Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 29, 1913, Page 2, Image 2

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    Mk Ema M Sentmåekg.
Knminauoman von Erich Eies-stritt
sp
i (7 Miso
M llngliieiliche, dessen blanrores
Iesichi offenbar einmal erfroren
Verr, trug auf dem mit Jeden um
Iidelien ls zwei Kröpfe von
ßaiilichen ensionen. Seine Beine
Daten veririimmi und ermöglichten
ei ihm nur schwer, sich fortzubewe
gen
Unf den Zügen lag jenes brei«e
Hupide Grinfen, das den Halb-Firma
verrät.
Meliiia aimeie auf. Nein das war
der Graubati nicht« Welche Gespen
ster hatte sie sich überhaupt gleich zu
far n:engedichiei.
Die Sache war gewiß ganz natür
lich: Lavandal hatte sich aus irgend
einem Grund wahrscheinlich schon
unterwegs von Prasper getrenn:
machte einen Spaziergang und kam
dabei zufällig an den Sieinbtuch, wo
ihn dieser arme Jammermensch ange
bettelt haben mochte.
Rasch und immer noch über sich
selbst lächelnd, ging sie nach Haus,
dem irurnrnbeinigen Steinbruchmen
schen im Vor-übergehen ein Geliniick
zuwerienix das er grinsend in Emp
fang nahm.
Am nächsten Tage fuer sie nicht
nach Prachaiiß« denn Lisa wollte,
daß sie sie ganz heimlich in aller
Zinkgenfriilie nach Senlenberg begleiq
— l
Niemand —- nicht einmal die Ba
ronin sollte darum wissen. Es galt.
Prosper, der stets gegen zehn Uhr zu
Fuß oder Pserd nach Mauerberg kam,
zu über-raschen Das war Lisas »Ge
heimnis«.
«Weiß Du, wenn er gerade so
recht behaglich mit Tante Renate und
seinem Vater beim Frühstück sitzt,
dann trete ich vor ihn hin«, malte
Lisa die Situation aug. »Sein Ge
sicht wird so komisch sein! Weiß et
doch, daß ich sonst eine Langschläsetin
bin. Uebrigens« — sie blickte mit
strahlenden Augen vrn sich — »ist die
Welt so am frühen Morgen ganz
herrlich! Wollen mal sehen, ob’s auch
spssi wahr ist, daß Morgenstunde
Sold im Munde trägt?«
»Wann srühstücken sie denn in
Sentenbergtss
»Ich glaube, so um neun herum!«
« »Was-X- Metittq blieb bestürzt fie
"hen. ,Ibkt Kind, dann sind wir ja
viel zu früh weggegangen! Es ist
hum sieben!«
. »Wal. Jch will mal ganz allein
xso recht u setzenslust in dem ver
«-wildetteu rk herumstrabanzen.«
s Mo wurde kot.
»Gott — ei ist so eine Laune."
III Kind hab ich mich immer so
köstlich gegranlt dort in den düsteren
Mem, wo der Boden ganz moosig
isi und man die Stille förmlich hört.
Tausend Märchen habe ich dort erlebt
. . . nnd besonders wenn ich jenem
Teil nahe kam, wo der alte here v.
Senlenberg seine Spaziergänge macht
nnd wohin mir immer verboten var
zu gehen. »Das Loch des bösen
Drachen« nannte- ich es heimlich«
»Lisu —- sei ehrlich —- Du willst
noch etwas anderes in SentenbergY
Jrgendeinen Schabernack ausführen!
Geitehe es nur!«
Lisa lachte plötzlich laut aus und
schüttelte den ährenblonden Kopf,
daß es im Sonnenschein wie tau
send goldene Strahlen um ihre Stirn
tanzte.
»Dann wurde sie ganz ernst und
sagte: »Ja, Du siebenmal Gescheite
—- ich will noch etwas-. Den Dra
chen will ich bezwingen! Jn alten
Zeiten besorgten dies die Ritter für
Ins, aber es scheint, daß im
Zeitalter der Frauenemanzipation
wir dies Geschäft nun selber besorgen
müssen.'«
»Aber Lisa —- wenn Deine Ma
Iia —«
»Na, die Mama würde freilich tau
send Gründe dagegen wissen, aber
darum habe ich nur Dich eingeweiht!
Ich habe mir alles überlegt. Von
sieben bis acht macht der Drache sei
ten Morgenspaziergang am Ende des
Bartes-, wo der alte Weiher liegt.
Dort überfalle ich ihn!«
»Was wirst Du ihm denn sagen?«
»Wie soll ich das fest schon wis
sen? Es wird mir schon etwas ein
Iullen. . . übrigens da sind wir.
Von dem Seitenpfdetchen weißt Du
seht nichtzk
»Nein. Jst es denn offen?«
»Aha Spur-. Aber ich habe den
site-s Lastellan muttch so gebettelt,
bis et mir den Schlit el borgie. Er
glaubt tatst-lich nur, ch wolle Pros
pet beim Witck überfallen.«
Sie sperrte auf und trat mit Me
litts ein.
,,So, Liebste. Hiei is! eine Bank,
wie gemacht fiii Dicht Da hab ich
Dir auch den Eifehakd mitgenommen,
damit Du Dich nicht iungwiiisi
Rechts die Allee führt zum Schloß
—- lints get-PS zum Loch des Drachen
sind nun addio!«
Ehe Metitta zu Wort kommen
konnt-, saß sie auf der Bank, hatte
ein Buch im M einen Nu auf
der Stirn und sc gerade , wie
ässat wåkgässåti Les gleich eine-:
W Wo
»s» F —
XXUC
Fuss Jan Zenkenjesa Evisskelie m·t
eEss seienktzikt III-pf, in tjjesdemlst
Vers-keck um den Weiher. deFIU
odalifierende, reglose Fläche wie ein
dunkles Blatt zwischen Ahnenhiiumen
Eis-preisen und hohem Riedgras lan·
Es war der diisterste Theil des Par
les.
Ja sein-e harten verhitterten Züge
war seit jenem Abend mit dem
fremden Händlee ein neuer Ausdruck
gekommen, der: raiiloser. innerer Un
ruhe.
Peter Mark hatte ihm nur gemel
det, daß Herr Rodin nach in der Nacht
'abgereist sei, weil die Sache mit den
Ohrgehiingen ihm teine Ruhe ließe.
Er wollte sie sobald als möglich her
beizuschaffen versuchen.
Seitdem war keine Nachricht ge
kommen.
Senlenberg sagte sich tausendmal
in den lehten Tagen vor. es sei un
möglich, es könnten nicht dieselben
Ohrringe sein, irgendeine Aehnlichkeit
müsse Rodin getäuscht haben —- etwas
in ihm wartete doch in rerzehrender
Ungeduld auf Gewißheit
Vielleicht hatte jene Unselige den
Schmuck vor ihrer Abreise vertausi?
Aber warum? Sie hatte ja Geldmit
tel im Uebersiuß mitgehabi. All die
Summen, die seine Liebe ihr gegeben,
hatte sie wie sich nachher herausge
slä llt vor ihrer Flucht behalten Und
sie liebte gerade diese Qhrringe be
sonders. -
’ Warum also. . .
s Senlenberg wurde in seinen Ge
fdanten gestört durch etwas Lichtes,
»das plötzlich unbeweglich mitten aus
seinem Wege ausgepslanzt stand.
Er hob den Kopf und prallte bei
nahe erschrocken zurück.
Eine Lichtgestalt, die wie ein Son
nenstrahl inmitten des Düsters rings
um wirkte, stand vor ihm und blickte
ihn aus strahlenden Blauaugen ernst
und aufmerksam an.
»Wer sind Sie? Warum sehen
Sie mich so an?« sragte er unwill
liirlich weniger schroff, als er sonst
zu sprechen pflegte.
»Weil ich sehen möchte, ob Sie
wirklich solch ein schrecklicher Mensch
sind, wie man. . . wie ich glaubte?«
antwortete Lisa ohne eine Spur von
Furcht· Dann lachte sie — süß, hell
und unschuldig wie ein Kind —
,,nein Sie sind es nicht! Sie tun
nur so! Ihre Augen sind gütig. . .'«
Sentenberg hatte sich gefaßt. Der
ganze Widerwillen gegen fremde
Personen drückte sich in seinem Ge
sicht aus. Daneben eine Art Em
piirung über die Dreistigleit, mit der
man seine Einsamkeit zu stören ge
wagt hatte.
»Ich habe Sie gefragt, wer Sie
sind!« sagte er nun doppelt schross. «
»Nun — die Lisa Lauterbeck,
Jbte zutiinstige Nichte«, antwortete
sie unbefangen, denn sie hatte sich
Fest vorgenommen: Bangemachen gilt
nicht!
»So. Und wer bat anen er
laubt, Jbre Spaziergänge bis hierher
auszudehnen?«
»Ich mir selbst. Es ist ein biß
chen leck, ich sehe es ein, aber da Sie
nun einmal so halsstarrig sind, mich
nicht empfangen zu wollen« und Pros
per doch nun einmal mein Bräuti
garn ist —- so blieb mir eben nichts
anderes übrig!«
»Was wollen Sie denn eigentlich
von mir?«
Erstens Sie fragen -- was Sie
gegen mich haben, Onkel Joachian
»Onlel. . .? Senlenkerg war starr
iiber diese Vertraulicheit. Sie
merlte es nnd lächelte ihn boldieliq
an.
»Gott —- in sechs Wochen sind wir
es doch wirklich, ob Sie nun wollen
oder nicht« Also wag habe ich Ih
nen getan, daß. . .«
»Gar nichts, mein Fräulein Mein
Benehmen gilt durchaus nicht Ihrer
Person. Sondern —«
»Ach so! Also wirklich? Dem
ganzen Geschlecht? Aber das ist ab«
kleulich von Ihnen, Onkel Joachim!
Wenn Sie ein paar etlige Frauen im
Leben getroffen haben, so können doch
wir andern nicht dafür? Wir — das
beißt, ich — will ja doch gar nicht-«
anderej, als daß ich Sie lieb haben
darf! Warum sollen wir denn wie
hund und Kaye leben? Da wir doch
Nachbarn bleiben und verwandt sind?
Seien Sie doch lieb und gut. . .
bitte, bitte, haben Sie mich nur ein
ganz klein wenig lieb. . . unt Pros
pers willenl« Sie hatte trotzig begon
nen und sehr innig geendet.
j, Waren es die blauen Kinderaugem
sdie so heiß bittend zu ibrn aussahen
jeder die weiche Stimme. in der es wie
verbaltene Tränen klang — genug,
Senienberg fand diesmal keine
fchrofse Antwort
» Wunderlich verwirrt starrte er auf
ldas rosige Mädchenantiitz nieder.
) Schlummerte auch hinter dieser
reinen blumenhaften Elfengestalt eine
fsutunft von Schmutz, Jammer und
»Lüge? War auch sie bestimmt, zu
betrügen und un liicklich zu machen?
Ein tiefer Sen zer hob feine Brust,
’ohne daß er es wußte.
Aber Lisa hatte ihn gehört und er
erschütterte sie tiefer, als die bemal
sten Worte getonnt hätten. Dunkel
ahnte ihr Fraueninsiintt, daß da eine
arme einsame Seele unter Schmerzen
W, daß es weder Haß noch Laune
war, was diesen alten Mann gegen
Ue Messin- anfgebraeht hatte, lon
bsrrs nur ds- ngmer irgendeines
trauriges-. Schicksals-, den et stolz hin
ter Kälte Erbat-;
Sie mußte plötzlich weinen. Und
in ihrer hilflosenVerlegenheit wars sie
sich wie ein Kind an des alten Man
nes Brust und schluchzte unaufhörlich:
Waben Sie mich doch lieb! Haben
Sie mich doch lieb! Wir wollen doch
gar nichts anderes von Ihnen, als
das .. . . nur das! Haben Sie Pros
per und mich doch liebt«
Sentenberg, kaum weniger verle:
gen als sie, streichelte bestürzt ihr
Haar.
.Kind«, murmelte er, «wie sprechen
Sie zu mir! Weinen Sie doch nicht
so. . . es tut mir weh. . .«
Aber Lisa schluchzte weiter.
»Wenn Sie auch unglücklich sind
. . .wir können doch nichts dafür!«
Er schwieg und starrte stumm aus sie
nieder.
Dazwischen siiblte er ein seltsa
mes Wohlbehagen seine Brust durch
rieseln. :
So lange hatte niemand nach sei
ner Liebe gefragt. So lange leine
heiße zitternde Frauenhand seinen
Nacken umtlammert. So lange war
nichts um ihn gewesen als Einsam
keit und Kälte und Scheu vor seinem
schrossen Wesen. . . .
Jhm war wie dem Mann im Mär
chen, dessen Herz von drei eisernen
Reisen zusammengepreßt war, und
der nun fühlt, wie einer wenigstens
itlirrend zersprang· . . »
Dann rasste er sich zusammen.
»Lisa", sagte er so freundlich, wie
nie ihn jemand hatte sprechen hören,
»nimm Dich zusammen! Wir wol
len nicht töricht sein. Jch tat Dir
;Unrecht. . . gut, aber ich bitte es
;Dir nun ab. Sage das Prospek.
Und auch, daß ich mich tiinstig sreuen
werde, wenn Jbr beide mich zuweilen
ein Stündchen an Eurem Glück teil
nebmen laßt.«
Lisa schielte
por.
ahast Du mich jetzt doch ein biß
chen lieb, Onkel?«
»Ja! Muß man nicht?« murmelte
er. »Du hast die Macht der Glück
lichen. . .«
«Dann tomm mit mir und saqe
es Prosper selbst —- sonst glaubt er
es mir ja doch nicht!
was-?
in Arm am Friibstiickstisch überra
tchen!"
Sentenbera iubr beinahe entsetzt
zurück. »Was fällt Dir ein? Prosper
ist doch nicht allein —·
.Eben- darum! Gegen Vetter La
vandal warst Du bisher auch gar
nicht nett —- da gebt es fest in einem
bin. Denke nur —- die Gesichter!
Prosper hat ja nicht die leiseste Ab
nung, daß ich biet bin!«
Er wollte sich sträuben, aber un
widerstehlich wie das Schicksal selbst,
zog sie ibn mit sich sort, und ehe er
recht zur Besinnung kam, standen sie
ans der Gartenterrasse, wo Fräulein
unter Tränen em
Weißt Du»
Wir wollen sie jeyt beide Arm ;
(
Renate eben ihren beiden Neffen Ter»
in die Tassn goß.
Die Silbertanne wäre ihren hän
den aus ein Haar entfallen bei dem
Anblick, der sich ibr so unvermutet
bot.
Staunen und Verbliissung waren
so groß, daß einen Augenblick laut
lose Stille herrschte.
Dann war es Prosper, der den
beiden mit einem Jubelschrei entge
genstiirzte.
——-—————--—-—
Melitta wartete vergebens aus Li
Fsas Rückkehr-. Als sie begriff, daß
pdie Kleine sie ganz einfach vergessen
thue, schritt sie lächelnd in der Rich
Jtuna gegen das Schloß hin.
Es ist ihr also doch gelungen,
dachte sie, sonst hätte sie mich wohl
geholt. Nur die Glücklichen rergessen
lso ariindlich!
Jhr Weg sührte sie nach seinigen
Biegungen seitwärts an die Ter
rasse. Schon von weitem hörte sie
Lisas Lachen und Prosperö tiefe
Stimme.
»Ist sie nicht wirklich die Feenlönd
gin aus dem Märchen, der sich alles
in Gold verwandelt, was ihre geseg
neten Hände berühren«, sagte er eben
überschwenglich. »Sage selbst, On
tell«
Melitta über-sah ietzt die Terms
senecke, wo unter dem überhäugenden
Laubdach eines nahen Kastanienbam
mes der Frühstückstisch stand.
Um die Balustrade der Terrasse
schlangen sich Schlingrosen, deren
leuchtend rote Blütenbüschel einen
hübschen Kontrast zu dem weißgeM
ten Tisch rnit seinem Silbe-gerät und
dem dunllen Laub der Kastanien bil
deten, deren Aeste sich von außen
schirmend über die ganze Terrassenecke
kheriiberstreckten
Zwischen diesem dunklen Grün
und dem leuchtenden Rai sah Melitta
die Gesichter der um den Tisch Sitzen
den.
Sie sahen alle froh und zufrieden
aus, bis auf das des alten Sen
kenberg. Aber auch auf diesem
.lag nicht mehr Berbitterung, son
dern nur ein tiefer melancholischer
»Ernst·
I Meiiiia blieb unwillkürlich stehen
und betrachtete das sich scharf vom
dunkeln hintergrund abhebende Pro
fil des Schloßhetrn, den sie noch nie
so nahe gesehen.
Wie edel nnd vornebm es in den
Linien war! Es kam ihr gar nicht
fremd m und sie empfand Mut et
ws vie Sei-W dafür.
NIZJHLJ Tit-! ein k··«·2 "·e!1·3.
Ufiskiåhi in sit Pf. US : E eine zu
fljkize iiåischkize Eiednxixiskct in den
z ist-kiffen von Senienbrrxis Kopf
For-set das strahiende GliU dek- Tan
;aen Paares an feiner Seit-. s— genug«
sie mußte plötziickz an Felix Eisiet
idenken und die name Verlassenheii
sistet Lage kam ihr jäh zum Bewußt
: ein.
Es war nicht Neid. Nat eine greu
izeniose Traurigkeit Nur die Emp
findung: Fiir mich wird wohl nie
ein Tag kommen. wie keuie für die
Beiden da oben!
Tränen verdunkelien ihren Blick.
Sie ttai einen Schritt seitwärts vom
Wege ab. damit nicht etwa ein zu
fällig herabgieiiemdet Biick sie ent
Idecttq obwohl dies kaum zu beiiitchs
kien war.
Die Stirn an den Stamm eines
Baumes gedrückt, die Zähne zusam
menbeißend, suchte sie das jäh auf
wallende Schmerzgefiihl niederzu
kämpfen.
E Dann wurde oben aus der Ter
jrosse ein Stuhl gerückt Herr v. Lo
Tvandal war ausgestanden und an die
EBriistung der Terrasse getreten.
« Er blickte nicht nach der Seite. wo
Melitta stand, sondern geradeaus in
die Ferne.
Sie aber duckte sich plötzlich schan
dernd tieser in die Taxusbiische und
starrte entsetzt aus das bleiche, eben
noch so sreundlich lächelnde Gesicht
daö nun einen Ausdruck so wilder
Wut, so schrantenlosen Hasses trug,
wie Melitta ihn nie zuvor in einst
Menschen Antlis gesehen hatte.
Wem galt beides?
Und plötzlich begriss sie: Prospek,
Prosper galt es, der gestern noch durch
seine Heirat in Ungnade bei Herrn
von Senlenberg stand und fest sei
nen alten Platz als Lieblingsnesse
wieder einnahrn. »
Scheu lugte sie noch einmal nach
Lavandal.
Ja —- es konnte nur das sein.
Und —- es war ein tätlicher haß. . .
Was sollte sie tun? Prosper war
nen? Jhni sagen, wessen dieser Mann
söhig wars Aber würde er ihr denn
glauben? hatte sie nur den aller
lleinsten Beweis? Hieße es nicht viel
mehr Lavandal warnen?
Nein. Nur hemmt sollte es er
fahren, und das so rasch als mög
lich. Gleich morgen wollte sie selbst
nach Prachatitz. Plösilich siel ihr
ein, wie sie Lavandal arr. Maguerrh
sieinbruch aus der Ditti- treten und
sich spähend umsehen gesehen hatte.
Hatte wirklich nur ein Zufall ihn
hinaesiihrt?
XXV.
Die Unruhe, die Melitta seit dein
Morgen gefangen hielt, steigerte sich«
je länger sie nachgriibelte. Der
Halblretin vom Steinbruch wollte ihr
nicht aus dem Kopf·
Jm Laufe des Tages war ihr ein
neuer furchtbarer Gedanle ausgestie
gen. Sie scheuchte ihn von sich, aber
er tam immer wieder.
Wenn Lavandal sich zum Erben
von Sentenberg machen wollte —
und Melitta zweifelte nicht mehr.d:1s;
dies seine Absicht war —- dann stän
den ihm dabei zwei Menschen im
Wege: Prosper und sein Zwillings
bruder Erich . . .
Die.Briider hatten sich am 23.
Mai in Wien getrennt. Seitdem
war keine Nachricht mehr von Erich
gekommen. ;
Schwamm er wirklich auf dem?
Meere
Hatte er die Reise überhaupt ange- .
treten? Man nahm es an. Aberl
konnte man nicht irren?
Wenn er der Tote vom Prater
spitz wäre!
Es ließ Melitta teine Ruhe. Amz
Abend fragte sie Bevor-en ob er denn
noch immer leine Nachricht von sei
nem Bruder habe?
Prosper verminde
,,Uber Sie haben ihm doch Ihre
Verlobung schon mitgeteilt nicht
Twahrf«
»Natürlich! Sosort. Sie mußl
ihn längst in Singapore erwarten.«
»Müßte Jhr Herr Bruder nicht
auch schon längst dort angelangti
sein?« i
»O, ich glaube wohl. Heute ha-:
ben wir ja schon den Zi. August!
Natürlich muß er bereits dort sein«
Zum Kuckuck —- ich dachte nicht mal
daran — wie komisch zerstreut einen
doch die Verliebtheit macht" — er
lachte Lisa an -— «daran bist wie
der Du schuld, k«i«ir)--qui.s(kn!«
»Ich da e. Uebrigens sinde ich
es gar nich nett von Erich, daß er
uns nicht telegraphiert, weißt Duk«
«Datin muß ich Dir leider recht
»geben: es ist gar nicht nett von ihm!
Melittat Unruhe wuchs.
»Haben Sie denn nie daran ge
dacht, Herr v. Rodenbach, daß Jhr
Bruder krank . . . daß ihm irgend
ein Unglück zugestoßen sein könnte?«
Prosper sah bestürzt aus und wur
de rot. Jn feinem Glückstaumel
war ihm der Gedanke wirklich noch
nie gekommen.
»Er-satt Ein Unglück? Mein Gott«
das wäre ja lchrecklichl Aber Sie ha
ben recht, Fräulein Melitta, es war
unverantwortlich leichtsinnig und ge
dankenlos von mir . . .«
»Ich wollte Sie nicht erschrecken.
Aber an Ihrer Stelle würde ich doch
nach Stngapore depefchieren und die
Matt-me stets- bezahlem Wissen
r
Sie. wo Ihr Bruder Lxrt .-.::«"e««.·n
ivcltie?"
»Ja. Jm Hofel d·«?ln-.1!eiette«
«llnd das Schiff, mi: Dem ex :e?fk:i
:vollse?«
»Die »Berenile«. Falls er dreie
nicht mehr erreicka den »Gewinn«
»Nun dann haben Sie ja Anhalts
punkte Jch fahre morgen nach Pm
chatis. Wünschen Sie daß ich die
Tspesche mitnehme?«
.Wenn Sie erlauben. begleite ich
Sie selbst. Jch depeschiete dann
euch gleich an die Schiffahrt-Sydeu
sckxaft ush an das Wienee HoteL in
dem wir uns fee-new Jch take
jetzt wirklich keine Ruhe mehr, ehe ich
Nachricht von Etich habe."
So fuhren sie denn am nächsten
Tag zusammen nach Prachatitz. Dort
erfuhr Melitta. die noch am Abend
seinen langen Brief an Hempel ge
fchrieben hatte, daß Rodin fein Quar
tier in der Krone beibehalten hatte,
aber momentan verreift war. An ihn
einlangende Briefr fallten bis zu fei
ner Rückkehr vom Portier verwahrt
werden«
»Ach, läme et doch bald!'« dachte
!-)telitta, deren Unruhe nicht weichen
wollte. »Ich habe immer fa ein Vor
gefühl, als ob wir ihn hier nötig
brauchten!«
Prosper hatte feine Telegramme
aufgegeben. Vom hotel Meißel und
Schaden in Wien lam die Antwort
umgebend: here v. Nodenbach hatte
fein Gepäct am Nachmittag des 24.
Mai zur Bahn fchaffen lassen, da er
feine Absicht, länger in Wien zu blei
ben, aufgegeben und mit dem Abend
fchnellzug nach Trieft reifen wollte.
Zweifellos habe er dies auch getan.
Die anderen Antworten konnten erft
in den folgenden Tagen eintreffen.
Es war abend. als man zurück
kehrte. Prosper wollte durchaus
noch auf ein Stündchen mit nach
Mauerberg, aber es wurden dann»
reichlich drei daraus, fo dafz es AND
ternacht war, als er den Heimweg
antrat.
Melitta meinte, er solle einen·
Knecht mitnehmen zur Begleitung
die Nacht sei seht sinster, man tönnej
doch nicht wissen . . z
Er und Lisa lachten hell aus. s
Sich begleiten lassen wie ein Pen
swnssriiuteinI Wie tomischt Und hier,
wo seit Menschengedenten tein schlech-· .
tek Mensch in die Gegend getammen! ;
Was sie nur dächte! Was sie sitech:’
tete?
Sie schwieg und wagte nichts mehr ;
zu sagen. Eigenttich hatten sie iaT
recht zu lachen. Was tonnte ihm ge.
scheheni Lavandal würde doch nicht
wagen, hier, wo jeder ihn kannte,
ais Mörder avszareeteni
Trotzdem schlies lsie schlecht in dieser
Nacht und suhr atle Augenblicte er
schrocken in die Höhe, weit sie glaub
te, irgendwo draußen ein Geräusch
gehört zu haben
Als Prosper am nächsten Tage
term, war er aussallend blaß und
zerstreut. Und den ersten Moment,
den ee mit Melitta allein b:is:b, sag
te er, sie ruhig ansehend: »Don-n Siej
gestern einen bestimmten Grind, et:.
was iijr mich zu fürchten, Fräulein!
Metitta?« Z
»Nein . . es schien mIe nur so
anheim iiI sinsier draußen, als Ziel
fortgin« n —" lag sie. »Warum;
sragenc -:e?« I
»Weil es mir jetzt sehr merkwürdia
vorkommt! Beinahe als hätten Eie
eineAbnuna gehabt Es passieiiek
mir nämlich ivirtlich ein Abenteue
---- zum ersten Male im Leben s-«
das gotilob Ikbrigsrns glimpslich ab
aina!«
»Sie -— hattet —-«- ein Abenteuee?« «
Melitta wurde blas; und sah thi;
erschreckt an. I
»Ja Mir war schon hier, als ichs
Mauerberg verließ, einmal so als-I
hörte ich ein Geräusch hinter mirs
Aber dann dachte ich, es sei Tau-T
schung gewesen. Jch wollte den
Weg abschneiden, verließ die Land
firasze und ging über Maximuva
Steinbruch. «
,,Ueber den « - k: ::ibruch?!'« "I
»Nun ja! Warusn II Kaki Was se
ben Sie mich so entsetzt an? Es ists
bedeutend kürzer und ich gehe meist
doei.«
»Und gestern?«
»Ja gestern wars sich dort in
der Nähe plötzlich ein Mensch von
rückwärts aus mich «- lautlos —
mit Riesenitäften wie ein Wilder
und wollte mich würaen2 Zum Glück»
bin ich auch lein Schlviichling und:
konnte mich befreien. Ein bißchen
zSchteck war schließlich alles —'«
; »Alle» O Gott! Wo Jhr Lebens
«nur un einem haare hing! Es iii’
entsehlichl Wenn Lisa wüßte . . .«'
ries Melitta aufgeregt
»Ah darf natürlich kein Wort
davon erfahren! Bitte, sagen Sie ihc
ja nichts! Aber Jhnen wollte ich cis
doch erzählen. Was deuten Sie da
ritbenf
Melitta schwieg Progrek suth
grübelnd fort: »Ganz bestimmt ist
tnie der Mensch schon von hier angi
gefolgt. Wer kann es gewesen sein'?»
Jch zerbreche mir den Kopf darüberl
habe ich denn einen Feind?« l
«Ja«, wollte Metiitq rufen abeel
die Zunge lag ihr wie angefleht am
Gaumen. Dann besann sie sich unt-(
sagte anscheinend ruhig: »Sie dür-(
sen nie mehr nachts allein heimge-(
M Wahrscheinlich wollte man Sie
til-eu. Um Steinbach wohnt,
wie ich neulich sah ein Mensch. der
nicht aus dieser Gegend ist. Viel
leicht —«
; »O. Sie meinen den alten til-opf
ziadl?« Er lachte. »Nein, der toar
es sicher net-« D: ame Alte lann
-ia kaum kriechen mit seinen lahm-en
Beinen. Außerdem halte ich gute-§
Freundschaft mit ihm —- so oft ich
»vor-übergehe bekommt er seinen SechH
.ser fiir Tabak. Es ist ein ganz harmq
«loser halblretin Der Mensch, der-H
mich anfiel, war groß. mager an
von seltener Muslellraft.«
»Werden Sie eine Anzeige mas
ehen?«
»Nein. Es würde nur Lisa be
unruhigen. Eines aber werde Ech
tun: Nie mehr ohne geladenen ReH
vrlver ausgehen!«
Melitta blickte inrubig vor sich hinF1
Sie erinnerte sich, daß Hempel ihr
mitgeteilt hatte, wie man auch Felix;
Eisler einst versucht hatte im Dun-« -
lel der Nacht zu ermorden.
Warum ihn? Er tonnte doch Herrn
v. Lavandal nicht im Wege stehen
,wie Prospek?
Ach es war alles su dunkel und
Irätselhaft
- Jn Senlenberg schlief wohl alles
Ischon, als Sie heimlehrten?·' fragte
ssie Möglich.
l Nein! Jn Onlels Zimmer brannte
Fnoch Licht, und Felix spielte im
Wohnzimmer mit Tanie Piquet. Der
gute Kerl hat ihr den ganzen Abend
geopfert! Jch glaube, sie fängt auch
langsam an, ihn in Gnaden aufzu
nehmen«
Er spielte den ganzen Abend Kat
ien mit det Taute, so! dachte Mem
ta. Und inzwischen »atbeitei« sein
Helsetshe lsek wieder sük ihn
Dann dachte sie leidenschagiich
Zehn Jahre meines Lebens ga ich
hin, wenn ich wüßte, wer dieser
furchtbare Mensch ist!
aSie sagen ja gar nichts, Fräulein
Meliita? Hat Sie die Geschichte so
angegriffenf
»Ja, sehr! Und ich werde leine Ru
he haben, ehe
»Ehe wass«
»Ach nichts! Uebrigens da höre ich
Liia. Ei ist wirklich bester. Sie
sagen ihr nichts davon.«
»Natürlich! Später einmal will
ich es ihr dann erzählen . . ." Er
brach ab, denn Lifa trat ein.
»Was habt Ihr da fiir Geheim
nisse vor mir?« fragte sie munter.
»Warum seid ihr plöylich stills«
»Bist Du lo neugierig, Fast-y
qiscsssrl?«
»Ganz ichrealichl Also trag ist?«
»Nun, dann höre und staune: »Ou
lel Joachim ganz oon Deinen Nei
sen bezwungen, läßt euch iir liber
niokgen zu Tisch laden. agnerrys
and noch ein paar Nachbarn sind
auch geladen. Er will fein Unrecht
gut machen und höchst persönlich an
iere Verlobung iundtun!«
»J der tausend! Das ist freilich er
ne riesengroße Neuigleiil Der »grim
me Drache« als Gaitgeberl Wie lieb
und nett von ibm2'
»Ich glaube es- ist seit mehr als
zwanzig Jahren das erstemal, daß
Gäste nach Senlenberg geladen wer
den. Du kannst Dir wirklich etwas
einbilden, Kleinchen!«
»Im ich auch! Komm, das müs
ien wir gleich Mama sagen! Und
dann hilf mir, sie bitten, daß ich
das weiße neue Spitzenkhid anzie
hen dari dazu Es steht mir ent
zückend! . . .
Melitta eitte auf ihr Zimmer
und warf in fliegend-et Hast die Wot
ie auf Papier: Ahasver in Lebens
sefoth Bitte, kommen Sie doch fo
fskts Muß mit Ihnen sprechen. Jch
bin überzeugt« daß sein Komplize sich
unter det Magie eines Hatbtketins
att-: Maguekm Steinbruch verbor
gen hält und gestern Nacht einen —
gottkob mißlungenen —- Morden
ich·s·1 auf Prospee Rodenbach ver
ilicj .k’.«
T- e adkeffietie an «herm Rot-ist«
unt ging dann mit dem Brief hin
itme:, um einen Boten zu suchen,
der ist-: sogleich nach Pkochotiß be
fördern sollte.
Am Nachmittag ging sie wie zufäl
tig am Steinbtuch vorttbet und
knüpfte ein Gespräch mit dem Halb
treiin on. der am Boden hockte und
Steine klopfte.
Aber wie sie sich auch Mühe gab,
irgend etwas aus ihm heraus-zulet
len —- eS war vergebens. Weiter
als zu ein paar täppischen Redensar
ten und einem breiten stereotypen
Geinsen beachte sie ihn nicht.
Auch sein Aeußekeö bot kein-n
Anlaß zu Mißttauem Er saß im
Licht der Nachmittagssonne zwischen
Schnttetsteinem die verleüknmten
Beine ausgestreckt, o gut es ging,
und seine von otstigen, grauen
Baetstoppeln dmchsehte blaurote Ge
sichtshaut schien so echt, tote nur ir
gend eine. Um den mißgesotmten
hats trug er allerdings einen Woll
sptzen gewictelt, der die zwei Kröpse
zum Teil einhüllte, aber sein pfeisens
der asthmatischer Atem ließ an ihrer
Wirklichkeit kaum zweifeln.
Trotzdem konnte Melitta ihr Miß
tkauen nicht los werden. Die Tat
sachen sprachen nur ja sehr dafür.
Auch meinte sie zuwe ten beim Spre
chen etwas in den leeren, blöd glot
zenden Schwarzaugen des Aretin
aufzucken gesehen zu haben, das got
nicht nach Kretinismus aussah
Gewicht-us spägi auf Sei-s g.