Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 04, 1914, Image 9
Nebraska Staats-» Anzetger und J cerold. Istkfss , stne Erinnerung aus dem großen Kriege. Von Frau Wichmanrn Ein eigenartiges Gefühl beschlich uns. Wir näherten uns der Grenze. Das laute Lachen, Singen und Joh len, selbst die-Unterhaltung begann zu derstummen, tn den vollgepfropf ten Wagen ward es stiller und stiller, jeder empfand die drückende Gewitter kchwine der Jutitckgen vie sich bezug igend aus Brust und Kehle legte. Nur das Gespräch zweier Füsiliere tönte zuleht ncch durch das dumpse, sast wie aus Kommando eintretende Schweigen. »Du, Beinen-, it globe, dein Tor nister is unter de Bnnt jesallen.' »Me, sällt ihm ja nich in.« »Aber da is doch wat.« «Wat wird denn dn seini« «Janz toat Weeches, et rührt sich.« »Du träumst wohl, Knille.« »Een hundebiest muß es sein« das sich eingeschtichen hat. Na wart’, dir werden wir gleich hat-ein« Der Soldat griss herzhast unter die Bank. Als er aber zu ziehen und zu zerren begann, schnellte dai unde stimmte Etwas plötzlich hervor und stellte sich nus die Führt acZzie beiden Fiisiliere prallten zu r . »Na —- fo wal!« «Nu brat« mi: aber eener ’nen Storch!" «Een wahrhaftigen lebendiger Junge.« » lt als blinder Passagier mitge fahren-« ,,Na, dir werden wir dald"wieder an die Luft befördern, Kleener!« Jeyt waren auch die anderen auf merksam geworden. Einen Augen blick starrten alle verblüfft auf das feltene Wefen, dann brach ein schal lendes Gelächter aus. Der Anblick lvar auch zu lomifch. Es war ein bierfchrötiger Bengel von im ersten Augenblick abschrectens der häßlichteit, der da zitternd mit ten im Wagen stand. Struppiges, ro tes hat-r umabinte einen eilige Kopf mit harten Zügen und großen, abstehenden Ohren. Das Gesicht er fchien viel zu alt filr den Körper ei nes laum Fünfzehnjiibrigem Der fa denscheinige Anzug war vom Schmutz des Wagenbodens bis zur Unkennt lichteit bedeckt, die eine Hand um llammerte ein Schirmgeftell ohne Uebel-zug, die andere hielt lrampihaft eine ziemlich große Mundharmonita umschlossen. Nur eins war schön an der abfchreclenden Erscheinung, oao tiefe, braune Auge, aus dem es wie ein fonniger Glanz von Wärme und Treue itralilir. Dieses Auge war Llehend auf die Soldaten gerichtet, ie plumpen lijpiinde fuchten sich bit iend zu falten, doch iiber die dicken. wulstigen Lippen, die sich zuckend be wegten, lnm lein Wort. Jn der Ecke des Wagens erhob sich Leutnant Riegler, ein stattliches-, iu gendiich schöner Mann, der beliebte ste Ossizier unseres Bataillons. »Was will denn der Knirps dei« Die Soldaten lachten. »He, Knirps —- wcrt willst duii Antwortefwenn der here Leutnant stagt.« Jeht öffnete sich der Mund des Burschen mit einem breiten Grinsein «Jn’n Krieg will ich, Franzosen ver sen-« Wieder brüllende Heiterkeit. »Du —- in'n Krieg? —- Dich tön nen’5 als Flügeimann brauchen in der erst-I Kompagnie." « , » wohl General werden, II .Itae, aber Mustt sann ich euch ma chen.« Er hatte schnell seine harmo nita an den Mund ge est unt- be gann ganz regelrecht zu blasen. Unwilltiirlich stimmten wir alle könnend in die Melodie: »Ach, du lieber Augustin Alles ist hin, Geld ist hin, Gut ist hin —«· Der Leutnant, der herangetreten war, gebot Schweigen. »Na, was ifi denn mit dir, Junge7« wandte er sich an den sosort ehrerbietig sein Instru ment Absetzendem «Spasz beiseite — aber hier kannst du doch nicht bleiben. Der Krieg, in den wir gehen, ist teine Sache siir Kinder.« «Jch tvill schon groß werden« herr Leutnant. Und alles tue ich, was ihr wollt, iiberall will ich mich niihlich machen, nur nehmt mich mit.« Die resolute Antwort chien dem Osstiier zu gefallen. r lächelte wohlwollend. »Wie bist du denn da hereingetommen, Entschei« »Ja Waldenstadt has ich mich ein geschmnsgeit. Wenn alles in den Krieg geht, tann ich nicht zu hause ruhen« aNun, das beste wird sein, wir» schicken dich heim zu Mutterm Gleich aus der nächsten Station.« Der Junge fiel plöslich aus die Knie, und seine schönen Augen baten so innig, daß wir alle gerührt wur den. »Nu: das nicht, here Leut nanti Nicht wieder heim zur Stief mutter-. Die ist froh. wenn te mich los ist. Nichts ais Prügei b’ ich gekriegt. Jett aber möcht' ich mal andere verpeiigeln.« uMit dem Regenschitm daf« Der Leuinani mußte lachen, aber ee schien schwankend zu werden. »Ich hol’ mir schon was Besseres von den Franzosen, eine Flinte, einen Säbel —« »Na. Coueage scheinst du zu haben, Knirps« und eigentlich gefällst du mir.« »Lassen Sie ihn mit, herr Leut nnni,'· mischte sich der Unierofsizier Becker ein, »vielleicht können Sie ihn als Burschen verwenden.« »Ja, ia.« riesrn wir alle, »Zum-s soll mit, als housinecht vom Butoib lon! Hutte-, Knirpb!« »Na, werde mal mit dem Herrn Major sprechen. Wenn der nichts da gegen hat, meinetwegen,« entschied Leutnant Riegler. »das Kommiszdrot wird auch siir ihn noch reichen.« Die Lösung machte uns allen Freude. Unfere momentane triibe Stimmung war vergessen. Alles be schäftigte sich mit dem häßlichen Jun gen, der jetzt, da er hoffnung hatte, dleiben zu dürfen, förmlich auftaute, einen derben, frischen Humor entwit ielte, bald spielte, bald allerlei lustige Lieder sang und uns durch seine rüh rende Begeisterung fiir das Solda teuleben alle mitriß. Ehe es uns recht zur Besinnung kam, war die Grenze erreicht, wir verließen den Zug und begaben uns ins legte Quartier auf heimatlichee Erde Arn anderen Morgen begann der Marfch in Feindesland, und der tleii ne Kriegsfreund durfte mit uns zie hen. « Schon nach dem ersten Treffen stellte es sich heraus, wie brauchbar un er Knirps war. Diesen Namen fii te er im ganzen Regimente, und wenn man ihn damit anrief, so lä chelte er allemal so zufrieden, selbst gefiillig, als wollte er sagen, in eu ren Augen bin ich ja doch viel mehr und viel größer. Und in der Tat war es so. Er wuchs wirtlich mit uns in Not und Gefahr, und seine Kleinheit, seine Häßlichieit sah teiner mehr von und. Wie oft erheiterte er ung, wenn wir, traurig von den Gräbern gefallener Kameraden zu rückgekehrt, an den rauchenden Macht feuern lagenl Immer wußte sein urwiichsiger humor den Dingen neue, tomische Seiten abzugewinnem nicht am wenigsten sich selbst. Sein Aeus ßeres allein schon, das et bald dem Kriege angepaßt hatte, mußte heiter teit erregen. Mächtige Kanonensties fel betleideten seine Beine, an die Stelle des Regenfchirms war ein aus dem Schlachtfelde aufgelefener fran zösischer Kavalleriesäbel getreten, im Gurt trug er einen ebenfalls erbeu teten Revolver. und der Jägertschato, der seinen Kon bedeckte, ging ihm fast bis über die Ohren. Nur die alte harmonita war feine stete treue Begleiterin geblieben. Die ersten blutigen Schlachten la gen hinter uns und Knirps war der Liebling des ganzen Regiments ge worden. Besonders die Ofsiziere, bis zum Divisionötommandeuy be iinstigten ihn, was er in seiner Wei fe zu vergelten wußte. Zumal in de zug auf die Verproviantierung leiste te er ihnen unschiißbare Dienste. Mit einer seltenen Findigkeit wußte er auszuspinonierem wo es etwas Gutes gab, und oft genug erschien er, mit freudigem hallo begrüßt, bei den Vorpostem unter jedem Arm eine tote Gans. Von Anfang an hatte sich Leut nnnt Riegler des originellen Burschen in liebevollster Weise angenommen. Ali Knirps unsere höusigen Gewalt mörsche beschwerlich fielen, war er es. der ihm ein erbeutetes sranzösischei Maultier verschasstr. Jn ein paar Tagen lernte der Junge, der nie aus einem Pferde gesessen. retten, und von nun an trabte er ausrecht tm Sattel und mit ersichtlichem Stolze an der Seite des Baumeer Auch in anderer Weise wußte er sich von nun an niihlich zu machen. Entweder seinen Leutnant oder den Regimentslomrnandeur begleitend, über-brachte er den ein einen haupt leuien aus« schnellste a e Meldungen und versah selbst den Dem-unans dienst zwischen dem Obersten und dem Ovisivnilommandeun Gab es aber nichts anderes zu tan, st- hats er den Ilerzten beim Beebtnden der Verwundeten, und eines Sie-geh alt »diese, von seindlichen cusaren über cascht, tn Gefangenschaft gerieten, ge lang es ihm selbst, mit unglaublicher Mtihnlpeit seinen Verfolgern zu ent rinnen. Für die Zukunft des mutigen undi Igewandten Burschen eröffneten sich! lbald die besten Aussichten. Längstl warn die Ossiziere des Regiments itiber ingetommen, ihn augbilden zu Massen, und er schien berufen, eine lschiine Katriere zu machen und etwas Tüchtiges zu leisten. Aber es sollte anders kommen. Die Schlacht von Sedan war ge schlagen, Napoleon gefangen und das Ende des Krieges schien nahe. Da stampfte die patriotische Energie Gambettas neue Armeen aus dem Boden und das blutige Ringen ve gann von neuem. Schon vor Paris gelegen, mußten wir mit der Armee des Prinzen Friedrich Karl den Marsch nach Süden antreten, und bald stand unser Korps bei Beaunelas Rolande der LoireiArmee unter Au relle de Paladines gegenüber. Es galt, ihren weiteren Vormarsch nach Paris zu verhindern, und am Morgen des 28. November wußten wir, daß uns ein schwerer, blutiger Tag bevorstand. «Guten Morgen, Füsiliere!« Wir mußten hell auslachen. Vor der Front unserer zum Vormarsch aufgestellten Glieder ritt der Knirps langsam und feierlich, bitweiten mit komischen Bewegungen sein Maultier parierend, einher und musterte uns durch das gliiserlose Gestell einer al ten hornbrille. Der düstere Ernst, das niederdrückende Gesiihh einer gewaltig-n Uebermncht gegenüberzu stehen, die sich des Regiments bemäch tigt hatten, waren verslvgen, wie da mals, als wir uns der Grenze nä herten und sein Austauchen alle trü ben Gedanken verscheuchte. Das mochte er wohl gewollt haben. Denn jeyt, als die Tro mel zur Attacie zu rasseln begann, s wentte er ab, ver ließ sein Tier und stellte sich an die Seite seines Leutnantd. Borwiirts ging es, dem Städtchen en;gegen. Nachdem das 10. Armee torps unter Votgts-Rhetz bereits alle verzweiselten Angrisse der französi schw Entsaharmee zurückgeschlagen, war uns die Ausgabe geworden, den Tag durch die Crstiirmung von Beaunela-Rolande zu entscheiden. Jn dem kleinen Orte hatte der Feind sei ne letzten noch widerstandsfähigen Kräfte gesammelt und ein heißer Empfang war zu erwarten. Jnö Gellen der Hörner, ins Ras seln der Trommeln mischte sich bis weilen ein seltsamer Ton. Es war die Harmonila des Knirpse5, der auch jetzt wieder sein Leiblied, den »Lieben Augustin«, blies. Sein Bei spiel seuerte uns an, sein Spiel bei geisterte uns mehr als all die trieges rische Musik« Und es ging besser, als wir gedacht. Fast ohne Widerstand zu finden, kamen wir an die ersten häuser heran. Die Kugeln zweier Batterien. die den Eingang slantieri ten, flogen über unsere Köpfe hinweg. Ehe die Kanoniere sich’s versahen, waren sie niedergemacht, die Geschiige in unseren Händen Mit lautem Siegesgeschrei ging es in die engen Gassen hinein, die uns leer und stumm entgegengiihnten. Unser Leutnant sluchte. Sollte der Feind sie verlassen haben? Das tiese Schweigen war ihm unheimlich. Aber er siihrte uns weiter bis auf den Haut-May wo von allen Seiten die Straßen mündeten. Der dichte Pul verrauch, der die Stadt erfüllte, ließ im ersten Augenblick nichts erkennen. »Zum Teufel, wo stecken sie's« sluchte der Leutnant Riegler. «Das bedeutet nichts Gutes.« Plöhlich zerriß ein frischer Wind stoß den graugelben Qualm, er hob sich und blieb iiber uns schweben wie eine leistende Wolke des Verhängnis fes. Durch alle die Monate, die wir im lde standen, hätte tein Mensch uns eigheit varwerfen können. Jetzt aber erstarrte uns das Blut in den Adern bei dem Anblick, der sich uns bot. Wir waren in eine Falle ge raten, aus der es tein Enttinnen gab. Jn allen häusern, die den Platz um gaben, wimmelte es von Mobilgars den, aus jeder Oeffnung starrten uns drohende Flintenliiufe entgegen. Die Eingänge der Straßen waren mit Kanonen bepflanzt, Artilleristen mit brennenden Lunten standen daneben, und dahinter erhob sich unbeweglich, einer eisernen Mauer gleich, die Mas se des französischen Faßt-alles, das Gewehr im Anschlag an der Wange, die tausend totbringenden Münduni’ gen auf uns gerichtet. Wir alle sahen auf den Leutnant, sahen, wie sein von Schweiß und Staub bedecktes Gesicht erblaßte. Aber die momentane menschliche Re gung überwindend, faßte er sich, hob den Arm und rief-. «hurral Jeht illvien wir sie! Draus und dran, w — Sein Rus wurde von einem obrens betäubenden Krachen verschlungen. Die Hölle schien ihren Schlund zu Zssnen und Rauch und Feuer aus uns zu speien. Dann solgte S reien, Jammern und Aechzem und a s der bläuliche Pulverdamps sich lichtete, sah ich michs selbst unversehrt mitten in einem hausen Toter und Verwun deter. Nicht mehr als acht Mann waren von unserer Kompagnie übrig gebliebem Dicht vor meinen Füßen lag Leutnant Riegler. Der Heim war ihm vom zerschmetterten Kopfe gerissen, er atmete nicht mehr. Da neben aber stand aufrecht ebenfalls unversehrt, die Zähne auseinander gebissen, der Knirps. Jch saßte ihn an der Schulter-. »Komm —- fliehen wir —- jeder Wi derstand ist vergebens.« Er weigerte sich, trotzig den Kops schüttelnd. »Ich bleibe bei meinem ärutnanh Sie sollen ihn nicht ha n.« T.,ditiist du von Sinnen, es ist dein o .« »Ihr werdet wiederkommen und ihn holen.« Jch sah, daß alles umsonst war, sund schloß mich den Kameraden an. Glücklich gelang es uns, den Ein ;gang der Straße zu gewinnen, aus »der wir gekommen waren. Jn tol lem Laus ums Leben ging es den lett sten Häusern zu. Wir waren im jFreiem gerettet. Und dort über das sossene Feld her rückten bereits neue jSturmlolonnen der s. Division zu unserer Hilfe. I ) Zum zweiten Male ging es mit ’Hurra in den Ort, diesmal mit Iiiberlegener Macht. Am Eingange » des Hauptplaßes aber blieben wir un swiuriixiich stehen. ! Respekt vor dem tapferen Jun igenlk murmelte der Hauptmann: Zwenn einer, hat der sich das Eiserne Kreuz verdient." Mit dem Rücken an die Brunnen siiule gelehnt, stand da noch immer der Knirps und hielt mit gezogenern Säbel bei der Leiche seines Leutnantg Wache. , Die Franzosen schienen seinen Mut zu ehren. Langsam, zögernd rückten fte aus den Seitengassen gegen die Stelle heran. Hier und da hob einer die Büchse, aber sein Nebenmann »schlug sie nieder, oder er sentte sie, von Achtung ergriffen, selber, ohne lzu schießen. ! »Vorwärts, Kinder, rettet den klei inen Helden!«« tlang die Stimme des i Hkruptmanns. Nur von dem Gednnlen beseelt, stiirrnten wir vorwärts-, obwohl die Kugeln der Franzosen aus uns nie derprasselten, wie wenn man Erbsen »aus einem Sack schüttet. i Schon waren war nahe heran. Da .wars der Knirps feinen Säbel zu iBodern riß den Revoloer aus dem sGiirtel und richtete ihn aus den vor dersten Mobilgarden. ! Die Bewegung wurde sein Verder »ben. T Aus einem Hause zur Seite, in dem sich Franlttreurs eingenistet hat ten, fielen siins, sechs Schüsse aus einmal. Der Kleine ließ die Waise fallen, tat einen Lustsprung und stürzte tot vorniiber auf die Leiche seines Leutnants. »Macht ihn, rächt unseren Knirpsl« scholl es hinter mir. Von grimmiger Wut erfüllt, stürz ten wir weiter und diesmal gelang es uns, den Widerstand des Feindes zu brechen. Ein turzes, wildes Ringen in den Straßen, ein verzweifeltes Handgemenge in den Höusern, von denen jedes einzeln erstürmt werden mußte, dann riefen die Hörner zum Rückng und die Franzosen riiumten den Ort. Der Sieg war unser. Aber er ließ teinen freudigen Ju bel austommen. Von allen unseren Verlusten schmerzte uns am meisten der wackere Knirps. Die Freude des Batailloni war mit ihm dahin. Am Abend senkten wir ihn mit sei nem Leutnant in das gleiche Grab »und seuerten iiber der Grube die Eh rensalvr. Manchem meiner harten Kriegsra mekaden fah ich Tränen über das rauchgeschwäkzte Gesicht rinnen. »Nun wird uns keiner mehr den ,,lieben« Augustin« spielen,« sagte ei ner und fchluchzte laut auf. »Chre unserem Knirps-L« »Wie werden ihn nie vergessen.« Dann kehrten wir stumm zu un serem Lagert-lade zurück. Wenn etwas die Seele aufs tiefste erschüttert, ist es der Anblick mensch licher Dankbarkeit. Der junge held hatte sie feinem Leutncmt bis in den Tod bewahrt. Und wie alle fühlten es, seine treu en Augem in die wir so gerne gete hen, hatten nicht gelogen Its W tu Mer. Von Carl Diem « - »Aufgemacht!« Nichts rührt sich in dem Bauern baus am Ende des tleinen franzö sischen Dorfes. Doch halt, da hin ten im Hofe bellt und heult ein halbverhungerter Hund« «Beilpiete herl« Von mächtigen Dieben getroffen, fplittert das feste holz um das Schloß herum. Ein kräftiger Tritt, und die Tür ist auf. Mit vorgehaltenem Revolver tra ten Zugs und Korporalfchaftsführer ein; denn das Gehöft soll einem Zug als Nachtquartier dienen. Wenn es irgend möglich, gibt man den Mannschaften ein Dach über den Kopf, es kommen ja sowieso noch genug Tage, an denen die Himmels luppel ein manchmal feuchter, im mer aber talter Ersatz ist. Nun geht es schnell ans Verteilen der Korporalschaften. Gerechtigkeit muß fein, und darum wird immer hübsch abgewechfelt. Mal die eine Hälfte der Gruppen in die Scheune und die andere im ".Haus, und dann wieder umgekehrt Der Soldat ist an Wechselsälle ge wöhnt und nimmt-sein Los, wie es trifft. Aber natürlich... er sucht es zu verbessern, und das hält er flir sein gutes Recht. Besondere wenn, wie in diesem Fall, die Be wohner das haus verlassen haben. Sonst ist er natürlich nicht weniger begehrlich, aber seine Gutmütigteit siegt gegenüber den verängstigten Ge sichtern der zurückgebliebenen Frau en immer. Und auch wenn sich, was allerdings selten ist, die Be wohner versteckt gehalten haben und nun angesichts des menschlichen Aus sehens der preußischen »Barbaren« wieder in ihre Häuser zurücklonnnen, dann legen diese eben »requirierte'« Hand- und Taschentiicher und der gleichen betreten wieder an Ort und Stelle zurück. »Schneiden Sie rnir schnell mal den Hemdlragen ab,« bat mich in einem solchen Falle mein Nebenmann, »damit die Leute nicht solchen Schreck lriegen.« Er hatte nämlich ein frisches Hemd »gefun den« und gegen sein bisherige-z aus getauscht, nur daß das neue einen unmilitärisch hohen, sestgenähten Kragen hatte. Nun, wenn die Be wohner später den Austausch doch noch gemertt haben, dann werden sie ja gewiß nicht sehr erbaut gewesen sein« aber sie müssen angesichts der ihnen überlassenen Reliquie eingeste ten — sofern sie nur einen Funten Gerechtigleitssinn im Leibe fühlen — daß sür den Hemdlvechsel mensch liche Grunde vorhanden waren. Und da darf ich wieder zu der Schilde rung unseres Ouartiermacherg zu rücktehren, von dein ich ausgegangen bin, nnd bei dem sich die Hausbe wohner, wie überhaupt meistens-, nicht einfanden. Nachdem alles eingeteilt, der Zugsiihrer sein Zimmer und die liarporalschaftsführer ihre Betten gesunden haben, werden die Mann schasten eingelassen. Die suchen — der Sicherheit halber, versteht sich — auch noch einmal alles ab. Dabei findet sich meist noch allerlei. In einem Haufen alter Lumpen eine ordentliche Schwarte Speck, im Koh leneimer unter Kohlen ein Ton mit guter Marmelade und so noch die-« und das-. Kriege-gut natürlich- But ter übrigens selten und Wurst nie. Draußen im Hof gibt es Eierund — hier darf man von vornherein als Zeit die Vergangenheit gebrauchen-— gab es Hühner. Man macht die Er fahrung, daß sie gewissen Leuten ihre Eier in die Hand zu legen scheinen, wie diese Biecher andererseits die Gewohnheit haben, einer besonderen Art von Soldaten, darunter vielfach Osfiziersburschen, mit umgedrehtem Hals in die Finger zu laufen. ) Zeit zum Waschen hat man ja nicht. Und wenn inal Zeit zum Waschen ist, dann fehlen die Zeit und die Sonne zum Trocknen. Da muß man eben ,,requirieren«. Man che arme Hausfrau wird lummerdol len Auges ihren Wäscheschrant wie dergefunden haben. Die dagelassene Wäsche dagegentl — —- nun wir lia ben oft eine Woche lang nicht den "Uniformrock aufgetnöpft und nicht die Schaftstiefel von den Beinen ighabt Und Staub und Hitze alle age dazu! —- Ja, das ist eben der Krieg, der sein schlimmstes Ant liß durchaus nicht im Gefecht zeigt. Aber ich war ja bei meinem Quar tierabend. Die kleinen Stuben fas sen natürlich nicht die vielen Men schen, die in ihnen nächtigen sollen. Da werden eben alle vereiickbaren Möbel auf die Straße gestellt. Der Boden wird mit Stroh bedeckt. Der eine hat einen alten Mantel, der zweite eine Decke, der dritte ein Kissen gefunden. Jeder macht sein Lager, so gut es geht, zurecht. Der Hilftknochen liegt erfahrungsgemäH doch binnen tutzem aus dem harten holz. .Tornister unterm Kopf. Ge wehr handgerecht. Inzwischen ist die Feldtuche eingetroffen, da gibt es noch einen warmen »triegssiarken Zug«, d. h. einem Kochgeschirrdeckel voll Brühsuppe mit Fleisch und Ge müse. Alles schmatzt behaglich, ein Schluck Rotspon dazu, so geht’s dem Krieger nicht schlecht. Inzwischen ist es schon längst dunkel geworden. Das Pseischen schmeckt-noch vor der Tür. Ein paar Stimmen singen von der Heimat, vom Morgenrot und frühen Tod und von dem guten Kameraden. Dann schimpft einer, er möchte Ruhe haben. Und er braucht nicht lange zu schimpfen, denn schon liegen sie alle aus ihrem har ten ,Lnger, zehn Mann an der einen Wand, zehn Mann an der anderen Wand, dieBeine durcheinandergestreckt, und noch ein paar Kerle quer. Um teinen Preis der Welt darf ein Fenster aufgemacht werden. —- — »Ausstehen!« Himmeldonnerwettetl Man hat ja kaum das eine Auge zugemacht, da geht es schon wieder los. Aber daran gewöhnt sich der Soldat. Mit drei bis vier Stunden Schlaf ist man zufrieden. Und der schöne Morgenkaffee aus der Feldtiiche duftet lieblich — hm, na ja. Dazu Kommißbrot mit Marmelade, an schließend einen kleinen Spazier gang von 45 Kilometer, das Klei derspind auf dem Rücken und die geliebte Flinte in der hand. if It M Nicht alle Abende sind so gemiit lich, nicht immer schläft mnn so fürstlich trocken, und nicht jede Mahl zeit schmeckt so schön. Aber ich habe mir die Freiheit genommen, aus meinem Kriegstagebuch eine fried liche Seite heraus-zuschneiden Von cntbehtungsreichen und blutigen Stunden hört man ja ohnedies ge nug. Kaum-ern la Art-stumm Kunstwerke haben im Kriege, möchte fast sagen, ihre guten Enger, und so manche Schöpfung der Kunst ift aus Kriegsgefahr in eigentümli cher und fast romanhafter Weise er rettet worden. Es seien hier ein paar Beispiele von solchen glücklichen Abenteuern von Kuicnroerten in Kriege-seiten angeführt. Nach der Kapitalation Breslans im Anfang Februar 1d«()7 forderte der Aaninistrateurgeneral Lespernt von der preußischen klirgierung auf Verlangen seines, Gouvernements die Auslieferung der ölerbiindigen Chro nik des Froissart. Es ist dies der berühmte Schatz der Breslaner Stadtbibliothet, eine für Anton von Burgund im 15. Jahrhundert herge stellte Pergamenthandschcitt mit zahl reichen tiinsterlisch sehr bedeutenden Miniaturen. Dieser Forderung be gegnete der damalige Bibliotyetar, Rettor Scheibel, mit der Vorstellung, daß dieselbe Handschrift sich in ei ner ebenso guten Abschrift bereits in der Fiaiserlichen Bibliothek zu Pa ris befinde· Schon war der Zwis sart von der Stadtbibliothet aufs Rathaus gebracht werde-Z, um von dort dem General - Jntendanten uberantwortet zu werdet-, aber durch Scheibels Einwand lies; sich der französische General irrefiihrem da er nicht verstand, dasz der Wert des Bregtauer Manuskripteg in den Ori ginalminiaturen lag. Er blieb der lostbare Froissart der Breslauer Stadtbibliothet erhalten , Eigentümliche Abenteuer hat fer ner 1871 die Venus vor. Milo durch machen müssen. Während der Belagerung von Paris durch die Deutschen erschien ein Aqu ruf iin ,,Gaulois«, tisg Bildwert vor den »milden Horden der Kantin ner und Hegelianer zu schützen'«. Unsere liebe Frau von Milo ward hierauf in einen Sarg getan und in den Keller der Präsektur übergeiührt. Aber erst hier kam sie r»·::ilich in Ge fahr« denn die Präfettuc brannte ab, woran freilich nicht die wilden Hor den der ziantianer und Hegelianer, sondern die Edelmänner der Pariser Commune schuld waren. Doch das herrliche Wert hatte Gliiel irn Un glück: ein Wasserleitungsrohr brach und berieselte den Keller, also daß der Marmor unbeschadkgt erhalten blieb und nach dem Friedensschlnsse wieder an seine alte Stelle überge führt werden konnte· —- .-··. » »---— —- S uete Wochen frohe Feste. Partmärter (zu1n Stroms-, der auf der Bank übernachtet hat): »Sie! —- Attfsteyen!« Stromer (sich tuf die andere Seitei 1välzeid): ,,Lassen Sie mich zufrieden; heute ist Sonntag, do fchlas ich ’ne Stunde längeri« »