Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 12, 1915, Sonntagsblatt, Image 9

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    · Sonntag-Hatt des
Staats- Anzetger und Jcerold
Gisa kostva ,er- tagveu Ih. Mztft
—- -f » -» -A-»» - I
Ir- Iimseli Ists-.
Stizze von Paul Schmidt.
Mit kräftigen, ansholenben Schrit-,
ten und erhabenen auptes, eilte der
Drogoner - Wachtnie ster durch beni
schattigen Laubwalb, welcher sich im
Osten des SpirbingersSees hie on
die russisehe Grenze hinzieht. s
Er iarn ans dem nahen FörstersT
haus, wo er sic- soehen in aller Eile
mit seiner kleinen Jugendsreundin
Taster Lorenz verlobt hatte. s
Es war eine Kriegsherlobung.
Der alte patriotische Förster mußte
ja sagen, denn die beiden jungen
Menschenkinder wollten absolut nichts
von einein — Später und nach dem
Kriege —- hören.
Nimm ste, sagte Vater Lorenz, es
ist das einzige was ieh nus Erden
besitze und wenn ihr draußen im
Felde sertig seit-, dann totnm und
hole sie.
Alle Kugeln tresfen nicht, lieber
Wnchtmeister, ich bin im stärtsien
Feuer gewesen und bei Spichern,
Anno siebzig, troh allen französischen
Mitmilleusen als einer ver ersten
auf dein Berg gewesen. ja, ja, die
treffen nicht alle. Sei guten Muts,
mein lieber Jung-, Deutschlaer
lämpst sür eine heilige Sache, bu
mußt als Sieger wiederkehren, Abas
ist alles, was du versprechen ioun.
Werner ergriss die ausgestreckte
Hand und erwiederte: Vater Lorenz,
an uns wird es nicht liegen, denn
ein Deutscher tämpst bis zum leyten
Blutstropsem Millionen und Millio
nen von ausgebildeten Soldaten, wel
che dont größten Patriotismuz beseelt
sind. werden Deutschlands Feinden
zeigen, das sie unser Voll zu niedrig
eingewogen haben, toir werden siegen.
Jch bin dessen sicher. Der alte Herr
gott da droben war mit unsern Vä
tern und er wird auch den Söhnen
beistehen und uns den Sieg an die
Fahnen besten.
Nochntalo einen kräftigen hande
bruck nnd unter dem Segen-wart
«Mit Gott« verließ er das haus,
begieetet oon feine-s blonden Lieb.
Unter den hohen Buche-n im pil
len Walde, nahmen die beiden Ab
schied von einander, nur Gott und
die« Buchsinten haben vernommen«
was sich die beiden zu sagen hatten.
»Ohne eine Träne zu verlieren, trug
Toata das Unvermeidliche. Sie barg
ein Deldenherz unter der tnapp an
schließenden Blase. Noch, einen lan
gen innigen Aus-, dann machte sich
der Wachtmeister lob und eilte von
dannen. begleitet Von den heißen Ge
beten, welche aus einem reinen Mäd
chenherzen kamen.
Waaer schritt er aus, um die näch
ste Eisenbahnstation zu erreichen, er
mußte noch Lock, der Dienst ries.
Als er dat- Städtchen erreichte, ging
er zu einem bekannten Schmuetsachens
geichött und -tnuste ein goldenes Me
daillon, lieft feine Photographie mit
der Bitte, von derselbm eine dem
Medaillon entsprechenden Vertleines
rang ansertigen zu lassen und das
selbe so sehnell Ioie es die Umstände
ermöglichten, eventuell durch einen
besonderen Boten, an IrL Tosta
Lorenz, örsterhaua Mooshiiite am
Spirdingee, zu senden. »
Er bezahlte und erhielt von dem
Ladenbesiszer die Versicherung daß
alles zu seiner Zusriedenheit ausge
führt werden solle und er es als ein
Glück betrachte, dem abziehenden Mi
lttiir solche tleine Gesiilligteit erwei
fen zu lönnen.
Werner eilte nun zum Kafernens
hof. Hier war altes fchon bereit, rnan
harrte nur noch auf eine Depefche
vom Obertvmmande
Eingehend überzeugte er fich noch
bei feinen Stieftindern, ob fi: nicht
schließlich in der Aufregung etwas
vergessen ·«tten.
Der Es adranchef fragte: Na, Wer
ner, haben Sie die blonde Schönheit
da unten am Wasser eingefangeni
Zu Befelzh here Rittmeiiter, gab der
Wachtme fter zurück. Schön, freut
mich, nun aber heißt es, Feinde ein
fangen, nicht etwa einzelne, nein, zu
Tausende-n
Wernee lächelte und erwiderte
herr Rittmeiiter, ich deute, es geht
mit den Zehn· und Hunderttauiens
den besser und schneller.
Endlich vier Uhr Nachmittags, —
der Adiulant sprengt im scharfen
Galopp auf den Negimentslommani
deur los, einen Moment fpiiter er
fol t das Signal — «Auffigen«.
m flotten Trade geht es nach
dem Reuters-lag wo sich die ganze
Bevölkerung der lleinen Stadt ein
gefunden hatte.
Eine turze marlige Insprache an
die Einwohner. dann ein donnerndes
Duera nu den oberiten Kriegsderrn
—und der rnft der losnmenden Zeit
legte iiclt auf alle Gesichten
Unter fchmetternden Fanfareniläns
gen ging es zum Städtchen hinaus
Die Bürger schwenkten Fahnen und
Ja cheniiicher und riefen den Davon
zie nden kräftige, wohigemeinie Ab
ichiedsgrüße nach, bei mancher Schö
nen sah man feuchte Augen«
Die qugoner fingen an zu singen.
Jch muß an Kaisers Seiten
Für Recht und Freiheit streiten;
Fahrwth sahrwohl mein teuresLieb.
Jeder frag sich: Wieviel werden
wiederkehren?
s .
Monate vergingen. Sieg folgte
Sieg
Der Wachimeisler sollte Re t be
halten, mit hunderttausend Ge ange
nen haben sie bei Tannenberg ange
fangen
Schwere Stunden hatte das Regi
tnent durchgemacht. Viele, viele Ka
meraden sind den heldentod auf ost
oreuhischer Erde gestorben. Werner
hatte nur noch den Ritlmeister als
Offizier übrig, obwohl verwundet.
gab er die Führung der Schwadron
nicht auf. Er selbst hatte mehrere
Pferde verloren und die Leute seiner
Truppe sagten sich oft; Der Wachts
meister ist tugelfest, immer im dich
testen Getümmel und am gefährlich
sten Platze in der vordersten Linie,
es passiert ihm nichts.
Nach ungefähr drei Monaten wurde
das Regiment zurück genommen. Die
Reihen wurden ergänzt und der Vor
marsch auf Polen begann.
Eine Woche später lagen die Dra
"goner in Kollim um längst der War-i
the nach stolo zu, die Verbindung mit
den weiter vorgeschobenen Truppen
herzustellen.
. Die Feldpost brachte Briefe und
jPalete manche waren schon sechs
’Wochen unterwegs, die infolge der
mannigfachen Truppenverschiehungen
nicht rechtzeitig geliefert werden lonns
ten. Jeder erhielt diesmal ein Lie
sbeszeichen aus der Heimat. Auch Wer
sner belarn einen Brief, schnell öffnete
ler das Schreiben. dann taumelte der
»Warte Mann und rief dem Nächstste
henden zu: »Wafser, oh, Wasser! T
Verwundert blickten alle auf den«
Wachtmeisler und frugen: Was ist
lallt .
Lange mußten die Fragenden war
len.
Gierig trank er das Glas Wasser,
welches schnell herbeigefchafft worden
war· Langsam erholte er sich und
gab schließlich mit einer vor Auf
regung zitternden Stimme die Ant
wort. Nur ftoßweise kamen die Worte
heraus
Meine Braut — viele —- von —
euch — wissen —- wen —- ich —
meine —- liißt —- mich —- durch eine
Kranlenschwefter —- benachrichtigen,
sdaß ihr Vater von den Rassen er
mordet ——, das Haus abgebrannt,
ialles verloren und vernichtet ist, doch
das schlimmste, die Russen —- haben
—- tie —- geschiindet —- und Gott
allein weiß, ob sie mit dem Leben
davon lommt.
Langsam liest er weiter: Die Dol-»
ftoren wissen die ganzen Vorgänge
»und glauben fest, daß sie, danl ihrer
starken Natur, durchtocnmen wirdJ
Antworten Sie sofort, here Macht-!
meister, ein aufrichtiger Brief von»
anen wird wie gute Medizin wirken-«
Jhre ergebenste M. L· J
Die Umstehenden begriffen fofort,;
was es meinte. Jeder von ihnen hattej
daheim etwas Liebes. Ein Wutschreii
folgte und Rache, Nache, hundettfiil-!
tige Rache schlouren die deutschen’
Männern, welche den Wachtmeisteri
ehrten und seine Stimmung wohls
verstanden.
Von nun an gibt es leinen Pardon
mehr, denn diese russifchen Mord
Hrenrser und Mädchenschiinder verdie
nen tein Mitleid.
Werner verbisz den Schmerz, gelob
te aber heilig, daß, wenn Gott es
wolle, er ihm die Kraft geben mögeJ
noch Hunderten von diesem Gesindel
das Lebenslicht auszulöschem
Der Dienst nahm sein volles Jn
terelse in Anspruch
) Das Regimem wurde weiter vor-l
.gelchoben« nach ein paar Tagen war
es in Fühlung mit dem Feinde bei
Knie-ow.
Heiß wurde geiiritien, harral Wie
die Deutschen stürmtend Die Rassen
tonnten solchem Anlauf nicht Stand
spalten und in eiligster Flucht zogen
Isie sich zurück·
I. Die deutsche Kavallerie mit einge
llegten Lan-en hinterdrein.
z Auch Werner war hinter den Flie
henden her, er war der einzige, der
teine Zeit hatte, Gefangene zu ma
chen. R , schrie et in seinen Ohren
and tnlr chend sauste der Säbel in
das fliehende Faßt-old Allen weit
-voean, wie ein empöriee Gott, von
weltlichet Rache getrieben. Er richtete
ein Blatt-ad unter den Dahinstiirmeni
den an.
Später holten ihn ein paar Mann
von seiner Schwadron ein und brach
ten ihn zurück, die Uniforns war rot
gefärbt vorn Austritt-lud Er hatte sich
fafi liberansirengt und als der Regi
menischef ihn sah, befahl er ihm, hin
ter seinem Stabe zu folgen
Viele Gefangene und reiche Beute
wurden dem Feinde abgenommen.
Am nächsten Tage wurden die Ge
fangenen gezählt und abvisitieri, um
per Bahn nach Graudenz und von
dort nach Frankfurt an der Oder ge
sandt zu werden.
Viele gestohlene Werifachen deut
schen Ursprungs wurden bei der Lei
besvifitatian gefunden; unter anderen
fand ein Dragoner bei einem jungen
Rassen Ringe, goldene Uhren und
ein Medaillon. Als er das Medaillon
öffnete, lächelte ihm fein eigener
Wachtweifter daraus entgegen. Er
fkug den Gefangenen. wo er es her
habe, erhielt aber leine Antwort. Ein
lräftigee Fußtritt brachte den Rufsen
zu Baden und unt Gnade wimmernd,
gestand er seine Schandtat ein.
Der Diaganer meldete es dem
nahe stehenden Rittmeister. Dieser
nahm das Medaillan an sich und geil
bat dem Dragoner, einstweilen zu
schweigen. :
Auf der Rückseite der Gefangnens
larte, welche er dem Russen anheftete,
schrieb er die Worte: Scharf behan
deln. schändete die Braut meines
Wachtmeisters, darunter feste er sei
nen Namen und Truppenteib
Sviiter am Abend, beim Appell,
gab er dem Wachtmeister unter vier
Augen das Medaillon zurück.
Werner nahm es und als er den
Blick in die Augen seines Vorgesetz
ten hob, da unterdrückte er mit Ge
walt den aufsteigenden Schmerz.
j Der Rittmeifter verstand seinen
Untergebenen und sagte: Er ist he
»reits auf dem Wege nach Frankfurt.
’ Werner antwortete: Schade, schade,
ich hätte gerne mit dem Schuft abge
rechnet, dann wäre mein größrer
Wunsch erfüllt.
Nicht doch, Wachtmeifter, es steht
doch in der Bibel: »Die Rache ist
mein'. Sie können keine Rache an
einem einzelnen ausüben, am aller
slehten an einem fast verhungerten.
Junkultivierten und halt-mächtigen
Isurschm Vergessen sie es. Denjen
Sie daran: Der alte Gott läßt einen
Sünder nicht lange ungestraft wan
dein
j Mit diesen wohlgemeinten Worten
strennten sie sich und der Wachtmeister
ging zu der Schwadron, um Vor
;tehrungen für die Nacht zu treffen.
I III O
Fünf Wochen später, unten an der
österreichischen Grenze, erhält der
Nittmeitter einen Brief von dem
Kommandanten des Gefangnenlagers
zu Frankfurt
Der gekennzeichnete Russe, Vladis
mir Kuynom verhriihte sich durch
seine eigne Leidenschaft vollständig
am ganzen Körper, als er in der
großen Lagerkiiche versuchte, zu stehlen
und in der herrschenden Dunkelheit
in einen offenen Wasserkesfel fiel.
Trotz aller ärztlicher Hilfe starb er
unter aräszlichen Qualen. Jch denke.
er hatte solche Strafe verdient.
Der Rittmeister las dem Machtmi
ster den Brief vor und sagte: Da
können Sie sehen, Weiner, Gott läßt
solchen Berdrecher nicht ungestraft
davon tommen.
Der Wachtrneister erwiderte nichts;
ihm gingen die Worte des alten För
sters durch den Sinn. «Deutschland
kämpft für eine heilige Sache, Gott
ist mit unserem Volke.«
Endlich richtete er sich auf, ließ
seinen Blick nordwärts schweifen und
flüsterte: Gott hat dich gerächt, Tos
ta, du stehst in seinem Schutz, er wird
dich leben la en und ich will dich
um so höher chäherh wenn ich glück
lich zurückkehre. Jn deinen Augen
tvill ich still lesen, das du mein teu
sches treues Lieb geblieben bist.
Its Iißsislstck.
Bekanntlich sieht man in vielen
Zlgatrengeschästen auch schon Damen
als Vettiiuserinnen. In einem sol
chen Laden war Herr Qualtner ein
seht guter Kunde süt Zigarettem tag-»
täglich vettonsucniette er eine nette;
Quantität. Um nun dein guten
Kunden entgegenzukommen, hatte die
Vettiiuserin herrn Qualmek einel
Schachtel teserviert, aus der et alleinl
seinen Rauchbedats erhielt. Eines«
Tages nun, alt ver here wieder sei
ne iibliche Nation halte, hatte die
ständige Vettiiuserin grabe Ausgeb
tag, und eine Vertreter-in besorgte ib
te Funktionen. Da dieser aber der
Kunde nicht bekannt war, gab sie ihm
die Zigatetten aus der für alle an
dern Konsumenten bereitstehenden
Schachtel der betreffenden Matte.
here Qual-net sah das und fragte
ganz verwundert: »Wo ist denn die
anbete Schachtel heute?« —- »Und
noch erstauntes wurde et; als er sehe
erregt zur Antwort erhielt: »Sie al
ter Grobian, die hat heute Ausgeb
tag.«
Graben war schnell genommen.
Pers-niesen
Von Dr. P. Meißtteh Stabsarzt d. N.
»Mein Gott! —- Getrosfeni«
Wie vom Blih erschlagen sank die
mächtige Gestalt zu Boden. Kein
Schrei, tein Laut,nur ein leises Stöh
nen entrang sich der heftig arbeitenden
Brust.
Da lag er mit so vielen ande
ren. Er war nicht tot. Allmiihlich
tam Leben in die Gestalt· Der Kopf
richtete sich etwas aus« und die Augen
lblickten überrascht und verständnis
ess
Was war denn gewesen? Er fühlte!
brennende Schmerzen im linken Bein;
nicht sehr arg, es war zu ertragen.
Langsam besann er sich. Sie sollten
den Schüsengraben stürmen, wie o
ost schon. Es ging mit »Hurra.«
vorwärts. Die Rassen schossenz die
meisten Geschosse schwirrten und pfif
fen über ihre Köpfe weg. Der erste
Da
bekamen sie Feuer aus nächster Nähe.
Er kannte das schon, das taten die
Hunde mit Vorliebe. Das Bein tat
orch recht weh. Merkwürdig! Den
Schuß hatte er taurn gespürt, ein
fharter Schlag, wie mit einem Ham
«Mck.
Er hatte sich das Benannt-et
imerden ganz anders dargestellt
Ob es wohl blutete?
’ Er versuchie sich langsam aufzu
richten. Es ging schwer. Bei jeder
Bewegung wurden die Schmerzen
stärker. Nein, so ging es nicht, er
wollte versuchen sich auf die Seite zu
drehen, vielleicht kam er dann eher
an das Bein. Qui, hui, das waren
feindliche Geschosse, singend und leise
pfeisend tamen sie daher, ganz dicht.
Er hörte sie in den Sand einschla
gen. Weitgönger offenbar, denn das
Gefecht war schon entfernt. Lieber
vorsichtig sein und sich nicht aufrich
ten. Das wäre doch zu toll, wenn
man hier noch nachträglich erschaffen
würde!
Langsam trümmte er sich zur Seite
und befühlte das linke Bein. Es tat
iiberall weh, aber da« da dicht über
dem Knie, da durfte er gar nicht
drantommeia Da war ja auch die
hose tlebrig und naß.
Was hatte der Stabsarzt gestern
noch gesagt? »Auf alle Fälle eine
Binde umiegen, das ist entscheidend
für die Leitung«
»Donnerwetter, die war aber dicht
bei!« Kaum zwei Hände breit von
ihm das Geschoß in einen Baum
.stumpf gefahren
Wenn die Kerls bloß nicht so weit
schießen wollten, man kann sich ja
nicht rühren.
Sein Vervandpiictchen hatte er bei
sich. Wie oft hatte er sich geärgert,
wenn immer wieder danach gefragt
wurde; aber recht hatten die Osfiziere
schon, er spürte das jetzt am eigenen
Leibe.
Vor allem mußte er die Wunde
freilegen. Er hatte sich mühsam auf
die rechte Seite gewälzt und fing
nun an, ganz vorsichtig mit seinem
Taschenrnesser das Hosenbein aufzu
schliszem Es ging langsam, er mußte
des öfteren Pausen machen, aber es
ging.
Gott sei Dani, die Schießerei hatte
nachgelassen. Er schloß die Augen
und lag unbeweglich. Der Anblick der
Wunde und des Blutes hatte ihn doch
sehr gepackt.
Daß eine so große Wunde nicht
mehr Schmerzen machte? Er ver
stand dab nicht. Er lag noch immer
unbeweglich, er fühlte, es würde ihm
schlecht werden, wenn er sich beweg
!.te Er biß die Zähne aneinander
»und dachte tracnpfhaft an gleichgiiltigel
Dinge. (
: Es war ihm jetzt etwas besser..
iOb er es nochmals versuchte? Ver
Yschwostnmene Vorstellungen von Ver
Jbluten und Wundfieber gingen durch
seinen Kopf. Er müßte sich verbin
ven.
Also los! Merkwürdig! Vorhin
war es wohl nur Schwäche gewesen,
er spürte jetzt gar nichts. Sorgfal
tlg und behutsam legte er die Binde
um. Dann sank er zurück. Es war
doch eine Anstrengung, so mit ge
krümmten Oberkörper die beiden
Hände gebrauchen Er war froh, daß
es vorbei war.
Ob er wohl tauchen sollte? Ei
gentlich hatte er etwas Hunger.
Sein Frühstück war ja auch im Brot
beutel. Er begann zu essen, halb
Mfgnichteh den Iornister als Rücken
es
It sah er erst, daß er nicht al
lein war. Da lagen drei direkt vor
ihm. veilleicht zehn Schritt. Sie rühr
ten sich nicht, wohl tot. Links am
Waldrand kniete einer; der Kon
war ihm nach vorn gesunken, das Ge
wehr lag noxh im Arm, der war sicher
auch tot.
Von fern her hörte man das Ge
klacker des Jnfnnteriefeuers, dazwi
«
fchen das Takt-Tod der Maschinen
gewehre. Kommandorufe verhallend
und nicht mehr verständlich und
»hu"rral«. Sie stürmten o fenbar
immer weiter, die Braven. chade,
er wäre gern dabei gewesen. Viel
leicht war es besser so. An der Ver
wundung würde er gewiß nicht ster
ben, und so kam er ins Lazarett, in
die heimat. heimat. . . Jm Nu fah
er alles vor fech: das traute kleine
Zimmer, hoch im Norden Berlins im
Gartenhaus. Ob die Treppe wohl
noch so erbärmlich knarrt? Am Fen
ster eine kleine, liebe Lilln mit ih
rem blonden Köpfchen, eifrig beim
Stickem Ja, die kleine Frau verdiente
nach mit. Wie hatte sie damals an
jenem schwülen Augustabend nm
Lehrter Babnhof geweint und ge
schlnchzt. Jhm waren auch dIe Au
gen naß geworden. Ob sie sich wohl
freuen würdet Es wurde ihm ganz
eigentümlich ums herz. Nanu». alter
Junge, du wirst doch nicht flennen!
Wie oft hatte er von einem Wie
dersehen geträumt. Jn unendlich
weiter Ferne schienen ihm all diese
lieben Bilder —— und jetzt, wie nah!
Was eine solche Russentugel nicht al
les kann.
Da —- was war das?
Ein Ton hatte ihn aus feinem
Sinne aufgefchreat.
Da wieder!
Ein Seufzer, leise und stöhnend,
drang zu ihm von rechts vorn. Er
folgte mit dem Blick der Richtung
Hund sah etwas auf dem Boden liegen,
grau, kaum erkennbar.
I Jest richtete sich etwas auf, ein
sbiirtiges Gesicht unter der breiten
Schirmmiihe wurde sichtbar-, kaum
svier Meter entfernt. Was fiir ein
jGesichtt Weiß wie Papier, schmerz
2entstellt, die Augen tief in den Höh
len blihten in fieberhaftem Feuer.
Unter dem offenen« feldgrauen Man
tel schimmerten breite Treffen.
» Ein russifcher Ofsizier. Schwer
svertoundet offenbar. Der Arme! Er
imiifzte wohl starke Schmerzen haben.
lOb er wohl Deutsch verstand?
Keine Antwort, mühsam hob sich
der rechte Arm und machte die Be
wegung des Trinkens; der arme Kerl
hat Durst.
Eigentlich war es ihm gar nicht
unangenehm, daß der Nusfe lebte, er
war doch nicht ganz allein. Es konnte
anch lange dauern, bis die Kranlens
träger ihn fanden nnd hrlten. Die
drei stummen Kameraden da vorn!
»Es war ihm wirklich ganz lieb, daß
noch einer da war, der wie er selbst
jwarten mußte.
. Ob er jenem zu trinten geben
solltet Er hatte in der Feldflafche
Kasser.
Den Nussen war nicht recht zu
trauen.
Er empfand heißes Mitleid mit
dem Russen Verwundet sein und
durften. Nein, das durfte er nicht
dulden. Man tonnte ja vorsichtig
sein. Er hatte seinen Revolver, wo
sein Gewehr lag, wußte er nicht. Den
Revolver hatte ihm der verwundete
Hauptmann heute morgen zum Anf
bewahren gegeben.
Wie komme ich nur zu dem Rus
sen hin? An Gehen war nicht zu
denken. «
Das Stöhnen wurde immer kläg
licher· Dazwifchen einige taum
verständliche Worte. Doch jetzt ver
stand ek: »W6(1n, Wollu« —- Was
ser! Also hatte er die Armbewegung
richtig gedeutet.
Er nahm den Riemen der Feldfla
sche zwischen die Zähne und troch oder
wälzte sich dem Aussen zu. Der Re
volver hing ihm am Gurt.
Es ging unendlich langsam. Der
andere blickte ihn mit ganz großen,
wie Kohlen leuchtenden, gierigen Au
gen an.
Herrgott, muß der durstig fein!
Jetzt hatte er nur mehr ein Me
ter etwa. Es tat zwar wahnsinnig
weh, aber der andere litt sicher mehr
»So, Herr Leutnant, nun trinken
Sie mal!«
Der andere fah ihn verständnislos
an, nahm aber die dargebotene Fla
sche und trank gierig
,,Nu man sachte, sachte!«
Der Russe war offenbar nn der
linken Schulter-verwunden wohl auch
an der Brust. Er lag auf der rech
ten Seite nnd vermochte sich augen
scheinlich nicht zu rühren. Nur die
rechte Hand zapfte nervös und
teampfhaft an dem halbzugetnöpften
Mantel.
Verbinden tonnte er den Rassen
nicht« er hatte tein Verbanbzeug mehr,
fühlte sich auch «zn schwach. Er schob
sich etwas ab und legte sich so be
quem wie möglich.
»Was der Kerl für unheimliche Au
gen hatt« Ob er lieber feinen Revol
ver heraus-nahm? Das durfte der
andere keinesfalls sehen; aber es war
doch Unsinn. Der tat ihm sicher
nichts: es wäre doch auch zu gemein
gewesen. Jetzt, wo er ihm zu trinten
gegeben hatte.
Wenn der Russe ihn nur nicht so
wahnsinnig angestarrt hättet Ob
der wohl oerriiat geworden war —
so etwas kam doch in Gesechten vor!
Die Hand des Russen knöpste zit
ternd und trampfhast zuckend den
Mantel weiter auf.
Was will er denn unter dem
Mantel? Herrgott, der sucht nach
seinem Revolverl Also doch ein
Schust!
Blitzschnell war die Hand asn seiner
Revo!vertasche, und er zog die Waffe
heraus.
Was ist denn das ? Die ist ja so
leicht. Er hatte bisher den Rassen
scharf angeblickt, jetzt sah er nach un
ten. «
Um Gottes willen, zerschossen, der
Lauf war abgesprengt, davon hatte
der Hauptmann ja gar nichts gesagt.
Halte er deswegen ihm solche Sorg
falt anempsohlen?
Er war also wasfenlos! Zurück
lriechen, das fühlte er, konnte er
nicht. Er war schon so matt und
müde geworden, daß er kaum mehr
sehen konnte.
Nur nicht einschlafen, dann war er
verloren. Drei Knopfe hatte der
Russe schon aufgemacht, die zitternde
Hand suchte unter dem Mantel her
um. Jeder Bewegung folgte er
mit den Augen. Er war schon so
matt, daß er laum aufpassen tonnrr.
Es war klar. Der Russe wollte
ihn erschießen. Wenn doch nur die
Krankenträger kämen. Ringsum war
es still geworden. Der Tag ging zur
Neige, schon dämmerte es.
Der Russe blictte ihn haßerfiillt.
wie ihm schien, an, immer geister
hafter wurde das Gesicht. Die
Hand suchte und wühlte noch immer
unter dem Mantel. Wann würde
er den Revoloer gefaßt haben —
es konnte nur noch Minuten dau
ern!
Also alles dahin. Er sollte seine
Lillh nicht wiedersehen, wie schön
hatte er sich alles gedacht. Wie sie
weinen würdet Er sah die roten Au
gen in dem schmalen, blassen Gesicht
chen.
Ein gurgelnder Laut, und der
Nusse sant mit starr geöffneten Augen
nach rückwärts: er war tot.
Gott sei Dant! Eine tiefe Ohn
macht umfing den Gequälten.
Abteilung halt! Bahren ab
setzen!«
Diese Worte erweckten ihn. Wo
war erZ Er konnte sich nicht besin
nen. Doch — ja — der Russe hatte
ihn erschießen wollen. Seine Lin
hatte doch so geweint! Ach, der brave
Kleinschmidt, der Sanitätsfeldwe
bel, stand vor ihm, also lebte er
noch.
»Ric; rühren! Bleiben Sie man,
wo Sie sindk Wir werden Jhnen
schon aufheben-«
Sorgsani und vorsichtig trugen sie
ihn auf die Bahre.
, ,,lieinschmidt, wollen Sie mir ei
-nen Gefallen tun?«
»Gewiß, geliebter Sohn, wat iH
denn?« ·
,,Fileinschmidt! Dem russischen
Offizierda habe ich zu trinken gege
ben, und dann hat er mich erschie
szen wollen. Tun Sie mir den Ge
fallen nnd sehen Sie mal nach, ob
der Kerl nicht unterm Mantel in der
rechten Hand seinen Nevolver hat.
GoiseiDanl starb er, ehe er schießen
konnte
i Er wartete voll Ungeduld, wäh
rend die anderen sich an dein Toten
Izu schaffen machten.
s »Einn: Revolver hat er nicht in
Jder Hand gehabt, aber das da!«
; Kein schmidt reichte ihm eine Pho
tographie, eine alte grauhaarige Da
me in Trauer
»Das Bild seiner Mutterl« tani
ec- schluchzend von den Lippen des
lBerwundeten.
s —- Jm GerichtgsaaL Rich
.ter: »Sie geben also zu, in das
Kontor des S:ellenvermittlers Meier
nächtlich eingebrochen zu sein?«
Angeklagler: ,»Jawohl, Herr Rich
ter, del jeb’ icl zu, icl wollte mir
aber blosz mal seine Balanzenliste
ldurchlesem weil ick nämlich Arbeet
suche«
s —- Verplapperi. Gast: »Ihr
Hund schnappt immer nach meinem
THasenbratenA
« Wirt: »Wissen Sie, das ist die
alte Feindschaft; die beiden haben
sich nie vertragen können.«
—- Setzerkobold. ...nlz sie
aber die winzigen Portionen san,
die man nn den Nachbariischen iet
vierie, bestellte sie sosort drei Eier
zum Gänsebriilen nach
—- Boshnst Richter (le einer
aufgetegien Angeklaglen): »Warum
schreien Sie denn so? Bleiben Sie
doch bei der Tonslärke, in der
Sie Uns vorhin Jhr Alter angegeben
haben!« « s