Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 06, 1914, Image 9

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    - ff
Staats Anzetger und Jcerold.
schwimmend-i sinds f
Von Aug. Kommt-ern
Das Dorf Waalhaufen, in dem die
nachfolgende Erzählung spielt, liegt
stviichen dem großen Teufelimoore
nnd dem St. Jiirgenilande (der
Name des tchtvimmenden Landes)
nnd füllt mit dem legteren den gro
ßen Winkel aus, den die beiden Nie
derungsflröme Damme und Wümme
bilden, die dann spciter als Letums
laß gemeinsam unweit don Bremen
n die Untertoeler münden.
Die häutet des Dorfes liegen in
langer Reihe, jedoch durch Gebüsch
nnd Wald voneinander getrennt, auf
hohen Worten, um sie vor den win
terlichen Ueberichtoemmungen zu
fchilsen
Vor dem Dorfe zieht sich ein 2 bis
s Kilometer breiter Mietenftreifen
hin, während das Dort selbst und
das hinter ihm liegende Gelände aus
Dochmoor besteht.
Die Bauern Waathausens sind
größtenteils Großgrundbesißer, denn
ihre Böse haben meistens eine Größe
don 400 bit 500 Morgen. Sie sind
durchweg wohlhahend und bilden ein
Gemisch don Sachsen und Friesen,
jenem uralten troßigen Bauernoolie«
das sich sowohl durch seine zähen
Kämpse mit den Brenier Erzbischösem
ais aiich durch sein Ringen im
Kampfe mit Wasser und Wogen et
nen undergänglichen Namen erwor
ben hat.
Auch die Waaihöuser haben ihr
Land in jahrhundertelangen Kämp
sen dem Sumps und Wasser abge
rungen, daher auch ihr selbstbewuß
tes, irastdolles Auftreten, ihr Eigen
sinn und starrer Mut.
Den Sturmsliiten, deren man sich
jeßt niit allen Mitteln zu erwehren
sucht, derdanten die Bauern Waaks
hausens doch recht eigentlich ihren
Reichtum. denn sie sind es gewesen,
die das ichlammartige, fruchtbare
Meer- und Wesertoasser ihnen u
siihrteii und den moorigen Wiesen
erst jenen seiten. deiruchtenden Ueber
sug verliehen, den sie heute haben.
Aber auch noch in anderer Weise
wirkten die Fluten gewinnbringend,
indem sie an den mit breiten Schilf
riindern beseßten Usern der Damme
ein Stück Land nach dem andern
anseßten und so zur allmählichen
Vergrößerung der böse beitragen
Anderseite aber riefen sie auch wie
derum mancherlei Streitigkeiten her
vor, die dadurch entstanden, daß an
grenzende Nachbarn sich über das an
getoachsene Land nicht einigen tonn
ten.
Ein solcher Streit herrschte bereite
seit Jahrzehnten zwischen den Be
sißern des Segeltens und Kohlmannss
hofes. Die Väter, ein paar harte
Konse, hatten den Streit begonnen,
der schon so viel Kummer und Herze
leid iider die beiden Familien ge
bracht hatte, und die Söhne, die jetzi
gen Lieschen hatten ihn übernommen
als ein unangenehmes Erbteit ihrer
Väter.
Das Unglück oder, besser gesagt,
das Glück wollte es, daß Dirt Kohl
mann einen Sohn und Arp Segelten,
sein Gegner, eine Tochter hatte. Er
toar ein echter Kohlmanm dunkel
breitsehutteeig und stiernackig. Sie
dagegen hellblond, schlank, mit schma
tem Gesichtooval und tornblumblauen
Augen. Ein echter Iriesenthpus. Die
Nachbarschaft, der gemeinsame Schul
weg und manche anderen Gelegenhei
ten brachten ei- niit sich, daß die bei
den einander ost sahen, sich tennen
nnd lieben trrnten.
Der alte Kohlmanm dem dies zu
Ohren lam, rief eines Tages seinen
Sohn zu sich in die gute Stube und
Iagte zu ihm: »Johann, du kannst
tn übrigen tun und lassen, was du
willst, denn du bist alt genug, um
su wissen, was recht und unrecht ist,
bloß eins will ich dir ingen: die
Deren« —- und dabei zeigte er mit
dein Daumen iiber die Schulter nach
dem Segeltenhofe —- .triegft du
nicht. Eber tvill ich dich entetben
und meinen hvf vertausen, alt zu
sugeben, daß dein seine Tochter in
mein Daus als junge Frau ein lebt
Schlag dir die Deern aus dern zopiz
es wird nichts draus!«
Von leiten der Eltern des Mäd
chens wurde die Liebschaft der beiden
Iwar auch nicht rnit frohe-n herzen
gesehen, wenigstens nicht unter den
obwaltenden Umständen. Aber Se
gelten bötteg wenn iich eine passende
Gelegenheit gefunden, itn Interesse
Ums eigenen Kindes vielleicht doch
Dant- purn Frieden geboten, denn«
er tvar von hanc aus eine der ans
lichere Natur, alt der alte obl-;
sann; er artete nach feiner Matten
Iber dazu war dorderhand gar teineT
Its-ficht Wenn auch feine Frau
tbn oft quälte mit Bitten und Lied
ben, doch denr Glück der Kinder nicht
im Wege zu stehen und dem Nachbar
die hand snr Versöhnung zu reichen,
so lebnte er dies doch mit Entschies
denbeit ab.
»Das Recht isi aus unserer Seite.
Der Richter bat uns die Wiese von
rechtswegen zugesprochen. Koblmann
hat also gar keine Ursache, mir böse
zu sein, aber er tut mir jeden Tort
an, den er nur ansdenten tann.«
I I .
So standen die Dinge, als ich im
Herbst 188« nach Waatbauskn tant.
Die Schule, ais deren prodisoriicher
Verweser ich ernannt war, lag ans
einer niedrigen Mart. Es war ein
altes, mit Stroh gedecktes Fachtverts
haus, wie sie hier üblich sind. Rings
um das Haus herum war ein kleines
Wöldchen aus Bitten nnd Erlen zum
Schuh gegen Wind und Wetter. Nesz
ben einein mit Bitten bepsianzteni
Fahrwege, der durch Sandansschiit«’
tung etwas erhöht war, führte zuri
Schule noch ein 2 bis s Meter brei
ter Schissgraben, in den von allen
hösen des Dorfes eine Menge ande
rer Gräben einrniinbete. Nahe ani
Schulbause war ein tleiner Hasen,
in dem ein winzig tieines Boot an
der Kette lag.
Jn Kost ging ich bei Arp Segel
len, als dein nächsten Nachbar, der
auch zugleich Schulvorfteher war.
Das erste, was ich nach meinem Ein
tressen in Waalhausen aus Segellens
Rat gelernt hatte, war das Jahren
in dem tleinen, liellosen Boote, das
hierzulande mit dem merkwürdigen
Namen Seelenoertäuser belegt wird.
Diese Boote werden nicht durch Ru
der vorwärts bewegt, sondern mit
tels einer langen Stange, die an ih
rem unteren Ende eine mit Eisen be
schlagene Verbreiterung aufweist;
denn bei der Enge der Gräben wä
ren Ruder nicht zweckmäßig gewesen.
Bei niedrigem Wasser und den ho
hen Ufern dieser Schiffgräben bot
das hren in dem tleinen Schiffe
allerd ngs telne besonderen Schwie
rigkeiten. Anders jedoch bei Doch
wasserz da war die Sache durchaus
nicht so ungefährlich und der Name
Seelenvertäufer wohl am Platze.
Jch mochte wohl etwa 5 oder S
Wochen in Waalhausen gewesen sein,
da gewahrte ich eines Morgens, daß
ich von der Außenwelt ringqu durch
Wasser abgeschnitten war· Wäre
dieses Ereignis so ganz unvorberei
tet eingetreten, so hätte es mich wohl
mit dem größten Schrecken erfüllen
können. So aber hatte mich mein
Kostwirt längst daraus vorbereitet·
Außerdem hatte ich ja ein Schiff,
und wenn es auch nur ein Seelen-»
oerläuser war, und tonnte fahren. «J
Als ich nach Segeltens Hofe tam,!
stand der Bauer vor der großen Ein-!
fahrtstiir seines Hauses und schaute
prüfenden Auges in den Wasser
schwoll.
Ganze Schwärme weißgrauer Mä
wen trieben treischend ihr lustig Spiel
in den Lüften, andere ließen sich von
lden Welten aufs und niederschauteln.
Dies alles waren sichere Anzeichen
stir den Wettertundigen, daß noch
»mehr Wind und Wasser zu erwarten
»waren.
i Segeltrn traf daher als umsichti
iger hausoater seine Vortehrungen.
Er rief seine Knechte herbei und gab
ihnen Befehl, die Schiffe, die an ih
rem gewohnten Plaß vor dem hause
lagen, an einen geschützteren Ort, wo
sie dem Wind und den Wellen nicht
so ausgesetzt waren, su bringen
Dann ließ er die ftarlen Bohlen, die
sitr einen bestimmten Zweck auf dem
haushoden lagerten, herunter holen,
um fie im geeigneten Augenblick sur
band zu haben.
Jch war inzwischen wieder zur
Schule gefahren, tvo nach und nach
auch die Schüler eintrasen. Sie ta
men deute alle in Booten. Die älte
ren fuhren selbst, die kleineren wur
den von ihren Eltern oder Dienstbo
iten hergebracht.
! Den Tag iiber stieg das Wasser
stetig. Als der Nachmittagsimters
richt beendet war, stand es bereits
oben am hausivarf Jch entschlos
mich daher, der Einladung meiner
Kostwirte, bei ihnen zu wohnen, zu
folgen und traf alle Vorkehrungen,
um meine Bücher nnd sonstigen Sa
tchen vor dem Wasser zu schüyem
IDann bestieg ich meinen Kahn und
jfubr zum Segeltenbof.
. Ills ich an einer Waldecke vorüber
!tam, machte ich eine merkwürdige
icntdeetung: Am friiben Morgen bat
Iten diese Bäume noch tief im Wasser
gestanden; fest aber waren ibre Wur
gn taum vom Wasser bedeckt; und
j i Wasser war doch nicht gefallen,
Esonbern im Gegenteil stetig gestiegen.
Diese Erkenntnis nahm natürlich
mein ganzes Interesse ia Anspruch.
Jch fuhr dicht an den Rand des Wal
des und befestigte mein Schiff an
einer vorspringenden Baumwurzeh
Mit der langen Ruderftange unter
suchte ich dann den Waldlwden auf
seine Feftigteit. Als ich mich über
zeugt hatte, daß er mich tragen wür
de, sprang ich getrost aus dem Schiff
aus eine hochstehende, dicle Baum
wurzel.
Wahrhaftig! D e t g a n z e
Wald schwamm mit allen
Bitfchen und Bäumen auf
dem Wasser, das konnte ich deut
lich wahrnehmen, wenn ich mit dem
Fuße fefi auftrat. denn da zitterte
und bebte weithin die Fläche, und das
Wasser am Rande des Waldes fchlng
Wellen. Es war nicht anders: Durch
den ftarlen Wafferdruck hatte sich die
obere, etwa einen Meter dicke Moor
fchicht vom Untergrunde abgetrennt
and schwamm vermöge ihrer leichten
Beschaffenheit auf dem Waffen Das
Bäume von foicher Größe schwim
men können, das sollte ich erst fpäter
erfahren, als ich die wahrhaft riesi
gen Wurzelballen einiger vom Stut
me umgeftiirzten Tannenbäume de
trachtete.
Meine Verwunderung über dies
Naturereigiiis sollte noch größer wer
den, als ich bald darauf an einer
läche grünen Kornlandeö vorüber
uhr. Auch dieses schwamm, wie
;mich die Untersuchung bald lehrte,
zauf dein Wasser, während die Wiesen
ringsum überflutet waren.
Als ich nach dem Segellenhofe
lam, war man hier eifrig damit be
schäftigt, das Vieh aufzublocken, in
dem man Kühe und Pferde aus den
Fätiillen holte und den Fußboden der
zStälle durch starke Bohlen und
darunter gelegte Ballen künstlich er
Ihöhtr.
Jch fragte Segellen, ob denn das
Wasser deni Korn auf den Feldern
nicht schadet
.Nein," erwiderte er, »so lange.
»das Kornland schwimmt, schadet das
;Wasser nicht. Darum machen wir
Hauch alles Kornland, was nicht mehr
schwimmt, zu Wiesen. Sie tönnen
daran erteiiiien, daß das Schwimmen«
des Landes auch von Segen Ieln
)tann; denn sobald unser Land auf
ihört zu schwimmen, können wir
.Wiiathauser Bauern lein Korn mehr
bauen.
,,Zivar machmal,« so fuhr er fort,
»tiinn das schwiinmende Land auch
großes Unheil anrichten, wenn näm
lich der Sturm große Stücke von den
Büschen losreißt und in die Wiesen
treibt.«
Damit erhob er sich, um nach dein
Stande des Wassers zu sehen. Als
er zurückkehrte, erklärte er in seiner
ruhigen Weise: »Wenn das Wasser
so weiter steigt, haben wir es in zwei
Stunden im Hause« Doch beru
higte er uns damit, daß dies voraus
sichtlich nicht viel zu bedeuten hätte.
zumal die Wohn- und Schlasraume
einen Fuß hoher lägen, als der haus
flur, außerdem die Flut aller Vor
aussicht nach gegen Mitternacht nach
lassen würde.
So saßen wir denn noch eine
Stunde oder auch zwei am warmen
herdseuer und warteten der Dinge,
die da tommen sollten. Unsere Au
gen richteten sich univilltürlich nach
der großen Einfahrtstiir, durch die
das Wasser zuerst eindringen mußte,
denn sie lag am niedrigsten.
Da, nach etwa anderthalbstiindii
gem Warten erblickte mein Auge et
was, was mein herz fast einen Au
genblick ftill stehen ließ.
Was war ed nunt Ein Gegen
stand von der Gestelt einer riefigen
Schlange tani durch eine handbieite
Oeffnung am Grunde der Tür und
bewegte sich hin- und herwindend
und dann breiter, immer breiter wer
dend, die große Lehmdiele herauf. —
Es war Wasser. —
Die Hausbewohner mochten auch
an solchen Anblick gewöhnt sein;
denn Trina, die Großma d, rief la
chend: «It-iett henl Nu s et da!«
und lief dann mit dem Kleininecht
zusammen die Diele hinunter, sich
das Ereignis in nächster Nähe zu
besehen.
Fast schien es, als habe die Flut
nur dieses Ziel ereichen wollen, denn
von nun an stieg das Wasser nur
sehr langsam, so daß es, all wieder
eine Stunde verflossen war, das
Flett, das allerdings eine handbreit
höher lag, als die Lehmdiele, noch
nicht erreicht hatte. Da Mitternacht
nicht mehr sern war, so meinte der
hauswirtt »Wir können ruhig zu
Bett gehen. Hinrich und Jan,« dail
waren die beiden Großtnechte, »Ein-»
nen aufbleiben, und Trina kanns
ihnen noch eine Tasse Kaisee iochen,"
damit sie nicht einschlafen.
So blieb mir denn nichts anderes
übrig, ais das Bett aufzusuchem das
mir die freundliche Dausfrau in ei
Hnetn Alloven der guten Stube, als
idem tubigften Platz im Haufe, an
wies.
l Am Morgen bot sich mir ein feli
lfainer Anblick: Der ganze hausflur
iftand unter Waffen nur der Feuer
lherd ragte noch daraus hervor unt-f
inahnr fich mit feinem hellbrennenden
Forffeuer seltsam genug aus. Ein
;der großen Schiffe hatte .man ins
Gans gezogen und in die Nähe des
Herbei gestellt.
: Die Hausfrau teilte rnir mit, daß
der Sturm ein großes Stück des
"fchwimmenden Waldes losgeriffen
und in die Wiefen getrieben habe.
Die Knechte waren ausgeschickt, um
die Nachbarn zu Hilfe zu rufen, wäh
rend Segelten und einer der Tage
löhner dein Flüchtling nachgeeili feien,
um die auf dem schwimmenden Lande
befindlichen Bäume zu fällen, damit
sie dem Winde leinen Widerstand
mehr boten.
Bald fahen tojr die Nachbarn don
fallen Seiten in Schiffen herbeieilen.
lNur einer fehlte, Dirt Kohlmanm
iEr halte sich entschieden geweigert,
Imitzutun.
pUicuchkllcgcll Mllg VllD cllllo Ilscll
bleiben, wo es will, ich sehe teine
hand darunt« hatte er zu den ihn
aufsordernden Knechten Segeltens ge
sagt. So mußte man das schwere
Stück Arbeit ohne seine Hilfe ver
suchen.
Als eben die Bäume auf der Jnsel
gefällt waren, begann plötzlich das
Wasser zu fallen und zurückzufluten.
Das war den Bauern natürlich höchst
willtommen, denn nun konnten sie
sich die große Mühe des Zurückholens
parenz sie brauchten nur mit Hilfe!
hrer langen Nuderstangen darauf zu
schien, daß die Insel den richtiges
Kurs behielt. Um das zu ermög
lichen, fuhren sie in zwei Reihen rechts
und links neben ihr her und versetz
ten ihr von Zeit zu Zeit einen liebe
vollen Stosz mit den schweren Eichen
rudern, wenn sie versuchte, von der
rechten Bahn abzulenten.
Diese immerhin nur leichte Arbeit
versehte die Leute in eine heitere
Stimmung; und schon berechneten sie,j
wann sie den Ausreifzer wieder an
Ort und Stelle haben würden. Da
gab es mit einein Male einen gewal
tigen Ston und die Jnsel stand still
wie ein Schiff, das auf ein unsicht
bares Riff geraten ist. Der unsicht
bare Widerstand stellte sich als ein
Hog. Schlag heraus, eine Art Tor:
faus Eichenholz und starken Pfählen,
lwie er hierzulande bei allen EinfahrL
ten zu den Wiesen und Weiden zu!
finden ist.
? »Wir mijssrn wieder zurück«, riefi
Segelten den Leuten zu, »sonst Dorn-;
men wir ganz fest zu sitzen!« s
So wurden denn die Schiffe wie
der umgedreht und mit dereinten
Kräften versucht, die Jnsel wieder
abzubringen. Jedoch vergeblich.
»Auf diese Art kriegen wir sie nicht
wieder los,« meinte einer der Nach
barn. »Wir müssen eine Sage ho
len und die Pfähle absiigen.«
Segellen befahl einem Knechte,
schnell nach Hause zu fahren und
zwei Sagen mitzubringen »Aber
deeile dich, sonst ist es zu spöt.«
Endlich kam der Knecht mit den
Sagen zurück, und nun stiegen vier
Mann ins Wasser und versuchten,
die Pfähle abzuschneiden. Nach vie
ler Mühe gelang dies endlich· Aber
es war schon zu spät. Die Jnsel
saß schon am Erdboden fest, und noch
dazu auf Kohlmanns befter Weise.
Als man ihm die Nachricht über
brachte, war seine Wut natürlich
groß. Er fluchte und wetterte· Aber
was konnte das helfen? Hätte er
gleich mit Hand angelegt, so wäre
man vielleicht schneller vorwärts ge
kommen und das Unglück nicht ge
schehen. Jetzt war es zu spät.
Fur Rohlmann bedeutete dies einen
großen Schaden, der vielleicht erst
nach Jahren beseitigt werden konnte.
Der Grund von deni plötzlichen
Fallen des Wassers war ein Deich
bruch gewesen, der einem großen,
blühenden Marschdistritt bei Bremen
Unheil und lieberschtvernmung brachte.
Zur großen Freude für Kohlniann
und Segelken begann nach einigen
Tagen das Wasser wieder zu steigen
und hals so das schwimmende Land
wieder slott zu machen. Diescnal
hals auch Kohlmann mit. Man
schnitt die Jnsel in mehrere Stücke
und brachte sie so glücklich wieder an
Ort und Stelle. Um ein abermali
eö Fortschtoimmen zu verhindern,
Schlug man starke Pfähle in den Bo
den und band das Land mit starken
Tsuen daran sest.
Aber das Gelingen dieses Wertes
hatte noch eine andere glückliche Folget
Als nämlich die Arbeit vollbracht
war, reichte Arp Segelten seinem
Nachbar Kohlmann die Hand und
sagte: »Rachbar! Dies Stiick Land
hätte zu dem alten noch einen neuen
Zantapfel fügen können, wenn der
liebe Gott nicht ein Einsehen mit
uns schwachen Menschenlindern ge
habt und das Wasser wieder geschickt
hätte. Darum laß uns an dieser
Stelle Freundschaft schließen und den
alten Haß und Streit vergessen. Hier
ist meine Hand. Schlag ein und laß
uns wieder Freunde sein!«
Kohlmann zögerte. Der alte Groll
schien sich noch einmal aufzubiiumen.
Dann aber schlug er mit schnellem
Entschluß in die dargebotene Rechte
und sagte kurz und bestimmt: »Es
soll alles vergessen sein, Nachbar!«
Dann zog Segelten den sich noch
leise sträubenden Dirl Kohlmann in
sein haus, und die übrigen Nachbarn
folgten.
I I .
Gegen Weihnachten hatte die
Freundschast zwischen dem Kohl
manns- und dem Segelkenhofe be
reits solche Fortschritte gemacht, daß
man zum Feste die Verlobung der
beiden Kinder beschloß.
Und die gütige Mutter Natur, die
sich schon einmal den Liebenden so
wohlgeneigt erwiesen, hatte ein Ein
sehen und baute ihnen eine schöne,
seste Brücke aus spiegelglattem Eise,
da der Verkehr zu Wasser doch tnit
Schwierigkeiten verknüpft war.
Yie edle xägkz
Von Gun de Tirnnioncy
»Mein herr«, sagte der Mann in
Arbeitetileidung, indem er seine
Mütze verlegen in der Hand drehte,
»so liegt die Sache — meine Toch
ter ist trank, sehr trank. Der Arzt
war soeben bei ihr und meinte, sie sei
unrettbar verloren, ihre Stunden
seien gezählt. Unser einziges Kind
—- eö ist hart! Wie haben wir
uns um sie gesorgt, die Mutter und
ich! Wir haben sie einen quten
Beruf erlernen lassen. Sie ist ge
schickt und hat Geschmack. Sie ver
dient ihren Unterhalt als Modistin
—- so hofften wir, uns eines Taqu
zur Ruhe seyen zu können· Doch die
TMlose s- sie treibt keinen
Scherz. —"
Und der Arbeiter wischte eine Trä
ne sott, die über das durchsurchte
Gesicht rollte, während der Student
seine Geldbörse zog. Doch der an
dere, dies bemerkend, wehrte ab.
»Da-halb bin ich nicht hergekom
men· Gott sei Dant, wir brauchen
nichts- Doch hören Sie: Seitdem sie
trant darnieder liegt, spricht meine
Tochter nur von Ihnen. Jn ihren
Fieberphanlasien tehrt Jhr Name
jeden Augenblick wieder. Sie wer
den begreisen, daß ich zuerst nicht
wußte, was sie damit sagen wollte
Doch der Portier gab mir einen Fin
gerzeig — uud da suchte ich Sie
auf.«
»Aber —- wo wollen Sie hinaus-,
lieber Freunds« ries der junge
Mann, »was solt das bedeutens«
»Ich bitte Sie, werden Sie nicht
aufgebracht,« murmelte der andere
verwirrt. — »Ich will dein Zweit
meines Hierseing uiiher kommen:
meine Tochter spricht von nichts an
derem, als von Jhrer Person —- es
muß doch da ein Grund vorlie
«
pcn —
»Schon möglich — wag aber kann
ich dnsijrs Gewiß nehme ich teil an
dem Unglück, das Sie betroffen.
Doch da mein guter Wille ohnmäch
tig ist —« "
»Mein Herr«, bat der Besucher,
»ho«ren Sie mich noch einen Augen
blick. Vielleicht ist mein Kind —
in Sie verliebt. Das ist doch kein
Verbrechen? Sie sind schon, das
blendet unsere Kinder —— und jetzt
im Fieber arbeitet dac- Gehirn — es
schmiedet Jdeen«.
»Wie sieht Jhre Tochter auss«
forschte der junge Mann.
,,Eine schlante Briiiiette —- in
blauem Tuchtleid —- mit einem ro
ten Hute, den Rand auf einer Seite
aufgehoben —-'«
Jetzt erinnerte sich der Student
Oft war er dem jungen Mädchen
aus der Treppe begegnet. Sie war
sehr hübsch: ein nnziehendes Gesicht-!
chen. das er zuweilen flüchtig beobii
achtet. Er erinnerte sich noch recht
gut, wie sie ihn kürzlich im Vorbei
gehen verstohlen ansah, als hätte sie
das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen
—- ohne jedoch in ihrer Schiichtern
heit zu wagen, ihn anzureden. Sie
liebte ihn lso heimlich. Von ihr
waren die leinen Veilcheifträußchen,
die er regelmäßig an seine Tür ge
heftet vorfand und die so oft seine
Neugier erregten. Und dabei bil
dete er sich ein, sie kämen von seiner
blonden Nachbarin, während sie in
Wirklichkeit das Sinnbild ihrer be
scheidenen Liebe waren, die er nicht
einmal geahnt
Diese stumme Verehrung rührte
n
»Ich wiirde mich freuen, lieber
Freund, wenn ich etwas für Sie tun
könnte —- aber was?« — ich
fwiißte nicht —«
Da raffte der Alte seinen ganzen
Mut zusammen und bat: »Kommen
Sie mit mir — sie stirbt ja bald —
es wde ihr eine große Freude sein«
Sie zu sehen-«
»Gut, ich komme mit«.
Die Wohnung des Arbeiters iin
sechsten Stockwerk war von großer
Einfachheit, aber sauber gehalten:
ein heller Strahl der Morgensonne
fiel durch das mit Blumen besetzte
Fenster, durchflutete das Zimmer mit
heiterem Glanze und vergoldete mit
seinem Schein den ärmlichen Raum.
» Als sie das Zimmer des Mäd
ichen betraten, lag sie in friedlichem
Schlummer Das abgezehrte und
weiße Antlitz glich einem unbelebten
Marmorbilde.
Der Student ließ sich neben dem
Bett nieder, um zu warten, bis sie
erwache. Bald jedoch quälte sie ein
heftiger Anfall ihres trockenen Hu
stens. Sie schlug die Augen auf und
erkannte ihn —- ein leichtes Rot stieg
in ihre bleichen Wangen.
»Sie ——« sliisterte st , »Sie hieri
iWarum nur sind Sie hergekommen?«
Sie waren allein; die Alten hat
ten sieh unbemerkt zurückgezogem er
beugte sich zu ihr nieder und antwor
"tete leise: »Weil ich dich liebe —«
Die zarten Hände der Kranken beb
ten vor Freude. und den blutleeren
Lippen entschlüpsten die Worte:
»Wenn du wiißtest, Liebling — wenn
du wüßtest —«
Sie fand keinen Ausdruck mehr,
um ihm die geheimen Gedanken ihres
Herzens zuzuslüstern, keine Worte,
um ihre ganze Liebe und Glückselig
keit auszudrücken.
Und sie schwieg und sah ihn an
mit einem Blicke, der ihr unaus
sprechliches Glück verkündete.
Plötzlich aber kehrten ihre Gedan
ken zu der rauhen Wirklichkeit zu
rück. »Wie —- wie kommt eö nur«
dirxhß Sie hinsinch fragte sie ängst
»Jch habe bei deinem Vater um
deine Hand angehalten Sobald du
wieder gesund bist, machen wir Hoch
zeit.«
Ein seltsame-r Schimmer der Hoff
nung ließ ihre Augen aufleuchten und
verklärte ihr Lächeln mit überirdi
scher Freude: »O, das wird nicht
lange mehr dauern — ich fühle mich
schon viel. viel besser. Wann aber
gibst du mir den Verlobungsring?«
Ohne Zögern streifte er einen
schmalen Uteif pon seinem kleinen
Finger nnd reichte ihn ihr: »Hiermit
schente ich ihn dir.«
Jhre Glückseligkeit war so groß,
daß sie nicht im entferntesten an die
vielen Unmöglichleiten dieser Stunde
dachte Schon oft hatte sie im Tran
me den Geliebten ersehnt, der sie als
seine Braut heimführen solle, daß
feine Ankunft ihr nur zu natürlich
erschien.
Und ohne Nachdenken überließ sie
sich dein Hauber der geheimsten Wün
sit-e ihres reinen Herzens.
Jn der folgenden Nacht entschlief
sie, die Hand der- Berlobten in der
ihrigen haltend, mit den zärtlichen
Worten: »Wie gut du bist, Gregor —
ich siihle mich so glücklich —- so gliicks
lich
Und ihr Ringen mit dem kac
tonr leicht -— ging sie doch dahin in
der edlen Lüge, mit der ein mitleidi
geg Herz ihre letzten Augenblicke ver
sijßte.
»Mein Herr«, sagte da der Alte,
»wir bunten Ihnen fiir Ihre schöne
Tat. Doch bevor Sie fortgehen,
möchte ich Ihnen den Riin zurückge
ben, den Sie meiner Tochter schenk
ten.«
Doch der junge Mann wandte sich
ab, um eine heimliche Träne zu ver
bergen, die sein Auge feuchtete, nnd
antwortete bewegt: »Lnssen Sie ihn
ihr!'« —
— Drohung. Puntosselheld:
»Du, Amnlie, wenn Du mir heute
wieder den Hausschliissel nicht mit
gibst, dann — dann...«
Sie (unheildrohend): »No, bannt«
Er (eingeschüchtert): »Dann werde
ich halt sehen, daß ich recht sriih
heimlomm'!«
—- Rnche. Der Simmetshoser
hat in der Lotterie das große Los
gewonnen und hält nun in seiner
Freude die ganze Gemeinde im
Wirtshause zechsrei. Jn der darauf
folgenden Nauferei bekommt nun
auch der Bestgeber seinen Teil als
Das scheint ihm dqch zuviel. Als
er sich endlich erheben kann, schreit
er drohend: »Diissell sag i Ent,
Leut’: meiner Lebtag mach i’ toan
Haupttrefser mehrt« L;