Iet;enidäimnernns Novelette von Joachim Kühn. «Gute Nacht, Onkelchenl Und ar beite nicht mehr zu lange. Neulicls trachte ich um zwei Uhr aus, da war es bei dir noch immer hell. Der kirrte Band eilt doch wirklich nicht o.« »Und ich sehe dich morgen noch?" »Gewiß, beim Frühstück. Mein Zug geht erst um elf Uhr. Und der Kosser ist schon gepackt.« Er drückte ihr stumm die Hand nnd sah ihr noch, wie sie in ihrem" hellen Sommertleid leichtsiißig den Gang zu ihrem Zimmer hinnbhutkb it- »Meine Arme - Marie... so jung, so jung!« Und leise zog-er die Tür hinter sich ins Schloß. Aus dem Schreibtisch brannte ":-.e Lampe. Folinrsn und NotizzetteL Karten und Broschüren lagen überall umher. dedeckten Tische und Stühle, stapelten sich als Pseiler in den Ecken» des Zimmerg aus: des Studiersl zitnmers eines sehr tüchtigen Sie-l lehrten, der trotz des schwülen Juli-’ abends eben erst die Feder aus der band gelegt. um sich zu einer Mahl-« zeit zu zwingen, und der in der nüch sien Minute zurückkehren wird, uns seine Arbeit wieder auszunehmen Und doch: jetzt konnte er nicht arbei ten, seht nicht. Alles war so schal im Vergleich zu dem, was ihn beweg te. Er sühlte. wie es in seiner Brust hiimtnertr. Jhm wnr heiß zum Cr sticlen. Nein, nicht arbeiten... nur Ruhe hoben, sich sammeln, sich sus sen können. Und er ließ sich sehn-er in einen Sessel sollen, den leicht er gmuenden Kopf in den Händen ver grobend. .-. .-. . Vor drei Wochen war sie zu ihm gekommen. Ein Brief ihrer Mutter hatte sie bei ihm anaemeldet. Sie müsse eine Kur gebrauchen drunten in Pöstnen, da feien nur lranie Men schen, die sich mühsam die Promena de hinabschleppten und Anne - Marie nur traurig machen würden. Sie schickte deshalb dem Vetter das Kind zu; sie werde ihn gewiß nicht fiisrcn und sich im Hause niisilich zu machen suchen. Unfchliifsiq hatte er dag Blatt hin- und hergewandt. »Ja, werden wir denn das machen tön nen?« hatte er die aite Wirtschafte rin gefraqt. »Aber gewiß herr Geheimni. Das blaue Zimmer steht doch immer leer. Da rücken wir ein Bett rem und einen Waschtisch, und bafta.« »Und die Bedienung?« »Bedienun,q? Das ist nicht so schlimm. Das mach ich gern. Jst ja so nett. wenn wir mal Besuch be kommen, Herr Gedrimrai. Jmmer so allein... und der Herr Verzie rungsrat von neben-Jn, der früher Ferien hat, wie wir, ist auch schon obgereist.« »Das ist es ja aeradr. Jch hsjbe noch bis in den August hinein Vor lesungen zu halten, ich erwarte au ßerdem michtiae Archivalien und Lorretturbogen und habe noch eine Menge zu tun in diesem Monat, um meinen vierten Band zu beenden.« »Herr Geheimrat brauchen sich ja um das Fräulein gar nicht zu tisrns mern. Das übernehme ich schon al les.« J If s Und eines Morgens war sie da. Jn der Nacht eingetroffen, hatte sie ibn nicht mehr stören wollen und war gleich in ihr Zimmerchen geschlüpft Er fand sie am Frühstückstifch den sie aus der Veranda hatte decken las sen, frisch und blond und errötend über ihren eigenmächtigen Eingriff in die Hausordnung und doch ganz Feuer und Flamme siir ihren Ein fall. Sie lief ihm entgegen, schüttel te ihm die Rechte, führte ihn behut sam an seinen Platz und zwitscherte dazu eine Begrüfzunsn die zu niedlich klang, um sie versiehen zu wollen« Und während sie ilun rqsi Kasse ein goß und dabei, oft von eigenem «La chen unterbrochen, von ihrer Reise zu plaudern begann, betrachtete er sie ernst unv aufmerksam« und doch im mer wohlgefälliger über das niedli che, fröhliche Persönchen, das ihm det Zufall da ins haus geführt. Wann er sie zuletzt gesehen, wußte er nicht mehr genan. Wahrscheinlich vor els Jahren, beim Tod ihres Vu ters, als er nach dessen finanziellen Zusammenbruch der Cousine die Kronen ersten Trauerwochen tragen ls. Damals mochte sie ein lleinks Mädchen von süns, sechs Jahren ge wesen sein. Und seht war sie eine junge Dame, die gewiß aus den Bist len umschwärmt wurde. Jetzt gab es hier so lurz vor Semesterschluss( leider leine Tanzereien mehr, sonst hätte er sie gern irgendwo eingestihtni Sie hatte vielleicht gar schon einen Verehrer? Er lächelte-» Wie einen das alt macht!... Aber dann leerte er hastig seine Tasse und erhob sich. Es war schon später geworden als gewöhnlich, er mußte zur Universität Und wäh rend er nach Mappe und hut griss, hatte sie ein Brötchen zurecht ge macht nnd schob ei ihm in die Rock ta che. Er lächelte und strich ihr ge s hrt über die Stirn. Er sriibstiickte sonst nichts, aber so ließ er sichs ge allen. .Wann tonnnst du wieder, wie Lange liest du, Onteli« »Du ein Uhr, mein Kind. Alters dann muß immer noch aus die Bibli othei.« . . . »Ach, immer studieren! Du solltest mal hinaus in die Berge, wenn man( in so einer schönen Stadt lebt .s Aber zum Mittagessen kommst dini nicht wahrs« » »Ja zum Mittagessen bin ich wie-« der hier,' s Aber er hielt nicht Wort. Der Bibliotheinr hatte einen alten Folis anten gesunden. den der here Ge heimrat unbedingt begutachten muß te. Er blätterte darin, wurde gefes selt, las. Blätterte weiter, verstand nicht, schlug zurück Und plötzlich stand der Bibliothelsdiener hinter ihm und sagte halbleise und reinen voll: »Es ist drei Uhr, Herr Geheim rat. Die Bibliothet wird gestiloisen Aber wenn der Band nach Hause ge: schickt werden dars« Er war daran gewöhnt, sich nicht um die Zeit zu kümmern Wenn er nicht da war, aß er eben später. Dis machte nichts. Aber nnn erwnnsste ihn jemand. Er raffte seine Notizen zusammen und rief die nächste Brosch le heran. II III sit Sie stand am weiß lactierten Gar tentor und öffnete ihm. »Du kommst aber schön pünktlich,« lachte sie. »Ich habe mich arg versäumt.« hast du noch nicht gegessen?« »Ich werde mich an meinem schö nen Pudding doch nicht allein delet tieren!« »Pudding?« Sie hatte einen gekocht. Mitten auf der Anrichte prangte er, ein wi nig schief, aber tanariengelb und von strotzendem Glanz. Sie setzten sich· Und als er nach Tisch sein Arbeit-« zimmer betrat, hatte sie da Ordnung gemacht. Freilich, er liebte es sonst nicht« wenn man ihn in seinen Pa pieren nnd Büchern herumtramte, aber von ihr ließ er es sich gefallen .. O « sit ! Sie quälte und oerwöhnte ihn. Sie drehte ihm Fididusse fiir seine Morgen- und Nachmittagszigarre reinigte sein Schreibzeug, steckte neue Federn in seine Haltet, zog Lösch Iblätter auf goß die Blumen auf der IVerandm ließ die Markise herab, lspielte auf dem Flügel die neuesten Schlager vor, kümmerte sich in der Küche, erwartete ihn, wenn er hem tehrte s— immer vergnügt, immer in4 Bewegung, immer energisch und da bei doch von echt weil-lichem Taktges fühl — ein PrachtkerL Jhr zu sa gen, daß sie ihn störe, brachte er nickt iibers Herz. Nur nahm er in der er sten Zeit zuweilen seine Bücher un ter den Arm und ging still in den Garten. Aber dann wurde er nach denklich und gerührt und suchte sich in seiner Art dafiir erkenntlich zu er lweisen Er hatte nie Zeit gehabt für Frauen und Galanterien, er war dar an vorbeigegangen als an etwas Un bedeutendem, Unhequemem, Zweckw sem... Aber diesemltinde gegenüber wurde er unsicher, ohne es sich in sei ner in sich gelehrten Art merken zu lassen. Er zeigte ihr die Scheus wiirdigteiten der kleinen Musenstadt, die Universitätsinititute, den Botanii schen Garten, führte sie auf die Bibliothek, liest sie eine Vorstellung des kleinen Sommertheaters sehen: und sie schluckte all diese fiir eine Großstiidterin zweifelhaften Genüsse mit lächelnder Tapferkeit herunter. »Er machte mit ihr sogar einen Anz -flug nach einem nahen herzoglirhen Schloß, an das sich fiir ihn schöngei stige Neminiszenzen an die Goethe Zeit und fiir die aualvolle Erinne rungen an eine heiße Seminarklasse :und einen fabelhaft geschickten Litera turlehrer knüpften. Und allmählich verstand er es, sie mit seiner Wissen schaft zu versöhnen, ihr eine scheue Bewunderung fiir seine gründlichen, durchdringenden, lebendigen Kennt nisse einzuflößen, die die tiefsten Phi losophischen Probleme beherrschten und doch zur Würze selbst die Aneki dote nicht verschmähten. Eines Morgens merkte er. daß er vor der Auslage eines Modeladens stand und einen Spitzenkragen be trachtete. Er sah hiihsch aus, uno sie trug keinen. Sollte er sie damit überraschen? Er erstand ihn und barg ihn in seiner Aktenmappr. Er zählte die Minuten seines Vortrags. Und zu hause angelangt, legte er das Paketchen leise auf den Tisch ih res Zimmers. Errötend und gerührt kam sie damit zu Tisch. »Was fiiri eine Freude du mir da ge«macht hast, Onlel!« Und sie fiel ihm um den Hals. Behutsam und sinnend strich er ihr libee die Stirn..; .«. Er wußte, daß irgend etwas inl ihm vorging. Er siand srüher aus, um am Kassetlsch länger mit ihr za snmmen sein zu können. Er begann, aus seinen Anzug zu achten, hielt sich strasser; er trua sich mit dem Ge danken, sie ihrer Mutter selbst zurück zubringen. wenn die Zeit um wäre. Er zögerte, schwankte. Als der An sang des August immer näher rückte, saßte er den Entschluß, seiner Cou sine zu schreiben, sie solle 5Kam-Ma rle selbst abholen, um sie noch ein paar Tage mehr um sich zu haben. Er taute aus in dieser Aussicht und wurde unruhig, wenn er daran dach te, daß er sich von ihr trennen sollte. Und als dann dte Antwort der Cou ssne einlies, sie könne nicht kommen, Ame-Watte solle mit ihr in Baden Baden zusammentreffen, wo sie sich! von Pösihen erholen wolle, wurde er inne, daß er dieses Stück Jugend nicht mehr von sich lassen könne, das-, er ihr Lachen und ihre Scherze, ihre Erzählungen und Aufmerksamkeiten, daß er den Druck ihrer kleinen, festen« Hand und ihre schmiegsame frische, junge Gestalt neben sich und ihr gu tes, topseres kleines .t’siameradenhes.-zl brauche, um weiter zu leben. Und morgen reiste sie ab·.. Er stand auf und begann schweren Schrittes im Zimmer hin und her zu gehen. Es war spöt. Er achtete nicht daraus. Er mußte mit sich ins reine kommen. Aber wie, wie? Der Mutter schreiben, er könne sie nicht schicken, weil er krank geworden sei und sie ihn pflegen müsse? Fast stimmte es... aber es war eine Ausslncht, und das lag ihm fern. Oder sie habe sich den Fuß vertreten? Das würde der Mutter Sorge ma chen Sekbst mit ihr irgendwvltin abreisen, der Mutter entgegen? Er konnte es nicht, die Universität hielt ihn zurück. lind er mißbrauchte da mit vielleicht das Vertrauen, das sie in ihn gesetzt. Er trat ans Fenster .. Den Brief, durch den sie Anne-Marie nach Ba den - Baden ries, brauchte er nicht erhalten zu haben. Und gleich dar auf merkte er, wie er tief und deisz errötete. Rein, er vermochte es nicht. lind während er in die Julinacht hinaussanm die schwül und schwarz zwischen den Bäumen hing, stieg ver Gedanke in ihm auf, sie zu heiraten... groß und ruhig und selbstverständ lich, wie entlcheidungsvolle Gedanken immer groß und ruhig und selbstver ständlich sind. anohl, er wollte sie zu seiner Frau machen. Er mußte sich setzen, fuhlie sich von einer schönen Zärtlichkeit feierlich bewegt. Seit gestern abend wußte er, dafz er sie liebhatte, nicht mit ie nem jäh aufflammernden lecken Ju gendenthusiasinus, der alles besitzen, alles entzünden möchte, um ebenso schnell zu verfliegen und sich einein anderen Gegenstand zuzuwenden, sondern aus der tiefen, scheuen und schmerzlichen Neigung des alternden Mannes heraus, dem ein junger Mensch, der ihm sein Leben mittrai gen und reicher machen will, mehr be deutet als nur ein flüchtiges Aben teuer, der fühlt, daß ihn noch einmal das Schicksal herausreißen will aus seiner gelehrigen, egoistischen Ein samkeit, um ihm banale, heilige All tagspflichten aufzuerlegen, Pflichten und Rechte . . . Banale und doch heilige Alltagss fslichtein Mitarbeiten dürfen am ebendigen Leben als Gatte als Va ter... Kinder erzkbem Tiefen sind Höhen menschlichen Lebens durchzu inessen, Sorgen und Freuden, Leiden und Wonnen tragen wie andere, an allein menschlichen Geschehen empor wachsen, in allem menschlichen Gesche hen sich vertiefen, zweieinig kämpfen, zweieinig berauscht sein und bluten und arbeiten und sterben und im Le bendigen weiterleben, wenn auch die ser Körper zerfiele... Er blickte um sich, als habe er ge träumt. Wo hatte er bisher gelebt? Wie hatte er gelebt? Bücher, Zettel, Staub, eine tote, egoistisch abgegrenz te Kleinwelt, die nichts gemein hatte mit dem Schaffen der andern, eine Welt, die sich aus Büchern aus baut, um neue Bücher zutage zu för dern, ein ewiger Kampf uni den Wortlaut des Textes, blasse, kindlich einseitige Rekonstrultionen verschobe ner Gestalten, in denen nichts mehr von der tausendfältigen Komplizierti heit moderner Menschenpulse, ein Handwerk wie alles aiidere... ein warmer Mantel für Einsame, die nichts Besseres wisseii... Eine heiße Welle flutete durch sei nen Körper Wie jung er sich noch einmal fühlte! Er wollte um sie werben. Und mit einem glücklich sin nenden Lächeln setzte er sich an oeii Schreibtifch, um seiner Eousme zu beichten, wie es um ihn stand. Wohl mußte er sich nun für Monate von dein Kinde trennen, aber danii.... Er überlas noch einmal, was er ge schrieben, und lehnte sich, die Augen schließend, zurück. Jetzt schlief sie und wußte nichts von dein einsamen Kampf, den er hier durchsochten. Und morgen?..· Er träumte vor sich hin. Und plötzlich schrak er anf. Würde sie dann einverstanden sein? Würde sie denn ihr junges, blühendes Leben an ihn fesseln wollen für immer? Und durfte er denn überhaupt daran denken, sie zu der Seinen zu machen? Durste er es denn überhaupt? Er stieß den Sessel zurück, nahm seinen Rundgang wieder auf, vie Hände auf dein Rücken getreu-In die Gestalt gebeugt. Was wollte sie ooin Lebeni Was verlangte sie von ihm? Was durfte sie denn erwarten? Und wie würde feine Cousine urteilen? Er fühlte, wie eine heiße Zärtlich keit ihn durchströmte, die jede ruhige Ueberlegung zu ersticken drohte. Er warf sich in den nächsten Sessel. Nur nicht sich fortreiszen lassen in diesem schweren Augenblick Er tupfte mit dem Taschentuch über die feine, hohe, feuchtbeperlte Stirn, als könne er wegircklcherh was da drinnen arbei tete. Wie würde seine Cousine urteilen? Und in demselben Augenbiiit durchzuckte es ihn, daß er verzichten »müsse aus seinen Traum. Nicht, Iweil ihm ihre Mutter etwas in den »Weg legen würde: das war nicht zu befürchten. Jm Gegenteil. Und ge rade dieses »Im Gegenteil« zog zwi , schen ihm und dem Kind eine unüber schreitbare Scheidelinte. Seine Cou sme war, ohne daß sie es zu empsi n den hatte, materiell von ihm abhitn )gig. Sie hatte seinerzeit einen «-Of fizier geheiratet, einen hübschen, ta jlentiertem leichtsinnigen Menschen aus twohlhabender Familie, der früh den Abschied genommen, um seinen Pas sionen zu leben, der dann aber in ge wagte Grundstücksspelulationen ein eingetreten war, die ihn im Laufe der Jahre finanziell völlig erschöpft hat ten. Das tleine Vermögen seiner Frau war bei der Ordnung der Ver hältnisse darausgegangen, ein Leiden war hinzugetreten, der Tod hatte ihn seinen Zusammenbruch nicht lange überleben lassen. Seitdem unterstütz te er seine Cousine durch jährliche Zu wendungen, die ihr und ihrer Toch ter im Verein mit ihrer kleinen Pen sion ein behagliches Leben gestatteten. Und darum durfte er es nicht wage-« sie um 5Llnne-Tllaries band zu bit ten: ihre Entscheidung würde nicht frei sein. Er stand auf und trat schwer ai mend zum Fenster. -·- , ts Basis-ten . . . verzichten, mo er Im dazu entschlossen, einen Strich zu set zen unter das Eremitendasein, daz er bisher geführt! Und hatte sie ihn denn nicht auch lieb? Er senkte schen den Kopf. Hatte sie ihn denn nicht auch lieb? Hatte sie ihn nicht all dir Wochen hindurch umpflegt und uni hätschelt und ihm in seine verstaubte Büchergruft ein wenig Sonne von da draußen hineingetragen? War das wirklich nur die aus Dankbarkeit und Bewunderung gemischte, sich selbst san unbewußte Schwarmerei einer Consi ne, eines sich seiner Macht noch unbe wußten Kindes? Was es keine Lies be? Konnte ihre Neigung nicht reifer, tiefer, ernster werden? Sie war ja noch so jung Er strich sich über das Haar. Und selbst wenn sie ihn lieb hätte: er durfte sie nicht an sich ketten. Jn ih rem Alter konnte sie noch nicht über ihr Schicksal entscheiden. Und in zehn, zwanzig Jahren? Er lächelte schmerzlich. Was dann? Nein, er durste es nicht. Sie glücklich zu fe hen, ihr jeden Stein aus dem Wege zu räumen, ihr eine Verbindung zu ermöglichen, nach der sie sich sehnte, ihre Kinder auf seinen Knien zu wie gen... Das mußte ihm genug sein. Jhr Leben mit dein seinen zu ver knüpfen, wäre Verbrechen gewesen an ihrer heiligen, frischen, einzigen Ju gend, für die er ihr keinen Ersatz zu bieten wußte als die tiefe, zage Liebe eines alternden Herzen5... Es hiesz verzichten . .. Er atmete schwer. Auf seiner Stir ne perlte der Schweiß. Schiner trat er an den Schreibtisch und drehte den Brief zu einem Fidibus Er fchwelte, flammte auf, zerfiel. Aus. Er löschte die Lampe. Und dann öff nete er die Fenster und beugte sich hinaus. Es war heis-, zum Ersticken. Jrgendwo rieselte ein Brunnen. Er war allein. Und morgen reiste sie ab... III II Ist »Schon dreiviertel acht Uhr! So geht es nun, wenn man zu lange ar beitet, Onkelchen. Aber es nützt ja gar nichts, wenn man dich bittet Wie abgesponnt du aussiehst; ein Glück, daß es bald zu Ende ist mit der alten Universität... Dann hast du Ferien bis zum November und machst eine große Reise nach Italien hinein... verdient hast du es dir! Sie hantierte laut und slink und fröhlich aus dem blintenden Fun stiickstisch umher, schenkte ihm den Kasse ein, warf mit kühnem Schwung den Vögeln aus den Stufen der Ter rasse ein paar Rrumen ihres Brüt chens zu und schob sich die Orangen marmelade näher. »Sonst bekomme ich nämlich auf der Reise Hungeri« setzte sie zur Ertlärung lächelnd hin zu, als sie feinen Blick aus sich ge richtet sah. Er nickt-. nur freundlich und rührte still und nachdenklich in seiner Tasse. Seine Gedanken waren weit, weit entfernt... Ja, er fühlte sich anaearissen, er wolle nach Italien aehen, um neue Kraft, neues Interesse zu gewinnen siir seine Arbeiten. Und er brauchte sie, um sein erst bis zum vierten Band gediehenes Monumentalwerk zu Ende zu sühren... Und dann stand er mechanisch aus und ariss nach Hut und Mappe. Es war Zeit, zur Uni versität zu gehen. Sie war ausgestanden und dankte ihm mit stürinischer Zärtlichkeit für die schöne Zeit, die sie bei ihm ver lebt. Sie siel ihm zum Abschied um den hals und drückte seine Hand an ihren Mund. Er lächelte verloren, strich ihr über die Stirn und wandte sich zum Gehen. Unten drehte er sil) noch einmal um. Sie stand leicht an den Tisch gelehnt und winkte ihm mit der kleinen weißen Hand nach. Und er griss müde grüßend nach dem hat. Das weiße Gartentürchen aber zit terte noch halb angelehnt, als er schon längst verschwunden war. Sie mußte selbst hinuntergehen, um es fest zu schließen». Der Zeus-. Erzählung von Paul Ginisth· Es gibt wahre Begebenheiten, die wie Romane anmuten. — An einem Septembermorgen des Jahres 1802 brach an einer elegan ten Kutsche, als sie durch die irliindis fche Stadt Tullamvre fuhr, ein Rad. Der Jnsasse des Wagens. ein sehr Istattlicher Herr in militärischer Uni form, schien über die daraus entste hende Verzögerung seiner Weitersahrt äußerst bestürzt zu sein. Während der Kutscher die Pferde ausspannte, holte der Diener Hilfe herbei. Der Stellmacher, der den Schaden besah, schüttelte bedauernd den Kopf Der Diener gab seinem Herrn Be scheid: »Herr Oberst, der Mann meint, ein Tag wird kaum genügen, um die Sache in Ordnung zu bringen!« »Der Teufel hole die schlechten We ge!« sagte der Oberst, »ich wollte heute abend noch in Marlborough sein. Jetzt sind alle meine Pläne zu nichte Er wandte sich an einen der Um herstehenden: ,,Gibt es hier wenigens eine anständige Herberge im Ort?« »Gewiß, Herr Oberst«, sagte ein tleiner dicker Mann mit jovialem Ge sicht, »ich kann das mit bestem Ge wissen behaupten, denn ich bin der Schwiegervater des größten Gastwitts in Tullamore. Wenn der gnädige Herr erlauben, werde ich ihn dort hin führen Jch bin sicher, daß der gnä dige Herr zufrieden sein werden« Der Oberst ergab sich in das Un bermeidliche. Jn einer kleinen Stadt erregt alles Aufsehen. Als der Oberst in den Gasthof kam, war sein Unfall schon bekannt. Man bemühte sich um den Osfizier, der schnell etwas sriihstiiäen wollte. »Wie soll ich hier nur die Zeit tot schlagen?« sagte er zu seinem Wirt. »Was gibt ek- in Jhrer Stadt zu se hen, die, ohne Jhnen zu nahe zu tre ten, mir recht öde erscheint. Wenn Sie wenigstens eine Garnison hier hätten!'« »Leider haben wir keine« Herr Oberst, aber vielleicht interessiert Sie unsere Leinensabrikation?« »Nein, danke bestens-, ich bin kein Kausmann.« Der Herbergswirt klopfte sich an die Stirn, als wenn eine großartige Jdee seinem Hirn entsprungen wäre· »Etwaö wüßte ich doch, was den gnädigen Herrn interessieren würde. Wir haben jetzt Gerichtssitzungenz heute wird ein großer Verbrecher ver urteilt!« — Er senkte ein wenig die Stimme und sagte mit leichtem Er schauernt ,,(kiner von der Bande des berühmten Kapitiin ·Quilth.« ,,Quiltv? Von welchem Regiment?« »Ein Regiment?« Der Herr wollen sich wohl iiber mich lustig machen? Es ist doch unmöglich daß der Herr noch nichts von Quiltn, diesem infamen Schurken gehört hat, der schon so lange unser Land unsicher macht und nicht zu sassen ist.« »Meiner Treu, ich kenne den Namen nicht einmal. Ich komme vom Kon iinent.« »Aber jetzt haben wir einen seiner Komplicen, einen gewissen Kelliä und er wird siir die anderen büßen! Wür de es den Herrn interessieren, der Ver urteilung beizutvohen?« ,,J was, ich bin nicht neugierig daraus, und so einen ganzen Tag lang still dazusitzen . . . Indessen . . .« Der Oberst schien sich eines besseren zu besinnen »wenn es hier schließlich keine andere Zerstreuung gibt, wird mir wohl nichts anderes übrigblei ben.« »Der Herr Richter wird sich ge wiß eine Ehre daraus machen, dem Herrn Oberst einen guten Platz einzu räumen. Jch werde ihn sofort be nachrichtigen, die Sitzung hat bereits begonnen!« Der liebenswürdige Wirt begleitete den Oberst selbst zum Gericht. Er schrieb aus einen Zettel, daß Oberst Lord Kinderney, der sich aus der Durchreise durch Tullamore befand, gern der Verhandlung beiwohnen würde. Er gab den Zettel dem Ge richts-dienen der ihn dem Gerichts schreiber weitergab. Der Gericht-I schreiber wieder iibergab ihn dem Nichter, der geschmeichelt war, einen Zuhörer von Bedeutung zu haben und bereitwilligst dem Oberst in seiner JNähe einen Platz anwies. Der Angeklagte Kellis leugnete hartnäckig seine Schuld. Jmmer wie der versicherte er, dnß er on dem Ta ge, on dem das Verbrechen, dessen man ihn beschuldigte, begangen wur de — einen Passanten auf der Land straße beraubt und getötet zu haben —- gnr nicht in Jrlnnd gewesen sei, sondern weit entfernt, in Douvres. Er beteuerte seine Unschuld in bered testen Worten, er gab zu, daß der Schein gegen ihn sprach, behauptete nbet, dnsz die Untersuchung, die mit seiner Festnnhme endigte, parteiisch geführt worden sei. Indessen die Ge schwokenen bejahten die Schuldfrnge. ,,Angeilagtek, haben Sie noch et was zu sagen?« fragte der Richter. »Ich wiederhole-, daß ich unschul dig bin,« seufzte Kellis nieder-geschla gen. Plötzlich hob er den Kopf. »O mein Gott!« tief er, «ist es möglich? Soll mir doch noch Gerech tigkeit widersahten.« »Was soll das heißen?" fragte der Richter erstaunt. « »Der Himmel selbst sendet mir feine Hilfe!" rief Kellis beglückt ans und zeigte aus den Oberst Kinderkreis, der erstaunt war, so plötzlich mit hinein gezogen zu werden. »Dort«, sagte stellte-» ,,ist ein Herr, der meine An wesenheit in Doudres an dem Tage, an dem das Verbrechen begangen wor den ist, bestätigen lann . . . Würden Euer Gnaden hier erklären, daß ich es war, der sein Gepiicl trug, als er ans einein Schiff, das aus Frankreich kam, ausstieg?« Oberst Kinderney blickte ihn er staunt an. - »Ich kenne den Menschen nicht,« sagte er, unangenehm berühi. »Dessen bin ich sicher,« sagte der Richter höhnisch. »Was für eine Un verschämtheit von dem Angeklagte-m Schweigen Sie!« »Noch einen Augenblick, erbarmen Sie sich!« flehte Krisis-, ,,erlauben Sie mir, daß ich an den Herrn einige Fragen stelle, von denen meine Frei heit abhängt.« Lord Kinderney machte aus seiner Unruhe kein Hehl. »Was soll diese Komödie!« sagte er aufgeregt. »Sie haben recht,« stimmte ihm der Richter bei, ,,es ist tvirllich nur Ko mödie!« »Nur eine Frage«, drängte Kellis, ,,ist es nicht fünf Wochen und dret Tage her, daß Sie, gnädiger Herr, nach Donores kamen?« Allerdings bin ich vor mehreren Wochen dorthin gekommen, aber ich habe natürlich das genaue Datum meiner Rückkehr nach England nicht im Kopfe« ,,Erinnern Sie sich nicht, daß ein TMann Jhnen damals, als Sie ans TUfer stiegen, bei Ihrem Gepäck halfs« s »Wie soll ich mich noch heute an meinen Gepiickträger erinnern!« I »Sie erwiesen ihm damals die Ehre, gnädiger Herr. einige Worte mit ihm ’zu wechseln,« fuhr Kellis in namenlo ser Aufregung fort. »Er erzählte Ih «nen, daß er Seemann sei und an lBord eines Korsaren gegen Frank jreich getämpft habe . . .« » »Ich habe dem sicherlich keine Wich ltigteit beigelegt,« antwortete der Oberst angehalten. Kellis schien feine ganze Uebertr dungstunst aufbieten zu wollen, um das Gedächtnis des Oberst auszufli schen. Seine Augen glühten, als er ihm eindringlich sagte: »Ich zeigte dem Herrn damals eine große Narbe am Schädel und hob dabei meine Pe rücke auf.« Der Angeklagte machte dieselbe Be wegung und entblößte die Narbe. l Der Oberst stutzig Sein bis dahiv teilnahmslofes Gesicht belebte sich. »Es ist wahr«, sagte er, ,,dessen erinnere ich mich« i »O du mein Gott!« rief Kellis er Eregt aus. »Heler Sie rnir!« l Helle Schweißtropfen standen aus Fseinem angstvollen Gesicht. »Wenn IEuer Gnaden das genaue Datum lseiner Ankunft in Douvres feststellen ;iönnten, hätte der Gerichtshof keinen Zweifel an meinen Worten mehr.« : Der Oberst überlegte. »Ich weifz es- nicht mehr, aber es steht in meinem Notizbuch, das sich noch in meinem Koffer befindet.« Große Aufregung durchlief die Menge der Zuschauer. Die Sitzung wurde unterbrochen, während man das Notizbuch herbei holte. Der Tag der Ankunft des Oberst in Douvres deckte sich genau mit dem Tage des Verbrechens. Nach und nach kamen dem Oberst Kindernen auch die näheren Umstände wieder ins Gedächt nis zurück, so daß er bestimmt be haupten konnte, das-, der und kein an derer der Mann war, der ihm in Douvres sein titepiick besorgt hatte. Er legte einen Eid daraus ab. — Die Geschiriorenen zogen sich von neuem zur Beratung zurück und tamen dies mal zu einem einstimmigen Freispruch. Kellis wurde in Freiheit gesetzt! s Eine Sammlung wurde zu feinen IGunsten veranstaltet, um ihn fiir die Tausgesiandene Angst zu entschädigem kDer Oberst selbst mußte einige Ova tionen annehmen, zum Dank dafiir, idasz durch seine ;-—30ugenaugsage die fgterechtigteit den Sieg davongetragen , Atte. Die Postiutsche war am Abend wieder in Stand gesetz-i und der Oberst konnte weiterreisen. st- Il der Wagen. Ein Mnnn erwartete ihn dort und stieg ein. Es war Kellis. »Nun,« sagte der »Oberst«,« ,,habe Iich Dir nicht gesagt, daß ich Dir aus ider Pritsche helfen werde, wenn Du idas Pech haben solltest, der Polizei iin die Hände zu fallean Jch verlasse »die Meinigen nie! Ue·brigens,« fügte er lächelnd hinzu, »Du sowohl wie ich, Einige Meilen vor Tullmnote hielt ) wir hoben unsere Rollen fnnios durch : geführt.« ) ,,n«:pitän, ich win es Ihnen ewig »danlen!« AA —— Günstige Konjunktur. Hex-Dienstmädchen (zur Gnädigen, die wegen eines Kleides in Ohnmacht ge .fallen ist): ,,Gnä’ Frau, fest kriegst der Herr mit der Angst zu tun; Sie ilönnten ruhig mach einen Hut dazu inehmenP