles gesagt· —- Miß Burnett verdustete.« Jch hatte genug erfahren. Miß Sterndale mochte all die Zeit zu mir gesprochen haben, aber meine Aus merlsamteit toar vollständig dort ge fesselt, too ich nichts zu hören bekam. Ich stand aus und verließ das Zim mer, ohne ein Wort an Miß Stern dale zu richten. Draußen erinnerte ich mich, ntein Taschentuch, mein be stes Spitzentueh aus dem Tisch drin nen vergessen zu haben. Mitten in meiner Aufregung siel es mir schwer, es zu verlieren. Jch ging zurück, uni es zu holen. Miß Sterndale hatte sich zu ihrem Bruder und Mist Goodridge gesellt. Ein paar- Gäste umstanden sie, offen bar voll Jnteresse-an ihrem Gespräch. Jch fand mein Taschentuch Jin Ab gehen los ich die Worte von Stern dales Lippen: ». .unv bin eniiijnicht. Ich moch ie sie gern aber ich fürchte, sie gehört zu den Geschöpfen, über die man am besten schiveigt.« Daß diese Worte auf mich ge miinzi waren, zweifelte ich nicht« Jch verbrochie eine schlaflose Nacht. Schwer lasteie nuf mir das Bewußt sein meiner Einsamkeit, die Tatsache, daß ich nicht iiber genügend viel Geld verfügie, um die Hoielrechnunq bezah len, nnd Mr. und Mes. Travers mein Reiourbilleii nach London rnit enonnnen hatten, wodurch mir die iiglichleit einer Abreise benommen will-. Am folgenden Morgen waren die Liigen ilber mich so weit verbreitet, daß ich von Jedermann gemieden wurde. Rock dem rilbiiiick eilte ich ins Freie heran-. ls ich wieder die Terrasfe betrat, sah ich dieSterndoles beisammenstehen in so angelegentlis chem Gespräch, daß sie mich nicht be merlten. Nichts mehr wünschte ich von diesen heuchlern zu wissen, und dennoch schweifte mein Blick instinl tiv zu ihnen hinüber und fing die Worte auf, die Mk. Sterndale rasch und mit Nachdrurl sprach: »Ich sage Dir, heute werden wir es ausführen Ueber die kleine Ganss sind hier die Alten geschlossen. Wirt können das Haus ausruuben, und sie wird dofiir eingesperrt werden- Es gibt hier nur zwei Stücke von eigent lichem Wert: Mrs. Anstrutbers Bril lantenhalsband und die Perlen der Amerilanerin. Den Rest magst Du unserer jungen Freundin zum Ge schent machen. Auf sie wird der Ber dacht fallen, und wir reisen gemächlich mit den beiden Kostbarkeiten ab, ohne daß unser Name befleckt werde.« Genau erfnszte ich die Sache nicht. Ich begriff nur, daß er es noch wei ter aus mich absah. Aber es war mir nicht llar, worauf er hinzielte, wenn er von den kostbaren Juwelen Mrs. Anstruthers und dem Geschmeide der .leeriltineriii, Mts. Netvballö, Er wähnung tat. Den ganzen Tag wurde ich von zNieinanden eines Wortes gewürdigt iMan micd mich auffällig — und Joar doch früher so freundlich zu mir sgewesen An dem Wege zu meinem Zimmer wo ich siir das Diner —- fiir mich eine Farcc — Toilette zu machen ge dachte, wurde ich von einem Kellner aufgefordert, den Direktor in seinem Bureau nnfznsuchen Die bnrsche Art des stellnerg drängte mir eine ent sprechende Antwort aus die Junge, aber ein gewisses Etwas in einem Blick änderte meinen Sinn, und ich ties mich unt einem unerrtaruch mis behaglichen Gefühl in das Santtua rium der- Direttors führen. Der«’Direltor, ein jüngerer in sei nem Wesen abgezirlelter Mann, emp sing mich allein in seinem Bureau. Er mass mich mit einem strengen Blick wie einen Untergebenen, der eine Schuld beging, und begann: »Deinen Sie wirklich Judith Lee oder ist es ein angenommener Name?« Jch starrte ihn an: »So heiße ich. Lee ist mein Name.« »Nun, das ist Jhre Sache. Meine Sache ist, Ihnen anznzeigem daß Ihnen der weitere Aufenthalt in die fern Hotcl verboten ist. Ich bitte, es sofort zu verlassen. Sie haben einer Dame bei uns ein Schniuctftiick ent wendet. Hier ist Ihre Hotelrechnung Bitte sie zu bezahlen und...« »Die wird Wirs. Travers, im Be sitz meiner- Reifegeldes, nach ihrer Rückkunft morgen oder übermorgen bezahlen.« ,,So?« höhnte der Mann. Falls sie nicht mit Jhnen unter einer Dei te steckt.« Jn diesem Augenblick wurde die Tiir ausgerissen, und eine Dame schoß in größter Aufregung herein —- Mr3. Anstr:tther. »Meine Brillanten sind sort!« rief sie. ,,Jemand hat meine Brillanten gestohlen!« Sie sant atemringend in einen Stuhl. »Ich begab mich, um Toilette zu ivechfeln, in mein Schlaf zimmer, öffnete meinen Koffer, ent nahm ihm meine Schmuckschatulle, schloß sie aus, meine Brillanten wa ren fort! Man hat sie mir gestohlen —- geftohlen — gestohlen!« »Das ist sehr ernst, Mrs. Austrit ther,«« sagte, peinlich berührt, der Di rettor. »Ernst?« fiel sie ihm in’s Wort »Mitssen Sie mir das erst sagen? Die Brillanten sind tausendmal mehr wert als Jhr Hotel, und sie sind fort. Aus meinem Koffer-. aus inei nem Zimmer Jhres Hotels sind sie gestohlen worden!«' Sie schleuderte ihm die Worte in’s Gesicht. Ersah mich an und fragst: »Was wissen Sie darüber?« Ehe ich das Wort zu einer Ant wort fand, ging die Tür auf und herein drängten Mrs Newball nebst sechs, sieben Frauen in Begleitung ihrer Gatten und Brüder. Sie alle waren bestohlen worden. Mrs. New ball ihrer siins Reihen Perlen und jede andere des wertvollsten Stückes aus ihrem Schmuck. Sie alle waren tief erregt. Sie alle schrieen durchei nander. Und immer kam frischer Zu zug und ein jeder gab einen neuen Bericht iiber einen Verlust. Mit Mii he stellte der Direktor einigermaßen die Ruhe her und in Gegenwart aller deutete er mit dem Finger aus mich mit dem Vorwurf: »Al! das hoben Sie angerichtet! Sie!« Aus der Versammlung rief eine Stimme: »Ich fah fie aus Mrs. An ftrutherö Zimmer herauskommen.« »Wer spricht das?« fragte der Di reitet-. Eine- schwächliche, verweltte Frau ensperson löfte sich aus der Menge: »Ich bin Mrs. Anstruthers Zofe,« sagte sie, »Auf dem Wege nach ihrem Zimmer sah ich diese junge Dame aus der Tür laufen. Jch wunderte mich darüber und erzählte es Mes. Anstruther, und darum fah sie in ihrem Koffer nach« »Das ist wahr,« bestätigte die Da me. »Jhre Mitteilung beunruhtgte mich, und da ich hörte, es set ge stern hier ein Anhänger gestohlen worden« öffnete ich meine Juwelen schatalle und vermißte meine Bril lanten.« »Der Anhänger ist mein Eigentum und wurde mir gestern von diesem Geschöpf hier gestohlen. Unmöglich ist et nicht, daß sie sich heute bei( anderen Leuten einschlich, und dass gleiche Mansver vornahm,« geiferth Miß Gaodridgr. « Der Direktor wendete sich an ei nen Untergebene-u »Das Gepöct die-’ fes Mädchens ist vor Zeugen sofort einer Durchsuchung zu unterziehen. Lassen Sie mich das Resultat ehe möglichst wissen-« Als der Untergebene das Bureau verließ, bemerkte ich Mr. Sterndaie unter den Anwesenden. Fast zu glei cher Zeit trat feine·Schwester ein« Sie blickte verwundert über den Aufruhr umher. Dann näherte sie sich ihrem Bruder, wifpelte ihm etwas zu, wa rauf er ihr etwas zuflüsterte Es wa ren auf jeder Seite nur ein paar Worte, aber mein Herz hüpfte vor Freude. Mut und Kraft beseelten mich und etwas. was mehr als Hoff nung war, richtete mich auf; vie Sicherheit« Denn sie hatten sich mir Iausgelieferi. Nie war ich meiner horchergabe —- denn so mag man es nennen -— danlbarer gewesen als in jenem Augenblick. Jch wußte, daß ich nur auf den gegebenen Moment zu warten brauchte, und das Netz, in dem si: mich gefangen glaubten. wür de sich über ihnen schließen, während ich frei ausgehen mußte. Der Untergebene tam in überra schend kurzer Zeit mit einer Haud tasche zurück —- einer braunen Hand tafche —, die ich als mein Eigentum erkannte. Wie ein Schwarm Bienen umring ten ihn die aufgeregten Hotelgästr. Mit Mühe drängte er sich durch. »Was haben Sie in dieser Tasche?« sragte ihn der Direktor-. Und als die Gäste Anstalten traten, sich aus die Tasche zu werfen, streckte der Direk tor. die Tasche beschirinend, beide Arme aus und ries entschieden: »Bitte zurücktreten. Vor Jhren Auan soll die Sache regelrecht geordnet werden. Nur Ruhe. Bei einer solchen Ver-« tvirrnng ist nichts anzufangen·" Während er die Tasche aus den Tisch legte und öffnete. richtete er an den junger-. Mann die Fragen: »Wo haben Sie die Tasche gesun den«-"' »Ja ihrem Zimmer.« Der junge Mann deutete mit dem Finger aus mich. »War bei Jhrem Eintritt noch Je mand im Zimmer?« »Ich sah drei Personen. Zuvor derst fiel mir diese Tasche auf. Der Anblick ihres Inhaltes geniigte mir. Und auch Jhnen wird er, glaube ich, genügen.« Der Direktor warf einen Blick in das Innere der Tasche. Dann lehrte er sie um und schüttelte ihren Inhalt auf den Tisch. Welch eine reiche Sammlung an Juwelen! Wohl "ede einzelne Person im Hotel hatte i ren Anteil daran. Erstaunliche Geschick lichkeit der Diebe, sie in so lurzer Spanne Zeit, ohne entdeckt zu wer den, an sich zu bringen! Der Direk tor drängte die heranstiirmenden Gä ste gewaltsam zurück. Mrs. Ausnu thers Stimme schrillte aus dem Tu mult hervor: »Sind meine Brillarp ten dabei?« Und Mrs. NetvballsJ »Und meine Perlen?« Der junge Mann durchsuchte den Hausen der Schmucksachen und aller Augen hingen gespannt an ihm. End lich meldete er das Resultat seines Suchens: »Hier sind weder Mrs. Anstru thers Brillanten noch Mess. Nervhalls Perlen« Drohend erhob der Direktor den Finger gegen mich. Sie alle entwickel ten vlötzlich die Manie, auf mich zu deuten. »Wi) haben Sie Mes. Newballs Perlen und Mrg. Anstruthers Bril lanten? Gestehen Sie! Immerhin bes ser als das Henchelin Wir werden die Juwelen zu sinden wissen, trotz Jhreö Schweigeiis.« Wie er mich andonnertel Aber es ging mir nicht nahe, so sehr es mir sonst verhaßt war, angeherrscht zu werden. »Den Ort, wo sie liegen, kann ich Jhnen angeben. Wenn es das ist, was Sie meinen,« erwiderte ich in ruhi gem Ton. »Jawohl, das meine ich. Rasch. sprechen Sie!" tkr schlug mit der Faust aus den Tisch, um mich einzu schiichtern. Aber diese Wirkung übte sein Benehmen nicht aus mich. »Wenn Sie annehmen, daß ich all diese Dinge in meine handtasche — denn mein Eigentum ist sie allerdings — hineingelegt oder damit etwas zu tun hatte, so sind Sie im Irrtum« sagte ich gelassen. Beine Lügen, wenn ich bitten dats,« donnette der Direktor. ,,Wo sind die Schmndstiicke dieser Damen —- die Wahrheit!« »Die Wahrheit will ich Ihnen eben mitteilen, wenn Sie ein wenig Ge duld haben,« entgegnete ich uner schrocken. »Ich werde Jhnen damit eine kleine Ueberraschung bereiten.'· Dessen war ich so sicher, daß die Sa che mich zu belustigen begann. »Mir ist die Gabe verliehen, die sonst den Tauf-stummen eigen ist: den Leuten die Worte, die sie sprechen, von den Lippen abzulesen Ich weiß, was die betreffende Person spricht, wenn ich es auch nicht höre.« Man unterbrach mich mit spötti schen Bemerkungen, aber em» alterer Herr, der allgemeine Autorität besaß, verschasste mir Gehör. Jch wiederholte· was Miß Sterndale gestern morgens; ihrem Bruder aus der Terrasse ge sagt hatte. Es bot mir eine Genug tuung, die erschrockenen Gesichter des Geschwisterpaareö zu sehen. Beide widersprochen mir lärmend, aber ich suhr in meinem Bericht unbekümmert fort. Jch schilderte meine trübe Ge mätsstimmung vom Tage vorher und wie ich, vom Aus-sing zurückgekehrt, im untersten Fach meines Schmuck Itästchens den Brillantenanhänger sand, hinunter ging, um Misz sSterndale nach der Ursache zu fragen, swarurn sie ihn dorthin gelegt, Mtsz Goodridge anrannte, die ihren Ver lust beklagt-, und ihr betroffen den Anhänger hinhielt, in einer Weise, die leicht einen Verdacht aus mich laden tonnte. Mr. und Misz Sterndale hoben ein Geschrei gegen mich an, und wä re der alte Herr nicht dazwischen ge treten, so hätte Miß Sterndale einen persönlichen Angrisf aus mich ausge übt. Dessenungeachtet fuhr ich in mei ner Erzählung fort. Der Eindruck entging mir nicht, den ich allmählich aus meine Zuhörer gewann. Vollends als ich das kurze Gespräch der Ge schwister von heute Morgen wieder gab. Die Sterndales sturmten und tobten. Der ältere Herr verhals mir zu meinem Rechte, meine Erzählung zu beendigen. trsz war nicht viel hinzuzufügen Mit Sicherheit konnte ich es nicht behaupten, aber ich vermutete, daß Miß Sterndale die Diebstahle aus führte, während ihr Bruder die Ei gentümer anderweitig beschäftigte Bei dieser Aeußerung wechselten mei-s ne Zuhörer Blicke. Nachträglich er-! fuhr ich, daß Mr. Sterndale Aus-! flüge veranstaltet hatte, woran sieh naheiu alle Hotelgäfte beteiligten, mit Ausnahme seiner Schwester, die al lein eine Tour nach einer anderen Richtung zu unternehmen vorgab. Jch fuhr in meinen Ausführungen fort, daß traft der Machinationen des Geschwisterpaares das ganze Haus mich als Diebin betrachtete, weil es den Verdacht auf mich lenlte und meine Tasche mit dem gestohlenen Gut stillte. »Die-Z geschah aus folgendem Grunde,« ertliirte ich. »Ich fah Mr Sterndale heute morgen zu feiner Schwester sagen, daß es nur zwei Schmuelstijcke von Wert in diesem Hause gebe: Mr5. Anftruthers Bril lanten und Mes. Newballg Perlen. Lag der Rest der gestohlenen Sachen in meiner Handtasche, fo war ich als Tiebin gebrandmartt, sie aber durften frei von jedem Verdacht im Besitze der zwei Schmuckgegenftände bleiben, die jeder fiir sich einen grö ßeren Wert repräsentieren als der Rest Ensgefamt.« »Und wo mögen die beiden Schmuckstiiete versteckt liegen, junge Dame?« fragte der ältere Herr. »Miß Sterndale raunte bei ihrem Eintritt hier ihrem Bruder ein paar kaum ihnen selbst hörbare Wor te zu," erwiderte ich. »Aber ich sah beider Gesichter und wußte genau, wovon die Rede war. Er machte ihr bekannt, daß er Mrs. Anstruthers Brillanten in der Tasche feines Rot les trage-« »Jnfame Lügnerin!« rief Mr Sterndale. »Ich bleibe nicht länger in diesem Zimmer, wo ich von einem so elenden Geschöpf infultiert wer de....« Er schritt zur Tür. ,,Aufbalten!« rief ich. Aber schon wurde die Tiir von außen ausgeftoßen. Sie traf Mr. Sterndale, daß er zurückfuhr, und Mr. und Mrs. Tavers wurden sichtbar. Wie froh war ich, sie zu se hen! »Aufhalteni« wiederholte ich. Und: »Greifen Sie in die Rocktasche dieses Mannes und nehmen Sie ber ans, was Sie sinden.« Dr. Tadel-s, ein Riese an Ge stalt und Kraft, behielt die Ober-« hand. Er forderte ein Brillantenhalgs band an’5 Tageslicht. »Und wo sind meine Perlen?« fragte Mr5. Rewball erregt. »Miß Sterndale wispelte ihrem Bruder zu, daß sie die Perlen in der Jnnenseite ihre Taille trage,« sagte ich. Und so war es. Ein allgemeiner Aufruhr griff Platz. Alles schrie durcheinander. Mes. Travers legte den Arm um mich, und ich fühlte mich so glücklich wie nie zuvor. Es wurde keine Verfolgung der Sterndales —- denen ebensowenig dieser Name angehörte wie sie Ge schwister waren —- eingeleitet. Es ge lüstelte mich nicht, eine unabsehbare Zeit in der Schweiz zu bleiben, um Zeugenschaft in einem Prozeß abzu legen, fiir den ich lein Interesse heg te. Die Gäste in dem Hotel ebenso wenig. Sie waren wieder im Besitz ihrer Sachen —- das genügte ihnen. Indes entgingen die Verbrecher der Strafe des Gesetzes nicht. Sie wur den in derselben Nacht in Jnterlaken wegen eines anderen Delikts ver haftet. Es scheint, daß sie den Dieb stahl in Pontresina ausführtem den Mr. Sterndale seinen geistlichen Freund mir zuschreiben ließ. Dort hatten sie den Namen Mr. und Mes. Burnett geführt. Sie wurden« schul dig erkannt und« zu langjährigecn LGefängnis ver-urteilt. Its-etc III-. Stizze von Cl. Attlepp-Stübs. »Vater musz wieder ins Feld zu sriicts Muß nochmal in den Kriegs« fSo tlang es entsetzt und schmerzlich ’aus dein Kinder-mund. Ein prächtig eingerichtetes Kindekzimnrer — zwei Kinder darin, ein Knabe, zehnjährig ein Mädchen von acht. »Aber-, hang Heinz —- —« Nicht fassen konnte es das Kind. Nach Papas schreck licher Verwundung war es eine selbstverständliche Voraussetzung von ihr, daß er zu Hause blieb. Und nun hatte Hans-Heim eben gesagt, er müsse wieder ins Feld zurück. Eri ta ließ entsetzt dic Händchen mit dem grauen Strickzeug sinken. Sie starrte iinnrerzu den Bruder an.Der stand« den Kopf erhoben mit glän zenden Augen. Und so seltsam schwingend iam seine Stimme jetzt: »Aber gewiß — was dachtest Du bloß? Ein Vertoundeter Soldat kann doch kaum die Zeit erwarten, ehe er wieder zur Front gehen darf —- und nun besonders unser Vater!« »O — Du meinst, unser Vater könnte es auch nicht erwarten?« »Na und ob — grad unser Vater, der das Eiserne Kreuz erworben hat -—— der freut sich, daß er jetzt inc- Feld zurück kann-« »Jetzt . . »Z« »Ja —« sagte Hang Heinz, «schon heute!« Da weinte Klein-Erim laut auf. Und gerade trat der Vater ein. »Na nu —— was gibt’s denn l)ier?« Keine Antwort. Endlich das halb von Tränen erstick te Stimmchen Eritacst »Don-: - Dein-s sagt, Du müssest heut’ ins Feld zu rück.« »Ja, Kind —-ich muß allerdings heute fort! Und nun iei hübsch ar tig — zeig« mir einmal, wie fleißig Du warst. Sieh da, also Pulswär mer strickt mein kleines- Mädchen-N Er hob die Arbeit ans. Da glitt ein Freudenstrahl über das vermeinte Gesichtchen »Ja — vier Paar sind schon fertigt« Der Hauptmann probierte ein Paar. »O —- wie prachtvolt warm ——· darf ich sie .leich anbehalten?« Die Kleine nickte, selig, hoch erfreut. »Du sollst sie alle ha ben!« »O nein, Liebling, es gibt noch mehr Soldaten, die solche brauchen können!« »Ach —- ich stricke für alle, alle welche!« »Na, da strick nur! Aber jetzt komm, gib Papa erst einen Knßt« Der Mann beugte sich nieder und tiiszte das Kind. mit leidenschaft !iehen, heimlich zuckenden Lippen. Dann hob er seines Knaben Kinn »Und von Dir, Hans-Hein3, weiß ich — Du bist mein verständiger Junge, mein treuer, kleiner Kamerad — Du wirst sehr gehorsam und fleißig - a blitzte es in den bl.iuen Augen aus, hoch reckte sich die schlanke Kna bengestalt. »Aber. Vater —- dag ist doch selbstverständlich!" Da packte ec- den Mann. »Junge, mein Junge-, Du —« Tief tauchten ihre Blicke ineinander, und bewegt und stolz sagte sich der Vater. daß ihre Seelen von der gleichen Begeistp rung erfüllt seien. Karola stand vor dem Zimmer ihres Mannes. Jhr war es, als ob sie nicht hineingehen könne. Eine Furcht und dabei ein ganz leises Hof fen, daß er vielleicht doch noch blie be — er war ja taum genesen. Ih re Gedanken gingen zuriict zu dem er sten Abschied. Noch einmal war eg ihr, als durchlebte sie in den langen Stunden schlafloser Nächte Jahrhun derte des Lebens, Aeonen der Qual. Und wieder war es, als hetzten ihre brennenden Augen die Verlustlisten durch -«- stand ihr das Herz still, als sein Name inni. O Gott, —- » Gott, — und dann das Wiedersehenl Karola griff sich an die Stirn Das alles sollte sie noch einmal durchle ben? Sie stand und stand. Jhr Herz schlug start. Jhre Zähne schlugen hörbar auseinander. Doch: ruhn-i sein! Stark sein! Es waren heilige Leiden. Sie muszten tapfer durch litten werden. Sie trat ein; ihr Mann saß am Schreibtisch. Er schrieb noch ein Allekletztes. Heini und Säbel lagen ans dem Tisch. Beim Knarren der Klinke wandte er sich um, stand ans nnd ging der Frau entgegen. ,,.Karola·.." Er rief den Namen in einem Ton und mit einein Blick, der die zarte Frauengestalt in eine Wolke von Liebe und Zärtlichkeit hüllte. Er wollte iie an sich ziehen. Sie aber bat: »Nicht so —- bitte nicht so, es macht so meich.« Jhrc schmalen Finger umschlossen fast krampshaft seine Hand. So hielt sie ihn. Und wie ein heimlich in briinstigeg Hoser aus Verneinung klang es durch ihre Frage: »Du mußt jetzt sort?« Er nickte nnr. Dann hob er ihre Hand und kiisxte sie, immer wieder loortlori. Da horch—--—Fansa rentlänge: Dankegsanfaren vom Rat haus-tum. »Nun daniet alle Gott —« Sieg, Sien! 11ndD,ant Dant! Der Hauptmann ris, dein Oelm wie der vom Haupt. Er saltetc die Han de über der blanken Spitze. »Der große Dinge tut an uns und allen Enden -—« Er riß sein Weib an die Brust und sah sie an, tief tief. Und danach, sast wie ein Schreien klangsr ,,Karola —- wir miissen siegen und wir werden siegen! Leb’ wohl, mein Weib — ich komme lviederl Jch kom me bestimmt wieder!« Ein dumpser Schrei. Darste war allein. Jhr Mann war —- ins Feld zurück. .