Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 15, 1912, Zweiter Theil, Image 9

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    Nebraska
Staats— Anzetger und J cerold
Ja ttttttttttt
Kummer 14
See see-innern
l
Von Max Naratoslr. I
Ich stehe lchweiqend mild dein Berges-;
ran
Und blicke sinnend in das weite Land-s
Das, ties vergoldet, liegt im Abend-.
chem.
Ein wundes-volles Bild. Ach bin allein-.
Da kommt di- Schusuchi im mit leisem.
Schritt.
Und die Erinnerung. sie wandert mit.«
llnd beide treten fturrnn en mir her n:’
Ich weiß, daß ich sie nicht vertrei n1
kann.
Und zitternd fiilslt mein-Pers das alte
et ,
Die Wunde brennt, die lauen gebeilt
die Zeit;
Schwer atmend sieb« ich ans der Bet
M «
Und ties dnrchtoiiblt mich namenlolei
Web.
Eine Instit-sticht Lied-.
sumorezle von Elle Ritter-.
Eine Ferienreise aufs Land zu gn
ten Freunden. Meine Fran, ich, die
beiden Kinder. Als wir eben ab
sabren wollen, lommt mein General
und vertraut rnir seine älteste Toch
ter an, die aus dasselbe Landgut
reist. sSie beißt Adda, ist blond be
zopst und blau besagt, sie ist 18 Jah
re und bat eine »ungliialiche Liebe!«
— Wer diese Liebe ist, abne ich nicht.
Ein «windiger Lentnant,« sagt Papa
General.
Sie soll diese Liebe vergessen. Wir
sollen leine Gelegenheit vorbeigehen
lassen, sie sie vergessen zu machen.
Jedes Mittel ist recht. Jch bitte un
gern Generalstöchter. besonders bei
so lomplizierter Gemiitsversassung
Meine Frau sagt aber, es wäre un
sere Pflicht, meinem General den Ge
sallen zu tun. Sie verspricht. mir
alle Mühe und Unbequernlichleiten
dabei abzunehmen.
Jrn Kieinbahnzugei 20 Stück
Handgepiickt Die Kleinbahn ist heute
ersssnet, resp. eingeweiht worden.
Man hat sie dabei start gefeiert. Ich
silrchte —-« zu start — denn ihr Gang
zeigt heltige Unregelmäßigkeiten. Die
Fahrt ist aber ein wahrer Triumph
zug. Fahnen — Guirlanden ·- mehr
oder weniger weißgewaschene Jung
frauen! Die Einwohner der Ort
schaften, die wir (durcheilen, hätt’ ich
beinahe gesagt) also durchqueren in
Festtoileite, mit Tücherschwenien und
Hurrarusen neben uns herlausend.
--— —- Unsere Kinder jubeln —- meine
Frau, die siir Ausmerlsaniteiten jeder
Artempsänglich ist, verneigt sich huld
voll lächelnd aus dem Coupissensteh die
Tochter meines Generals leutzt Mit
dein rosigen Zeigesinger tupst sie ein
Tränchen aus dem Augenwintei.
Plötzlich aus sreiem Felde hält unser
»ZiLgle« mit kurzem Ruck still, das
Lotomotivchen stöhnt jämmerlich,kes
kann nicht mehr. Jch dachte es rnir
ja. daß irgend etwas nicht sunttionie
ren würdet
Wir bleiben also kleben! Voll schari
sich um uns, höhnisch sehen die
Schwalben von den Telegraphendräh
ten aus uns hernieder.
Ob der Lolotnotive das Wasser
oder das Feuer ausgegangen —- ob
—· wie Kenner behaupten, von allzu
starkem, ungewohntem Lausen eine
Achse heiß geworden ist —- -— Du
abnit es nicht.
Da die Weitersahrt ins Ungewisse
verschoben ist, steigen sämtliche Rei
sende aus, den schönen Sommerabend
im Freien zu genießen. Wir lagern
uns am Bahndamm neben einem
Kornselde. Die Tochter meines Ge
nerals, die bis fest andauernd ge
seuszt, und sich nur mit melancholi
schem »Ja« oder »Nein« an der De
batte beteiligt hat, fängt ein Ge
spräch an mit einem schicken, jungen
Mann in blau Cheviot und Panama.
Der junge Mann kommt mir bekannt
vor, ich tann mich aber nicht besinnen,
wo ich ihn gesehen habe. Er stellt
sich vor. Er reist auch siir einige Wo
chen aufs Land. Zufällig aus das
unserem Reiseziel benachbarte Gui.
Meine Frau meint, es wäre ein net
ter junger Mann und vielleicht eine
gute Ablentung von einer unglücklichen
Liebe. Wir sehen nun harmonisch
gruppiert am Bahndamm, im Schein
der untergehenden Sonne und mar
ten, bis unser Lokomotivchen sich wie
ter erholt hat. Wir psliicken Blumen
und winden Kränze! Wir schmücken
uns mit diesen Kränzeni Wir sin
gen gemeinschaftltch mit allen Reisen
den Vaterlands- und andere Lieder
«O, wie wohl ist mir am A—ha-——
bend, mir war As—ha——bend, wenn
zur Ruh die Gtoeken läu—häu——ien
Ein musikalisches Genie hat sich ge
funden, das mit einein sie enschiem
dirigiert. Ein Amsteur otograph
nimmt Gruppenbilder aus. Die all
gemeine Siimmu · ist aus der sähe
— man ist sow "sioetier, dritter,
wie vierter Masse nur einer.Meinnng.
nämlich, daß man selten o gut
amitstert hat. II t eine byllet
Eben, als wir im Begriff sind, einen
Verein zu gründen und allseitig Dud
briiderschaft zu machen, erklärt der
Zugsiihrer, daß unser Lolornotivchen
sich besser fühlt, und wir weiter fah
ren können! ——— Schade!
Der Aufenthalt bei unseren Freun
den übertrifft an Schönheit die kühn
sten Erwartungen. Bei der Anlunft
sind wir mit Fahnen und Jllumina
tion geehrt worden, aus einein lleinen
Bdller bat man Salut geschossen, mit
—-Seltftrofen.11nsere Freunde be
griißen uns nrit sichtlicher Freude.
Anscheinend haben sie bei der goßen
Verspätung nicht mehr daran ge
glaubt, uns beute zu sehen.
Unser Leben besteht nun aus Fau
ienzen und Nichtstun. Ein idealer
Zustand, dem wir uns in dem sicheren
Gefühl hingeben, ihn verdient zu ha
ken.
Nebenber versuchen wir, uns land
wirtschaftlich zu betätigen und ich bin
recht stolz darüber, wieviel Kennt
nisse ich doch von »Drainage" und
»Stall- oder Wiesenfütterung« be
sitts-«
Der analt eines Briefes meiner
Tochter an eine ihrer 27 »besten«
Freundinnen illustriert im übrigen
treffend unser Leben. Sie schreibt
wie folgt
Liebe Annemarie!
Es ist hier sehr ländlich und riecht
nach Kuh! Eine Kuh isi so etwas
ähnliches, wie Bolles Milchwagen in
Berlin. Es gibt auch eine Masse
Schweine. Die Schweine sehen sehr
schmutzig aus, weil sie nur Sonn
abends gebadet werden« Jch besiehe
viele Abenteuer, besonders mit Eseln.
Die Esel sind so »hintertiicksch«, sie
schmeißen einen in die Nesseln und
dann bekommt man Ausschimpse, weil
da gerade ein Fasanennest gewesen
ist« wo man hinfällt. Es ist furchtbar
schön! Außerdem ist da noch die
Adda, von der Bati sagt, sie ist so
toll traurig, wir sollen sie nicht stö
ren. Na —- ich störe sie doch gar nicht,
wenn ich bloß aus’m Baum site, wo
die Bank drunter ist; und wo so’n
Herr neben ihr sitzt, der so’n Unsinn
redet und immer sooooolche Augen
macht! Auch gibt es viele Schafe und
Dich grüßt s
Deine allerbeste Freundin
Lotte.
Was ich sagen wollte! Richtig!
Bei obigem Bries sällt’s mir ein. —
Der nette junge Mann aus dem
Kleinbahn - dell hat bei unsern
Freunden Besuch gemacht. Er ist
irgendwie verwandt mit ihnen. Die
Tochter meines Generals erschien auch
bei diesem Besuch! Ganz in weißt
Sie sah bildhiibsch aus, und war
auch recht fröhlich. Jch sinde, sie
trägt ihre unglückliche Liebe mit rech
ter Fassung. Wir sreuen uns alle,
daß es so ist. Es zeugt von einer
gewissen Seelengröße.
Uebrigens wirkt unser netter Rei
segenosse auch sichtlich erheiternd aus
ihren Gemütszustand. Wir haben ihn
deshalb ausgesordert, uns recht ost
zu besuchen. sEr hat sich erst eine
Weile nötigen lassen, dann aber ver
sprochen, ganz gemütlich und ohne
vorherige Anmeldung »heriibergutom
men.« Die Entsernung zwischen bei
den Gittern beträgt höchstens eine
halbe Stunde. Wundervoller schats
tiger Waldwegt —
Die Tochter meines Generals zeigt
täglich mehr Interesse am Leben. Sie
seufzt nur noch selten — eine Weh
mutsträne habe ich lange nicht in
ihren Auge gesehen. Sie ist ein an
genehmes, leicht zu lenkendes junges
Mädchen. Sie schreibt viel Briefe
trägt sie sogar persönlich zur Post.
Viel geht sie auch spazieren. »Der
Wald verlockt geradezu zu einsamen
Wanderungen!« sagt sie. Immer
lrimmt sie mit geriiteten Wangen und
strahlenden Augen von solchem Spa
ziergange zurück. Jmmer hat sie
auch irgend ein Sträuszchen angesteckt.
Sei es ein Bittenztveig, ein paar
Margueriten oder Kornblumem Ge
stern brachte sie zwei rote Rosen mit!
Periwiirdig daß die im Walde wach
en. —
Und dann das Kahnsahreni Da
isi der Teich mitten im Schat
ten dunkler Tannen. So ein armes
Stadttind, das nie in seinem Leben
Gelegenheit zum Rudern gehabt hat«
fühlt nun natiirlich das Bedürfnis,
soviel wie möglich umherzu ondeln.
Mit vielen »Ach’s« und »O ’s" be
tiitt sie das Boot. Sie ergreift beide
Ruder. Sie plätschert damit im
Wasser umher, wie mit dem Löffel in
der Bouillorn Die Sonne sscheint
heiß. Der Schirm muß aufge pannt
werden. Zwei Ruder — ein S :irml
—- Die Sache wird schon schief ge
henl Natiirlicht Das eine Ruder
fällt ins Wasser — sie will et auf
gchen —- der Kahn tippt urnl —
elch’ Glitt und Segen, da unser
netter Uetsegenosse zufällig n der
Nähe war! Er hat sich ihretwegenl
ins Wasser gestürzt —
Selbstverständlich sind beide we
der ertrunlen, noch hat unser netier
Reisegenosse Gelegenheit gehabt, sich
die Rettungsmedaille zu verdienen(
Das Wasser war an der Stelle nur
tnietiesl Sie sind aber pudelnaß ge
wesen, und über und über bedeckt mit
Entengrilhel
Ja —- und aus ihren blonden
Flechten hiipste ein grau - grüner
Wasserstosch.
Die Tochter meines Generals macht»
uns immer mehr Freude. Sie blüht
in der Landluit förmlich aus. Ihre;
unglückliche Liebe scheint sie vollstän
dig überwunden zu haben. Jch hosse
sogar, neue Liebe ist in ihr unschul
diges herzchen eingezogen. Unser net
ter Reisegenosse, neuerdings »Addas
Lebensretter« genannt, ist fest sast
immer hier. Er gefällt uns allen
ganz ausgezeichnet, meine Frau ist
sogar »entziickt, von ihm. Sie meint,
Generals würden sich freuen und uns
ewig dankbar sein« wenn ihre Toch
ter hier ein neues Glück fände. —
Sie ist sest entschlossen, die offen
kundige Verehrung des jungen Man:
nes nicht nur zu dulden, sondern sie
sogar in jeder Weise zu fördern.
Jch —- such! —
Die beiden jungen Leute sind nun
fast immer beieinander. Sie spielen
Tennis, reiten und rudern zusammen
Wir räumen ihnen alles aus dein
Wege, was sie stören oder dem Gebei
hen einer Neigung hinderlich sein
lönnte. Jch freue mich schon auf das
Glück meines Generals, wenn ich ihm
seine Tochter mit einem so sympathi
schen Bräutigam nach Hause bringe.
Jedes alte Schloß hat bekanntlich
seinen »Geist,« der programmgemäsz
»umgeht.« Jedenfalls, es ist totschicl.
einen solchen zu haben. Auch hier
ist es der Fall. Es ist ein schwebt
scher Trompeter, dem im 80jiihrigen
Kriege der.Kopf abgeschlagen worden
ist. Er trägt diesen Kopf nun der
Einfachheit halber unter dem Arm
und läuft damit jede Nacht von IF
bis 1 Uhr spazieren. Aus einem
Horn bringt er dabei unheimliche M
ne hervor, oder ruft mit Grabesstinp
me: »Hu-s l’pmpesrsesur!« —
Cs ist total unlogisch von einem
schwedischen Trompeter, sranzöfisch
zu sprechen, aber es ist nun mal so.
Geister dürfen eben unlogiseh sein.
Wir sind nachts in steter Erwartung
seines Erscheines. Die Kinder liegen
im Bett und ziehen die Decke über
die Ohren· Es ist hochinteressantl -—-—
Wir haben nun beschlossen, diesen
Geist abzusangen. »Zu erlösen,« sagt
meine Frau! tMeine Frau hat im
mer so poetische Gedanken).
Wir haben uns dazu alle im Tun
leln in der Diele versammelt. Auch
,,Addas Lebensalter« blieb zu diesem
Zweck die Nacht bei uns.
Wir haben ganz still gesessen um
den großen runden Tisch in der Die
le. Als die alte Standuhr mit
hellem Klang 12 Uhr geschlagen but,
sind wir zusammengesahren --— ha-»
ben den Atem angehalten und vor-i
schriftsmäßiges Verztlopfen und zur
Decke gesteäubte haare gehabt. -- !
Tiefe StuIet Nicht-u —- i
»Du — ich höre etwas schleichen!«
flüstert meine Frau.
j »Ach, Unsinn!« !
i »Ja, ja, sicher —- ez hat mich sogar«
im Vorbeigehen gestreift!«
»Sei doch ruhig!«
Wieder tiefe Stille! Da, ein Ge
räusch! Jch höre es auch. — Un
heimlich, so mitten in Nacht und Dun
kelheit! Zwar nicht, wie die Töne
eines Hokus, nein, eher wie,das Zwit
schern eines Vogels! Anhaltendes
Zwitschern — —- —--—
»Wirst Du mir auch treu sein,
Adda?« —- Ach, Kurt, —- Liebster,
Liebster ich bin Dir ewig treu
und wenn sich die ganze Welt auf den
Kon stellt! —- Jch hab' Dich ja
so unsinnig liebl« — —- —
herrgott träume ich denn?
Ganz deutlich habe ich doch diese
Worte gehört!
Sollte der Hausgeist, der Schwe
dentrompeter -— sollte eri —- —-— —
Lurz entschlossen lasse ich meine
kleine elektrische Taschenlampe auf
leuchten. Jn unserer Tafelrunde feh
len zwei, aber da hinten in der
Schrantecke, da stehen ste, die Tochter
meines Generals und unser neiter
junger Reisegenosse. Sie halten sich
sesi umschlungen, sie fliisiern leise —
ste küssen sich — —
0urrah, sie sind verlobtl
«Vive l’empekeuk!«
Ich habe dem jungen Paare mei
nen Segen erteilt. Sie sind etwas
verlegen gewesen und haben mich ge
beten, doch ein gutes Wort für sie
bei meinem General entgangen
Gelb rsiändltghabe ich sofort einen
Orte ciceines tenstsormat) abge
;sandt. in dem ich die Vorzüge dieser
Verbindung ins hellste Licht stellte.
Jch habe bescheiden dabei einslieszens
lassen, daß ich mir Mühe gegebenl
habe, sie zustande zu bringen und da-!
mit seine Tochter von ihrer un
glücklichen Liebe zu heilen.
Ich erwarte nun baldige Antwortll
himmel, was wird sich mein Ge
neral freuen! —
Zwei Tage später.
Jch weis nicht, lasse ich mich nur
versehen, oder iause ich mir Cylinder
und Regenschirnr,und nehme gleich
meinen Abschied. —
—-— —- — —- Es ist ein Brief von
meinem General gekommen, entrüstet,
außer sich. — Er hat geschworen, mir
nie wieder eine Tochter anzuba
trauen, wann ich mich so leicht über
listen lasse!
Die Sache ist nämlich die, unser
netter junger Reisegenosse, Addas
Bräutigam, das ist doch eben der
»windige Leutnant«, die unglückliche
Liebe der Tochter meines Generals!
—- Ja so etwas lann doch ausgerech
Inet auch nur mir passieren
. A
sie tote Elias-.
F Stizze von Arno Feld.
s
Als Helga hausen ihren Freund
fund Lehrer, den Professor Argnnder,
sfragtr. ob er Lust habe, eine richtige
loststiesische Hochzeit mitzunrachen,
slachte der Riese sein- abgrundtiefes,
jtollerndes Baßlachen.
; »Wie kommen Sie denn auf sos
Eetwas, Elschen?« !
i »Ich fahre heim, zur Hochzeit mei
Ener Schwester.«
I »Und da wollen Sie mich mitneh
·men?««
! »Wenn es Jhnen Spaß macht —
saerm Jch denke mir, daß es Sie
interessieren wird. Jn unserer Gegend
haben sich noch die alten Brauche und
zum Teil sager die Vollstrachten er
halten«
Josias Argander legte die tiscb
große, schwere Palette, die außer ihm
niemand auch nur drei Minuten hal
ten konnte, beiseite und näherte sich
dem hochlehnigen Chorstuhl, in dem
helga Hansen eine Zigarette tauchte
Ihr zierliches Figürchen reichte mit
den Kindersiißen nicht bis auf den
Teppich
»Was sie sagen!« äußerte er inter
essiert. »Da gibt es wohl auch was
Rechtes zu essen und zu trinken?«
»Nicht Tage lang nichts wie das.«
»hotzdunnerlichting !«
Wieder lollerte das tiefe Lachen.
Jn Helgas seinem, etwas wächsernen
Gesichtchen lachten nur die dunkeln,
rätselhaften Augen. Nätselhast --—
weil sie im Lachen strahlendes Lebe-.
hatten, ernst aber jenen leeren, unir
bischen Ausdruck der Kurzsichtigem
die kein Glas tragen. So sah sie auch
jetzt zu ihm auf.
»Des weiteren würden Sie an der
stiesischen Küste sür Jhre ,,tote Nixe«
bessere Studien machen, als hier an
den stillen Binnengewässern.«
Der Professor schob ein Stück
alten slandrischen Brokats von dem
nächsten Schemel und ließ sich nach
denklich nieder.
! »Wtssen Sie, Elschen —- die Jdee
List gar nicht so übel. Namentlich was
sdie Seestudien betrifft. Aber wie
-witd’8 mit dem Akt - -? Sie haben
Iniir’s abgeschlagen —«
»Daheim ließe sich darüber reden.«'
Unter den starken Brauen leuchteten
seine Augen hell auf.
’ »Dann wird’s gemacht! Wann soll
es losgehen?« »
»Uebermorgen ist die Hochzeit. Wir
müßten morgen früh abreisen.«
»Hm, ja — es ist ein verflixtes
Ende von München bis da hinaus an
die Wasserkante.« Noch einige Se
tunden überlegte er, während die
weiße, breittnochige Hand im Stirn
haar traute. —- «Und Sie meinen,
daß ich nicht lästig falle?«
»Aber ich bitte Sie! Viel Gäst’,
viel Ehr’ heißt es bei uns.«
«Also gut! Heler Sie mir gleich
ein paar Positur-ten schreiben, damit
die Schwabinger Bande morgen nicht
erst anschwirrt zum Unterricht. Sie
haben mir übrigens in den ganzen
vier Jahren noch nichts erzählt von
Wer Familie —-« und daß Sie
western haben. Sind die älter
oder jüngerW
Delga verzog den schmalen, blaß
roten Mund. Es tonnte ein Lächeln
ein —- oder anderes. Sie ließ den
est der Zigarette fallen und glitt
aus dem Chorstuhl aus die Füße.
»Noch älter »i«
Der Professor sah ihr verdußt nach,
alt sie zum Schreibtisch ging und
dort in dem Chaos von Papieren und
stichetn nach Karten suchte.
Elias ißt das...wie alt sind
Sie denn berhaupt ——i«
c n tsi einunddreißig — ge
yefenktche
i
Jronisierende Kotetterie lag darin.
»Hotzdunnerlichting!" staunte der
Professor, indem er die Fäuste in
die Seiten stemmte. »Das ist das
erste. was ich höre —«
»Je nun, Sie haben mich nie ge
fragt. Und von selbst spricht man
doch nicht davon, daß man über die
dreißig hinaus ist-«
»Da wäre ich also nur sechs Jahre
älter als Sie?!«
,,Stimmt."
,,Kind, das ist doch nicht möglich!
Ihrem Aussehen nach ——«
«Ja, das Aussehen!« Sie lehnte
sich in den Sessel zurück und schaute
durch die Glaswand des Ateliers in
den Garten hinaus. »Dieses Aussehen
und etliche Sonderart, die wohl da
mit zusammenhiingt, haben mich
schon aus meinem eigentlichen Le
bensgleise gebracht. Friesische Groß
bauerntöchter werden sonst nicht Ma
lerinnen —- miisfen Sie wissen. Die
schaffen tüchtig in der Wirtschaft und
heiraten mit achtzehn.«
»Und weshalb haben Sie nicht ge
heiratet?«
Helga Hausen wandte den Kopf
mit dem gescheitelten, über Stirn
und Ohren gewellten Haar vom Fen
ster ab, und die dunkeln Augen
schauten leer und glanzlos zu ihm
auf.
»Weil mich niemand gemacht hat-«
»Aber Elfchen — Sie sind doch ein
so lieber Kerl!«
Ein flüchtiges Rot stieg ihr in die
Stirn.
»Schon als Kind nicht,« betonte sie
mit NachdrucL »Die Leute daheim
erzählen sich, daß ein Fluch auf mir
flastet —- der Fluch einer Zigeunerin,
die von meiner Mutter beim Wäsche
Istehlen abgefaßt wurde. Deshalb bin»
iich keine blonde, starke Marschendeerns
geworden, sondern eine Puppe, diel
den Burschen zu zerbrechlich schien.
Jedenfalls hat keiner um mich ge-;
fragt. Mit sechsundzwanzig nachdem
die Mutter gestorben, bin ich dannz
fortgegangen...um meinen großen,
blonden, richtig friesischen Schwestern
nicht im Wege zu stehen. Es wird bei
uns streng der Reihe nach geheiratet
— müssen Sie wissen. Solange die
Aeltefte im Hause ist, kann die nächste
nicht unter die Hande. Und eine län-»
gere Wartezeit mochte ich den Schwe-»
ftern nicht zumuten - ganz abge
sehen von dem knurrigen Gesicht, das
Vater schon lange machte.«
»Armes Wurm — ---«
»Wiefo? Jch fühle mich ganz wohl.
Und es ist allen geholfen. Stine hat
schon drei Buben. Hanna heiratet
übermorgen, nnd um die letzte, die
Annemarein, ist mir nicht bange. Mit»
sihren meterlangen, dicken, kornblon
sden Zöper ist sie die hübscheste und
trotz ihrer knapp siebzehn Jahren
eine Kriemhild von Gestalt. —- Wo
haben Sie eigentlich die PosttartenH
Professor?«
Da er sich über sie beugte und im
gemeinsamen Suchen ihre Hand be
rührte, zuckte Helga Hansen kaum
merklich zusammen und rückte mit
dem Sessel beiseite.
If If If
Hochzeit und Nachfeier waren schon
zehn Tage vorüber - und Professor
Argander weilte immer noch aus dem
Schulzenhof von Venslor. Er war
begeistert von dieser stillen, frucht
schweren Natur und fast mehr noch
von dem Menschenschlag, dem er sich
nach Art und Wesenheit verwandt
fühlte.
s Geschafft aber hatte er noch nichts.
Es iam ihm das endlich wie eine Art
Pflichtverletzung zum Bewußtsein,
als er Helga eines Tages mit dein
Malgerät auf der Duvenhöhe fand
—- da, wo der Weg abbog, der durch
den Buchentvald nach der Däne und
dann zum Meere führte.
Er warf sich neben der Staffelei
ins hohe Ried und starrte mit selt
sam flackerndem Blick über die Korn
felder, die im Winde grün-goldene
Wogen trieben. Minutenlang...
Dann stüste er sich auf den linken
Arm nnd strich mit der Rechten über
Augen und Stirn. «
»Es ist ein Standal, Elfchen, daß
ich in bald drei Wochen noch keinen
Pinsel ungerührt habe s-«
f »Die Arbeit läuft Jhnen nicht
ort.«
»Das sagen Sie so. Die Schwa
binger schreiben schon ungebuldige
Ansichtstarten, nnd länger alJ vier
Wochen kann ich doch Jhrem alten
Herrn nicht gut auf dem Halse liegen."
Herrgott, ist das ein prachtvoller;
Mensch!«
Helgaz Augen lachten aus ihn
herab. «
,,Genau so beurteilt er Sie, Pro
fessor. Der ganze Hof und das Dorf
schwärmen von Ihnen. Man versöhnt
sich ordentlich mit mir, da die «liitte
Zigeunersche« einen solchen Freund
und Lehrer hat« - »
»Was Sie wieder paymede
grollte sein Baß. Aber er lächelte da
bei, und es klang nur gezwungen
ernst, als er hinzusügte: »Nein, nein
— das geht nicht weiter. Von morgen
ab bin ich den ganzen Tag an der
See. Und werden Sie Wort halten,
Elfchen —?«
Sie beugte sich näher an die Staf
felei.
»Worin — —
»Elfchen, Sie wissen, daß ich kein
anderes Modell brauchen kann für
das, was mir vorschwebt. Es ist, als
wenns der liebe Herrgott Sie mir
eigens für die tote Nixe geschaffen
hätte -—- —: diese Sylphenlinien,
das Kindliche und doch Reife — und
die Augen vor allem! Diese seltsamen
toten Augen, sobald Sie ernst drein
schauen. Das alles brauche ich. Und
Sie sind doch mein kleiner Freund
und Kamerad, Elschen, nicht wahrs«
Helga nickte.
»Na also!«
Dann trat wieder das unruhige
Flackern in seinen Blick, und er
schluckte, als würge ihn etwas. Große
Büschel des dürren Grases rupfte er
aus und streute sie umher.
»Und da Sie mein Freund sind,
Elschen, so gehe ich Sie noch in einer
andern Frage um Rat an. Sehen Sie
mal —- —— —- ich habe das Boheme
leben gründlich satt. Die Ueberjüng
linge und Malweiblein von München
«
Schwabing haben’S mir verekelt.
Eigentlich schon lange. Nur die Ge
wohnheit hat mich das noch ertragen
lassen. Seit ich diese reine Luft ge
atmet und die starken, stolzen Adels
menschen hier kennen gelernt habe,
denle ich schaudernd an das Pygma
envolk, an den Verkehr mit ihm in
Casös und Speisehiiusern. Jch möcht
ein Heim haben, Elschen —- mit einer
guten, tüchtigen Frau, die auch wirt
schaftlich zupackt und mich in Ord
nung hält. Und —- — — na also
kurz und schmerzlos: ich bin dahin
tergelommen, daß ich alter Esel...
daß mein Herz an Annemareins
Zopsschleife baumelt. Verriickt, was?«
Jn befangener Frage, beinahe ver
stört, sah er zu ihr aus. Helga Hansen
arbeitete in ruhigen glatten Pinsel
strichen an ihrer Stizzr.
»Weshalb verrückt? Nur wiirden
Sie sich noch anderthalb Jahr gedul
den müssen. Vor achtzehn kommt keine
vom Schulzenhof.«
»Und wenn ich drei Jahre warten
sollte!« eiserte er begeistert, indem et
sich in den Knien ausrichtete. »Bloß
einige Gewißheit möchte ich haben
daß der Vierzigjährige nicht ausge
lacht wird, wenn er zu gegebener Zeit
anllopft.«
»Das können Sie unbesorgt heute
schon tun.«
»Ist das Ihr Ernst, Elfchen —
Jhr voller Ernst?«
Helga nickte...da riß er sie in
tapstaer Bärenhaftiakeit an sich —
um sie gleich darauf erschrocken stei
znaeben Es war ein entsetzlicher
Schrei, den Helga aus-gestoßen Als
der Riese ihre Hand nahm Und wie
ein Kind um Verzeihung bat, verzog
sie den schmalen, blaßroten Mund.
Es konnte ein Lächeln fein -——— oder
anderes.
»Da Sie mir wehgetan, werden
Sie zur Strafe das Bild Verbessern
und beenden-"
Feuereifrig griff er nach der Pa
lette, die ihr entfallen war und malte.
Eine Weile sah Helga schweigend zu,
wie ihre Skizze unter der breiten,
fchmissigen Art des Meisters sich in
ein Kunstwerk verwandelte.
»Wann sind Sie morgen an der
See?« fragte sie dann beiläufig.
»Ich denke - der Beleuchtung we
gen gegen acht.«
,,Alfo gut — -—- —- Sie werden
mich dort finden.« Damit wandte jLe
sich ab und ging.
:- 8 si
Am andern Morgen erfuhr der
Professor von Annamarein mit der
er seit geftern abend versprochen war,
daß Helaa schon vor fiinf zum Baden
an die See gefahren sei —-- mit dem
gelben Break.
Er machte sich eilig auf den Weg,
hatte aber die Duvenhöhe noch nicht
erreicht, als ihm der leichte, hoch
räderige Wagen langsam entgegenkam
s-— — führerlos Nur Kleider,
Strümpfe und Schuhe lagen auf den
Sitzen.
Eisige Klammer trampften sich ihm
ums Herz. «
Er wandte das Gefährt und
sprang auf. Als er den abgehetzten,
fchaumwerfenden Gaul an der Bucht
parierte .fand er Helga Hansen...
wie er die lNixie hatte malen wollen
—- -— —- halb unter Wasser — und
tot.
—- Kritit. Heinrich Hart, der
gefürchtete Krititey fällte einft über
as Konzert eines unglücklichen Sän
ger-, Namens Dahn, folgendes Ur
teilt »Als der hn das drittenml
,eträht hatte, g ng das Publikum
staunt und weinte bitterltch.«