Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 04, 1914, Image 9

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    Nebraska
Staats-» Anzetger und J cerold.
Istkfss ,
stne Erinnerung aus dem großen Kriege.
Von Frau Wichmanrn
Ein eigenartiges Gefühl beschlich
uns. Wir näherten uns der Grenze.
Das laute Lachen, Singen und Joh
len, selbst die-Unterhaltung begann
zu derstummen, tn den vollgepfropf
ten Wagen ward es stiller und stiller,
jeder empfand die drückende Gewitter
kchwine der Jutitckgen vie sich bezug
igend aus Brust und Kehle legte.
Nur das Gespräch zweier Füsiliere
tönte zuleht ncch durch das dumpse,
sast wie aus Kommando eintretende
Schweigen.
»Du, Beinen-, it globe, dein Tor
nister is unter de Bnnt jesallen.'
»Me, sällt ihm ja nich in.«
»Aber da is doch wat.«
«Wat wird denn dn seini«
«Janz toat Weeches, et rührt sich.«
»Du träumst wohl, Knille.«
»Een hundebiest muß es sein« das
sich eingeschtichen hat. Na wart’, dir
werden wir gleich hat-ein«
Der Soldat griss herzhast unter
die Bank. Als er aber zu ziehen und
zu zerren begann, schnellte dai unde
stimmte Etwas plötzlich hervor und
stellte sich nus die Führt
acZzie beiden Fiisiliere prallten zu
r .
»Na —- fo wal!«
«Nu brat« mi: aber eener ’nen
Storch!"
«Een wahrhaftigen lebendiger
Junge.«
» lt als blinder Passagier mitge
fahren-«
,,Na, dir werden wir dald"wieder
an die Luft befördern, Kleener!«
Jeyt waren auch die anderen auf
merksam geworden. Einen Augen
blick starrten alle verblüfft auf das
feltene Wefen, dann brach ein schal
lendes Gelächter aus. Der Anblick
lvar auch zu lomifch.
Es war ein bierfchrötiger Bengel
von im ersten Augenblick abschrectens
der häßlichteit, der da zitternd mit
ten im Wagen stand. Struppiges, ro
tes hat-r umabinte einen eilige
Kopf mit harten Zügen und großen,
abstehenden Ohren. Das Gesicht er
fchien viel zu alt filr den Körper ei
nes laum Fünfzehnjiibrigem Der fa
denscheinige Anzug war vom Schmutz
des Wagenbodens bis zur Unkennt
lichteit bedeckt, die eine Hand um
llammerte ein Schirmgeftell ohne
Uebel-zug, die andere hielt lrampihaft
eine ziemlich große Mundharmonita
umschlossen. Nur eins war schön an
der abfchreclenden Erscheinung, oao
tiefe, braune Auge, aus dem es wie
ein fonniger Glanz von Wärme und
Treue itralilir. Dieses Auge war
Llehend auf die Soldaten gerichtet,
ie plumpen lijpiinde fuchten sich bit
iend zu falten, doch iiber die dicken.
wulstigen Lippen, die sich zuckend be
wegten, lnm lein Wort.
Jn der Ecke des Wagens erhob sich
Leutnant Riegler, ein stattliches-, iu
gendiich schöner Mann, der beliebte
ste Ossizier unseres Bataillons. »Was
will denn der Knirps dei«
Die Soldaten lachten. »He, Knirps
—- wcrt willst duii Antwortefwenn
der here Leutnant stagt.«
Jeht öffnete sich der Mund des
Burschen mit einem breiten Grinsein
«Jn’n Krieg will ich, Franzosen ver
sen-«
Wieder brüllende Heiterkeit.
»Du —- in'n Krieg? —- Dich tön
nen’5 als Flügeimann brauchen in
der erst-I Kompagnie." «
, » wohl General werden,
II
.Itae, aber Mustt sann ich euch ma
chen.« Er hatte schnell seine harmo
nita an den Mund ge est unt- be
gann ganz regelrecht zu blasen.
Unwilltiirlich stimmten wir alle
könnend in die Melodie:
»Ach, du lieber Augustin
Alles ist hin,
Geld ist hin, Gut ist hin —«·
Der Leutnant, der herangetreten
war, gebot Schweigen. »Na, was ifi
denn mit dir, Junge7« wandte er sich
an den sosort ehrerbietig sein Instru
ment Absetzendem «Spasz beiseite —
aber hier kannst du doch nicht bleiben.
Der Krieg, in den wir gehen, ist teine
Sache siir Kinder.«
«Jch tvill schon groß werden« herr
Leutnant. Und alles tue ich, was ihr
wollt, iiberall will ich mich niihlich
machen, nur nehmt mich mit.«
Die resolute Antwort chien dem
Osstiier zu gefallen. r lächelte
wohlwollend. »Wie bist du denn da
hereingetommen, Entschei«
»Ja Waldenstadt has ich mich ein
geschmnsgeit. Wenn alles in den
Krieg geht, tann ich nicht zu hause
ruhen«
aNun, das beste wird sein, wir»
schicken dich heim zu Mutterm Gleich
aus der nächsten Station.«
Der Junge fiel plöslich aus die
Knie, und seine schönen Augen baten
so innig, daß wir alle gerührt wur
den. »Nu: das nicht, here Leut
nanti Nicht wieder heim zur Stief
mutter-. Die ist froh. wenn te mich
los ist. Nichts ais Prügei b’ ich
gekriegt. Jett aber möcht' ich mal
andere verpeiigeln.«
uMit dem Regenschitm daf« Der
Leuinani mußte lachen, aber ee schien
schwankend zu werden.
»Ich hol’ mir schon was Besseres
von den Franzosen, eine Flinte, einen
Säbel —«
»Na. Coueage scheinst du zu haben,
Knirps« und eigentlich gefällst du
mir.«
»Lassen Sie ihn mit, herr Leut
nnni,'· mischte sich der Unierofsizier
Becker ein, »vielleicht können Sie ihn
als Burschen verwenden.«
»Ja, ia.« riesrn wir alle, »Zum-s
soll mit, als housinecht vom Butoib
lon! Hutte-, Knirpb!«
»Na, werde mal mit dem Herrn
Major sprechen. Wenn der nichts da
gegen hat, meinetwegen,« entschied
Leutnant Riegler. »das Kommiszdrot
wird auch siir ihn noch reichen.«
Die Lösung machte uns allen
Freude. Unfere momentane triibe
Stimmung war vergessen. Alles be
schäftigte sich mit dem häßlichen Jun
gen, der jetzt, da er hoffnung hatte,
dleiben zu dürfen, förmlich auftaute,
einen derben, frischen Humor entwit
ielte, bald spielte, bald allerlei lustige
Lieder sang und uns durch seine rüh
rende Begeisterung fiir das Solda
teuleben alle mitriß. Ehe es uns recht
zur Besinnung kam, war die Grenze
erreicht, wir verließen den Zug und
begaben uns ins legte Quartier auf
heimatlichee Erde
Arn anderen Morgen begann der
Marfch in Feindesland, und der tleii
ne Kriegsfreund durfte mit uns zie
hen. «
Schon nach dem ersten Treffen
stellte es sich heraus, wie brauchbar
un er Knirps war. Diesen Namen
fii te er im ganzen Regimente, und
wenn man ihn damit anrief, so lä
chelte er allemal so zufrieden, selbst
gefiillig, als wollte er sagen, in eu
ren Augen bin ich ja doch viel mehr
und viel größer. Und in der Tat
war es so. Er wuchs wirtlich mit
uns in Not und Gefahr, und seine
Kleinheit, seine Häßlichieit sah teiner
mehr von und. Wie oft erheiterte er
ung, wenn wir, traurig von den
Gräbern gefallener Kameraden zu
rückgekehrt, an den rauchenden Macht
feuern lagenl Immer wußte sein
urwiichsiger humor den Dingen neue,
tomische Seiten abzugewinnem nicht
am wenigsten sich selbst. Sein Aeus
ßeres allein schon, das et bald dem
Kriege angepaßt hatte, mußte heiter
teit erregen. Mächtige Kanonensties
fel betleideten seine Beine, an die
Stelle des Regenfchirms war ein aus
dem Schlachtfelde aufgelefener fran
zösischer Kavalleriesäbel getreten, im
Gurt trug er einen ebenfalls erbeu
teten Revolver. und der Jägertschato,
der seinen Kon bedeckte, ging ihm
fast bis über die Ohren. Nur die
alte harmonita war feine stete treue
Begleiterin geblieben.
Die ersten blutigen Schlachten la
gen hinter uns und Knirps war der
Liebling des ganzen Regiments ge
worden. Besonders die Ofsiziere,
bis zum Divisionötommandeuy be
iinstigten ihn, was er in seiner Wei
fe zu vergelten wußte. Zumal in de
zug auf die Verproviantierung leiste
te er ihnen unschiißbare Dienste. Mit
einer seltenen Findigkeit wußte er
auszuspinonierem wo es etwas Gutes
gab, und oft genug erschien er, mit
freudigem hallo begrüßt, bei den
Vorpostem unter jedem Arm eine tote
Gans.
Von Anfang an hatte sich Leut
nnnt Riegler des originellen Burschen
in liebevollster Weise angenommen.
Ali Knirps unsere höusigen Gewalt
mörsche beschwerlich fielen, war er es.
der ihm ein erbeutetes sranzösischei
Maultier verschasstr. Jn ein paar
Tagen lernte der Junge, der nie aus
einem Pferde gesessen. retten, und
von nun an trabte er ausrecht tm
Sattel und mit ersichtlichem Stolze
an der Seite des Baumeer
Auch in anderer Weise wußte er
sich von nun an niihlich zu machen.
Entweder seinen Leutnant oder den
Regimentslomrnandeur begleitend,
über-brachte er den ein einen haupt
leuien aus« schnellste a e Meldungen
und versah selbst den Dem-unans
dienst zwischen dem Obersten und
dem Ovisivnilommandeun Gab es
aber nichts anderes zu tan, st- hats
er den Ilerzten beim Beebtnden der
Verwundeten, und eines Sie-geh alt
»diese, von seindlichen cusaren über
cascht, tn Gefangenschaft gerieten, ge
lang es ihm selbst, mit unglaublicher
Mtihnlpeit seinen Verfolgern zu ent
rinnen.
Für die Zukunft des mutigen undi
Igewandten Burschen eröffneten sich!
lbald die besten Aussichten. Längstl
warn die Ossiziere des Regiments
itiber ingetommen, ihn augbilden zu
Massen, und er schien berufen, eine
lschiine Katriere zu machen und etwas
Tüchtiges zu leisten.
Aber es sollte anders kommen.
Die Schlacht von Sedan war ge
schlagen, Napoleon gefangen und das
Ende des Krieges schien nahe. Da
stampfte die patriotische Energie
Gambettas neue Armeen aus dem
Boden und das blutige Ringen ve
gann von neuem. Schon vor Paris
gelegen, mußten wir mit der Armee
des Prinzen Friedrich Karl den
Marsch nach Süden antreten, und
bald stand unser Korps bei Beaunelas
Rolande der LoireiArmee unter Au
relle de Paladines gegenüber. Es galt,
ihren weiteren Vormarsch nach Paris
zu verhindern, und am Morgen des
28. November wußten wir, daß uns
ein schwerer, blutiger Tag bevorstand.
«Guten Morgen, Füsiliere!«
Wir mußten hell auslachen. Vor
der Front unserer zum Vormarsch
aufgestellten Glieder ritt der Knirps
langsam und feierlich, bitweiten mit
komischen Bewegungen sein Maultier
parierend, einher und musterte uns
durch das gliiserlose Gestell einer al
ten hornbrille. Der düstere Ernst,
das niederdrückende Gesiihh einer
gewaltig-n Uebermncht gegenüberzu
stehen, die sich des Regiments bemäch
tigt hatten, waren verslvgen, wie da
mals, als wir uns der Grenze nä
herten und sein Austauchen alle trü
ben Gedanken verscheuchte. Das
mochte er wohl gewollt haben. Denn
jeyt, als die Tro mel zur Attacie zu
rasseln begann, s wentte er ab, ver
ließ sein Tier und stellte sich an die
Seite seines Leutnantd.
Borwiirts ging es, dem Städtchen
en;gegen. Nachdem das 10. Armee
torps unter Votgts-Rhetz bereits alle
verzweiselten Angrisse der französi
schw Entsaharmee zurückgeschlagen,
war uns die Ausgabe geworden, den
Tag durch die Crstiirmung von
Beaunela-Rolande zu entscheiden. Jn
dem kleinen Orte hatte der Feind sei
ne letzten noch widerstandsfähigen
Kräfte gesammelt und ein heißer
Empfang war zu erwarten.
Jnö Gellen der Hörner, ins Ras
seln der Trommeln mischte sich bis
weilen ein seltsamer Ton. Es war
die Harmonila des Knirpse5, der
auch jetzt wieder sein Leiblied, den
»Lieben Augustin«, blies. Sein Bei
spiel seuerte uns an, sein Spiel bei
geisterte uns mehr als all die trieges
rische Musik« Und es ging besser, als
wir gedacht. Fast ohne Widerstand
zu finden, kamen wir an die ersten
häuser heran. Die Kugeln zweier
Batterien. die den Eingang slantieri
ten, flogen über unsere Köpfe hinweg.
Ehe die Kanoniere sich’s versahen,
waren sie niedergemacht, die Geschiige
in unseren Händen
Mit lautem Siegesgeschrei ging
es in die engen Gassen hinein, die
uns leer und stumm entgegengiihnten.
Unser Leutnant sluchte. Sollte der
Feind sie verlassen haben? Das tiese
Schweigen war ihm unheimlich. Aber
er siihrte uns weiter bis auf den
Haut-May wo von allen Seiten die
Straßen mündeten. Der dichte Pul
verrauch, der die Stadt erfüllte, ließ
im ersten Augenblick nichts erkennen.
»Zum Teufel, wo stecken sie's«
sluchte der Leutnant Riegler. «Das
bedeutet nichts Gutes.«
Plöhlich zerriß ein frischer Wind
stoß den graugelben Qualm, er hob
sich und blieb iiber uns schweben wie
eine leistende Wolke des Verhängnis
fes.
Durch alle die Monate, die wir im
lde standen, hätte tein Mensch uns
eigheit varwerfen können. Jetzt
aber erstarrte uns das Blut in den
Adern bei dem Anblick, der sich uns
bot. Wir waren in eine Falle ge
raten, aus der es tein Enttinnen gab.
Jn allen häusern, die den Platz um
gaben, wimmelte es von Mobilgars
den, aus jeder Oeffnung starrten uns
drohende Flintenliiufe entgegen. Die
Eingänge der Straßen waren mit
Kanonen bepflanzt, Artilleristen mit
brennenden Lunten standen daneben,
und dahinter erhob sich unbeweglich,
einer eisernen Mauer gleich, die Mas
se des französischen Faßt-alles, das
Gewehr im Anschlag an der Wange,
die tausend totbringenden Münduni’
gen auf uns gerichtet.
Wir alle sahen auf den Leutnant,
sahen, wie sein von Schweiß und
Staub bedecktes Gesicht erblaßte.
Aber die momentane menschliche Re
gung überwindend, faßte er sich, hob
den Arm und rief-. «hurral Jeht
illvien wir sie! Draus und dran,
w —
Sein Rus wurde von einem obrens
betäubenden Krachen verschlungen.
Die Hölle schien ihren Schlund zu
Zssnen und Rauch und Feuer aus uns
zu speien. Dann solgte S reien,
Jammern und Aechzem und a s der
bläuliche Pulverdamps sich lichtete,
sah ich michs selbst unversehrt mitten
in einem hausen Toter und Verwun
deter. Nicht mehr als acht Mann
waren von unserer Kompagnie übrig
gebliebem Dicht vor meinen Füßen
lag Leutnant Riegler. Der Heim
war ihm vom zerschmetterten Kopfe
gerissen, er atmete nicht mehr. Da
neben aber stand aufrecht ebenfalls
unversehrt, die Zähne auseinander
gebissen, der Knirps.
Jch saßte ihn an der Schulter-.
»Komm —- fliehen wir —- jeder Wi
derstand ist vergebens.«
Er weigerte sich, trotzig den Kops
schüttelnd. »Ich bleibe bei meinem
ärutnanh Sie sollen ihn nicht ha
n.«
T.,ditiist du von Sinnen, es ist dein
o .«
»Ihr werdet wiederkommen und
ihn holen.«
Jch sah, daß alles umsonst war,
sund schloß mich den Kameraden an.
Glücklich gelang es uns, den Ein
;gang der Straße zu gewinnen, aus
»der wir gekommen waren. Jn tol
lem Laus ums Leben ging es den lett
sten Häusern zu. Wir waren im
jFreiem gerettet. Und dort über das
sossene Feld her rückten bereits neue
jSturmlolonnen der s. Division zu
unserer Hilfe. I
) Zum zweiten Male ging es mit
’Hurra in den Ort, diesmal mit
Iiiberlegener Macht. Am Eingange
» des Hauptplaßes aber blieben wir un
swiuriixiich stehen.
! Respekt vor dem tapferen Jun
igenlk murmelte der Hauptmann:
Zwenn einer, hat der sich das Eiserne
Kreuz verdient."
Mit dem Rücken an die Brunnen
siiule gelehnt, stand da noch immer
der Knirps und hielt mit gezogenern
Säbel bei der Leiche seines Leutnantg
Wache. ,
Die Franzosen schienen seinen Mut
zu ehren. Langsam, zögernd rückten
fte aus den Seitengassen gegen die
Stelle heran. Hier und da hob einer
die Büchse, aber sein Nebenmann
»schlug sie nieder, oder er sentte sie,
von Achtung ergriffen, selber, ohne
lzu schießen.
! »Vorwärts, Kinder, rettet den klei
inen Helden!«« tlang die Stimme des
i Hkruptmanns.
Nur von dem Gednnlen beseelt,
stiirrnten wir vorwärts-, obwohl die
Kugeln der Franzosen aus uns nie
derprasselten, wie wenn man Erbsen
»aus einem Sack schüttet.
i Schon waren war nahe heran. Da
.wars der Knirps feinen Säbel zu
iBodern riß den Revoloer aus dem
sGiirtel und richtete ihn aus den vor
dersten Mobilgarden.
! Die Bewegung wurde sein Verder
»ben.
T Aus einem Hause zur Seite, in
dem sich Franlttreurs eingenistet hat
ten, fielen siins, sechs Schüsse aus
einmal. Der Kleine ließ die Waise
fallen, tat einen Lustsprung und
stürzte tot vorniiber auf die Leiche
seines Leutnants.
»Macht ihn, rächt unseren Knirpsl«
scholl es hinter mir.
Von grimmiger Wut erfüllt, stürz
ten wir weiter und diesmal gelang es
uns, den Widerstand des Feindes zu
brechen. Ein turzes, wildes Ringen
in den Straßen, ein verzweifeltes
Handgemenge in den Höusern, von
denen jedes einzeln erstürmt werden
mußte, dann riefen die Hörner zum
Rückng und die Franzosen riiumten
den Ort. Der Sieg war unser.
Aber er ließ teinen freudigen Ju
bel austommen. Von allen unseren
Verlusten schmerzte uns am meisten
der wackere Knirps. Die Freude des
Batailloni war mit ihm dahin.
Am Abend senkten wir ihn mit sei
nem Leutnant in das gleiche Grab
»und seuerten iiber der Grube die Eh
rensalvr.
Manchem meiner harten Kriegsra
mekaden fah ich Tränen über das
rauchgeschwäkzte Gesicht rinnen.
»Nun wird uns keiner mehr den
,,lieben« Augustin« spielen,« sagte ei
ner und fchluchzte laut auf.
»Chre unserem Knirps-L«
»Wie werden ihn nie vergessen.«
Dann kehrten wir stumm zu un
serem Lagert-lade zurück.
Wenn etwas die Seele aufs tiefste
erschüttert, ist es der Anblick mensch
licher Dankbarkeit.
Der junge held hatte sie feinem
Leutncmt bis in den Tod bewahrt.
Und wie alle fühlten es, seine treu
en Augem in die wir so gerne gete
hen, hatten nicht gelogen
Its W tu Mer.
Von Carl Diem « -
»Aufgemacht!«
Nichts rührt sich in dem Bauern
baus am Ende des tleinen franzö
sischen Dorfes. Doch halt, da hin
ten im Hofe bellt und heult ein
halbverhungerter Hund«
«Beilpiete herl« Von mächtigen
Dieben getroffen, fplittert das feste
holz um das Schloß herum. Ein
kräftiger Tritt, und die Tür ist auf.
Mit vorgehaltenem Revolver tra
ten Zugs und Korporalfchaftsführer
ein; denn das Gehöft soll einem
Zug als Nachtquartier dienen. Wenn
es irgend möglich, gibt man den
Mannschaften ein Dach über den
Kopf, es kommen ja sowieso noch
genug Tage, an denen die Himmels
luppel ein manchmal feuchter, im
mer aber talter Ersatz ist.
Nun geht es schnell ans Verteilen
der Korporalschaften. Gerechtigkeit
muß fein, und darum wird immer
hübsch abgewechfelt. Mal die eine
Hälfte der Gruppen in die Scheune
und die andere im ".Haus, und dann
wieder umgekehrt
Der Soldat ist an Wechselsälle ge
wöhnt und nimmt-sein Los, wie es
trifft. Aber natürlich... er sucht
es zu verbessern, und das hält er
flir sein gutes Recht. Besondere
wenn, wie in diesem Fall, die Be
wohner das haus verlassen haben.
Sonst ist er natürlich nicht weniger
begehrlich, aber seine Gutmütigteit
siegt gegenüber den verängstigten Ge
sichtern der zurückgebliebenen Frau
en immer. Und auch wenn sich,
was allerdings selten ist, die Be
wohner versteckt gehalten haben und
nun angesichts des menschlichen Aus
sehens der preußischen »Barbaren«
wieder in ihre Häuser zurücklonnnen,
dann legen diese eben »requirierte'«
Hand- und Taschentiicher und der
gleichen betreten wieder an Ort und
Stelle zurück. »Schneiden Sie rnir
schnell mal den Hemdlragen ab,«
bat mich in einem solchen Falle mein
Nebenmann, »damit die Leute nicht
solchen Schreck lriegen.« Er hatte
nämlich ein frisches Hemd »gefun
den« und gegen sein bisherige-z aus
getauscht, nur daß das neue einen
unmilitärisch hohen, sestgenähten
Kragen hatte. Nun, wenn die Be
wohner später den Austausch doch
noch gemertt haben, dann werden sie
ja gewiß nicht sehr erbaut gewesen
sein« aber sie müssen angesichts der
ihnen überlassenen Reliquie eingeste
ten — sofern sie nur einen Funten
Gerechtigleitssinn im Leibe fühlen
— daß sür den Hemdlvechsel mensch
liche Grunde vorhanden waren. Und
da darf ich wieder zu der Schilde
rung unseres Ouartiermacherg zu
rücktehren, von dein ich ausgegangen
bin, nnd bei dem sich die Hausbe
wohner, wie überhaupt meistens-, nicht
einfanden. Nachdem alles eingeteilt,
der Zugsiihrer sein Zimmer und die
liarporalschaftsführer ihre Betten
gesunden haben, werden die Mann
schasten eingelassen. Die suchen —
der Sicherheit halber, versteht sich
— auch noch einmal alles ab. Dabei
findet sich meist noch allerlei. In
einem Haufen alter Lumpen eine
ordentliche Schwarte Speck, im Koh
leneimer unter Kohlen ein Ton mit
guter Marmelade und so noch die-«
und das-. Kriege-gut natürlich- But
ter übrigens selten und Wurst nie.
Draußen im Hof gibt es Eierund
— hier darf man von vornherein als
Zeit die Vergangenheit gebrauchen-—
gab es Hühner. Man macht die Er
fahrung, daß sie gewissen Leuten ihre
Eier in die Hand zu legen scheinen,
wie diese Biecher andererseits die
Gewohnheit haben, einer besonderen
Art von Soldaten, darunter vielfach
Osfiziersburschen, mit umgedrehtem
Hals in die Finger zu laufen.
)
Zeit zum Waschen hat man ja
nicht. Und wenn inal Zeit zum
Waschen ist, dann fehlen die Zeit
und die Sonne zum Trocknen. Da
muß man eben ,,requirieren«. Man
che arme Hausfrau wird lummerdol
len Auges ihren Wäscheschrant wie
dergefunden haben. Die dagelassene
Wäsche dagegentl — —- nun wir lia
ben oft eine Woche lang nicht den
"Uniformrock aufgetnöpft und nicht
die Schaftstiefel von den Beinen
ighabt Und Staub und Hitze alle
age dazu! —- Ja, das ist eben
der Krieg, der sein schlimmstes Ant
liß durchaus nicht im Gefecht zeigt.
Aber ich war ja bei meinem Quar
tierabend. Die kleinen Stuben fas
sen natürlich nicht die vielen Men
schen, die in ihnen nächtigen sollen.
Da werden eben alle vereiickbaren
Möbel auf die Straße gestellt. Der
Boden wird mit Stroh bedeckt. Der
eine hat einen alten Mantel, der
zweite eine Decke, der dritte ein
Kissen gefunden. Jeder macht sein
Lager, so gut es geht, zurecht. Der
Hilftknochen liegt erfahrungsgemäH
doch binnen tutzem aus dem harten
holz. .Tornister unterm Kopf. Ge
wehr handgerecht. Inzwischen ist
die Feldtuche eingetroffen, da gibt
es noch einen warmen »triegssiarken
Zug«, d. h. einem Kochgeschirrdeckel
voll Brühsuppe mit Fleisch und Ge
müse. Alles schmatzt behaglich, ein
Schluck Rotspon dazu, so geht’s dem
Krieger nicht schlecht. Inzwischen ist
es schon längst dunkel geworden.
Das Pseischen schmeckt-noch vor der
Tür. Ein paar Stimmen singen
von der Heimat, vom Morgenrot
und frühen Tod und von dem guten
Kameraden. Dann schimpft einer,
er möchte Ruhe haben. Und er
braucht nicht lange zu schimpfen, denn
schon liegen sie alle aus ihrem har
ten ,Lnger, zehn Mann an der einen
Wand, zehn Mann an der anderen
Wand, dieBeine durcheinandergestreckt,
und noch ein paar Kerle quer. Um
teinen Preis der Welt darf ein
Fenster aufgemacht werden. —- —
»Ausstehen!«
Himmeldonnerwettetl Man hat
ja kaum das eine Auge zugemacht,
da geht es schon wieder los. Aber
daran gewöhnt sich der Soldat. Mit
drei bis vier Stunden Schlaf ist
man zufrieden. Und der schöne
Morgenkaffee aus der Feldtiiche
duftet lieblich — hm, na ja. Dazu
Kommißbrot mit Marmelade, an
schließend einen kleinen Spazier
gang von 45 Kilometer, das Klei
derspind auf dem Rücken und die
geliebte Flinte in der hand.
if It M
Nicht alle Abende sind so gemiit
lich, nicht immer schläft mnn so
fürstlich trocken, und nicht jede Mahl
zeit schmeckt so schön. Aber ich habe
mir die Freiheit genommen, aus
meinem Kriegstagebuch eine fried
liche Seite heraus-zuschneiden Von
cntbehtungsreichen und blutigen
Stunden hört man ja ohnedies ge
nug.
Kaum-ern la Art-stumm
Kunstwerke haben im Kriege,
möchte fast sagen, ihre guten Enger,
und so manche Schöpfung der Kunst
ift aus Kriegsgefahr in eigentümli
cher und fast romanhafter Weise er
rettet worden. Es seien hier ein
paar Beispiele von solchen glücklichen
Abenteuern von Kuicnroerten in
Kriege-seiten angeführt.
Nach der Kapitalation Breslans
im Anfang Februar 1d«()7 forderte
der Aaninistrateurgeneral Lespernt
von der preußischen klirgierung auf
Verlangen seines, Gouvernements die
Auslieferung der ölerbiindigen Chro
nik des Froissart. Es ist dies der
berühmte Schatz der Breslaner
Stadtbibliothet, eine für Anton von
Burgund im 15. Jahrhundert herge
stellte Pergamenthandschcitt mit zahl
reichen tiinsterlisch sehr bedeutenden
Miniaturen. Dieser Forderung be
gegnete der damalige Bibliotyetar,
Rettor Scheibel, mit der Vorstellung,
daß dieselbe Handschrift sich in ei
ner ebenso guten Abschrift bereits in
der Fiaiserlichen Bibliothek zu Pa
ris befinde· Schon war der Zwis
sart von der Stadtbibliothet aufs
Rathaus gebracht werde-Z, um von
dort dem General - Jntendanten
uberantwortet zu werdet-, aber durch
Scheibels Einwand lies; sich der
französische General irrefiihrem da er
nicht verstand, dasz der Wert des
Bregtauer Manuskripteg in den Ori
ginalminiaturen lag. Er blieb der
lostbare Froissart der Breslauer
Stadtbibliothet erhalten
, Eigentümliche Abenteuer hat fer
ner 1871 die Venus vor. Milo durch
machen müssen. Während der
Belagerung von Paris durch
die Deutschen erschien ein Aqu
ruf iin ,,Gaulois«, tisg Bildwert
vor den »milden Horden der Kantin
ner und Hegelianer zu schützen'«.
Unsere liebe Frau von Milo ward
hierauf in einen Sarg getan und in
den Keller der Präsektur übergeiührt.
Aber erst hier kam sie r»·::ilich in Ge
fahr« denn die Präfettuc brannte ab,
woran freilich nicht die wilden Hor
den der ziantianer und Hegelianer,
sondern die Edelmänner der Pariser
Commune schuld waren. Doch das
herrliche Wert hatte Gliiel irn Un
glück: ein Wasserleitungsrohr brach
und berieselte den Keller, also daß
der Marmor unbeschadkgt erhalten
blieb und nach dem Friedensschlnsse
wieder an seine alte Stelle überge
führt werden konnte·
—- .-··. » »---—
—- S uete Wochen frohe
Feste. Partmärter (zu1n Stroms-,
der auf der Bank übernachtet hat):
»Sie! —- Attfsteyen!«
Stromer (sich tuf die andere Seitei
1välzeid): ,,Lassen Sie mich zufrieden;
heute ist Sonntag, do fchlas ich ’ne
Stunde längeri« »