Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 20, 1912, Zweiter Theil, Image 11

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    FkaääkHLEEZJiias«
Weihnachten
Von O. o. Beaulien
Soll ich denn nich ’n Baum mit
bringen. Fräulein — ’n ganzen
kleinen?« fragte Minna, das Dienst
miidchen, als sie schon halb ans
der Türzwar. Sie wagte nicht, ihre
Herrin bei dieser Frage anzusehen.
»Um Gottes willen!« schrie Fräu
lein Hegewifch entsetzl. »Solch ein
Ding nadelt ja und macht die ganze
Stube unordentlich.«
»Aber man will doch wissen, daß
Weihnachten ist,«' wandte Minna
schüchtern ein. »Es ist doch man ein
mal im Jahr« —
»Schlimm genugt« sagte Fräulein
Hegewisch »Ja meiner Jugend war
längst nicht so oft Weihnachten. Oder
—- vielleicht waren die Jahre damals
länger. Es wird ja alles schlechter,
auch die Zeit. Nun mach zu,
Minnal«
Minna ging, und Fräulein Dege
wifch stäubte ihr Wohnzimmer ab wie
alle Tage. hätte man sie gefragt,
was sie fiir dirs böse Prinzip in der
Welt halte, würde sie geantwortet ha
ben: Staub. Staub und Nuß. Der
Kampf mit diesem Prinzip deg Bösen
war die Lebensaiifgabe, die sie jeden
Tag von neuem mutig aufnahm,
wenngleich sie nur Augenblickssiege er
rang.
Dann begoß sie ihre Araularia. Es
war die einzige Pflanze-, die sie besaß,
und nicht einmal durch ihre Schuld,
denn sie hatte sie geschenkt bekommen.
bis war das wenigst Unangenehme, »
was man von einer ZimmerpflanzeT
baden lann. Ganz symmetrisch ge-;
gliedert war sie, eine Etage hübsch über «
der andern. Sie war beinahe so
schön wie eine lunstliche Pflanze. Aber
leider mußte sie begossen werden, und
das läßt trotz aller Vorsicht-Entder
geln die Möglichkeit zu, einen Fleck zu
machen. Schließlich nahm sie, wie je
den Morgen. ihren Kanarienvogel aus
dem Bauer, bürstete mit einer eigens
fiir diesen Zweck angefchafften weichen
Bürste sein Gefieder und setzte ihn
wieder hinein. Sehr behutsam. Jn
ihrer Berührung war etwas wie der
schämte Lieblosung.
Futter bekam er nicht. Er brauchte
auch keins, denn dieser allerliebste ar
tige Vogel war ausgestopst Nur ein
Stück Zucker saß zwischen den Gitter
stäben. Es war immer matellos
weiß, denn es wurd: tiialielx erneuert;
das vem Tage vorher durfte Minna
in ihren sinssee tun.
Diesen saubern, stillen Vogel, der
aus schwarzen Glasperlenaugen min
destens so verständig blickte wie ein le
bender Kanneienooqeh hatte Fräulein
Degewisch lieb —- nicht töricht· über
schwenglich lieb, wie man einen an
svruehslosen Kameraden hat« der uns
nicht ärgert und nicht widerspricht.
Fräuleinheaewisch würde euan ver
gessen haben, daß der vierundzwan
zigste Deiemlrer siir manche Menschen
eine besondre Bedeutung hat, wenn sie
nicht aus unanpenehrne Weise daran
erinnert worden wäre. Jn Minnas
Abwesenheit — und Minna war heute
meistens abwesend -— llingelte es alle
Augenblicke, und dann mußte Fräulein
Hegetrisxh nach der Tür sehen.
Zuerst lam ein Geschäftsdiener und
wollte ein großes, mit richtigcm Fell
überzogenes Schautelpserd abgeben,
woqegen sie den bestigsten Proteit er
hob. Der Mann blieb dabei, das-, sie
es bestellt habe. Schließlich eutschloß
er sich, eine Etage höher zu gehen, wo
eine Familie mit Kindern wohnte.
Dann tam ein Junge, der Papier-·
rosen zum Tannenbaumschrnua anbot.
»Ich habe teinen Tannenbaum!« sagte
Fräulein Hegewisch grimmig und
schlug die Tiir zu
Schlieszlich stand eine Frau mit
Hampelniännern draußen.
»Liebe Gnädige,« wimmerte sie,
»tausen Sie doch etwas! Der Ver
dienst ist so klein, und ich habe sechs
Kinder!«
»Kann ich dafür?« sragte Fräulein
Henewisch prompt.
Sie konnte wirklich nicht dafür, und
deshalb qing sie auch mit unbeschiver- .
tem Gemüt zuriick in ihr sauberes, z
biibsches Wohnzimmer, setzte sich neben I
ihren Kanarienvogel und häkelte an
einem Sosaschoner. Denn Susascho
ner kann nun nie genug haben.
Nach dem Tisch machte sie ihren ge
wohnten Spaziergana Ohne Gam
Inischuhe ging sie nie draußen; heute
bedauerte sie, daß es keine Futterale
iiher cluinmischuhe gab. Tenn der
Weihnachtsschmuh war unergriindlich.
Kopfschiiitelnd und verskinnnt kam
sie nach Hause.
Sie saß lange in der Dämmerung
und sah aus die Straße hinaus.
Feierlich haklte der Klang der Glocken
durch die Stadt.
Nun wurden hier und dort Fenster
hell, viel heller, als an andern Tagen.
Geschöskige Schatten huschten hinter
den Bot-hängen hin nnd her. Jn ei
ner Etage waren die Fenster nicht ver
biinqk, und die Lichtlein einesTannens
baums slarnmten aus, eins nach dem
andern, wie ausgehende Sterne
« Punkt sechs kam Minna, wie ihr ge
heißen, herein und zündete hie hänge
kampe an.
Und es war Abend, ganz wie sonst.
Nur einsamer — vie-l einsamer.
Sonderbar war das.
lieber the tönte eine dünne Klinqeh
dann Getrappel tleiner Füße. iubelnde
helle Stimmchen
Das waren die Kinder oben, die sie
nichi leiden konnte, weil sie mit
schmutzigen Stiefeln über die Treppen
gingen und iiber ihrem Kopfe »trie
gen« spielten.
Schrecklich diinn gebaut sind diese
Miethiiuser, dachte Fräulein Dege
wisch. Man muß alles miterleben.
Aber sie war nicht böse, wenigstens
längst nicht so böse wie sonst.
Sie» ging ans Fester und streichelte
Pin, obwohl es ganz auszer der Zeit
war. Aber sie tvar so allein, so schreck
lich allein.
Merkwürdig, daß der Klang der
Stimmchen von da oben einem die
Einsamkeit so siihlbar machte!
Fräulein Hegewisch hielt es nicht
mehr aus. Sie mußte mit irgend
einem Menschen sprechen. Sie wollte
Minna sagen —
Ja, was?
Nun, wenn sie in die Küche lam,
würde sich das schon finden. Minnas
unbedachies Tun gab immer Anlaß zu
irgend einer Bemerkung. !
Als sie die Küchentiir öffnete, schlug J
ihr ein eigentümlich sestlicher Dust ent
gegen und ein gelblicher Schein.
Aus demKüchentische stand ein win- I
ziges Tannenbäumchem das beinahe
zusamemnbrach unter der Last von
Lichtern und Zuckerwerl, die man ihm
aufgebürdet Herum standen mit
leuchtenden Gesichtern Minna, Min
nas verheiratete Schwester und ein
tleines Mädchen mit glühendroten
Backen und großen, seligen Angen;
das sang mit ganz feiner, heller Stim
me: »Stille Nacht, heilige Nacht", nnd
Minna summte ganz leise die zweite
Stimme.
Fräulein Hegewischs Anblick wirtte
wie der Anblick der Katze ans die
Mäuse. Minna wurde blaß, weil sie
nicht mehr röter werden konnte, und
ihre Schwester rang verlegen die
Hände.
Aber auch Fräulein Oeaewisch stand
wie erstarrt nnd sand keine Worte.
’ Nur ein Mensch behielt seine Unbe
fangenheit: das Kind. Ehe die ver
itörte Mutter es am Kleiderzipsel hal
sten konnte, ging es stracts aus Fräu
ilein Hegensisch zu, stellte sich ans die
Zehen, legte ihr dis- Arme um den Hals
und küßte sie mit rubiaer Selbstver
ständlichleit ans den Mund.
Minna schrie uut vor Entsetzen.
»Kind,« sagte Fräulein Heaewisch
——— ihreStimme zitterte merkwürdig —
»mächteft Du den Kanarienvngel
sehen?«
Es war das einzige, was ihr einfiel·
Aber es war ein guter Einfall.
Das Kind legte zutraulich seine klei
ne Hand in ihre und ainq mit.
»Sie muß ihre Stiefel noch mal ab
pntzen!" rief Minna, beinahe hyste
rifch vor Erreguna.
»Laf3 nur, Minna,« sagte Fräulein
Hegervifch.
»Das Fräulein stirbt qewifz bald,«
sagte Minna zu ihrer Schwester und
fanl tief ausatrnend auf einen Stuhl.
Das Kind lief sofort auf die Uran
taria zu. »Hübfcher kleiner Tannen
baurn!« rief es. »Aber es hängt gar
nichts dran!« ,
Fräulein heaewisch war betroffen
von dieser Deutung ihrer nüchternen
Arautaria, aber -sie saqte nichts da
gegen·
»Hm Dir niemand was gefctxntt?"
fragte das Kind, sich nach der Be
fcherung untsehend. Und als Fräu
lein Heaewifch den Kopf fchüttelte,
tagte es mit tiefem Mitleid: »Arme
Frau!«
· Dann suchte es in seiner Kleider
»tasche, brachte mit vieler-Mühe einen
lKreifel zum Vorschein und hielt ihn
IFZäulein Hegetrsisch strahlend hin:
» a.«
Fräulein Hegewisch nahm den Krei
»fel. obwohl ihn die Patina des Alters
)deckte. Es war ihr seltsam dick im
Wulst
»Ich will Dir auch etwas schenken.«
sagte sie zu dem Kinde. Aber sie
wußte gar nicht recht, trie man das
machte. Sie sah sich hilsesuchend im
Zimmer um. Was konnte nknn denn
nnr einem kleinen Rinde schenten.2
Sie sand nur eins den ausge
stonsten Freund mit den verständigen
Glasanaen
Sie streichelte ihn nur einmal, scheu
nnd schnell. Dann gab sie ihn hin:
»Das schenke ich Dir.'«
Nach einer Minute latn Minna her
eingestürzt« »Fräulein, das ist doch
wohl ein Irrtum. Die Kleine sagt,
Sie hätten ihr den Vogel geschenltt«
»Kann ich nicht einen Vogel ver
schenken?« sagte Fräulein Hegeioisch
scharf. »Uebriqens hatte er die Mot
ten!"
Das war gar nicht wahr. Sie
wollte sich nur entschuldigen.
»Und vielleicht nehme ich wieder ei
nen lebenden Vogel,·« setzte sie hinzu.
»Es ist doch hübsch — etwas Lebendi
ges.«
Minna ging, jetzt fest überzeugt,
daß ihre herrin es nicht lange mehr
machen würde. »
Fräulein Hegetvisch aber saß vor
threrArautaria, einen kleinen schmutzi
gen Kreisel in der hand, Weihnachten
ins Herzen.
Ein Kind hatte sie geküßt, nnd sie»
hatte das Liebste oerschentt, was sie be- !
sessen.
M das nicht Weihnachten istt
Weidnaelnskktizze von T. Meissner-Buhle
»Alle-. Jiitgensen, entschließe Dich!
Fähtst Du zu Deiner Mutter oder dats
ich Dich zu Hause anmelden? Jutta
rechnet bestimmt dar-aus« daß Du
tommst.«
»Mutting wird su—chbar enttäuscht
scsin ——« murmelte der baumlange
Jütgensen in unverlennbntem Dialeth
dabei huschte eine leichte Röte iiber sein
hübsches ehe-liebes Jungengesicht, mic
immer, wenn August Steinbetg den
Namen seiner schönen Schwestets
nannte.
Verlegen blätterte er in dem vor ihm
nusaescblngenen Mathematithest.
»Entschliesze Dich, Jürgensen!«
sagte der hochblonde, schmale und et
was weichliche Kadett August Stein
betq noch einmal in dringende-n Tone.
Jiirgensen seufzte. —
Es war wohl der Reiz, den entge
gengesetzte Charaktere ost auseinander
ausüben, der den Kadetten Steinberg
dazu trieb, sich an die Fersen des Ku
detten Jukgensen zu besten. Eine sast
schwör-tierische Zuneigunq etgriss ihn
schleppende Robe aus schwarzen
Spitzen, das Funieln ihrer Brillanten,
nlles wirkte auf Jürgensen, so daß er
keine Worte sand, und sie anstarrte,
nie eine Erscheinung aus »Tonsend
nnd eine Nacht«. Hätte ihm jemand
aesagt, diese Jutta Steinberg ist ält
.ich, und nur mit der größten Sorgfalt
erhält sie ihre schwindende Schönheit,
sielacht zu laut nnd ihre künstliche
Hlusgelnssenheit verbirgt die Entmu
schungen eines törichten Herzens, —
Jiirgensen wiirde es fo wenig verstan
den haben, als spräche man polnisch
mit ihm.
Mit geschlossenen Hatten stand er
one seinem Sessel und ließ wie in
einem mörchenhnft schönen Traum die
ichmeiehelnde Lebhnstigieit der schönen
Fee iiher sich ergehen.
Wie sehr sie sich freue, daß er intoni
men sei, sagte sie, und daß e- sür eine
Natur wie seine doch eine driickende
Atmosphäre sein müsse, draußen im
ewigen Einerlei in Lichter-selbe
»Allerdings, gnädiges Fräulein,«
sagte Jitrgensen. Aber er hntte es
vorher noch nie empfunden. Erst lurz
vor Tisch erschien der Hausherr, der
mit einem gutmütig polternden Humor
Veihnachii
Die Weihnachtstaune dustet durelszaussl
Sie dustet so würin -— so eigen.
Erinnerungeu geh«u leise aus
Von ihren veaugendeu Zweigen.
Und die Kerzen strahlen iu Herrlichkeit
Wie zur Jugendzeit « wie zur Kinder
zeit.
Was ficht dich au, dasz du heimlich
meinst -
Beim Zchaueu sesilicher Gaben,
Als ruhe aus ewig im sonnigen Einst
Dein Kindheitsglück begraben?
Vernimm· uud verstehe der Weihnacht
Geläut —- —
Jauchzc. o Seele ——: dein Tag ist heutl
Tes heiligen Kindes Augen schau«n
Ticli nu mit göttlicher Frage.
Blick tief hinein, --- uud iu sel’gem
Vertraun f
Verituumit deine bittere Klage.
O aili ihm Antwort: »Herr. ich bin deinl
Laß mich dein Eiaeu aus ewig seini«
zu diesem hübschen, braunen Kerl, der
unter allen fast der Stattlichsle war
und dessen stille vornehme Zurückhal
tung iluu mächtig imponiertr. Aus
verschiedenen Vorlorvs waren sie hier
in Lichterselde zusammengetrossen, und
anfangs hatt-. sich Erne Jüraensen ge
gen die Gunstbeweise des reichen Ban
kiersohneg reclkl ablehnend verhalten.
Aber August unterdrückte diesem
fremden Kameraden zuliebe seinen
Hang zum Protzen; er zeigte sich über
haupt von der besten Seite, und end
lich gelang es ihm denn, durch sein an
schrniegendes Wesen und durch sanfte
Beharrlichleit die Freundschaft des äu
ßerlich kühlen und mißtrnuischenNord
deutschen zu erringen.
Eines Sonntags lud er ihn nach
Berlin ein.
Jiirgensen schwanlte.
Die Gerüchie über Steinbergö im
niensen Reichtum, iiber den Luxus des
Steinbergschen Heim-J in Berlin W»
iilser die faszinierende Erscheinung der
schönen Stiesschwester des Kameraden,
—— das alles schreckte den schwerblijti
gen Menschen ab.
Was follte er da?
Nein, er paßte nicht dorthin nnd
würde diese verwöhntenGroßftadtmen
chen mit seiner langsamen, fchlerspenden
Art nnr langtoeilen. lind dann noch
eins-. ungünstige Familienverhältnisse
drückten ihn. Nie würde er sich diesen
Leuten gegenüber rev(«.nchieten können.
Lchion Fuoiel hatte er Von August ange
noinmen, hnttr sich Dinge nufdriingen
lassen, die er elsenloant entbehren lonn -
le und fitblte sich dann immer innerlich
siedemiitigt obwohl fein Kartgefiikil
ikmi wiederum oerl·ot, Steinbergg
Wohltaten schroff zuriiclzuweisen
Natürlich ließ er sich auch überreden,
die Sonntagseinladung anzunehmen
i Es war. wie er erwartet hatte.
! Schon die prachtvollen, mit erlesen
stem Geschmack atsaeitntteten Raume
des Steinbergschen Heian betäubten
iihn. Er mußte sich ordentlich zusam
Imennehmen um nicht mit offenem
iMunde dazultehem oder mit Auskuer
ides Entzückens alle diese wundervollen
lsachen anzultounenl Steif und ein
silbig fon er dem Kameraden in einem
»der toitbaren Btolatlessel gegenüber
sMechunisch tauchte er die ihm gereich
ten Zignretten Wenn er sich unbe
obachtet glaubte. schweisten setne schön
l;eitöduritigen Blicke wie trunken über
Möbel, Bilder und Bronzen.
Dann rauschte hinter ihnen einePor
tiere, und Jntta Steinberg glitt lä
chelnd und lautlos über die Teppichr.
Jos- eph-. schlanke Gestalt ihre schön-.
die Kadetten begrüßte
»Bei unsi- werden Sie nufleben, mein
Lieber!« sagte er zu Jürgensen
,,Komtnen Sie nur jeden Sonntag·«
»« a,« fügte Juttn hinzu, »Sie ba
ben ja noch nicht-J von Jhrem Leben ge:
habt«
Ganz bemitleibensmekt erschien sich
Grne Jiirgenfen. Zwar hatte er ängst- ’
lich vermieden, August in seine Fami
licnmisere einzuweihen: aber met-teilt
mußte et ja doch, daß den ernsten Kn- !
metaden kein pekuniätes Plus- be
drückte. !
Obwohl er es nicht recht begreifen H
konnte, gewöhnte sich Eine doch baldt
daran, von den Steinberqs verhätschelt t
zu werden !
»Son netter Paqe hat Dir aerade
noch aesclslt!« neette Herr Steinberg
die schöne Jutta.
Das aliernde Mädchen siihlte sich
von der naiven Bewunderung des Ka
detten aeschmeichelt. Auch hatte sie
gerade wie August eine Schwäche siir
diesen ehrlichen, vornehmen Jungen;
nnd seine kühle Verschlossenbeit interes
sierte sie, wei! sie ein Gegensatz war zu
ihrer überlebbasten Oberstächlichteit.
Vielleicht war es nnr eine Laune, das;
sie so Viel »Wesens« von ihm machte.
Es anriisierte sie, ihn zu Verwiibnm »in
iiberraschen, iktm hundert kleine Aus
merlsamkeiten 311bereitcn. Er war
ia so dankbar siir alles-, nnd Tinae,
die siir sie kaum einen Wert hatten,
stannte er an wie ein Kind.
Nun hatte sie sich s in den Kopf aei
setzt. den »armen« Jiiraensen auch
Weihnachten bei sich zu haben Seine
Mutter sollte ja iracndwo »in Stel s
lnng'« sein: eine jener ungliietlichen
rnittellosen Lssizierswitwent
Nein, in dieser Enge sollte ihr Lieb
lina nicht untergehen! Er sollte die
aroszartige Weihnachtsseier im Stein
bergschen Hause mitmachen. Bei den
lebenden Bildern konnte sie ihren hüb
schen Paan schon aar nicht entbehren
Wiederholt schrieb sie an August. —
»Entschlies;e Vielle hatte der zu
Jüraensen gesaat. Und Jürgensen
sasr nun da, hielt die Stirn in die
Hand gestützt; nnd seine ernsten Augen
glitten über die Zeilen eines Briefes,
der zwischen den Blättern seines Ma
thematithestes laq.
Ja —- Muttina war wirklich ,,such
bar« enttäuscht, das; Erne bei den
Steinbergs seinen Weihnachtsnrlaub
verbringen wollte. Was diese Stein
berqg denn eigentlich sür Menschen
seien?
»Wie sehr entbehre ich Deine langen
Sonntagsbriese, « schrieb Mutting
»was ist mein armes Leben ohne Dein
Vertrauen und ohne Deine Liebe? Und
Weihnachten will mein Jung auch
nicht kommen? Es ginge doch so gut.
Der Baron ist vierzehn Tage in Groß
Wenden. Aber tvie Du willst, Kind!
Es ist einsam aus Notenheide. Jch
iende Dir an Geld, was ich ersparen
konnte· Du mußt wohl den Stein
bergs ein Geschenk machen. Mein
großer Jung’, laß Dich nur Deinem
Muttinq nicht entfremden.«
»Es geht nicht,« sagte Jiiraensen,
den eine Verstimmung gegen die Stein
bergs ergriff. Was wollten diese
Leute von ihm, was bezioeclten sie mit
ihrer ausdringlichen Güte?
Daß ein ernster, gehaltvoller Mensch
oftmals dem Gehaltlosen als Stasfage
dienen was-, davon ahnte der quteJiir
gensen nichts. Er seufzte nur; und
das veranlaßte August Steinberg, eis-«
nen « zierlichen Briefbogen vor dem
Freunde auszubrciten
»Hier, lies selbst, wag Jutta
schreibt.« Er deutete mit dem langen
Nagel seines kleinen Fingers eine Zeile
an, las mit halblauter Stimme, um
die anderen im Zimmer anwesenden
tiadetten nicht aufmerksam zu machen:
»Sag, bitte, Jürgensen, die Kostiime
zu den lebenden Bildern seien ange
kommen: sein Kostiim ist wundervoll;
ich sehe ihn schon vor mir und meifz,
daß er brillant aussehen wird! Sag
ihm das, August. Und sorge dafür,
daß Jiiraensen auch wirklich kommt.
tlnsereWeilmachtsfeier würde mir nicht
die geringste Freude machen ohne sein
liebes, seines, vornehnces Gesicht. Jch
habe mich wirklich ganz fabelhaft an
Deinen geliebten Jiirgensen attachiert!
Habe eine Menge netter Ueberraschun
gen für ihn. Also Hand drauf, Gu
stelx er lomn1t!««
»Na. und da kannst Du doch un
möglich nein sagen, Jüraenseii?«
Deine Frau Mama wird auch froh
sein, wenn Da Dich kei uns gut anlü
sierst!«
»Ja, schließlich —-«
»Und dann die lanae Reise mit lau
ter Bimmelbahnenk Mecklenburg —
nicht wahr? Nee, Junge, da laß ich
Dich nicht bin. Ich schreibe Jutta,
daß Du lomms.«
sit
sie It
Die lseiden Kadetten trafen am er
sten Ferientage mit Jutta Steinberg in
Berlin zusammen, Weihnachtseinläufe
zu machen. Jutta legte gleich ihre
Hand aus Jiirgensens Arm, während
August sich damit begnügen mußte,
ihr Ledertiischehen zu tragen.
Aber so liebenswürdig Jutta auch
war und sn brillant sie auch aussah in
dem breitenPelzbarett mit weißem Rei
her und lostbarer Agrasse, — der Page
blieb verstimmt.
Ja, eine geheime Traurigkeit quälte
Jiirgensen. Der Gedanke en seine
einsame enttauset te Mutter verlies, ihn«
nicht. lind zum ersten Male erschien
ihm das Geblendet der beiden Stein i
bergsz hohl, inhaltlos, sah er mit wa
chen Augen und aereizten Nerven das
LJteetenhaste an August und die aus
dringliihe Eleganz der .,schiinen«
Jutta
Es geiiierte ihn fast, das-, sie an sei
nein Arm hina. Er bemerkte-, daß sie
die Blicle der Vorübergehenden aus sieh
zogen·
Mit gesenkten Augen schritt er neben
ihr. Einmal, als Jutta vor einein
eiitvelier taden Halt machte zuckte Jur
genseu förmlich zusammen.
»Wie uerdös Sie heute sind!« sagte
Jutta »Was haben Sie denn, Jur
gensen ?«
,,Nichts.«
Das klang unhöflich, gereizt. Aber
ein Schreck hatte ihn durchzuckt, denn
eine hohe, blonde Frau« in schwarzen
Witiveuileidern stand dort unbeweglich
und blickte ernst aus all das Fiinleln
und Glitzern hinter der Glagscheibe des
großen Schausensters.
Welche Idee! Wie sollte Mutting
nach Berlin lomnien? Aber noch zwei
inal blieb er stehen und starrte der ho
hen blonden Frau in schwarzen Klei-»
dern niit sehnsüchtigen Augen nach. »
Endlich wiiilte Jutta einer Droschke, «
iiud sie fuhren durch einige Straßen
in denen Menschen hasteten, bis vor
eine Fiouditorei
Juttti sah sich nach ihrem Pagen um«
aber er stand mit traurigem zerstreuten
Au: druck da; und so mußte ihr Au
gust beim Aus-steigen behilflich sein«
»Was hat er nur?«
«Lauuen wie ein Backsisch!« flü
sterte August mit einer liess-haften
Grimasse
»Du!« sagte er zu Jiirgensen als
sie an einein der runden Eltiarniortische4
Platz genommen hatten. »Bestekl doch
mal ein Glas Wasser sür Jutta."
Sosort erhob sich Jürgerrsen und
steuerte mit seinem melanchoiisrhen Ge
sicht durch das schwatzendeund schmau
Iende Publikum.
»Der ist ja heute unausstehlich," rief
Jutta ärgerlich ans-. »Er verdirbt
mir die ganze Laune! Na, das hätte
ich wissen sollen! Bei seinen kurzen
Sonntags-besuchen machte er immer ei
nen so netten nnd guterzogenen Ein
druck. Aber da sieht man mal wieder
man kann nicht vorsichtig genug seini«
August riiclte in einer eiseriiichtigen
Regung näher an seine Stiesschwester
heran.
»Du bzst ihn eben verwöhnt, Jutta.
Jetzt denkt er, er könnte flapsig sein.
Na, ich werde ihm mal durch die
Blume -—«
,,Gustel, da kommt der Regierungs
rat Borchartx wer ist der andere?«
»Jetzt wird’s sideli Das ist Ober
lentnant Vrauning·«
»Natürlich Brauning, der mit den
vielen Schulden.«
Die beiden Herren näherten sich den
Steinbergs, nahmen an ihrem Tische
Platz, und der Regierungsrat verwit
telteJntta in ein Gespräch, dem zu
folgen sie sieh keine Mühe gab. Denn
Braunings Nectereien mit August in
t:ressierten sie viel mehr.
Als Jiirgensen, den man total der
gessen hatte, im Begriff mar, seinen
Weg durch die kleinen Marmortische
zuriirt zu machen, blieb er plötzlich tvie
anaeiunrielt stehen. «
Sein Blick war zufällig auf ein
sclnniichtiges Vorkurpsszledettthen ge
fallen, das sieh an die Seite einer gro
ßen, blonden» setitvarzgekleideten Frau
schmiegte
,,!l.linttina!« sagte die helle Kna
benstimme des Kleinen vernehmlich.
»Mutting, wenn Dein Geld langt,
möchte ieh noch einen Mohrenkops mit
Schlaasahne essen«
Das ernste Gesicht der Frau beugte
sish aus dem schwarzen Witwenschleier
zu dem winziaen Soldaten herab.
,,(8««i,.uNim1nersatt.«
»Du hast wohl iein Geld mehr?«
fliisterte das Kind, und sein feines- Ge
sichtcken bekam einen soraenvollen, alt
ilngen Ausdruck Iiirgenien ver
schlang die Beiden, die wie ein Bild
aus seiner eigenen Kindheit waren, mit
ielnisiiclsjiaen Blicken.
Und mit einem Seblaae wurde es
ihm tiart die Steinbergs waren Men
schen, zu denen er nicht paßte! — Ihre
Zehmeicheleien hatten ihn betäubt,
Juttag iirerschwenglithe Zuneigung
hatte ihn aaiu verwirrt gemacht. Sie
kemitleideten ihn, drängten ihm Almo
sen aufk lan er hatte sich seiner Ar
nint geschämt .. .
st: d'- sie
Es silmeite unaufhörlich
Anf der Freitreppe Von Rotenheide
stand eine hohe, anmutiae Imman
jtalt, aanz in Schwarz aekleidei. Jhke
sanften Ziiae rahmte ein schwarzes
Evitzentuch ein« Von dem das aoldblon
de Haar sieh schimmernd abhob. Sie
stand unbeweglich und blickte einem da
vonaleiicnden Schlitten nach, der mit
tlinqenden Glocken im Schneeireiben
verschwand Nun war es ganz ein-«
inm anf Rotenheide. Aber gleichmä
tia blieb das feine Gesicht der Frau,
obwohl ein Seufzer ihre Lippen teilte
Das Schicksal hatte sie Ergebung ge
lehrt.
»Er-stehen Sie. liebe Nichte, daß Sie
noch immer auf das Kommen Jhres
nngetrenen Lieblings rechnen!« hatte
der alte Herr sie geneckt, als sie sich
standhaft weigerte, ihn 3111«Weihnachts
feier nach Grofz-Wenden zu begleiten.
Die Vlonde Frau hatte den Kon ge
schiittelt, aber derBaron, der ans Zart
aefiihl die verwandisckiaftlichen Bezie
hungen möaliclist oft betonte, lächelte
fein: »Mein Entelneffe wird sicherlich
Rotenheide dem Schlemmerleben in
1Berlin vorziehen.«
Jn Gedanlen schritt ,,Mntting« nun
doch über den hohen Schnee lis zum
großen Tet.
»Erne! Jung’!«
Tränmte sie denan Oder kam dort
eine hohe Gestalt im verschneiten Man
tel, mit aufgeschlagenem Kragen. . ..
»Du; Dnl Ja, bist Du’s auch wirk
lich?««
»Ja, Muttina! Ich!«
Endlich hieli er die ersehnte hohe,
kraftvolle Gestalt in feinen Armen, —
Art von seiner Art! s-- Und Mutting
las die alte Kinderleele ans seinen
Augen.
»Jetzt wollen wir beide Weihnachten
feiern!«