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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (Jan. 17, 1913)
Ist seiest-few Skizze von Neue is Still und friedlich lagBsz Pfarr haus inmitten des großen Gartent! du. Die Gemeinde war nur llein,! oder die Leute größtenteils ehrlichl und nett, so daß der Pfarrer, der fast 30 Jahre das Amt des Seelfor ers dort ausübte, gut mit seinen farrtindern auslam. Das haug lag außerhalb des Dorfes und grenzte mtt feinem Garten an die Wiesen und Felder, die sich abschiifsig bis an den Fluß hinabzogen. Und in der heißen Jahreszeit zog der Duft des Deus und der herbe Geruch der Erd-e bis hinauf in das Studierzim mer des alten Herrn. Hinter dem geräumigen Haufe war der Gemiifegarten angelegt. Die er sten und die letzten Sonnenstrahlen waren fiir ihn. Jrn Mai schon röte ten sich die Kirschen, die Johannis deeren manchmal noch früher, und Anfang August tonnte knan in hun dert Schritte Entfernung den herrli chen. schweren Duft der reisenden Melonen spüren. Der Pfarrer von Santt - While nion, so hieß das Dörfchen, war ie doch keineswegs ein Gourmet; er be saß das Alter. wo der Appetit auf gute Sachen nur noch eine Erinne rung ist. Die Jahre hatten ihm den Rücken gebeugt und seinem Antlitz. aus dem zwei tleine lebensluftige Augen gutmütig in die Welt schau ten, ihren Stempel aufaedriiett. Das Obst, das in feinem Garten reiste, aß er leider nicht allein. Die Dorf iungen stahlen ihm die Hälfte und die Vögel erst! »Tiere können sich nicht bessern," saate er, »und wenn ich ihnen böse sein wollte. wie vielen von meinen Pfarrkindern miißte ich es dann in erster Linie seini« Und er begniiate sich damit, in die Hände zu tlatfchen, wenn er den Ge miiseaarten betrat. damit er nicht sah, wi: das freche lleine Völktein sich an seinem Obst aiitlich tat. Ein Zusehen ein Nascheln in den Blättern und Friede und Ruhe fiir fünf Minuten! Kein Geräusch vom Dorfe her störte den Frieden und Lie Stille des Psarrharises. und wenn die Reue des kleinen Diebsaesindels anaehalten hätte. so wäre der Pfarrer über sei nem Brevier einaeschlasen. Glücklicherweise kamen sie ebenso schnell wieder, wie sie verschwunden waren. Ein frecher Spatz machte den Anfang, und bald waren alle wieder lustig am Schnabulieren. Und der Pfarrer konnte sein Buch auf- und zuschlagem es nützte nichts, kein Vo gel ließ seine Beute im Stich, so daß der Besitzer manchmal trostlos mur melte: »Die lassen uns in diesem Jahre aber auch keine Beeret« Die Vögel ahnen. daß diejenigen, die sich beklagen, nicht handeln. Jm Frühlina bauten sie ihre Nester um das Pfarrhaus herum. Bald hatten sie die besten Plätze herausgefunden Aus hohlen Bäumen, Mai-erlöchern, Avfeibäumen und Weißbucheu über all luate ein kleiner. brauner Schna bel wie eine Säbelspiye hervor. Eines Frühlings war der An drang besonders groß; lein Platz war mehr zu finden, und eine kleine Meise nahm in der Verlegenheit die reaelmäsfiae Oeffnung eines kleinen Kastens, der an der Einganastiir des Garten-Z angebracht war. vasiend zum Niiten an, zwänate sich hinein, fand die Wohnung reizend und geräunrig und begann emsig ihr Nest zu bauen. Federn, Wolle, Moos, alles wurde herbeigeschafft, um den Aufenthalt warm und mollig zu machen. Eines Tages kam die Köchin des Pfarrers empört und rot vor Zorn herbeigelaufem ein Stück Papier in der hand. Der Pfarrer, der gerade in der Jasminlaube seinen Kaffee trank, sah erstaunt aus. »Sieh Herr Pastor, ein Brief und noch dazu ein schmutzigert Sie stiften Unheil genug ant« »Wer denn?« »Na· Jhre llnglüctsoögeL denen Sie Gastsreundschast gewähren! Ha ben Sie nicht die unsinnige Idee ac habt, den Briestasten als Nest einzu richten und Eier darin zu legen? Jch babe ihn ausgemacht. weil der Brief träger tlingelte, was ja selten genug vorkommt. Der Kasten ist vollge stovft von Her-, Pserdehaaren und Federn, ein Kopstissen tönnte man da mit füllen —- und mitten darin sitze ein Tier, gesehen habe ich es zwar nicht, aber es zischt wie eine Schlan get« Der Psarrer lachte über das ganze Gesicht. Dann sagte er strahlend: »Das muß eine Kohlrneise sein; nur die ist imstande, aus solch eine Idee zu torninen und mir einen sol chen Streich zu spielen. Rühre das Nest aus keinen Fall an, Therese!« »Das bat teine Gesahr, here Pa star." Der alte herr ließ seinen Kaisee stehen, durchquerte hastig den Garten, ging durch das haus nnd über den hof, bis an die Mauer, die das Psarrbaus von der Landstraße trenn te. Vorsichtig össnete er den Kasten, der so groß war, daß die ganze Kor respondenz des Dörfchens rnit Leich tigkeit Plah darin gehabt hätte. cr hatte sich nicht geirrt. Die spen- det Restes, die Farbe und die ganze Zusammenstellung brachten ihn nrn Entzücken. Er hörte das Zi schen des kleinen unsichtbaren brüten den Vogels nnd fagte gutmü. g: »Sei ruhig, Kleine, ich lenne Dich; 21Tage Brutzeit und drei Wochen, tnrn Deine Familie zu erziehen, das verlangst Du nicht wabtzti Du sollst Nähe haben, ich nehme den Schlüssel m « f Und in der Tat nahm er den Schlüssel an sich, und alltäglich, wenn er feine Pflicht als Pfarrer erfüllt die Messe gelesen, die Armen besucht, dem Boten ieine Bestellung fiir die Stadt gemacht hatte, und was es sonst noch fiir ihn zu tun gab, er innerte er sich der kleinen Meiie und sorgte, daß sie nicht durch die An lunft eines Briefes im Brüten ge stört würde. Es war immerhin möalich wenn auch nur wenige Briefe ins Pfarr haus lamen. Aber Sankt - Robert war nahe, nnd da der Pfarrer diesen Namen trug, fo hielt er es siir ant. vorsichtigerrveife an seine drei wirltis chen Freunde zu schreiben: »Mein lieber Freund schreib mir in diesem Jahre nicht zu meinem Ge burtstagr. Ich bitte Dich darinn. Es wäre mir unanaenebm in diesem Augenblick einen Brief zu erhalten Später werde ich Dir erklären. war um, und Du wirst meine Gründe verstehen.' Sie nahmen an, daß seine Augen sich verschlechtert hatten, und schrie ben nicht. Wer war froher als der Pfarrer von Sankt - Philemon. Drei Wochen waren vergangen, und täglich hatte er an das Nest mit den gefleckten, rosa Eierchen gedacht. Heute beugte er sich hinab. um zu horchen. Das Ohr an den Spalt aelegt, lauschte er. Dann richtete er sich, vergnügt die hände reibend, wie der auf »Das zwitschert, Therese. das zwitschert! Die verdanken mir im wahren Sinne des Wortes ihr Le ben: ich werde es nicht bereuen.« Sein Herz war jung geblieben, wenn der Körper auch gealtert war. Jn der Tiefe seiner Seele schlum merten Gedanken und Freuden eines Kindes. If O O Zu derselben Zeit befand sich der Bischof mit seinen Ritten, seinen bei den Generalvilaren, dem Dechant der Diözese, seinem Generalsetretär und dern Direttor des Seminars in sei nem Arbeitszimmer, um über die Be seszung verschiedener Psarren zu be raten. Nachdem er fiir einige Posten Vitare und Pfarrverweser vorgeschla gen hatte, sagte er: »Meine herren, ich habe einen Kandidaten, der in jeder Hinsicht ausgezeichnet fiir die Pfarre in X. paßt, aber ich möchte dem Pfarrer von Sankt - Philemon, einem unse rer ältesten Pfarrer, gern die Ehre antun und ihm die gute Stelle an bieten. Er wird sie höchstwahrschein lich ablehnen, seines Alters wegen und auch aus Bescheidenheit. Wir haben ihm dann jedoch Gerechtigteit widerfahren lassen.«' Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen, und an demselben Abend ging ein Brief, vom Bischof ’nnterzeichnet, an den Pfarrer von Sankt - Philetnon ab, mit dem Post striptum: s Antworten Sie unigehend, mein « lieber Pfarrer« oder noch besser. tonl tmen Sie zu mir. Jn drei Tagen muß ich der Regierung meine Vor schläge gemacht haben.« Der Brief latn an demselben Tage in Sankt - Philemon an, an welchem die kleinen Meisen aus den Eiern ge brochen waren. Mit Mühe gelang es dem Brieftrger, den Brief in den Ka sten zu stecken; er verschwand darin und blieb dort auf dem Boden des Restes liegen. L Und die Zeit kam, wo die kleinen Meisen ein Federkleidchen anzogen. Vier-zehn Junge kreischten, lärmten und versuchten aus ihren schwachen Beinchen zu stehen. Vierzebn kleine hungrige, bis an die Augen aufge rissene Schnabel verlangten vom Morgen bis zum Abend zu essen. Es war die erste Zeit, und die Kleinen hatten noch keinen Verstand, aber bei den Vögeln dauert sie nicht lange. Bald gabs- Streit im Nest; man schlug sich gegenseitig mit den Flügeln. schlug Purzelbäume und machte kleine Aussliige außerhalb des Nestes im Jnnern des Kastens bis an die Oeffnung, die so schöne, sti sche Frühlingsluft einließ, und eines Tages riskierte man einen kleinen Flug ins Freie. Der Psarrer war zugegen und sah mit großem Vergnügen zu. Zu zweien und dreien wagten sie sich bet aus, versuchten einen kleinen Flug, um dann wie die Bienen wieder in ihr Rest zu kriechen. Er freute sich wie ein Kind darüber und sagte ver gniigt: »Die Kinderstube kann bald gefegt werden; sie sind alle gesund und mun ter.« Am anderen Tage nach Tisch ging der alte heer wieder nach der Gar tentiir. Er hielt den kleinen Schlüs sel in der fand. Er klopfte damit an den traten. Nichts riihrte sich. »Ich dachte mir’t,« murmelie der Pfarrer-, »ste sind ausgeflogen.« Und - Irr öffnete. sZwischen dem zerstörten I Nest fand er einen Brief. I »Großer Gott,« sagte er, als er kdie Handschrift erkannte, »vom Bi tschost Und in welchem Zustande! — IUnd seit wann liegt er hier?« Er wurde blaß beim Lesen, dicker Schweiß trat ihm auf die Stirn. »Therese,« rief er aufgeregt, «spanne an —--- fchnell!«' ) Bevor sie den Befehl ausführtr. Ilam sie erst mal, um zu sehen, was « es gäbe. I »Was haben Sie denn, Herr Pa p stor?« »Der Bischof wartet seit drei Wo chen anf mich!« »Das läßt sich nicht nachholen.« ’meinte die Alte kopfschüttelnd, lief aber, so schnell sie konnte, um den Befehl auszuführen · Erst am anderen Tage tam der :Pfarrer zurück. Er sah ruhig und friedlich aus, aber in seinem Jnnern war er nicht so ruhig. Nur mit fMiihe konnte er den Schein wahren. I Nachdem er geholfen hatte, das Pferd lauszuspannm ihm Hafer gegeben. sich umaezogen nnd den Koffer aus I gepackt hatte. war es gerade die Zeit, in der die Vögel sich ihre Erlebnisse, die der Tag ihnen gebracht, erzählen. Ein heftiger Gewitterregen war nie dergeaangen, und von den Zweigen, auf denen die Vögel sich einen geeig neten Platz für die Nacht suchten, fie len die Tropfen noch schwer und gleichmatzig Als sie ihren Herrn und Freund erkannten, der die Allee in Gedanken versunken auf und ab schritt, flatter ten sie um ihn herum, zirpten und fangen jeder nach seinen Kräften. Selbst die kleinen, kaum mit Federn bedecktem vierzehn Meisen waren an wesend, versuchten auf einem Birn baum ihre ersten Künste und piepten nach Herzenslust « Der Pfarrer beobachtete sie mit: väterlich liebevollem Blick. aber mit melancholischer Zärtlichkeit, wie man jemanden ansieht, der einem teuer zu stehen gekommen is .« »Ja, ja, meine Kleinen,« sagte er, »ohne Euch wäre ich heute wohlbe stallter Pfarrer in Canton. Jch be reue es nicht, Euch zum Leben ver holfen zu haben, aber laßt man, Eure Dankbarkeit ist mir zu lärmend!« Und ungeduldig klatschte er in die Hände. Er war wirklich niemals ehrgeizig gewesen« gewiß nicht, und selbst in diesem Augenblick war er aufrichtig. Am anderen Morgen jedoch nach einer schlaflosen Nacht, als er mit Therefe vlauderte, sagte er: »Wenn die Meisen im nächsten Jahr wiederkommen sollten. um zu nisten, so benachrichtige mich gleich. Hörst Du? Es ist wirklich unbe quem . . . .« · Aber die Meisen kamen nicht wie der, und auch der große, so sehnlichft erwartete, mit dem Wappen des Bi schofs geschlossene Brief blieb aus. stücherstueekdoteus Den alten Bliicher überkam immer wieder der alte Wunsch. die Franzosen aus dein Lande zu jagen. Einem jungen Ofsizier sagte Blü cher im Jahre 1808 beim Abschied: »Weif3 Gott, Junge, ist mich zwar leid, daß du fort willst; aber verdeu ler- tann ich es dir nicht. Wäre ich noch so in deinen Jahren, ich mar schierte jetzt auch ab, bloß um diese Nackerg von Franzosen nicht immer i in unseres Königs Land herumschnüf fehl zu sehen, wag einem ehrlichen Preußen ja das Herz im Leibe herum: drehen muß. Na, Junge, wenn man erst der Krieg wieder angeht, was auch dereinst geschehen wird, so wahr ich Blüt-her heiße, daß du dir dann wieder einstellst, das versteht sich ja von selbst. Griifz mich die Rassen von dem alten Blücher und sage ih nen, wir Preußen und sie wollten doch noch gute Wasseubriiderschast hakten und vereint wieder recht bald auf die Franzosen los-geben« Endlich schlug die von Bliicher ish relang ersehnte und vorhergesehene Stunde. Der König von Preußen erklärte Napoleon den Krieg. Die lang angesammelte und verhaltene Kraft des alten Blitcher konnte sich nun austobem Seine Stimmung ums Friihjahr 1813 kann nicht besser charakterisiert werden, als durch die folgende kleine Geschichte Ein junger Mann, welchem er Am l. April die Erlaubnis gegeben hatte eine Sammlung von Ftriegsliedern drucken zu lassen. fand ihn, als er zu ihm nach Dresden lam, um sich zu bedanke-h beim Frühstück Hutaren und Jäger traten ein, um Berichte zu überbringen. J Als der Zivilist dem General vorge-! stellt war und seinen Dank abstattete, da legte dieser freundlich die Hand; auf seine Schulter und sagte: l »Man immer munter daraufloöj gelungen! Das bringt etwas Feuer unter die Leute. Jetzt muß ein je-l der singen wie ihm ums Herz ist, der eine mit dem Schnabel, der andre mit dem Sabel!" ------.--.-—— —- Boshaft. Dichter: »Meine Braut war sehr erfreut, als ich ihr meine Gedichte widmete.« lfFrleundx »Ja, die Liebe überwindet a les « i te Stint-n Eine Slizze von Herbert Siegeinanw »Morgen, sagt der Professor? Wirklich morgen? Schon so früh, Sck,irester?« fragte der junge Stu dent· Vernach einer bisher giiicklichz überstandenen Operation in der Klinit des berühmten Professors Gräsenberg, des tüchtigsten Augenatz tecz der Hauptstadt, mit verbundenen Augen dalag. ,,Wirtlich schon mor gen?« Seine bebenden Hände suchten die der Schwester, die sie ihm tröstend Tit-erließ. Sie nickiie leise und antwortete mit ihrer guten Stimme: »Ja, Herr Jeners, morgen. Der Professor meint. es hat keine Gefahr mehr.« Trank Jevers sank mit einem Seufzer auf sein Lager zurück. Er Wußtu die schwerste Entscheidung sei nes Lebens stand ihm bevor, die größte Sehnsucht seiner Seele sollte verwirklicht werden: er sollte das Licht schen, von dem er in all den dunklen Jahren seines Leebns —-— et war als Blinder geboren — so viele herrliche Dinge gehört hatte: dies kalsamische Licht, das er nicht sah. das aber um ihn herumflutete in lin ken Wellen und das er ahnte und kühlte mit der ganzen Kraft secnes Wesens Aber er vermochte nicht dem großen Augenblick der Befreiung mit Ieichter Seele entgegenzujauchzen Nicht nur« daß er an dem Wunder zweifelte das ihm die Kunst des Arztes in Aussicht stellte: eine ungeheure Angst lebte in ihm vor einem schrecklichen, ansag baren Schicksal, das ihn hinter der Psorte des Lebens erwartete. Franz Jevers war von jeher ein seltsamer Mensch gewesen. Die ange borene Blindheit hatte seine Sinne zu einer noch größeren Schärfe und Fein heit entwickelt, als sie den meistens Blinden ohnehin eigen ist. Er hatte als Sohn wohlhabender Eltern in großer Stille und Einsamkeit gelebt und sein seeliges Leben hatte sich aus wunderbare und entlegene Wege verirrt. Er konnte stundenlang in dem weltverlorenen alten Garten seines Elternhauses vor sich hintriiumen, und vor seinen blinden Augen gau iielten ganze Farbensymvhonien von Licht vorüber, die er mit schmerzli-» icherer und innigerer Inbrunst genoß Jals er jemals ein Seh-endet hätte tun. ltönnen. Er erlernte die Blinden-! )schrist, und die großen Wunder dess menschlichen Geistes taten sich ihm ans: die Weisen aller Völker und Zei ten traten in den stillen Kreis des einsamen jungen Menschen, sein Geist treitete sich- seine Seele regte ihre Flügel und eine unendliche Sehnsucht nach großen und schönen Dingen er siillte sein Herz. Zu dieser Zeit wurde das dem Hause seiner Eltern zunächst liegende sLandhaus von einer Witwe bezogen, ,deren einzige Tochter gleich ihm blind lwar. Es bahnte sich, wie das kaum Bankiers zu erwarten war, sehr bald ein freundschaftlicher Verkehr zwi lschen den beiden Familien an. Music-, die Tochter-, ein blondes junges Mäd chen von lieblicher Zartheit, war erst vor wenigen Jahren erblindet. Alle Versuche der Aerzte, ihr Augenlicht zu erhalten, waren vergeblich gewe sen, und sa hatte sich die Mutter mit Hihrem Kinde, das in stiller klagloser Anmut sein schweres Schicksal trug, iin die Einsamkeit der lleinen Stadt Jzuriickgezogem wo das Gras aus den Straßen wuchs und die alten grauen zMauern der Gärten von Heckenroien zund Eseu iiberranlt waren. J l Zwischen Maria und Franz bildete sich mit der Zeit ein tieferes Ver-! sbiitmis because Aamiihrich freixich,i »sehr allmählich, denn Franz war ein scheuer Mensch. und es war siir ein Weibliches Wesen nicht leicht, in die Jrlbgeschlossenheit seines Herzens hin einzudringew Aber Maria gelang es sSie war von allen Menschen abge-» ;schnitten, und das war ihr am lieb sten, denn sie war zu seinsiihlig, um die abgestandenen Phrasen des Be dauerns und verlegener Schonung zu ertragen init der man ihr zu begeg nen pflegte. So war in ihr eine .irof;e Leere, und Franz mit seinem überle: genen, tiefen Geist und dem leiden fchaftlichen Schwunae seiner Seele war ganz dazu angetan, ihr Jnneres auszufüllen Er lehrte die neue Freundin die Schrift der Blinden. er las ihr aus den grofzen Denkern und Dichtern vor, und an manchen Sinn nierabenden, wenn die sielche der Blumen fich öffneten und die schwei genden Lüfte mit beraufchendern Duft erfüllten, lösten sich die Seelen der beiden jungen Leute« die dicht neben einander auf der Rasenbanl unter der fchwarzschattenden Kaftanie des Jevergschen Gartens saßen, in der Harmonie des Weltalls und in dem leisen Gefühl auf, das wir Menschen Liebe nennen. Aber Maria liebte Franz nicht so. wie er sie. Wohl bewunderte sie sei nen Geist, der sie aus der Dunkelheit emportrug, wohl empfand sie seine Nähe als die des einzigen Freundes» den sie auf der Welt hatte, wohltuend uid beruhigend — aber sie tatmtei fein Antliy nicht, und ihre Sinne entbehrten jener wunderbarenFeinfüh ligteit des gebotenen Blinden, der! sich durch eine leise Berührung mit! der and, durc? den Duft des Haareöt und ·urch ein eltfames inneres Seh-! vermögen ein lebendes Bild der Men fchen um ihn zu schaffen vermag. Franz, dek Bund-, sah Maria mirs oftenen Augen, sah ihr reiches Blond-I haar, das sie zum Kranze gewundeni um den zierlichen Kon trug, er sahl ihren feinen Mund, der so lieblichs Lächeln und so schmerzlich zucken kann-i te, er fühite jede Regung, die die« Seele des jungen Mädchens durch-· zitterte. Es war gerade damals in die kleine Stadt die Kunde von einer neuenl Oderation gedrungen, durch die Pro-( fessor Gräsenbetg in hoffnungslosenj Fällen von Erb!indung Wunder ge-l wirkt hatte, und beide Familien hat ten nicht gezögert, ihre Kinder zur Votnahme der Operation in die1 Hauptstadt zu bringen. Nach kurzer Untersuchuna hatte sich der Professorl bei beiden Patienten iiir die Opera tion entschieden und diese unvisrziigss lich vorgenommen, nachdem er zuvor» die beiden Mütter, die ihre Kinder begleiteten, aus der Klinick ins HVM verwiesen hatte, wo sie den weiteren! Verlauf dr Ding abzuwarten hatten-l Nun laaen Franz und Maria, weit voneinander getrennt, mit verbunde nen Augen und harrten des Tages, an dem die Binde von ihren Auan fallen sollte. Maria tat es mit iiElleri Freudigkeit Sie war eine heitere ne-] lassene Natur, und die väterlichei Güte des Professor-s hatte ihr eins grenzenloses Vertrauen eingeflöfzt, siei glaubte seinen ermutigenden Worten,l sie wußte, daß alles gut werdens würde, und hinter der Pforte des; Lichtes, die sich ihr ietzt auftat,-lags nichts als Freude, lag das ruhiges Glück der Mädcheniath das ihr jetzt noch schöner und lieblicher als ie zu-» vor erschien —- und — es durchzucktef ihr Herz — da war Franz, dessen. Bild ihr jetzt immer deutlicher wurde Und ihr in den glänzenden Farbenj einer mädchenhasten Schwärmerei ent-; gegentrat. All seine guten, ernsten Worte klangen in ihrer Seele wieder —jo er mußte schön sein und jung und start, und sie würden gewiß lehr gliicklich miteinander werden. « Franz Jevers aber fühlte, wenn et» seinen Körper auch nie mit Augen gesehen hatte, daß er häßlich war, traurig häßlich: ein lleiner, kümmer licher Mensch mit ungelenlen Glie dern und einem verwachsenen Rücken Er fühlte das: und leise Reden der Dienstboten, die er als Knabe auf fing, hatten ihn darüber aufgetlärt wenn es ihm nichHsein eigenes Emp finden gesagt hätte. Und diese Angst war es, die sieh mit seiner grenzenlo sen Sehnsucht, nach dem Licht mischte, die Angst vor seiner eigenen Jüngst lichleit, die Angst vor Marias er schrockenen und entsetzten Augen. So hatte er nur zögernd in die Opera tion gewilligt: ein Zögern, das Frau Jeders sehr fälschlich als eine physi sche Furchtsamleit deutete und bei ihrem Sehn recht ungewohnt und be fremdlich fand. Am andern Morgen brachte die Schwester ihrem Lieblingspatienten die Nachricht, daß Maria soeben die Binde von den Augen genommen und daß ihr Sehverniögen offenbar voll ständig loiederhergestellt wäre. »Und nun wird es auch mit Ihnen gut werden, Herr Jeders,« meinte sie be ruhigend. »Der Professor wird gleich kommen-« Franz klopfte das Herz zum Zer springen, und fiir einen Augenblick trat der alles beherrschende lttssdssnle an Maria in ihm zuriict Licht szllte es werden, Licht Inn ihn her —— all die Dinge, die er bisher geträumt und gefühlt hatte, sollten nun mit einem Mal vor ihm stehen in ungeahntem Glanze, neugeboren, emporgetaucht aus dämmernder Verschleierung, zu herrlicher Klarheit Der Professor war da, ehe Franz sich dessen versah. Er löste die Binde ruhig, sachlich — und ein Chaos tat sich vor dem Genesenden auf. Dir Formen der Dinge, die er so oft ahnungsvoll vor sich gesehen hatte« dehnten sich, wuchsen, verzerrten sich zu seltsamen Gebilden. Der Arzt fiihrte ihn sanft ans Fenster, und nun blickte er hinunter auf einen stil len Hof mit schönen alten Bäumen die in wohltuender Dämmerung dala: gen. Allmählich traten die Umrisse und die Verhältnisse der Dinge kla rer hervor, feine Brust begann ruhi ger zu schlagen und ein Gefühl von Kraft, von Genesung, von Hoffnung begann sein Jnneres zu durchier men. Seine Bitte, Maria sehen zu dür fen, hatte der Professor in seiner iiberlegenen Art, die keinen Wider sprach zuließ, abschliigia beschieden da vorläufig fiir beide Patienten alle Erregungen zu vermeiden wären. Aber je länger Franz auf das Wie der-sehen wartete, desto mehr stieg seine Ungeduld, nnd der leidenschaft liche Wunsch- der Geliebten ins Auge zu blicken, überioog sogar die quä!en de Befürchtung, ihr abstoßend in er scheinen. Die Formen, die Farben der Gegenstände, die sich ilnn allmählich erschlossen, enttäuschten ihn beinahe. Es war ja alles nur Vorbereitung Abglanz, Verheißung das Leben war bei Maria, nnd er streckte seine leiden Hände dem Glücke entgegen das vor ihm lag. Wenige Wochen nach dem ersten Sehversuche stieg Franz, aus den Arm seiner treuen Pslegerin gestützt in den stillen Garten Binab Die Schwester ließ ihn bald a ein, nnd er versank in eine unruhige Träumerei. Die Linden blühten und der Som merabend war voll berauschendee undi verwirrender Düfte Mit einer-r- Malt rauschte ein Frauengewand . . etneiäh Ahnung ließ Franzeni her Mk stille stehen — nnd als er un iicher und erschrocken umwandte fMW Maria vor ihm. Sie war es. Sie mußte es sein. Sein Blick umfaßte sie in aufleuchten der Seligkeit. Alles, was er geträumt hatte, stand lebend vor ihm. Und Lk trat ihr, von einer unwiderstehlicksen Macht getrieben, mit ausgebreiteten Armen entgegen Aber da fah er ihre Austern großs furchtsame Auaen, die mit einemAuS druck unendlichen Erstaunens, soll kommener Fremdheit auf ihm ruhten« Und er begriff: Maria ahnte nicht einmal, wer vor ibr stand. Sie sah nichts als einen fremden Mann — nnd dieser Fremde war ihr absivszcd flößie ihr nichts als Widerwillen ein. Er vermocite lein Wort hervorzu bringen die Kehle war ihm wie zu geschniiri. Aber er wußte es mit jener hellseberifchen Klarheit, die ihm Von jeher eigen genesen wart eine unüberiteiabare Mauer war zwischen ihm und demMiiischen ausaerichtei, das Leben, das er sich sc: nahe mer«-ruht hatte, war ihm für alle Ewigkeit mi glitten, und er war e?r.famer, als et Es je zu den Zeiten feiner Blindheit geweer war. Maria wankte sich: sie mochte es wohl nicht glaubet-» das; es Franz war, der nor ihr stand. Sie slob. Wie vor etwas Fremde-m und Unheimli obern. Und auch Franz folgte ihr: mit schweren mühen Schritten, nicht Wie ein Szene-senden sent-ern wie tin Sterbender. Er verfehlte den Weg nnd griet in das Zimmer eines der Aerzte. Und hier sah er. was ibm bisher ein Mück licher Zufall oder zarte Fürsorge ver borgen hattet im Spiegel sein eige nes Bild. Da neigte er das Haupt und blieb stumm und rang mit sei nem Schicksal. Als Maria, der die Erscheinung des fremden Mannes nur wie ein böser Traum acwesen war, nach Herrn Jeners fragte, ergab es sich, daß er in aller Fritbe bereits abge reist war. Das junge Mädchen war erstaunt, verwirrt, bekümmert. Aber das Leben begann von allen Seiten zu ihr zu sprechen. und so geriet der Freund bald in Veraessenheit. Fraan Jeners kehrte nur auf ein paar Tage in die Heimat zurück. Er begrub dort seine alte Mutter, die gerade damals verschied, und siedelte dann nach UT FJauotstadt über, wo er sicli durch sei ne Studien einen Namen erwarb. Er ist später als ein bekannter Gelehrter und als ein einsamer Mann gestor ben. Der S udelsaeb Der Dudelsack oder die Sackpfeisr. das schottische Nationalinstrument, wird noch jetzt vom englischen Miti iär benutzt. Jn Pommern, im Rhein tand, besonders aber in Schlein ziehen noch heute wandernde Musikan ten und Bärenfiihrer mit dem Dudel isktk von Ort zu Ort; auch in der Mark sieht man sie zuweilen, z. B. in der Kottbuser Gegend. Jn Berlin sind wandernde Dudelsackpfeifer tel tmz doch lassen sie sich hin und wieder in kleineren Gasthäusern hören imd sehen und fesseln dann gewöhnlich das Auge mehr als das Ohr, denn jeder will einmal das originelle Musitin strnment gesehen haben, dessen Name ihm aus der vollgtiiinlichen Redens art: »Der Himmel sieht heut’ ans wie ein Dudelsack« bekannt ist, und nimmt daher die anietsehenden Tone fskklle mit in den Kaus. Der Himmel wird mit dem Dudel sack vergleichen, lwenn die grauen lite genwollen sich zusainmenballem tm artigen ähnelt der lederne Schlauch der Sactpseise mehr einem menschlichen oder tierischen Magen, und diese Aehnlichkeit hat in Wittenberg zur Bildung einer sonderbaren Vollstage den Anstoß gegeben. Dort wird nämlich im Rathaus der angeblich aus der Sammlung der ehemaligen Universität stammende, wohlprapar:er te Magen des-—- beriichtigten Vielefiers stahle aufbewahrt Nach mitkomm licher lleberlieferung soll einst der L,,"5-reßtahle« wieder einmal so großen jxsjunger gehabt haben, daß er knien sTkudelsactpseiser aus der Straße Dat, silmi das Ding doch einmal in die Hand zu geben. Er setzte es dann, als wollte er blasen, an den Mund,» sMOchie aber leine Musik, sondern ver szphrte eg »mit Haut und Haaren". »Die letzte Angabe ist allerdings inso sietn nicht ganz richtig, weil der aus lZIkthalg gefertigte Schlanch tahl war. Der Name Dudel ist in Deutschland, wie Weigand angibt« erst seit dem 1.7. Jahrhundert bekannt und soll mit dem russischen its-eilen (Schalmei) verwandt sein. Dudet kommt in einigen märlischen Ortschaf ten übrigens auch als Straßenname vor. So gibt es z. B. in Neuen ei nen Dudel. Ein minderwertige, lie derliche Musik nennt man in Berlin eine Dudelei, und ein abgellappertet Leier-fasten heißt ein Dudeltasten. Betritbe11d. »Ihr bestes Freund ist mit Jhrek Gattin durch gebrannt? . . . Das betrübt Sie wohl sehr?« ,,Alletdings —- tvikd der doch Ums mein Tod-feind . . .!"