Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 15, 1915, Image 11

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    sei-est
—
hssesa seiest-.
Unten am Bahnbot svplosgischet
Garten wollten wir uns uns elf Uhr
treffen. Den Himmel dectte ein litt
ienlqet Grau, aus dem ein feiner
Spriibregen betabrieselte· Die Uhr
der Kaiser-WilhelmGedächtnis-Kirche .
zeigte acht Minuten nach elf. Jchj
hatte niich verfpiitet und schritt start
aus.
Er wartete bereits. Von fern iab
ichfeinen Offizier in Feldgtau und
Reitstiefeln vor deni Schautasten ei
nes Schusterz stehen und die ausge-»
stellte »große Mode« angeleaenilichi
betrachten. Obgleich er fv aller Welt
den Rücken zutehrte, hemmten Vor-.
übergehende ihre Schritte und sahen
sich um. Und wenn zwei zusammen
gingen, nickten sie sich bedeutiarn zu
und lächelten.
Jch hatte bereits zehn Minuten
Verspätung, aber weiß der himmel,
ich empfand ein unbesiegbares Be
dürfnis, ihn aus der Ferne in aller
Ruhe noch etwas zu betr.1chten.
Machte er die paar Augenblicke noch
länger warten. Jch trat rasch hinter
einen Pfeilen
Die Breite des Fabtdaniinsl
trennte uns, aber ich tonnte genau
die roten Rückennöhie der Ulanla nn
terscheiden, und die Mütze lam mir
verbeuli und zerlniillt vor. Er stand
wie mir schien, etwas gebückt, und
rnit einein Male sah ich, daß der
linte Aerinel loie herabhing.
Gleich darauf stand ich neben ihm
Wie er sich zu mir wandte, sah ich
das Kreuz auf dein Grau der Illanta
schimmern und fühlte, daß ich var
Freude ganz rot wurde. Jch schilt
teite wieder und wieder seine Hand
«»Wo etwa-beni«
»An der Maask
»Und das?« Jch deutete auf sei
nen Arm, von dem nur die Finger
gliedee sichtbar waren.
»Ebenda.«
.4-,.
Wir gingen einige Schmie.
»Aber wollen wir nicht irgendwo
eintebren?« sagte ich und blieb stehen.
.Es regnet."
»Ja so. Wirklich« Er lächelte.
»Wie du willst.«
»Nein, wie du willst,« widersprach
ich und ärgerte mich iiber mich selbst.
»Wenn's dir recht ist, machen wir
einen Spaziergang durch den Tier
garten. Jch habe nach der Stuben
boeterei der les-ten Tage einen uniags
baten Luftbiinger. Und du bist ja
auch bemiintelt.«
Wir gingen langsam in den regen
schweren erbsttag hinein, in dem
alle Umrii e verschwammen.
.Sage mir," begann ich nach einer
Weile« »woher stammt denn dein star
ies Interesse iiir Lackitieiel und der
gleichen. Das babe ich ja sriiher nie
an dir bemerkt-"
«Lackftiesel und dergleichen-«-M Er
fah mich erstaunt an. »Ich verstehe
tein Wort.«
»Der Schautisien des Schuhma
cherz fesselte doch längere Zeit deine
Aufmerksamkeit."
Er lachte belustigt aut. »Du
kannst mich totschlagen, wenn ich
weiß, was drin steht. Die Sache
liegt tiefer. Jch war bereits einige
Minuten vor elf an unserem Treff
puntt —- «Verzeib«, wars ich ein —
und hielt nach dir Umschau Das
haben mir die Leute gründlich ver
leidet. Drei, vier standen immer
und äugten mich von der Seite an;
keiner ionnte vorbeigehen, obre sich
umzudrehen, und wenn mehrere aui
mich zukamen« mußten sie sich ansto
ßen. Erst war ich wütend, dann
hatte ich Mühe, ernst zu bleiben
Schließiich machte ich kehrt und be
sand mich dem Schauiasten jenes
Fiißbetleidungstiinstlerö gegeniiber.«
»Du tatest unrecht, an kein Ver
halten der Leute Anstoß zu nehmen
Es war nichts ais eine etwas primi
tive Art der Heldenverebrnng.«
»Sehr freundlich. Das mag wohl
sein. Aber wir sind nicht nielkr die
selben. Wir betrachten vieles. was
wir vielleicht einst heiß erstrebt haben,
heute mit gemischten Einpirndungen.
Der Krieg hat eine reinigende Kraft,
er ist ein läuterndes Feuer. Jm wahr
sten Sinne des Wortes. Der Krieg
lehrt einfach und gross denken. Wer
immer an der Schwelle der Ewigkeit
steht, dem verliimmert allmählich das
Organ sür die Eitelkeiten und Nich
tigteiten dieser Welt. Im Felde emp
sindet jeder mehr oder minder deut
lich, daß er dem Weltgeist näher ist
als sonst und eine Frage an das
Schicksal srei hat.«
,Jhr Glücklichen«, sagte ich leise·
»Ja. Das ist der große Gewinn»
siir den einzelnen, der ihm nicht leicht
tvieder verloren geht. Und dann noch!
etwas anderes. Der Krieg entwiilelt
alle Fähigkeiten und vernichtet —
was nicht minder wichtig ist —- Feh
ler und Schwächen, deren man bisher
nicht herr werden lonnte. lind da
will ich ein Beispiel erzählen von
einem, den du auch kennst: Karl
Dindersin!«
»Na ob. Jch habe mit ihm einige
Tage siir die Notpriisnng gearbeitet.'
»Du hast also das Berdiensii«
»Nein Verdienst Nur ein paar
handgrissr. Der Junge ist auch nictst
dumm und hat man rlei Interessen.
Aber er ist ein sthr licher Stotterer.
Nie in meinem Leben habe ich eineiik
Menschen so heillos stottern hören.
Er kann buchstiiblich keine drei Worte
glatt herausbringen.«
»Das hat er in wischen gelernt«
sagte der Ulan ern «Wie, erzähle
ich dir nachher.«
»Nicht möglich. Das wird fiir die
Eltern ja eine überwältigende Freude
sein. Die haben natürlich alles ge
tan, um den Jungen zu heilen.
Sprechturse hat er durchmachen mits
sen, und teine ärztliche Berühmtheit
aus diesem Gebiete ist unbesragt ge
blieben. Aber es hat alles nichts
genaht. Jrn Gegenteil: es schien im
mer schlimmer zu werden. Da gal
ich den Nat, ihn in Ruhe zu lassen.
Nun war er neunzehn Jahre alt ge
worden, ohne daß es ihm gelungen
war, aus den Schulen das Einjiihrige
zu erwerben. Teils wegen seines-»
Spriichsehlers, mehr vielleicht nochi
deswegen, weil ihm spröde wissen
schaftliche Schulacbeit nicht liegt. Jn
tbrperlichen ilebungen ist er gestiihlt: s
ein guter Turner, ein ausdauernder
Schwimmer, eine begehrte Kraft bei
allen Fußballs und Hackeyiiimpsen
Er soll auch, wie ich hörte, ein vor
züglicher Reiter sein. Er wäre jeder
zeit bereit gewesen, durch die Wabers
lobe zu reiten, aber zwei Stunden
Grammatik und Algebra schien ihm
der Gipfel menschlichen Leibes zu
sein. Dann tam der Krieg und die
ministerielle Verfügung iiber die Not
priisungen. Er verstand: setzt oder
nie und seate sich unter meiner An
leitung mit einem Eifer aus die ho
sen, das; es eine Freude war. Er be-—
stand, meldete sich bei deinem Regi
ment und wurde angenommen. Aber
das alles wirst du ja besser wissen
»als ich." »
) seine Ausbildung yat reine vie-.
:««zet)n Tage gedauert. Dann wurde
irr uns nachgeschiitn Er muß alles
im Fluge begriffen haben, denn er
.hat weiter alle Uebungen mit einer
Schneidigteit und Eleganz ausge
siihrt, daß es eine Luft war. Ader
Jnicht inat seinen Namen tonnie der
»kleine Kerl glatt aussprechen Wie ee
sich bei seinem Rittmeister, der ein
etwas riietsichtsloser Spnßvogel ist,
meldete, sagte der: »Ach so, Sie sind
der hi—hi—hi——hinderiini Mensch,
lachen Sie einen doch nicht aus, wenn
Sie Ihren Namen nennens« Und
später: »Hi—Hi-Hi——.hindersin, rei
ten tönnen Sie wie der Drittel. Aber
»als Meidereiter können lvir Sie
»schlecht brauchen. Sie wären ja mit
Ihrer Meldung erst bei Friedens
-ichtuß feitig.« Wenn dann der Ritt
meister über seinen Witz in ein dröh«
nendes Lachen ausbrach und die ganze
Schwadron dazu ieixie, wurde Kurt
"Dindersin rot bis ikoer die Ohren.
Aber er nahm nichts krumm. Er
war ja so glücklich.
Ende September standen wir an
der Maus unweit Verdun, das seit
einigen Tagen sast ununterbrochen
unsere Geschutze umbriiliten. Es
sollte der Uebergang über den Flun
ins Wert geieszt werden. Nun lag da
aus einer Anhöhe Chateau Jvry, ein
prächtiger alter herrensitz, wie ihn
iich mancher von uns in stillen Stun
den erträunit. Das Schloß beherrschte
die Maas tilometerweit, und da es,
wie verschiedene Patrouillenritte er
geben Hatten, start befestigt war, unk.
von Feinden wimmelte, war es- un
.seren Pionieren unmöglich, in dieser
Gegend eine Brücke iiver den Strom
zu schlagen. Zwar hatten wir das
Schloß, das ein Pakt mit herrlichem
Baumbestand den Blicken der Umste
henden verbarg, verschiedene Male m.t
Geschützen tleineren italiberv brichst
sen, aber ein nennenswerter Etsota
war nicht erzielt worden Zeit zu
csllls skkjcllkusscll GLIUJIIULUZ IUU
nicht mehr; der Uebezgnng sollte sc
schnell wie tndglich erzwunkien mer
den. So bekamen nsir Befehl, dir
Anhdhe und Chnteau Jvrh im Zturkn
zu nehmen. Wir hatten alle Listen
sngeivnndh um den Feind zu täu
schen, wir hatten einen Zeitpunkt ge
wählt, der ihn überrafchen mußte
Alles schiert gut zu gehen, nnd mir
traten bereits nuf fünfhundert Meter
herangekommen, als der Feind Plötz
lich ein höllische-Z Moschinengewehr
feuer auf uns eröffnete. Wir hatten
schwere Verluste; meinem Rittvneiftee
wurde das Pferd unterm Leibe er
frhoffen, wohin man fah, wälzten fich
Menfchen und Pferde. Jch felbit tom
auf meinem verwundeten Tiere nur;
noch mit Miihe vorwärts. Es fchien.«
als müßten wir wieder zurück; unserY
Angriff stockte, es fah aus, als wollei
er in sich zufummenbrechen. Dal
wirft plötzlich einer, dem die Tfchnth
weggeichoffen wur, und der bereits
aus einer Kopfwunde blutete, mit ol
ler Gewalt fein Pferd vor, das in
gewaltiuen Sähen davonftiirmt.
»hurra!« fchreit er mit einer Stim
me, die mir noch heute in den Ohren
gelit, und dreht sich noch uns um·
,,huem!« und noch einmal: «Hurra!«
Es war Kurt hindersin Uns alle
übertmn es wie eine Suggeftion. Je
der, der noch ein Pferd unter dem
Leibe hatte, riß es zusammen, nnhm
heraus, was in ihm war, und folgte
dem ftptternden Jungen, der wenige
Augenblicke später, von einem Dutzend
Kugeln durchbohrt, von der Spitze
verschwand. Aber der Angeiff war
gerettet. das Schloß wurde unser-, nnd
am Abend gingen wie til-er die Mang.
s So verlernte Furt Dindersin beim
giltst-n auf shatequ Tit-eh das Stet
silhn mer —iederhnt.
Eine tiesernste Tichichte von Frida Von
Ratt-ann.
Jn diesem Sommer, ehe noch ver
Krieg ins Land beach, sing das Un
heil an.
Mit einer echten «höheren« —
Tochter — bitte.
»Mama. heute will ich auss Flug
seld!« Mit beträchtlichem Aufwand
an Energie wurden diese Worte von
Mitta, der anmutigen, oerwöhnten
gar so jungen Milla vorgebracht.
»O, ueint" gab die Mutter zur
Antwort; mag sein, daß sie durch ir
gend eine Jaeenverbindung sich auf
den Ersahrungssatz besann, wonach
allzuviel Unterhaltung geeignet sei,
den Charakter zu berilaehen, den mo
ralischen Standpunkt herabzudrücken
Vielleicht befiel sie aber auch jene
rätselhaste Bangigkeit, die mitunter
der seltsame, noch unertliirte Vor
bote ist louimender Ereignisse.
»Heute bleibst Du zur Abwechslung
daheim. Es ist hohe Zeit, daß Du
Dich besseren, höheren Gedanken »zu
wendest'«, suhr sie ein wenig trocken
lehrhast fort. Jhr war genau be
kannt, wie gleichgültig der Tochter
die großartigen Errungenschaften
liihner Farschertätigleit an sich wa
ren, daß ihr, natürlich unbewußt,
alles und jedes nur zum »Jahrmarlt
der Eitelkeiten diente.
»Manm, ich habe noch niemals ei
nen Schauslug gesehen!«
Das teilst Du mit allen bedeuten
den und kleinen Geister früherer»
Jahrhunderts ;
Eine wohltätige Erkenntnis war’
ihr gekommen, aber zu spät, denn
Milta war fest entschlossen, das
Flugfeld zu besuchen, und wenn sie
zu etwas sest entschlossen war, so
pflegte sie es auch durchzusehen, un
ter allen Umständen.
Nun spielte sie aus« was sie ihren
stärksten Trumpi fand. »Und Minnen
denke doch: mein neuer Federhut.
Tante Laurag Geschenl. Tie letzte
Gelegenheit, mit ihm Staat zu ma
chen, bevor sich alles in Sommer-rei
sen zerstreut. chältama bitte, hab' ein
Einiehenl«
Wir wollen hoffen, daß nicht m
einem geheicnsten Seelenwintel der
Gedanke lauerte: Grete und Lene
oder wie sie heißen mögen, besitzen
iein solches Wunderding, wie wer
ten sie mich beneiden.
ZJch wäre wahnsinnig unglücklich",
behauptete Mille, die noch nicht wuß
te, was Unglück ist« und ein verdäch-«
tiger Zug trunimte den kindlichen
Mund abwärts, ja fchon begonnen die
hellen, fröhlichen Augen sich mit
Tränen zu füllen.
Das konnte die Mutter nicht mit!
ansehen.
»Tu'z nicht!« bat sie fchwächlich,
denn die dumpfe hernmung nagte
wohl im Unterbewufztfein, befnß aber
nicht genügend Kraft, frei an die
Oberfläche zu steigen. . .
Jhr Kind weinte! Der rechte Mo
ment, er war vorbei gegitten Denn
die friihe Jugend lacht nur über die
graue Theorie der Heilfamleit des
Sichberfagens erfehnter Freuden.
Der einzige Wunsch, den sie kennt,
ist der heißen Er raffeng Und die
verblendete Mutter sagt:
»Seis drinn. Also dies eine
Mal noch gebe ich nach
Ein geschlosseneå ompromiß ge
gen die bessere Erteiiiitiiig. Und
Milla triumphiertr.
Strahlend in Frohsmn und Heiter
leit zog fie ab, den augfchlnggebenden
neuen Federhnt uns dem blonden
Kopf. Einen Hin, gran und n;-eich,
seidig und fchiunnlend, init liinfts
leriieu liihn gebogenem Rand, einem
isppigen Wald mit-much nictender
Etrunfzfedern Drauf, zierlich geträu
felt, eine iiber die andere gebäuint,
dass kuteifierwert und der Stolz ir
gend einer- blühenden Punmacheriik
neitphantusie. Ein Hul, gelungen wie
unter Hunderten wieder ein einziger.
Eigentlich zu schön, zu pruntend fiir
Millcis siebzehn Jahre, aber Tante
Lnum hatte gemeint, nichts fei gut
genug fiir ihr Patenlind und gab
likeie Weisheit noch dazu vor des
Mädchens Ohren zum besten.
Milla belani nlfo den Federhut
und fuhr glückselig mit ihm aufs
Flugfeld
l
Während der folgenden Stunden
glaubte sie, noch nie im Leben so ver
gnügt, so befriedigt, so vollkommen
wunschloo sich gefühlt zu haben.
Das spannende, nervenreizende
Schauspiel war ihr ja nen; oft hatte
sie das Gefühl, selbst durch Weihn
blau zu fliegen, aller Etdensihwere
los und ledig ; sie bejubelte die muti
gen Piloten und folgte in nteinloser
Erregung mit den Blicken den ge
lungenen Schleifen und Kreisen, die
von den Lustfahrzeugen hoch über
den Köpfen dei- Publituing ausge
führt wurden.
»Wirllich, das Märchen vom Jlas
rus: der Ausstieg zur Sonne ist hier
znr Wahrheit geioorden«', dachte das
Geschöpf und fand den llassischen
Vergleich ungeheuer originell. Jm
Kreis ihrer Freundinnen sasz sie auf
einem der besten Plähe und ergötzte
sich insgeheim an den bewundernden
Blicken ihrer Gefährtinnen, den
Blicken, die an dem berühmten Feder
hut hingen, der solcherart vermochte,
sogar dem Drachenflieger Konkurrenz
zu mag-en.
Daß eine, die Jüngste aus der
Schat, fehlte, beachtete man kaum im
Hochgeghl des Erledens so erstaun
lichee inse. Auf eine sliichtige Fru
e Minos an deren ihr zunächst
wende Sch et lautete die ver
legene Aus unt: »Ach, eine leichte
Ertiiltung!«
Und munter lachte und pltsnderte
man weiter. «
Als Milla, erfüllt von der Groß-(
artigteit des Geschauten und nicht
minder von ihren persönlichen Erfol
gen, heimkehrte. stürtnte ihr Annle,
das Nesthätchen, entgegen, jauchzend
und voll Neugier nach Berichtenz
Mitta, er iihlte immer so schön vons
allen Festen, denen sie beigetvohnt,«
rot. Biillen, Theatern, Konzerten, es
war beinahe, als sei man selbst da
bei gewesen. Dienstsertig, voll Freu
de über den Anblick der geschmücktem
großen Schwester, streifte ihr die
Kleine die Handschuhe ab, löste die
Schleifen der Boa und ;og die Na
keln aus dem Feder-but Dann hupf
te das Schwesterchen aus Milths
Knie, schlang die Arme um ihren
Hals und lauschte, eng an sie ge
schmiegt, den buntfarbigen Erzäh
lungen. So oollstreate sich das durch
tsen neuen Federlput l)eranfbeschwo
rene Schicksal.
Denn die Unpäßlichkeit der ausge
btiebenen Freundin, nach der Mitka
sich erkundigte, hatte sich alr- Schar
lach herausgestellt, und die von ihr
Besragte, neben der sie Stunde um
Stunde während der Zchaufliiae ge
sessen, war geradenwegs aus dein
Krantenzimtner getomcnen
Und nach wenig Tagen legte sich
auch Millas Schwesterchen hin, die
sanfte, liebliche Annie, zu der sich
unsagbar die furchtbare Rette hin
i«:bergeschlungen. Mit ihren zarten,
empfindlichen Hänfen hatte sie die
lileidungsstiicke beriitsrt, ihre Man
ae daran gelehn:, ihren Mund zärt
lich daraus gedruckt.
So war es eben geschehen.
Und wieder wenige Tage später,
da lag die Kleine still unter Blu
men nnd Spitzen Feierlich knister
ten die Kerzen, die goldenen Flämm
chen weinen, die Bluten dusteteu süß
und traurig.
Das Kind aber liichelte holdselig
heiter; eH lachIlte so unirdisch ver
t!·cirt, wie nie Iebendige Lippen zu lä
cheln vermögen. Unsäglich fried
sam schien es zu sagen: Um mich
braucht ihr nicht zu weinen, denn ich
— ich weiß.
Noch einmal gab die Mutter Mil
tae Bitten nach.
Hochsoinrner wars und der Krieg
tröhnte über die Lande, in seiner
grausamen Mrjestät, als der Him
inel sich rötete von Feuerschein und
die Erde sich tötete von Blut.
Milta wollte Pslegerin werden.
Sie wollte arbeiten, dulden, sie
wollte sühnen. Sie hoffte, die Gnade
sich zu erringen, Leben zu erhalten«
Leben wiederzugewinnen zum Ersatz
siir jenes eine niuttvillig im Frevel
der Eigensucht hingeopserte.
Die Mutter. obgleich nun gänz
lich vereinsanit, ließ die Tochter zie
hen. Vielleicht ioiirde ihr dann z rie
de werden. Es tnnn sein« da sie
bedachte, daß es nin Menschen Most
licheres zu retten gibt als den Leib
aus Staub und Asche. Milta mal
iet an Kranken- —- und an Ster
bebetten. Sie lallt Fiebergluten, nnd
ihre Hände streichen toie linde, wei
che Flügel über erblassende Stirnen;
sie drückt brechende Augen zu nnd
iscrliindet Worte des Heils-. Dem
Zweifelnden weist sie den Weg zum
Licht und scheucht dein Trost.irnie11
die quälcnden Eit«21tteii. Jn ihr aber,
die sriiher so l)eif;, so ungestiiiii ge
wünscht hat, isi nur mehr ein einziger
Wunsch lebendig. Sogar die arme,
verlassene Mutter würde ihr die tie
siillung dieses Wunsches vergönne-in
dieses allerletzlen
Und die Ursaake vom Gang dieser
Geschicke wäre wirklich nur nichtiaer
Tand gewesen, nur ein Fordere-ist«
Millas neuer Jederhutil Erbärm
liche, winzige Cinge sollten imstan
de sein, Mensiljeiischicksale aus den
Angeln zu hebens Wäre wirllich
alles anders geworden, ohne jenen
Federhui, der greifbar Schuld trug
an Mittag verstöriem Lebens An
dem Ende des harmlos - lieblichen
Kindes, das scheiden gemußt, ehe es
noch, volleewacht, das Daseinsgliick
empfunden? Schuld daran, daß die
Mutter einem leeren, sreudlosen Da
sein entgegengehi?
Ein Federhui, nur ein Feder
hul?
Wäre dem witllich so, wie miißs
ten in Verzweiflung zusammenwe
en.
Wir wissen jedoch, dem lann nicht
so sein.
Demuiövoll glauben wie, dasz alles
Geschossene, alles Gewordene, Großes
Und Kleineö, Erljabeiies und Gerin-s
ges nur Werkzeug ist; daß die strah
lende Sonne hoch oben und Millas
neuer Fedethui, ein buntrollcnder
Spielball ebenso qui wie die gigans
iifchen Geschütze, vor denen das ge
waltigsie Menschenwerk zerspliiiert
gleich Glas nur dazu dienen, den un
eegeiindlichen Willen, die geheimnis
rollen Absichten einer höheren, unbe
xchreiblich weisen Macht zu vollsitel
en.
gi- zsesriyem I
Eine friedliche Arie zgeschichte von Ell
win s ömer.
«Evelore, schnell, schnell, Solda-.
ten!« rief aufgeregt die sonst so ge
messen nnd von ihrer Wiirde bei rg
iiberzeugte grau Rätin Holz ch ins
das Baltonzrmmer zuriict, wo ihr-I
Tochter auf einem Scknutelstulil III-s
sig auf und nieder wi; pte nnd dabcrt
an einem Strumpfriesen nur- graues
Wolle strickte.
Das blonde Mädchen erhob sich ge
lassen und trnt aus den Ballon hin
aus. Von fern her trug die Mor
genlust eine Klangwelle die Strass
herciuf, die zum Bohnhos führt«-.
Deutlicher und stärker wurde sie. Im
mer reicher und voller strömten die
Töne aus den Hunderten von be
geisterten, tampsfreudigen Männer
iehlen. Zuletzt, als sie dicht unter
den Fenstern der Holznchschen Woh
nung voriibermarschiertem Fliehen si:
einem alle Nerven durchrieselnbej
Brausen. das- anch weniger Empfind
samen die Tränen in die Augen trieb.
Die Frau Rätin konnte nicht anders.
Sie sang rnit, indem sie ihr weiße-J
Taschentuch dazu im Winde slnttern
ließ:
i» Lieb' Vaterland, magst ruhig fein:
Fest steht und treu die Macht, die
Wacht nm Rhein!«
Evelore hatte in Sinnen verloren
hinunter gestarrt. Mancher muntere
Blick war herauf geflogen von dieser
stattlichen Reserveleiitem die zur Ver
stärkung nach dem Osten des Reiche-z
abgingen und von Ungestüm fast ver
zehrt wurden an den verruchten
Feind zu tonimen, der deutsche Kul
tur unter seinen beutegierigen Bar
barensrhwiirmen zu zerftainpiexi
drohte.
Einmal bitte Ev lore unwillkürlich
zum Herzen gegriffen und ihr Antliys
war jäh erblaßt. !
»Warum singst Du denn nicht mik«
Evelore?« fragte unwillig erstaunt die
alte Dame, die sich bei diesen täglich
wiederholende-i Vorbeimcirtchen in»
immer neuern liiiier zeigte »Wie
tann ein deutsche-J Mädchen so elenn
gleichgültig bei solchem Vorgang blei
ben?«
txvelore schuttelte mit einen:
schmerzlichen Lächeln den Kopf und
ließ die zwei großen eben entstande
nen Tränen achtlos iiber ihre wes-»
chen Wangen rollen.
»Ich tann nicht!« sliisterte sie mit
einem leisen tiefen Seufzer. »Es
schnürt rnir etwas die Kehle zu,w-n1
ich sie so hinausziehen sehe in den«
Kampf, wo sie alles hinopfern, Ju «
gend, Kraft, Zukunft.
»Ja freilich!« brummte die Natisc ;
»Aber das ist Baterlandspslsch chtl Gotii
sei Dant, daß wir so tenlen!«
»Wir?« sragte Evelore gequält.
»Was tun wir denn? Wir stricken
Kriegsstriiinpse und winken, wenn sie
ausmarschieren l«
s »Und opsern siir’·s Note Kreuz nnd
tin der Volkstiiche tun wir auch un
sere Schuldigleit!«
»Wir sind da zu entbehren. Arme
stellenlose Frauen wären viel eher am
Platze und tönnten mit einem noch so
geringen Lohn dadurch von den
schlimmsten ihrer Sorgen wenigstens
befreit werden. Aber überall sprei
zen sich die Töchter aus den soge
nannten besseren Familien, weil sie’5
umsonst tun. Als wenns gar keine
andere Möglichkeit gäbe, zu l)elsen"
»Na, erlaube malt Was ficht Dick
denn an’« entrüstete sich Mann
Holz« -..ich
»Ach Gott« ich weiß selbst nirlt J i
bin totungliictl ich!« schluchzte Eve or
und trat hastig in das Zimmer zu
tück.
Tie Frau Natin nickte ein pn
mal nachdenklich
,,.-.Hist ihn also auch gesehen?« sagt
sie dann. »Ja, sie niiissen alle mit
Tag lann nnn mal nicht-J helfen
Uebrigens sei froh, daß Du setzt nichll
in diesen Verhältnissen ste-.ist! D«
könntest Du schön was erleben!«
»Wie meinst Du dass-«
»Nun, jetzt hattest Tn das Geschäft
allein ans dem Halsri«
»Und was wird to b.rr.nls’t"
»Bi-J nächste Woche siihrt es sein
Vrnder weiter! Dann musi der auch
sott. llnd wenn sich bis-«- dahin kein
Häuser gesunden hat, schließen sie ek-,
bis der Krieg zu Ende ist«
»Weder weißt Du das alles?«
»Die Adlerwirtin gegenüber hats
erzählt. Sie übernehmen die Sucher-,
die sich nicht halten, siir ihre Küche.«
»So ist also seine ganze tiipsere
Arbeit umsonst gewesen? O, wie ists
das schrecklich!« ’
»Viel schrecklicher noch wär’—«5, rvenisi
Du Dich jetzt abraetern müßten Dein
bißchen Geld wäre natürlich mit hin
eingesteckt worden. Er hatte ja große
Nosinen im Kopfe, wenn Du ja ge s
sagt hättest! llnd nun siiszest Du du«
. Gott sei Dank, das-, er sriih ge
nug damit ans Licht tmn, sich so
ein Geschäft gründen zn wollen! Eine
Rathanstochter mit einer Mamsellen
schiirze hinterm Ladentisch! Es were
wirklich eine Zumntiing!«
Eveiore antwortete nicht. Ske
dachte noch einmal nn den Blick, den
er vorhin ans sie geheftet. Wie hatte
er ihr im Herzen gebrannt! Wie
schuldbewuszt war sie sich plötzlich vor-.
gelomment
Damals. als er sie umworben, hatte
das alles in einem unmöglichen Licht
vor ihr gestanden, wag ihre Ratten
soeben trinmphierend noch einen-s
ausklingen ließ! Gewiß hatte sie ih
geliebt, von Herzen. Jn seiner arti(
gen Zurückhaltung seinem schlichter
nen und doch tnnigen Werden way
ein Zug gewesen, der sie schnell ge
fangen genommen hatt-. Wäre es
aus seinem Bzzcbhalterposlen in des
großen optischen Fobrit ges-lieben
nnd später viel-lockst eintnat zum Pelz-.
lnristen ausgeriåctt, hatten Manna uns
sie selbst tetne Bedenlrn gehabt, fthis
in die Familie auszunehmen. Ubert
da hntte ihn der Ehrgeiz gepackt —·!
ein lächerlicher Ehrgeiz! holte dlq
Frau Rat böse lächelnd gesagt --t,
selbständig zu toerden.... J
Und trotz seiner schweren, schmerz
lichen Enttanschnnxk halte sie ihn voll
sich gehen lassen ans Niewiedersehen. .
Wie ein drnclender Gisinebel kegtc
sich ihr dns Geiiibl ans die Brust, ein
Unrecht benennen zu haben damals.
Denn wie asnz anders sah di
Welt jetzt ans-, miehoem der große
reinigende Ett.rt::!)o.tkh einer genieith
schriftlichen Gefahr, eitler in alten
Herzen gleichsnasng lodernden Ent
riistung über die deutschen Gauen
htntveggetveht nsark Das Gefühl der-«
thsnnnnengehorigleit ronr wieder ers
wncht Der Hutte-werter nnd den
Kaufmann, der Arbeiter nnd dez
Bauer, der ganze Benmtenschwnrne
von der obersten Sprosse an bis hin-«
unter zum bescheidenen Schreiber nng
Briefträger: sic- nlli rannten sich plus
lich wieder. Ratt-but grüßte denNcchs
bar. Hoch unt- medrig studierte die
Extrnblätter nnd lauschte lebhaft eines
Meinung iiber die letzten Nnchric1,tele
aug. Und jeder bemühte sich, kenk
anderen niclxt Tarch ein unbedachtes
Wort wehe zu tnn Jeder suchte
von seinem Platze uns nnd nach sen
nen Kräften zn helfen War eH wärt-.
lich noch eine Schande siir eine Rats-e
:oc1)ter, hinter ekneni Ladentisch-e zu
stehen nnd in Stellvertretung eine-?
vor den Feind aezogenen lieben, tap-.
feren, lernhnitecx Mannes seine Volks
genossen zn liedienrt:«-.-’....
Evelore rljstcte fiel) zum Ausgang
»Wohin?« srciate die Frau Reitixe
verwundert .
,,Jch habe ganz nötig etwas zu Lus
sorgen!« erklärte die Tochter unb eilte
davon. Als sie verspätet zu Tisch
kam und Max-m Holznch ihr Vor-«
haltnngen machen wollte, ties sie
frisch nnd energ:sch, wie es seit in
chen nicht von ihren Lippen getlnn-.
gen hatte: .
»An-gen Dieb nicht, Maine-! Es
ist zwectlog und kommt noch vief
schlimmer!«
»Was heiiit das-V erkundigte
Mamn sich entsetzt.
»Von nächster Woche ab komme ichs—
überhaupt nicht mehr zu Tisch. Du
nlußt Du mir inein Mtttagbrot schil
ten, wenn Du Tich nicht als Raben
mntter nusbieten lnssen willstt« but-te
Evelore vergnügt »Ich bin heute in
die Lehre getreten!«
»Jn die Lehre-'s«
,,« a, nber es dauert ni.1;t lanqe.
Nächste Woche schen bin ich Den
Ehes!«
»Aber, Evelorek Ich glaube, To
hast Wein getrimten!«
»Nein, Manier nber Paul Gäh
rinns Geschäft herbe ich getauft!«
»Evelore, das-. ist nimt wahrt« schrie
entgeistert die alte Danie.
Aber eI war deswegen doch wahr
Die so schnell zur Blüte gebracht-:
Südsruckjb nnd Delilatessenhandlniin
von Paul Glihring in der Hutten
straße wurde nicht geschlossen Elle-l
lore führte sie fort mit wachsende-:
Umsicht. Tie Wirtsleute mie- dcrrl
»Goldenen Adler-« gegenüber standen
ihr wacker znr Seite. lind die Bur
gersihast aller Schichten der hübsch-te
kUiittelstndt sanis e-« lieb ian gescheit
nnd grüßte die Frau tliiitin nicht min
der respektvoll, irsran sie ihr nuf der
Straße begegneno
....»?llg lex itnterosiisier Paul
Glöhrinq vor ein paar Tagen einen
Tun-Sport rnssilehn Gesangener ia
das- nahe der Stadt gelegene Va
rxtctenlager bringen mußte, s.Ino er
zn seinem Erstaanen sein heimlich be
tranertes Geselfiist in vollem Betriebe.
Der Adlerwirt, sein Nenitbar nnd·
Freund, stand in seiner Hanstiir nnd
nidte dein Antonanenden bedeutunng
kssl «
»Verl«auftl« sngie -r schmnnzclnu
nnch der erste-. s herzhusten erüßisnm
»Aber, Dn sannst es wieder hat«-n,
wenn der veknniledeitr Krieq zu End-:
ist!«
»An Iven?' forschte der ststilich-.,
von Luft nnd Sonne nrq gebt-Einspr
Mann.
»An einen Brinnnttn von Dir.
Geh nnr hinein nnd sug« ihm Guten
Tagl«
»Da bin ich doch wirkli-i1 neugi
rig!« lachte Göhring nnd schritt ist
den Laden hinüber
Und da ihnen crgliihend bis ask
die Hnnrivitr·3clii ver neue Chef nnd
trug die weiße Schütze mit ebenso
viel Stolz wie Anmut
»Evelote!« snnnmelie er giiickspli.3.
Und Iookflog fnnk fte ihm an den
feldgmnen W-1fienrock· . . .
Das Eiserne Kreuz wäre ihm nicht
lieber gewesen. . . «
—-.-—--—
——·M ä r d: e n CI war einin of ein
Engländet, der wahrhei sgemciße
Kriegsbekichie ersinflete.